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Fouriertransformation und Distributionen TU Braunschweig Prof. Dirk Lorenz Sommersemester 2010

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Fouriertransformationund Distributionen

TU BraunschweigProf. Dirk LorenzSommersemester 2010

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Skript zur Vorlesung “Fouriertransformation und Distributionen”, gehalten im Sommersemester 2010 ander TU Braunschweig und gedacht als Begleitung zur Vorlesung. Es handelt sich also nicht um ein Lehr-buch und ist kein Lektorat durchlaufen. Es ist deshalb mit Tippfehlern oder halbgaren Darstellungenzu rechnen, auch Tippfehler in Formeln und wechselnde Bezeichnungen sind nicht ausgeschlossen ebensowie eine nicht vollstandig durchdachte Prasentation. Fur Hinweise auf Tippfehler und fur Verbesserungs-vorschlage bin ich dankbar.

Braunschweig, April bis Juli 2010 Dirk [email protected]

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 1

2 Mathematisches Rustzeug 62.1 Topologische Vektorraume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62.2 Halbnormen und lokal konvexe Raume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122.3 Die Raume C∞(Ω) und DK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

3 Testfunktionen und Distributionen 173.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173.2 Der Raum der Testfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183.3 Distributionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213.4 Rechnen mit Distributionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233.5 Lokale Eigenschaften, Struktursatze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283.6 Faltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

4 Fouriertransformation 394.1 Die Fouriertransformation auf L1(Rd) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394.2 Die Fouriertransformation auf dem Schwartz-Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . 424.3 Temperierte Distributionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

5 Anwendungen 505.1 Funktionenraume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

5.1.1 Sobolev-Raume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515.1.2 Fortsetzungen und Einbettungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555.1.3 Sobolev-Raume und die Fouriertransformation . . . . . . . . . . . . . . . 63

5.2 Unscharferelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665.3 Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

5.3.1 Die Fouriertransformation auf Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745.3.2 Losen von PDEs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 775.3.3 Gefensterte Fouriertransformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

6 Aufgaben 81

i

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Kapitel 1

Einleitung

Die Fouriertransformation in ihren verschiedenen Ausfuhrungen ist in zahlreichen Gebieten vonMathematik, Natur- und Ingenieurswissenschaften uberaus hilfreich. Diese Gebiete sind zumBeispiel:

• Losungen von gewohnlichen und partiellen Differentialgleichungen,

• Charakterisierung von Glattheit von Funktionen, Konstruktion von Funktionenraumen,

• Zahlentheorie, insbesondere der Satz uber die Primzahldichte,

• Signalverarbeitung, insbesondere das Abtasttheorem uber die korrekte Abtastung von Si-gnalen,

• Quantentheorie (Wechsel von Orts- und Impulsdarstellung),

• Kompression von Bilddaten,

• Geometrische Optik,

• Massenspektrometrie,

• Magnet-Resonanztomographie.

Distributionen hingegen stellen eine Verallgemeinerung des Funktionsbegriffes dar, der insbe-sondere die storende Tatsache, dass es nicht-differenzierbare Funktionen gibt, entscharfen soll.Distributionen und die Fouriertransformation hangen wenigstens insofern zusammen, als dasssich Distributionen gut mit der Fouriertransformation vertragen und einige der genannten Ge-biete beide Theorien benotigen.

Bevor wir in die mathematischen Grundlagen einsteigen, betrachten wir motivierende Bei-spiele:

Beispiel 1.0.1 (Abtasten von Signalen). Wir betrachten des Prozess des Abtastens von Signalen.Dies kann zum Beispiel die digitale Aufnahme eines Gerausches sein. Dabei wird das Signal (indiesem Fall der Schalldruck) in diskreten Punkten gemessen und eine Folge von reellen Zahlengespeichert. Typischerweise wird mit einer konstanten Abtastrate T > 0 abgetastet. Aus einerreellen Funktion f : R→ R wird also die Folge Fk = f(kT ), k ∈ Z.

Wir nehmen die Funktionf(x) = sin(x2).

Tasten wir diese im Intervall [0, 10π] mit der Abtastrate T = π/30 ab, so ergibt sich folgendesBild:

1

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5π 10π

Die Funktion x 7→ sin(x2) sieht aber eigentlich ganz anders aus; insbesondere sollte sie fur großeWerte von x immer schneller oszillieren. Der Vorlauf der Funktion kann also nicht akkurat durchdie abgetastete Funktion dargestellt werden. Noch drastischer wird dies an folgendem Beispielsichtbar. Wir tasten die Funktion f(x) = sin(5x) mit den Abtastraten T = 0.1 (Kreuze) undT = 1.2 (Kreise) ab:

-1

1

Die niedrige Abtastrate scheint eine vollig andere Funktion darzustellen, namlich die Funktionx 7→ cos(0.236x).

Bei beiden Beispielen scheint es, als musste die Abtastrate an die “Frequenz” der abzutas-tenden Funktion angepasst werden um die Funktion “angemessen” darzustellen. Mit Hilfe derFouriertransformation werden wir dieses Phanomen verstehen und insbesondere den Faktor 0.236erklaren.

Beispiel 1.0.2 (Losung der Transportgleichung). Wir betrachten eine vergleichsweise einfachepartielle Differentialgleichung – die Transportgleichung. Ein Funktion u : [0,∞[×R → R heißtLosung der Transportgleichung mit Anfangswert f : R→ R, falls gilt

∂u

∂t(t, x) +

∂u

∂x(t, x) = 0

u(0, x) = f(x).

Anstatt eine Losung systematisch herzuleiten, geben wir direkt eine an: Ist f differenzierbar mitAbleitung f ′, so ist

u(t, x) = f(x− t)eine Losung, denn:

∂u

∂t(t, x) = −f ′(x− t), ∂u

∂x(t, x) = f ′(x− t).

Der Anfangswert f wird also “nach rechts” transportiert. Was hat das mit Distributionen zutun? Erst einmal noch nichts. Es konnte jedoch stutzig machen, dass die Voraussetzung, dassf differenzierbar sein muss, nur zum Nachweis benutzt wird, dass u eine Losung ist. Fur dieDefinition von u ist die Differenzierbarkeit von f unwesentlich. Fur beliebige Funktionen f ist dieDefinition u(t, x) = f(x−t) sinnvoll und beschreibt wiederum ein Transportphanomen. Es scheintalso, als ware nicht angebracht, die Losungen u auf differenzierbare Funktionen einzuschranken.Es stellt sich also die Frage, ob es eine Interpretation gibt, mit der die Transportgleichung auchfur nicht-differenzierbare Funktionen sinnvoll ist.

Beispiel 1.0.3 (Ableiten von Betrag und Sprungfunktion). Nicht alle Funktionen sind differen-zierbar. Ein besonders einfaches Beispiel hierfur ist die Betragsfunktion f : R → R definiertdurch

f(x) = |x| =

x, x ≥ 0

−x, x < 0.

Fur x 6= 0 ist | · | differenzierbar und es gilt

f ′(x) =

1, x > 0

−1, x < 0.

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Im Nullpunkt hat der Differenzenquotient (f(h)−f(0))/h keinen Grenzwert fur h→ 0. In diesemBeispiel konnte man sagen, dass die Signumsfunktion

sign(x) =

1, x > 0

0, x = 0

−1, x < 0

ein Ableitung darstellt: Es gilt hier immerhin der Fundamentalsatz der Integralrechnung∫ b

a

sign(x)dx = |b| − |a| .

Es geht sogar noch etwas weiter: Ist φ : R → R differenzierbar fallen φ und φ′ “schnell genugbei ∞ ab”, so gilt auch die Regel der partiellen Integration 1:∫

R

|x|φ′(x) = −∫R

sign(x)φ(x)dx.

Insbesondere sehen wir, dass es sowohl beim Fundamentalsatz der Integralrechnung als auch beider Regel der partiellen Integration nicht auf den Wert der “Ableitung” sign in einzelnen Punktenankommt. Andern wir die Signumsfunktion in isolierten Punkten, so andern sich die Werte derIntegrale nicht und wir konnen ebenso von einer “Ableitung” sprechen.

Gehen wir nun einen Schritt weiter und versuchen, eine Ableitung der Signumsfunktion zudefinieren. Hier existiert die Ableitung wieder in jedem Punkt x 6= 0 und es gilt

sign′(x) =

0, x 6= 0.

Die Nullfunktion ist aber kein geeigneter Kandidat fur eine “Ableitung”, denn der Fundamen-talsatz der Integralrechnung gilt hier nicht, denn wenn a und b verschiedene Vorzeichen haben,gilt ∫ b

a

sign′(x)dx = 0 6= sign(b)− sign(a).

Es gibt auch keine andere Funktion, die den Fundamentalsatz der Integralrechnung hier richtigmacht und in diesem Sinne ein Ableitung definiert. Versuchen wir es mit der Regel der partiellenIntegration und suchen eine Funktion h : R→ R als potentielle Ableitung. Fur differenzierbaresφ : R→ R mit lim|x|→∞ φ(x) = 0 sollte dann gelten∫

R

h(x)φ(x)dx = −∫R

sign(x)φ′(x)dx

= −(−∫ 0

−∞φ′(x)dx+

∫ ∞0

φ′(x)dx

)= −(−φ(0) + 0 + 0− φ(0)) = 2φ(0).

Die potentielle Ableitung h musste also fur jedes geeignete φ die Formel∫R

h(x)φ(x)dx = 2φ(0)

erfullen. Eine Funktion h, die dies erfullt musste fur Werte x die nicht Null sind, den Wert Nullhaben. Ein Ausweg, den Dirac2 vorgeschlagen hat, war die formale Definition einer Funktion δmit den Eigenschaften

δ(x) = 0 fur x 6= 0,

∫R

δ(x)dx = 1.

1Die Regel der partiellen Integration besagt, dass fur differenzierbare Funktionen u, v gilt∫R u(x)v′(x)dx =

u(x)v(x)|∞−∞ −∫R u′(x)v(x)dx

2Paul Adrien Maurice Dirac (* 8. August 1902 in Bristol; † 20. Oktober 1984 in Tallahassee) war ein britischerPhysiker

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Dirac war klar, dass es eine solche Funktion δ nicht gibt.Betrachten wir die Funktionenfolge

fn(x) =

−1, x < −1/n

nx, |x| ≤ 1/n

1, x > 1/n

.

Diese Folge konvergiert punktweise gegen die Signumsfunktion und analog zur Ableitung desBetrages konnen wir ableiten und erhalten als Kandidaten

f ′n(x) =

0, x < −1/n

n, |x| ≤ 1/n

0, x > 1/n

.

Die f ′n konvergieren punktweise nur fur x 6= 0 (und zwar gegen 0); im Nullpunkt divergieren dieWerte; ein punktweiser Grenzwert liefert keine sinnvolle Funktion. Immerhin gilt aber fur einestetige Funktion φ: ∫

R

f ′n(x)φ(x)dx→ 2φ(0).

Wir halten folgendes Fazit fest:

• Uber die Regel der partiellen Integration lasst sich ein verallgemeinerter Ableitungsbegriffdefinieren, der fur gewisse nicht-differenzierbare Stellen eine Ableitung liefern kann. Indiesem Falle ist die Ableitung aber nur noch “fast uberall” definiert.

• Fur Sprungunstetigkeiten ist das Verfahren nicht anwendbar. Es lasst sich keine Funktionmehr als verallgemeinerte Ableitung definieren.

• Uber Grenzwerte von Funktionenfolgen, scheint eine Verallgemeinerung moglich zu sein.

Die Distributionen setzen insbesondere beim zweiten Punkt an. Es wird der Funktionsberiffverlassen und eine andere Sicht auf den Begriff der Funktion genommen, insbesondere wird der“δ-Funktion” ein praziser Sinn gegeben.

Bevor wir zuerst Distributionen und dann die Fouriertransformation einfuhren, mussen wirdas notige mathematische Rustzeug einfuhren. Wie Beispiel 1.0.3 nahelegt, mussen wir uns mitverschiedenen Arten von Konvergenz von Funktionenfolgen beschaftigen. Der passende Rahmendazu ist die Funktionalanalysis, insbesondere Funktionenraume die als normierte und lokal kon-vexe Raume aufgefasst werden konnen.

Geeignete Literatur zur Vorlesung ist:

• Walter Rudin, Functional Analysis, McGraw-Hill, 1973

• Kosaku Yoshida, Functional Analysis, Springer, 1974

• Dirk Werner, Funktionalanalyis, Springer, 1995

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• Hans W. Alt, Lineare Funktionalanalysis: Eine Anwendungsorientierte Einfuhrung, Sprin-ger, 2002

• Robert S. Strichartz, A Guide to Distribution Theory and Fourier Tranforms, World Scien-tific, 2003

• Laurent Schwartz, Theorie des Distributions (verschiedene Varianten, auf Franzosisch)

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Kapitel 2

Mathematisches Rustzeug

2.1 Topologische Vektorraume

Eine grundlegende Struktur, die wir in dieser Vorlesung brauchen werden, sind topologischeVektorraume. Wir werden dabei immer R- oder C-Vektorraume betrachten. Als Abkurzungwerden wir meist von K-Vektorraumen sprechen und damit entweder den einen oder den anderenFall bezeichnen.

Definition 2.1.1 (Topologischer Raum). Eine Menge X 6= ∅ und ein System von Teilmengenτ ⊂ P(X) heißt topologischer Raum, falls gilt:

• ∅, X ∈ τ .

• Fur A,B ∈ τ folgt A ∩B ∈ τ .

• Fur Ai ∈ τ , mit beliebiger Indexmenge i ∈ I folgt⋃i∈I Ai ∈ τ .

Wir nennen τ die Topologie auf X und die Elemente von τ werden Das Mengen in τ werdenoffene Mengen genannt.

In Worten kann man die Definition wie folgt ausdrucken:

• Die leere Menge und die ganze Menge sind offen.

• Der Schnitt von zwei offenen Mengen ist offen.

• Die Vereinigung von beliebig vielen offenen Mengen ist offen.

In topologischen Raumen definieren wir weitere Begriffe:

• Eine Teilmenge von X heißt abgeschlossen, falls ihr Komplement offen ist.

• Der Abschluss E einem Menge E ist der Schnitt aller abgeschlossenen Mengen, die Eenthalten.

• Das Innere E einer Menge E ist die Vereinigung aller offenen Mengen die in E liegen.

• Eine Umgebung eines Punktes x ∈ X ist eine offene Menge die x enthalt.

• In einem Vektorraum nennen wir eine Umgebung des Ursprungs eine Nullumgebung.

• Ein topologischer Raum heißt Hausdorffraum, wenn jeweils zwei verschiedene Punkte dis-junkte Umgebungen haben.

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2.1. TOPOLOGISCHE VEKTORRAUME

Beispiel 2.1.2. • Eine Norm induziert per d(x, y) = ‖x− y‖ eine Metrik. Daher sind nor-mierte Raume auch metrische Raume.

• In einem metrischen Raum (X, d) konnen wir auf naturliche Art eine Topologie definieren.Dazu definieren wir die offenen Balle (auch offene Kugeln) durch

Br(x) = y ∈ X | d(x, y) < r.

Wir nennen nun eine Menge A ⊂ X offen, falls fur jedes x ∈ A ein r > 0 existiert, so dassBr(x) ⊂ X gilt. Die Menge der offenen Mengen bildet die Topologie τ . In diesem Fall sagenwir, dass die Metrik d die Topologie τ induziert.

• Auf einem Teilraum X ′ ⊂ X eines topologischen Raumes (X, τ) konnen wir wie folgt eineTopologie τ ′ definieren: A′ ⊂ X ′ ist in τ ′, falls es ein A ∈ τ gibt, so dass A′ = A ∩ X ′.Diese Topologie nennt man die Teilraumtopologie.

• Auf einem Kreuzprodukt X × Y zweier topologischer Raume X und Y lasst sich ebenfallsin naturlicher Weise eine Topologie definieren. Wir nennen eine Menge W ⊂ X × Y offen,wenn es zu jedem Punkt (x, y) ∈ W Umgebungen U von x und V von y gibt, so dassU × V ⊂W gilt. Diese Topologie nennt man die Produkttopologie auf X × Y .

Die Konstruktion der Produkttopologie lasst sich per Induktion auf endliche Produkte er-weitern. Die Definition einer Topologie aus unendlichen Produkten ist hingegen aufwandiger.

Topologien sind die Grundlage der Begriffe der Konvergenz und der Stetigkeit.

Definition 2.1.3 (Konvergenz). Ein Folge (xn) in einem topologischen Raum X konvergiertgegen x ∈ X, falls es zu jeder Umgebung U von x ein n0 ∈ N gibt, so dass xn ∈ U fur n ≥ n0

gilt.

Definition 2.1.4 (Stetigkeit). Eine Abbildung f : X → Y zwischen zwei topologischen Raumenheißt stetig, falls fur jede offene Menge V ⊂ Y gilt, dass die Menge f−1(V ) offen ist.

Oft ist es nutzlich, folgende aquivalente Beschreibung zu benutzen:

Lemma 2.1.5. Eine Abbildung f : X → Y zwischen topologischen Raumen ist stetig, falls furjedes x ∈ X gilt: Ist V eine offene Umgebung von f(x) so existiert eine offene Umgebung U vonx mit f(U) ⊂ V .

Beweis. Sei V ⊂ Y offen. Zu jedem x ∈ f−1(V ) gibt es eine Umgebung Ux von x, so dassf(Ux) ⊂ V (falls f−1(V ) leer ist, ist nichts zu zeigen). Wir setzen U =

⋃x Ux. Dann ist U als

Vereinigung offener Mengen offen und offensichtlich ist f−1(V ) ⊂ U . Da aber f(Ux) ⊂ V ist, giltauch f−1(V ) ⊃ U und damit ist f−1(V ) = U offen.

Bemerkung 2.1.6 (Stetigkeit in einem Punkt). Im Zusammenhang mit Lemma 2.1.5 sprichtman auch von Stetigkeit in einem Punkt x falls es zu jeder offenen Umgebung V von f(x) eineoffene Umgebung U von x mit f(U) ⊂ V gibt.

Ohne Beweis geben wir die Beschreibungen von Konvergenz in metrischen und normiertenRaumen:

Lemma 2.1.7 (Konvergenz in metrischen und normierten Raumen). 1. Es sei (X, d) ein me-trischer Raum mit der entsprechenden Topologie. Dann konvergiert eine Folge (xn) gegenx, falls die Folge (d(xn, x)) von reellen Zahlen gegen Null konvergiert.

2. Ist (X, ‖ · ‖) ein normierter Raum mit der entsprechenden Topologie, so konvergiert eineFolge (xn) gegen x, falls die Folge ‖xn − x‖ gegen Null konvergiert.

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2.1. TOPOLOGISCHE VEKTORRAUME

Definition 2.1.8 (Basen und Umgebungsbasen von Topologien). Wir nennen eine Teilmengeτ ′ ⊂ τ einer Topologie eine Basis, falls jedes Element von τ (d.h. jede offene Menge) eineVereinigung von Elementen in τ ′ ist. Eine Menge γ von Umgebungen eines Punktes x ∈ X heißtUmgebungsbasis von x, falls jede Umgebung von x ein Element von γ enthalt.

Lemma 2.1.9. Es sei B ⊂ P(X) es System von Teilmengen mit folgenden Eigenschaften:

• Zu jedem x ∈ X gibt es ein U ∈ B so dass x ∈ U .

• Zu U1, U2 ∈ B und x ∈ U1 ∩ U2 gibt es U3 ∈ B mit U3 ⊂ U1 ∩ U2 und x ∈ U3.

Dann istτ =

⋃U∈B′

U | B′ ⊂ B

eine Topologie auf X, mit anderen Worten: B ist eine Basis der Topologie τ .

Beweis. Mit B′ = ∅ und B′ = B folgt ∅ ∈ τ bzw. X ∈ τ . Seien nun A,B ∈ τ , d.h.

A =⋃

U1∈B1

U1, B =⋃

U2∈B2

U2.

Dann istA ∩B =

( ⋃U1∈B1

U1

)∩( ⋃U2∈B2

U2

)=

⋃U1∈B1U2∈B2

(U1 ∩ U2).

Zu jedem nichtleeren U1 ∩ U2 finden wir also ein U3 ⊂ U1 ∩ U2. Die Vereinigung dieser liefertgerade wieder A ∩B was A ∩B ∈ τ zeigt.

Seien nun Ai ∈ τ , d.h. Ai =⋃Ui∈Bi Ui. Dann ist⋃i

Ai =⋃i

⋃Ui∈Bi

Ui =⋃

U∈⋃i Bi

U

was⋃iAi ∈ τ zeigt.

Zum Begriff der Topologie nehmen wir nun den Begriff des Vektorraumes dazu (der alsbekannt vorausgesetzt sei). Fur einen K-Vektorraum X, ein Element x ∈ X, Teilmengen A,B ∈X und Skalare λ ∈ K definieren wir

x+A = x+ a | a ∈ Ax−A = x− a | a ∈ AA+B = a+ b | a ∈ A, b ∈ B

λA = λa | a ∈ A.

Man beachte, dass diese Notationen nicht immer den gangigen Regeln folgen; so kann zumBeispiel 2A 6= A+A gelten.

Mit dieser Notation kann man zum Beispiel sagen, dass eine Teilmenge Y ⊂ X ein Untervek-torraum von X ist, falls 0 ∈ Y und fur alle α, β ∈ K gilt

αY + βY ⊂ Y. (2.1)

Definition 2.1.10 (Topologischer Vektorraum). Ein K-Vektorraum X heißt topologischer Vek-torraum, falls er mit einer Topologie ausgestattet ist, die folgendes erfullt:

• X ist ein Hausdorffraum.

• Die Addition ist als Abbildung X×X → X stetig, d.h. zu x1, x2 ∈ X und einer UmgebungV von x1 + x2 existieren Umgebungen V1 von x1 und V2 von x2, so dass V1 + V2 ⊂ V .

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2.1. TOPOLOGISCHE VEKTORRAUME

• Die skalare Multiplikation ist als Abbildung K×X → X stetig, d.h. zu x ∈ X und α ∈ Kund einer Umgebung V von αx existiert r > 0 und eine Umgebung W von x, so dass aus|β − α| ≤ r folgt βW ⊂ V .

Beispiel 2.1.11. Normierten Raume aus sind topologischen Vektorraume.

Zwei weitere wichtige Eigenschaften von Mengen in Vektorraumen sind Konvexitat und Ba-lanciertheit:

Definition 2.1.12 (Konvexitat und Balanciertheit). Eine Teilmenge A ⊂ X eines Vektorraumesheißt konvex, falls mit x, y ∈ A und t ∈ [0, 1] auch tx + (1 − t)y ∈ A gilt. Die Menge A heißtbalanciert (oder auch ausgewogen), falls mit x ∈ A und |r| ≤ 1 auch rx ∈ A gilt.

Mit anderen Worten: Konvexe Menge sind die, so dass fur je zwei Punkte aus der Menge auchdie Verbindungslinie in der Menge liegt. In einem reellen Vektorraum ist ein Menge balanciert,falls zu jedem Punkt x ∈ A die Strecke von −x zu x in der Menge liegt:

x1

x2

tx1 + (1− t)x2 0

x

−x

rx

In einem komplexen Vektorraum ist die Anschauung von balancierten Mengen nicht so einfach.Die balancierten Mengen im C-Vektorraum C sind die Mengen z ∈ C | |z| ≤ r.

Bemerkung 2.1.13. Wir konnen Konvexitat und Balanciertheit auch anders beschreiben: EineMenge C ist konvex, wenn fur t ∈ [0, 1] gilt

tC + (1− t)C ⊂ C.

Eine Menge B ist balanciert, falls fur |r| ≤ 1 folgt

rB ⊂ B.

Weiterhin kann man in topologischen Vektorraumen von beschrankten Mengen sprechen:

Definition 2.1.14 (Beschranktheit). Eine Teilmenge E eines topologischen Vektorraumes heißtbeschrankt, falls zu jeder Umgebung U des Ursprungs 0 eine Zahl s > 0 existiert, so dass E ⊂ tUfur t > s.

Zu a ∈ X und einem Skalar λ 6= 0 definieren den Verschiebungsoperator Ta : X → X undden Skalierungsoperator Sλ : X → X durch

Ta(x) = a+ x, Sλ(x) = λx.

Fundamental wichtig fur das Weitere ist folgende einfache Beobachtung.

Proposition 2.1.15. Die Operatoren Ta und Sλ sind Homoomorphismen auf X (d.h. sie sindstetig und stetig invertierbar).

Beweis. Dass Ta und Sλ den Raum X bijektiv in sich abbilden folgt direkt aus den Vektor-raumaxiomen, ihre Inversen sind T−a bzw. S1/λ. Die Stetigkeit der Vektorraumaddition undskalaren Multiplikation zeigt die Stetigkeit aller vier Operatoren.

Korollar 2.1.16. Die Topologie auf einem topologischen Vektorraum ist verschiebungsinvariant,d.h. eine Menge E ist offen, genau dann wenn alle ihre Verschiebungen a+ E offen sind.

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2.1. TOPOLOGISCHE VEKTORRAUME

Eine weitere angenehme Konsequenz dieser Proposition ist die Tatsache, dass τ durch jedebeliebige Umgebungsbasis, also zum Beispiel durch eine Umgebungsbasis in 0, bestimmt ist. ImFolgenden meinen wir daher mit “Umgebungsbasis” in einem topologischen Vektorraum immereine Umgebungsbasis in 0. Eine Umgebungsbasis ist also eine Menge B von Umgebungen desUrsprungs, so dass jede Umgebung des Ursprungs eine Element von B enthalt. Die offenenMengen in X sind dann die Mengen, welche Vereinigungen von Verschiebungen von Elementenvon B sind.

Eine Metrik nennen wir verschiebungsinvariant, wenn fur alle x, y, z gilt

d(x, y) = d(x+ z, y + z).

Topologische Vektorraume werden weiter differenziert:

Definition 2.1.17. Ein topologischer Vektorraum X mit Topologie τ heißt

1. lokal konvex, falls es eine Umgebungsbasis aus konvexen Mengen gibt.

2. lokal beschrankt, falls der Ursprung eine beschrankte Umgebung hat.

3. metrisierbar falls es eine Metrik gibt, welche die Topologie induziert.

4. Frechet-Raum, falls er lokal konvex, metrisierbar und vollstandig ist.

5. Banach-Raum, falls er normiert und vollstandig ist.

Beispiel 2.1.18. 1. Ein normierter Raum ist lokal konvex und lokal beschrankt, da die Men-gen Br(0) eine Umgebungsbasis aus konvexen Mengen bilden und jede davon beschrankt ist.Naturlich ist er auch metrisierbar. Also sind Banach-Raume insbesondere Frechet-Raume.

2. Es sei 0 < p < 1. Als Lp([0, 1]) definieren wir die Menge aller (Aquivalenzklassen von)Lebesgue-messbaren Funktionen f auf [0, 1], fur die

∆(f) =

∫ 1

0

|f(t)|p dt <∞.

Da 0 < p < 1 ist, folgt fur a, b > 0 die Ungleichung

(a+ b)p ≤ ap + bp.

Es folgt∆(f + g) ≤ ∆(f) + ∆(g)

und damit folgt auch, dassd(f, g) = ∆(f − g)

eine verschiebungsinvariante Metrik auf Lp([0, 1]) ist. Die Vollstandigkeit bezuglich dieserMetrik lasst sich analog zum Fall p ≥ 1 zeigen (in diesem Fall ist ∆1/p sogar eine Normist). Die Mengen

Br(0) = f | ∆(f) < r

bilden eine Umgebungsbasis der durch d induzierten Topologie. Wegen B1(0) = r−1/pBr(0)fur r > 0 ist B1(0) beschrankt. Zusammengefasst: Lp([0, 1]) ist ein lokal beschrankter,metrisierbarer und vollstandiger topologischer Vektorraum.

Allerdings enthalt Lp([0, 1]) keine konvexe und offene Menge außer ∅ und Lp([0, 1]) selbst:Nehmen wir an, V ware nicht leer, konvex und offen. Ohne Einschrankung nehmen wir0 ∈ V an (die Metrik ist verschiebungsinvariant). Da V offen ist, gibt es ein r > 0, so dassBr(0) ⊂ V . Sei nun f ∈ Lp([0, 1]). Da p < 1 ist, existiert n ∈ N so, dass np−1∆(f) < r.Nun konnen wir Punkte

0 = x0 < x1 < · · · < xn = 1

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2.1. TOPOLOGISCHE VEKTORRAUME

wahlen, so dass fur 1 ≤ k ≤ n gilt∫ xk

xk−1

|f(t)|p dt = n−1∆(f).

Definiere nun gk durch

gk(t) =

nf(t), xk−1 < t ≤ xk0, sonst.

Dann ist ∆(gk) = np−1∆(f) < r und daher gk ∈ V . Nun lasst sich aber f schreiben als

f =1

n(g1 + · · ·+ gn)

und da V als konvex vorausgesetzt wurde, folgt f ∈ V . Da f beliebig war, folgt V =Lp([0, 1]). Der Raum Lp([0, 1]) ist also fur 0 < p < 1 nicht lokal konvex.

Um den Begriff des topologischen Vektorraumes mehr mit Leben zu fullen, beweisen wir einenSatz uber weiteren Eigenschaften.

Satz 2.1.19. Es sei X ein topologischer Vektorraum. Dann gilt:

1. Fur A ⊂ X gilt: x ∈ A genau dann, wenn fur jede offene Umgebung U von x gilt U∩A 6= ∅.

2. Zu A ⊂ X istA =

⋂U Umg. von 0

(A+ U).

3. Sind A,B ⊂ X, so giltA+B ⊂ A+B.

4. Ist Y ein Unterraum von X, so auch Y .

5. Ist C ⊂ X konvex, so auch C und C.

6. Ist B ⊂ X balanciert, auch auch B; ist 0 ∈ B, so ist auch B balanciert.

7. Ist E ⊂ X beschrankt, so auch E.

Beweis. 1. Wir beweisen die Aquivalenz der Gegenteile. Sei dazu x /∈ A. Das heißt, es gibt eineoffene Menge E, so dass x ∈ E, aber A ⊂ E. Offensichtlich ist E eine offene Umgebungvon x mit E ∩A = ∅.Nehmen wir umgekehrt an, dass es zu x eine offene Umgebung U gibt, so dass U ∩ A = ∅gilt. Dann ist U eine abgeschlossene Menge, die A enthalt aber nicht x. Es folgt X /∈ A.

2. Ein Punkt x ist in A genau dann, wenn (x + U) ∩ A 6= ∅ fur jede Nullumgebung U gilt.Dies ist genau dann der Fall, wenn x ∈ A+ (−U). Da −U genau dann eine Nullumgebungist, wenn U es ist, ist die Aussage bewiesen.

3. Es seien a ∈ A, b ∈ B und W eine Umgebung von a + b. Dann gibt es Umgebungen W1

und W2 von a bzw. b, so dass W1 + W2 ⊂ W gilt. Weiterhin existieren x ∈ A ∩W1 undy ∈ B ∩W2. Damit ist x+ y ∈ (A+B) ∩W , das heißt, der Schnitt von A+B und W istnicht leer. Dies zeigt a+ b ∈ A+B.

4. Wir nutzen die Charakterisierung (2.1) eines Unterraumes. D.h. zu zwei Skalaren α, β ∈ Kist zu zeigen, dass αY +βY ⊂ Y . Zuerst bemerken wir αY = αY (vgl. Proposition 2.1.15).Mit 2. folgt

αY + βY = αY + βY ⊂ αY + βY ⊂ Yund damit die Behauptung.

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2.2. HALBNORMEN UND LOKAL KONVEXE RAUME

5. Die Konvexitat des Abschlusses zeigt man Aufgrund von Bemerkung 2.1.13 analog zu 3.Da C ⊂ C gilt und C konvex ist, folgt fur t ∈ [0, 1]

tC + (1− t)C ⊂ C.

Die linke Seite ist als Summe zweier offener Mengen offen. Da jede offene Teilmenge von Cauch Teilmenge von C ist, folgt tC + (1− t)C ⊂ C und damit die Behauptung.

6. Die Balanciertheit des Abschlusses folgt (wieder Aufgrund von Bemerkung 2.1.13) analogzu 3. Sei 0 < |α| ≤ 1. Da die Skalierungsabbildung Sα ein Homoomorphismus ist, istαB = (αB)

. Da B balanciert ist, folgt αB ⊂ αB ⊂ B. Da αB offen ist, folgt (analog

zu 4.) αB ⊂ B. Ist 0 ∈ B gilt dies auch fur α = 0.

7. Es sei V eine Nullumgebung. Dann existiert eine weitere Nullumgebung U , so dass U ⊂ V .Da E beschrankt ist, gilt E ⊂ tU fur t groß genug. Fur diese t gilt E ⊂ tU ⊂ tV .

2.2 Halbnormen und lokal konvexe Raume

Definition 2.2.1. Eine Halbnorm auf einem Vektorraum X ist eine Abbildung p : X → R, sodass fur alle x, y ∈ X und α ∈ K gilt

Dreiecksungleichung: p(x+ y) ≤ p(x) + p(y)

Absolute Homogenitat: p(αx) = |α| p(x)

Fur den Begriff der Halbnorm geben wir ein paar grundlegende Eigenschaften:

Satz 2.2.2. Es sei p eine Halbnorm auf einem Vektorraum X. Dann gilt

1. p(0) = 0.

2. |p(x)− p(y)| ≤ p(x− y).

3. p(x) ≥ 0.

4. Die Menge Y = x | p(x) = 0 ist ein Unterraum von X.

5. Die Menge B = x | p(x) < 1 ist konvex und balanciert.

Beweis. 1. Fur α = 0 folgt p(0) = p(αx) = αp(x) = 0.

