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3KOPERNIKUS VERTAUSCHT ERDE UND SONNE
Nikolaus Kopernikus (1473–1543). Dieses Kopernikus-Bildnis aus dem Rathaus von Thorn istjenem an der astronomischen Uhr des Strassburger Münsters ähnlich. Vom Strassburger Portrait wissen wir aus der Beschreibung von Cunradi Dasypodius in seiner Publikation über die«Wahrhafftige Auszlegung und Beschreibung des astronomischen Uhrwercks zu Straszburg»1580 (ETH-Bibliothek, Alte Drucke), dass Dasypodius von Tydeman Gyse (Dasypodius’ Schreib-weise) aus Danzig ein «wahrhaftiges Portrait» von Kopernikus erhielt. Das betraf den Sohn desBruders von Bischof Tiedemann Giese (1480–1550), des engsten Freundes von Kopernikus.Nach diesem Portrait schuf Tobias Stimmer (1539–1584) das Strassburger Bildnis. Es dürfte vor1580 entstanden sein, denn in der 1578er-Beschreibung des Uhrwerks wurde Kopernikus nochnicht erwähnt, sondern erst in einem für die Ausgabe von 1580 zugefügten Kapitel. Wegen derÄhnlichkeit der Strassburger und Toruner Bildnisse sind wir geneigt anzunehmen, dass sie aufdieselbe Vorlage zurückgehen; die Herkunft der Vorlage rechtfertigt die Hoffnung, ein lebensna-hes Bild von Kopernikus vor uns zu haben. BILD: VERMUTLICH UM 1580, © BEZIRKSMUSEUM TORUN, PHOTO A. R. SKOWRONSKI.
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Dreht sich der Himmel und ist die Erde der ruhende Mittelpunkt
des Universums, wie Aristoteles, Ptolemäus und mit ihnen die ge-
samte abendländische Kultur behaupten, oder stehen die Sterne
still und kreist die Erde um die ruhende Sonne, wie Aristarch vermutete? –
Die Sonne steht still, hingegen dreht sich die Erde jeden Tag einmal um
sich selbst und sie kreist jedes Jahr einmal um die Sonne, war die Antwort
des Koper nikus (1473–1543), publiziert 1543 in De Revolutionibus Orbium
Coeles tium («Von den Drehungen der Himmelskreise»), besser bekannt als
De Revolutionibus. Darin erklärt er die Erde zum Planeten, auf gleicher Stufe
wie Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn, und überlässt der Sonne den
Platz in der Mitte.
Das neue Weltmodell widersprach dem «gesunden Menschenverstand»,
widersprach auch der an den Universitäten gelehrten Kosmologie und wi-
dersprach dem von der Kirche abgesegneten Weltbild. Was Martin Luther
und dem Volk ein Witz war, wurde den meisten Gelehrten ein Ärgernis.
Doch den Streit, den sein Buch auslösen wird, erlebte Kopernikus nicht
mehr. Sein Werk, das eben vom Buchdrucker kam, soll er noch in den
Händen gehalten haben, bevor er am 24. Mai 1543 starb. De Revolutionibus
fand viele Käufer, doch nur wenige akzeptierten das neue Weltbild. Allzu
stark widersprach es der Alltagserfahrung einer ruhen den Erde, und über-
dies konnte Kopernikus keine Beweise für die Richtigkeit des heliozentri-
schen Systems liefern. Seine Breitenwirkung entfaltete das Buch erst zu
Beginn des 17. Jahrhunderts dank Johannes Kepler und Galileo Galilei.
DER STUDENT AUS DEM NORDEN ZIEHT NACH ITALIEN
Kopernikus wurde 1473 in Torun geboren. Sein Vater starb, als der Junge
zehn Jahre alt war. An seiner Stelle kümmerte sich Onkel Lukas Watzen-
rode, der in der kirchlichen Hierarchie zum Bischof aufstieg, um den Kna-
ben. Er sandte ihn um 1491 nach Krakau an die Universität. Dann zog es
den jungen Studenten 1496 gegen Süden an die italienischen Universitä-
ten Bologna und Padua, wo er kirchliches Recht und Medizin studierte,
allerdings ohne Abschlüsse; mit Astronomie hatte er sich bereits in Krakau
vertraut gemacht. Selbstverständlich besuchte er auch Rom. Er war dort
im Heiligen Jahr 1500, das vom Renaissance-Fürsten und Borgia-Papst
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Ale xander VI. mit grossen Festlichkeiten gefeiert wurde. Kopernikus soll
in Rom Vorlesungen gehalten haben. Im Juli 1501 war er wieder in der
Heimat, kehrte aber kurz darauf nach Italien zurück. Welchen Aktivitäten
er nachging, ist nicht genau bekannt, jedenfalls holte er sich in Ferrara den
Doktortitel in Kirchenrecht und war damit für eine geistliche Karriere vor-
bereitet; allerdings liess er sich nie zum Priester weihen.
