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»Front-Mensch« und Friedensaktivist Soziologe Wolf Lepenies mit Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet FRANKFURT. Der Soziologe, Biograf und Essayist Wolf Lepenies ist am Sonn- tag in Frankfurt am Main mit dem Frie- denspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. Der 65-jährige frühere Rektor des Wissenschaftskollegs zu Berlin erhielt den mit 25000 Euro do- tierten Preis bei einem Festakt in der Paulskirche. Lepenies habe sich seit dem Fall der Mauer für das Zusammenwach- sen Europas und das friedliche Gespräch zwischen den Kulturen engagiert, sagte der rumänische Philosoph und Kultur- kritiker Andrei Plesu in seiner Laudatio. Der ehemalige rumänische Außenmi- nister nannte Lepenies einen Kämpfer, »Front-Mensch« und Friedensaktivisten. Nur sehr wenige abendländische For- scher hätten ein solch »exaktes und nu- anciertes Verständnis des Ostens« wie er. Den Frieden, den Lepenies möglich ma- che, sei nicht der Frieden des »engelhaf- ten Redners, sondern der Frieden eines gut informierten und pragmatischen Ex- perten«, sagte Plesu. Verstehen und un- parteiisch urteilen sei sein Lebens- und Forschungsprogramm. In seiner Dankesrede rief Lepenies die westlichen Länder und insbesondere die Bundesrepublik dazu auf, »die Leitidee eines mit der Moderne kompatiblen Is- lam« zu stärken, die aus der Mitte der muslimischen Welt heraus entwickelt und propagiert werde. Es gehe um die Unterstützung von Gruppen und Einzel- nen, die zwischen Islam und der Moderne keinen Gegensatz sähen und von der De- mokratiefähigkeit muslimischer Gesell- schaften überzeugt seien. Der Sozialwissenschaftler erinnerte an die »historische Einsicht« in die engen Verflechtungen des Westens mit der isla- mischen Welt. So sei etwa das christliche Mittelalter sehr stark vom Islam geprägt worden. Zudem habe Europa das antike Erbe auch durch die Vermittlung der ara- bisch-islamischen Kultur empfangen. Mithin sprächen gegen die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union allen- falls die Missachtung der Menschenrech- te und die Minderheitenpolitik, nicht aber, »dass damit das christliche Europa seine Seele verlöre«. Angesichts der »Kräfteverschiebungen in einer zusammenwachsenden Welt« müssten sich die westlichen Demokrati- en neu und »mit mehr Wärme« zu ihren Grundwerten bekennen, mahnte Lep- nies. Ansteckend könne die Demokratie jedoch nur wirken, wenn sie nicht routi- niert betrieben oder anderen mit Gewalt aufgezwungen, »sondern mit Enthusias- mus ohne Überheblichkeit gelebt wird«. Das Ergebnis sei »die Kultur der selbst- bewussten Freiheit.« Kritisch äußerte sich Lepenies zur aktuellen Bildungs- und Wissenschaftspolitik. Besonders fa- tal seien die »aberwitzigen Kürzungen« für so genannte »kleine Fächer«. Damit verschwänden Wissensbestände, die einst zum deutschen Bildungskanon ge- hörten. »Das können wir uns nicht länger leisten«, sagte der Friedenspreisträger. Lepenies war bis Frühjahr dieses Jah- res Professor für Soziologie an der FU Berlin. Von 1986 bis 2001 war er Rektor des Berliner Wissenschaftskollegs. Be- reits 1994 initiierte er ein Forschungspro- gramm zum Thema »Moderne und Is- lam«. Seit 2004 gehört er dem Aufsichts- rat der Axel-Springer AG an. Als sein Hauptwerk gilt die Studie »Die drei Kul- turen. Soziologie zwischen Literatur und Wissenschaft« (1985). An der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Wolf Lepenies nahm auch Bundespräsident Horst Köhler teil. Im vergangenen Jahr war der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk ausgezeich- net worden. epd Csárdás, Charleston und Paprika Operettentheater Budapest mit knackiger »Gräfin Mariza« in der Stadthalle ASCHAFFENBURG. Vor 82 Jahren erst- mals auf der Bühne und immer noch tau- frisch: So knackig und paprikapeppig wie das Operettentheater Künstlerhaus aus Budapest die »Gräfin Mariza« am Frei- tagabend in der Aschaffenburger Stadt- halle lebendig werden ließ, kann sie der Vollendung ihres ersten Jahrhunderts lä- chelnd entgegensehen. Vielleicht findet sie sogar wieder Verehrer mit Paprika im Blut, die sich zu mehr Beifall hinreißen lassen als nur zu wohlwollendem Klat- schen. Ein paar Bravorufe und ein bisschen Getrampel mit den Füßen, den einen oder anderen anerkennenden Pfiff am Schluss hätte das auch in Amerika und Asien bekannte ungarische Ensemble schon verdient. Denn mit dem in Aschaf- fenburg Gebotenen hätte die kreative und bestens ausgebildete Truppe wohl auch auf dem Broadway eine gute Figur gemacht. An der deutschen Aussprache könnte noch etwas gefeilt werden. An- sonsten war die Inszenierung vor beina- he ausverkauftem und fast durchgängig mit silberhaarigem Publikum besetztem Haus erste Sahne. Dass es ein bezaubernder Abend wer- den würde, war bereits nach den ersten Takten von Emmerich Kálmáns Musik klar. Das Orchester unter der Leitung von Ferenc Fuchs ließ die vielen Facetten dieser raffinierten Mischung wie frisch poliert funkeln: Wiener Operettenselig- keit und Roaring Twenties, Zigeunerro- mantik, Csárdás und Charleston wirbel- ten bunt durcheinander. Statt Schwulst und Schmäh gab’s frischen, dynamisch schlanken Klang zu hören, viel Tempo und immer wieder etwas fürs Herz von der ersten Geige oder der Klarinette, wenn sie in dramatischen Momenten den Gesang umschmeichelten. Boglárka Udvarhelyi als Gräfin Mariza bestach vom ersten Ton an mit einer Stimme, die ebenso reizvoll, elegant und sinnlich wie ihr Äußeres war, egal ob in Abendrobe oder Pusztamädeltracht. Ein Paar wie aus dem Bilderbuch gaben sie und László Balogh als Graf Tassilo alias Gutsverwalter Török ab, auch wenn sie dessen stattlichen, eher geradlinigen Te- nor bisweilen in den Schatten stellte. Als Schauspieler überzeugten beide, kamen sich mit den Lippen beim Duett »Sag ja, mein Lieb, sag ja!