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Jörg Hahn / Jens Schlesener Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte Diese Diplomarbeit wurde am Fachbereich Maschinenbau der Fachhochschule Trier im Auftrag der Firma Medical Research and Development Patent GmbH & Co. KG im Zeitraum von Mai 1997 bis Oktober 1997 erstellt.

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Health & Medicine


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Page 1: Gehorthese

Jörg Hahn / Jens Schlesener

Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte

Diese Diplomarbeit wurde am Fachbereich Maschinenbau der Fachhochschule Trier im

Auftrag der Firma Medical Research and Development Patent GmbH & Co. KG im

Zeitraum von Mai 1997 bis Oktober 1997 erstellt.

Page 2: Gehorthese

Wir begrüßen Sie zum ersten Kontakt mit der Diplomarbeit „Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte.

Diese Datei enthält einige Hinweise zur Nutzung der CD-Rom. Die einzelnen Dateien sind nach den Kapiteln der Diplomarbeit unterteilt:

• kapO enthält die Einführung in die Diplomarbeit

• kap 12 enthält die Kapitel „1. Einleitung" und Kapitel „2. Medizinische Grundlagen",

• kap3 enthält das Kapitel „3. Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte",

• kap4 enthält das Kapitel „4. Werkstoffe im Orthesenbau",

• kap5 enthält das Kapitel „5. Ideenfindung",

• kap67 enthält die Kapitel „6. Detaillösungen" und Kapitel „7. Ausblick",

• danach folgt der „Anhang" im Ordner anhang

Desweiteren sind auf dieser CD-Rom die während der Diplomarbeit erarbeiteten catia Model- Files der Detailkonstruktionen und der Lösungskonzepte gespeichert

Die einzelnen Kapitel lassen sich mit MS-Word 7.0 öffnen. Die catia Model-Files wurden mit der Version catia 4.1.7 erstellt.

Page 3: Gehorthese

Konzeption einer Gehorthese für Ouerschnittgelähmte

1. Uns ist bekannt, daß die Diplomarbeit als Prüfungsleistung in das Eigentum des Landes Rheinland - Pfalz übergeht. Hiermit erklären wir unser Einverständnis, daß die Fachhochschule Trier diese Prüfungs- leistung von Studenten der Fachhochschule Trier einsehen lassen darf, und daß sie die Abschlußarbeit unter Nennung unserer Namen als Urheber veröffentlichen darf.

Erklärungen

2. Wir erklären hiermit, daß wir diese Diplomarbeit selbständig verfaßt, noch nicht anderweitig für andere Prüfungszwecke vorgelegt, keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt sowie wörtliche und sinngemäße Zitate als solche gekennzeichnet haben.

Trier, den 24.10.97

Jörg Hahn Jens Schlesener

Vorwort

Jörg Hahn & Jens Schlesener

Page 4: Gehorthese

Im April 1997 hat der technische Geschäftsführer Friedrich Schmitt der Trierer Firma

Medical Research and Development Patent GmbH & Co. KG (MRD) uns das Thema

"Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte" für eine Diplomarbeit vorge-

schlagen. Da wir schon im Wintersemester 1995 / 1996 eine Konstruktionsarbeit aus dem

Bereich der Medizintechnik ausgeführt haben, hatten wir an diesem Thema sofort

Interesse.

Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte

An dieser Stelle möchten wir uns bei allen, die uns bei dieser Arbeit unterstützt haben,

bedanken; zuerst bei Herrn Prof. Dr. Ing. Michael Schuth für die Betreuung. Zudem stand

er uns jederzeit mit seinem Rat zur Seite und half uns bei der Bewältigung von Problemen.

Danken möchten wir der Firma MRD für die Aufgabenstellung und die interessanten Ideen

beim Brainstorming. Des weiteren möchten wir uns bei Dr. med. Bremer, Oberarzt in der

Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg, und den Orthopädietechnikern der Klinik

bedanken. In Gesprächen beurteilten sie die einzelnen Lösungsvorschläge und zeigten uns

Möglichkeiten zu Verbesserungen auf, die den Bedürfnissen der Behinderten vollends

gerecht werden. Besonders dankbar sind wir Frank Schäfer, der durch seine offenen

Gespräche und die von ihm geknüpften Kontakte uns vieles über die Bedürfnisse von

Paraplegikern nahe bringen konnte. Auch war sein persönlicher Ehrgeiz und sein

Engagement in dieser Sache immer wieder Ansporn für uns, unsere Arbeit weiter

hartnäckig zu verfolgen. Durch ihn lernten wir auch Claudia Kübert und Gerd Kluth

kennen. Sie vermittelten uns in zahlreichen Gesprächen ein Gespür für die

Bewegungsabläufe beim Gehen von behinderten und gesunden Menschen und

unterstützten uns jederzeit bei orthopädischen Problemen. Abschließend bedanken wir uns

bei den zahlreichen Firmen, die uns Anschauungsmaterial zur Verfügung stellten. Sie sind

namentlich im Anhang aufgeführt.

Inhalt Seite

Jörg Hahn & Jens Schlesener IV

Page 5: Gehorthese

Zusammenfassung _____________________________________________________

Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte

1. Einleitung __________________________________________________________ 1

Vll

1.1 Vorstellung der Firma MRD Patent GmbH & Co. KG __________________ 3

1.2 Zeitplanung __________________________________________________ 4

1.3 Zielsetzung ___________________________________________________ 6

1.4 Anforderungsliste: Orthese für Querschnittgelähmte ___________________ 10

2. Medizinische Grundlagen _____________________________________________ 13

2.1 Die Wirbelsäule _______________________________________________ 13

2.2 Das Rückenmark ______________________________________________ 14

2.3 Querschnittlähmung ____________________________________________ 16

2.4 Einstufung nach der Höhe der Rückenmarkschädigung _________________

17

3. Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte ________________ 19

3.1 Rollstühle ____________________________________________________ 19

3.2 Funktionelle Elektrostimulation und Neuroprothesen (Nerven aus Draht) ___ 20

3.3 Orthesen _____________________________________________________ 21

3.4 Reziproke Gehorthesen _________________________________________ 21

3.4.1 Die "LSU Reciprocation-Gait Orthosis" _____________________ 23

3.4.2 Die "Isozentrische ARGIO" ______________________________ 25

3.4.3 Der "Parawalker" ______________________________________ 27

4. Werkstoffe im Orthesenbau ___________________________________________ 28

4.1 Polyethylen und Polypropylen ____________________________________ 29

4.2 Carbonfaserverstärkte Kunststoffe _________________________________ 30

4.3 Aluminium ___________________________________________________ 31

4.4 Edelstahl _____________________________________________________ 32

4.5 Titan ________________________________________________________ 32

4.6 Sonstige verwendete Materialien __________________________________ 33

5. Ideenfindung _______________________________________________________ 35

5.1 Problemdarstellung ____________________________________________ 36

Jörg Hahn & Jens Schlesener V

Page 6: Gehorthese

5.2 Lösungsfindung _______________________________________________ 37

Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte

5.3 Vorstellung der Gesamtlösungen __________________________________ 42

5.3.1 Details, die alle Lösungen aufweisen ________________________ 42

5.4 Beschreibung der vier Lösungsvorschläge ___________________________ 43

5.4.1 Lösung 1: Gestänge-Hebelarmkombination mit Hydraulikantrieb __ 44

5.4.2 Lösung 2: Anatomische CFK-Schienen mit elektromotorischen

Antrieben _____________________________________________ 47

5.4.3 Lösung 3: Seilzuggesteuerte Orthese mit elektromotorischen

Antrieben _____________________________________________ 52

5.4.4 Lösung 4: Seilzuggesteuerte Orthese mit hydraulischen Antrieben _54

5.5 Vergleich der Lösungen _________________________________________ 60

5.6 Vergleichssystematik ___________________________________________ 65

5.7 Auswertung der Vergleichsystematik _______________________________ 67

6. Detaillösungen ______________________________________________________ 72

6.1 Das Hydrauliksystem ___________________________________________ 72

6.1.1 Experimentelle Ermittlung der notwendigen Längenänderungen __ 76

6.2 Aufnahme der Hydraulikzylinder __________________________________ 77

6.3 Anbindung der Bowdenzüge _____________________________________ 78

6.3.1 Plazierungen der Anbindungen __________________________________ 80

6.4 Führung der Bowdenzüge________________________________________ 81

6.5 Bandagen ____________________________________________________ 81

6.5.1 Individuelle Bandagenanpassung durch Klettverschlüsse _________ 81

7. Ausblick ___________________________________________________________ 84

Anhang ______________________________________________________________ 86

Anhang A: Primärenergieversorgung über einen Druckspeicher _____________ 86

Anhang B: Vorschläge zur Gestaltung der Steuerung bzw. Regelung _________ 87

Jörg Hahn & Jens Schlesener VI

Page 7: Gehorthese

______________________

Anhang C: Kontakte zu Betroffenen, Medizinern und Krankengymnasten _____

Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte

88

Anhang D: Firmen, zu denen im Verlaufe der Arbeit hilfreiche Kontakte

geknüpft wurden _________________________________________ 89

Anhang E: Firmen, deren Produkte in der Diplomarbeit vorgeschlagen wurden _89

Anhang F: Quellenverzeichnis _______________________________________ 90

Anhang G: Diplomanden ___________________________________________ 93

Jörg Hahn & Jens Schlesener VII

Page 8: Gehorthese

Der erste Kontakt eines Studenten mit seiner Diplomarbeit ist die Überschrift des Themas,