2. Es gilt p(x) = p(x−y+y) ≤ p(x−y) +p(y) und daher p(x)−p(y) ≤ p(x−y). Vertauschenvon x und y zeigt die Behauptung.

3. Setzen wir y = 0 in 2., so folgt |p(x)| ≤ p(x) und also p(x) ≥ 0.

4. Gilt p(x) = p(y) = 0, so folgt fur alle α, β ∈ K:

0 ≤ p(αx+ βy) ≤ |α| p(x) + |β| p(y) = 0,

also αx+ βy ∈ Y .

5. Fur x ∈ B und |r| ≤ 1 gilt p(rx) = |r| p(x) < 1 woraus die Balanciertheit folgt. Sind xund y aus B und t ∈ [0, 1], so folgt p(tx + (1 − t)y) ≤ tp(x) + (1 − t)p(y) < 1, woraus dieKonvexitat folgt.

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2.2. HALBNORMEN UND LOKAL KONVEXE RAUME

Durch Familien von Halbnormen konnen wir auf einem Vektorraum eine lokal konvexe Topo-logie definieren. Dazu benotigen wir noch folgenden Begriff:

Definition 2.2.3. Eine Familie P von Halbnormen heißt separierend, falls es zu jedem x 6= 0ein p ∈ P gibt, so dass p(x) 6= 0.

Satz 2.2.4. Es sei P eine separierende Familie von Halbnormen auf einem Vektorraum X. Zup ∈ P und n ∈ N definieren wir die Mengen

V (p, n) = x | p(x) < 1/n.

Mit B bezeichnen wir die Menge aller endlichen Schnitte der Mengen V (p, n). Dann gilt:

1. B ist eine konvexe Umgebungsbasis einer Topologie τ mit der X zum lokal konvexen Raumwird.

2. Jedes p ∈ P ist stetig.

3. Eine Menge E ⊂ X ist beschrankt, genau dann wenn jedes p ∈ P auf E beschrankt ist.

Beweis. 1. Wir definieren die Topologie τ als die Mengen, die als Vereinigungen von Verschie-bungen von Elementen in B entstehen. Die ist eine verschiebungsinvariante Topologie aufX und jedes Element in B ist konvex.

Zu x 6= 0 existiert p ∈ P mit p(x) > 0. Wir nehmen n so groß, dass n2 p(x) > 1 ist.

Dann sind die Mengen V (p, n) und x + V (p, n) disjunkte Umgebungen von 0 bzw. x:Nimm an, dass y beiden Mengen lage. Dann ware einerseits p(y) < 1/n und andererseits1/n > p(x− y) ≥ |p(x)− p(y)| was ein Widerspruch zu p(x) > 2/n ist. Dies zeigt, dass Xein Hausdorffraum ist.

Wir zeigen nun, dass Addition und skalare Multiplikation stetig sind: Sei dazu U eineNullumgebung. Dann gibt es p1, . . . , pm ∈ P und n1, . . . , nm ∈ N, so dass

U ⊃ V (p1, n1) ∩ · · · ∩ V (pm, nm).

SetzeV = V (p1, 2n1) ∩ · · · ∩ V (pm, 2nm).

Da jedes p ∈ P subadditiv ist, folgt V + V ⊂ U , was die Stetigkeit der Addition zeigt.

Zur Stetigkeit der Multiplikation seien α ∈ K, x ∈ X und U wie oben. Dann ist αx + Ueine Umgebung von αx. Es ist zu zeigen, dass eine Nullumgebung W so existiert, dassβ(x+W ) ⊂ αx+ U bzw. (β − α)x+ βW ⊂ V (p1, n1) ∩ · · · ∩ V (pm, nm) gilt, falls |β − α|klein genug ist. Wir setzen

W = V (p1, N1) ∩ · · · ∩ V (pm, Nm).

Dann gilt fur y ∈W :

pk((β − α)x+ βy) ≤ |β − α| pk(x) + |β| pk(y) ≤ |β − α| pk(x) +|β|Nk

.

Fur geeignet gewahltes Nk und |α− β| klein genug ist die rechte Seite kleiner als 1/nk unddie Behauptung folgt.

2. Die Stetigkeit von p in 0 folgt direkt aus der Definition der Mengen V (p, n): Eine UmgebungV von p(0) = 0 enthalt eine Menge der FormW =]−1/n, 1/n[ und fur diese gilt p(V (p, n)) ⊂W .

Die Stetigkeit von p in einem Punkt x folgt aus der Dreiecksungleichung und der Unglei-chung |p(x)− p(y)| ≤ p(x− y).

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2.2. HALBNORMEN UND LOKAL KONVEXE RAUME

3. Es sei E beschrankt und p ∈ P. Da V (p, 1) eine Nullumgebung ist, gibt es ein K, so dassE ⊂ kV (p, 1). Also ist p(x) < k fur jedes x ∈ E was die Beschranktheit von p auf E zeigt.

Andersherum sei jedes p auf einer Menge E beschrankt. Fur eine Nullumgebung U giltdann wie schon in Punkt 1:

U ⊃ V (p1, n1) ∩ · · · ∩ V (pm, nm).

Zu diesen pk existieren Mk, so dass pk(x) ≤Mk fur x ∈ E und k = 1, . . .m. Fur n > Mknkfolgt E ⊂ nU und damit die Beschranktheit von E.

Die Konvergenz in lokal konvexen Vektorraumen wie in Satz 2.2.4 lasst sich ubersichtlichmit Hilfe der Halbnormen beschreiben. Da die Raume (insbesondere die Topologien) verschie-bungsinvariant sind, mussen wir nur Konvergenz gegen Null beschreiben (Konvergenz gegen einElement x bedeutet Konvergenz von xk − x gegen Null).

Proposition 2.2.5 (Konvergenz in lokal konvexen Raumen). Es sei X ein lokal konvexer Vek-torraum mit einer Topologie die wie in Satz 2.2.4 aus Halbnormen generiert ist. Dann konvergierteine Folge (xk) in X gegen 0, genau dann, wenn fur jede Halbnorm p ∈ P gilt p(xk)→ 0.

Beweis. Es gelte xk → 0 in X. Das heißt fur jede Nullumgebung U liegen alle “hinteren” Fol-genglieder in U . Fur die Nullumgebung V (p, n) folgt, dass fur k groß genug xk ∈ V (p, n) gilt,also p(xk) ≤ 1/n. Wir sehen p(xk)→ 0.

Andersherum gelte p(xk) → 0 fur jedes p. Dann liegen die xk fur k groß genug in jedemV (p, n) und insbesonderen in jedem endlichen Schnitt dieser Mengen.

Beispiel 2.2.6 (Rd als lokal konvexer Raum). Auf dem R-Vektorraum Rd definieren wir fol-gende Halbnormen

pm(x) = |xm| , m = 1, . . . , d.

Die Mengen V (pm, n) sind “Zylinder”, die Menge B, also die endlichen Schnitte, sind um denUrsprung symmetrische “Rechtecke”:

1/n−1/n

V (p1, n)

x1

x2

1/m

−1/m

V (p2,m)

x1

x2

V (p1, n) ∩ V (p2,m)

x1

x2

Konvergenz einer Folge (xk) gegen x bedeutet Konvergenz der Komponenten, da nach Propositi-on 2.2.5 jedes pm(xk−x) gegen Null konvergieren muss. Die Topologie, die von den Halbnormenpm generiert wird ist also die Euklidische Topologie die von jeder beliebigen Norm auf dem Rd

generiert wird.

Proposition 2.2.7 (Eine Metrik aus separierenden Halbnormen). Es sei P = pi | i ∈ Neine abzahlbare separierende Familie von Halbnormen auf X. Dann wird die Topologie τ ausSatz 2.2.4 die Metrik

d(x, y) =

∞∑i=1

2−ipi(x− y)

1 + pi(x− y)

metrisiert.

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2.3. DIE RAUME C∞(Ω) UND DK

Beweis. Dass d eine Metrik liefert, lasst sich gut als Ubungsaufgabe nachweisen. Um zu zeigen,dass d die gleiche Topologie wie die in Satz 2.2.4 liefert, zeigen wir, dass die Balle Br(0) =x | d(x, 0) < r eine Nullumgebungsbasis von τ liefert.

Da die pi stetig sind und die Reihe in der Definition von d gleichmaßig auf X×X konvergiert,ist d stetig. Also sind die Mengen Br(x) offen. Sei nun W eine Nullumgebung (bzgl. τ). Dannenthalt W den Schnitt von geeignet gewahlten Mengen V (pi, n1) = x | pi(x) ≤ 1/ni, i =1, . . . , k. Ist x ∈ Br(0), so ist

2−ipi(x)

1 + pi(x)< r.

Ist r klein genug, so sind die Werte pi(x), i = 1, . . . , k, so klein, dass Br(0) in jedem V (pi, ni),i = 1, . . . , k liegt, also Br(0) ⊂W .

2.3 Die Raume C∞(Ω) und DKWir definieren noch einmal die Multiindex-Schreibweise: Ein Multiindex ist ein d-Tupel

α = (α1, . . . , αd) ∈ Nd.

Zu einem Multiindex α und einem Vektor x ∈ Rd definieren wir

xα = xα11 · · ·x

αdd .

Weiterhin definieren wir den Differentialoperator

Dα =( ∂

∂x1

)α1 · · ·( ∂

∂xd

)αdder Ordnung

|α| = α1 + · · ·+ αd.

Fur |α| = 0 setzen wir Dα = id.

Definition 2.3.1 (Die Raume C(Ω), Ck(Ω) und C∞(Ω)). Zu Ω ⊂ Rd offen definieren wir

C(Ω) = f : Ω→ C | f stetigCk(Ω) = f : Ω→ C | Dαf ∈ C(Ω) fur alle Multiindizes |α| ≤ kC∞(Ω) = f : Ω→ C | Dαf ∈ C(Ω) fur alle Multiindizes α.

Der Trager eine Funktion f ist

supp f = x | f(x) 6= 0.

Definition 2.3.2 (Die Raume DK). Zu einer kompakten Menge K ⊂ Rd definieren wir

DK = f ∈ C∞(Rd) | supp f ⊂ K.

Ist K ⊂ Ω, so kann DK mit einem Unterraum von C∞(Ω) identifiziert werden. Im Folgendenwerden wir eine Topologie auf C∞(Ω) definieren, die insbesondere DK zu einem abgeschlossenemTeilraum macht.

Definition 2.3.3 (Die Halbnormen pN ). Es seien Ki (i ∈ N) kompakte Teilmengen von Ω mitden Eigenschaften

Ki ⊂ (Ki+1), Ω =

⋃Ki.

Wir definieren auf C∞(Ω) die Halbnormen

pN (f) = max|Dαf(x)| | x ∈ KN , |α| ≤ N.

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2.3. DIE RAUME C∞(Ω) UND DK

Da die pN offensichtlich separierend sind, ist durch Satz 2.2.4, bzw. Proposition 2.2.7 einemetrisierbare lokal konvexe Topologie auf C∞(Ω) definiert. Was bedeutet nun die Konvergenz indieser Topologie?

Satz 2.3.4 (Konvergenz in C∞(Ω)). Der Raum C∞(Ω) ist vollstandig und eine Folge (fn) kon-vergiert in C∞(Ω) gegen f , falls (fn) und alle Ableitungen (Dαfn) auf jeder kompakten TeilmengeK ⊂ Ω gleichmaßig gegen f bzw. Dαf konvergieren. Insbesondere ist die Topologie auf C∞(Ω)unabhangig von der Wahl der Mengen Ki.

Beweis. Es sei (fn) eine Cauchy-Folge, d.h. zu jedem N und ε > 0 gilt pN (fn− fm) < ε fur n,mgroß genug. Sei nun K ⊂ Ω kompakt. Dann wird K von den offenen Mengen (Ki)

uberdeckt

und auf Grund der Kompaktheit reichen endlich viele davon. Wir sehen, dass K in einer MengenKN enthalten ist. Sei nun ε > 0. Dann gilt fur n,m groß genug

max|Dαfn(x)−Dαfm(x)| | x ∈ KN , |α| ≤ N ≤ ε.

Es folgt, dass jedes Dαfn gleichmaßig auf K gegen eine Funktion gα konvergiert. Insbesonderegilt fn(x)→ g0(x) und g0 ∈ C∞(Ω) und gα = Dαg0 (siehe z.B. Analysis I, Otto Forster, Kapitel21).

Die Abbildungen f 7→ f(x) sind fur jedes x ∈ Ω stetig bezuglich dieser Topologie. Da sich DKals Schnitt von allen Kernen dieser Abbildungen mit x /∈ K schreiben lasst, ist DK abgeschlossen.

Bemerkung 2.3.5 (Wahl der Mengen Ki). Der Raum DK tragt die Teilraumtopologie vonC∞(Ω). Inbesondere hangt die Topologie ebenfalls nicht von der Wahl der Mengen Ki ab. Dieswerden wir im Folgenden haufig ausnutzen wenn es um die Halbnormen pN geht. Eigentlichhangt der Wert dieser Helbnormen von den Mengen KN ab. Da die genaue Wahl der Mengenkeine Rolle spielt werden wir also oft stillschweigend die Mengen KN geeignet wahlen.

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Kapitel 3

Testfunktionen undDistributionen

Distributionen wurden entwickelt um die oft storende Tatsache, dass es nicht-differenzierbareFunktionen gibt, zu entscharfen. Die Vorgehensweise ist typische mathematisch: Der Begriff derFunktion wird verallgemeinert, so dass er den ursprunglichen Funktionsbegriff umfasst und den-noch die ublichen Regeln der Analysis genugt. Die verallgemeinerten Funktionen werden Distri-butionen genannt.

Einige Bedingungen, die verallgemeinerte Funktionen in einer offenen Teilmenge von Rd

erfullen sollten sind:

• Jeder stetigen Funktion entspricht eine Distribution.

• Jede Distribution hat partielle Ableitungen die wieder Distributionen sind (insbesonderesollen Distributionen unendlich oft differenzierbar sein). Fur differenzierbare Funktionensoll der neue Ableitungsbegriff mit dem alten ubereinstimmen.

• Die ublichen Ableitungsregeln sollen weiterhin gelten.

• Es sollen geeignete Grenzwertsatze gelten, die das Umgehen mit Folgen von Distributionenermoglichen.

3.1 Einleitung

Zu Motivation der folgenden Begriffe betrachten wir zunachst den eindimensionalen Fall. Wirnennen eine Funktion f : R → C lokal integrierbar, falls f messbar ist und fur jede kompakteMenge K ⊂ R das Integral

∫K|f |dx endlich ist; wir schreiben hierfur auch f ∈ L1

loc(R). Die Ideefur einen verallgemeinerten Funktionsbegriff ist, die Funktion f als ein Objekt zu interpretieren,welches jeder geeigneten “Testfunktion” φ den Wert

∫fφdx zuordnet. Man bemerke den Unter-

schied zur ursprunglichen Interpretation: Eine Funktion f ordnet jeder Zahl x ∈ R den Wertf(x) zu. Die neue Interpretation fußt auf der physikalischen Anschauung, dass gemessene Werteim Wesentlichen immer Mittelwerte sind. Wird zum Beispiel die Geschwindigkeit eines Objektesgemessen, so misst man die mittlere Geschwindigkeit in einem kurzen Zeitintervall.

Fur das Weitere muss eine geeignete Menge von Testfunktionen φ definiert werden. Wirdefinieren

D(R) = C∞0 (R)

also als den Raum der unendlich oft differenzierbaren Funktionen mit kompaktem Trager. Dannist das Integral

∫fφdx fur lokal integrierbares f und jedes φ ∈ D(R) erklart. Daruberhinaus

gilt:

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3.2. DER RAUM DER TESTFUNKTIONEN

Satz 3.1.1 (Fundamentallemma der Variationsrechnung). Es sei Ω ⊂ Rd offen und f ∈ L1loc(Ω).

Dann gilt: f = 0 fast uberall, genau dann, wenn fur jedes φ ∈ D(Ω) gilt∫Ω

fφdx = 0.

(Fur den Beweis verweisen wir auf Lemma 2.21 aus “Lineare Funktionalanalysis” von H.W.Alt.) Das Fundamentallemma besagt, dass der Raum D(R) groß genug ist, um zu garantieren,dass f (fast uberall) durch die Integrale

∫fφdx erklart ist.

Ist f stetig differenzierbar, so gilt nach der Regel der partiellen Integration (beachte: φ hatkompakten Trager): ∫

f ′φdx = −∫fφ′dx

und fur f ∈ C∞(R) gilt auch fur jedes k ∈ N∫f (k)φdx = (−1)k

∫fφ(k)dx.

Wir bemerken, dass die Integrale auf der jeweils rechten Seite auch fur nicht-differenzierbareFunktionen sinnvoll sind und dass sie lineare Funktionale auf D(R) sind.

Wir nehmen daher skrupellos dies als Definition fur die “k-te Ableitung” einer lokal integrierbarenFunktion, namlich: f (k) ist das lineare Funktional auf D(R) welches φ den Wert (−1)k

∫fφ(k)dx

zuweist. (Die Funktion f selbst hatten wir als φ 7→∫fφdx aufgefasst.)

Wir werden Distributionen als die linearen Funktionale auf D(R) auffassen, welche stetigbezuglich einer geeigneten Topologie sind. Die vorhergehenden Beobachtungen vermitteln, dasswir zu einer Distribution T die Ableitung T ′ durch die Formel

T ′(φ) = −T (φ′)

definieren. Wir haben also T ′ punktweise, dass heißt fur jedes mogliche Argument, definiert.Es wird sich herausstellen, dass dieser Zugang (auf den Rd erweitert) all die geforderten

Eigenschaften hat.

3.2 Der Raum der Testfunktionen

Wir betrachten nun eine nicht-leere, offene Teilmenge Ω ⊂ Rd. Zu einer kompakten MengeK ⊂ Ω haben wir den Frechet-Raum DK in Definition 2.3.2 definiert. Damit definieren wir:

Definition 3.2.1 (Der Raum D(Ω)). Der Raum D(Ω) der Testfunktionen ist definiert durch

D(Ω) =⋃

K⊂Ω kpt.

DK .

Auf D(Ω) definieren wir die Normen

‖φ‖N = max|Dαφ(x)| | x ∈ Ω, |α| ≤ N

Explizit konnen wir sagen, dass eine Funktion φ genau dann in D(Ω) liegt, wenn φ ∈ C∞(Ω)ist und der Trager von φ kompakt in Ω ist.

Proposition 3.2.2. Fur festes K induziert die Einschrankung der Normen ‖ · ‖N auf DK diegleiche Topologie auf DK wie die Halbnormen pN aus Definition 2.3.3.

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3.2. DER RAUM DER TESTFUNKTIONEN

Beweis. Zu einemK gibt es einN0, so dassK ⊂ KN furN ≥ N0. Fur dieseN gilt ‖φ‖N = pN (φ),falls φ ∈ DK . Wegen

‖φ‖N ≤ ‖φ‖N+1 , und pN (φ) ≤ pN+1(φ)

andern sich die assoziierten Topologien nicht, wennN erst beiN0 startet. Also sind die Topologiengleich.

Unser Ziel ist es, den Raum D(Ω) mit einer Topologie auszustatten. Hierfur gibt es mehrereMoglichkeiten. Eine davon ist nicht geeignet, wie folgende Bemerkung illustrieren soll:

Bemerkung 3.2.3. Da die Normen ‖ · ‖N auf D(Ω) separierend sind, bieten sie die Moglichkeit,wie in Satz 2.2.4 eine lokal konvexe Topologie auf D(Ω) zu erzeugen. Diese ware, da es sich umabzahlbar viele Normen handelt, sogar metrisierbar (siehe Proposition 2.2.7). Ein gravierenderNachteil ist jedoch, dass der Raum dadurch nicht vollstandig wird. Dies sehen wir wie folgt:

Es sei d = 1 und Ω = R. Wir wahlen φ ∈ D(R) mit suppφ ⊂ [0, 1] und φ > 0 in ]0, 1[. Danndefinieren wir

ψm(x) = φ(x− 1) +1

22φ(x− 2) + · · ·+ 1

m2φ(x−m).

Die Folge (ψm) ist eine Cauchy-Folge in dieser Topologie (d.h. fur jede Nullumgebung W giltψn −ψm ∈W fur n,m groß genug, anders ausgedruckt: ‖ψn − ψm‖N wird fur n,m→∞ klein).Da limψm aber keinen kompakten Trager hat, ist ihr Grenzwert nicht in D(R).

Die Topologie unserer Wahl muss also anders gebildet werden. Wir definieren nun die Topo-logie τ auf D(Ω) mit der wir im Folgenden arbeiten werden. Diese macht den Raum vollstandig;wir mussen allerdings auf Metrisierbarkeit verzichten.

Definition 3.2.4. Es sei Ω ⊂ Rd nicht-leer und offen. Zu kompaktemK ⊂ Ω sei τK die Topologieaus Proposition 3.2.2. Weiterhin sei β die Menge aller konvexen und balancierten TeilmengenW ⊂ D(Ω) (siehe Definition 2.1.12), so dass fur jedes kompakte K ⊂ Ω gilt DK ∩W ∈ τK .

Die Topologie τ auf D(Ω) ist dann Menge aller Vereinigungen von Mengen der Form φ+Wmit φ ∈ D(Ω) und W ∈ β.

Es bleibt naturlich zu zeigen, dass τ tatsachlich eine Topologie ist:

Satz 3.2.5. (a) τ ist eine Topologie auf D(Ω) und β ist eine Nullumgebungsbasis von τ .

(b) D(Ω) versehen mit τ bildet einen lokal konvexen Vektorraum.

Beweis. Zu (a): Es seien V1, V2 ∈ τ und φ ∈ V1 ∩ V2. Fur (a) reicht es zu zeigen, dass furein W ∈ β gilt φ + W ⊂ V1 ∩ V2. Nach Definition von τ gibt es φi ∈ D(Ω) und Wi ∈ β, sodass φ ∈ φi + Wi ⊂ Vi (i = 1, 2) gilt. Wir wahlen nun K kompakt so, dass suppφi ⊂ K undsuppφ ⊂ K, also φ, φi ∈ DK (i = 1, 2). Nach Definition gilt φ− φi ∈Wi und da DK ∩Wi in DKoffen ist, gibt es δi > 0, so dass

φ− φi ∈ (1− δi)Wi.

Da die Mengen Wi konvex sind, folgt

φ− φi + δiWi ⊂ (1− δi)Wi + δiWi ⊂Wi.

Also giltφ+ δiWi ⊂ φi +Wi ⊂ Vi.

Mit W = (δ1W1) ∩ (δ2W2) folgt φ+W ⊂ V1 ∩ V2 und damit (a).Zu (b): Dass D(Ω) ein Vektorraum ist, ist klar. Die Menge β aus 3.2.4 besteht per Definition

aus konvexen Mengen. Es bleibt also zu zeigen, dass D(Ω) ein Hausdorffraum ist und dassAddition und skalare Multiplikation stetig sind (vgl. Definition 2.1.17).

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3.2. DER RAUM DER TESTFUNKTIONEN

Sei φ1 6= φ2 mit φ1 ∈ D(Ω). Mit ‖ · ‖0 auf Definition 3.2.1 definieren wir die Menge

W = φ ∈ D(Ω) | ‖φ‖0 < ‖φ1 − φ2‖0 /2.

Dann sind die offenen Mengen φ1+W und φ2+W disjunkt, und also ist D(Ω) ein Hausdorffraum.Auf Grund der Konvexitat der Mengen W ∈ β folgt fur φ1, φ2 ∈ D(Ω)

(φ1 + 12W ) + (φ2 + 1

2W ) = (φ1 + φ2) +W.

Dies zeigt Stetigkeit der Addition.Um die Stetigkeit der skalaren Multiplikation zu zeigen, sei α0 ∈ K und φ0 ∈ D(Ω). Dann

giltαφ− α0φ0 = α(φ− φ0) + (α− α0)φ0.

Zu W ∈ β gibt zu δ > 0, so dass δφ0 ∈ 12W . Wir wahlen c, so dass 2c(|α0|+ δ) = 1 und erhalten

fur |α− α0| < δ und φ− φ0 ∈ cW aus der Konvexitat und Balanciertheit von W , dass gilt

αφ− α0φ0 ∈W.

Die zeigt die Stetigkeit der skalaren Multiplikation.

Satz 3.2.6. Ist K ⊂ Ω kompakt, so stimmt die Topologie τK von DK mit der Teilraumtopologieuberein, die DK als Teilmenge von D(Ω) hat.

Beweis. Zuerst sei V ∈ τ und φ ∈ DK∩V . Nach Satz 3.2.5 (a) gibt es W ∈ β, so dass φ+W ⊂ V .Es folgt φ+ (DK ∩W ) ⊂ DK ∩ V . Fur V ∈ τ und K ⊂ Ω kompakt folgt also

DK ∩ V ∈ τK .

Es bleibt zu zeigen, dass sich jedes E ∈ τK als DK ∩ V mit einem V ∈ τ schreiben lasst. Seidazu φ ∈ τ . Nach der Definition von τK (Proposition 3.2.2) gibt es zu jedem φ ∈ E ein N undein δ > 0, so dass

ψ ∈ DK | ‖ψ − φ‖N < δ ⊂ E.Wir setzen

Wφ = ψ ∈ D(Ω) | ‖ψ‖N < δ.Dann ist Wφ ∈ β und

DK ∩ (φ+Wφ) = φ+ (Wφ ∩ DK).

Die Menge V =⋃φ∈E φ+Wφ leistet das geforderte.

Satz 3.2.7 (Konvergenz in D(Ω)). Die folgende Aussagen sind aquivalent:

(a) fn → 0 in D(Ω).

(b) Es gibt eine kompakte Menge K ⊂ Ω, so dass supp fn ⊂ K gilt und fur alle α gilt Dαfn → 0gleichmaßig in K.

Beweis. (a) =⇒ (b): Eine Folge (fn) sei eine Nullfolge in D(Ω), d.h. zu jeder NullumgebungW existiert ein n0, so dass fur n > n0 gilt fn ∈W . Wir nehmen nun an, es existiere keinekompakte Menge K ⊂ Ω, so das supp fn ⊂ K gilt. Das heißt, es gabe eine Folge (xm) inΩ ohne Grenzwert in Ω mit fm(xm) 6= 0 und der Eigenschaft, dass in jedem kompakten Knur endlich viele Folgenglieder liegen. Wir definieren

W = f ∈ D(Ω) | |f(xm)| < |fm(xm)| fur alle m.

Da nur endlich viele xm in jedem kompakten K liegen, folgte DK ∩ W ∈ τ und damitW ∈ β, d.h. W ware eine Nullumgebung. Nach der Definition vom W folgte aber fn /∈W ;ein Widerspruch. Also gibt es eine kompakte Menge K ⊂ Ω mit supp fn ⊂ K.

Es ist die Folge (fn) ein Folge in DK und nach Satz 3.2.6 dort auch eine Nullfolge. NachProposition 3.2.2 bedeutet dies, ‖fn‖N → 0 was gleichmaßige Konvergenz aller Ableitungengegen 0 bedeutet.

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3.3. DISTRIBUTIONEN

(b) =⇒ (a): Eine Folge (fn) erfulle (b) und U sei eine Nullumgebung in D(Ω). Dann enthaltU eine Menge W ∈ β wie in Definition 3.2.4. Nach Definition 3.2.4 gilt dann W ∩DK ∈ τK .Da alle Dαfn gleichmaßig gegen Null konvergieren und insbesondere fn ∈ DK gilt, folgt‖fn‖N → 0 und insbesondere fn ∈W fur n groß genug. Dies zeigt fn → 0 in D(Ω).

3.3 Distributionen

Nun sind wir fast soweit, dass wir Distributionen definieren konnen. Mit Blick auf die Motivationin Abschnitt 3.1 werden wir Distributionen als lineare und stetige Abbildungen D(Ω) → Cdefinieren.

Definition 3.3.1 (Distribution). Mit D(Ω)′ bezeichnen wir die Menge aller stetigen und linearenAbbildungen von D(Ω) nach C. Wir nennen die Elemente in D(Ω)′ Distributionen.

Das nachste Lemma beschreibt die Stetigkeit konkreter:

Lemma 3.3.2. Eine lineare Abbildung T : D(Ω) → C ist stetig, genau dann, wenn zu jederkompakten Menge K ⊂ Ω ein N ∈ N und ein C > 0 existiert, so dass fur jedes φ ∈ DK gilt

|Tφ| ≤ C ‖φ‖N . (3.1)

Beweis. Es sei T stetig. Dann ist sind auch die Einschrankungen von T auf die Raume DKstetig (siehe Satz 3.2.6). Da auch im Fall von metrisierbaren topologischen Vektorraumen (wieden DK) Stetigkeit und Beschranktheit aquivalent sind (Ubungsaufgabe), folgt die behaupteteUngleichung.

Es gelte umgekehrt |Tφ| ≤ C ‖φ‖N fur alle φ ∈ DK . Das heißt insbesondere, dass die Ein-schrankungen von T auf die Raume DK stetig sind. Wir zeigen nun, dass daraus die Stetigkeitvon T folgt.

Es dazu U ⊂ C eine Umgebung der Null. Wir betrachten V = T−1(U). Offensichtlich ist Vkonvex und balanciert. Es bleibt zu zeigen, dass V offen ist. Da T auf jedes DK eingeschranktstetig ist, folgt, dass V ∩DK offen ist (in DK). Nach Definition zeigt dies V ∈ β oder in Worten:V ist eine Nullumgebung in D(Ω).

Definition 3.3.3. Unter der Ordnung einer Distribution T ∈ D(Ω)′ verstehen wir die kleinsteZahl N ∈ N, so dass (3.1) mit diesem N fur alle Mengen K gilt (wobei C weiterhin von Kabhangen darf). Gibt es ein solches N nicht, so hat T unendliche Ordnung.

Beispiel 3.3.4 (δ-Distribution). Zu jedem x ∈ Ω definieren wir ein δx ∈ D(Ω)′ durch

δx(φ) = φ(x).

Da hier (3.1) mit C = 1 fur N = 0 gilt, haben diese Distributionen ebenfalls die Ordnung 0. Wirnennen sie die δ-Distribution im Punkt x oder auch Dirac-Distribution im Punkt x (manchmalauch Diracsche δ-Distribution).

Beispiel 3.3.5 (Regulare Distributionen). Zu jedem f ∈ L1loc(Ω) definieren wir Tf durch

Tf (φ) =

∫Ω

f(x)φ(x)dx.

Wegen

|Tf (φ)| ≤∫

Ω

|f(x)| |φ(x)|dx

≤∫

suppφ

|f(x)|dx ‖φ‖0

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3.3. DISTRIBUTIONEN

gilt (3.1) mit C =∫K|f(x)|dx und N = 0. Wir nennen Tf die von f induzierte Distribution.

Wegen der vorangehenden Rechnung haben diese Distributionen die Ordnung 0.Ist eine Distribution T ∈ D(Ω)′ von der Form T = Tf mit einem f ∈ L1

loc(Ω), so nennen wirT eine regulare Distribution.

Alle lokal integrierbaren Funktionen f “sind” in diesem Sinne auch Distributionen. Im Fol-genden werden wir daher oft nicht zwischen Funktion und induzierter Distribution unterscheidenund zum Beispiel auch von einer “Distribution f ∈ L1

loc(Ω)” sprechen. Ebenso werden wir Tfmit f identifizieren und sagen, dass regulare Distributionen auch Funktionen “sind”.

Beispiel 3.3.6. Alle stetigen Funktionen sind selbstverstandlich lokal integrierbar und daherin obigem Sinn Distributionen. Ist eine Funktion stuckweise stetig und in einer Umgebung derUnstetigkeiten beschrankt, so ist sie immer noch lokal integrierbar. Ist Ω = R, so ist auchf(x) = log |x| trotz Pol im Nullpunkt lokal integrierbar. Am Rand des Definitionsbereichendurfen die Funktionen ebenfalls unbeschrankt sein: Ist Ω =]0,∞[, so ist die Funktion f(x) = xp

fur alle p ∈ R lokal integrierbar.

Beispiel 3.3.7 (Maße als Distributionen). Analog zum vorigen Beispiel konnen wir auch jedeskomplexwertige Borelmaß µ auf Ω wie folgt als Distribution auffassen:

Tµ(φ) =

∫φ(x)dµ(x).

Auch hier werden wir Tµ und µ identifizieren.

Die Konstruktion von Distributionen als stetige lineare Funktionale auf einem lokal konvexenRaum ist ein Spezialfall einer allgemeineren Konstruktion. So kann man zu einem beliebigenlokal konvexen Raum X den Raum X ′ der der stetigen linearen Funktionale betrachten. Dieserist naturlich ein Vektorraum und wird Dualraum von X genannt. Jedes Element x ∈ X definiertwiederum ein lineares Funktional auf X ′, namlich fx : X ′ → K definiert durch

fx(x′) = x′(x).

Diese Funktionale fx separieren die Punkte in x′, denn gilt fx(x′) = 0 fur alle x, so gilt x′(x) = 0fur alle x und das heißt x′ = 0. Auf X ′ konnen wir nun eine Topologie definieren: Wir definierenSeminormen px auf X ′ durch px(x′) = |x′(x)|. Dies gibt eine Topologie nach Satz 2.2.4, welchewir die Schwach*-Topologie auf X ′ nennen. Ebenfalls nach Satz 2.2.4 wird X ′ damit zum lokalkonvexen Raum. Die Schwach*-Konvergenz einer Folge (x′n) gegen x′ bedeutet in diesem Fall,dass px(x′n − x′) = |x′n(x)− x′(x)| → 0; anders ausgedruckt:

fur alle x ∈ X gilt x′n(x)→ x′(x).