Kopernikus kehrte 1503 in den Norden zurück. An der Kathedrale von
Frauenburg (Frombork) wartete auf ihn – durch den Einfluss seines On-
kels – bereits seit 1495 die Stelle eines Kanonikus. Damit war er finanzi-
ell für den Rest seines Lebens abgesichert. Allerdings holte ihn sein Onkel,
Fürstbischof des Ermlandes, vorerst in die Bischofsresidenz Heilsberg. Erst
1610 trat er in Frauenburg in seine Pflichten als Domherr. Da fand er ver-
mehrte Musse, um sich neben seinen administrativen und juristischen Auf -
gaben und seiner medizinischen Tätigkeit in die Astronomie zu vertiefen.
Über seine persönlichen Beziehungen wissen wir wenig. Einsam war er
nicht, eine enge Freundschaft verband ihn mit dem Theologen Tiedemann
Giese (1480–1550), der allerdings 1538, nach seiner Berufung zum Bi-
schof von Kulm, von Frauenburg wegzog. Seine diplomatischen und ärzt-
lichen Fähigkeiten wurden geschätzt. Auch eine Klatschspalte blieb uns
erhalten: Im Jahr 1537 starb der Danziger Kaufmann Arend van der Schil-
ling. Seine Witwe Anna Schilling zog darauf als Haushälterin zu Koperni-
kus, er war ihr Onkel zweiten Grades. Doch der zuständige Bischof Dan-
tiscus war nicht gewillt, dieses Arrangement zu tolerieren. Anna Schilling
musste Frauenburg 1539 verlassen; dasselbe Los traf die Haushälterinnen
zweier weiterer Domherren. Ob es Intrige war oder Prüderie sei nicht klar,
schreibt Lemmel, der vor einigen Jahren über Kopernikus und seine Ver-
wandtschaft publizierte; der Bischof selbst, fügt Lemmel bei, sei Vater
zweier unehelicher Kinder gewesen.
FRÜHER ENTWURF EINES HELIOZENTRISCHEN UNIVERSUMS
De Revolutionibus wird heute selten gelesen. Das verwundert nicht: Das
Buch ist umfangreich, enthält reichlich Geometrie und Mathematik und
ist inhaltlich für Nichtspezialisten kaum verständlich. Leichter lesbar ist
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ein früher Entwurf zu seinem grossen Werk, bekannt als Commentariolus,
den Kopernikus irgendwann um das Jahr 1509 zu Papier brachte. Zu sei-
nen Lebzeiten wurde diese Schrift nie gedruckt. Sie zirkulierte nur in we-
nigen Kopien, die aber bis nahe ans Ende des 19. Jahrhunderts verschol-
len blieben. Doch 1877 wurde eine Abschrift gefunden, zwei weitere
kamen seither dazu.
Im Commentariolus schrieb Kopernikus seine Gedanken über den Auf-
bau der Welt auf sechs Blättern nieder. Sie enthalten die Grundzüge seines
neuen Weltbildes: Die Sonne steht im Mittelpunkt der Planetenkreise, die
Erde ist ein Planet, die tägliche Umdrehung der Erde um ihre eigene Achse
bewirkt die scheinbare tägliche Drehung des Himmels. Der Commenta-
riolus zählt dazu sieben Punkte auf:
1. Es gibt nicht nur einen Mittelpunkt für die Bewegung der Himmels-
körper.
2. Der Erdmittelpunkt ist nicht der Mittelpunkt der Welt, sondern nur
der Erdanziehung und der Mondbahn.
3. Alle Himmelskreise umgeben die Sonne, als stünde sie in deren Mitte,
daher liegt der Mittelpunkt der Welt in der Nähe der Sonne.
4. Das Verhältnis der Distanzen Erde–Sonne zu Erde–Fixsterne ist viel
kleiner als das Verhältnis vom Erdradius zur Distanz Erde–Sonne,
so dass die Distanz Erde–Sonne verschwindend klein ist gegen die
Distanz Erde–Fixsterne.
5. Was am Himmel als Bewegung wahrgenommen wird, entsteht nicht
durch die Bewegung des Himmels, sondern durch die Bewegung der
Erde. Die Erde dreht sich pro Tag einmal um ihre Achse, dabei bleibt
der Fixsternhimmel unbewegt.
6. Was uns als Bewegung der Sonne erscheint, ist nicht durch die Sonne
verursacht, sondern durch die Bewegung der Erde, die, wie die
andern Planeten, um die Sonne kreist.