danach folgt meist eine kurze Erläuterung. Aufgrund dieser wenigen Informationen wird

entschieden, ob das Thema der Fachrichtung entspricht, in der man später beruflich tätig

sein möchte, und inwiefern das Thema für den jeweiligen Diplomanden genug

Motivations-grundlage bietet, um die Diplomarbeit mit Erfolg abschließen zu können.

Diese Zusammenfassung soll hierfür eine Entscheidungshilfe und Motivationsgrundlage

sein.

Die Trierer Firma MRD Patent GmbH & Co. KG hat das Thema "Konzeption einer

Gehorthese für Querschnittgelähmte" im April 1997 angeboten und notwendige finanzielle

Mittel zugesagt. Zu Beginn war eine umfangreiche Einarbeitung in die Thematik, speziell

in den medizinischen Themenbereich Querschnittlähmung, erforderlich. Neben der

üblichen Literaturrecherche wurden Kontakte zu Betroffenen, Firmen, Krankengymnasten

Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte

Zusammenfassung

und Ärzten geknüpft. In dieser Phase wurden die medizinischen

Grundlagen erarbeitet, der Stand der Technik von reziproken

Gehorthesen festgestellt und eine Vorauswahl an Werkstoffen

getroffen.

In zahlreichen Gesprächen mit Querschnittgelähmten wurden

ihre Bedürfnisse an die Orthese bestimmt, damit nicht am

Kunden vorbei konstruiert wird. Aus den Bedürfnissen

entstanden zum einen Ideen, die konstruktiv umgesetzt wurden

und zum anderen die Bewertungskriterien und deren

Gewichtung innerhalb einer Konstruktionssystematik. In der

Orthopädischen Universitätsklinik in Heidelberg wurden die

Lösungsansätze mit Medizinern und Orthopädietechnikern

besprochen, kritisiert und verbessert. Die krankengymnastische

Abteilung der Rehabilitationsklinik Burg Landshut in

Bernkastei - Kues (RPL) hat uns beraten, in welchen Rahmen

ein Gehen mit der Gehorthese möglich ist und unsere

Jörg Hahn & Jens Schlesener VIII

Bild 1: Virtueller Computer - Dummy als erste Testperson

Page 9: Gehorthese

Lösungskonzepte in bezug auf die menschliche Anatomie überprüft.

Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte

Die Lösungskonzepte wurden als Symboldarstellungen 3-dimensional mit CATIA

gezeichnet. Dazu war es notwendig einen virtuellen Computer - Dummy zu entwickeln, an

den die Orthese angepaßt werden komite. Der in Bild 1 dargestellte Computer - Dummy

weist die wesentlichen physiologischen Merkmale - kräftiger Oberkörper gegenüber

atrophierten Beinen - eines Querschnittgelähmten auf. Eines dieser Lösungskonzepte, das

in Bild 2 dargestellte "Seilzuggesteuerte Orthese mit

hydraulischen Antrieben" wurde durch eine

Konstruktionssystematik

zur

Detailkonstruktion

ausgewählt. Diese besteht aus einem System von

Bandagen, das zur Einleitung bzw. Abstützung der

Momente und zur Befestigung des Antriebes dient. Der

Antrieb, der der menschlichen Anatomie nachempfunden

ist, besteht aus hydraulischen Linearmotoren, deren

Hubbewegungen über Seilzüge auf die Beine übertragen

werden. Als Steuerung bzw. Regelung wird eine SPS

(Speicherprogrammierbare Steuerung) verwendet. Ihre

Signale wirken auf Ventilblöcke, die die Energie des

Druckmediums an die Antriebe verteilen.

Strenggenommen ist an diesem Punkt das Thema der

Diplomarbeit "Konzeption einer Gehorthese für

Querschnittgelähmte" ausgefüllt. Als Schnittstelle für

weiterführende Arbeiten wurde jedoch noch eine

Detailrecherche durchgeführt, deren Ergebnisse im Kapitel

"Detaillösungen" abschließend aufgeführt sind. Außer der

Detailkonstruktion bietet sich für weitere Diplomarbeiten

die Konstruktion der Energieversorgung und die

Entwicklung der Steuerung bzw. Regelung der

Bewegungsabläufe an. Ideen hierzu, die während dieser

Arbeit entstanden sind, sind im Anhang aufgeführt.

Bild 2: Seilzuggesteuerte

Page 10: Gehorthese

Orthese mit hydraulischen Antrieben

Jörg Hahn & Jens Schlesener IX

Page 11: Gehorthese

1. Einleitung

Einleitung

Vor etwa 35 Jahren führte eine Querschnittlähmung in der Regel innerhalb weniger

Wochen oder Monate zum Tode des Betroffenen. Für die wenigen Überlebenden bedingte

eine schwere Schädigung des Rückenmarks in jedem Fall einen lebenslangen Zustand der

Hilflosigkeit und Pflegebedürftigkeit.

Diese Situation hat sich mittlerweile grundlegend geändert. Es ist heute möglich, die

überwiegende Mehrzahl der an Folgen einer schweren Erkrankung oder Verletzung des

Rückenmarks Leidenden am Leben zu erhalten. Allerdings ergibt sich diese Verbesserung

der Überlebenschancen nur unter der Voraussetzung, daß jeder Querschnittgelähmte

sogleich und letztlich für sein ganzes Leben die erforderliche und in erheblichen Umfang

spezialisierte Behandlung erfährt, und daß er selber konsequent die Regeln und

Bedingungen beachtet, die die Behinderung und ihre Folgen von ihm fordern.

In Deutschland sind jährlich etwa 1000 - 1200 Neuerkrankungen oder Verletzungen mit der

Folge einer schweren Schädigung des Rückenmarks und hieraus resultierend einer

Querschnittlähmung zu verzeichnen. Eingeschlossen in diese Zahl sind etwa 300 Kinder,

die mit schweren Fehlbildungen des Rückenmarks und der Wirbelsäule (Spina bifida)

geboren werden. In erster Linie sind Verkehrsunfälle für etwa 60 Prozent aller

traumatischen Rückenmarkschädigungen verantwortlich. Bemerkenswert ist, daß die

Mehrzahl von querschnittgelähmten Verkehrsopfern ihre Schädigung dadurch erleiden, daß

sie aus dem Kraftfahrzeug heraus- oder im Fahrzeugraum umhergeschleudert werden.