Fur den Raum D(Ω)′ der Distributionen haben wir also eine naturliche Topologie, mit der dieDistributionen einen lokal konvexen Raum bilden. Konkret ist die schwach*-Topologie wie folgtdefiniert:

Definition 3.3.8 (Schwach*-Konvergenz von Distributionen). Eine Folge (Tn) von Distributio-nen konvergiert schwach* gegen T , geschrieben

Tn → T in D(Ω)′,

falls fur alle φ ∈ D(Ω) giltTn(φ)→ T (φ).

Fur eine Folge (fn) von lokal integrierbaren Funktionen (nach Beispiel 3.3.5 aufgefasst alsDistributionen) konvergiert im Distributionensinne gegen T ∈ D(Ω) falls fur alle φ ∈ D(Ω) gilt∫

Ω

fn(x)φ(x)dx→ T (φ).

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3.4. RECHNEN MIT DISTRIBUTIONEN

Beispiel 3.3.9. 1. Es sei (xn) eine Folge in Ω mit xn → x ∈ Ω. Dann gilt

δxn(φ) = φ(xn)→ φ(x) = δx(φ)

und daherδxn → δx in D(Ω)′.

2. Es sei Ω = R und δn(φ) = φ(n). Dann gilt δn(φ) → 0 fur alle φ und daher δn → 0 inD(R)′. Gleiches gilt fur die Folge (nδn).

3. Es sei (fn) eine Folge von lokal integrierbaren Funktionen (Ω→ C) welche punktweise fastuberall gegen f konvergiere. Weiterhin sei g ∈ L1

loc(Ω) eine Majorante (d.h. |fn| ≤ g). Danngilt fur alle φ ∈ D(Ω) nach dem Satz von der majorisierten Konvergenz∫

Ω

fn(x)φ(x)dx→∫

Ω

f(x)φ(x)dx

und damitfn → f im Distributionensinn.

Achtung: Das Fehlen einer lokal integrierbaren Majorante sagt nichts aus uber Konvergenzoder Nicht-Konvergenz!

4. Auf Ω = R betrachte fn(x) = sin(nx). Die Folge (fn) konvergiert nicht punktweise (außerin x = 0) aber es gilt nach partieller Integration∫

R

fn(x)φ(x)dx =

∫R

sin(nx)φ(x)dx =

∫R

1

ncos(nx)φ′(x)dx→ 0.

Es folgt fn → 0 in D(R)′.

5. Definiere Tn(φ) = n2

(φ( 1

n ) − φ(− 1n )). Es gilt Tn(φ) → φ′(0). Bemerke, dass die Tn die

Ordnung 0 haben, der Grenzwert aber die Ordnung 1 hat.

3.4 Rechnen mit Distributionen

Fur zwei Funktion φ, ψ ∈ D(Ω) gilt die Regel der partiellen Integration, d.h. fur jeden Multiindexα gilt ∫

Ω

ψ(x)Dαφ(x)dx = (−1)|α|∫

Ω

Dαψ(x)φ(x)dx.

Fur die von Dαψ induzierte Distribution TDαψ bedeutet dies

TDαψ(φ) = (−1)|α|Tψ(Dαφ).

Dies motiviert, die AbbildungDαT (φ) = (−1)|α|T (Dαφ)

als Kandidaten fur eine Ableitung einer Distribution T in Betracht zu ziehen. Offensichtlich istDαT linear. Daruberhinaus gilt fur T ∈ D(Ω)′ mit |T (φ)| ≤ C ‖φ‖N auch

|DαT (φ)| ≤ C ‖Dαφ‖N ≤ C ‖φ‖N+|α| .

Also ist DαT tatsachlich eine Distribution und wir definieren:

Definition 3.4.1 (Ableitung einer Distribution). Zu T ∈ D(Ω)′ und einen Multiindex α istDαT , definiert durch

DαT (φ) = (−1)|α|T (Dαφ)

die α-te Ableitung von T .

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3.4. RECHNEN MIT DISTRIBUTIONEN

Lemma 3.4.2. Fur eine Distribution T und Multiindizes α, β gilt DαDβT = Dα+βT .

Beweis. Es gilt

DαDβT (φ) = (−1)|α|(DβT )(Dαφ)

= (−1)|β|+|α|T (DαDβφ)

= (−1)|α+β|T (Dα+βφ) = Dα+βT (φ).

Da wir lokal integrierbare Funktionen mit den von ihnen induzierten Distributionen identi-fizieren, konnen wir zu f ∈ L1

loc(Ω) die α-te Ableitung DαTf betrachten. Existiert die Ablei-tung Dαf auch im klassischen Sinne, und ist sie lokal integrierbar, so stellt sich die Frage, obDαTf = TDαf gilt. Hat f stetige Ableitungen bis zur Ordnung N , so gilt dies fur alle |α| ≤ N(partielle Integration). Wir definieren daher:

Definition 3.4.3 (Distributionelle Ableitung, schwache Ableitung). Es sei f lokal integrierbarund α ein Multiindex. Die distributionelle Ableitung Dαf von f ist die Distribution DαTf . IstDαTf wiederum eine regulare Distribution, welche von g induziert wird, so nennen wir g die α-teschwache Ableitung von f .

Beispiel 3.4.4 (Distributionelle Ableitungen von Funktionen). 1. Fur Ω = R und f(x) =|x| gilt D1f(x) = sign(x), wie wir bereits in Kapitel 1 nachgerechnet haben.

2. Existiert die klassische Ableitung einer Funktion f nur fast uberall, so muss sie nichtmit der distributionellen Ableitung ubereinstimmen. Dies sieht man klar an dem Beispielf(x) = sign(x): Hier ist f ′(x) = 0 fur fast alle x, die distributionelle Ableitung ist jedoch2δ0, wie die folgende Rechnung zeigt:

D1Tf (φ) = −Tf (D1φ)

= −∫R

sign(x)φ′(x)dx

= −2φ(0).

3. Es sei Ω = R2 und f : Ω→ C definiert durch

f(x, y) =

1, x > 0

0, x ≤ 0.

Dann ist die distributionelle Ableitung von T in x-Richtung

D(1,0)Tf (φ) = −Tf (D(1,0)φ)

= −∫R2

f(x)D(1,0)φ(x, y)dxdy

= −∫R

∫ ∞0

D(1,0)φ(x, y)dxdy

=

∫R

φ(0, y)dy.

In diesem Fall konnen wir D(1,0)T = Tµ als Maß auffassen, namlich: Fur A ⊂ R2 messbarist µ(A) das eindimensionale Lebesguemaß des Schnittes von A mit der y-Achse. Man nenntdies auch “δ-Distribution auf der y-Achse”.

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3.4. RECHNEN MIT DISTRIBUTIONEN

Die Menge der Distributionen ist abgeschlossen bezuglich schwach*-Konvergenz und Diffe-rentiation und Grenzwertbildung lassen sich ohne weiteres vertauschen:

Satz 3.4.5. Es sei (Tn) eine Folge in D(Ω)′, so dass der Grenzwert limn Tn(φ) fur alle φ ∈ D(Ω)existiert. Dann ist T definiert durch T (φ) = limn Tn(φ) eine Distribution und es gilt fur jedenMultiindex α

DαTn → DαT in D(Ω)′.

Beweis. Die Linearitat von T ist klar. Die Einschrankungen jedes Tn auf jedes DK sind stetig.Daruberhinaus sagt die Variante des Satzes von Banach-Steinhaus fur Frechet-Raume (Rudin,Functional Analysis, Theorem 2.8), dass die Tn auf den DK sogar gleichmaßig stetig sind (d.h. zueiner Nullumgebung U ⊂ C existiert eine Nullumgebung V ∈ DK , so dass Tn(V ) ⊂ U fur allen). Es folgt, dass T auf jedem DK stetig ist und analog zu Lemma 3.3.2 schließen wir, dass Tauf D(Ω) stetig ist.

Der Grenzwertsatz fur Ableitungen folgt aus

(DαT )(φ) = (−1)|α|T (Dαφ)

= (−1)|α| limn→∞

Tn(Dαφ)

= limn→∞

(DαTn)(φ).

Nun wenden wir uns der Frage zu, ob wir Distributionen mit Funktionen multiplizierenkonnen. Wir betrachten, wie im Fall der Ableitungen, zuerst regulare Distributionen. Ist f lokalintegrierbar und g ∈ C∞(Ω), so gilt

Tfg(φ) =

∫Ω

f(x)g(x)φ(x)dx = Tf (gφ).

Die Funktion g, mit der wir multiplizieren, muss also unendlich oft differenzierbar sein (damitgφ ∈ D(Ω) gesichert ist) und ein Kandidat fur die Multiplikation einer Distribution T mit g istdaher

(gT )(φ) = T (gφ).

Um nun zu zeigen, dass durch gT wieder eine Distribution definiert wird, brauchen wir dieLeibniz-Formel fur hohere Ableitungen von Produkten. Dazu benotigen wir noch Fakultatenund Binomialkoeffizienten fur Multiindizes:

α! =

d∏k=1

αk!,

(a

b

)=

α!

β!(α− β)!=

d∏k=1

(αkβk

).

Sind zwei Funktionen g und φ genugend oft differenzierbar, so gilt

Dα(gφ) =∑β≤α

cα,βDα−βgDβφ. (3.2)

mit Konstanten

cα,β =

β

)≥ 0.

Lemma 3.4.6. Es sei T eine Distribution und g ∈ C∞(Ω). Dann ist gT definiert durch

(gT )(φ) = T (gφ)

eine Distribution.

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3.4. RECHNEN MIT DISTRIBUTIONEN

Beweis. Zu K ⊂ Ω, kompakt gibt es N und C, so dass |T (φ)| ≤ C ‖φ‖N fur φ ∈ DK . DieLeibniz-Formel gibt nun eine Konstante C ′, welche von K, f und N abhangt, mit der

‖gφ‖N ≤ C′ ‖φ‖N

gilt. Es folgt

|T (gφ)| ≤ C ‖gφ‖N≤ CC ′ ‖φ‖N .

Bemerkung 3.4.7. Zu g ∈ D(Ω) und T ∈ D(Ω)′ ist T (g) eine komplexe Zahl, wahrend gT eineDistribution ist.

Wir konnen nun auch die Leibniz-Formel fur das Produkt von Funktion und Distributionzeigen:

Satz 3.4.8. Ist g ∈ C∞(Ω) und T ∈ D(Ω)′, und α ein Multiindex, so gilt

Dα(gT ) =∑β≤α

cα,β(Dα−βg)(DβT )

mit den gleichen Konstanten cα,β wie in (3.2).

Beweis. Fur zwei Vektoren x, y ∈ Rd gilt

(x+ y)α =∑β≤α

cα,βxα−βyβ .

Es folgt

xα = (y + (−y + x))α

=∑β≤α

cα,βyα−β

∑γ≤β

cγ,β(−1)|β−γ|yβ−γxγ

=∑γ≤α

(−1)|γ|yα−γxγ∑

γ≤β≤α

(−1)|β|cα,βcβ,γ .

Es folgt also die Identitat

∑γ≤β≤α

(−1)|β|cα,βcβ,γ =

(−1)|α|, γ = α

0, sonst.

Wir wenden nun die Leibniz-Formel auf Dβ(φDα−βg) an und benutzen obige Identitat fur dieKonstanten cα,β und erhalten∑

β≤α

(−1)|β|cα,βDβ(φDα−βg) =

∑β≤α

(−1)|β|cα,β∑γ≤β

cγ,β(Dβ−γφ)(Dα−β−γg)

= (−1)|α|gDαφ.

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3.4. RECHNEN MIT DISTRIBUTIONEN

Nun rechnen wir nach

Dα(gT )(φ) = (−1)|α|(gT )(Dαφ)

= (−1)|α|(T )(gDαφ)

=∑β≤α

(−1)|β|cα,βT (Dβ(φDα−βg))

=∑β≤α

cα,β(DβT )(φDα−βg)

=∑β≤α

cα,β((Dβ−αg)(DβT ))(φ)

was zu zeigen war.

Die Konvergenz von Produkten aus Distributionen und Funktionen klart der folgende Satz

Satz 3.4.9. Gilt Tn → T in D(Ω)′ und gn → g in C∞(Ω), so gilt gnTn → gT in D(Ω)′.

Beachte: Die Konvergenz Tn → T meint Schwach*-Konvergenz im Sinne von Definition 3.3.8,die Konvergenz gn → g in C∞(Ω) ist im Sinne von Abschnitt 2.3 gemeint.

Beweis. Der Beweis basiert auf folgendem Lemma:

Ist X ein Frechet-Raum und sind Y , Z topologische Vektorraume, so gilt: Ist B :X×Y → Z bilinear und in beiden Komponenten einzeln stetig, so folgt B(xn, yn)→B(x, y) falls xn → x und yn → y. (Rudin, Theorem 2.17)

Der Satz folgt nun mit B(g, T ) = (gT )(φ) fur festes φ ∈ D(Ω), X = C∞(Ω), Y = D(Ω)′ undZ = C. Es folgt namlich B(gn, Tn)→ B(g, T ), bzw. (gnTn)(φ)→ (gT )(φ).

Bemerkung 3.4.10 (Konstruktion von Operationen auf Distributionen). Die Definition vonAbleitungen von Distributionen und Multiplikation von Distribution und Funktion folgten demgleichen Strickmuster: Wir beobachten, wie die entsprechende Operation sich bei regularen Dis-tributionen Tf von der Funktion f auf die Testfunktion φ ubertragt und nehmen dies als Defini-tion fur die Distribution. Dies entspricht ungefahr dem Vorgehen beim Bilden des adjungiertenOperators. Wir illustrieren den adjungierten Operator nur kurz am speziellen Fall der Hilber-traumadjungierten fur den Hilbertraum L2(Rd). Wir betrachten A : L2(Rd) → L2(Rd) linearund stetig. Dann ist die Hilbertraumadjungierte von A definiert als der Operator A∗ fur den gilt〈Af, g〉 = 〈f,A∗g〉. Der adjungierte Operator ist wieder linear und stetig. Als Beispiel betrachtenwir den Translationsoperator (Taf)(x) = f(x+ a) auf L2(Rd):

〈f,T∗ag〉L2(Rd) = 〈Taf, g〉L2(Rd)

=

∫Rd

f(x+ a)g(x)dx

=

∫Rd

f(x)g(x− a)dx

Also gilt T∗a = T−a. Um eine Verschiebung von Distributionen zu definieren wurden wir fastanalog vorgehen: Zu einer regularen Distribution Tf beobachten wir

TTaf (φ) =

∫Rd

f(x+ a)φ(x)dx =

∫Rd

f(x)φ(x− a)dx = Tf (T−aφ).

Dann definieren wir die Verschiebung einer Distribution durch

(TaT )(φ) = T (T−aφ).

Ein wichtiger Unterschied dieser Herleitung zur Argumentation mit dem adjungierten Operator(der hier nicht zum Tragen gekommen ist), ist das Fehlen der komplexen Konjugation im Integral.

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3.5. LOKALE EIGENSCHAFTEN, STRUKTURSATZE

3.5 Lokale Eigenschaften, Struktursatze

Obwohl Distributionen nicht “punktweise fur x ∈ Ω” definiert sind, kann man trotzdem lokaleEigenschaften diskutieren. Sind T1, T2 ∈ D(Ω)′ und A ⊂ Ω offen, so schreiben wir

T1 = T2 in A

falls fur alle φ ∈ D(A) gilt T1(φ) = T2(φ).

Beispiel 3.5.1. Im Sinne der obigen Gleichheit gilt fur eine lokal integrierbare Funktionen f ,dass Tf = 0 in A, falls f fast uberall in A gleich Null ist. Ist µ ein Borelmaß, so ist µ = 0 in A,falls fur alle Borelmengen E ⊂ A gilt µ(E) = 0.

Wir konnen nun auch den Trager einer Distribution definieren:

Definition 3.5.2. Ist A ⊂ Ω offen und gilt T (φ) = 0 fur alle φ ∈ D(A), so sagen wir, dass Tauf A verschwindet. Als Trager von T bezeichnen wir das Komplement der Vereinigung aller deroffenen Mengen, auf denen T verschwindet, d.h.

suppT = (⋃

T verschwindet auf A

A).

Satz 3.5.3. Es sei T ∈ D(Ω)′. Dann gilt

1. Gilt fur φ ∈ D(Ω) dass suppφ ∩ suppT = ∅, so gilt T (φ) = 0.

2. Gilt suppT = ∅, so gilt T = 0.

3. Gilt fur ψ ∈ C∞(Ω) dass ψ ≡ 1 in suppT , so gilt ψT = T .

4. Ist suppT kompakt in Ω, so hat T endliche Ordnung N . Es gibt sogar eine KonstanteC > 0, so dass fur alle φ ∈ D(Ω) gilt

T (φ) ≤ C ‖φ‖N .

Beweis. Die Punkte 1. und 2. folgen direkt aus den Definitionen.

3. Sei ψ wie gefordert und φ ∈ D(Ω). Dann gilt supp(1 − ψ)φ ∩ suppT = ∅. Nach 1. giltT (φ) = T (ψφ) = (ψT )(φ).

4. Ist suppT kompakt, so existiert ein ψ wie in 3., welches sogar in D(Ω) liegt (dies ist einResultat aus der Analysis, siehe Rudin, Abschnitt 1.46). Wir bezeichnen K = suppψ. NachLemma 3.3.2 existieren C1 > 0 und N , so dass fur alle φ ∈ DK gilt

|T (φ)| ≤ C1 ‖φ‖N .

Die Leibniz-Formel (3.2) zeigt, dass es eine Konstante C2 > 0 gibt, so dass fur alle φ ∈ D(Ω)gilt ‖ψφ‖N ≤ C2 ‖φ‖N . Es folgt fur φ ∈ D(Ω)

|T (φ)| = |T (ψφ)| ≤ C1C2 ‖φ‖N

was die Behauptung zeigt.

Die Distributionen, deren Trager nur aus einem Punkt besteht, lassen sich charakterisieren:

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3.5. LOKALE EIGENSCHAFTEN, STRUKTURSATZE

Satz 3.5.4. Es sei T ∈ D(Ω)′ und p ∈ Ω. Weiterhin habe T die Ordnung N und es geltesuppT = p. Dann gibt es Konstanten cα, so dass

T =∑|α|≤N

cαDαδp.

Andersherum hat jeder dieser Distributionen den Trager p (außer wenn fur alle α gilt cα = 0).

Beweis. Die Umkehrung ist klar, da der Trager von Dαδp genau p ist.Fur den Beweis der anderen Richtung nehmen wir p = 0 an. Als erstes zeigen wir, dass fur

φ ∈ D(Ω) mit(Dαφ)(0) = 0, fur alle |α| ≤ N (*)

folgt T (φ) = 0. Erfulle φ also (*). Dann gibt es zu η > 0 ein K > 0, so dass fur |x| ≤ K und|α| = N gilt

|Dαφ(x)| ≤ η.

Wir behaupten nun, dass fur |α| ≤ N (und |x| ≤ K) gilt

|Dαφ(x)| ≤ ηdN−|α| |x|N−|α| . (**)

Fur |α| = N ist dies schon gefordert. Wir machen vollstandige Induktion von N abwarts. Gel-te (**) also fur |α| = i. Dann gilt fur β mit |β| = i − 1 fur den Gradienten von Dβφ nachInduktionsannahme ∣∣(∇Dβφ)(x)

∣∣ =∣∣(Dβ+e1φ(x), . . . , Dβ+edφ(x))

∣∣≤ d · ηdN−i |x|N−i . (***)

Der Mittelwertsatz der Differentialrechnung1 zeigt nun∣∣(Dβφ)(x)∣∣ ≤ ∣∣∇Dβφ(cx)

∣∣ |x|was zusammen mit (***) den Induktionsschluss∣∣(Dβφ)(x)

∣∣ ≤ ηdN−(i−1) |x|N−(i−1)

liefert.Jetzt wahlen wir ψ ∈ D(Rd) mit suppψ ⊂ B1(0), welches in einer Nullumgebung konstant

eins ist. Fur r > 0 klein genug, liegt der Trager von ψr(x) = ψ(x/r) in K. Nach der Leibniz-Formel (3.2) gilt

Dα(ψrφ)(x) =∑β≤α

cα,β(Dα−βψ)(x/r)(Dβφ)(x)r|β|−|α|.

Zusammen mit (**) folgt, dass es eine Konstante C > 0 (abhangig von d und N) gibt, so dassfur r klein genug gilt

‖ψrφ‖N ≤ ηC ‖ψ‖N . (****)

Da T die Ordnung N hat, gibt es C1 > 0, so dass |T (ψ)| ≤ C1 ‖ψ‖N fur alle ψ ∈ DBK(0). Da ψrin einer Umgebung des Tragers von T konstant eins ist, folgt aus (****) und Satz 3.5.3 3), dass

|T (φ)| = |T (ψrφ)| ≤ C1 ‖ψrφ‖n ≤ ηCC1 ‖ψ‖N .

Da η > 0 beliebig ist, folgt T (φ) = 0, sobald (*) gilt. Das bedeutet aber, dass T auf dem

1Wir brauchen folgende Version: Zu x1 6= x2 gibt es ein x0 auf der Verbindungslinie von x1 und x2, so dassf(x2)− f(x1) = ∇f(x0)(x2 − x1). Es folgt, dass es zu x 6= 0 ein c ∈]0, 1[ gibt, so dass |f(x)| ≤ |∇f(cx)| |x|

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3.5. LOKALE EIGENSCHAFTEN, STRUKTURSATZE

Schnitt der Kerne der Funktionale Dαδ0 verschwindet. Es bleibt zu zeigen, dass dann T eineLinearkombination der Dαδ0 ist. die ist genau die Aussage dieses Lemmas:

Lemma 3.5.5. Es seien Tk, k = 1, . . . , n lineare Funktionale auf dem K-VektorraumX. Ist dann T auf dem Schnitt der Kerne der Tk Null, so gilt T =

∑nk=1 αkTk mit

αk ∈ K.

Beweis. Definiere die lineare Abbildung P : X → Kn durch

P (x) = (T1x, . . . , Tnx).

Aus P (x) = P (x′) folgt Tkx = Tkx′ und daher auch Tx = Tx′ wir konnen daher T

wie folgt faktorisieren:T = F P

mit linearem F : Kn → K. Die Abbildung F hat also die Form F (u1, . . . , un) =∑nk=1 αkuk und es folgt Tx = F (P (x)) =

∑nk=1 αkTkx.

In unserer Situation folgt aus diesem Lemma T =∑|α|≤N cαD

αδ0.

Die Distributionen mit einpunktigem Trager sind also nun verstanden. Aber auch die weiterenDistributionen konnen weiter beschrieben werden. Wir wollen zeigen, dass jede Distribution dieAbleitung Dαf einer stetigen Funktion f ist (zumindest lokal). Wir beginnen mit folgendemSatz:

Satz 3.5.6. Es sei T ∈ D(Ω)′ und K ⊂ Ω kompakt. Dann gibt es eine stetige Funktion f undeinen Multiindex α, so dass fur jedes φ ∈ DK gilt

T (φ) = (−1)|α|∫

Ω

f(x)(Dαφ)(x)dx.

Beweis. Ohne Beschrankung der Allgemeinheit nehmen wir an, dass K im Einheitsquadrat Q =[0, 1]d liegt (ansonsten konnten wir Verschieben und Skalieren). Der Mittelwertsatz zeigt, dassfur jedes ψ ∈ DQ und jedes i = 1, . . . , d gilt

|ψ| ≤ maxx∈Q|(∂iψ)(x)| (*)

Wir definieren L = ∂1 · · · ∂d. Zu einem y ∈ Q sei

Q(y) = x ∈ Q | xi ≤ yi.

Dann gilt fur jedes ψ ∈ DQψ(y) =

∫Q(y)

(Lψ)(x)dx. (**)

Wenden wir (*) wiederholt auf Ableitungen von ψ ∈ DQ an, erhalten wir fur N ∈ N

‖ψ‖N ≤ maxx∈Q

∣∣(LNψ)(x)∣∣ ≤ max

x∈Q

∫Q(x)

∣∣(LN+1ψ)(y)∣∣ dy ≤ ∫

Q

∣∣(LN+1ψ)(y)∣∣ dy.

Nach Lemma 3.3.2 gibt es N in C > 0, so dass fur φ ∈ DK gilt

|T (φ)| ≤ C ‖φ‖N .

Es folgt

|T (φ)| ≤ C∫K

∣∣(LN+1φ)(x)∣∣dx

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3.5. LOKALE EIGENSCHAFTEN, STRUKTURSATZE

Nach (**) ist L injektiv auf DQ und also auch auf DK . Damit ist auch LN+1 : DK → DK injektiv.Wir konnen daher T auf dem Bild Z von LN+1 faktorisieren als

Tφ = T1LN+1φ

und es gilt fur φ ∈ Z|T1φ| ≤ C

∫K

|φ(x)|dx.

Dies bedeutet, dass T1 auf einem Teilraum von L1(K) ein lineares und stetiges Funktional ist. DieForsetzungvariante des Satzes von Hahn-Banach (Werner, Funktionalanalysis, Theorem III.1.5)liefert eine Fortsetzung von T1 zu einem stetigen linearen Funktional auf ganz L1(K), d.h. esgibt ein g ∈ L∞(K), so dass fur φ ∈ DK gilt

T (φ) = T1LN+1(φ) =

∫K

g(x)(LN+1φ)(x)dx.

Nun sind wir fast fertig (beachte: g ist auf K ⊂ Ω definiert). Wir konstruieren aus g eine stetigeFunktion f auf ganz Ω indem wir erst g außerhalb von K durch Null fortsetzen und dann

f(y) =

∫ y1

−∞· · ·∫ yd

−∞g(x)dxd · · · dx1

bilden. Dieses f ist stetig auf Ω und d-fache partielle Integration zeigt

T (φ) = (−1)d∫

Ω

f(x)(LN+2φ)(x)dx.

Das ist (bis auf das Vorzeichen) die Behauptung mit α = (N + 2, . . . , N + 2).

Fur Distributionen mit kompaktem Trager konnen wir aus diesem lokalen Ergebnis ein glo-bales machen:

Satz 3.5.7. Es seien Ω und V offene Mengen in Rd und K kompakt mit K ⊂ V ⊂ Ω. Sei wei-terhin T ∈ D(Ω)′ mit suppT = K und Ordnung N . Dann gibt es endlich viele stetige Funktionenfβ mit supp fβ ⊂ V und βi ≤ N + 2 fur jedes β und jedes i, so dass

T =∑β

Dβfβ .

Beweis. Wir wahlen ein offenes W mit kompaktem Abschluss W und K ⊂ W , W ⊂ V . Wirwenden Satz 3.5.6 mit W anstelle von K an. Setze α = (N+2, . . . , N+2). Es gibt nach Satz 3.5.6eine stetig Funktion f , so dass fur alle φ ∈ D(W ) gilt

T (φ) = (−1)|α|∫

Ω

f(x)(Dαφ)(x)dx.

Dies gilt auch, wenn wir f mit einer stetigen Funktion multiplizieren, die auf W eins ist undderen Trager in V liegt.

Fixiere nun ψ ∈ D(Ω) mit suppψ ⊂ W und ψ = 1 in einer offenen Obermenge von K. Esfolgt also fur jedes φ ∈ D(Ω)

T (φ) = T (ψφ) = (−1)|α|∫

Ω

f(x)(Dα(ψφ))(x)dx = (−1)|α|∫

Ω

f(x)∑β≤α

cα,β(Dα−βψ)(x)(Dβφ)(x)dx.

Dies ist die behauptete Darstellung mit fβ = (−1)|α−β|cα,βfDα−βψ.

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3.6. FALTUNGEN

Wir schließen diesen Abschnitt mit dem folgenden Struktursatz:

Satz 3.5.8. Zu jedem T ∈ D(Ω)′ existieren stetige Funktionen gα (α ∈ Nd), so dass

(a) jede kompakte Menge K ⊂ Ω nur endlich viele der Mengen supp gα schneidet, und

(b) T =∑αD

αgα.

Hat T endliche Ordnung, so konnen die gα se gewahlt werden, dass nur endliche viele davonnicht Null sind.

Beweis. Wir benutzen, dass es kompakte Wurfel Qi und offene Mengen Vi gibt, so dass Qi ⊂Vi ⊂ Ω, Ω =

⋃Qi und jede kompakte Teilmenge von Ω nur endlich viele Vi schneidt. Zu diesem

Mengen gibt es eine lokal endliche Zerlegung der Eins, d.h. C∞-Funktionen ψi mit suppψi ⊂ Vi,∑i ψi(x) = 1 (Rudin, Functional Analysis, Theorem 6.20).Wir wenden Satz 3.5.7 auf jedes ψiT an und erhalten

ψiT =∑α

Dαfi,α.

Definiere gα =∑∞i=1 fi,α. Diese Summen sind lokal endlich (d.h. jedes kompakte K ⊂ Ω schneidet

nur endliche viele Trager der fi,α). Es folgt (a).Da fur jedes φ ∈ D(Ω) gilt φ =

∑i ψiφ, folgt T =

∑i ψiT und es folgt (b).

Die letzte Behauptung ist schon in Satz 3.5.7 gezeigt worden.

3.6 Faltungen

Eine weitere Operation, die auf Distributionen ubertragen werden kann, ist die Faltung. Wirgehen Schrittweise vor und starten mit der Faltung von Funktionen, fuhren dann die Faltung vonFunktion und Distribution ein um schließlich bestimmte Distributionen miteinander zu falten.

Wir arbeiten hier nur mit Ω = Rd. Die Faltung von zwei Funktionen f und g ist

(f ∗ g)(x) =

∫Rd

f(y)g(x− y)dy.

Die Faltung berechnet ein Integral uber ein Produkt von verschobener und gespiegelter Funk-tion. Dies wollen wir mit Hilfe der Verschiebungsoperatoren Tx und Skalierungsoperatoren Saausdrucken. Dazu machen wir ein paar Vorbemerkungen:

Bemerkung 3.6.1. Das Verknupfen von Verschiebung und Skalierung fuhrt manchmal zu Ver-wirrungen. Um diesem Vorzubeugen, schreiben wie die Operatoren noch einmal explizit in fol-gender Form auf. Zu x ∈ Rd definieren wir die Funktion tx : Rd → Rd durch tx(y) = x + y.Damit lasst sich der Verschiebungsoperator schreiben als

Txφ = φ tx.

Analog mit sa(x) = ax:Saφ = φ sa.

Damit ist klar, was beim Verknupfen passiert:

(TxSaφ)(y) = (Tx(φ sa))(y) = (φ sa tx)(y) = φ(a(y + x))

(SaTxφ)(y) = (Sa(φ tx))(y) = (φ tx sa)(y) = φ(ay + x).

Da die Operatoren “von rechts” auf die Funktion wirken, “drangeln sie sich beim Hintereinan-derausfuhren vor”.

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3.6. FALTUNGEN

Fur die Faltung schreiben wir mit Hilfe von Verschiebung und Skalierung

(T−xS−1)f(y) = f(x− y).

Damit lasst sich die Faltung von g und f wie folgt ausdrucken

(f ∗ g)(x) =

∫Rd

f(y)g(x− y)dy =

∫Rd

f(y)T−xS−1g(y)dy = Tf (T−xS−1g).

Definition 3.6.2. Es sei T ∈ D(Rd)′ und φ ∈ D(Rd). Dann ist die Faltung von T mit φ definiertdurch

(T ∗ φ)(x) = T (T−xS−1φ)

Man beachte, dass T ∗ φ punktweise fur jedes x definiert ist. Insbesondere ist T ∗ φ eineFunktion!

Eigenschaften der Faltung von Distribution und Testfunktion sammelt der folgende Satz:

Satz 3.6.3. Es seien T ∈ D(Rd), φ, ψ ∈ D(Rd). Dann gilt

(a) Tx(T ∗ φ) = (TxT ) ∗ φ = T ∗ (Txφ).

(b) T ∗ φ ∈ C∞(Rd) undDα(T ∗ φ) = (DαT ) ∗ φ = T ∗ (Dαφ).

(c) T ∗ (φ ∗ ψ) = (T ∗ φ) ∗ ψ.

Beweis. (a) Es gelten

(Tx(T ∗ φ)(y) = (T ∗ φ)(y + x) = T (T−y−xS−1φ)

((TxT ) ∗ φ)(y) = (TxT )(T−yS−1φ) = T (T−y−xS−1φ)

(T ∗ (Txφ))(y) = T (T−yS−1Txφ) = T (T−y−xS−1φ).

(b) Es gilt T−xS−1Dαφ = (−1)|α|DαT−xS−1φ und daher

(T ∗ (Dαφ))(x) = T (T−xS−1Dαφ) = (−1)|α|T (DαT−xS−1φ)

= DαT (T−xS−1φ) = ((DαT ) ∗ φ)(x).

was die zweite Gleicheit zeigt.

Fur die erste Gleichheit betrachten wir nur die erste partielle Ableitung in Richtung einesEinheitsvektors e ∈ Rd. Wir definieren einen “Differenzenoperator” fur r > 0 durch

ηr =1

r(T0 −T−re).

Nach Teil (a) giltηr(T ∗ φ) = T ∗ (ηrφ). (*)

Fur die partielle Ableitung von φ in Richtung e, Deφ, gilt

ηrφ→ Deφ in D(Rd).

Daher auchT−xS−1ηrφ→ T−xS−1D

eφ in D(Rd)

fur jedes x und es folgt

T ∗ (ηrφ)(x) = T (T−xS−1ηrφ)→ T (T−xS−1Deφ) = T ∗ (Deφ)(x).

Zusammen mit (*) folgt die Behauptung.

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3.6. FALTUNGEN

(c) Wir approximieren den Wert (φ ∗ ψ)(x) durch eine Riemann-Summe:

fh(x) = hd∑k∈Zd

φ(x− kh)ψ(kh).