« bis auf wenige Milli- meter nah und konnten danach wieder herrlich vor Eifersucht schmollen und trotzen. Die Tanzstars des Abends allerdings waren Trixi Teremi als Tassilos Schwes- ter Lisa und László Csere als Baron Kolo- man Zsupán. Dass das Buffopaar bei so viel Akrobatik auch noch hervorragend sang – »Ich möchte träumen von dir, mein Puzikam!« –, wurde mit mehrfachem Sze- nenapplaus honoriert. Die quirlige Tere- mi und der schlaksig-bewegliche Csere ließen sich nicht lange bitten und wieder- holten die atemberaubenden Nummern. Wie ein Flieger sauste sie, von ihm nur am Hand- und Fußgelenk gehalten, durch die Luft oder wirbelte auf seiner Schulter waagrecht wie ein Pfeil im Kreis. Der Schweinebaron Zsupán aus Varas- din, »von ganzes Familie das Letzte«, hat- te neben Penicek (Vollblutkomiker Gábor Lengyel), dem Kammerdiener der Fürstin Bozena Cuddenstein (Iona Ba- diu), den schönsten Text. Schön war al- lerdings auch, dass Regisseur Miklós Hidvégi das Libretto von Julius Brammer und Alfred Grünwald beherzt gestrafft hatte, so dass die Handlung zügig voran- plätschern konnte. Die Lieder – in den Zwanzigern gefei- erte Schlager – wurden als Teil der Hand- lung gekonnt schauspielerisch ausgelo- tet. So auch von Belá Füsti Molnár (Bass) als tollpatschiger Fürst Dragomir Pop- ulescu, der der Gräfin nicht von den Fer- sen wich, und von Elena Potopea als blutrot gekleidete Zigeunerin. Dass Chor und Ballett eine kleine feine Truppe und kein Massenauflauf waren, passte gut zu der klaren Struktur der von keinerlei Überfrachtung getrübten Inszenierung. Melanie Pollinger Rassig: Boglárka Udvarhelyi als Gräfin Mariza und László Csere als Baron Koloman Zsupán am Freitagabend in der Aschaffenburger Stadthalle. Foto: Peter Rogowsky Knusprig, köstlich, klasse Lach-Marathon mit Knusper in der Zehntscheuer AMORBACH. Wer kennt sie nicht, diese Lachanfälle. Zum Beispiel aus der Schul- zeit, wenn man einfach nicht aufhören kann zu kichern. Und je mehr man sich zu beherrschen versucht, weil der Lehrer schon aufmerksam geworden ist, desto schlimmer wird es. Erst ist das Kichern tief unten im Bauch, dann wandert es glucksend in Richtung Kopf, bis es schließlich völlig ungehemmt laut prustend aus dem Mund hervor bricht. Es gibt diese Situationen, in denen man einfach nichts gegen das Lachen unter- nehmen kann und bei denen irgendwann ein Punkt erreicht ist, an dem es sich ver- selbstständigt. So geschehen am Freitag- abend in der Amorbacher Zehntscheuer, wo das Männer-Musik-Trio Knusper sei- nem Publikum nicht die geringste Chan- ce ließ, einmal ein paar Minuten am Stück zu verschnaufen. Es kommt selten vor, dass man soviel und so ununterbrochen lachen muss. Dass Knusper es dennoch schaffen, hat vor allem mit dem humorigen Facetten- reichtum zu tun, den die Drei auf die Büh- ne bringen. Da wechseln sich brüllende Situationskomik mit beißendem Spott ab, da folgt blanker Klamauk auf satirisch angehauchten Zynismus und alles geht einher mit einer sehr ansprechenden Musikalität und einer Mimik, die vor al- lem bei Guido Schmidt mit Worten kaum zu beschreiben ist. Der Wahl-Kölner braucht gar nichts zu sagen, es reicht, wenn er die Stirn in Falten legt, mit sei- nen Augen rollt, seinen Mund in nahezu unmögliche Verrenkungen befördert – und die Zuschauer können sich vor La- chen kaum halten. Ebenso abwechslungsreich wie die Art des Humors ist auch der Inhalt ihres Pro- gramms. Ob sie die drei jungen Tenöre singend ad absurdum führen, höchst amüsant eine abgewandelte Szene aus dem Kinofilm »Matrix« parodieren oder die bekanntesten Kinderlieder auf Songs von Nena, Police und anderen Rockgrö- ßen singen – mit der entsprechenden Körpersprache der ursprünglichen In- terpreten, versteht sich. Eindeutige Höhepunkte des Abends: die verdammt menschliche und auf der Suche nach einer Frau befindliche Bauchredner-Puppe Gigi und die Lesung von Kafkas Verwandlung verknüpft mit der Tanzperformance eines russischen Choreographen. Unglaublich, dass ein paar Strohhalme an den richtigen Stellen eines Mannes Kafkas Text zu einer Anei- nanderreihung von Schenkelklopfern werden lassen können. Zudem haben Peter Kulla, Patrik Wal- ter und Guido Schmidt, die sich wunder- bar in ihren Charakteren und Begabun- gen ergänzen, eine fast greifbare Büh- nenpräsenz. So ist es kein Wunder, dass an diesem Abend der berüchtigte Funke schon nach ein paar Minuten über springt und sich diese nahezu magische Stimmung zwischen Publikum und Künstlern entwickelt. Ebenfalls ist es kein Wunder, dass das Publikum die drei kabarettistischen Musiker erst nach einer dritten und nicht wirklich geplanten Zu- gabe nur widerwillig ziehen lässt. Und, um noch einmal auf das Lachen zurück zu kommen, so ist es drittens, ebenfalls kein Wunder, dass einem nach diesem fast an- strengend lustigen Abend die Wangen vom Lachen schmerzen. Fazit: Knusper kann man nicht be- schreiben, man muss sie erlacht, pardon, erlebt haben. Nina-Anna Beckmann B Weitere Auftritte: am 4. Dezember im Unter- haus Mainz und am 22. Dezember im Hof- garten Aschaffenburg, jeweils um 20 Uhr. Muss man erlacht haben: Knusper – zu Gast in Amorbach. Foto: Harald Schreiber Wellness auf der Alm Coco Camelle mit »Kurkonzert« im Hofgarten ASCHAFFENBURG. Eins steht fest: Co- co Camelle ist eine hinreißende Person mit ihrem strahlenden Lächeln, das von lustigen dunklen Krusellöckchen um- rahmt wird. Mit ihren großen dunklen Augen, ihrem rot geschminktem Mund, ihrem Feinrippshirt unter Hosenträgern und ihrer langen Nadelstreifenhose, die in weißen Rüschen endet, ist sie halb