Unter mehr als 1000 durch Kraftfahrzeugunfälle querschnittgelähmten Personen hatten

weniger als 10 in einem mit Nackenstützen ausgestatteten Auto einen korrekten

Sicherheitsgurt getragen. In den letzten Jahren hat die Zahl der Querschnittlähmungen

durch Moped- und Motorradunfälle deutlich zugenommen. Zu erwähnen ist schließlich die

Tatsache, daß bei mehr als der Hälfte der durch Verkehrsunfälle verursachten

Querschnittlähmungen dem Alkoholmißbrauch eine mitverursachende Rolle zugeschrieben

werden muß. Des weiteren kommt es nicht selten in Folge von Sport- und Spielunfällen zur

Querschnittlähmung. Als Ursache zu nennen sind hier insbesondere Badeunfälle

(Kopfsprünge in unbekannte Gewässer und Sprünge vom Seitenrand öffentlicher

Jörg Hahn & Jens Schlesener 1

Page 12: Gehorthese

________________________________________________________________

Schwimmbäder), Unfälle beim Trampolinturnen, beim Reiten und Skifahren. Von

Querschnittlähmungen als Folge von Unfällen am Arbeitsplatz sind insbesondere Personen

betroffen, die in der Landwirtschaft (Stürze von der Leiter oder vom Baum, Verletzungen

durch Landmaschinen), im Baugewerbe (Stürze von Baugerüsten oder in Baugruben

hinein) und im Untertagebau tätig sind. Neben den keineswegs seltenen häuslichen

Unfällen, von denen vor allem Hausfrauen und ältere Personen betroffen sind, spielen

bedauerlicherweise Selbsttötungs- und Fremdtötungsversuche als Ursachen von

Querschnittlähmungen eine erhebliche Rolle. Eine Querschnittlähmung kann auch durch

Entzündungen des Rückenmarks und der Wirbelsäule, Tumoren oder neurologischen

Systemerkrankungen (Multiple Sklerose) hervorgerufen werden [1].

Einleitunfi

Querschnittgelähmte sind je nach Krankheitsbild auf Hilfsmittel zur Rehabilitation und zur

Bewältigung des Alltages angewiesen. Die Orthopädietechnik bietet hier eine Vielzahl von

Orthesen an, die den Querschnittgelähmten bezogen auf sein Krankheitsbild in seinem

Umfeld beweglicher machen sollen und seine physische Konstitution erhalten oder sogar

verbessern sollen. Diese Orthesen sind oft schwierig zu handhaben. Das Gehen eines

Querschnittgelähmten mit einem sogenannten reziproken Apparat ist nur sehr begrenzt

möglich. Ein großes Problem hierbei sind die sehr begrenzten Kräfte des Betroffenen,

zumal es sehr schwierig ist, diese Kräfte, in der Regel die Kräfte des Oberkörpers, für eine

Gehorthese zu nutzen. Hier soll, ausgehend von bestehenden Systemen, mit weiterem

technischen Einsatz eine Verbesserung erzielt werden.

Im Rahmen dieser Konstruktion wird das Konzept für den Prototypen einer Gehorthese für

Querschnittgelähmte erstellt. Bei der Konzeption der Orthese wird vom Krankheitsbild

eines einzelnen Querschnittgelähmten, der sich als Versuchsperson angeboten hat,

ausgegangen. Die Orthese muß, wie es in der Orthopädie üblich ist, individuell an den

Betroffenen angepaßt werden. Sie soll durch einen externen Antrieb und eine externe

Energieversorgung den Gang des Querschnittgelähmten unterstützen. Diese Möglichkeiten

werden optional in der Konstruktion berücksichtigt, so daß ein Antrieb einfach adaptiert

werden kann.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 2

Page 13: Gehorthese

1.1 Vorstellung der Firma MRD Patent GmbH & Co. KG

Forschung und Entwicklung im medizinisch-technischen Bereich sind die

wesentlichen Arbeitsinhalte des 1995 von Friedrich Schmitt gegründeten

Unternehmens Medical Research and Development Patent GmbH & Co.

KG.

Zur Zeit beschäftigt die Firma MRD 11 fest angestellte Mitarbeiter. Neben den fest

angestellten Mitarbeitern unterstützen ständig etwa 20 Fachleute von Hochschulen und

Instituten die Firma MRD. Die MRD Beschäftigten kommen aus den unterschiedlichsten

Berufsfeldern, z.B. Ingenieure für bio-medizinische Technik, Ingenieure für Maschinenbau

oder ein Schreiner. Bei MRD steht die Fähigkeit, Dinge zu durchschauen, im Vordergrund.

Durch die Mischung unterschiedlicher beruflicher Fähigkeiten wird die innovative Arbeit

gefördert.

MRD erzielt mit diesem Konzept beachtliche Erfolge. Derzeit hält die Firma 23 Patente

und belegt damit auf dem rheinland-pfälzischen Patentindex des vergangenen Jahres Platz

zwei hinter der BASF.

MRD hat bisher folgende Produkte von der Patentanmeldung bis zur Marktreife

entwickelt:

• MRD Möbelsystem EVOLUTION (Bild 1 und 2)

• MRD Zytostatika-Sicherheitswerkbank Zyto Safe®

MRD hält unter anderem Patente für folgende Produkte:

• Luftreinigungsanlage

• Anti-Schnarch-Klammer

• Herzklappe

Ein Produktbeispiel ist das Möbelsystem EVOLUTION, ein Einrichtungssystem für

Praxen, Krankenhäuser etc. Es ist ein Modulsystem, bei dem die Knotenstücke, die jeweils

nur so viele Gewindebohrungen aufweisen wie für die Verbindung nötig sind, mit

Jörg Hahn & Jens Schlesener 3

MRD'

Page 14: Gehorthese

Rundrohren verbunden werden (Bild 1.1). Die Flächenwerkstoffe können nach Gefallen

und Verwendungszweck z.B. für Schränke, Schreibtische oder Empfangstresen ausgewählt

werden (Bild 1.2). Die patentierte Konstruktion erlaubt den problemlosen Austausch aller

Teile auch ohne Demontage.

Einleitung

Bild 1.1 :Die Knotenstücke werden mit Rundrohren verbunden

1.2 Zeitplanung

Bild 1.2: Ein Anwendungsbeispiel von

FVOT T TTTfYN

Das Hochschulgesetz sieht für eine Diplomarbeit, die reibungslos abläuft, einen Zeitraum

von 26 Wochen vor. Das ist in diesem Fall die Zeit vom 24.04. - 24.10.1997. Die

Verteilung der Arbeitszeit in Wochen veranschaulicht folgender Zeitplan:

Berechnung der Gesamtarbeitsstundenzahl:

• Im oben genannten Zeitraum liegen 124 Arbeitstage.

• Es wird eine durchschnittliche Arbeitszeit von 8 Stunden pro Tag berechnet.

• Die Zeit wird zu 2/3 von beiden Studenten gemeinsam, und zu 1/3 jeweils

einzeln genutzt.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 4

Page 15: Gehorthese

Daraus ergibt sich die Gesamtstundenzahl:

Einleitung

124 Arbeitstage x 8 Stundei

Tag }4,„ x 1.5 * 1300 Stunden

Stand: Do. 25.09.97 Arbeitsabschnitt Kalenderwoche 1997

Mai Juni Juli August September

i 8

i 2 0 2

1 2 2

2 3 2

4 2 5

2 6 7 8 2

9 3 0

3 1

3 2

3 3

3 4

3 5

3 6

3 7

3 S 3

9 4 0

4 1

4 2

4 3

Layout der einzelnen Kapitel

Recherche

Erarbeiten d. medi- zinischen Thematik

Auswertung der Recherche

Gliederung

Konstruktion

Ideenflndung

Detailrecherche

Werkstoffauswahl

Zwischen- präsentation

CAD

Endgültiges Layout

1 8

i 9 l

0 ? 1

1 2

2 3

1 4 1

5 7 6

7 7

7 8

7 9 3

0 3 1

3 2

3 4 3 5

3 6

3 7

3 8

3 9

4 0

4 1 4

2 4 3

Mai Juni J u l i August September

Der Zeitplan beginnt mit einer umfangreichen Recherche, weil die Thematik „Konzeption

einer Gehorthese für Querschnittgelähmte" für die Firma MRD und uns eine ganz neue

Herausforderung ist. Daran schließt sich eine Einarbeitungs- und Auswertungsphase an.

Nach 11 Wochen beginnt die Konstruktionsphase mit der Ideenflndung zu konkreten

Lösungsansätzen. In der 19. Woche findet eine Zwischenpräsentation statt. Hier wird mit

Herrn Prof. Dr. M. Schuth und der Firma MRD abgeklärt, welche Lösungsansätze

detailliert werden. Die Konstruktionsphase beinhaltet neben der Werkstoffauswahl und der

Jörg Hahn & Jens Schlesener 5

Page 16: Gehorthese

Ausarbeitung mit dem CAD Programm CATIA einige Detailkonstruktionen als

Schnittstelle zu weiterführenden Arbeiten. Bis zum Ende der Konstruktionsphase wird

parallel zu den Ausarbeitungen das Layout der fertigen Kapitel vorgearbeitet. Der Zeitplan

endet mit einem zweiwöchigen Zeitraum, in dem die Diplomarbeit endgültig zu Papier

gebracht wird.