Es gilt fur jedes α und jede kompakte Menge K, dass

Dαfh = hn∑k∈Zd

Dαφ( · − kh)ψ(kh)→ (Dαφ) ∗ ψ, gleichmaßig auf K.

Es gilt alsofh → φ ∗ ψ in D(Rd).

Linearitat und Stetigkeit von T zeigen

(T ∗ (φ ∗ ψ))(x) = T (T−xS−1( limh→0

fh))

= limh→0

T (T−xS−1fh)

= limh→0

hn∑k∈Zd

(T ∗ φ)(x− kh)ψ(kh)

= ((T ∗ φ) ∗ ψ)(x).

Mit Hilfe von Faltungen lassen sich Funktionen und Distributionen approximieren. Dazubenotigen wir folgenden Begriff:

Definition 3.6.4. Eine Approximation der Eins auf Rd ist eine Funktionenfolge (hk) der Form

hk(x) = kdh(kx)

mit h ∈ D(Rd), h ≥ 0 und∫Rd h(x)dx = 1.

Satz 3.6.5. Es sei (hk) eine Approximation der Eins, φ ∈ D(Rd) und T ∈ D(Rd)′. Dann gilt

(a) φ ∗ hk → φ in D(Rd),

(b) T ∗ hk → T in D(Rd)′.

Beweis. (a) Fur den Trager der Faltungen gilt supp(φ ∗hk) ⊂ suppφ+ supphk. Da die Tragerder hk sich zu 0 zusammenziehen, sind die Trager der Folge (φ ∗ hk) in einer kompaktenMenge enthalten. Ist f stetig mit kompaktem Trager, so gilt f ∗hk → f gleichmaßig (siehez.B. Lineare Funktionalanalysis, H.W. Alt). Wenden wir dies auf Dαφ statt f an, so sehenwir Dα(φ ∗ hk)→ Dαφ.

(b) Mit (c) von Satz 3.6.3 zusammen mit (a) folgt

T (S−1φ) = (T ∗ φ)(0) = limk

(T ∗ (hk ∗ φ))(0) = limk

((T ∗ hk) ∗ φ)(0) = limk

(T ∗ hk)(S−1φ).

Bemerkung 3.6.6. Der vorige Satz sagt insbesondere, dass jede Distribution durch eine Folgevon unendlich oft differenzierbaren Funktionen in der Topologie von D(Rd)′ angenahert werdenkann.

Der folgende Satz sagt, dass die linearen und verschiebungsinvarianten Operatoren auf D(Rd)genau die Faltungen mit Distributionen sind.

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3.6. FALTUNGEN

Satz 3.6.7. (a) Es sei T ∈ D(Rd)′ und Lφ = T ∗ φ. Dann ist L : D(Rd) → C∞(Rd) linear,stetig und erfullt fur alle x ∈ Rd

TxL = LTx,

d.h. L ist verschiebungsinvariant.

(b) Ist umgekehrt L : D(Rd) → C(Rd) linear, stetig und verschiebungsinvariant, so existiertein eindeutig bestimmtes T ∈ D(Rd)′, so dass Lφ = T ∗ φ.

Insbesondere ist das Bild von L in C∞(Rd) enthalten.

Beweis. (a) Die Verschiebungsinvarianz folgt aus 3.6.3 (a), Linearitat ist klar. Um die Stetigkeitvon L zu zeigen benutzen wie die Charakterisierung: L stetig, falls φi → 0 in D(Ω) impliziertLφi → 0 in C∞(Ω). Gelte also φi → 0 in D(Rd), d.h. es existiert eine kompakte Menge K,so dass suppφi ⊂ K und Dαφi → 0 fur alle α gleichmaßig. Dann gilt fur jede kompakteMenge M

|(T ∗ φi)(x)| = |T (T−xS−1φi)|≤ CM ‖T−xS−1φi‖NM= CM ‖φi‖NM → 0.

Also konvergiert T ∗φi auf jeder kompakten Menge gleichmaßig gegen 0. Analog zeigt man,mit Hilfe von Satz 3.6.3 (b), dass Dα(T ∗ φi) auf jeder kompakten Menge gleichmaßiggegen Null geht. Insgesamt haben wir Konvergenz von T ∗ φi gegen 0 in C∞(Rd) gezeigt(vgl. Satz 2.3.4).

(b) Wir definieren T (φ) = L(S−1φ)(0). Da S−1 : D(Rd) → D(Rd) und L stetig sind, undferner die Punktauswertung in 0 auf C(Rd) stetig ist, ist T eine Distribution.

Weiterhin gilt nach der Verschiebungsinvarianz von L

(Lφ)(x) = (TxLφ)(0)

= (LTxφ)(0)

= T (S−1Txφ)

= T (T−xS−1φ) = (T ∗ φ)(x).

Fur die Eindeutigkeit von T bemerken wir, dass aus “T ∗ φ = 0 fur alle φ” folgt

T (S−1φ) = (T ∗ φ)(0) = 0

und daher T = 0.

Nun wollen wir noch die Faltung von Distributionen mit Distributionen definieren. Dazukonnten wir versuchen die Assoziativitat der Faltung auszunutzen und definieren (T ∗ S) ∗ φ =T ∗ (S ∗ φ). Leider macht dies vorerst keinen Sinn, da S ∗ φ im allgemeinen keine Testfunktiondarstellt, sondern nur in C∞(Rd) liegt. Es stellt sich heraus, dass wir dem Ausdruck trotzdemeinen Sinn geben konnen, wenn eine der Distributionen kompakten Trager hat. Wir benotigenein vorbereitendes Lemma:

Lemma 3.6.8. Eine Distribution T ∈ D(Ω)′ mit kompaktem Trager lasst sich eindeutig zueinem linearen und stetigen Funktional auf C∞(Rd) fortsetzen.

Beweis. Wir setzen im Beweis von Satz 3.5.3 (4.) an: Ist K = suppT ⊂ Ω kompakt, so gibt esψ ∈ D(Ω) mit ψ ≡ 1 auf K. Fur φ ∈ D(Ω) gilt nach Satz 3.5.3 (3.) T (ψφ) = T (φ). Daher ist

S(φ) = T (ψφ)

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3.6. FALTUNGEN

eine Fortsetzung von T auf C∞(Ω). Fur die Stetigkeit von S bemerken wir, dass aus fi → 0 inC∞(Rd) folgt, dass alle Ableitungen von (fi) auf jeder kompakten Teilmenge gleichmaßig gegen0 gehen. Es folgt, dass ψfi → 0 in D(Ω) und daher S(fi) = T (ψfi)→ 0.

Zur Eindeutigkeit bemerken wir, dass D(Ω) dicht in C∞(Ω) liegt: Ist f ∈ C∞(Ω) so gibtes zu jeder kompakten Menge K ⊂ Ω ein φ ∈ D(Ω) welches auf K mit f ubereinstimmt. Mitanderen Worten: In jeder Umgebung von f liegt ein Element aus D(Ω). Da wir T auf eine Mengefortsetzen, in der der Bildbereich dicht liegt, ist die Fortsetzung eindeutig.

Hat also T kompakten Trager, so konnen wir fur φ ∈ C∞(Rd) die Faltung von T und φdefinieren als

(T ∗ φ)(x) = T (T−xS−1φ).

Satz 3.6.9. Die Distribution T ∈ D(Rd)′ habe kompakten Trager und es sei φ ∈ C∞(Rd). Danngilt

(a) Tx(T ∗ φ) = (TxT ) ∗ φ = T ∗ (Txφ).

(b) T ∗ φ ∈ C∞(Rd) undDα(T ∗ φ) = (DαT ) ∗ φ = T ∗ (Dαφ).

Ist weiterhin ψ ∈ D(Rd), so gilt

(c) T ∗ ψ ∈ D(Rd)

(d) T ∗ (φ ∗ ψ) = (T ∗ φ) ∗ ψ = (T ∗ ψ) ∗ φ.

Beweis. Der Beweis von (a) und (b) ist vollstandig analog zu dem von Satz 3.6.3.Zu (c): Es sei K = suppT und H = suppψ. Dann ist supp(T−xS−1ψ) = x−H. Dann folgt

aus K ∩ (x−H) = ∅, dass (T ∗ ψ)(x) = T (T−xS−1ψ) = 0. Anders ausgedruckt: Fur x /∈ K +Hgilt (T ∗ψ)(x) = 0, d.h. es gilt supp(T ∗ψ) ⊂ K+H. Da K+H kompakt ist, folgt die Behauptung.

Zu (d): Es sei W eine offene und beschrankte Menge, mit W ⊃ K = suppT . Wahle dannφ0 ∈ D(Rd), so dass S−1φ0 = S−1φ in W +H (H = suppψ). Dann gilt S−1(φ∗ψ) = S−1(φ0 ∗ψ)in W . Es folgt

(T ∗ (φ ∗ ψ))(0) = (T ∗ (φ0 ∗ ψ))(0) (*)

Ist −s ∈ H, so gilt T−sS−1φ = T−sS−1φ0 in W und daher T ∗ φ = T ∗ φ0 in −H. Es folgt

((T ∗ φ) ∗ ψ)(0) = ((T ∗ φ0) ∗ ψ)(0). (**)

Da supp(T ∗ ψ) ⊂ K +H gilt, folgt

((T ∗ ψ) ∗ φ)(0) = ((T ∗ ψ) ∗ φ0)(0). (***)

Die rechten Seiten von (*), (**) und (***) stimmen nach Satz 3.6.3 uberein und also auch dielinken. Dies zeigt die Behauptung im Nullpunkt. Andere Punkte x lassen sich analog durchVerschiebung behandeln.

Lemma 3.6.10. Es seien T, S ∈ D(Rd)′ und eine von beiden habe kompakten Trager. Dann ist

Lφ = T ∗ (S ∗ φ)

als Abbildung D(Rd)→ C∞(Rd) linear, stetig und verschiebungsinvariant.

Beweis. Der Ausdruck L in beiden Fallen wohldefiniert: Zuerst habe T kompakten Trager. DaS∗φ nach 3.6.3 (b) eine C∞(Rd)-Funktion ist, ist L nach Lemma 3.6.8 wohldefiniert. Hat hingegenS kompakten Trager, so ist S ∗ φ ∈ D(Rd) nach Satz 3.6.9 (b). Wiederum ist L wohl definiert.

Linearitat und Verschiebungsinvarianz sind klar. Die Stetigkeit folgt aus Satz 3.6.7 (a) undLemma 3.6.8.

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3.6. FALTUNGEN

Nach Satz 3.6.7 (b) ist die Abbildung φ 7→ (LS−1φ)(0) eine Distribution welche wir mit T ∗Sbezeichnen:

(T ∗ S)(φ) = (T ∗ (S ∗ S−1φ))(0). (3.3)

Sie hangt mit dem Operator L aus Lemma 3.6.10 uber

Lφ = (T ∗ S) ∗ φ

zusammen. Mit anderen Worten: Die Distribution T ∗ S ∈ D(Rd)′ ist charakterisiert durch

(T ∗ S) ∗ φ = T ∗ (S ∗ φ).

Beispiel 3.6.11. (a) Es sei T ∈ D(Rd)′. Da δ0 den kompakten Trager 0 hat, konnen wirT ∗ δ0 definieren. Wir berechnen zuerst

δ0 ∗ φ(y) = δ0(T−yS−1φ)

= T−yS−1φ(0)

= φ(y).

Also δ0 ∗ φ = φ und es folgt

(T ∗ δ0) ∗ φ = T ∗ (δ0 ∗ φ) = T ∗ φ.

D.h. es gilt T ∗ δ0 = T . Mit andere Worten: δ0 ist das neutrale Element bezuglich derFaltung.

(b) Wir folgern aus Satz 3.6.3

(DαT ) ∗ φ = T ∗ (Dαφ) = T ∗Dα(δ0 ∗ φ) = T ∗Dαδ0 ∗ φ.

Es folgtDαT = T ∗Dαδ0.

Mit anderen Worten: Die Ableitung einer Distribution entspricht der Faltung mit der Ab-leitung der δ-Distribution.

Satz 3.6.12. Es seien R,S, T ∈ D(Rd).

(a) Hat S oder T kompakten Trager, so gilt T ∗S = S ∗T und supp(T ∗S) ⊂ suppT + suppS.

(b) Sind wenigstens zwei Trager von R, S und T kompakt, so gilt (T ∗ S) ∗R = T ∗ (S ∗R).

(c) Ist einer der Trager von T und S kompakt, so gilt fur jedes α

Dα(T ∗ S) = (DαT ) ∗ S = T ∗ (DαS).

Beweis. (a) Es seien φ, ψ ∈ D(Rd). Da die Faltung von Funktionen kommutativ ist, gilt nachSatz 3.6.3 (c):

(T ∗ S) ∗ (φ ∗ ψ) = T ∗ (S ∗ (φ ∗ ψ))

= T ∗ ((S ∗ φ) ∗ ψ)

= T ∗ (ψ ∗ (S ∗ φ)). (*)

Hat S kompakten Trager, so ist ψ ∗ (S ∗φ) ∈ D(Rd) und wir konnen noch einmal Satz 3.6.3(c) anwenden:

T ∗ (ψ ∗ (S ∗ φ)) = (T ∗ ψ) ∗ (S ∗ φ).

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3.6. FALTUNGEN

Hat T kompakten Trager, so konnen wir Satz 3.6.9 (d) in (*) anwenden:

T ∗ (ψ ∗ (S ∗ φ)) = (T ∗ ψ) ∗ (S ∗ φ)

In beiden Fallen folgt(T ∗ S) ∗ (φ ∗ ψ) = (T ∗ ψ) ∗ (S ∗ φ).

Analog bekommt man(S ∗ T ) ∗ (φ ∗ ψ) = (S ∗ φ) ∗ (T ∗ ψ).

Die rechten Seiten der beiden vorausgehenden Gleichungen sind gleich, also auch die linken.Also

((T ∗ S) ∗ φ) ∗ ψ = ((S ∗ T ) ∗ φ) ∗ ψ.

Die Eindeutigkeitsaussage aus Satz 3.6.7 zeigt die Kommutativitat.

Zur Aussage uber die Trager bemerken wir zuerst nach (3.3)

(T ∗ S)(φ) = T ∗ (S ∗ S−1φ)(0) = T (S−1(S ∗ S−1φ)).

Ohne Einschrankung nehmen wir an, dass suppS kompakt ist. Im Beweis von Satz 3.6.9haben wir gesehen, dass supp(S ∗ S−1φ) ⊂ suppS − suppφ. Also ist (T ∗ S)(φ) = 0, fallssuppT ∩ (suppφ− suppS) = ∅, d.h. falls (suppT + suppS) ∩ suppφ = ∅.

(b) Aus (a) schließen wir, dass die Ausdrucke (T ∗ S) ∗R und T ∗ (S ∗R) definiert sind, wennhochstens einer der Trager nicht kompakt ist.

Fur φ ∈ D(Rd) folgt

(T ∗ (S ∗R)) ∗ φ = T ∗ ((S ∗R) ∗ φ) = T ∗ (S ∗ (R ∗ φ)).

Ist nun suppR kompakt, so ist R ∗ φ ∈ D(Rd) und daher

((T ∗ S) ∗R) ∗ φ = (T ∗ S) ∗ (R ∗ φ) = T ∗ (S ∗ (R ∗ φ)).

Fur kompaktes suppR folgt also (b). Ist suppR nicht kompakt, so ist suppT kompakt undnach dem vorigen zusammen mit (a) gilt

T ∗ (S ∗R) = T ∗ (R ∗ S) = (R ∗ S) ∗ T = R ∗ (S ∗ T ) = R ∗ (T ∗ S) = (T ∗ S) ∗R.

(c) Dies folgt aus (a), (b) und Beispiel 3.6.11 (b):

Dα(T ∗ S) = Dαδ ∗ (T ∗ S) = (Dαδ ∗ T ) ∗ S = (DαT ) ∗ S

und(Dαδ ∗ T ) ∗ S = (T ∗Dαδ) ∗ S = T ∗ (Dαδ ∗ S) = T ∗ (DαS).

Beim Assoziativgesetz (b) kann man nicht auf die Annahme, dass zwei Trager kompakt sindverzichten (siehe Ubungsaufgabe).

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Kapitel 4

Fouriertransformation

Die Fouriertransformation ist eine fundamental wichtige Integraltransformation. Um sie ein-zufuhren, benotigen wir die Lebesgue-Raume: Zu 1 ≤ p <∞ definieren wir

Lp(Rd) = u : Rd → C |∫Rd

|u(x)|p dx <∞.

Mit der Norm

‖u‖Lp =(∫

Rd

|u(x)|p dx)1/p

wird Lp(Rd) zu einem Banach-Raum. (Wir haben hier verschwiegen, dass wir Funktionen f1 undf2 miteinander identifizieren, wenn Sie sich nur auf einer Nullmenge unterscheiden.) In Analogiedefinieren wir

L∞(Rd) = u : Rd → C | supx∈Rd

|u(x)| <∞

was mit der Norm‖u‖L∞ = sup

Rd

|u(x)|

ein Banach-Raum wird. (Auch hier haben wir verschwiegen, dass es sich in Wirklichkeit um das“wesentliche Supremum” an Stelle des Supremums handelt, d.h. um das “Supremum bis aufNullmengen”.)

Besonders hervorzuheben ist der Raum L2(Rd), welcher mit dem Skalarprodukt

〈u, v〉L2 =

∫Rd

u(x)v(x)dx

einen Hilbertraum ist.

4.1 Die Fouriertransformation auf L1(Rd)

Definition 4.1.1. Sei u ∈ L1(Rd) und ξ ∈ Rd. Dann ist die Fouriertransformierte von u in ξdefiniert durch

(Fu)(ξ) = u(ξ) =1

(2π)d/2

∫Rd

u(x)e−ix · ξdx.

Die Abbildung F : u 7→ u nennen wir Fouriertransformation.

Proposition 4.1.2. Die Fouriertransformation ist als Abbildung F : L1(Rd)→ C(Rd) wohlde-finiert, linear und stetig wenn wir C(Rd) mit der Norm ‖u‖C(Rd) = sup |u(x)| ausstatten.

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4.1. DIE FOURIERTRANSFORMATION AUF L1(RD)

Beweis. Der Integrand u(x)e−ix · ξ ist fur alle x stetig in ξ und fur fast alle ξ durch |u(x)|beschrankt. Es folgt nach dem Satz der dominierten Konvergenz fur ξn → ξ:

limn→∞

u(ξn) = u(ξ)

und damit die Stetigkeit von u.Die Linearitat von F ist klar und weiterhin gilt

|Fu(ξ)| = 1

(2π)d/2

∣∣∣∣∫Rd

u(x)e−ix · ξdx

∣∣∣∣ ≤ 1

(2π)d/2

∫Rd

|u(x)|dx =1

(2π)d/2‖u‖L1

und daher ‖Fu‖C(Rd) ≤1

(2π)d/2‖u‖L1 .

Bemerkung 4.1.3 (Alternative Definitionen der Fouriertransformation). Achtung: In anderenBuchern werden andere Definitionen der Fouriertransformation benutzt. Gebrauchlich sind zumBeispiel folgende Varianten:

(Fu)(ξ) =1

(2π)d

∫Rd

u(x)e−ix · ξdx

(Fu)(ξ) =

∫Rd

u(x)e−ix · ξdx

(Fu)(ξ) =

∫Rd

u(x)e−2πix · ξdx.

Weiterhin kann das Minuszeichen im Exponenten weggelassen sein. Eine weitere Alternative be-nutzt Rudin: er definiert ein umnormierten Lebesgue-Maß durch dmd = (2π)−d/2dx und definiert

(Fu)(ξ) =

∫Rd

u(x)e−ix · ξdmd

Die Fouriertransformation vertragt sich gut mit Translationen Ty und Skalierungen Sa. DieseOperatoren lassen sich wie gehabt fur Lp(Rd)-Funktionen definieren. Außerdem vertragt sie sichmit Modulationen, die wir nun definieren.

Definition 4.1.4. Zu y ∈ Rd definieren wir

my : Rd → C, my(x) = eix · y

und damit die Modulation von u durch punktweise Multiplikation mit my:

My : L1(Rd)→ L1(Rd), Myu = myu.

Einige elementare Transformationseigenschaften, die im Folgenden hilfreich sein werden, sam-melt das folgende Lemma:

Lemma 4.1.5. Es sei u ∈ L1(Rd), y ∈ Rd und a 6= 0. Dann gelten folgende Gleichungen:

F(Tyu) = My(Fu)

F(Myu) = T−y(Fu)

F(Sau) = |a|−d Sa−1(Fu)

F(u) = S−1(Fu).

40

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4.1. DIE FOURIERTRANSFORMATION AUF L1(RD)

Beweis. Zuerst uberzeuge man sich davon, dass die Operatoren Ty, My und Sa sowohl L1(Rd)als auch C(Rd) in sich selbst abbilden – es sind also alle auftretenden Ausdrucke wohldefiniert.Nach der Transformationsformel fur Integrale gilt

(FMωTyu)(ξ) =1

(2π)d/2

∫Rd

u(x+ y)e−ix · (ξ−ω)dx

=1

(2π)d/2ei(ξ−ω) · y

∫Rd

u(z)e−iz · (ξ−ω)dz

= (T−ωMyFu)(ξ).

Mit ω = 0 folgt die Translationsformel, mit y = 0 die Modulationsformel. Die Formel fur dieSkalierungen folgt ebenso direkt aus der Transformationsformel fur Integrale und die Formel furdie Konjugation erhalt man elementar.

Eine wichtige und erstaunlich elementare Eigenschaft der Fouriertransformation ist ihre Wir-kung auf Faltungen. Die Fouriertransformation uberfuhrt Faltungen in punktweise Multiplikati-on:

Satz 4.1.6 (Faltungssatz). Fur u, v ∈ L1(Rd) gilt

F(u ∗ v) = (2π)d/2F(u)F(v).

Beweis. Wir wenden den Satz von Fubini an:

F(u ∗ v)(ξ) =1

(2π)d/2

∫Rd

∫Rd

u(y)v(x− y)dye−ix · ξdx

=1

(2π)d/2

∫Rd

∫Rd

u(y)e−iy · ξv(x− y)e−i(x−y) · ξdxdy

=

∫Rd

u(y)e−iy · ξdy F(v)(ξ)

= (2π)d/2F(u)(ξ)F(v)(ξ).

Ganz analog zum Faltungssatz kann man folgendes Lemma beweisen:

Lemma 4.1.7. Fur u, v ∈ L1(Rd) gilt∫Rd

u(ξ)v(ξ)dξ =

∫Rd

u(ξ)v(ξ)dξ.

An dieser Stelle ist es verlockend, die Aussage des Lemmas als Gleichung von Skalarproduktenzu schreiben. Nach Lemma 4.1.5 ware:

〈u, v〉L2(Rd) =

∫Rd

u(ξ)v(ξ)dξ =

∫Rd

u(ξ)v(ξ)dξ =

∫Rd

u(ξ)v(−ξ)dξ = 〈u,S−1v〉L2(Rd) .

Dies ist allerdings an dieser Stelle nicht erlaubt, da wir die Fouriertransformation in Definiti-on 4.1.1 nur fur L1-Funktionen definiert haben. Dies hatte auch seinen guten Grund, denn furL2-Funktionen kann nicht ohne weiteres gesichert werden, dass das definierende Integral exis-tiert. Es erscheint jedoch wunschenswert und wird sich als uberaus hilfreich herausstellen, dieFouriertransformation nicht nur auf dem (nicht einmal reflexiven) Banach-Raum L1(Rd) sondernauf dem Hilbert-Raum L2(Rd) zur Verfugung zu haben.

41

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4.2. DIE FOURIERTRANSFORMATION AUF DEM SCHWARTZ-RAUM

4.2 Die Fouriertransformation auf dem Schwartz-Raum

Definition 4.2.1 (Schwartz-Raum). Wir definieren zu N = 0, 1, . . . Halbnormen auf C∞(Rd)durch

CN (u) = sup|α|≤N

supx∈Rd

(1 + |x|2)N |(Dαu)(x)| .

Der Schwartz-Raum der schnell fallenden Funktionen1 ist

Sd = u ∈ C∞(Rd) | CN (u) <∞, N = 0, 1, . . .

und wir durch die Familie (CN ) von Halbnormen topologisiert.

Eine Funktion u ∈ C∞(Rd) ist also in diesem Sinne schnell fallend, wenn fur jedes Poly-nom P und jeden Multiindex α die Funktion PDαu beschrankt ist. Insbesondere sind auch dieFunktionen x 7→ (1 + |x|2)dP (x)Dαu(x) beschrankt und daher gilt PDαu ∈ L1(Rd).

Neben der Familie (CN ) sind auch andere Familien geeignet, die Topologie von Sd zu erzeugen,z.B.:

qα,Q(u) = supx∈Rd

|Q(x)Dαu(x)| , α ∈ Nd, Q Polynom, oder

hN (u) = sup|α|≤N

supx∈Rd

(1 + |x|N ) |Dαu(x)| , N = 0, 1, . . . .

Man sieht leicht ein, dass diese Halbnormen jeweils die gleiche Topologie erzeugen.Es ist klar, dass Sd ein Vektorraum ist und dass gilt D(Rd) ⊂ Sd. Eine Folge (un) konvergiert

in Sd gegen 0, wenn die Funktionen, alle ihre Ableitungen und diese multipliziert mit beliebigenPolynomen gleichmaßig auf ganz Rd gegen Null gehen.

Satz 4.2.2. (a) Sd ist ein vollstandiger lokal konvexer Raum.

(b) Ist P ein Polynom, g ∈ Sd und α ein Multiindex, so sind die Abbildungen

u 7→ Pu, u 7→ gu, u 7→ Dαu

linear und stetig von Sd in sich.

Beweis. (a) Es ist nur die Vollstandigkeit zu zeigen. Es sei (un) eine Cauchy-Folge in Sd. Ins-besondere konvergieren die Folgen xβDαun(x) fur alle α, β gleichmaßig gegen beschrankteFunktionen gα,β und es folgt

gα,β(x) = xβDαg0,0(x).

Daher gilt un → g0,0 in Sd.

(b) Mit u ist Dαu in Sd. Auf Grund der Leibnizformel sind auch Pu und gu in Sd. Manuberzeugt sich leicht davon, dass aus un → 0 in Sd auch

Pun → 0, gun → 0, Dαun → 0

folgt (betrachte die Halbnormen CN (Pu), bzw. CN (gu), CN (Dαu).)

Lemma 4.2.3. Es sei u ∈ Sd, α ∈ Nd ein Multiindex und es bezeichne pα(x) = xα. Dann geltendie Gleichungen

F(∂αu∂xα ) = i|α|pαF(u)

F(pαu) = i|α| ∂α

∂xαF(u).

1Benannt nach Laurent Schwartz (* 5. Marz 1915 in Paris; † 4. Juli 2002 ebenda).

42

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4.2. DIE FOURIERTRANSFORMATION AUF DEM SCHWARTZ-RAUM

Beweis. Wir beginnen mit folgenden Hilfsrechnungen:

∂α

∂xα(e−ix · ξ) = (−i)|α|ξαe−ix · ξ und xαeix · ξ = i|α|

∂α

∂ξα(e−ix · ξ).

Mit Hilfe partieller Integration erhalten wir

F( ∂α

∂xαu)(ξ) =1

(2π)d/2

∫Rd

∂α

∂xαu(x)e−ix · ξdx

=1

(2π)d/2i|α|ξα

∫Rd

u(x)e−ix · ξdx

= i|α|pα(ξ)Fu(ξ).

Durch Vertauschen von Integration und Differentiation ergibt sich

F(pαu)(ξ) =1

(2π)d/2

∫Rd

u(x)xαe−ix · ξdx

=1

(2π)d/2i|α|∫Rd

u(x) ∂α

∂ξα e−ix · ξdx

= i|α|( ∂α

∂ξαFu)(ξ).

Beide vorangehenden Argumente sind erlaubt, da die Integranden bezuglich ξ beliebig oft diffe-renzierbar und bezuglich x integrierbar sind.

Wir sehen also, dass die Fouriertransformation eine Differentiation in eine Multiplikationuberfuhrt und andersherum. Dies lasst schon vermuten, dass der Schwartz-Raum Sd durch dieFouriertransformation in sich selbst uberfuhrt wird. Um dies zu zeigen benotigen wir noch fol-gendes Lemma:

Lemma 4.2.4. Fur die Gauß-Funktion G(x) = e−|x|2

2 gilt

G(ξ) = G(ξ),

das heißt, die Gauß-Funktion ist eine Eigenfunktion der Fouriertransformation zum Eigenwerteins.

Beweis. Die Gauß-Funktion lasst sich als Tensorprodukt von eindimensionalen Gauß-Funktioneng : R→ R, g(t) = exp(−t2/2) schreiben: G(x) =

∏dk=1 g(xk). Mit dem Satz von Fubini erhalten

wir

G(ξ) =1

(2π)d/2

∫Rd

d∏k=1

g(xk)e−ixkξkdx =

d∏k=1

g(ξk).

Um die Fouriertransformation von g zu bestimmen, bemerken wir, dass g der Differentialgleichungg′(t) = −tg(t) genugt. Wenden wir die Fouriertransformation auf diese Gleichung an, erhaltenwir mit Hilfe von Lemma 4.2.3 die Differentialgleichung −ωg(ω) = g′(ω). Weiterhin gilt g(0) =1/√

2π∫Rg(t)dt = 1 = g(0). Die Funktionen g und g erfullen also die gleiche Differentialgleichung

mit dem gleichen Anfangswert und mussen also nach dem Satz von Picard-Lindelof gleich sein.Dies zeigt die Behauptung.

Satz 4.2.5. Die Fouriertransformation ist eine stetige und bijektive Abbildung des Schwartz-Raumes in sich. Fur u ∈ Sd gilt die Inversionsformel

(F−1Fu)(x) = ˇu(x) =1

(2π)d/2

∫Rd

u(ξ)eix · ξdξ = u(x).

43

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4.2. DIE FOURIERTRANSFORMATION AUF DEM SCHWARTZ-RAUM

Beweis. Nach Lemma 4.2.3 gilt fur jedes ξ∣∣∣ξα ∂β

∂ξβu(ξ)

∣∣∣ =∣∣F( ∂

α

∂xβpβu)(ξ)

∣∣ ≤ 1

(2π)d/2

∥∥ ∂α

∂xα pβu∥∥L1 . (*)

Also ist mit u ∈ Sd auch u ∈ Sd. Da die Fouriertransformation linear ist, reicht es, die Stetigkeitin Null zu zeigen. Wir betrachten also eine Nullfolge (un) im Schwartz-Raum, d.h. fur n → ∞gilt CN (un)→ 0. Das heißt aber, dass dann (un) und ebenso (Dαpβun) fur alle α, β gleichmaßiggegen Null gehen. Daraus folgt, dass die rechte Seite in (*) gegen Null geht. Insbesondere folgtCN (un)→ 0 und das heißt, dass (un) eine Nullfolge ist. Dies zeigt die Stetigkeit.

Um die Inversionsformel zu zeigen, betrachten wir vorerst zwei beliebige Funktionen u, φ ∈ Sd.Mit Hilfe von Lemma 4.1.7 und den Rechenregeln fur Translation und Modulation aus Lem-

ma 4.1.5 gilt fur die Faltung von u und φ:

(u ∗ φ)(x) =

∫Rd

u(y)φ(x− y)dy =

∫Rd

u(y)eix · (−y)φ(−y)dy

=

∫Rd

u(y)φ(−x− y)dy = (u ∗ φ)(−x).

Nun wahlen wir φ als reskalierte Gauß-Funktion:

φε(x) = ε−d(SεG)(x) = ε−de−|εx|2

2 .

Nach der Rechenregel fur lineare Koordinatentransformationen aus Lemma 4.1.5 folgt φε =

ε−2dSε−1G und also auchφε = ε−dSε

G. Nach Lemma 4.2.4 gilt G = G und damit auch

φε =

φε. Da u insbesondere beschrankt und stetig ist und außerdem G positiv ist und ein auf einsnormiertes Integral hat, konnen wir Satz 3.6.5 anwenden und bekommen fur ε→ 0, dass gilt

u ∗ φε(x)→ u(x) und u ∗ φε(−x)→ u(−x).

Es folgt also u(x) = u(−x).

Man beachte, dass wir die Umkehrformel fur die Fouriertransformation auch schreiben konnenals

u = Fu.

Nach der Rechenregel fur die Konjugation aus Lemma 4.1.5 ergibt sich u = S−1u und wenn wiru statt u einsetzen, folgt insgesamt

ˇu = S−1u = u.

Korollar 4.2.6 (Plancherel-Gleichung). Fur u, v ∈ Sd gilt

〈u, v〉L2(Rd) = 〈u, v〉L2(Rd) .

Beweis. Nach Lemma 4.1.5 gilt u = S−1u. Mit Lemma 4.1.7 und dem Ergebnis u = S−1u ausdem Beweis der vorigen Satzes folgt

〈u, v〉L2 =

∫Rd

u(ξ)v(ξ)dξ =

∫Rd

u(ξ)v(ξ)dξ =

∫Rd

u(ξ)S−1v(ξ)dξ =

∫Rd

u(ξ)v(ξ)dξ = 〈u, v〉L2 .

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4.2. DIE FOURIERTRANSFORMATION AUF DEM SCHWARTZ-RAUM

Satz 4.2.7. Es gibt genau einen stetigen Operator F : L2(Rd) → L2(Rd), welcher die Fou-riertransformation F auf Sd fortsetzt und fur alle u ∈ L2(Rd) die Gleichung ‖u‖L2 = ‖Fu‖L2

erfullt.Weiterhin ist dieser Operator F bijektiv und die Umkehrung F−1 ist eine stetige Fortsetzung

von F−1 auf SRd .