Clown, halb sexy Chansonette. Eine gute Mischung sollte man meinen, aber so ganz wollte ihr »Kurkonzert«, wie sie ihr neuestes Programm getauft hat, nicht zünden. Zumindest am Anfang nicht. Gewiss, da sang sie charmant vom Tier in ihr, plauderte gewinnend über Missmut und Jammern, deutsche Liedermacher und Jörg Kachelmann, erklärte, warum die Currywurst von heute Döner heißt und sang das fettigste Liebeslied der Welt. Aber alles war ein bisschen zu dünn, zu lang, auch ein wenig an den Haaren her- bei gezogen. Erst das Loblied auf die di- cke Bohne hatte knackige Originalität – ein Blues, aber was für einer, und vorge- tragen mit umwerfender Stimme und stürmischem Temperament. Jetzt ging es los, wurde es kompakt und aufregend: Der Nonsens fährt Kreisverkehr, preußi- sche Tugend gibt die Marschrichtung vor, die Ballerina hat Rheuma und das Glück kommt von Ratiopharm. Coco Camelle hält es nicht mehr, sie tanzt, singt, spielt Gitarre, Ukulele und Klavier, und das alles mit Bravour. Mit hinterhältiger Ironie konterkariert sie schmonzettenhafte Seligkeit – »ein ver- gessener Kuss, ein verlogener Blick kom- men nie mehr im Leben zurück« – sie dreht auf bei der Titel gebenden Story vom Kurkonzert und Heinz-Dietmar, der innen schon cremig ist und ganz einfach umkippt – »Möge dies Lied den Herren eine Warnung sein!« – und sie hockt sich breitbeinig hin, und als sie dann anfängt zu singen, da scheint sie sich in einen frechen Bub samt Lederhose zu verwan- deln: »Ei, schau an dir die dicken Weiber, sie biegen ihre Leiber, wir dürfen nicht lachen über das, was die Weiber da ma- chen…!« Das war große Klasse, ein per- fekt hingemaltes Bild von Wellness auf der Alm. Und Recht hat sie sowieso, die Coco Camelle: »Glaubt an euch – und den Weltfrieden auch!« Anneliese Euler Halb Clown, halb Chansonet- te: Coco Camelle im Hofgarten. Foto: Björn Friedrich Wolf Lepenies (rechts) erhielt den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Zu den Gratulanten gehörte auch Bundespräsident Horst Köhler. Foto: dpa Kulturpreis für Andrea Müller und Helmut Massenkeil ASCHAFFENBURG. Mit dem Kul- turpreis der Stadt Aschaffenburg wurden am Sonntag die Keramike- rin Andrea Müller (51) und der Bild- hauer Helmut Massenkeil (57) aus- gezeichnet. In seiner Laudatio im Stadtthea- ter würdigte Aschaffenburgs Ober- bürgermeister Klaus Herzog das Paar als aktive Teilnehmer am Gemeinwesen, die aktiv das Kultur- leben mitgestalten und prägen. Diese Eigenschaften seien neben den künstlerischen Leistungen ein wesentliches Entscheidungskriteri- um für die Verleihung des Aschaf- fenburger Kulturpreises an das Ehepaar gewesen. Die sechste Vergabe der Aus- zeichnung konnte mit einem dop- pelten Novum aufwarten: Erstmals wurde der Preis gleichzeitig an zwei Personen verliehen und erstmals überhaupt an eine Frau. Eine »her- vorragende Visitenkarte für unsere Stadt« seien Müller und Massenkeil rühmte Herzog die Künstler, die sich 1980 in Aschaffenburg nieder- gelassen hatten. klg »Stimmung war gut« Buchmesse ging zu Ende FRANKFURT. Die Frankfurter Buch- messe bleibt ein Besuchermagnet. Fast 300000 Gäste besuchten die fünftägige Großveranstaltung, die gestern zu Ende ging. »Die Stimmung war gut«, sagte Mes- sesprecher Thomas Minkus. Auf der weltgrößten Bücherschau hatte eine Re- kordzahl von 7272 Ausstel- lern aus 113 Ländern fast 400 000 Titel gezeigt. Große deutsche Verlage äußer- ten sich in einer dpa-Umfrage fast aus- schließlich positiv über die Messe. An den beiden Tagen für das allgemei- ne Lesepublikum am Wochenende war bei Gedränge das Interesse besonders groß für Nobelpreisträger Günter Grass, der sich auf mehreren Foren zu seiner SS-Vergangenheit äußerte. Besucher- trauben bildeten sich auch Gesprächen mit Größen aus aus dem Show-Geschäft, die ihre Bücher vorstellten. Darunter wa- ren Hape Kerkeling, Eva Herman, Senta Berger und Alfred Biolek. Am Samstag zählte die Messe 74 000 Besucher, ein Plus von 4000 im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt boten Verlage und Initiati- ven rund 2800 Veranstaltungen an – das waren laut Messeleitung 13 Prozent mehr als im Vorjahr. Über 2000 Autoren und Akteure waren vertreten. Überschattet war die Buchmesse vom Tod von Büchner-Preisträger Oskar Pastior, der im Alter von 78 Jahren in Frankfurt vor dem Besuch der Messe starb (wir berich- teten). Mit der Wahl des Gastlandes Indien traf die Messe den Zeitgeist. Die erfolg- reiche Tournee des Indien-Musical »Bharati« und der Boom der Bollywood- Filme wirkten wie ein Begleitprogramm. Rund 200 Verlage mit etwa 70 Autoren waren aus dem Riesenreich angereist und präsentierten ein Land im Aufbruch. »Es ist ein breit gefächertes Bild rüberge- kommen«, zog Thomas Abraham von Penguin India Bilanz. Die 172 000 Quadratmeter Ausstel- lungsfläche waren auf der 58. Frankfur- ter Buchmesse komplett ausgebucht. Die Verleger zeigten sich optimistisch. »Ich bin als Fußgänger auf der Messe an meh- reren Rolltreppen nicht weitergekom- men. Daraus ziehe ich den Schluss, dass das Buch die nächsten drei Jahre überle- ben wird«, sagt Helge Malchow von Kie- penheuer & Witsch mit einem Augen- zwinkern. dpa Keine Zeit zum Leben FRANKFURT. Die heutigen Moderato- ren nehmen sich nach Ansicht des Tal- kmasters Alfred Biolek (72) keine Zeit zum Leben. Deshalb wirkten sie trotz ih- rer hohen fachlichen Qualifikation oft farblos, sagte Biolek am Samstag auf der Frankfurter Buchmesse bei der Vorstel- lung seiner Biografie »Bio. Mein Leben«. »Sie machen zu viel, vier oder fünf Sen- dungen die Woche. Da fragt man sich: Wann gehen sie mal ins Konzert oder ins Theater.« Fernsehen verkomme damit immer mehr zum Fast Food. dpa Montag, 9. Oktober 2006 KULTUR KUL01