Einleitung

1.3 Zielsetzung

Im Brainstorming werden zu Beginn der Arbeit die Assoziationen aller Beteiligten zum

Thema „Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte" festgehalten. Hieraus

ergibt sich der größtmögliche Rahmen des Projektes mit vielen Möglichkeiten, die zwar

denkbar, jedoch in ihrer Vielfalt nicht realisierbar sind. Abgesehen davon, daß in dieser

Diplomarbeit die Konzeption des mechanischen Gestells gefordert ist, wird nachfolgend

stichpunktartig der gesamte Umfang der ersten Ideenfindung dargestellt, um einen

Gesamteindruck über das Ausmaß des Projektes zu gewinnen.

Ideen zur Recherche:

• Literatur

• Internet

• Patentrecherche

• Befragung der Betroffenen; hauptsächlich Paraplegiker (Paraplegie =

Querschnittlähmung bei voller Funktion der Arme)

• Unterstützung durch Paraplegiker Verbände und Vereine

• Unterstützung durch Kliniken und Rehabilitationszentren

• Unterstützung durch Orthopädie-Techniker

• Unterstützung durch Werkstätten der Orthopädietechnik

• Unterstützung durch Hersteller orthopädisch technischer Werkstoffe, Gelenke und

Schienen

Jörg Hahn & Jens Schlesener 6

Page 17: Gehorthese

Ideen zu Funktionen:

Einleitung

• Die Orthese soll es dem Querschnittgelähmten ermöglichen, für einen bestimmten

Zeitraum selbständig zu gehen.

• Die Orthese soll die Stützfunktionen aus dem Zusammenspiel von Skelett und

Muskeln eines gesunden Menschen ersetzen.

• Die Othese soll die gleiche Steifigkeit aufweisen wie der menschliche Körper.

• Die Orthese muß mit einem Antrieb und einer Energiequelle versehen werden, um

die fehlende Beinkraft zu ersetzen.

• Die Orthese kann mit einem künstlichen Gleichgewichtssinn versehen werden.

• Die Handhabung der Orthese könnte über ein Bussystem mit einer SPS

(speicherprogrammierbare Steuerung) gesteuert werden.

Ideen zum Aufbau:

• Die Orthese kann aus Schalen, die den Kontakt zum Körper herstellen, und aus

orthopädischen Schienen und Gelenken zusammengesetzt werden.

• Das funktionsfähige menschliche Skelett soll mit seiner Stützfunktion und seinen

Gelenken komplett integriert werden.

• Aufbau als „mechanische Hose": Ein Gestell, in das der Querschnittgelähmte von der

Brust an bis einschließlich der Füße integriert wird.

• Aufbau als „mechanische Shorts": Ein Gestell wie die mechanische Hose, das nur bis

zu den Knien alle Funktionen (z.B. Funktionen zum Antrieb oder zur Unterstützung

des Gleichgewichtes) erfüllt. Weiter abwärts hat die Orthese nur noch Stützfunktion,

und es ist keine Adaption weiterer Funktionen unterhalb der Kniegelenke möglich.

• Aufbau als „mechanische Shorts": Die Orthese endet unterhalb der Kniegelenke. Das

Sprunggelenk wird durch einen orthopädischen Schuh abgestützt. Die Bewegung des

Unterschenkels wird wie bei einer Oberschenkelprothese erzeugt.

• Alle Varianten sollen direkt an die Anatomie des Querschnittgelähmten angepaßt

werden.

• Der Betroffene soll in der Lage sein, die Orthese selbst anzulegen.

• Die Orthese soll über ein System von Schnellverschlüssen einfach in der

Handhabung sein.

Ideen zu Werkstoffen:

Jörg Hahn & Jens Schlesener 7

Page 18: Gehorthese

• Alle Werkstoffe müssen nach Möglichkeit äußerst leicht sein, hohe Festigkeit und

hohe Korrosionsbeständigkeit aufweisen. Hier können Werkstoffe, wie sie im

Segelsport verwendet werden, mit ihren äußerst beständigen Eigenschaften und

zusätzlicher Leichtbauweise verwendet werden

Einleitung

• Einzeln angepaßte Schalen können aus modernen Verbundwerkstoffen, wie Carbon-

oder Glasfaser verstärkte Werkstoffe, hergestellt werden.

• Für die Gelenke kann Edelstahl oder Titan verwendet werden.

• Für Stützschienen kann Aluminium oder Titan verwendet werden.

Ideen zum Einsatzort:

• Einsatz innerhalb der eigenen Wohnung: Hier kann evtl. auch während des

Gebrauches eine Aufladung der Energieversorgung stattfinden.

• Einsatz im Freien: Hier muß das Überwinden von schon kleinsten Hindernissen, wie

unebener oder weicher Untergrund berücksichtigt werden.

• Einsatz für Rehabilitationszwecke, also ausschließlich im Rahmen ärztlicher

Behandlung

• Vom Einsatzort ist die Dauer des Einsatzes mitbeeinflußt.

Ideen zur Energieversorgung und Energieübertragung:

• Die Energieversorgung soll am Körper getragen werden. Dazu muß sie leicht sein

und darf keine Gefahr darstellen.

• Es soll keine Energie „verschenkt" werden. So soll Gewicht gespart werden. Nach

Möglichkeit soll versucht werden, Energie zurück zu gewinnen.

• Nutzung der Wärmeenergie des Körpers über einen Wärmetauscher

• Rückgewinnung von Energie beim Auftreten durch einen „Schuhsohlengenerator"

• Einbeziehen des körpereigenen Biogases in den Energiehaushalt

• Die Leistungsfähigkeit der Arme soll in vollem Umfang genutzt werden.

• Energie aus einem Drucklufttank ist mechanisch einfach zu verteilen.

• Energie durch einen Verbrennungsmotor, der auf dem Rücken getragen werden kann:

Vorteilhaft ist hierbei die hohe Energiedichte der Treibstoffe. Bei der Verwendung

von Wasserstoff fallen sogar störende Abgase weg. Aus dem Modellbau können

hierfür Erfahrungen übernommen werden.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 8

Page 19: Gehorthese

• Elektrische Energie ist über eine SPS und ein Bussystem einfach zu steuern und am

Körper zu verteilen.

Einleitung

• Elektrische Energie kann auf vielerlei Weise bereitgestellt werden:

a) Durch leistungsfähige Akkus, wie sie bei Heimwerkerwerkzeugen zu finden sind

b) In der eigenen Wohnung ist eine Energieversorgung über ein Oberleitungssystem

wie bei Straßenbahnen denkbar. Hierüber kann während der Nutzung gleichzeitig

ein Akku wieder aufgeladen werden.

c) Im Auto ist das Aufladen eines Akkus über einen Anschluß am

Zigarettenanzünder denkbar.

d) Bei Gebrauch im Freien und bei Sonnenschein kann Energie über eine mit

Solarzellen bestückte Jacke erfolgen.

Beim Brainstorming ist Kritik gegen einen Lösungsansatz nicht zugelassen. Da diese

Auflistung das Ergebnis eines Brainstorming ist, beinhaltet sie nur Vorteile zur Nutzung

der Vorschläge, obwohl bei vielen Vorschlägen sich Kritik insbesondere hinsichtlich der

Realisierbarkeit aufdrängt. Um bei der Arbeit zu einem guten Ergebnis gelangen zu

können, muß also, so gut wie dies im Vorfeld möglich ist, abgewägt werden, welche

Inhalte wirklich realisierbar sind und den Rahmen einer Diplomarbeit sinnvoll ausfüllen.

Nach dieser Abwägung ist das Lastenheft im folgenden Abschnitt entstanden.

1.4 Anforderungsliste: Orthese für Querschnittgelähmte

Jörg Hahn & Jens Schlesener 9

Page 20: Gehorthese

F=Forderung, W=Wunsch 03.07.1997

Einleitung

Ander. F/ W

Anforderungen Verantw.