Beweis. Fur zwei Funktionen u, v ∈ Sd gilt nach Korollar 4.2.6 die Gleichung

〈u, v〉L2 = 〈u, v〉L2

und insbesondere ‖u‖L2 = ‖Fu‖L2 . Die Fouriertransformation ist also eine auf einer dichtenTeilmenge des L2(Rd) definierte Isometrie. Demnach existiert eine eindeutige stetige Fortset-zung auf den ganzen Raum. Aufgrund der Symmetrie zwischen F und F−1 liefert eine analogeArgumentation den Rest der Behauptung.

Man nennt den Operator F aus obigem Satz auch Fourier-Plancherel-Transformation. Esist wichtig, vorerst zu bemerken, dass die in obigem Satz angegebene Fortsetzung der Fourier-transformation auf L2(Rd) nicht durch die Integralformel aus Definition 4.1.1 gegeben ist. ImAllgemeinen ist das Integral dort fur L2-Funktionen nicht definiert. Es gilt aber folgender Zu-sammenhang zwischen der Fouriertransformation aus Definition 4.1.1 und der Fourier-Placherel-Transformation aus Satz 4.2.7:

Satz 4.2.8. (a) Fur u ∈ L1(Rd)∩L2(Rd) stimmen die Fouriertransformation und die Fourier-Plancherel-Transformation uberein.

(b) Fur u ∈ L2(Rd) und jedes R > 0 gilt χBR(0) u ∈ L1(Rd) und

Fu = limR→∞

F(χBR(0) u).

(Hierbei ist auf der rechten Seite die Fouriertransformation und auf der linken Seite dieFourier-Placherel-Transformation gemeint. Der Grenzwert ist in L2(Rd) zu verstehen.)

Beweis. In diesem Beweis bezeichnen wir mit F die Fourier-Plancherel-Transformation. DieFourier-Plancherel-Transformation ist als Fortsetzung der Fouriertransformation definiert, d.h.zu u ∈ L2(Rd) und einer Folge (uk) in Sd mit uk → u in L2(Rd) gilt F(un)→ F(u) in L2(Rd).

(a) Ist u ∈ L1(Rd) ∩ L2(Rd), so gibt es eine Folge (un) in Sd mit

‖un − u‖L1 → 0, ‖un − u‖L2 → 0.

Nach Proposition 4.1.2 folgt daraus, dass F(un) → F(u) gleichmaßig. Insbesondere folgtfur jedes R > 0 ∫

BR(0)

|F(un)−F(u)|2 dξ → 0

Fur die Fourier-Plancherel-Transformation gilt∥∥∥F(un)− F(u)∥∥∥L2

= ‖un − u‖L2 → 0

und daher fur jedes R > 0 ∫BR(0)

∣∣∣F(un)− F(u)∣∣∣2 dξ → 0.

Es folgt F(u) = F(u) fast uberall.

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4.3. TEMPERIERTE DISTRIBUTIONEN

(b) Ist u ∈ L2(Rd), so ist χBR(0) u ∈ L1(Rd), denn es gilt nach der Cauchy-Schwarz-Ungleichung∫Rd

∣∣χBR(0)(x)∣∣ |u(x)|dx ≤

(∫Rd

∣∣χBR(0)(x)∣∣2 dx

)1/2(∫Rd

|u(x)|2 dx)1/2

= CR ‖u‖L2 .

Nach (a) gilt F(χBR(0) u) = F(χBR(0) u) fast uberall. Nach dem Satz von der dominierten

Konvergenz gilt χBR(0) uR→∞−→ u in L2(Rd) und die Stetigkeit der Fourier-Plancherel-

Transformation zeigt F(χBR(0) u)R→∞−→ F(u) in L2(Rd).

Im Folgenden werden wir nicht mehr zwischen der Fouriertransformation und der Fourier-Plancherel-Transformation unterscheiden und das Symbol F fur beides verwenden.

4.3 Temperierte Distributionen

Definition 4.3.1. Ein Funktional T ∈ S ′d nennen wir temperierte Distribution.

WegenD(Rd) ⊂ Sd ist klar S ′d ⊂ D(Rd)′, d.h. temperierte Distributionen sind Distributionen.Genauer formuliert dies der folgende Satz:

Satz 4.3.2. (a) Die identische Einbettung j : D(Rd)→ Sd ist stetig und hat dichtes Bild.

(b) Der Adjungierte j′ : S ′d → D(Rd)′ ist T 7→ T |D(Rd) und ist injektiv.

Beweis. Fur (a) ist nur zu zeigen, dass die Einschrankung von j auf jedesDK stetig ist (vgl. Ubungsaufgabe10). Es reicht also, zu beobachten, dass aus un → 0 in DK auch un → 0 in Sd folgt. Die Konver-genz un → 0 inDK bedeutet die Konvergenz der Halbnormen ‖un‖N = sup|α|≤N supx∈K |Dαun(x)|gegen 0. Da die Menge K beschrankt ist, konvergieren auch die Halbnormen CN (un) gegen Null.Fur die Dichtheit des Bildes sei u ∈ Sd und ψ ∈ D(Rd) mit

ψ(x) = 1, fur |x| ≤ 1, 0 ≤ ψ ≤ 1, und suppψ ⊂ B2(0).

Dann ist uk = uS1/kψ ∈ D(Rd) und es gilt uk → u in Sd (rechne CN (uk − u)→ 0 nach).Fur (b) ist fast nichts zu zeigen. Der adjungierte Operator j′ ist definiert durch (j′T )(φ) =

T (jφ) und es folgt j′T = T |D(Rd). Ware j′ nicht injektiv, so gabe es T 6= S welche deren

Einschrankungen auf D(Rd) nicht gleich sind. Dies widerspricht (a).

Beispiel 4.3.3. (a) Jede Distribution T ∈ D(Rd)′ mit kompaktem Trager ist temperiert:

Es sei K = suppT und ψ ∈ D(Rd) mit ψ ≡ 1 in einer offenen Umgebung von K. Furφ ∈ Sd definieren wir eine Fortsetzung von T auf Sd durch

T (φ) = T (ψφ).

Dieses T ist stetig auf Sd: Gilt φn → 0 in Sd, so gilt Dαφn → 0 gleichmaßig. AlsoDα(ψφn)→ 0 gleichmaßig und daher ψφn → 0 in D(Rd).

(b) Es seien 1 ≤ p <∞, N > 0 und g : Rd → C, so dass∫Rd

∣∣∣(1 + |x|2)−Ng(x)∣∣∣p dx = C <∞.

Dann ist Tg(φ) =∫Rd g(x)φ(x)dx eine temperierte Distribution. Fur p = 1 sieht man das

wie folgt:

|Tg(φ)| ≤∫Rd

∣∣∣(1 + |x|2)−Ng(x)∣∣∣ ∣∣∣(1 + |x|2)Nφ(x)

∣∣∣dx ≤ C sup∣∣∣(1 + |x|2)Nφ(x)

∣∣∣46

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4.3. TEMPERIERTE DISTRIBUTIONEN

Fur den Fall p > 1 sei q der konjugierte Exponent (1/p+ 1/q = 1). Wir wahlen M so groß,dass ∫

Rd

(1 + |x|2)(N−M)qdx = B <∞.

Mit der Holder-Ungleichung folgt

|T (φ)| ≤∫Rd

∣∣∣(1 + |x|2)−Ng(x)∣∣∣ ∣∣∣(1 + |x|2)Nφ(x)

∣∣∣dx≤ C1/p

(∫Rd

(1 + |x|2)(N−M)q∣∣∣(1 + |x|2)Mφ(x)

∣∣∣q dx)1/q

≤ C1/pB1/q supx∈Rd

∣∣∣(1 + |x|2)Mφ(x)∣∣∣ .

(c) Aus dem vorigen folgt, dass jedes g ∈ Lp(Rd) (1 ≤ p ≤ ∞) eine temperierte Distributi-on induziert, ebenso jedes Polynom und jede Funktion deren Betrag durch ein Polynombeschrankt ist.

Das vorige Beispiel erklart den Namen “temperierte Distribution”: Es impliziert eine Be-schrankung des Wachstums bei unendlich. Manchmal spricht man anstelle von temperiertenDistributionen auch von “schwach wachsenden Funktionen”.

Mit temperierten Distributionen kann man alle Sachen machen machen, die man auch mitDistributionen machen kann (beim Multiplizieren muss man sich auf Funktionen beschranken,die durch ein Polynom beschrankt sind). Man kann sie aber auch fouriertransformieren:

Definition 4.3.4. Es sei T ∈ S ′d. Die Fouriertransformierte von T ist definiert durch

T (φ) = T (φ).

Analog ist die inverse Fouriertransformierte von T gegeben durch

T (φ) = T (φ).

Man bemerke, dass obige Definition nicht fur Distributionen T ∈ D(Rd)′ funktioniert, da φfur φ ∈ D(Rd) im allgemeinen keine Testfunktion ist (tatsachlich sogar in keinem Fall. . . ). Wirhalten fest:

Satz 4.3.5. Die Fouriertransformation T 7→ T als Abbildung des Raumes der temperiertenDistributionen in sich ist stetig und bijektiv und wird durch T 7→ T invertiert.

Beweis. Da F : Sd → Sd stetig ist, ist FT = T F ein stetiges Funktional.Die Stetigkeit von F : S ′d → S ′d sieht man wie folgt: Es gelte Tn → T . Dann gilt

Tn(φ) = Tn(φ)→ T (φ) = T (φ).

Zur Inversionsformel:ˇT (φ) = T (φ) = T (φ).

Hier haben wir wiederum das Problem, dass wir konkurrierende Definitionen fur die Fourier-transformation haben: Fur eine L1-Funktion u konnen wir Definition 4.1.1 nehmen, oder sie alsDistribution Tu auffassen und obige Definition nehmen. Es gilt

Tu(φ) = Tu(φ) =

∫uφ =

∫uφ = Tu(φ)

und daher sind beide Definitionen konsistent.Die Ableitungsregeln aus Lemma 4.2.3 gelten analog fur die Fouriertransformation von tem-

perierten Distributionen.

47

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4.3. TEMPERIERTE DISTRIBUTIONEN

Lemma 4.3.6. Es sei T ∈ Sd und α Multiindex. Dann gilt

(a) DαT = i|α|pαT

(b) pαT = i|α|DαT

Beweis. Wir benutzen die Regeln aus Lemma 4.2.3:

(a) DαT (φ) = DαT (φ) = (−1)|α|T (Dαφ) = i|α|T (pαφ) = i|α|T (pαφ) = i|α|(pαT )(φ)

(b) pαT (φ) = pαT (φ) = T (pαφ) = (−i)|α|T (Dαφ) = (−i)|α|T (Dαφ) = i|α|DαT (φ)

Um die Rechenregeln fur Translation, Modulation und Skalierung auf temperierte Distribu-tionen zu ubertragen, mussen wir die Modulation noch erklaren. Da die Abbildung my(x) =exp(ix · y) unendlich oft differenzierbar ist, setzen wir

MyT (φ) = (myT )(φ) = T (myφ) = T (Myφ).

Proposition 4.3.7. Es sei T ∈ Sd, y ∈ Rd und a 6= 0. Dann gelten folgende Gleichungen:

F(TyT ) = My(FT )

F(MyT ) = T−y(FT )

F(SaT ) = |a|−d Sa−1(FT )

F(T ) = S−1(FT ).

Beweis. Wie benutzen Lemma 4.1.5:

MωTyT (φ) = (MωTyT )(φ)

= T (T−yMωφ)

= T (MyTωφ)

= T (MyTωφ)

= T−ωMyT (φ).

Analog zeigt man die anderen Regeln.

Beispiel 4.3.8. (a) δ: Es gilt

δ(φ) = δ(φ) = φ(0) =1

(2π)d/2

∫Rd

φ(x)dx.

Wir konnen daher δ als regulare Distribution auffassen, namlich als

δ = T(2π)−d/2

oder etwas lax

δ(x) ≡ 1

(2π)d/2.

(b) 1: Die direkte Berechnung von T1(φ) via T1(φ) schlagt fehl, da ein Integral auftaucht,welches nicht absolut konvergent ist. Die Anwendung des Satzes von Fubini ist daher nichterlaubt. Unter Benutzung des vorigen Beispiel berechnen wir:

1(φ) = (2π)d/2δ(φ) = (2π)d/2δ(

φ) = (2π)d/2δ(S−1φ) = (2π)d/2φ(0).

Daher gilt1 = (2π)d/2δ.

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4.3. TEMPERIERTE DISTRIBUTIONEN

(c) sin: Wir betrachten den Fall sin : R → C, d.h. d = 1. Auch hier klappt die direkteBerechnung nicht. Wir bemerken My1(x) = exp(ixy) und

sin =1

2i(M11−M−11).

Wir benutzen das zweite Beispiel und die Rechenregeln:

sin =1

2i(M11− M−11) ==

1

2i(T−11−T11)

= −i

√π

2(δ1 − δ−1)

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Kapitel 5

Anwendungen

5.1 Funktionenraume

Im Allgemeinen sind Funktionenraume Vektorraume von (verallgemeinerten) Funktionen; ihreassoziierten Normen und Topologien sind Werkzeuge, um bestimmte Eigenschaften von Funktio-nen zu quantifizieren. Einige Beispiele von Funktionenraumen kennen wir bereits:

D(Ω) Testfunktionen vollst. lokal konvexer Raum (Def. 3.2.1)Sd schnell-fallende Funktionen Frechet-Raum (Def. 4.2.1)C∞(Ω) glatte Funktionen Frechet-Raum (Def. 2.3.3)L1(Ω) integrierbare Funktionen Banach-Raum (siehe Anfang Kapitel 4)L2(Ω) quadratintegrierbare Funktionen Hilbert-Raum (siehe Anfang Kapitel 4)L∞(Ω) = L1(Ω)′ wesentlich beschrankte Funktionen Banach-Raum (siehe Anfang Kapitel 4)S ′d temperierte Distributionen vollst. lokal konvexer Raum (Def. 4.3.1)D(Ω)′ Distributionen vollst. lokal konvexer Raum (Def. 3.3.1)

Im Folgenden werden wir diese Liste um weitere Raume erweitern. Insbesondere werdern wiruns auf Banach- und Hilbert-Raume konzentrieren. Wir diskutieren vorerst einige Eigenschaftenvon Funktionen informell an Hand von Beispielen.

“Hohe” und “Breite”: Es sei A ∈ C und E ⊂ Rd messbar und |E| bezeichne das Maß (indiesem Fall Lebesgue-Maß) von E. Die Funktion f : Rd → C definiert durch f = AχEhat eine “Hohe” (oder auch Amplitude) |A| und eine “Breite” |E|. Beides lasst sich in derLp-Norm messen; es gilt namlich

‖f‖Lp =(∫

Rd

|AχE |p)1/p

= |A| |E|1/p .

Die Lp-Normen kodieren also Information uber “Hohe” und “Breite” in verschiedenenSkalierungen.

“Frequenzskala”: Es sei φ ∈ D(R) welche in der Nahe des Ursprungs 1 ist und N > 0. Dann istf(x) = φ(x) sin(Nx) eine Funktion die mit einer “Wellenlange” 1/N oszilliert oder andersgesagt: Eine Funktion mit “Frequenz-Skala” um die N . Zwar ist f fur jedes N glatt, furN → ∞ verliert sie die Glattheit: Die Ableitung f ′(x) = φ′(x) sin(Nx) + Nφ(x) cos(Nx)wachst linear mit N ; die hoheren Ableitungen wachsen mit entsprechd hoherer Rate. Wirbemerken, dass die “Hohe” und die “Breite” von f gleichmaßig in N beschrankt sind, sodass die “Frequenzskala” unabhangig von “Hohe” und “Breite” sind.

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5.1. FUNKTIONENRAUME

“Regularitat”: Als Fortsetzung des folgenden Punktes betrachten wir g(x) = N−sφ(x) sin(Nx)mit s > 0. Auch diese Funktion hat “Frequenzskala” N , doch (auch fur N → ∞) einegewisse Regularitat: In der Tat sind die k-ten Ableitungen von g fur N → ∞ beschrankt,so lange k ≤ s gilt. Man kann g also als eine Funktion ansehen, die “im Grenzwert N →∞eine “Regularitat” s hat”. Die Lp-Norm liefert keine Information uber “Frequenzskala”oder “Regularitat”.

Obwohl “Frequenzskala” und “Regularitat” ahnlich sind, sind die doch in gewissem Sinne ver-schieden. Wir betrachten die Funktion h(x) = φ(x) |x|s χ[0,∞[(x). Diese Funktion hat “Regula-ritat” s in dem Sinne, dass man sie s-mal ableiten kann, bevor sie unbeschrankt wird. Setzen wirψ(x) = (φ(x)− φ(2x))χ[0,∞[(x), so konnen wir h wie folgt dyadisch zerlegen:

h(x) =

∞∑n=0

ψ(2nx) |x|s .

Jeder der Beitrage ψ(2nx) hat eine “Frequenzskala” von 2n, was zeigt, dass die Funktion g einen“Frequenzbereich” von 1 bis ∞ abdeckt.

Funktionenraume, die neben “Hohe” und “Breite” auch die “Regularitat” (gemischt mit der“Frequenzskala”) berucksichtigen, sind die Sobolev-Raume1.

Bemerkung 5.1.1. Auch die Raume Ck(Ω) berucksichtigen die Regularitat von Funktionen.Nimmt man die Forderung der Beschranktheit hinzu, so konnen diese Raume zu Banach-Raumengemacht werden. Fur einige Anwendungen sind diese Raume jedoch nicht geeignet, insbesonderesind sie nicht relexiv (d.h. der Bidualraum ist nicht zum Raum selbst Isomorph). Sobolev-Raumebenutzen die schwache Ableitung und es lassen sich unter ihnen sowohl reflexive Banach-Raumeals auch Hilbert-Raume finden.

5.1.1 Sobolev-Raume

Wir formulieren noch einmal das Konzept der schwachen Ableitung: Eine Funktion g ist ie α-teschwache Ableitung einer Funktion f ∈ Lp(Ω) falls fur alle Testfunktionen φ ∈ D(Ω) gilt∫

Ω

g(x)φ(x)dx = (−1)|α|∫

Ω

f(x)Dαφ(x)dx.

Nach dem Fundamentalsatz der Variationsrechnung ist g eindeutrig bestimmt (wenn es existiert)und wir bezeichnen es ebenfalls mit Dαf .

Definition 5.1.2 (Sobolev-Raum Wm,p(Ω)). Es sei 1 ≤ p ≤ ∞ und m ∈ N. Dann ist

Wm,p(Ω) = u ∈ Lp(Ω) | Dαu ∈ Lp(Ω), 0 ≤ |α| ≤ m

der Sobolev-Raum der Ordnung m, p. Auf ihm ist folgende Norm definiert

‖u‖Wm,p =

∑|α|≤m

‖Dαu‖pLp

1/p

.

Der Index m misst die (schwache) Glattheit, wahrend der Index p die Integrierbarkeit misst.Naturlich gilt

W 0,p(Ω) = Lp(Ω).

1Sergei Lwowitsch Sobolew (wiss. Transliteration Sergej L. Sobolev); * 6. Oktober 1908 in Sankt Petersburg;† 3. Januar 1989 in Moskau.

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5.1. FUNKTIONENRAUME

Bemerkung 5.1.3 (Aquivalente Normen auf Wm,p(Ω)). Da alle Normen auf den Raumen Rn

aquivalent sind, sind folgende Ausdrucke aquivalente Normen auf Wm,p(Ω):

‖u‖Wm,p =∑|α|≤m

‖Dαu‖Lp

‖u‖Wm,p = max|α|≤m

‖Dαu‖Lp .

Beispiel 5.1.4 (Ohne schwache Ableitung keine Sobolev-Raume). Um Sobolev-Raume zu de-finieren benotigt man tatsachlich schwache Abeitungen; man kann sie nicht durch klassischeAbleitungen ersetzten: Die Funktion x 7→ |sin(x)| in beschankt und hat eine schwache Ableitungx 7→ cos(x) sign(sin(x)) welche ebenfalls beschrankt ist. Sie ist daher in W 1,∞(R) aber nichtklassisch differenzierbar.

Andererseits gibt es die Cantor-Funktion (auch “Teufelstreppe”/“Devil’s Staircase” genannt).Wir konstruieren sie induktiv: Es sei f0(x) = x und

fn+1(x) =

12fn(3x), 0 ≤ x ≤ 1

312 ,

13 ≤ x ≤

23

12 + 1

2fn(3x− 2), 23 ≤ x ≤ 1.

Diese Funktionenfolge konvergiert punktweise (sogar gleichmaßig) gegen die Cantor-Funktionc : [0, 1]→ [0, 1], insbesondere ist c stetig. Die Cantor-Funktion ist fast uberall (namlich uberallaußer auf der evtl. bekannten Cantor-Menge) klassisch differenzierbar mit Ableitung Null. Dieschwache Ableitung von c ist hingehen nicht Null, sondern ein sogenanntes Cantor-Maß unddamit in keinem Lp([0, 1]). Die Cantor-Funktion ist also nicht in W 1,∞(Ω).

Aus der Tatsache, dass die Lp-Raume Banach-Raume sind, lasst sich ableiten, dass auch dieWm,p-Raume Banach-Raume sind:

Satz 5.1.5. Die Raume Wm,p(Ω) sind Banach-Raume.

Beweis. Es sei (un) eine Cauchy-Folge in Wm,p(Ω). Dann sind die (Dαun) Cauchy-Folgen inLp(Ω) fur |α| ≤ m. Da Lp(Ω) ein Banach-Raum ist, existieren uα ∈ Lp(Ω), so dass Dαun → uαin Lp(Ω) inbesondere gibt es u ∈ Lp(Ω) mit un → u. Es bleibt zu zeigen , dass Dαu = uα.

Es gibt Lp(Ω) ⊂ L1loc(Ω) und daher ist Tun eine regulare Distribution. Fur jedes φ ∈ D(Ω)

gilt nach der Holder-Ungleichung mit p′ = p/(p − 1) (und entsprechender Anpassung fur p = 1und p =∞)

|Tun(φ)− Tu(φ)| ≤∫|un(x)− u(x)| |φ(x)|dx ≤ ‖φ‖Lp′ ‖un − u‖Lp

Es folgt Tun(φ)→ Tu(φ) und analog TDαun(φ)→ Tuα(φ). Also gilt fur alle φ ∈ D(Ω)

Tuα(φ) = limn→∞

TDαun(φ) = limn→∞

(−1)|α|Tun(Dαφ) = (−1)|α|Tu(Dαφ).

Das heißt, es gilt uα = Dαu im Distributionensinne und daher u ∈ Wm,p(Ω). Da offensichtlich‖un − u‖Wm,p → 0 gilt, ist Wm,p(Ω) vollstandig.

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5.1. FUNKTIONENRAUME

In den Raumen Wm,2(Ω) ist die Norm durch das Skalarprodukt

〈u, v〉Wm,2 =∑|α|≤m

〈Dαu,Dαv〉L2

induziert. Insbesondere sind diese Raume Hilbert-Raume. Da die Funktionen aus Wm,2(Rd) ins-besondere auch L2-Funktionen sind, konnen wir sie fouriertransformieren, siehe Abschnitt 5.1.3.

Ein anderes Konzept, um Banach-Raume zu konstruieren, die sowohl die Glattheit als auch dieIntegrierbarkeit von Funktionen berucksichtigen, fuhrt uber das Konzept der Vervollstandigung:

Definition 5.1.6 (Sobolev-Raum Hm,p(Ω)). Es sei 1 ≤ p ≤ ∞ und m ∈ N. Wir bezeichnendie Menge der m-mal stetig differenzierbaren Funktionen der jeweiligen Ableitungen in Lp(Ω)liegen mit Cm,p(Ω). Dann ist der Sobolev-Raum Hm,p(Ω) definiert als der Abschluss von Cm,p(Ω)bezuglich der Norm ‖ · ‖Wm,p .

Die Konstruktion der RaumeHm,p(Ω) ist einfacher als die derWm,p(Ω), insbesondere benotigtman keinen Begriff der schwachen Ableitung. Da es sich bei den Hm,p(Ω) um eine abstrakte Ver-vollstandigung handelt, sind ihre Elemente vorerst Aquivalenzklassen von Cauchy-Folgen und esist nicht klar, ob sich der Raum Hm,p(Ω) mit einem Vektorraum von (ggf. verallgemeinerten)Funktionen identifizieren lasst.

Da Wm,p(Ω) ein Banachraum ist und wir Hm,p(Ω) aquivalent als Abschluss der MengeCm(Ω) ∩Wm,p(Ω) definieren konnten, gilt die einfache Proposition:

Proposition 5.1.7. Fur 1 ≤ p ≤ ∞, m ∈ N und Ω ⊂ Rd offen gilt

Hm,p(Ω) ⊂Wm,p(Ω).

In der Tat gilt sogar fur jedes offene Ω, dass Hm,p(Ω) = Wm,p(Ω). Wir zeigen nicht diesesallgemeine Resultat, sondern begnugen uns mit Spezialfallen. Wir beginnen mit dem Satz, dassder Raum D(Ω) in den Lp(Ω) (p <∞) dicht liegt.

Lemma 5.1.8. Es sei Ω ⊂ Rd und 1 ≤ p <∞. Dann liegt der Raum D(Ω) dicht in Lp(Ω).

Beweisskizze. Der Beweis benutzt einige Approximationsresultate, die wir voraussetzen (undteilweise schon einmal benutzt haben):

• Zu η > 0 und u ∈ Lp(Ω) existiert f ∈ C00(Ω) mit ‖u− f‖Lp ≤ η.

• Ist (φk) eine Approximation der Eins mit suppφ ⊂ B1(0) und f ∈ C(Ω), so konvergiertφk ∗ f auf jeder kompakten Teilmenge von Ω gleichmaßig gegen f .

• Es gilt nach der Young’schen Ungleichung fur φ ≥ 0 mit∫Rφ(x)dx = 1, dass ‖φ ∗ u‖Lp ≤

‖u‖Lp .

Zu ε > 0 und u ∈ Lp(Ω) wahlen wir f ∈ C00(Ω), so dass ‖u− f‖Lp < ε/3. Mit der Dreicksunglei-

chung folgt

‖φk ∗ u− u‖Lp ≤ ‖φk ∗ u− φk ∗ f‖Lp + ‖φk ∗ f − f‖Lp + ‖f − u‖Lp ≤2ε

3+ ‖φk ∗ f − f‖Lp

und da fur k groß genug ‖φk ∗ f − f‖Lp < ε/3 ist, folgt die Behauptung.

Dies Lemma zeigt H0,p(Ω) = Lp(Ω).Die Dichtheit von glatten Funktionen in den Raumen Wm,p(Ω) ist ein klein wenig kompli-

zierter. Kurz zusammengefasst: Fur jedes offene Gebiet Ω liegen die C∞(Ω)-Funktionen dicht inWm,p(Ω). Mochte man Dichtheit der Testfunktionen D(Ω), so muss der Rand von Ω “nicht zurauh” sein. So liegen die Testfunktionen in dem Raumen Wm,p(Rd) dicht. Diese Aussage wirdes uns außerdem erlauben, in vielen Fallen mit klassischen anstelle von schwache Ableitungen zuargumentieren, wenn es um die Raume Wm,p(Rd) geht:

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5.1. FUNKTIONENRAUME

Satz 5.1.9. Es sei 1 ≤ p <∞ und m ≥ 0. Dann ist der Raum D(Rd) dicht in Wm,p(Rd).

Beweis. Wir zeigen zuerst, dass die Funktionen in C∞(Rd) ∩ Wm,p(Rd) dicht liegen: Es seiu ∈ Wm,p(Rd) und φk eine Approxmation der Eins. Da insbesondere u ∈ Lp(Rd) gilt, folgtu ∗ φk → u in Lp(Rd) und ebenso konvergiert (Dαu) ∗ φk = Dα(u ∗ φk) fur |α| ≤ m gegen Dαuin Lp(Rd). Also u ∗ φk → u in Wm,p(Rd).

Nun zeigen wir, dass der Raum D(Rd) in C∞(Rd)∩Wm,p(Rd) dicht liegt (womit der Beweisfertig ware). Es sei also u ∈ C∞(Rd) ∩Wm,p(Rd), d.h. insbesondere sind die klassischen Ablei-tungen Dαu bis zur Ordnung m in Lp(Rd). Es sei nun η ∈ D(Rd) mit η ≡ 1 in einer Umgebungder Null. Wir betrachten zu R > 0 die Funktionen uR(x) = u(x)η(x/R). Es gilt uR ∈ D(Rd)und nach dem Satz von der dominierten Konvergenz auch uR → u in Lp(Rd). Fur die erstenAbleitungen (d.h. |α| = 1) gilt

(DαuR)(x) = (Dαu)(x)η(x/R) + 1Ru(x)(Dαη)(x/R).

Der erste Summand geht (wieder nach dominierten Konvergenz) gegen Dαu in Lp(Rd), wobeider zweite sogar gegen Null geht. Also gilt fur |α| = 1, dass DαuR → Dαu in Lp(Rd). Analogsieht man die Konvergenz fur |α| ≤ m und wir schließen uR → u in Wm,p(Ω).

Korollar 5.1.10. Fur 1 ≤ p <∞ und m ∈ N gilt

Hm,p(Rd) = Wm,p(Rd).

Beweis. Da D(Rd) ⊂ Cm,p(Rd) gilt, ist der Abschluss von D(Rd) bezuglich der Norm ‖ · ‖Wm,p

eine Teilmenge von Hm,p(Rd). Nach Proposition 5.1.7 gilt also

D(Rd)‖ · ‖[Wm,p ⊂ Hm,p(Rd) ⊂Wm,p(Rd).

Nach Satz 5.1.9 gilt D(Rd)‖ · ‖[Wm,p

= Wm,p(Rd) und damit die Behauptung.

Es gilt auch das allgemeine Resultat:

Satz 5.1.11 (Meyers-Serrin). Fur 1 ≤ p <∞, m ∈ N und Ω ⊂ Rd offen gilt

Hm,p(Ω) = Wm,p(Ω).

Der Beweis geht ahnlich zu Korollar 5.1.10, allerdings zeigt man hier, dass der Raum C∞(Ω)∪Wm,p(Ω) in Wm,p(Ω) dicht liegt (fur den Raum der Testfunktionen gilt dies nicht, da sie amRand von Ω schon Null sind und man daher nicht alle Wm,p-Funktionen approximiert bekommt).Da hier auf offenen Mengen gearbeitet werden muss, muss man bei der Benutzung von Faltungenund Approximationen der Eins etwas mehr aufpassen. Der Beweis findet sich zum Beispiel in“Angewandte Funktionalanalysis”, Manfred Dobrowolski, Springer 2006 (Satz 5.16). Das Ergeb-nis geht auf die Originalarbeit “Norman G. Meyers, und James Serrin, H = W . Proceedings ofthe National Academy of Sciences of the United States of America, 51, 1964, 1055–1056.” zuruck,die sowohl wegen ihrer Kurze (zwei Seiten) und ihres kurzen Titels bemerkenswert ist.

Bemerkung 5.1.12. • Da wir die konkurrierenden Definitionen fur Sobolev-Raume als gleicherkannt haben, benutzen wir ab hier nur noch die Schreibweise Wm,p(Ω).

• Die Dichtheit des Raumes der Testfunktionen in Wm,p(Ω) ist an geometrische Bedingungenan den Rand von Ω geknupft. Auf diese Details gehen wir an dieser Stelle nicht ein, siehedazu wiederum “Angewandte Funktionalanalysis”, Manfred Dobrowolski.

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5.1. FUNKTIONENRAUME

5.1.2 Fortsetzungen und Einbettungen

Wir beginnen nun mit den strukturellen Untersuchungen von Sobolev-Raumen. Zentrale Fragensind dabei:

Fortsetzbarkeit: Lasst sich eine Sobolev-Funktion u uber Rand des Gebieten Ω hinaus auf einegroßere Menge fortsetzen, so dass eine gewisse Regularitat erhalten bleibt?

Einbettungen: Sind Funktionen eines Sobolev-Raumes Wm,p(Ω) automatisch in einem andereWm′,p′(Ω) enthalten?

Der Abschluss der Testfunktionen bezuglich der Wm,p-Norm bekommt ein eigenes Symbol:

Definition 5.1.13. Es sei Ω ⊂ Rd offen, m ∈ N und 1 ≤ p <∞. Dann ist

Wm,p0 (Ω) = D(Ω)

‖ · ‖Wm,p

.

Wegen D(Ω) ⊂ C∞(Ω) giltWm,p

0 (Ω) ⊂Wm,p(Ω).

Die Testfunktionen D(Ω) konnen wir durch Null auf großere Mengen Ω1 ⊃ Ω fortsetzen und esgilt damit D(Ω) ⊂ D(Ω1). Dies ubertragt sich auf die Raume Wm,p

0 (Ω):

Wm,p0 (Ω) ⊂Wm,p

0 (Ω1).

Die Frage, ob sich eine Funktion in Wm,p(Ω) zu einer Funktion in Wm,p(Ω1) fortsetzen lasst istnicht so einfach zu beantworten. Es wird sich herausstellen, dass dies an eine Regularitatsforderungan den Rand ∂Ω geknupft ist. Wir beginnen mit einer einfachen Situation:

Satz 5.1.14 (Fortsetzung von Sobolev-Funktionen von einem Halbraum). Es sei Ω = x ∈Rd | xd > 0, m ∈ N und 1 ≤ p < ∞. Dann gibt es einen linearen und stetigen Fortsetzungs-operator E : Wm,p(Ω)→Wm,p(Rd), d.h. es gilt

(a) Eu|Ω = u

(b) ‖Eu‖Wm,p(Rd) ≤ C ‖u‖Wm,p(Ω).

Beweis. Wir betrachten zuerst Funktionen u, die auf Ω unendlich oft differenzierbar sind. Wirbezeichnen mit λ1, . . . , λk+1 die Losungen des linearen Gleichungssystems

m+1∑j=1

(−j)lλj = 1, l = 0, 1, . . . ,m.