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Page 1: Foto: Peter Rogowsky Csárdás, Charleston und Paprika · Csárdás, Charleston und Paprika Operettentheater Budapest mit knackiger »Gräfin Mariza« in der Stadthalle ASCHAFFENBURG

»Front-Mensch« und FriedensaktivistSoziologe Wolf Lepenies mit Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet FRANKFURT. Der Soziologe, Biografund Essayist Wolf Lepenies ist am Sonn-tag in Frankfurt am Main mit dem Frie-denspreis des Deutschen Buchhandelsausgezeichnet worden. Der 65-jährigefrühere Rektor des Wissenschaftskollegszu Berlin erhielt den mit 25000 Euro do-tierten Preis bei einem Festakt in derPaulskirche. Lepenies habe sich seit demFall der Mauer für das Zusammenwach-sen Europas und das friedliche Gesprächzwischen den Kulturen engagiert, sagteder rumänische Philosoph und Kultur-kritiker Andrei Plesu in seiner Laudatio.

Der ehemalige rumänische Außenmi-nister nannte Lepenies einen Kämpfer,»Front-Mensch« und Friedensaktivisten.Nur sehr wenige abendländische For-scher hätten ein solch »exaktes und nu-anciertes Verständnis des Ostens« wie er.Den Frieden, den Lepenies möglich ma-che, sei nicht der Frieden des »engelhaf-ten Redners, sondern der Frieden einesgut informierten und pragmatischen Ex-perten«, sagte Plesu. Verstehen und un-parteiisch urteilen sei sein Lebens- undForschungsprogramm.