7. Was bei den Planeten als Vorwärts- und Rückwärtsbewegung gegen-
über den Fixsternen erscheint, entsteht nicht durch die Bewegung der
Planeten, sondern durch die Bewegung der Erde um die Sonne.
Aus diesem Inventar werden heute folgende Charakteristiken als helio-
zentrisches Weltbild bezeichnet: 1. Die Sonne ist das Zentrum der Welt.
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2. Die Erde ist ein Planet und kreist pro Jahr einmal um die Sonne. 3. Tag
und Nacht kommen und gehen, weil sich die Erde jeden Tag einmal um
sich selbst dreht.
Im Vorspann gab Kopernikus die Gründe für sein Suchen nach einer
neuen Himmelsordnung. Das sind nicht etwa ungenaue Voraussagen der
alten Theorie, sondern der Äquant des Ptolemäus. Kopernikus suchte eine
Darstellung der Planetenbahnen, die auf gleichmässig durchlaufenen Krei-
sen beruhte. Das war eine philosophisch motivierte Absetzbewegung: Weg
von Ptolemäus, zurück zu Platon und Aristoteles und zu einem astrono-
mischen Modell, das den Kosmos beschreibt, wie er wirklich ist.
Den sieben Punkten folgen Kommentare zu den einzelnen Planeten.
Darin finden wir bereits ein grundsätzliches Charakteristikum der ko-
pernikanischen Theorie, das meist nicht zur Kenntnis genommen wird:
Das kopernikanische Weltbild. Die Sonne im Zentrum wird innerhalb der Erdbahn von Merkur und Venus umkreist. Um die Erde kreist der Mond. Mars, Jupiter und Saturn kreisen zwischen der Erdbahn und der Schale der Fixsterne. Jupiter wird in dieser Dar-stellung von den vier mediceischen Monden umkreist, die Galileo 1610 entdeckte. BILD: ANDREAS CELLARIUS, HARMONIA MACROCOSMICA, 1661. © ZENTRALBIBLIOTHEK ZÜRICH.
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Die Sonne sitzt nicht im Zentrum, sondern nur nahe bei den Zentren der
einzelnen Planetenbahnen. Das bedeutet aber, dass die Planeten um geo-
metrische Punkte kreisen, die von keinem physikalischen Körper besetzt
sind. – Kepler wird dieses Konstrukt nicht akzeptieren und grundsätzlich
neue Gesichtspunkte einbringen.
«DE REVOLUTIONIBUS»: EIN MEILENSTEIN DER ABENDLÄNDISCHEN KULTUR
Kopernikus publizierte sein Hauptwerk De Revolutionibus 1543, im Jahr
seines Todes. Von den beiden ersten Auflagen – je etwa 500 Exemplare –
existieren gemäss Nachforschungen von Owen Gingerich zurzeit noch um
die 250 Kopien der ersten und 290 Kopien der Basler Auflage von 1566;
am 17. Juni 2008 wurde ein Exemplar der Erstausgabe bei Christies in
New York für $ 2 210 500 verkauft.
De Revolutionibus ist eines der bedeutendsten astronomischen Bücher,
das je erschienen ist. Das Werk besteht aus einem Vorwort, einem einlei-
tenden Brief von Bischof Nikolaus von Schönberg an Kopernikus, einer
Widmung an Papst Paul III. und sechs «Büchern», die wir heute als Kapi-
tel bezeichnen würden. Die revolutionäre Idee wurde im ersten Buch vor-
gestellt und begründet, die übrigen Bücher enthalten trockene, technische
Materie. Das Vorwort wurde bald als schamlos eingeschobenes Kuckucksei
entlarvt – mehr dazu an späterer Stelle.
Sein erstes Wissen über das ptolemäische System holte sich Kopernikus
hauptsächlich aus der Epytoma des Regiomontanus. Wie bereits erwähnt,
handelt es sich dabei um eine kommentierte Zusammenfassung des aus
dem Griechischen übersetzten Almagest. Später besass er auch den vollen,
aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzten Text, der 1515 in Venedig
zum ersten Mal gedruckt wurde.
Was bewog Kopernikus, das alte Weltsystem über Bord zu werfen? Wir
fanden die Antwort bereits im Commentariolus, und Kopernikus beschwert
sich auch gleich zu Beginn des De Revolutionibus über die von Ptolemäus
formulierte Idee des Äquanten, denn er verletzt das platonisch-aristote-
lische Prinzip gleichmässig durchlaufener Kreisbahnen. Technisch aus -
gedrückt ersetzt das Modell des Äquanten die gleichmässige Geschwin-
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