(Diese existieren; die zugehorige Matrix hat die Gestalt einer Vandermonde-Matrix, siehe z.B.“Numerische Mathematik I: eine algorithmisch orientierte Einfuhrung” Deuflhard und Hoh-mann.)

Wir definieren den Fortsetzungoperator E explizit:

Eu(x) =

u(x), xd ≥ 0∑m+1j=1 λju(x1, . . . , xd−1,−jxd), xd ≤ 0

.

Man rechnet nun nach, dass Eu in xd = 0 in Richtung xd bis zu m-mal differenzierbar ist: Furjeden Multiindex α setzen wir

Eαu(x) =

u(x), xd ≥ 0∑k+1j=1 (−j)αdλju(x1, . . . , xd−1,−jxd), xd ≤ 0

.

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5.1. FUNKTIONENRAUME

Fur |α| ≤ m gilt DαEu = EαDαu und in xd = 0 gilt (nach Konstruktion der λi)

DαEu(x1, . . . , xd−1, 0) = EαDαu(x1, . . . , xd−1, 0)

=

k+1∑j=1

(−j)αdλjDαu(x1, . . . , xd−1, 0) = Dαu(x1, . . . , xd−1, 0).

Das heißt, die Regularitat von Eu ist hoch genug. Die Stetigkeit der Fortsetzung ergibt sichdurch grobe Abschatzung:

‖DαEu‖Lp(Rd) ≤ C ‖Dαu‖Lp(Ω) .

Diese Fortsetzung von einem Halbraum aus kann man benutzen, um uber allgemeinere Randerhinaus fortzusetzen, wenn der Rand nur glatt genug ist. Wir geben hier nicht alle Details, sonderngeben den Satz und die Beweisidee an. Zuerst benotigen wir die Definition des Lipschitz-Gebietes,oder allgemeiner, eines Cm,α Gebietes und dazu die Definition eines Cα,m-Diffeomorphismus. EinAbbildung g : Ω→ Cn ist eine Cm,α-Abbildung, falls fur alle Multiindizes mit |α| = m gilt

supx 6=y

|Dαg(x)−Dαg(y)||x− y|α

<∞.

Beispiel 5.1.15. Eine C0,1-Abbildung g ist Lipschitz-stetig: die Große

supx6=y

|g(x)− g(y)||x− y|

<∞.

ist die Lipschitz-Konstante.

Definition 5.1.16. Es seien Ω und Ω′ offene und zusammenhangende Teilmengen des Rd,m ∈ N, 0 ≤ α ≤ 1. Eine Abbildung g : Ω → Ω′ heißt Cα,m-Diffeomorphismus, falls g bijektivist, g und g−1 Cα,m-Abbildungen sind und die Funktionaldeterminante von g nirgends Null ist.

Definition 5.1.17. Es sei m ∈ N und 0 ≤ α ≤ 1. Eine offene Menge Ω ⊂ Rd hat einen Rand∂Ω der Klasse Cm,α, falls:

(a) es offene Mengen Uj , j = 1, . . . , J gibt, mit⋃Uj ⊃ ∂Ω,

(b) und es auf jedem Uj ein Abbildung gj : Uj → B1(0) gibt, so dass

gj(Uj ∩ Ω) = B1(0) ∩ xd > 0,gj(Uj ∩ ∂Ω) = B1(0) ∩ xd = 0,dgj(Uj ∩ Ω) = B1(0) ∩ xd < 0

und jedes gj ein Cm,α-Diffeomorphismus ist.

Ist der Rand ∂Ω von der Klasse C0,1, so sagt man auch, Ω hat Lipschitzrand und nennt Ω einLipschitzgebiet.

Geometrisch sieht dir Situation ungefahr so aus:

Uj

Ω

gj

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5.1. FUNKTIONENRAUME

Mit Hilfe der Abbildungen gj kann der Rand “lokal gerade gezogen werden”. Man beachte, dasLipschitzgebiete Knicke in den Rander haben durfen, jedoch keine beliebig spitzen Auswuchse(Cusps). Das allgemeine Fortsetzungsresultat lautet:

Satz 5.1.18 (Fortsetzung uber Cm−1,1-Rander). Es sei m ∈ N und Ω habe Cm−1,1-Rand. Danngibt es zu jedem Ω1 ⊃ Ω einen stetigen und linearen Fortsetzungsoperator E : Wm,p(Ω) →Wm,p

0 (Ω1).

Beweisidee: Man benutzt die offene Uberdeckung Uj und zieht den Rand lokal mit den Abbil-dung gj gerade. Auf jedem dieser Stucke macht man eine Fortsetzung wie in Satz 5.1.14. Dieselassen sich wiederum lokalisieren und mit den Abbildungen gj zuruckziehen. Es lasst sich zeigen,dass dieses die geforderte Regularitat erhalt. Die Details lassen sich in “Angewandte Funktional-analysis” von Manfred Dobrowolski (Satz 6.11) nachlesen.

Zwischen den Raumen Wm,p(Ω) mit 1 ≤ p ≤ ∞ und m ∈ N untereinander bestehen zahlrei-che Einbettungen. Die Einbettung von normierten Raumen ist wie folgt definiert:

Definition 5.1.19. Wir sagen, ein Raum X ist stetig in Y eingebettet, geschrieben X → Y ,falls

• X ⊂ Y (bzw. X kann mit einer Teilmenge von Y identifiziert werden)

• die identische Abbildung i : X → Y ist stetig.

Mit anderen Worten:

X → Y ⇐⇒ ∃C > 0 ∀x ∈ X : ‖x‖Y ≤ C ‖x‖X .

Offensichtlich gilt Wm+1,p(Ω) →Wm,p(Ω). Weiterhin gelten auf beschrankten Gebieten Ω ⊂Rd Einbettungen zwischen den Lp(Ω)-Raumen welche entsprechend fur die Wm,p(Ω) gelten:

Proposition 5.1.20. Es sei Ω ⊂ Rd beschrankt und q > p ≥ 1. Dann gilt Lq(Ω) → Lp(Ω).

Beweis. Wir setzen r = q/p > 1 und benutzen die Holder-Ungleichung mit den Exponenten rund r′ = r/(r − 1) = q/(q − p):

‖u‖pLp =

∫Ω

1 |u(x)|p dx

≤(∫

Ω

1r′dx)1/r′(∫

Ω

|u(x)|rp dx)1/r

= C ‖u‖pLq .

Korollar 5.1.21. Es sei Ω beschrankt, m ∈ N und q > p ≥ 1. Dann gilt Wm,q(Ω) →Wm,p(Ω).

Beweis. Wir betrachten eine der aquivalenten Normen aus Bemerkung 5.1.3. Nach Proposti-on 5.1.20 gibt es C > 0, so dass

‖u‖Wm,p =∑|α|≤m

‖Dαu‖Lp ≤ C∑|α|≤m

‖Dαu‖Lq = C ‖u‖Wm,q .

Die bisherigen Einbettungsergebnisse fur Sobolev-Raume

Wm+1,p(Ω) →Wm,p(Ω), m ∈ N, 1 ≤ p ≤ ∞Wm,q(Ω) →Wm,p(Ω), m ∈ N, q > p ≥ 1, Ω beschrankt

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5.1. FUNKTIONENRAUME

behandeln nur Einbettungen, bei denen je ein Index gleich bleibt, d.h. es wird entweder dieGlattheit erhoht, oder die Integrabilitatsforderung verscharft. In der Tat lasst sich aber auch eineetwas Glattheit gegen Integrierbarkeit eintauschen: Ein Funktion mit hoher “Sobolev-Glattheit”hat automatische ein gewisse Integrierbarkeit. Es ist also moglich, sich durch eine geringereGlattheit eine hohere Integrierbarkeit zu erkaufen. Dazu betrachten wir ein einfaches einleitendesBeispiel. Durch “verkaufen” einer Glattheitsstufe konnen wir die Integrierbarkeit von p = 1 aufp =∞ erhohen:

Beispiel 5.1.22 (W 1,1(R) → L∞(R) = W 0,∞(R)). Wir zeigen, dass fur Testfunktionen u ∈D(R) gilt

‖u‖L∞ ≤ C ‖u‖W 1,1 .

Nach Satz 5.1.9 folgt daraus durch Grenzwertbildung die Behauptung. (Beachte, dass jederGrenzwert in der L∞- oder der W 1,1-Topologie auch ein Grenzwert im Distributionensinne undaußerdem eindeutig ist. Außerdem sind distributionelle Grenzwerte von beschrankten L∞-Folgenwieder L∞-Funktionen: Da D(R) in L1(R) dicht liegt, gilt ‖u‖L∞ = supφ∈D(R) |Tu(φ)| / ‖φ‖L1 .Gilt nun ‖un‖L∞ ≤ C, so folgt Tun(φ) ≤ C fur alle φ ∈ D(R) und daher Tu(φ) < C fur alleφ ∈ D(R); also ‖u‖L∞ ≤ C.) Nach dem Hauptsatz der Integralrechnung gilt

|u(x)− u(0)| =∣∣∣∣∫ x

0

u′(t)dt

∣∣∣∣ ≤ ‖u′‖L1 ≤ ‖u‖W 1,1 .

Insbesondere folgt mit |u(x)| ≤ |u(x)− u(0)|+ |u(0)|

‖u‖L∞ ≤ |u(0)|+ ‖u‖W 1,1

und schließlich sehen wir durch Wahl von x groß genug noch (bemerke den kompakten Tragervon u)

|u(0)| ≤ ‖u‖W 1,1

woraus die Behauptung mit C = 2 folgt.Eine analoge Argumentation gilt auch auf beschrankten Gebieten in R, d.h. auf Intervallen.

Hier sind die Lp-Raume ineinander eingebettet und es gilt also nach Korollar 5.1.21:

Ω ⊂ R und 1 ≤ p ≤ ∞: W 1,p(Ω) → L∞(Ω)

Einbettungen sind von der Dimension der zu Grunde liegende Menge abhangig, wie folgendesBeispiel zeigt:

Beispiel 5.1.23 (Ω ⊂ R2: W 1,2(Ω) 6→ L∞(Ω)). Wir betrachten Ω = Be−1(0) ⊂ R2 und gebeneine unbeschrankte Funktion an, die trotzdem in W 1,2(Ω) liegt, namlich

u(x) = log(|log(|x|)|).

Fur x → 0 gilt log(|x|) → −∞ und daher u(x) → ∞. Dass u jedoch trotzdem in W 1,2(Ω) liegt,folgt aus folgender Rechnung:∫

Ω

|∇u|2 dx = 2π

∫ e−1

0

|∂r log |log(|r|)||2 rdr = 2π

∫ e−1

0

|log r|−2r−1dr = 2π |log r|−1 |e

−1

0 = 2π.

(Hier haben wir nicht alle notigen Integrale untersucht, die fehlenden (gemischte Ableitung unddie Funktion selber) existieren auch.)

Um den Allgemeinen Einbettungssatz zu zeigen, arbeiten wir uns langsam vor. Wir beginnenmit der Einbettung der W 1,1

0 (Ω) in Lq(Ω):

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5.1. FUNKTIONENRAUME

Satz 5.1.24 (W 1,10 (Ω) → Lq(Ω)). Es sei Ω ⊂ Rd eine beschrankte Menge. Dann gilt

W 1,10 (Ω) → Ld/(d−1)(Ω).

Beweis. Den Fall d = 1 haben wir schon in Beispiel 5.1.22 gezeigt. Wir benutzen einen ahnlichenAnsatz, benotigen aber kompliziertere Abschatzungen. Im Fall d > 1 ist ebenso zu zeigen

‖u‖Ld/(d−1) ≤ C ‖∇u‖L1 .

Nach dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung gilt (wie in Beispiel 5.1.22):

|u(x)| ≤∫ x1

−∞|∂x1

u(ξ1, x2, . . . , xd)|dξ1 ≤∫R

|∇u(ξ1, x2, . . . xd)|dξ1 = v1(x2, . . . , xd).

Mit entsprechender Bezeichnung folgt analog

|u(x)| ≤ vi(x1, . . . , xi−1, xi+1, . . . , xd)

und daraus

|u(x)|d ≤d∏i=1

vi(x1, . . . , xi−1, xi+1, . . . , xd).

Aus dieser Ungleichung ziehen wir die d− 1-te Wurzel und erhalten schließlich

|u(x)|d/(d−1) ≤d∏i=1

vi(x1, . . . , xi−1, xi+1, . . . , xd)1/(d−1). (*)

Nun benotigen wir als Hilfsmittel das folgende Lemma:

Lemma 5.1.25 (Loomis-Whitney-Ungleichung). Es sei d ≥ 2, und f1, . . . , fd ∈Ld−1(Rd−1). Dann gilt fur die Funktion

F (x1, . . . , xd) =

d∏i=1

fi(x1, . . . , xi−1, xi+1, . . . , xd)

die Ungleichung

‖F‖L1(Rd) ≤d∏i=1

‖fi‖Ld−1(Rd−1) .2

Beweis. Der Beweis ist von der Notation und der Technik her aufwandig. Eine glei-che Beweisfuhrung findet sich im Buch “Inequalities: a journey into linear analysis”von D. J. H. Garling, Theorem 5.7.1. Wer hier die Ubersicht verliert, kann es dortversuchen.

2In der Vorlesung hatte ich unnutzer Weise folgende Ungleichung gezeigt:

‖F‖Lp/(d−1)(Rd) ≤d∏i=1

‖fi‖Lp(Rd−1) .

Diese folgt aus der benotigten Aussage durch Einsetzen von |F |p/(d−1) und entsprechend |fi|p/(d−1), denn esgilt: ∥∥∥|F |p/(d−1)

∥∥∥L1(Rd)

= ‖F‖p/(d−1)

Lp/(d−1)(Rd)und

∥∥∥|fi|p/(d−1)∥∥∥Ld−1(Rd−1)

= ‖fj‖p/(d−1)

Lp(Rd−1).

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5.1. FUNKTIONENRAUME

Der Beweis ist eine Induktion nach d. Fur d = 2 ist die Sache einfach: Hier istF (x1, x2) = f1(x2)f2(x1) und nach dem Satz von Fubini∫

R2

|F (x1, x2)|dx =

∫R

∫R

|f1(x2)| |f2(x1)|dx1dx2

=

∫R

|f1(x2)|dx2

∫R

|f2(x1)|dx1.

Die großte Herausforderung fur den Induktionsschritt ist die Notation und die Ubersichtzu behalten, welche Funktion noch von welchen Variablen abhangt. Nehmen wir nunan, die Behauptung ist fur d − 1 gezeigt. Wir nehmen die Holder-Ungleichung mitden Exponenten d− 1 und (d− 2)/(d− 1) und beginnen mit

∫Rd−1

|F ( · , x2, . . . , xd)|dx2 · · · dxd =

∫Rd−1

|f1(x2, . . . , xd)|d∏j=2

|fj(. . . )|dx2 · · · dxd

≤(∫

Rd−1

|f1(. . . )|d−1dx2 · · · dxd

)1/(d−1)

︸ ︷︷ ︸‖f1‖Ld−1(Rd−1)

(∫Rd−1

d∏j=2

|fj(. . . )|(d−1)/(d−2)dx2 · · · dxd

)(d−2)/(d−1)

Fur das zweite Integral wenden wir die Induktionsannahme an (beachte: Die Variablex1 ist in allen Ausdrucken noch frei!), d.h. wir betrachten die Funktion

|F ( · , x2, . . . , xd)|(d−1)/(d−2)=

d∏j=2

|fj(. . . )|(d−1)/(d−2)

Nach Induktionsannahme:

(∫Rd−1

d∏j=2

|fj(. . . )|(d−1)/(d−2)dx2 · · · dxd

)d−2/(d−1)

≤( d∏j=2

∫Rd−2

|fi(. . . )|d−1dx2 · · · dxj−1dxj+1 · · · dxd

)1/(d−1)

.

Schließlich fuhren wir die Integration uber die Variable x1 aus:∫Rd

F (x1, . . . , xd)dx =

‖f1‖Ld−1(Rd−1)

∫R

( d∏j=2

∫Rd−2

|fi(. . . )|d−1dx2 · · · dxj−1dxj+1 · · · dxd

)1/(d−1)

dx1.

Mit Hilfe der d − 1-fachen Holder-Ungleichung3 mit Exponenten 1/(d − 1) erhalten

3Die n-fache Holder-Ungleichung folgt per Induktion aus der Holder-Ungleichung und lautet: Fur 1 <

p1, . . . , pn <∞ mit∑

1/pj = 1 gilt∫Ω

∏nj=1 |fj | ≤

∏nj=1

(∫Ω |fj |

pj)1/pj

.

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5.1. FUNKTIONENRAUME

wir fur das letzte Integral∫R

( d∏j=2

∫Rd−2

|fj(. . . )|d−1dx2 · · · dxj−1dxj+1 · · · dxd

)1/(d−1)

dx1

≤d∏j=2

(∫Rd−1

|fj |d−1dx1 · · · dxj−1dxj+1 · · · dxd

)1/(d−1)

=

d∏j=2

‖fj‖Ld−1(Rd−1)

Wir wenden auf (*) die Loomis-Whitney-Ungleichung an, d.h. es ist F = |u|d/(d−1)und fi =

v1/(d−1)i . Es folgt(∫

Rd

|u(x1, . . . , xd)|d/(d−1)dx)≤

d∏i=1

∥∥∥v1/(d−1)i

∥∥∥Ld−1(Rd−1)

=

d∏i=1

‖vi‖1/(d−1)

L1(Rd)

Schließlich berechnen wir die L1-Normen der vi nach dem Satz von Fubini:

‖vi‖L1(Rd−1) =

∫Rd−1

vi(x1, . . . , xi−1, xi+1, . . . , xd)dx1 · · · dxi−1dxi+1 · · · dxd

=

∫Rd−1

∫R

|∇u(x1, . . . , xi−1, ξi, xi+1, . . . xd)|dξidx1 · · · dxi−1dxi+1 · · · dxd

=∥∥|∇u|∥∥

L1(Rd)

Es folgt‖u‖Ld/(d−1) ≤

∥∥|∇u|∥∥L1

Da diese Ungleichung fur alle u ∈ D(Ω) gilt, folgt durch Grenzwertbildung die BehauptungW 1,1

0 (Ω) → Ld/(d−1)(Ω).

Als Korollar erhalten wir die Einbettung der W 1,p0 (Ω) in die Lq(Ω):

Korollar 5.1.26 (W 1,p0 (Ω) → Lq(Ω)). Es sei Ω ⊂ Rd eine beschrankte Menge und 1 ≤ p < d.

Dann giltW 1,p

0 (Ω) → Ldp/(d−p)(Ω).

Beweis. Wiederum argumentieren wir vorerst mit Testfunktionen u ∈ D(Ω). Fur solche ist zuzeigen

‖u‖Ldp/(d−p) ≤ C ‖∇u‖Lp .Wir wenden die Ungleichung

‖u‖Ld/(d−1)(Rd) ≤ ‖∇u‖L1(Rd) .

auf |u|γ an. Es ist |∇(|u|γ)| = γ |u|γ−1 |∇u|. Mit der Holder-Ungleichung gilt

‖|u|γ‖Ld/(d−1)(Rd) ≤ γ∫

Ω

|u|γ−1 |∇u|dx ≤ γ∥∥∥|u|γ−1

∥∥∥Lp′‖∇u‖Lp

Wir wahlen den Exponenten γ so, dass sowohl ‖|u|γ‖Ld/(d−1)(Rd), als auch∥∥∥|u|γ−1

∥∥∥Lp′

Potenzen

von ‖u‖Lq sind. Es soll also gelten

q =γd

d− 1= (γ − 1)p′ =

(γ − 1)p

p− 1.

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5.1. FUNKTIONENRAUME

Auflosen nach γ gibt

γ =(d− 1)p

d− p=⇒ q =

dp

d− p.

Es folgt (∫Ω

|u|q)(d−1)/d

≤ γ(∫

Ω

|u|q)(p−1)/p

‖∇u‖Lp

und daraus

γ ‖∇u‖Lp ≥(∫

Ω

|u|q)(d−1)/d−(p−1)/p

=(∫

Ω

|u|q)(d−p)/(dp)

= ‖u‖Ldp/(d−p) .

Grenzwertbildung zeigt die Behauptung.

Als weitere Korollare, erhalten wir die Einbettung der Wm,p(Ω) (ohne Null unten). DerBeweis benutzt die Fortsetzungssatze und daher muss eine Annahme an die Regularitat desRandes getroffen werden.

Korollar 5.1.27 (Wm,p(Ω) → Lq(Ω)). Es sei Ω ⊂ Rd ein Lipschitzgebiet, m ∈ N und 1 ≤mp < d. Dann gilt

Wm,p(Ω) → Ldp/(d−mp)(Ω).

Beweis. In diesem Beweis benutzen wir ist eine generische Konstante C > 0, d.h. C kann vonUngleichung zu Ungleichung den Wert wechseln.

Wir zeigen zuerst den Fall m = 1. Es sei Ω1 eine offene Obermenge von Ω. Nach Satz 5.1.18existiert ein Fortsetzungsoperator E : W 1,p(Ω)→W 1,p

0 (Ω1) mit

‖Eu‖W 1,p(Ω1) ≤ c ‖u‖W 1,p(Ω) .

Die Einbettung W 1,p(Ω) → Lq(Ω) wird durch folgende Ungleichungskette bewiesen :

‖u‖Ldp/(d−p)(Ω) ≤ ‖Eu‖Ldp/(d−p)(Ω1) ≤ C ‖Eu‖W 1,p(Ω1) ≤ C ‖u‖W 1,p(Ω) . (*)

Fur den Fall m > 1 konnen wir obige Argumentation auf die Ableitungen von u anwenden. Wirerhalten aus (*):∑

|α|≤1

‖Dαu‖Ldp/(d−p)(Ω) ≤ C∑|α|≤1

‖Dαu‖W 1,p(Ω) = C ‖u‖W 2,p(Ω) .

(Beachte: Hier ist keine hohere Regularitat des Randes notig! Lipschitz-Rand reicht.) Die linkeSeite ist genau die W 1,dp/(d−p)(Ω)-Norm, so dass wir gezeigt haben

‖u‖W 1,dp/(d−p)(Ω) ≤ C ‖u‖W 2,p(Ω)

Wir wenden wieder (*) an (mit q = dp/(d− p))

‖u‖Ldq/(d−q)(Ω) ≤ C ‖u‖W 1,q(Ω) = C ‖u‖W 1,dp/(d−p)(Ω)

Es giltdq

(d− q)=

dp

d− 2p

und daher‖u‖Ldp/(d−2p)(Ω) ≤ C ‖u‖W 2,p(Ω) .

Hohere m analog. dies noch einmal checken!

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5.1. FUNKTIONENRAUME

Durch Umformulieren der Bedingungen an die Zahlen m, p und d und Ausnutzung der Ein-bettung der Lp-Raume nach Proposition 5.1.20 lassen sich andere Formen des Einbettungssatzesformulieren:

Korollar 5.1.28. Es sei Ω ⊂ Rd eine beschrankte Menge mit Lipschitzrand. Dann gilt

Wm,p(Ω) → Lq(Ω), fur 1 ≤ mp < d undd

q≥ d

p−m.

Beweis. Korollar 5.1.27 zusammen mit Proposition 5.1.20 zeigt

Wm,p(Ω) → Ldp/(d−mp)(Ω) → Lq(Ω)

falls 1 ≤ mp < d und q ≤ dp/(d−mp). Die zweite Ungleichung lasst sich umstellen zu

d

q≥ d

p−m.

5.1.3 Sobolev-Raume und die Fouriertransformation

Die Hilbertraume Wm,2(Rd) sind Teilraume von L2(Rd) lassen sich daher mit Hilfe der Fourier-transformation studieren. Insbesondere gilt in ihnen die bekannte Regel fur die Fouriertransfor-mation der schwachen Ableitung.

Proposition 5.1.29. Es sei u ∈Wm,2(Rd). Dann gilt fur |α| ≤ m

F(Dαu) = i|α|pαF(u).

Beweis. Es sei φ ∈ Sd. Da die Fouriertransformation eine Isometrie ist, gilt

〈F(Dαu),F(φ)〉L2 = 〈Dαu, φ〉L2

= (−1)|α| 〈u,Dαφ〉L2

= (−1)|α| 〈F(u),F(Dαφ)〉L2

= (−1)|α|⟨F(u), i|α|pαF(φ)

⟩L2

= i|α|∫Rd

ξα(Fu)(ξ)(Fφ)(ξ)dξ.

Da die Fouriertransformation auf dem Schwartzraum bijektiv ist, sind wir fast fertig. Es ist nurnoch nicht klar, ob die Funktion h = F(Dαu)− i|α|pαF(u) tatsachlich in L2(Rd) liegt. Fur jedesR > 0 ist die Einschrankuung von h auf BR(0) in L2(BR(0)) (die Funktion pα ist auf BR(0)beschrankt). Insbesondere folgt fur alle ψ ∈ D(BR(0)), dass∫

BR(0)

h(ξ)ψ(ξ)dξ = 0

und da D(BR(0)) in L2(BR(0)) dicht liegt, folgt h = 0 fast uberall in BR(0). Da diese Argumen-tation fur jedes R > 0 geht, folgt h = 0 fast uberall.

Sobolev-Raume uber Ω = Rd lassen sich elegant mit der Fouriertransformation beschreiben:

Satz 5.1.30. Es sei m ∈ N. Dann ist

Wm,2(Rd) = u ∈ L2(Rd) |∫Rd

(1 + |ξ|2)m |u(ξ)|2 dξ <∞

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5.1. FUNKTIONENRAUME

und die Große (∫Rd

(1 + |ξ|2)m |u(ξ)|2 dξ

)1/2

ist eine aquivalente Norm auf Wm,2(Rd).

Beweis. Ubungsblatt 11.

Obiger Satz lasst sich auch so lesen:

Eine temperierte Distribution u ∈ S ′d ist ein Element in Wm,2(Rd), falls das Produkt

von u mit der Funktion ξ 7→ (1 + |ξ|2)m/2 eine regulare Distribution ist, die von einerL2-Funktion induziert wird.

An dieser Stelle bemerkt man, dass die Beschreibung der Wm,2 uber die Fouriertransformationdie Bedingung m ∈ N nicht benotigt. Jede andere Zahl s ≥ 0 geht ebenso. Da man nicht nurL2-Funktionen, sondern auch temperierte Distributionen Fourier-transformieren kann, definiertman:

Definition 5.1.31 (Fraktionaler Sobolev-Raum). Es sei s ∈ R. Wir definieren die Japanische

Klammer durch 〈ξ〉 = (1 + |ξ|2)1/2 Dann ist

Hs(Rd) = u ∈ S ′d | 〈 · 〉su ∈ L2(Rd)

der fraktionale Sobolev-Raum der Ordnung s. Auf Hs(Rd) ist das Skalarprodukt

〈u, v〉Hs(Rd) =

∫Rd

〈ξ〉su(ξ)v(ξ)dξ

definiert.

Ein Korollar von Satz 5.1.30 ist

Korollar 5.1.32. Es gilt fur m ∈ N

Wm,2(Rd) = Hm(Rd).

Auf die Rolle der negativen Werte fur s kommen wir in den Ubungen zuruck.

Bemerkung 5.1.33 (H2(Rd) als Bild eines gewichteten Lebesgue-Raumes). Die Sobolev-RaumeHs(Rd) konnen auch als Bilder des gewichteten L2-Raumes L2(Rd, 〈 · 〉sdx) unter der inversenFouriertransformation gesehen werden.

Fur s ∈ R definieren wir die Abbildung

Λsu = F−1(〈 · 〉−sF(u)).

Fur u ∈ L2(Rd) gilt dann

‖Λsu‖Hs(Rd) =∥∥F−1(〈 · 〉−sF(u))

∥∥Hs(Rd)

=∥∥〈 · 〉s〈 · 〉−sF(u)

∥∥L2(Rd)

= ‖u‖L2(Rd) ,

das heißt, Λs : L2(Rd) → Hs(Rd) ist eine eine lineare Isometrie. Ebenso sieht man, dass Λsinvertierbar ist und die Inverse ebenso eine Isometrie ist. Allgemein gilt sogar: Λs : Hr(Rd) →Hr+s(Rd) ist bijektive Isometrie. Somit lassen sich alle Raume der Skala Hs(Rd) miteinanderidentifizieren.

Mit Hilfe der Fouriertransformation lasst sich schwache Differenzierbarkeit mit klassischerDifferenzierbarkeit vergleichen. Im Allgemeinen muss ein Funktion vergleichsweise oft schwachDifferenzierbar sein, um einmal klassisch Differenzierbar zu sein; insbesondere spielt die Dimen-sion d hier eine Rolle.

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5.1. FUNKTIONENRAUME

Satz 5.1.34 (Lemma von Sobolev). Es sei Ω ⊂ Rd, m, k ∈ N, so dass m > k + d/2. Dann gibtes zu jedem u in Wm,2(Ω) ein f ∈ Ck(Ω), so dass u = f fast uberall.

Beweis. Zuerst behandeln wir den Fall Ω = Rd. Ist fur |α| ≤ k die Funktion pαv ∈ L1(Rd),so folgt wie in Lemma 4.2.3, dass v ∈ Ck(Rd) (Dαv(ξ) = (2π)−d/2Dα

ξ

∫v(x) exp(−ix · ξ)dx;

die Vertauschung von Integration und Differentiation ist erlaubt, da der Integrand und die α-teAbleitung des Integranden fur alle ξ absolut integrierbar sind). Wir werden dies Ergebnis auf uandwenden und zeigen: Ist u ∈ Hm(Rd) mit m > k+d/2, so gilt fur |α| ≤ k, dass pαu ∈ L1(Rd).

Da u ∈ Hm(Rd) ist, folgt ∫Rd

(1 + |ξ|2)m |u(ξ)|2 dx <∞.

Um nun die gewunschte Aussage pαu ∈ L1(Rd) zu bekommen, benutzen wir |ξα| ≤ |ξ||α| unddie Cauchy-Schwarz-Ungleichung:∫

Rd

|ξαu(ξ)|dξ ≤∫Rd

(1 + |ξ|2)|α|/2 |u(ξ)|dξ

≤∫Rd

(1 + |ξ|2)m/2 |u(ξ)| (1 + |ξ|2)−(m−k)/2dξ

≤(∫

Rd

(1 + |ξ|2)m |u(ξ)|2 dξ)1/2(∫

Rd

(1 + |ξ|2)−(m−k)dξ)1/2

Das erste Integral haben wir bereits als endlich erkannt. Fur das zweite rechnen wir in Polar-Koordinaten (bzw. nach Regeln fur Integration radialsymmetrischen Funktionen):∫

Rd

(1 + |ξ|2)−(m−k)dξ = C

∫ ∞0

(1 + r2)−(m−k)rd−1dr

und stellen fest, dass das letze Integral endlich ist, wenn d − 1 − 2(m − k) < −1, d.h. fur

m > k + d/2. Es folgt pαu ∈ L1(Rd) und daher u ∈ Ck(Rd). Wegen u = S−1u fast uberall folgtdie Behauptung fur Ω = Rd.

Sei nun Ω ⊂ Rd offen und u ∈ Wm,2(Ω). Es seien weiterhin y ∈ Ω und r > 0 so, dassK = Br(y) ⊂ Ω. Wir wahlen φ ∈ D(Ω) mit φ ≡ 1 auf K. Da die Leibniz-Formel auch fur dasProdukt von Wm,2-Funktion und Schwartz-Funktion gilt, folgt φu ∈Wm,2(Ω). Da diese Funktionin einer Umgebung von ∂Ω Null ist, konnen wir sie durch Fortsetzung mit Null zu einer Funktiong ∈ Hm(Rd) fortsetzen. Fur dieses g schließen wir nun nach dem ersten Teil des Beweises,dass sie fast uberall mit einer k-mal stetig differenzierbaren Funktion gy,r ubereinstimmt undinsbesondere

gr,y = u, in K = Br(y)

gilt. Weiterhin gilt fur zwei Paare (y, r) und (z, s) mit B = Br(y) ∩ Bs(z) 6= ∅, dass gr,y = gs,zauf B. Wir erhalten daher durch

g(x) = gr,y(x) falls x ∈ Br(y)

eine wohldefinierte Funktion in Ck(Ω) welche fast uberall mit u ubereinstimmt.

Bemerkung 5.1.35. Analog rechnet man nach, dass eine Funktion u ∈ Hs(Rd) einen k-malstetig differenzierbaren Reprasentanten hat, falls s > k + d/2.

Zur Interpretation des Lemmas von Sobolev betrachten wir einige Spezialfalle:

• Fur d = 1, d.h. Funktionen auf der reellen Achse (bzw. auf Intervallen) gilt: Eine Funktionu ∈ Wm,2(Ω) ist stetig, falls m > 1/2. Das heißt, u ∈ W 1,2(Ω) ist automatisch stetig(bzw. hat stetigen Reprasentaten) und analog u ∈ Wm,2(Ω) ist m− 1-mal stetig differen-zierbar (bzw. hat m− 1-mal stetig differenzierbaren Reprasentanten).

Im Fall von Ω = R hat also u ∈ H1/2+ε(R) fur ε > 0 einen stetigen Reprasentanten.

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5.2. UNSCHARFERELATIONEN

• Fur d = 2 sieht die Sache anders aus: Eine Funktion aus W 1,2(Ω) muss keinen stetigenReprasentanten haben! Dies gilt erst fur Wm,2(Ω) mit m ≥ 2.

Im Fall von Ω = R2 hat also u ∈ H1+ε(R2) fur ε > 0 einen stetigen Reprasentanten.