In seiner Dankesrede rief Lepenies diewestlichen Länder und insbesondere dieBundesrepublik dazu auf, »die Leitideeeines mit der Moderne kompatiblen Is-lam« zu stärken, die aus der Mitte dermuslimischen Welt heraus entwickeltund propagiert werde. Es gehe um dieUnterstützung von Gruppen und Einzel-nen, die zwischen Islam und der Modernekeinen Gegensatz sähen und von der De-mokratiefähigkeit muslimischer Gesell-schaften überzeugt seien.

Der Sozialwissenschaftler erinnerte andie »historische Einsicht« in die engenVerflechtungen des Westens mit der isla-mischen Welt. So sei etwa das christlicheMittelalter sehr stark vom Islam geprägtworden. Zudem habe Europa das antikeErbe auch durch die Vermittlung der ara-

bisch-islamischen Kultur empfangen.Mithin sprächen gegen die Aufnahme derTürkei in die Europäische Union allen-falls die Missachtung der Menschenrech-te und die Minderheitenpolitik, nichtaber, »dass damit das christliche Europaseine Seele verlöre«.

Angesichts der »Kräfteverschiebungenin einer zusammenwachsenden Welt«müssten sich die westlichen Demokrati-en neu und »mit mehr Wärme« zu ihrenGrundwerten bekennen, mahnte Lep-nies. Ansteckend könne die Demokratiejedoch nur wirken, wenn sie nicht routi-niert betrieben oder anderen mit Gewaltaufgezwungen, »sondern mit Enthusias-mus ohne Überheblichkeit gelebt wird«.Das Ergebnis sei »die Kultur der selbst-bewussten Freiheit.« Kritisch äußertesich Lepenies zur aktuellen Bildungs-und Wissenschaftspolitik. Besonders fa-tal seien die »aberwitzigen Kürzungen«

für so genannte »kleine Fächer«. Damitverschwänden Wissensbestände, dieeinst zum deutschen Bildungskanon ge-hörten. »Das können wir uns nicht längerleisten«, sagte der Friedenspreisträger.

Lepenies war bis Frühjahr dieses Jah-res Professor für Soziologie an der FUBerlin. Von 1986 bis 2001 war er Rektordes Berliner Wissenschaftskollegs. Be-reits 1994 initiierte er ein Forschungspro-gramm zum Thema »Moderne und Is-lam«. Seit 2004 gehört er dem Aufsichts-rat der Axel-Springer AG an. Als seinHauptwerk gilt die Studie »Die drei Kul-turen. Soziologie zwischen Literatur undWissenschaft« (1985). An der Verleihungdes Friedenspreises des DeutschenBuchhandels an Wolf Lepenies nahmauch Bundespräsident Horst Köhler teil.Im vergangenen Jahr war der türkischeSchriftsteller Orhan Pamuk ausgezeich-net worden. epd

Csárdás, Charleston und PaprikaOperettentheater Budapest mit knackiger »Gräfin Mariza« in der StadthalleASCHAFFENBURG. Vor 82 Jahren erst-mals auf der Bühne und immer noch tau-frisch: So knackig und paprikapeppig wiedas Operettentheater Künstlerhaus ausBudapest die »Gräfin Mariza« am Frei-tagabend in der Aschaffenburger Stadt-halle lebendig werden ließ, kann sie derVollendung ihres ersten Jahrhunderts lä-chelnd entgegensehen. Vielleicht findetsie sogar wieder Verehrer mit Paprika imBlut, die sich zu mehr Beifall hinreißenlassen als nur zu wohlwollendem Klat-schen.

Ein paar Bravorufe und ein bisschenGetrampel mit den Füßen, den einenoder anderen anerkennenden Pfiff amSchluss hätte das auch in Amerika undAsien bekannte ungarische Ensembleschon verdient. Denn mit dem in Aschaf-fenburg Gebotenen hätte die kreativeund bestens ausgebildete Truppe wohlauch auf dem Broadway eine gute Figurgemacht. An der deutschen Aussprachekönnte noch etwas gefeilt werden. An-sonsten war die Inszenierung vor beina-he ausverkauftem und fast durchgängigmit silberhaarigem Publikum besetztemHaus erste Sahne.