Zweck: - Hauptproblem: Querschnittlähmung (Paraplegie) - Gehhilfe für Querschnittgelähmte

F - Stützen des Körpers - Durch externen Antrieb wird aufrechter Gang ermöglicht

F a) - mit fremder Hilfe W a) - ohne fremde Hilfe F a) - in der Ebene W a) - Treppe W a) - auf verschiedenem Untergrund

- Erhöhen der Selbständigkeit —> Erhöhen des Selbstwertgefühls Stand der Technik:

- Patentrecherche läuft MRD 01.07.97 - Patente über angetriebene Orthesen existieren nicht

Markt: - siehe Recherche Zielgruppe:

MRD

03.07.97 - Querschnittgelähmte, Reha-Zentren - Paraplegiker Anzahl:

w - ein Prototyp für Christian Elbeshausen (C.E.) Zus.- Arbeit

Produktausführung: mit C.E. F

- individuelle Anfertigung

F - Gesamtgeometrie wird durch Patienten bestimmt W

- Gewicht soll der atrophierten Muskelmasse entsprechen

W - Menschlicher Gang, v ca. 0,8 m/s Kräfte: - Masse des Körpers - Trägheitskräfte - (Druckkräfte nimmt Skelett teilweise auf)

Ander. F/ W

Anforderungen Verantw.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 10

Stand:

Page 21: Gehorthese

03.07.97

03.07.97

03.07.97 03.07.97

w

w

W

W

W F W F W

- Laufzeit: 2h/Tag über 30 Jahre ~>21900h ->79*10A

- Steifigkeit soll der des Knochen entsprechen Energie:

6 Schritte

- (gesunder Mensch kann kurzfristig 500W leisten) - nötige Bewegungsenergie + Verluste der Übertragung

- Energiezufuhr und -Umformung wird nicht im Detail behandelt

- Konstruktive Lösung der Energieumformung

Stoff: - Patient, (Skelett, Muskeln, Sehnen) - Gerüst (GFK, CFK, AI, Ti, usw.)

Signal: - Bewegungsbefehle des Patienten zur Regelung - von der Regelung zur Energiequelle - von der Energiequelle zu den Antrieben - von den Antrieben zur Regelung

Sicherheit: - Einhaltung des Medizinproduktegesetz bzw. Richtlinie

93/42 EWG

Ergonomie: - Bedienung: a) einmaliger Reiz ruft gespeicherten Bewegungsablauf

auf b) andauernder Reiz für den Bewegungsablauf

- Form: Anlehnung an natürlichen Körperbau - mit fremder Hilfe anzuziehen - ohne fremde Hilfe anzuziehen - Gleichgewichtserhalt mit Unterarmstützen - Gleichgewichtserhalt ohne Unterarmstützen

Fertigung: - einzeln angefertigte Schalen - gleichbleibende Teile wie Gelenke usw. sind

Standardteile

Kontrolle: - Probelauf und Softwareverifikation

Montage: - nach Anfertigung der Formteile Fertigmontage in der

Werkstatt

Jörg Hahn & Jens Schlesener 11

Page 22: Gehorthese

Einleitung

Ander. F/ W

Anforderungen Verantw.

Gebrauch: F - bis Ende des Lebensdauerzyklus W - Tod des Patienten, danach recyclen

-Ort:

F a) innerhalb geschlossener Räume W a) außerhalb geschlossener Räume

Emissionen: - Lärm (mechanische Geräusche), andere je nach Antrieb Instandhaltung: - nach gewisser Stundenzahl Sichtkontrolle der einzelnen Komponenten Kosten:

- Entwicklungkosten MRD - Herstellungskosten

- Materialkosten Termine:

u.FH

F - siehe Zeitplan

Jörg Hahn & Jens Schlesener 12

Page 23: Gehorthese

2. Medizinische Grundlagen

Medizinische Grundlagen

In den folgenden vier Abschnitten werden die Wirbelsäule des Menschen und das

Rückenmark beschrieben. Des weiteren wird eine Basis geschaffen, um das Thema

Querschnittlähmung auch medizinisch zu begreifen.

2.1 Die Wirbelsäule

Bild 2.1: Die Wirbelsäule des Menschen (Columna vertebralis) mit Bezeichnung der einzelnen Abschnitte und Wirbel

In Bild 2.1 ist die Wirbelsäule des Menschen dargestellt. Oben befinden sich die sieben

Halswirbel Cl - C7 (Vertebrae cervicales I -VII). Weiter oben sind keine Wirbelelemente

mehr. Hier mündet das verlängerte Rückenmark (Medulla oblangata) in den

Jörg Hahn & Jens Schlesener 13

Page 24: Gehorthese

Schädelknochen und stellt so die Verbindung zum Gehirn her. Unter den Halswirbeln

schließen sich die zwölf Brustwirbel an (Vertebrae thoracicae I - XII). Bei einer

Schädigung (Läsion) des Rückenmarks in diesem Bereich spricht man von einer thoracalen

Lähmung. Unter den Brustwirbeln befinden sich die fünf Lendenwirbel (Vertebrae

lumbales I -V). Bei Läsionen in diesem Bereich spricht man von lumbaler Lähmung. Der

unterste Abschnitt der Wirbelsäule ist das Steißbein (Os sacrum). Die Wirbelelemente sind

hier zu einem Knochen zusammengewachsen. Im Querschnitt der Wirbelsäule ist der

Wirbelkanal (Canalis vertebralis) zu erkennen. In diesem Kanal verläuft das Rückenmark.

Es wird durch die Wirbelsäule vor Verletzungen geschützt und zugleich im flexiblen

Wirbelkanal geführt.

Medizinische Grundlagen

2.2 Das Rückenmark

Das Rückenmark (Medulla spinalis) ist im Bild 2.2 farblich hervorgehoben. Es ist ein

langer dicker Strang von Nervenfasern und Nervenzellen sowie Bindegewebe im

Rückenmarkskanal (Canalis vertebralis) der Wirbelsäule. Es wird in die gleichen

Abschnitte (cervical-, thoracal-, vertebral- und sacral Abschnitt) wie die Wirbelsäule

unterteilt. Die Abschnitte sind im Bild 2.2 gelb, rot, blau und weiß hervorgehoben. Eine

weitere Unterteilung des Rückenmarks - den Wirbeln entsprechend - erfolgt in sogenannte

Rückenmarksegmente. Eine Besonderheit der acht Halsmarksegmente (Segmenta

cervicalia I -VIII) liegt in der Anzahl acht gegenüber den sieben Halswirbeln. Zusammen

mit dem Gehirn bildet das Rückenmark das Zentralnervensystem. Die Verbindung

zwischen Gehirn und Rückenmark ist das verlängerte Mark (Medulla oblangata). Das

Rückenmark erfährt in der Wachstumsphase eine Positionsänderung in Bezug auf die

knöchernen Strukturen. Dies geht anschaulich aus Bild 2.2 hervor. Die einzelnen

Rückenmarksegmente enden auf der Höhe des 2. Lendenwirbels. Ab dem 2. Lendenwirbel

besteht es nur noch aus nervösen Leitungsverbindungen (Cauda equina = Pferdeschwanz).

Die Aufgabe des Rückenmarks besteht einerseits in der Herstellung der nervösen

Leitungsverbindungen zwischen Gehirn und Körperperipherie, andererseits in der Bildung

von Reflexzentren sowie Schaltneuronen zur Koordination einfacher motorischer

Bewegungsabläufe. Jedem Wirbel wird ein Segment des Rückenmarks zugeordnet. Es

Jörg Hahn & Jens Schlesener 14

Page 25: Gehorthese

besteht aus weißer und grauer Substanz. Die

weiße Substanz sind die Leitungsbahnen,

die graue Substanz sind Nervenzellen-

ansammlungen. Die beiden Substanzen sind

gegeneinander streng abgetrennt. Im

Rückenmarkquerschnitt, der etwa die Größe

einer kleineren Münze hat, lassen sich die

Leitungsbahnen außerhalb der

Medizinische Grundlagen

schmetterlings-ähnlichen grauen Substanz

leicht erkennen und den verschiedenen

Strängen zuordnen.

Das Rückenmark ist ein wichtiges Zentrum

für Reflexe. Das Durchtrennen des

Rückenmarks hat zur Folge, daß die

unterhalb der Schädigung liegenden

Bereiche ohne nervöse Verbindung mit dem

Gehirn sind. Der Betroffene spürt diese

Körperteile nicht mehr, auch nicht bei

Verletzungen, und kann sie nicht mehr

bewegen. Dieser Zustand nennt sich

Querschnittlähmung (Paraplegie = zwei

symmetrische Gliedmaßen sind betroffen,

Letraplegie = alle vier Gliedmaßen sind von

der Lähmung betroffen)[2, 3,4].