• Man sagt auch: Funktionen deren m-te schwache Ableitung in L2(Ω) liegt, verlieren pro hal-ber Raumdimension eine Differenzierbarkeitsordnung gegenuber klassisch differenzierbarenFunktionen.

5.2 Unscharferelationen

Unscharferelationen sind prazise Formulierungen der Tatsache, dass eine Funktion und ihre Fou-riertransformierte nicht gleichzeitig “gut lokalisiert” sein konnen. Wir betrachten zur Einleitungein Beispiel.

Beispiel 5.2.1 (Varianz von Funktion und Fouriertransformierter). Wir betrachten ein u ∈L2(R) mit ‖u‖L2 = 1 welches um die Null herum zentriert ist. Genauer: Wir fordern, dass der“Schwerpunkt” der Energie von u Null ist, d.h.∫

R

x |u(x)|2 dx = 0

Dann ist die Varianz von u definiert durch

Varu =

∫R

|x|2 |u(x)|2 dx

und wir fordern zusatzlichVaru <∞.

Betrachten wir nun zu λ > 0 folgenden Skalierung von u:

uλ(x) = λ1/2Sλu(x) = λ1/2u(λx)

fur welche die Energie von u erhalten bleibt, d.h.

‖uλ‖L2 = ‖u‖L2 .

Fur die Varianz von uλ gilt

Varuλ =

∫R

|x|2∣∣∣λ1/2u(λx)

∣∣∣2 dx = λ

∫R

λ−2 |y|2 |u(y)|2 λ−1dx = λ−2 Varu.

Insbesondere folgt:

Machen wir die Funktion u immer schmaler (λ → ∞), so geht ihre Varianz gegenNull.

Betrachten wir nun die Fouriertransformierte von u von der wir annehmen, dass sie ebenfallsum 0 zentriert ist und endliche Varianz hat, d.h.∫

R

ξ |u(ξ)|2 dξ = 0, Var u <∞.

Fur die Fouriertransformierte der Skalierung uλ gilt

uλ = λ1/2Sλu = λ1/2λ−1S1/λu = λ−1/2S1/λu.

Eine Rechnung analog zur obigen zeigt

Var uλ = λ2 Var u.

Es folgt

66

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5.2. UNSCHARFERELATIONEN

Machen wir die u schmaler, so geht die Varianz von u gegen Null, die Varianz vonder Fouriertransformierten u hingegen geht gegen Unendlich.

Um die erste Unscharferelation beweisen zu konnen, benotigen wir das Konzept des dichtdefinierten Operators.

Definition 5.2.2. Es seien X und Y Banach-Raume und D(A) ein Teilraum von X. Eine lineareAbbildung A : D(A)→ Y nennen wir Operator von X → Y . Ist D(A) dicht in X, so nennen wirA dicht definiert .

Sind X und Y Hilbert-Raume, so kann der adjungierte Operator von A wie folgt definiertwerden:

Definition 5.2.3. Es seien X und Y Hilbert-Raume und A : D(A) → Y ein dicht definierterOperator. Ist y ∈ Y so, dass die Abbildung x 7→ 〈Ax, y〉Y linear und stetig auf D(A) ist, so kannsie nach dem Satz von Hahn-Banach fortgesetzt werden, d.h. es existiert ein z ∈ X, so dass

〈Ax, y〉Y = 〈x, z〉X .

Da D(A) dicht ist, ist z zu jedem y eindeutig bestimmt und wir bezeichnen

A∗y = z.

A∗ ist der adjungierte Operator. Kurz: Der adjungierte Operator erfullt die Gleichung

〈Ax, y〉Y = 〈x,A∗y〉X , fur alle x ∈ D(A).

Wir nennen einen OperatorA : X → X selbstadjungiert, fallsA∗ = A. Ist die Menge 〈Af, f〉 | ‖f‖ =1 unbeschrankt, so nennen wir A einen unbeschrankten Operator.

Definition 5.2.4. Es sei X ein Hilbert-Raum. Fur zwei Operatoren A,B : X → X ist derKommutator definiert durch

[A,B] = AB −BA.

Lemma 5.2.5. Es seien A,B zwei selbstadjungierte Operatoren auf einem Hilbert-Raum X.Dann gilt fur alle a, b ∈ R und alle f ∈ D(AB) ∩D(BA) die Ungleichung

‖(A− a id)f‖ ‖(B − b id)f‖ ≥ 12 |〈[A,B] f, f〉| .

Gleichheit gilt genau dann, wenn (A− a id)f = ic(B − b id)f fur ein c ∈ R.

Beweis. Wir benutzen die Selbstadjungiertheit von A und B:

〈[A,B] f, f〉 =⟨(

(A− a id)(B − b id)− (B − b id)(A− a id))f, f

⟩= 〈(B − b id)f, (A− a id)f〉 − 〈(A− a id)f, (B − b id)f〉= 2i=

(〈(B − b id)f, (A− a id)f〉

).

Wir wenden nun die Cauchy-Schwarz-Ungleichung an:

|〈[A,B] f, f〉| ≤ 2 |〈(B − b id)f, (A− a id)f〉| (*)

≤ 2 ‖(A− a id)f‖ ‖(B − b id)f‖ (**)

Gleichheit in (*) gilt genau dann, wenn 〈(B − b id)f, (A− a id)f〉 rein imaginar ist und in (**),falls (A− a id) = λf(B − b id)f (λ ∈ C). Zusammen folgt

〈(B − b id)f, (A− a id)f〉 = λ ‖(B − b id)f‖2 ∈ iR

und damit λ = ic, c ∈ R.

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5.2. UNSCHARFERELATIONEN

Die klassische Unscharferelation fur die Fouriertransformation wird aus Lemma 5.2.5 gewon-nen mit X = L2(R) und den Operatoren

Xf(x) = xf(x), Pf(x) = −if ′(x). (5.1)

Beide Operatoren sind dicht definiert (der Definitionsbereich umfasst zum Beispiel den Schwartz-raum) und selbstadjungiert:

Lemma 5.2.6. Die Operatoren X und P aus (5.1) sind selbstadjungiert.

Beweis. Wir rechnen nach

〈Xf, g〉 =

∫R

xf(x)g(x)dx =

∫R

f(x)xg(x)dx = 〈f,Xg〉

〈Pf, g〉 =

∫R

−if ′(x)g(x)dx =

∫R

if(x)g′(x)dx =

∫R

f(x)(−ig′(x))dx = 〈f, Pg〉 .

Satz 5.2.7 (Heisenbergsche Unscharferelation). Fur f ∈ L2(R) und a, b ∈ R gilt

1

2‖f‖2L2 ≤

(∫R

(x− a)2 |f(x)|2 dx)1/2(∫

R

(ξ − b)2∣∣∣f(ξ)

∣∣∣2 dξ)1/2

.

Gleichheit gilt genau dann fur die f der Form

f(x) = Keibxe−c(x−a)2/2

mit K ∈ C, c > 0.

Beweis. Es sei f im Definitionsbereich von XP und PX. Der Kommutator von X und P ist2

[X,P ] f(x) = −ixf ′(x) + i(xf)′(x) = if(x).

Aus Lemma 5.2.5 folgt also

1

2‖f‖2L2 =

1

2|〈[X,P ] f, f〉| ≤ ‖(X − a id)f‖ ‖(P − b id)f‖

Da die Fouriertransformation eine Isometrie auf L2(R) ist, ist

‖(P − b id)f‖ = ‖F((P − b id)f)‖ =(∫

R

(ξ − b)2∣∣∣f(ξ)

∣∣∣2 dx)1/2

.

Dies zeigt die behauptete Ungleichung. Gleichheit tritt nach Lemma 5.2.5 genau dann ein, wenn(P − b id)f = ic(X − a id)f fur c ∈ R. Dies ist die Differentialgleichung

−if ′(x)− bf(x) = ic(x− a)f(x),

oder aquivalentf ′(x) = (ib− c(x− a))f(x).

Die Differentialgleichung hat als Losungen die Vielfachen von

f(x) = eibxe−c(x−a)2/2

und da f ∈ L2(R) gelten muss, folgt c > 0.

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5.2. UNSCHARFERELATIONEN

Im Allgemeinen ist die Varianz einer Funktion f ∈ L2(R) mit ‖f‖L2 = 1 definiert durch

Var f = mina∈R

∫R

(x− a)2 |f(x)|2 dx.

Lemma 5.2.8. Es sei f ∈ L2(R) mit ‖f‖L2 = 1 und

x =

∫R

x |f(x)|2 dx.

Dann gilt

Var f =

∫R

(x− x)2 |f(x)|2 dx.

Beweis. Wir mussen nur zeigen, dass das Minimum bei x angenommen wird. Dazu leiten wir dieAbbildung a 7→

∫R

(x− a)2 |f(x)|2 dx nach a ab un erhalten die Bedingung∫R

(x− a) |f(x)|2 dx = 0,

woraus wegen ‖f‖L2 = 1 die Behauptung folgt.

Die Heisenbergsche Unscharferaltion lasst sich also auch wie folgt formulieren

Fur f ∈ L2(R) mit ‖f‖L2 = 1 gilt

Var f · Var f ≥ 1

4.

(Beachte, dass diese Formel von der Normierung der Fouriertransformation abhangt. Manchmalwir sie auch mit der Standardabweichung ∆f =

√Var f fomuliert.)

Als Korollar erhalten wir:

Korollar 5.2.9. Fur f ∈ L2(R) gilt

‖f‖2L2 ≤ ‖Xf‖2L2 + ‖Pf‖2L2

Beweis. Setze a = b = 0 in der Heisenbergschen Unscharferelation und benutze 2αβ ≤ α2 +β2.

Das letzte Ergebnis kann als Einbettung von normierten Raumen verstanden werden. Wirbetrachten den Raum

B = D(X) ∩D(P )

und versehen ihm mit der Norm

‖f‖B =(∫

R

x2(|f(x)|2 +∣∣∣f(x)

∣∣∣2))1/2

.

Dann sagt Korollar 5.2.9:B → L2(R).

Die Varianz ist eine Art Maß fur die “Konzentriertheit” einer Funktion. Hat eine Funktion einekleine Varianz, so hat sie “im wesentlichen einen kleinen Trager”. Ein anderes Konzept von“Konzentriertheit” liefert ein anderes Konzept der Unscharferelation:

Definition 5.2.10. Es sei f ∈ L2(Rd), ε > 0 und T ⊂ Rd messbar. Dann heißt f ε-konzentriertauf T , falls

‖χT f‖L2 ≤ ε ‖f‖L2 .

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5.2. UNSCHARFERELATIONEN

Ist f 0-konzentriert auf T , so gilt supp f = T .Folgende Unscharferelation, die auf Donoho und Stark zuruckgeht, sagt, dass eine Funktion

und ihre Fouriertransformierte nicht gleichzeitig stark konzentriert sein konnen:

Satz 5.2.11. Es seien f ∈ L2(Rd), f 6= 0, Ω, T ⊂ Rd und εT , εΩ > 0. Weiterhin sei f εT -

konzentriert auf T und f sei εΩ-konzentriert auf Ω. Dann gilt

|T | |Ω| ≥ (2π)d/2(1− εT − εΩ)2

(|T | meint hier und im Folgenden das Lebesue-Maß von T .)

Beweis. Wir nehmen im Beweis an, dass T und Ω endliches Maß haben (sonst ist nichts zuzeigen). Wir definieren die orthogonalen Projektoren

PT f = χT f

QΩf = F−1(χΩ Ff).

Die εT -Konzentriertheit von f schreibt sich damit als

‖f − PT f‖L2 ≤ εT ‖f‖L2

und analog gilt (da die Fouriertransformation eine Isometrie auf L2(Rd) ist)

‖f −QΩf‖L2 ≤ εΩ ‖f‖L2 .

Da ‖QΩ‖ = 1 (QΩ ist Projektion 6= 0) ist, folgt

‖f −QΩPT f‖L2 ≤ ‖f −QΩf‖L2 + ‖QΩ(f − PT f)‖L2 ≤ (εΩ + εT ) ‖f‖L2 .

Daher‖QΩPT f‖L2 ≥ ‖f‖L2 − ‖f −QΩPT f‖L2 ≥ (1− εΩ − εT ) ‖f‖L2 . (*)

Nun schatzen wir die Norm des Operators QΩPT ab. Wir beginnen mit

QΩPT f(x) = F−1(χΩF(χT f))(x) =1

(2π)d

∫Ω

(∫T

f(t)e−it ·ωdt)

eix ·ωdω.

Da T und Ω endliches Maß haben, ist der Integrad auf Ω× T absolut integrierbar (f ∈ L2(T ) ⊂L1(T )) und der Satz von Fubini zeigt

QΩPT f(x) =

∫Rd

k(x, t)f(t)dt

mit

k(x, t) =1

(2π)dχT (t)

∫Ω

ei(x−t) ·ωdω =1

(2π)d/2χT (t)TtF−1(χΩ)(x).

Mit der Cauchy-Schwarz-Ungleichung folgt

‖QΩPT f‖2L2 =

∫Rd

∣∣∣∫Rd

k(x, t)f(t)dt∣∣∣2dx

≤∫Rd

∫Rd

|k(x, t)|2 dx

∫Rd

|f(x)|2 dxdt

=

∫R2d

|k(x, t)|2 dxdt ‖f‖2L2

Es folgt

‖QΩPt‖2 ≤∫R2d

|k(x, t)|2 dxdt.

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5.2. UNSCHARFERELATIONEN

Da die Verschiebung TT und die Fouriertransformation Isometrien sind, folgt∫Rd

k(x, t)dx =1

(2π)d/2χT (t)

∥∥TtF−1χΩ

∥∥L2 =

1

(2π)d/2χT (t) ‖χΩ‖L2 =

1

(2π)d/2|Ω|χT (t)

und daher ∫Rd

∫Rd

k(x, t)dxdt =1

(2π)d/2|Ω| |T | .

Aus (*) folgt nun

(1− εT − εΩ)2 ‖f‖2L2 ≤ ‖QΩPT f‖2L2

≤ ‖QΩPT ‖2 ‖f‖2L2

≤ 1

(2π)d/2|Ω| |T | ‖f‖2L2

woraus die Behauptung folgt.

Dieser Satz gibt eine quantitative Aussage daruber, wie sehr sich eine Funktion und ihreFouriertransformierte auf Mengen konzentrieren konnen. Will man daraus eine Aussage uber dieGroße der Trager erhalten, so bekommt man folgendes Korollar:

Korollar 5.2.12. Gilt fur f ∈ L2(Rd), dass supp f ⊂ T , supp f ⊂ Ω, so folgt

|T | |Ω| ≥ (2π)d/2

Das Produkt der Trager von Funktion und Fouriertransformierter kann also nicht beliebigklein sein. In der Tat sich ein sehr viel starkes Resultat zeigen, wenn man nur an der Große desTragers und nicht an “Konzentriertheit” interessiert ist:

Satz 5.2.13. Es sei f ∈ L1(Rd). Dann gilt

|supp f |∣∣∣supp f

∣∣∣ <∞ =⇒ f = 0 fast uberall.

Beweis. Ohne Einschrankung nehmen wir |supp f | ≤ (2π)d an. (Sonst betrachten wir fa(x) =

f(ax) an Stelle von f . Wegen fa(ξ) = a−df(ξ/a) bleiben beide Trager dabei endlich.)

Wir definieren B = supp f und setzen

φ(ξ) =∑ν∈Zd

χB(ξ − ν).

Dieses φ ist nicht-negativ und messbar und in jede Koordinatenrichtung 1-periodisch. Daruberhinaus gilt ∫

[0,1]dφ(ξ)dξ =

∫[0,1]d

∑ν∈Zd

χB(ξ − ν)dξ =

∫Rd

χB(ξ)dξ = |B| <∞.

Insbesondere gilt fur fast alle ξ0, dass φ(ξ0) < ∞. Das heißt aber, dass χB(ξ0 + ν) fur fast alle

ξ0 nur fur endlich viele ν ∈ Zd nicht Null ist. Fur f bedeutet dies

Fur fast alle ξ0 ∈ Rd gilt: f(ξ0 + ν) 6= 0 nur fur endlich viele ν ∈ Zd. (*)

Nun definieren wir zu ξ0 ∈ Rd die Funktion

fξ0(x) =∑ν∈Zd

e−iξ0 · (x−2πν)f(x− 2πν).

Die Funktion hat folgende Eigenschaften:

71

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5.2. UNSCHARFERELATIONEN

1. fξ0 ∈ L1([0, 2π]d), denn∫[0,2π]d

|fξ0(x)|dx ≤∫

[0,2π]d

∑ν∈Zd

|f(x− 2πν)|dx =

∫Rd

|f(x)|dx <∞.

2. Die Fourier-Koeffizienten von fξ0 sind

1

(2π)d/2

∫[0,2π]d

fξ0(x)e−ix · kdx =1

(2π)d/2

∫[0,2π]d

∑ν∈Zd

e−iξ0 · (x−2πν)f(x− 2πν)e−ix · kdx

=1

(2π)d/2

∑ν∈Zd

∫[0,1]d

e−iξ0 · yf(y)e−iy · kdy

=1

(2π)d/2

∫Rd

e−i(ξ0+k) · yf(y)dy

= f(ξ + k).

3.∣∣x ∈ [0, 2pi]d | fξ0(x) 6= 0

∣∣ ≤ A < (2π)d.

Der zweite Punkt zusammen mit (*) zeigen, dass fξ0 fur fast alle ξ0 ein trigonometrisches Polynomist. Daruberhinaus zeigt der dritte Punkt, dass fur fast alle ξ0 gilt, dass fξ0 auf eine Teilmengevon [0, 2π]d mit positivem Maße verschwindet. Fur ein trigonometrisches Polynom bedeutet diesjedoch, dass es uberall Null ist und daher sind alle Fourierkoeffizienten Null:

fur fast alle ξ0 und alle k ∈ Zd gilt f(ξ0 + k) = 0.

Dies bedeutet jedoch f ≡ 0 fast uberall und daher auch f = 0 fast uberall.

Bemerkung 5.2.14. Der obige Satz 5.2.13 ist auch fur f ∈ Lp(Rd) relevant, denn hat einsolches f einen Trager mit endlichem Maß, so ist es auch in L1(Rd).

Bemerkung 5.2.15 (Interpretation in der Quantentheorie). In der Quantenmechanik wird derZustand eines physikalischen Systems durch einen Einheitsvektor in einem Hilbert-Raum H be-schrieben. Messgroßen, sogenannte Observablen, werden durch selbstadjungierte Operatoren aufdiesem RaumH modelliert. In der sogenannten Kopenhagener Deutung wird dies so interpretiert:Ist das System im Zustand f ∈ H, so ist der Erwartungswert der Observable 〈Af, f〉.

Ein konkretes Beispiel ist das Folgende: Ist H = L2(Rd), so sind die Observablen fur den Ortdie d Operatoren

Xjf(x) = xjf(x).

Die Observablen zum Impuls hingegen sind

Pjf(x) = −i∂xjf(x).

Der Erwartungswert des Ortes ist also

qj = 〈Xjf, f〉 =

∫Rd

xj |f(x)|2 dx.

Mit Worten der Wahrscheinlichkeitsrechnung heißt das: |f |2 ist die gemeinsame Wahrscheinlich-keitsdichte der Zufallsvariablen xj . Daher ist die Unsicherheit in der Position die Varianz derZufallsvariable xj : ∫

Rd

(xj − qj)2 |f(x)|2 dx.

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5.2. UNSCHARFERELATIONEN

Man beachte, dass es Zustande f gibt, fur die nicht einmal die Erwartungswerte qj endlichsind, und ebenso gibt es Zustande f fur die die Varianz unendlich ist. In diesem Fall sind dieInterpretation als “Ort” und “Aufenthaltswahrscheinlichkeit” nicht mehr sinnvoll.

Der Erwartungswert des Impulses ist

pj = 〈Pjf, f〉 =⟨Xj f , f

⟩=

∫Rd

ξj

∣∣∣f(ξ)∣∣∣2 dξ

und die Unsicherheit im Impuls ist ∫Rd

(ξj − pj)2∣∣∣f(ξ)

∣∣∣2 dξ.

Die Orts- und Impulsoperatoren erfullen die kanonischen Kommutatorgleichungen:

[Xj , Pk] = iδk,j id .

Aus Lemma 5.2.5 folgen die Unscharfeprinzipien der Quantenmechnik: Das Produkt der Va-rianzen der j-ten Orts- und Impulskoordinate ist durch eine absolute Konstante nach untenbeschrankt (wir haben hier physikalisch relevante Konstanten weggelassen). Nach der Kopenha-gener Interpretation: Ein System kann nicht gleichzeitig einen beliebig genau bestimmten Ortund Impuls haben. Oft wird die auch in folgender Form geschrieben: Ort und Impuls konnen nichtgleichzeitig beliebig genau gemessen werden. Man beachte, dass der Kommutator der j-ten Orts-koordinate und die k-ten Impulskoordinate Null ist und diese beiden Großen daher unabhangigvoneinander beliebig genau bestimmt sind.

Bemerkung 5.2.16 (Interpretation in der Signalverarbeitung). Auch in der Signalverarbeitungspielen Unscharferelationen eine Rolle. Die Rolle von “Ort” und “Impuls” spielen hier “Zeit”und “Frequenz”. Ein Signal kann zum Beispiel ein Musiksignal sein, d.h. ein Funktion f : R →R (wobei naturlich auch komplexe Werte zugelassen sein konnten). Der Wert f(t) beschreibtden aktuellen Schalldruck und die Variable t ist die Zeit. Wir konnen also fur ein Musikstucksagen, zu welchem Zeitpunkt welcher Schalldruck besteht. Konnen wir auch sagen zu welchemZeitpunkt welcher Ton erklingt? Dies ist eine Frage nach der “aktuellen Frequenz” (da Tonhohenuber Frequenzen kodiert sind). Eine erste ad hoc Antwort lautet: Nein, da eine Frequenz eineSchwingung beschreibt und die kann nicht an einem einzelnen Zeitpunkt bestimmt werden; esist keine lokale Eigenschaft. Diese Antwort konnte etwas vorschnell sein, denn ebenso sind zumBeispiel Steigung und Krummung ebenfalls keine lokalen Eigenschaften, konnen aber sehr wohlmit Hilfe von Ableitungen in jedem Punkt angegeben werden. Wir mussen unsere Frage alsogenauer formulieren. Vor allem sollten wir versuchen den Begriff aktuelle Frequenz genauer zudefinieren.

Frequenzen lassen sich an der Fouriertransformierten des Signals ablesen. Dies sieht man ander Umkehrformel:

f(t) =1√2π

∫R

f(ω)eiωtdω.

Das Signal f wird als Uberlagerung der harmomischen Schwingungen t 7→ eiωt geschrieben,d.h. der Wert f(ω) gibt an, wie sehr die Frequenz ω in f eine Rolle spielt. Wollen wir nun die“aktuelle Frequenz” von f zum Zeitpunkt t bestimmen, so mussen wir f “lokalisieren”, d.h. wirbetrachten an Stelle von f die lokalisierte Funktion f χ[t,t+δ] fur kleines δ > 0 Nun konnten

wir versuchen, die dominente Frequenz von f χ[t,t+δ] zu Bestimmen und den Grenzwert δ → 0

zu vollziehen. Die Unscharferelation aus Satz 5.2.13 sagen nun, dass der Trager von f χ[t,t+δ]

unendlich groß ist. Aus der Unscharferaltion von Donoho und Stark (Satz 5.2.11) konnen wir

sogar schließen, dass die Fouriertransformierte f χ[t,t+δ] nur auf einer Menge Ω vom Maß

|Ω| >√

2π(1− εΩ)2/δ

73

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5.3. SONSTIGES

εΩ-konzentriert sein kann. Auch der Wert |Ω| geht also gegen unendlich fur δ → 0. Auch dieHeisenbergesche Unscharferaltion liefert keine guten Neuigkeiten: Es folgt hier

1

2

∥∥f χ[t,t+δ]

∥∥2

L2 ≤(∫ t+δ

t

(τ − t)2 |f(τ)|2 dτ)1/2

√Var f .

Wir schatzen ab (∫ t+δ

t

(τ − t)2 |f(τ)|2 dτ)1/2

≤ δ∥∥f χ[t,t+δ]

∥∥L2

und erhalten ∥∥f χ[t,t+δ]

∥∥L2

2δ≤√

Var f .

Es folgt1

2√δ

(1

δ

∫ t+δ

t

|f(τ)|2 dτ)1/2

≤√

Var f .

Ist f stetig, so konvergiert (1

δ

∫ t+δ

t

|f(τ)|2 dτ)1/2

→ |f(t)|

und wir sehen, dass die Varianz von f fur δ → 0 gegen unendlich geht. Es scheint also aussichtslos,die “aktuelle Frequenz” auf diesem Wege zu definieren. Auch fur andere Lokalisierungen von fergeben sich analoge Resultate. Wir halten fest: Eine “aktuelle Frequenz” lasst sich fur allgemeineSignale nicht definieren4.

5.3 Sonstiges

5.3.1 Die Fouriertransformation auf Gruppen

Vieles, was wir uber die Fouriertransformation fur Funktionen auf Rd gemacht haben, lasst sichfast analog in allgemeinerem Rahmen machen. Die ausschlaggebende Struktur von Rd ist dieeiner lokal kompakten abelschen topologischen Gruppe. Die Details fur diesen Abschnitt stehenin “Fourier Analysis on Groups” von Walter Rudin (Interscience, 1962).

Definition 5.3.1. Eine Gruppe (G,+) ist eine Menge G mit einer assoziativen Verknupfung +,einem neutralen Element 0 und inversen Elementen −x (x+(−x) = 0. Die Gruppe heißt abelsch,wenn die Verknupfung kommutativ ist. Ist auf der Menge G eine hausdorffsche Topologie erklart,so sprechen wir von einer topologischen Gruppe, wenn die Abbildug (x, y) 7→ x − y stetig ist.Schließlich nennen wir die Gruppe lokal kompakt, falls die Null eine kompakte Ungebung hat.Abkurzend nennt man lokal kompakte abelsche Gruppen auch LCA Gruppen (locally compactabelian).

Beispiel 5.3.2 (LCA Gruppen).

1. (Rd,+) mit der bekannten Addition und der euklidschen Topologie.

2. (Zd,+) mit der bekannten Addition und der diskreten Topologie.

3. Die reellen Zahlen mit der Addition modulo 2π oder, aquivalent, die Kreisgruppe T, d.h. diemultiplikative Gruppe der komplexen Zahlenmit Betrag 1.

4Die menschliche Wahrnehmung scheint uns jedoch anderes zu lehren: Dem menschlichen Ohr ist es sehr wohlmoglich, einer Gerausch zu verschiedenen Zeitpunkten eine Frequenz zuzuordnen. Einem geschulten Musiker falltes zum Beispiel nicht schwer, ein gehorten Musikstuck in Noten zu ubersetzen und Noten sind geradezu dieDefinition einer “aktuellen Frequenz”.

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5.3. SONSTIGES

Auf einer LCA-Gruppe G gibt es das sogenannte Haar-Maß m welches das (bis auf einepositive multiplikative Konstante) eindeutig bestimmte rechts-verschiebungsinvariante Maß ist,d.h. fur jede Borel-Menge E ⊂ G und jedes x ∈ G gilt

m(E + x) = m(E).

Beispiel 5.3.3 (Haar-Maße).

• Auf (Rd,+) ist das Haar-Maß das Lebesgue-Maß.

• Auf (Zd,+) ist das Haar-Maß das Zahl-Maß.

• Auf der Kreisgruppe T ist das Haar-Maß das Lebesgue-Maß auf [0, 2π[.

Mit Hilfe des Haar-Maßes konnen wir die Funktionenraume Lp(G,m) (abgekurzt Lp(G) inbekannter Weise definieren. Zahlreiche bekannte Tatsachen gelte fur diese Lp-Funktionen: Sielassen sich mit den Operatoren Tx (x ∈ G) verschieben und sie lassen sich Falten durch

(f ∗ g)(x) =

∫G

f(x− y)g(y)dm(y).

Mit der Faltung als Produkt wird L1(G) sogar zur kommutativen Banach-Algebra.

Satz 5.3.4. Fur eine LCA-Gruppe G ist L1(G) versehen mit der Faltung eine kommutativeBanach-Algebra. Ist G diskret, so gibt es eine Einheit (d.h. ein Element e ∈ L1(G) mit e∗g = g).

Zum Beweis: Die Abbildungseigenschaften und Rechenregeln lassen sich wie im L1(Ω)-Fall nach-rechnen. Ist G diskret, so ist m das Zahlmaß und die Faltung ist

(f ∗ g)(x) =∑y∈G

f(y)g(x− y).

Die Einheit ist also e, definiert durch

e(x) =

1, x = 0

0, sonst,

denn damit gilt e ∗ g = g.

Zu einer LCA-Gruppe lasst sich eine duale Gruppe definieren.

Definition 5.3.5 (Charaktere und die duale Gruppe). Eine Funktion γ : G → C auf eineLCA-Gruppe G heißt Charakter, falls |γ(x)| = 1 und die Gleichung

γ(x+ y) = γ(x)γ(y)

gelten.Die Menge der stetigen Charaktere auf G bilden selbst eine Gruppe G, die duale Gruppe

wenn die Addition durch(γ1 + γ2)(x) = γ1(x)γ2(x)

definiert wird.

Die duale Gruppe besteht genau aus den Gruppenhomomorphismen von G in die KreisgruppeT.

Proposition 5.3.6. Ist G kompakt, so ist G diskret, ist G diskret, so ist G kompakt.

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5.3. SONSTIGES

Die Fouriertransformation ist nun eine Abbildung die einer Funktion f : G→ C eine Funktionauf der dualen Gruppe G zuordnet:

f(γ) =

∫G

f(x)γ(−x)dm(x).

Sie lasst sich fur Funktionen f ∈ L1(G) definieren. Es gelte die bekannten Tatsachen:

• Der Faltungssatz: Fur f, g ∈ L1(G) gilt

f ∗ g = f g.

• Die Fouriertransformation bildet L1(G) stetig in C(G) ab und es gilt∥∥∥f∥∥∥

L∞≤ ‖f‖L1 .

Beispiel 5.3.7 (G = (R,+)). Es sei γ ein Charakter auf R. Dann gibt es δ > 0, so dass∫ δ

0

γ(t)dt = α 6= 0.

Außerdem gilt die Gleichungγ(x+ t) = γ(x)γ(t). (*)

Es folgt

αγ(x) =

∫ δ

0

γ(t)dtγ(x) =

∫ δ

0

γ(x+ t)dx =

∫ x+δ

x

γ(t)dt

und da γ stetig ist ist die rechte Seite differenzierbar. Also ist auch γ differenzierbar. Leitenwir (*) nach t ab erhalten wir fur t = 0 die Differentialgleichung

γ′(x) = γ′(0)γ(x).

Wegen γ(0) = 1 hat diese die Losungen γ(x) = eiyx mit y ∈ R. Die Korrespondenz y ↔ x ist ein

Isomorphoismus von R und R und daher: Die duale Gruppe von R ist R.Die Fouriertransformation auf (R,+) ist also f : R→ C definiert durch

f(ξ) =

∫R

f(x)e−iξxdx

was bis auf den Vorfaktor mit unserer bekannten Definition ubereinstimmt.

Beispiel 5.3.8 (G = T). In diesem Fall zeigt eine Rechnung wie im vorherigen Beispiel wieder

γ(x) = eiyx.

Wir mussen hier jedoch noch zusatzlich γ(x) = γ(x + 2π) fordern, also sind fur y nur ganze

Zahlen zugelassen. Es gilt also T = Z. Hier entsprich die Fouriertransformation dem berechnendie Fourierkoeffizienten der Fourierreihe: Fur f ∈ L1(T)(= L1([0, 2π])) ist

f(n) =

∫ 2π

0

f(x)e−inxdx n ∈ Z.

Beispiel 5.3.9 (G = (Z,+)). Fur die Charaktere γ auf Z muss gelten γ(1) = eiα mit einemα ∈ [0, 2π[. Es folgt

γ(n) = γ(1) · · · γ(1) = einα.

Die Korrespondenz gamma↔ eiα ist ein Isomorphismus von Z und T, d.h. die duale Gruppe vonZ ist die Kreisgruppe T. Hier entspricht die Fouriertransformation dem Bilden der Fourierreihe:Fur f ∈ L1(Z) (= `1(Z) ) ist

f(α) =∑n∈Z

f(n)e−inα α ∈ [0, 2π[.

76

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5.3. SONSTIGES

Die Fouriertransformation lasst sich auf L2(G) forsetzen (wobei uns allerdings keine Schwartz-funktionen auf G zur Verfugung stehen) und die Fouriertransformation ist auch hier nach geeig-neter Normierung der Haar-Maße eine Isometrie:

Satz 5.3.10. Die Fouriertransformation, eingschrankt auf L1(G)∩L2(G) ist eine L2-Isometrie

auf einen dichten Teilraum von L2(G). Sie kann also eindeutig zu einer Isometrie von L2(G) auf

L2(G) fortgesetzt werden.

Es gilt also die Plancherel-Gleichung∫G

f(x)g(x)dx =

∫G

f(γ)g(γ)dγ

und auch der entsprechende Umkehrsatz.Des weiteren gilt der Dualitatssatz von Pontryagin:

Satz 5.3.11. Ist G eine LCA-Gruppe, so ist auch G (versehen mit einer geeigneten Topologie,der Topologie der gleichmaßigen Konvergenz auf kompakten Mengen) eine LCA-Gruppe und die

GruppeG kann mit G identifiziert werden.

5.3.2 Losen von PDEs

Mit Hilfe der Fouriertransformation lassen sich Differentialgleichungen in algebraische Gleichun-gen ubersetzen. In diesem Abschnitt benutzen wir die Differentialoperatoren

Dα = i−|α|Dα = (−i∂1)α1 · · · (−i∂d)αd .