Dass es ein bezaubernder Abend wer-den würde, war bereits nach den erstenTakten von Emmerich Kálmáns Musikklar. Das Orchester unter der Leitung vonFerenc Fuchs ließ die vielen Facetten

dieser raffinierten Mischung wie frischpoliert funkeln: Wiener Operettenselig-keit und Roaring Twenties, Zigeunerro-mantik, Csárdás und Charleston wirbel-ten bunt durcheinander. Statt Schwulstund Schmäh gab’s frischen, dynamischschlanken Klang zu hören, viel Tempound immer wieder etwas fürs Herz vonder ersten Geige oder der Klarinette,wenn sie in dramatischen Momenten denGesang umschmeichelten.

Boglárka Udvarhelyi als Gräfin Marizabestach vom ersten Ton an mit einerStimme, die ebenso reizvoll, elegant undsinnlich wie ihr Äußeres war, egal ob inAbendrobe oder Pusztamädeltracht. EinPaar wie aus dem Bilderbuch gaben sieund László Balogh als Graf Tassilo aliasGutsverwalter Török ab, auch wenn siedessen stattlichen, eher geradlinigen Te-nor bisweilen in den Schatten stellte. AlsSchauspieler überzeugten beide, kamensich mit den Lippen beim Duett »Sag ja,mein Lieb, sag ja!« bis auf wenige Milli-meter nah und konnten danach wiederherrlich vor Eifersucht schmollen undtrotzen.

Die Tanzstars des Abends allerdingswaren Trixi Teremi als Tassilos Schwes-ter Lisa und László Csere als Baron Kolo-man Zsupán. Dass das Buffopaar bei soviel Akrobatik auch noch hervorragendsang – »Ich möchte träumen von dir, mein

Puzikam!« –, wurde mit mehrfachem Sze-nenapplaus honoriert. Die quirlige Tere-mi und der schlaksig-bewegliche Csereließen sich nicht lange bitten und wieder-holten die atemberaubenden Nummern.Wie ein Flieger sauste sie, von ihm nuram Hand- und Fußgelenk gehalten,durch die Luft oder wirbelte auf seinerSchulter waagrecht wie ein Pfeil im Kreis.

Der Schweinebaron Zsupán aus Varas-din, »von ganzes Familie das Letzte«, hat-te neben Penicek (VollblutkomikerGábor Lengyel), dem Kammerdiener derFürstin Bozena Cuddenstein (Iona Ba-diu), den schönsten Text. Schön war al-lerdings auch, dass Regisseur MiklósHidvégi das Libretto von Julius Brammerund Alfred Grünwald beherzt gestraffthatte, so dass die Handlung zügig voran-plätschern konnte.

Die Lieder – in den Zwanzigern gefei-erte Schlager – wurden als Teil der Hand-lung gekonnt schauspielerisch ausgelo-tet. So auch von Belá Füsti Molnár (Bass)als tollpatschiger Fürst Dragomir Pop-ulescu, der der Gräfin nicht von den Fer-sen wich, und von Elena Potopea als blutrot gekleidete Zigeunerin. Dass Chorund Ballett eine kleine feine Truppe undkein Massenauflauf waren, passte gut zuder klaren Struktur der von keinerleiÜberfrachtung getrübten Inszenierung.

Melanie Pollinger

Rassig: Boglárka Udvarhelyi als Gräfin Mariza und László Csere als Baron Koloman Zsupán am Freitagabend in derAschaffenburger Stadthalle. Foto: Peter Rogowsky

Knusprig, köstlich, klasseLach-Marathon mit Knusper in der ZehntscheuerAMORBACH. Wer kennt sie nicht, dieseLachanfälle. Zum Beispiel aus der Schul-zeit, wenn man einfach nicht aufhörenkann zu kichern. Und je mehr man sich zubeherrschen versucht, weil der Lehrerschon aufmerksam geworden ist, destoschlimmer wird es. Erst ist das Kicherntief unten im Bauch, dann wandert esglucksend in Richtung Kopf, bis esschließlich völlig ungehemmt lautprustend aus dem Mund hervor bricht.

Es gibt diese Situationen, in denen maneinfach nichts gegen das Lachen unter-nehmen kann und bei denen irgendwannein Punkt erreicht ist, an dem es sich ver-selbstständigt. So geschehen am Freitag-abend in der Amorbacher Zehntscheuer,wo das Männer-Musik-Trio Knusper sei-nem Publikum nicht die geringste Chan-ce ließ, einmal ein paar Minuten am Stückzu verschnaufen.