Bild 2.2: Lage des Rückenmarks im Rückenmarkskanal beim Erwachsenen. Ab dem 2.

Lendenwirbel besteht es nur noch aus nervösen Leitungsverbindungen (Cauda

equina) [2].

Jörg Halm & Jens Schlesener 15

Page 26: Gehorthese

2.3 Querschnittlähmung

Medizinische Grundlagen

Querschnittlähmungen sind überwiegend Folgen von Schädigungen des Rückenmarks,

mitunter auch Schädigungen von Nervenwurzeln oder von im Wirbelkanal verlaufenden

peripheren Nerven (Cauda equina-Schädigung). Die komplette Querschnittlähmung ist

die vollständige Unterbrechung der Rückenmarkbahnen in Höhe eines oder mehrerer

Segmente. Sie führt zu einer charakteristischen Trias von motorischer, sensibler und

vegetativer Lähmung, d.h.:

• Willkürbewegungen können im gelähmten Körperbereich nicht mehr ausgeführt

werden.

• Die Funktionen der Oberflächensensibilität (Berührungs-, Schmerz-,

Temperaturempfindung) sind vollständig ausgefallen. Gleichzeitig sind die

Empfindungen der Tiefenwahrnehmung (propriozeptive Sensibilität) teilweise

oder vollständig gestört, was heißt, daß die Wahrnehmung für geführte

Bewegungen sowie für Lage und Vibrationsempfindungen verloren sind.

• Daraus resultieren schwere Ausfälle hinsichtlich der Blasen- und

Mastdarmfunktion, der Sexualfunktion, der Regulation des peripheren

Kreislaufs, der Atemfunktion und der Schweißdrüsensekretion.

Als inkomplette Querschnittlähmung bezeichnet man eine partielle Unterbrechung des

Rückenmarks, und daraus resultierende partielle Lähmungen motorischer, sensibler und

vegetativer Funktionen. Weiter wird unterschieden zwischen schlaffer- und spastischer

Querschnittlähmung. Läsionen mit völliger Denervierung in den Bereichen des Hals-,

Brust-, Lenden- oder Sakralmarks können komplette oder inkomplette schlaffe

Querschnittlähmungen verursachen. Schädigungen im Bereich des Brustmarks mit

thorakalen Lähmungsfolgen können ungesteuerte, unwillkürliche Muskelaktivitäten

hervorrufen, die zu kompletten oder inkompletten spastischen Querschnittlähmungen

führen [5, 6].

Jörg Hahn & Jens Schlesener 16

Page 27: Gehorthese

2.4 Einstufung nach der Höhe der Rückenmarkschädigung (Läsions-

niveau)

Medizinische Grundlagen

Der Terminus Paraplegie wird einerseits als Sammelbegriff für alle Lähmungen nach

spinaler Läsion benutzt, andererseits werden im engeren Sinne als Paraplegie oder

Paraparese Lähmungen nach Schädigung des Brust- und Lendenmarks, des Conus

medullaris (unterste Segmente des Rückenmaks) und der Cauda equina definiert. Hier sind

die Muskulatur des Rumpfes und der unteren Gliedmaßen sowie deren Sensibilität gestört.

In Abgrenzung hierzu werden unter den Begriffen Tetraplegie oder Tetraparese

Lähmungsbilder verstanden, die aus Halsmarkläsionen resultieren. Zur Definition des

Niveaus einer Querschnittlähmung wird jeweils das letzte intakte Segment angegeben, also

beispielsweise „Paraplegie unterhalb Th9" oder „Tetraplegie unterhalb C6". Die

Lagebeziehung zwischen Wirbel und betroffenen Rückenmarkssegment, sowie die sich

daraus ergebenden körperlichen Abhängigkeiten mit den wichtigsten zugehörigen

orthopädischen Versorgungsmaßnahmen werden in Bild 2.3 dargestellt.

Die hier zu konzipierende Gehorthese ist für eine Versorgung von Betroffenen mit

Lähmungen im unteren thoracalen Bereich gedacht.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 17

Page 28: Gehorthese

Medizinische Grundlagen

Jörg Hahn & Jens Schlesener 18

Läsion körperliche Abhängigkeiten wichtigste Hilfsmittelversorgung unter- halb

Tetraplegie ____________________________________________________________

Grundsätzlich: Beeinträchtigung der Atmungsmechanik, Blasen- und Mastdarm lähmung,

________ rollstuhlabhängigC3/4 In allen Handhabungen des 1 elektr. Rollstuhl mit speziellen

___________________________________________

täglichen Lebens von Hilfe Steuerungshilfen, z.B. abhängig Kinnsteuerung und 1 mech.

Rollstuhl, Pflegehilfen z.B. Lifter, ____________________________________ elektr. steuerbares StehgerätC4/5 Vollständig pflegeabhängig, 1 mech. und 1 elektr. Rollstuhl,

______

Greifen mit passiver Funktionshilfen für die Hand, elektr. Funktionshand möglich z.B. Schreibmaschine, elektr. steuerbares Essen und Schreiben mit Stehgerät

________ Hilfsmitteln möglichC6 Teilweise pflegeabhängig, 1 mech. und 1 elektr. Rollstuhl,

________________________________________

Greifen mit aktiver Funktionshilfen für die Hand, elektr. Funktionshand, selbständige Schreibmaschine, elektr. steuerbares Oberkörperpflege Stehgerät, Fahren eines angepaßten

PKW möglich C7/8 Selbständig bis auf geringe 2 mech. Rollstühle, elektr.

Hilfeleistungen, Gehen mit Schreibmaschine, Zimmerbarren und Gehapparaten im Barren möglich Gehapparate, Stehgerät, Fahren eines

____________________________________ angepaßten PKW möglichParaplegie

________

Grundsätzlich: Blasen- und Mastdannlähmung,

________ pflegeunabhängigThl-9 Beeinträchtigung der 2 mech. Rollstühle, Zimmerbarren

__________________________________________

Atmungsmechanik bis Th6, und Gehapparate, PKW rollstuhlunabhängig, Gehen mit

________ Gehapparaten im BarrenTH11- Teilweise rollstuhlunabhängig, 2 mech. Rollstühle, Zimmerbarren L2 Gehen und Treppensteigen mit und Gehapparate, PKW

_____________________________________

Gehapparaten an ________ UnterarmstützenL3/4 Weitgehend 1 mech. Rollstuhl, Gehapparate ohne

___________________________________________

rollstuhlunabhängig, Gehen mit Kniesperre und Unterarmstützen, Gehapparaten ohne Kniesperren PKW

________ an Unterarmstützen' L5-S1 Rollstuhlunabhängig, Gehen mit Gehstöcke, Peroneusfeder, PKW

_________________________________________

________ Peroneusfeder an GehstöckenS2/3 Weitgehend normale Abrollhilfe

________

_________________________________

Gehfähigkeit

Bild 2.3: Schematische Darstellung der Lage des Rückenmarks zu den Wirbelkörpern der Wirbelsäule mit tabellarischer Auflistung der daraus resultierenden körperlichen Abhängigkeiten und wichtigste Hilfsmittelversorgung

______________________________________________

Page 29: Gehorthese

________________________

3. Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte

Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte

In den folgenden Kapiteln „Rollstühle", „Funktionelle Elektrostimulation" und „Orthesen"

wird ein kurzer Überblick gegeben, welche Hilfsmittel Querschnittgelähmten zur

Verfügung stehen, und in welche Richtung die Forschung geht, um die Mobilität der

Betroffenen zu erhöhen. In dem Kapitel „Reziproke Gehorthesen" wird der aktuelle

technische Stand von reziproken Gehorthesen wiedergegeben, auf dem diese Diplomarbeit

aufbaut.

3.1 Rollstühle

Die sorgfältige, individuelle Auswahl des Rollstuhls stellt einen wesentlichen Schritt zur

umfassenden Rehabilitation des Querschnittgelähmten dar. Der Rollstuhl ist für den

Paraplegiker wie für den Tetraplegiker nicht, wie mitunter irrtümlich definiert, ein

„Krankenfahrzeug", sondern das wichtigste Hilfsmittel zur Bewältigung eines

entscheidenden Teils der Behinderung, nämlich des Mobilitätsverlustes. Er ist in der Regel

die unverzichtbare Voraussetzung für die aktive Teilnahme am täglichen Leben, am

Berufsleben und am Sport.