Dies wird einige Schreibarbeit vereinfachen. Fur die Funktion et(x) = eit · x gilt zum Beispiel

Dαet = tαet.

Weiterhin definieren wir fur ein Polynom P (ξ) =∑cαξ

α die Differentialoperatoren

P (D) =∑

cαDα.

Es folgtP (D)et = P (t)et.

Insbesondere gilt mit dieser Konvention

F(P (D)u)(ξ) = P (ξ) u(ξ).

Das Rezept zum Losen einer Differentialgleichung

P (D)u = v

ist nun einfach: Versuche eine Distribution T ∈ D(Rd)′ zu finden, so dass

P (D)T = δ

gilt. Ein solches T heißt Fundamentallosung des Operator P (D). Hat man ein solches T gefunden,so ist T ∗ v eine Losung:

P (D)(T ∗ v) = (P (D)T ) ∗ v = δ ∗ v = v.

An dieser Stelle muss allerdings die Faltung T ∗v definiert sein, was fur v ohne kompakten Tragernicht unbedingt der Fall sein muss. Es ware also von Vorteil, das “Wachstumsverhalten von T”

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5.3. SONSTIGES

zu kontrollieren, oder, noch besser, ein T mit kompaktem Trager zu finden. Das letztere istjedoch ausgeschlossen wie man leicht einsieht: Hatte T kompakten Trager, so ware T eine ganzeFunktion und aus P (D)T = δ folgt nach Fouriertransformation P T = (2π)−d/2. Das Produktaus Polynom und ganzer Funktion ist jedoch nur konstant, wenn beide Funktionen konstant sind.

Die Gleichung P T = (2π)−d/2 kann trotzdem hilfreich bei der Losung der Gleichung sein: Istnamlich 1/P eine temperierte Distribution, so ist F(1/P ) wieder eine temperierte Distributionund eine Fundamentallosung.

Beispiel 5.3.12. Wir betrachten den Differentialoperator Pu = u−∆u = u−∑dk=1 ∂

2xku.

Es gilt F(Pu)(ξ) = (1 + |ξ|2)u. Die Funktion f(ξ) = (1 + |ξ|2)−1 ist eine temperierte Disri-

bution und eine Fundamentallosung ist also durch f gegeben.

Die Hauptergebnisse in diesem Gebiet sind:

Satz 5.3.13. Es sei P ein Polynom in d Variablen und v ∈ D(Rd)′ mit kompaktem Trager.Dann hat die Gleichung P (D)u = v genau dann eine Losung mit kompaktem Trager, falls eseine ganze Funktion g ∈ Cd gibt, so dass P g = v.

Satz 5.3.14 (Satz von Malagrange-Ehrenpreis). Fur jedes Polynom P hat der Differentialope-rator P (D) eine Fundamentallosung T .

5.3.3 Gefensterte Fouriertransformation

Zum Abschluss des Abschnittes 5.2 uber Unscharferelation hatten wir die Unmoglichkeit desBegriffes des “momentanen Frequenz” diskutiert. Trotzdem ist es nicht ausgeschlossen, lokaleFrequenzinformation aus einem Sgnal zu gewinnen (nur eben nicht beliebig gut). Dies leistetzum Beispiel die gefensterte Fouriertransformation.

Definition 5.3.15. Es sei g ∈ L2(Rd). Dann ist die gefensterte Fouriertransformation vonu ∈ L2(Rd) definiert durch

(Ggu)(ξ, t) =1

(2π)d/2

∫Rd

u(x)g(x− t)e−ix · ξdx.

Die gefensterte Fouriertransformation hangt von einem Frequenzparameter ξ und einem Ortspa-rameter t ab. Es gibt zahlreiche andere Moglichkeiten, die gefensterte Fouriertransformationdarzustellen, zum Beispiel:

(Gg)u(ξ, t) = F(uT−tg)(ξ)

=1

(2π)d/2〈u,MξT−tg〉L2(Rd)

=1

(2π)d/2(M−ξu ∗ g)(t).

Die erste Alternative erklart noch einmal den Namen “gefensterte” Fouriertransformation: Eswird die Funktion u durch Multiplikation mit dem verschobenen Fenter g lokalisiert und dannFourier-transformiert. Man beachte, dass die gefensterte Fouriertransformation eine Funktionvon 2d Variablen ist: Ggu : R2d → C. Ist die Fensterfunktion g eine Gauß-Funktion, d.h. g(x) =

(2πσ)−d/2 exp(− |x|2 /(2σ)) fur ein σ > 0 so spricht man auch von der Gabor-Transformation5.

5Dennis Gabor (eigentlich Gabor Denes, deutsch 19201934 auch Dionys Gabor) (* 5. Juni 1900 in Budapest;† 8. Februar 1979 in London)

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5.3. SONSTIGES

Da die Fouriertransformation eine Isometrie ist, erhalten wir mit den Rechenregeln fur dieFouriertransformation auch

(Ggu)(ξ, t) =1

(2π)d/2〈u,MξT−tg〉L2(Rd)

=1

(2π)d/2

⟨u, MξT−tg

⟩L2(Rd)

=1

(2π)d/2〈u,T−ξM−tg〉L2(Rd) .

Es folgt

(Ggu)(ξ, t) =1

(2π)d/2

∫Rd

u(ω)g(ω − ξ)ei(ω−ξ)tdω.

An dieser Gleichung konnen wir ablesen, dass die gefensterte Fouriertransformation auch “imFrequenzbereich” lokalisiert: Die Fouriertransformierte von u wird mit der verschobenen Fou-riertransformierten von g multipliziert. Der Wert Ggu(ξ, t) enthalt also “Ortsinformationen” vonu, welche um t lokalisiert ist (durch Multiplikation mit g(x − t) und “Frequenzinformationen”von u, welche um ξ lokalisiert ist (durch Multiplikation mit g(ω − ξ). Hier spielen wiederum dieUnscharferelationen ein Rolle: g und g konnen nicht gleichzeitig “gut lokalisiert” sein. Die besteLokalisierung (im Sinne der Heisenbergschen Unscharfe) liefert die Gauß-Funktion.

In der Tat hat die Heisenbergsche Unscharferelation eine tiefliegende Verbindung zur ge-fensterten Fouriertransformation. Wir betrachten den eindimensionalen Fall und die folgendenOperatoren: Zu ξ, t ∈ R sei

U(ξ, t) = MξT−t : L2(R)→ L2(R).

Man sieht leicht, dass dies Isometrien sind. Die gefensterte Fouriertransformation ergibt sich mitdieser Notation als

(Ggu)(ξ, t) =1

(2π)d/2〈u, U(ξ, t)g〉 .

Wir erhalten die Operatoren X und P aus Abschnitt 5.2 nun wie folgt:

i∂

∂ξ[U(ξ, t)f ](x)|ξ=0,t=0 = −xf(x) = −Xf(x)

und

i∂

∂t[U(ξ, t)f ](x)|ξ=0,t=0 = −if ′(x) = Pf(x).

Bemerkung 5.3.16. Der gefensterten Fouriertransformation liegt ebenfalls eine Gruppe zuGrunde (in anderem Sinne als in Abschnitt 5.3.1). Wir betrachten die Menge

G = R×R× S1 = (ξ, t, τ) | ξ, t ∈ R τ ∈ C, |τ | = 1

versehen mit der Operation

(ξ, t, τ) (ξ′, t′, τ ′) = (ξ + ξ′, t+ t′, ττ ′ei(ξt′−ξ′t)/2).

Eine leichte Rechnung zeigt, dass (G, ) eine Gruppe bildet (das neutrale Element ist (0, 0, 1)).Diese Gruppe tragt den Namen Weyl-Heisenberg-Gruppe. Sie kann durch eine Menge von be-schrankten Operatoren U(ξ, t, τ) : L2(R)→ L2(R) dargestellt werden:

[U(ξ, t, τ)f ](x) = τe−iξt/2MξT−tf(x) = τe−iξt/2eiξxf(x− t)

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5.3. SONSTIGES

d.h. es gilt U((ξ, t, τ) (ξ′, t′, τ ′)) = U(ξ, t, τ)U(ξ′, t′, τ ′):

U(ξ, t, τ) U(ξ′, t′, τ ′) = ττ ′e−i(ξt+ξ′t′)/2Mξ T−tMξ′︸ ︷︷ ︸=e−itξ′Mξ′T−t

T−t′

= ττ ′e−i(ξt+ξ′t′+2tξ′)/2MξMξ′T−tT−t′

= ττ ′ei(ξt′−ξ′t)/2e−i(ξ+ξ′)(t+t′)/2Mξ+ξ′T−(t+t′)

= U(ξ + ξ′, t+ t′, ττ ′ei(ξt′−ξ′t)/2).

Die Operatoren U(ξ, t, τ) generieren (bis auf einen Vorfaktor) die gefensterte Fouriertransforma-tion:

1

(2π)d/2〈u, U(ξ, t, τ)g〉 =

1

(2π)d/2

∫R

u(x)τeiξt/2e−iξxg(x− t)dx

= τeiξt/2(Ggu)(ξ, t).

Die gefensterte Fouriertransformation erhalten wir also, indem wir die Komponente τ und denweiteren Vorfaktor ignorieren. So ergeben sich (bis auf ein Vielfaches) die obigen OperatorenU(ξ, t) wieder.

Die Ableitungen von U(ξ, t, τ) nach den Komponenten, ausgewertet am Ursprung nennt manauch infinitesimale Generatoren der Gruppe; sie bilden eine Basis der Lie-Algebra zur GruppeG. Es ergibt sich:

i∂

∂ξ[U(ξ, t, τ)f ](x)|ξ=0,t=0,τ=1 = −xf(x) = −Xf(x)

i∂

∂t[U(ξ, t)f ](x)|ξ=0,t=0,τ=1 = −if ′(x) = Pf(x).

i∂

∂τ[U(ξ, t)f ](x)|ξ=0,t=0,τ=1 = if(x) = i id .

Von diesen drei Operatoren kommutiert derjenige bezuglich τ als Vielfaches der Indentitat mitden anderen beiden. Die Operatoren bezuglich ξ und t kommutieren bekanntermaßen nicht. InRahmen dieser Theorie ist die Heisenbergsche Unscharferelation einr Folgerung aus der Tatsache,dass zwei der infinitesimalen Generatoren der Weyl-Heisenberg-Gruppe nicht kommutieren.

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Kapitel 6

Aufgaben

Aufgabe 1: [Mengen in Vektorraumen] Es seien X ein Vektorraum und A,B ⊂ X. ZeigenSie:

1. Es gilt 2A ⊂ A+A. Geben Sie ein Beispiel fur 2A 6= A+A.

2. Der Schnitt von zwei konvexen Mengen ist konvex.

3. Sind A und B konvex, so ist A+B konvex.

4. Sind A und B balanciert, so ist A+B balanciert.

Aufgabe 2: [Die konvexe Hulle] Es sei X ein Vektorraum. Die konvexe Hulle von A ⊂ X istdefiniert als

convA = n∑k=1

tkxk | xk ∈ A, tk ≥ 0,∑

tk = 1, n beliebig.

Zeigen Sie, dass convA konvex ist und dass convA der Schnitt aller konvexen Mengen die Aenthalten ist.

Aufgabe 3: [Mengen in topologischen Vektorraumen] Es seien X ein topologischer Vek-torraum und A,B ⊂ X. Zeigen Sie:

1. Ist A offen, so ist convA offen.

2. Ist X lokal konvex, so gilt: Ist A beschrankt, so ist convA beschrankt.

3. Sind A und B beschrankt, so auch A+B.

Aufgabe 4: [Stetige lineare Abbildungen auf Lp([0, 1])] Es sei 0 < p < 1 und Y ein lokalkonvexer Raum. Zeigen Sie, dass jede stetige und lineare Abbildung A : Lp([0, 1]) → Y nur dieNullabbildung sein kann.

Aufgabe 5: [Die Metrik aus Proposition 2.2.7]

1. Es sei (X, d) ein metrischer Raum. Zeigen Sie, dass fur α > 0 auch

D(x, y) = αd(x, y)

1 + d(x, y)

eine Metrik auf X definiert welche die gleiche Topologie wie d induziert.

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2. Es sei P = pi | i ∈ N eine separierende Familie von Halbnormen auf X. Zeigen Sie, dass

d(x, y) =∑i∈N

2−ipi(x− y)

1 + pi(x− y)(*)

eine Metrik auf X ist.

Aufgabe 6: [Metrisierung von C(Ω)] Es seien Ω ⊂ Rd offen und Kn (n ∈ N) kompakteTeilmengen von Ω mit

Kn ⊂ (Kn+1), Ω =

⋃Kn.

Auf C(Ω) definieren wir die Halbnormen

pn(f) = sup|f(x)| | x ∈ Kn

und damit die Metrik d analog zu (*).

1. Beschreiben Sie die Konvergenz fk → f bezuglich dieser Metrik d mit bekannten Konver-genzbegriffen fur Fuktionenfolgen.

2. Zeigen Sie, dass (C(Ω), d) vollstandig ist.

Aufgabe 7: [Konvergenz in lokal konvexen Raumen]Es sei X ein lokal konvexer Raum mit einer Topologie die, wie in Satz 2.2.4, aus Halbnormengeneriert ist. Zeigen Sie, dass eine Folge (xk) in X genau dann gegen Null konvergiert, wenn furjede Halbnorm p ∈ P gilt p(xk)→ 0.

Aufgabe 8: [Nicht-vollstandige Topologie auf D(Ω)]Zeigen Sie, dass die metrisierbare Topologie von D(Ω) aus Bemerkung 3.2.3 fur beliebiges offenesΩ nicht vollstandig ist.

Aufgabe 9: [Konvergenz in C∞(R) und D(R)]Finden Sie eine Folge (φn) in D(Ω) welche in C∞(R) aber nicht in D(R) konvergiert.

Aufgabe 10: [Lineare Abbildungen auf D(Ω)]In dieser Aufgabe sei D(Ω) mit der Topologie aus Definition 3.2.4 ausgestattet. Es sei A einelineare Abbildung von D(Ω) in einen lokal konvexen Raum Y . Zeigen Sie, dass die folgendenAussagen aquivalent sind:

(a) A ist stetig.

(b) A ist beschrankt (d.h. Bilder beschrankter Mengen sind beschrankt).

(c) φi → 0 in D(Ω) impliziert Aφi → 0 in Y .

(d) Die Einschrankung von A auf jedes DK ⊂ D(Ω) ist stetig.

Aufgabe 11: [Distribution oder nicht?]Es sei Ω ⊂ R. Welche der folgenden Abbildung D(Ω)→ C sind Distributionen? (Beweisen oderwiderlegen Sie.)

1. T (φ) =∫Rφ(x)dx

2. T (φ) =∫Rφ(x)x dx

3. T (φ) = 1− φ(0)

4. T (φ) = φ′′(5)− φ′(1)/π

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Aufgabe 12: [Distribution unendlicher Ordnung]Es sei Ω =]0,∞[. Zeigen Sie, dass

T (φ) =∑k∈N

Dkφ(1/k)

eine Distribution mit unendlicher Ordnung ist.Zeigen Sie weiter, dass T nicht zu einer Distribution auf R fortgesetzt werden kann, das heißt,es gibt kein S ∈ D(R)′, so dass S(φ) = T (φ) fur φ ∈ D(]0,∞[).

Aufgabe 13: [Grenzwerte von Distribution] Es sei Ω = R. Berechnen Sie die Grenzwerteder folgenden Folgen (fn) beziehungsweise (Tn) in D(R)′ (falls sie existieren):

(a) fn(x) =

0, |x| > 1/n

n/2, |x| ≤ 1/n

(b) fn(x) =

0, |x| > 1/n

n2/2, |x| ≤ 1/n

(c) Tn = δn

(d) Tn =∑nk=1 δk.

(e) Tn =∑nk=1 δ1/k

Aufgabe 14: [Ableitungen von Distribution] Es sei Ω = R.

(a) Berechnen Sie die distribultionelle Ableitung der Funktion

f(x) =

−x− 1, x < 0

1− x, x ≥ 0.

(b) Berechnen Sie die Ableitungen δ(n).

(c) Berechnen Sie die Ableitung von T (φ) =∑∞n=1 φ

(n)(n).

(d) Ausnahmsweise sei Ω = R2. Berechnen Sie die ersten partiellen Ableitungen von T (φ) =∫Rφ(0, y)dy.

Aufgabe 15: [Der Cauchy’sche Hauptwert]Es sei Ω = R und f : Ω→ C. Der Cauchy’sche Hauptwert von f(x)/x ist definiert durch

C.H.

∫R

f(x)

xdx = lim

ε→0

∫|x|>ε

f(x)

xdx.

Die Funktion x 7→ log |x| ist lokal integrierbar und induziert daher eine Distribution. Zeigen Sie,

(Tlog| · |)′(φ) = C.H.

∫R

φ(x)

xdx.

Hinweis: Man kann die (nicht lokal-integrierbare) Funktion x 7→ 1/x in diesem Sinne wiefolgt als Distribution auffassen: C.H. 1

x∈ D(R)′ ist definiert durch

(C.H.1

x)(φ) = C.H.

∫R

φ(x)

xdx.

Damit gilt (log | · |)′ = C.H. 1x

im Distributionensinne.

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Aufgabe 16: [Distribution oder nicht? II]Welche der folgenden Abbildungen T sind Distributionen? (Beweisen oder widerlegen Sie.)

(a) Es sei Ω = R und T (φ) =∑∞k=0 φ

(k)(0).

(b) Es sei Ω = R2 und T (φ) =∫ 2π

0φ(sin(θ), cos(θ))dθ.

(c) Es sei Ω = Rd, s ∈ R und T (φ) =∫Rd φ(x) |x|s dx.

Aufgabe 17: [Produkt von Distribution und Funktion]Es sei Ω = R und g ∈ C∞(Ω).

(a) Zeigen Sie gδ = g(0)δ und gδ′ = g(0)δ′ − g′δ.

(b) Berechnen Sie (gδ)′.

(c) Es sei f ∈ L1loc(R). Zeigen Sie die Produktregel

(gTf )′ = g′Tf + g(Tf )′

ohne die allgemeine Produktregel aus Satz 3.4.7 zu benutzen.

Aufgabe 18: [Multiplizieren von Distributionen?]Da wir Funktionen mit Distributionen Multiplizieren konnen, stellt sich die Frage, ob man nichtauch Distributionen und Distributionen Multiplizieren konnen. In dieser Aufgabe wollen wir diesnegativ beantworten.Wir nehmen Ω = R und versuchen, folgendes “Produkt von Distributionen”

δ · Tid · C.H.1

x

sinnvoll zu erklaren.

(a) Ist die Multiplikation kommutativ, so sollte δ · Tid = Tid · δ = id δ gelten. Berechnen Sieid δ und folgern Sie, dass die “einzig sinnvolle” Definition (δ · Tid) · C.H. 1

x = 0 ist.

(b) Berechen Sie Tid · C.H. 1x = id C.H. 1

x und zeigen Sie, dass die “einzig sinnvolle” Definitionδ · (Tid · C.H. 1

x ) = δ ist.

Fazit: Da Assoziativgesetz ist nicht ohne weiteres sinnvoll zu erfullen.

Zusatz-Aufgabe 19: [Weitere Operationen auf Distributionen]Es sei Ω = Rd. Schlagen Sie eine sinnvolle Verallgemeinerung der Definition der folgenden Ope-rationen D(Ω)→ D(Ω) auf Distributionen T ∈ D(Ω)′ vor:

(a) Skalierung: Sλf(x) = f(λx) fur λ 6= 0.

(b) Konjugation: f 7→ f .

(c) Drehung: DRf(x) = f(Rx) fur R ∈ Rd×d orthogonal mit Determinante ±1.

Zusatz-Aufgabe 20: [Trager von Produkten]Es sei Ω = R.

(a) Fur welche f ∈ C∞(Ω) gilt fδ′ = 0? Fur welche f gilt fδ′′ = 0?

(b) Beweisen oder widerlegen Sie folgende Aussage: Ist f ≡ 0 auf suppT , so gilt fT = 0.

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Aufgabe 21: [δ als Ableitung von stetigen Funktionen]

(a) Finden Sie eine Darstellung von δ ∈ D(R)′ als zweite distributionelle Ableitung einerstetigen Funktion f . Welche Moglichkeiten fur f gibt es?

(b) Finden Sie eine Darstellung von δ ∈ D(R2)′ als Ableitung oder Summe von Ableitungenvon stetigen Funktionen nach Satz 3.5.6 oder 3.5.7.

Aufgabe 22: [ψ von links und von rechts]Es seien ψ ∈ D(Ω) und T ∈ D(Ω)′. Impliziert eine der Bedingungen

(i) ψT = 0, (ii) T (ψ) = 0

die andere? Beweisen oder widerlegen Sie.

Aufgabe 23: [Ableitung als Grenzwert des Differenzenquotienten]Es sei Ω = R und T ∈ D(Ω)′. Zeigen Sie

1h (T −T−hT )

h→0−→ DT in D(Ω)′.

Aufgabe 24: [Stetigkeit linearer Abbildungen]Zeigen Sie, dass die folgenden linearen Abbildungen von D(Ω)′ → D(Ω)′ stetig sind:

(a) Beliebige Ableitungsoperatoren Dα nach Definition 3.4.1

(b) Verschiebungen Ta nach Bemerkung 3.4.10

Hinweis: In dieser Aufgabe ist Folgenstetigkeit gemeint.

Aufgabe 25: [Beispiele fur Faltungen]

(a) Es sei T ∈ D(Rd)′. Zeigen Sie T ∗ δx = T−xT

(b) Es sei φ ∈ D(Rd). Berechnen Sie 1 ∗ φ.

Aufgabe 26: [Vorbereitung zur Losung der Laplace-Gleichung]Es sei G : R3 → R definiert durch

G(x) =

− 1

4π|x| , x 6= 0

0, x = 0.

Weiterhin sei ∆ der Laplace-Operator, d.h. ∆f =∑3i=1 ∂i∂if . Zeigen Sie

∆G = δ.

Hinweis: Beachten Sie TG(∆φ) = limε→0

∫|x|≥εG(x)∆φ(x)dx (warum?) und benutzen Sie

eine Green’sche Identitat.

Aufgabe 27: [Losen der Laplace-Gleichung]Es sei ∆ der Laplace-Operator aus der vorigen Aufgabe und f ∈ D(R3). Finden Sie (ggf. mitHilfe mit der vorigen Aufgabe) eine Losung u : R3 → R der partiellen Differentialgleichung

∆u = f.

Zusatz-Aufgabe 28: [Nicht-Assoziativitat der Faltung]Es sei H : R→ R die Heaviside-Funktion, d.h.

H(x) =

1, x > 0

0, x ≤ 0.

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(a) Zeigen Sie, H ∗ φ(x) =∫ x−∞ φ(y)dy fur φ ∈ D(R).

(b) Zeigen Sie δ′ ∗H = δ.

(c) Zeigen Sie 1 ∗ δ′ = 0.

(d) Folgern Sie1 ∗ (δ′ ∗H) 6= (1 ∗ δ′) ∗H.

Aufgabe 29: [Beispiele fur Fouriertransformierte]Es sei a > 0. Berechnen Sie die Fouriertransformierten folgender Funktionen uk : R → C(k = 1, . . . , 4):

(a)

u1(x) =

1, |x| ≤ a/20, |x| > a/2

.

(b)

u2(x) =

a− |x| , |x| ≤ a0, |x| > a

.

Hinweis: Nutzen Sie Teil (a) und den Faltungssatz!

(c)

u3(x) =

e−x, x ≥ 0

0, x < 0.

(d)u4(x) = e−|x|

Aufgabe 30: [Adjunktionsformel]Es seien u, v ∈ L1(Rd). Zeigen Sie∫

Rd

u(ξ)v(ξ)dξ =

∫Rd

u(ξ)v(ξ)dξ.

Aufgabe 31: [Fouriertransformierte von L1-Funktionen verschwinden bei ∞]Es sei u ∈ L1(Rd). Zeigen Sie, dass

|ξ| → ∞ =⇒ |u(ξ)| → 0.

Hinweis: Sd ist dicht in L1(Rd) und F : Sd → Sd.

Aufgabe 32: [Vertauschungsregeln]Zeigen Sie folgende Vertauschungsregeln:

(a) MaySa = SaMy

(b) MωTy = e−iy ·ωTyMω.

Aufgabe 33: [Fouriertransformation von Polynomen]

Es sei P : Rd → C ein Polynom. Berechne P (als Fouriertransformierte einer temperiertenDistribution). Folgern Sie, dass eine temperierte Distribution die Fouriertransformierte einesPolynoms ist, genau dann wenn ihr Trager nur der Nullpunkt ist.

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Aufgabe 34: [Fouriertransfomation der Heaviside-Funktion]

(a) Zeigen Sie

F(C.H. 1x ) = −i

√π

2sign .

Hinweis: Die Identiat∫∞

0

sin(x)x

dx = π2

konnen Sie benutzen.

(b) Es sei H = χ]0,∞[ die Heaviside-Funktion (vgl. Zusatz-Aufgabe 28). Zeigen Sie

H =1√2π

(πδ − i C.H. 1x ).

Hinweis: Benutzen Sie (a) und die Darstellung H = 12(1 + sign).

Aufgabe 35: [Konvergenz in Sd]

(a) Geben Sie eine Folge (φn) an, welche in S1 konvergiert, jedoch nicht in D(R).

(b) Zeigen Sie, dass durch T : φ 7→∫R

exφ(x)dx keine temperierte Distribution gegeben ist.

Aufgabe 36: [Momente]Fur k = 0, 1, . . . ist das k-te Moment einer Funktion φ : R→ C definiert durch

Mk(φ) =

∫R

xkφ(x)dx.

(a) Zeigen Sie: Fur φ ∈ S1 gilt

Mk(φ) = 0 ⇐⇒ DkF(φ)(0) = 0.

(b) Gibt es eine Funktion φ : R→ C welche nicht die Nullfunktion ist, aber fur die Mk(φ) = 0fur alle k gilt? Beweisen oder widerlegen Sie.

Aufgabe 37: [Sobolev-Norm fur Skalierung und Modulation]Es sei φ ∈ D(Rd), k ∈ N und 1 ≤ p ≤ ∞. Zeigen Sie: Ist |ξ| ≥ 1, R ≥ 1/ |ξ| und A > 0 dann hatdie Funktion

ψ(x) = AMξS1/Rφ(x) = Aφ(x/R) exp(iξ · x)

eine Wm,p-Norm, die durch C A |ξ|m Rd/p beschrankt ist (die Konstante C darf dabei von φ, pund k abhangen).

Aufgabe 38: [W 1,1(R) → C0(R)]Es sei C0(R) = u ∈ C(R) | u(x)→ 0 |x| → ∞ ausgestattet mit der Norm ‖u‖sup = max |u(x)|.Benutzen Sie Beispiel 5.1.12 um zu zeigen, dass W 1,1(R) in C0(R) eingebettet ist.

Aufgabe 39: [W d,1(Rd) → C0(Rd)]Zeigen Sie, W d,1(Rd) → C0(Rd).

Aufgabe 40: [Regularitat des Gebietes ist wichtig fur Einbettungen]Wir betrachten folgendes Gebiet in R2:

Ω = (x1, x2) ∈ R2 | 0 < x1 < 1, 0 < x2 < x21.

Zeigen Sie, dass fur dieses Gebiet der Raum W 1,p(Ω) nicht fur alle p > 2 in L∞(Ω) eingebettetist.

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Hinweis: Benutzen Sie zum Beispiel eine Funktion der Form u(x1, x2) = xα1 und wahlenSie α geeignet.

Aufgabe 41: [Vorbereitung, aquivalente Sobolev-Norm]Es seien m, d ∈ N und definiere f, g : Rd → R durch

f(ξ) =∑|α|≤m

|ξα|2 , g(ξ) = (1 + |ξ|2)m.

Zeigen Sie, dass es Konstanten c, C > 0 gibt (welche von m und d abhangen durfen) so dass

cf ≤ g ≤ Cf.

Hinweis: Es gilt das Multinomialtheorem:

(x1 + · · ·+ xd)m =

∑|α|=m

m!

α!xα.

Aufgabe 42: [Aquivalente Sobolev-Norm]Zeigen Sie, dass (∫

Rd

(1 + |ξ|2)m |u(ξ)|2 dξ

)1/2

eine aquivalente Norm auf Wm,2(Rd) ist.

Aufgabe 43: [Negative fraktionale Sobolev-Glattheit]Es sei δ die Dirac-Distribution. Fur welche s ∈ R und d = 1, 2 . . . gilt δ ∈ Hs(Rd)?

Aufgabe 44: [Dualitat von Hs(Rd) und H−s(Rd)]Zeigen Sie, dass zu einem stetigen, linearen Funktional λ : Hs(Rd)→ C genau ein g ∈ H−s(Rd)existiert, so dass fur jedes f ∈ Hs(Rd) gilt

λ(f) =

∫Rd

g(ξ)f(ξ)dξ.

Hinweis: Der Dualraum von L2(Rd) kann mit L2(Rd) identifiziert werden.

Zusatz-Aufgabe 44’: [Hs(Rd)-Norm]Zeigen Sie, dass die Hs(Rd)-Norm ausgedruckt werden kann durch

‖f‖Hs(Rd) = sup|〈f, g〉L2 | | g ∈ Sd, ‖g‖H−s(Rd) ≤ 1.

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Index

Dα, 15Dα, 77T ∗ S, 37T ∗ φ, 33, 36X ′, 22X → Y , 57C∞(Ω), 15Ck(Ω), 15C(Ω), 15F , 39Hm,p(Ω), 53L∞(Rd), 39Lp(Rd), 39Wm,p(Ω), 51E, 6[A,B], 67δx, 21DK , 15T , 47u, 39u, 43T , 47E, 6〈ξ〉, 64Myu, 40‖ · ‖N , 18‖ · ‖L∞ , 39‖ · ‖Lp , 39‖u‖Wm,p , 51Sλ, 9〈 · , · 〉L2 , 39〈u, v〉Wm,2 , 53sign, 3suppT , 28supp f , 15D(Ω), 18D(Ω)′, 21D(R), 17Ta, 9f ∗ g, 32, 33gT , 25xα, 15

abelsch, 74

Ableitungdistributionelle, 24einer Distribution, 23schwache, 24

Abschluss, 6Anfangswert, 2Approximation der Eins, 34

balanciert, 9Ball

offener, 7Banach-Raum, 10Basis, 8

Umgebungs∼, 8, 10

Charakter, 75

DiffeomorphismusCα,m-∼, 56

Distribution, 17, 18, 21δ-∼, 21Dirac-∼, 21induzierte, 22regulare, 22temperierte, 46

Dualitatssatz von Pontryagin, 77Dualraum, 22

Einbettung, 57

Faltung, 32∼ssatz, 41von Distribution mit kompaktem Trager

und C∞(Rd)-Funktion, 36von Distribution mit kompaktem Trager

und Distribution, 37von Funktionen, 33von Testfunktion und Distribution, 33

Fourier-Plancherel-Transformation, 45Fourierkoeffizient, 76Fourierreihe, 76Fouriertransformation, 39

auf Gruppen, 76einer temperierten Distribution, 47gefensterte, 78

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INDEX

Frechet-Raum, 10Fundamentallosung, 77Fundamentallemma

∼ der Variationsrechnung, 18Funktion

verallgemeinerte, 17

Gabor-Transformation, 78Gruppe, 74

duale, 75LCA.∼, 74

Halbnorm, 12Hausdorffraum, 6Heisenbergsche Unscharferelation, 68Homoomorphismus, 9

Inneres, 6Integration

partielle, 3, 23integrierbar

lokal, 17

Japanische Klammer, 64

Kommutator, 67kompakt

lokal, 74Konvergenz

im Distributionensinn, 22im metrischen Raum, 7im normierten Raum, 7im topologischen Raum, 7in C∞(Ω), 16in DK , 16in D(Ω), 20schwach*-∼ auf D(Ω), 22

konvex, 9konzentriert

ε-∼, 69

Leibniz-Formel, 25, 26Lipschitz-stetig, 56Lipschitzgebiet, 56Lipschitzrand, 56

Mengeabgeschlossene, 6balancierte, 9beschrankte, 9konvexe, 9offene, 6

metrisierbar, 10Modulation, 40

Multiindex, 15Multiplikation

von Distribution und Funktion, 25

Nullumgebung, 6

Observable, 72Operator

adjungierter, 67dicht definierter, 67unbeschrankter, 67

Operatorselbstadjungierter, 67Ordnung

einer Distribution, 21eines Differentialoperators, 15unendliche, 21

Plancherel-Gleichung, 44, 77Produkttopologie, 7

RaumBanach-∼, 10Frechet-∼, 10lokal beschrankter, 10lokal konvexer, 10metrisierbarer, 10normierter, 9topologischer, 6

SatzFaltungs∼, 41

Schwartz-Raum, 42selbstadjungiert, 67separierend, 13Skalierungsoperator, 9Sobolev-Raum, 51

fraktionaler, 64Stetigkeit, 7

in einem Punkt, 7

Teilraumtopologie, 7Topologie, 6

auf C∞(Ω), 16auf DK , 16auf D(Ω), 19auf einer Teilmenge, 7durch eine Metrik induzierte, 7Produkt∼, 7schwach*, 22schwach*-∼ auf D(Ω)′, 22

Trager, 15einer Distribution, 28

Transportgleichung, 2

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INDEX

Umgebung, 6Unscharferelation, 66

Heisenbergsche, 68Untervektorraum, 8

Vektorraumtopologischer, 8

Verschiebungeiner Distribution, 27

verschiebungsinvariant, 10, 35Verschiebungsinvarianz, 9Verschiebungsoperator, 9

Weyl-Heisenberg-Gruppe, 79

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