Es kommt selten vor, dass man sovielund so ununterbrochen lachen muss.Dass Knusper es dennoch schaffen, hatvor allem mit dem humorigen Facetten-reichtum zu tun, den die Drei auf die Büh-ne bringen. Da wechseln sich brüllendeSituationskomik mit beißendem Spott ab,da folgt blanker Klamauk auf satirischangehauchten Zynismus und alles gehteinher mit einer sehr ansprechendenMusikalität und einer Mimik, die vor al-lem bei Guido Schmidt mit Worten kaumzu beschreiben ist. Der Wahl-Kölnerbraucht gar nichts zu sagen, es reicht,wenn er die Stirn in Falten legt, mit sei-nen Augen rollt, seinen Mund in nahezuunmögliche Verrenkungen befördert –und die Zuschauer können sich vor La-chen kaum halten.

Ebenso abwechslungsreich wie die Artdes Humors ist auch der Inhalt ihres Pro-gramms. Ob sie die drei jungen Tenöresingend ad absurdum führen, höchst

amüsant eine abgewandelte Szene ausdem Kinofilm »Matrix« parodieren oderdie bekanntesten Kinderlieder auf Songsvon Nena, Police und anderen Rockgrö-ßen singen – mit der entsprechendenKörpersprache der ursprünglichen In-terpreten, versteht sich.

Eindeutige Höhepunkte des Abends:die verdammt menschliche und auf derSuche nach einer Frau befindlicheBauchredner-Puppe Gigi und die Lesungvon Kafkas Verwandlung verknüpft mitder Tanzperformance eines russischenChoreographen. Unglaublich, dass einpaar Strohhalme an den richtigen Stelleneines Mannes Kafkas Text zu einer Anei-nanderreihung von Schenkelklopfernwerden lassen können.

Zudem haben Peter Kulla, Patrik Wal-ter und Guido Schmidt, die sich wunder-bar in ihren Charakteren und Begabun-gen ergänzen, eine fast greifbare Büh-nenpräsenz. So ist es kein Wunder, dassan diesem Abend der berüchtigte Funkeschon nach ein paar Minuten überspringt und sich diese nahezu magischeStimmung zwischen Publikum undKünstlern entwickelt. Ebenfalls ist eskein Wunder, dass das Publikum die dreikabarettistischen Musiker erst nach einerdritten und nicht wirklich geplanten Zu-gabe nur widerwillig ziehen lässt. Und,um noch einmal auf das Lachen zurück zukommen, so ist es drittens, ebenfalls keinWunder, dass einem nach diesem fast an-strengend lustigen Abend die Wangenvom Lachen schmerzen.

Fazit: Knusper kann man nicht be-schreiben, man muss sie erlacht, pardon,erlebt haben. Nina-Anna Beckmann

B Weitere Auftritte: am 4. Dezember im Unter-haus Mainz und am 22. Dezember im Hof-

garten Aschaffenburg, jeweils um 20 Uhr.

Muss man erlacht haben: Knusper – zu Gast in Amorbach. Foto: Harald Schreiber

Wellness auf der AlmCoco Camelle mit »Kurkonzert« im HofgartenASCHAFFENBURG. Eins steht fest: Co-co Camelle ist eine hinreißende Personmit ihrem strahlenden Lächeln, das vonlustigen dunklen Krusellöckchen um-rahmt wird. Mit ihren großen dunklenAugen, ihrem rot geschminktem Mund,ihrem Feinrippshirt unter Hosenträgernund ihrer langen Nadelstreifenhose, diein weißen Rüschen endet, ist sie halbClown, halb sexy Chansonette. Eine guteMischung sollte man meinen, aber soganz wollte ihr »Kurkonzert«, wie sie ihrneuestes Programm getauft hat, nichtzünden.

Zumindest am Anfang nicht. Gewiss,da sang sie charmant vom Tier in ihr,plauderte gewinnend über Missmut undJammern, deutsche Liedermacher undJörg Kachelmann, erklärte, warum dieCurrywurst von heute Döner heißt undsang das fettigste Liebeslied der Welt.Aber alles war ein bisschen zu dünn, zulang, auch ein wenig an den Haaren her-bei gezogen. Erst das Loblied auf die di-cke Bohne hatte knackige Originalität –ein Blues, aber was für einer, und vorge-tragen mit umwerfender Stimme undstürmischem Temperament. Jetzt ging es

los, wurde es kompakt und aufregend:Der Nonsens fährt Kreisverkehr, preußi-sche Tugend gibt die Marschrichtung vor,die Ballerina hat Rheuma und das Glückkommt von Ratiopharm.

Coco Camelle hält es nicht mehr, sietanzt, singt, spielt Gitarre, Ukulele undKlavier, und das alles mit Bravour. Mithinterhältiger Ironie konterkariert sieschmonzettenhafte Seligkeit – »ein ver-gessener Kuss, ein verlogener Blick kom-men nie mehr im Leben zurück« – siedreht auf bei der Titel gebenden Storyvom Kurkonzert und Heinz-Dietmar, derinnen schon cremig ist und ganz einfachumkippt – »Möge dies Lied den Herreneine Warnung sein!« – und sie hockt sichbreitbeinig hin, und als sie dann anfängtzu singen, da scheint sie sich in einenfrechen Bub samt Lederhose zu verwan-deln: »Ei, schau an dir die dicken Weiber,sie biegen ihre Leiber, wir dürfen nichtlachen über das, was die Weiber da ma-chen…!« Das war große Klasse, ein per-fekt hingemaltes Bild von Wellness aufder Alm. Und Recht hat sie sowieso, dieCoco Camelle: »Glaubt an euch – und denWeltfrieden auch!« Anneliese Euler