Zur Auswahl für den Querschnittgelähmten stehen zur Verfügung:

• mechanisch zu bedienende Rollstühle mit einfacher oder verstärkter Ausführung

der Hinterachse

• mechanisch zu bedienende Rollstühle aus Leichtmetall

• mechanisch zu bedienende Rollstühle mit speziellen Konstruktionsmerkmalen,

die sie für die Sportausübung geeignet machen

• Elektrorollstühle

• Spezialrollstühle mit Aufrichte- oder Lagerungsmechanik

• Transit- und Transportrollstühle zur Bedienung durch Hilfspersonen

Der Rollstuhl muß hinsichtlich der technischen Voraussetzungen den verbliebenen

Restfunktionen des Querschnittgelähmten gerecht werden. Er wird nach Körpergröße,

Hüftbreite und Längenmaßen an Ober- und Unterkörper ausgemessen und gegebenenfalls

Jörg Hahn & Jens Schlesener 19

Page 30: Gehorthese

angepaßt. Die Auswahl muß also stets individuell erfolgen. Zur gezielten Versorgung des

Querschnittgelähmten eignen sich besonders Rollstühle, deren Grundbestandteile einem

Baukastensystem entsprechen. Sie sollten in ihrem Aufbau und in ihrer Zusammensetzung

auch zu einem späteren Zeitpunkt der Behinderung und der speziellen Situation des

Patienten entsprechend variiert werden können [6].

Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte

3.2 Funktionelle Elektrostimulation (FES) und Neuroprothesen (Nerven aus Draht)

Hier wird durch elektrische Reizung bestimmter Muskelgruppen eines Beines, die der

Paraplegiker jeweils selbst auslöst, eine Schrittbewegung hervorgerufen. Das

Gleichgewicht und die Vorwärtskomponente der Bewegung wird von den Armen mit dem

Oberkörper durch den Einsatz von Armstützen bewirkt [5]. Dennoch ist die FES wie auch

die Neuroprothese ä la CALIES (Computer Aided Locomotion by Implanted Electro-

Stimulation) nicht als Ersatz für den Rollstuhl gedacht. Denn der Gelähmte könnte dann

viele Bewegungen, für die er beide Hände braucht, nicht mehr ausführen. Aus diesem

Grund arbeitet der Physiker Prof. Wolfgang Daunicht vom Neurologischen

Therapiezentrum in Düsseldorf seit ein paar Jahren schon an einer neuen Generation von

Stand-Gang-Prothesen: Eine Schritt-Maschine mit Gleichgewichtsorgan - und ohne

Krücken. Daunicht: „Der Querschnittgelähmte muß sich um nichts mehr kümmern. Ein

neuronales Netz mit künstlichen Reflexen schützt ihn davor, umzufallen, wenn ihn

beispielsweise jemand anrempelt." Weil es zu riskant ist, die automatische

Gleichgewichtssteuerung an einem Menschen auszuprobieren, hat der Physiker einen

virtuellen Paraplegiker mit 180 Körpermuskeln entworfen. „Wenn ich beispielsweise einen

Muskel von dem virtuellen Paraplegiker mit einer Elektrode reize, kann ich genau

beobachten, was dies für eine Bewegung im ganzen Körper auslöst", sagt Daunicht. Aus

solchen virtuellen Leibesübungen im Computer läßt sich berechnen, was passiert, wenn der

Querschnittgelähmte stürzt, und wie das künstliche Gleichgewichtsorgan das verhindern

kann. Damit dies nicht nur Theorie bleibt, hat Daunicht einen Roboter entwickelt. Mit den

aus dem Modell berechneten Algorithmen ist der Roboter „Freddy" inzwischen sehr

standfest geworden: Selbst auf einem Bein stehend, kippt er nicht um, wenn man ihn ins

Wanken bringt. Auch an Patienten soll das künstliche Gleichgewichtsorgan mit

Jörg Hahn & Jens Schlesener 20

Page 31: Gehorthese

Beschleunigungssensoren, die wie in der Natur die Richtung der Schwerkraft ermitteln

können, in ein paar Jahren ausprobiert werden [7]. Stehen und Gehen mit Hilfe von

Elektrostimulatoren - selbst wenn sie nur kurzfristig und für kleine Strecken angewendet

werden - bringt eine ganze Reihe von medizinischen Vorteilen. Neuroprothesen

verhindern, daß Knochen entkalken, Muskeln schwinden oder Druckgeschwüre entstehen.

Sie regen den Kreislaufan und können Spastiken lindern [8].

Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte

3.3 Orthesen

Hier sind die Orthesen der Sachgrupppe der Lähmungsorthesen von größter Bedeutung. Sie

werden nach Maß oder Körperformmodell hergestellt und sind funktionsergänzende und

auch funktionsunterstützende, bewegungsbeeinflussende Orthesen für mehrgelenkige

Gliedmaßenbereiche. Die erforderliche Teilfixierung wird mit statisch-starren

Grundelementen der Orthese erreicht [5]. Der Bau einer Lähmungsorthese erfordert in allen

Fällen die Beherrschung der mechanischen, statischen und der dynamischen Grundlagen,

eine reiche Erfahrung und die liebevolle Erfassung des Einzelfalles, zumal jeder Fall

anders liegt. Gerade hier ist die Zusammenarbeit des Arztes und des Mechanikers von

besonderer Notwendigkeit. Einer muß den anderen beraten. Soll ein Stütz- oder Gehapparat

für einen Gelähmten gebaut werden, kommt es zunächst einmal darauf an, ob es sich um

eine sog. schlaffe oder eine spastische (Krampf-) Lähmung handelt. Die

Muskelverhältnisse sind bei beiden Lähmungsformen ganz verschieden. Durch den Ausfall

der Muskeln, welche die Streckung des Hüft- und Kniegelenks bewirken und diese

Gelenke in Streckstellung halten, ist der Mensch nicht mehr imstande, sich mit Sicherheit

beim Gehen und Stehen aufrecht zu halten. Der Lähmungsapparat soll sicheren Stand und

sicheren, bestmöglichen Gang vermitteln [5].

3.4 Reziproke Gehorthesen

Zur Mobilisierung von Querschnittgelähmten mit fehlender muskulärer Hüftgelenk- und

Beinkontrolle kann durch die Anwendung reziproker Gehorthesen eine relativ natürliche

und effiziente Fortbewegung erzielt werden.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 21

Page 32: Gehorthese

_______________________

Die Koppelung der linken mit der rechten Beinorthese über eine Becken-Rumpforthese

ermöglicht durch die Beugung des einen Hüftgelenkes jeweils die Streckung des

gegenseitigen Hüftgelenkes. Die sich daraus ergebende statisch-mechanische Bewegung

beider Beinseiten ergibt den reziproken (wechselseitigen) Gang [5].

Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte

Indikationen für eine reziproke Gehorthese:

• Die Füße sollen im Stand in Neutral-Null-Stellung (90° Winkel von Fuß zum

Unterschenkel) auf den Boden aufgesetzt werden können. Geringe Fehlhaltungen

können durch Schuhzurichtungen korrigiert werden.

• Die Kniegelenke dürfen keine nennenswerten Kontrakturen (unter 5°-10°) aufweisen.

• Die Hüftgelenke sollten beweglich und frei von Kontrakturen, Einsteifungen und

Spastizität sein.

• Gute Muskelkraft der oberen Gliedmaßen

• Richtige Motivation

• Unterstützung und Mithilfe durch die Familie

• Realistische Ziele und Erwartungen, da ganz sicher keine Orthese für einen derart

schwerbehinderten Patienten völlige „Normalität" wiederherstellen kann. Die

Benutzung von Gehhilfen ist auch weiterhin erforderlich. Das reziproke Gehen mit

der Orthese ist mit geringer bis mittelmäßiger Geschwindigkeit und mit wenig

Kraftaufwand möglich.

• Wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, können evtl. operative

Korrektureingriffe und eine krankengymnastische Behandlung vor der

Orthesenversorgung in Erwägung gezogen werden.