Halb Clown, halb Chansonet-te: Coco Camelleim Hofgarten.Foto: Björn Friedrich

Wolf Lepenies (rechts) erhielt den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Zuden Gratulanten gehörte auch Bundespräsident Horst Köhler. Foto: dpa

Kulturpreis für Andrea Müller undHelmut Massenkeil ASCHAFFENBURG. Mit dem Kul-turpreis der Stadt Aschaffenburgwurden am Sonntag die Keramike-rin Andrea Müller (51) und der Bild-hauer Helmut Massenkeil (57) aus-gezeichnet.

In seiner Laudatio im Stadtthea-ter würdigte Aschaffenburgs Ober-bürgermeister Klaus Herzog dasPaar als aktive Teilnehmer amGemeinwesen, die aktiv das Kultur-leben mitgestalten und prägen.Diese Eigenschaften seien nebenden künstlerischen Leistungen einwesentliches Entscheidungskriteri-um für die Verleihung des Aschaf-fenburger Kulturpreises an dasEhepaar gewesen.

Die sechste Vergabe der Aus-zeichnung konnte mit einem dop-pelten Novum aufwarten: Erstmalswurde der Preis gleichzeitig an zweiPersonen verliehen und erstmalsüberhaupt an eine Frau. Eine »her-vorragende Visitenkarte für unsereStadt« seien Müller und Massenkeilrühmte Herzog die Künstler, diesich 1980 in Aschaffenburg nieder-gelassen hatten. klg

»Stimmungwar gut«Buchmesse ging zu EndeFRANKFURT. Die Frankfurter Buch-messe bleibt ein Besuchermagnet. Fast300000 Gäste besuchten die fünftägigeGroßveranstaltung, die gestern zu Endeging. »Die Stimmung war gut«, sagte Mes-sesprecher Thomas Minkus. Auf derweltgrößtenBücherschauhatte eine Re-kordzahl von7272 Ausstel-lern aus 113 Ländern fast 400 000 Titelgezeigt. Große deutsche Verlage äußer-ten sich in einer dpa-Umfrage fast aus-schließlich positiv über die Messe.

An den beiden Tagen für das allgemei-ne Lesepublikum am Wochenende warbei Gedränge das Interesse besondersgroß für Nobelpreisträger Günter Grass,der sich auf mehreren Foren zu seinerSS-Vergangenheit äußerte. Besucher-trauben bildeten sich auch Gesprächenmit Größen aus aus dem Show-Geschäft,die ihre Bücher vorstellten. Darunter wa-ren Hape Kerkeling, Eva Herman, SentaBerger und Alfred Biolek. Am Samstagzählte die Messe 74 000 Besucher, einPlus von 4000 im Vergleich zum Vorjahr.

Insgesamt boten Verlage und Initiati-ven rund 2800 Veranstaltungen an – daswaren laut Messeleitung 13 Prozent mehrals im Vorjahr. Über 2000 Autoren undAkteure waren vertreten. Überschattetwar die Buchmesse vom Tod vonBüchner-Preisträger Oskar Pastior, derim Alter von 78 Jahren in Frankfurt vordem Besuch der Messe starb (wir berich-teten).

Mit der Wahl des Gastlandes Indientraf die Messe den Zeitgeist. Die erfolg-reiche Tournee des Indien-Musical»Bharati« und der Boom der Bollywood-Filme wirkten wie ein Begleitprogramm.Rund 200 Verlage mit etwa 70 Autorenwaren aus dem Riesenreich angereistund präsentierten ein Land im Aufbruch.»Es ist ein breit gefächertes Bild rüberge-kommen«, zog Thomas Abraham vonPenguin India Bilanz.

Die 172 000 Quadratmeter Ausstel-lungsfläche waren auf der 58. Frankfur-ter Buchmesse komplett ausgebucht. DieVerleger zeigten sich optimistisch. »Ichbin als Fußgänger auf der Messe an meh-reren Rolltreppen nicht weitergekom-men. Daraus ziehe ich den Schluss, dassdas Buch die nächsten drei Jahre überle-ben wird«, sagt Helge Malchow von Kie-penheuer & Witsch mit einem Augen-zwinkern. dpa

Keine Zeit zum LebenFRANKFURT. Die heutigen Moderato-ren nehmen sich nach Ansicht des Tal-kmasters Alfred Biolek (72) keine Zeitzum Leben. Deshalb wirkten sie trotz ih-rer hohen fachlichen Qualifikation oftfarblos, sagte Biolek am Samstag auf derFrankfurter Buchmesse bei der Vorstel-lung seiner Biografie »Bio. Mein Leben«.»Sie machen zu viel, vier oder fünf Sen-dungen die Woche. Da fragt man sich:Wann gehen sie mal ins Konzert oder insTheater.« Fernsehen verkomme damitimmer mehr zum Fast Food. dpa

Montag, 9. Oktober 2006 KULTUR

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