Kontraindikationen:

• Schwere, nicht korrigierbare Kontrakturen, die einen regelrechten Aufbau der

Orthese unmöglich machen.

• Spastizität oder andere unwillkürliche Muskelaktivitäten, die einen freien und

koordinierten Bewegungsablauf verhindern.

• Übergewicht

• Muskelschwäche der oberen Extremitäten [9, 5]

Jörg Hahn & Jens Schlesener 22

Page 33: Gehorthese

Behandlungsziel:

Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte

Wenn die oben angegebenen Voraussetzungen gegeben sind, kann der Patient

voraussichtlich mit der Orthese aufrecht stehen und bei regelmäßiger täglicher Benutzung

das Entstehen von Kontrakturen verhindern. Erwachsene werden außerhalb ihres

Wohnbereichs trotz der Orthesenversorgung auch weiterhin auf die Benutzung des

Rollstuhls angewiesen sein. Der Patient muß diese Zusammenhänge verstehen, um die

Möglichkeiten und Grenzen der Orthese, gemessen an seinen speziellen Bedürfnissen,

einschätzen zu können [5]. Im folgenden werden verschiedene Systeme reziproker

Gehorthesen vorgestellt.

3.4.1 Die „LSU Reciprocation-Gait Orthosis"

Die erste reziproke Gehorthese war die LSU Reciprocation-Gait Orthosis. Sie wurde 1983

von der Louisianna State University in New Orleans vorgestellt und auch dort entwickelt.

Gebaut wird sie von Durr-Fillauer Medical INC. in Chattanooga Tennessee (USA).

Die LSU Gehorthese (Bild 3.1) ergibt sich aus:

• Einer Leichtgewichts-Kunststoffkonstruktion: Die Oberschenkel- und Unterschenkel-

formteile sind aus Polypropylen geformt. Verstärkungen aus Carbonfasereinlagen in

der Sprunggelenkregion wirken versteifend.

• Einem individuell geformten Beckenführungsteil aus Kunststoff unter Einschluß des

Kreuzbeins und des Gesäßes. Das Beckenführungsteil hat eine gewisse Elastizität,

die der Beweglichkeit dient.

• Der Verwendung von Aluminiumschienen mit rückverlagerten Kniegelenken, die mit

einer Fallschloßsperre und Kugel-Feder-Rückhaltung versehen sind. Bei geringer

Beanspruchung z.B. bei Kindern kann oft auf die innenliegenden Knieschienen

verzichtet werden.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 23

Page 34: Gehorthese

• Der mechanischen Koppelung beider Hüftgelenke durch Kabelzüge, die eine

Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte

beiderseits

gleichzeitige Beugung oder Streckung der

Hüftgelenke beim Gehen verhindern. Mit der

Beugung des einen Hüftgelenkes wird

gleichzeitig das andere Hüftgelenk gestreckt.

Die Bowdenzüge übertragen dabei die Kräfte

von der einen Orthesenseite auf die andere. Erst

eine Gelenkentsperrung beider mechanischer

Hüftgelenke führt zur gleichzeitigen

Hüftbeugung und damit zur Sitzposition.

Erfahrungen haben gezeigt, daß eine einzelne

Kabelführung für Patienten mit mäßig bis gering

aktivierbaren Hüftbeugemuskeln ausreicht,

jedoch Patienten mit total gelähmten

Hüftbeugern besser

Doppelkabelsystem versorgt werden, um

sowohl die Beugung als auch die Streckung zu

steuern. Neben den oben aufgeführten

Indikationen wurde bei den versorgten Patienten

die Kraft der oberen Extremitäten und die

Motivation eingehend untersucht.

ausgewählten Patienten mußten in der Lage

sein, sich aus dem Sitz für 60 Sekunden mit den

Armen hochzustemmen, ohne zu zittern. Gezielt

mußten sich diese Patienten einem intensiven

allgemeinen Konditionstraining hauptsächlich

für die Arme und einer Gehschulung mit

Übungsorthesen an mehreren Tagen pro Woche

über einen Zeitraum von drei bis vier Wochen unterziehen, bevor die LSU Gehorthese

verschrieben wurde. Mit diesem Vorgehen können sich Patienten tatsächlich selbst testen.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 24

Bild3.1:Aufbauder„LSU Reciprocation-Gait Othosis"

Page 35: Gehorthese

________________________

Diejenigen, die dieses Training als nicht vereinbar mit ihren üblichen Aktivitäten und als

ungerechtfertigt oder unannehmbar empfinden, geben auf oder versäumen Übungsteile.

Nur mit vollständig absolviertem Kurs wird die Motivation als ausreichend eingeschätzt

um die reziproke Gehorthese nutzen zu können [5].

Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte

Seit 1

Weiterentwicklung der LSU Gehorthese.

Der Grundaufbau gleicht dem oben

vorgestellten System, außer daß statt der

geschwungen geführten Bowdenzüge

horizontal geführte Bowdenzüge

verwendet werden (Bild 3.2). Diese

Entwicklung soll drei entscheidende

Vorteile haben:

• L

e

i

c

h

tgängigkeit durch verminderte

Reibung

• verbesserte Haltbarkeit durch

verringerten Verschleiß des

Bowdenzugsystems

• einfachere Einstellung der

Hüftflexion und Hüftextension

durch Stellschrauben [10].

Bild 3.2:Die LSU Orthese mit waagerechter Bowdenzugführung

3.4.2 Die „Isozentrische ARGIO®"

Die Isozentrische ARGIO® (Bild 3.3) ist eine Gehorthese der Firma Pro Walk in

Page 36: Gehorthese

Egelsbach. Im Aufbau ähnelt sie dem oben vorgestellten System der Firma Fillauer bis auf

folgende Details. Die Isozentrische ARGIO® ist ausschließlich für den Gebrauch von

Jörg Hahn & Jens Schlesener 25

Page 37: Gehorthese

Kindern bestimmt. Die Bewegung des einen Hüftgelenkes wird durch eine nadelgelagerte

Wippmechanik auf das andere Hüftgelenk übertragen. So kann die Bewegungsenergie des

Kindes fast vollständig umgesetzt werden, weil kaum Reibungsenergie verloren geht.

Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte

Das starre Rumpfteil, verbunden mit speziellen Hüftgelenken, erlaubt eine laterale

Beinschienenführung (Die innenliegenden Schienen können weggelassen werden.). Die

Hüftgelenke können zum Hinsetzen vom Kind selbst einfach entriegelt werden. Die

Unterschenkelorthesen werden bis zum

Medialen Kondylus (innerer Gelenkhöcker

des Oberschenkelknochens am Kniegelenk)

hochgezogen. Dadurch wird der

Oberschenkel meist gut geführt, so daß

auf die Oberschenkelhülsen verzichtet

werden kann. Durch diese Bauart kann

die Isozentrische ARGIO® auch im

Sitzen angezogen und unter den

Kleidern getragen werden. Die Firma

Pro Walk legt neben den oben

aufgezählten Indikationen besonderen

Wert auf eine Teambetreuung des

Patienten beim Umgang mit ihren

Orthesen. Das Team besteht aus

Therapeuten, Orthopädietechnikern, der Bild 3.3:Die Isozentrische ARGIO®: Eine

Familie des Patienten und dem reziproke Gehoerthese für Kinder von der Firma Pro Walk. Patienten selbst [11].

Gehorthesen mit einer Wippmechanik

werden noch von weiteren Firmen angeboten:

• Wilh. Jul. Teufel GmbH in Stuttgart; „System Isocentric"

• Fillauer (deutscher Vertrieb durch Basko Healthcare in Hamburg); „Rocker Bar

System"

Jörg Hahn & Jens Schlesener 26

Page 38: Gehorthese

• John + Bamberg in Hannover „Joheka"

Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte

3.4.3 Der „Parawalker"

Bild 3.4:Der Parawalker: Eine reziproke Gehorthese für Erwachsene

Der Parawalker wird von der Firma Pro

Walk hergestellt und vertrieben. Er

unterscheidet sich im Aufbau deutlich

von den bisher vorgestellten reziproken

Gehorthesen (Bild 3.4). Der

Parawalker ist eine Gehorthese für

Erwachsene oder schwergewichtige

Jugendliche. Derzeit ist der Parawalker

die Orthese mit der höchsten seitlichen

Stabilität. Die Bewegung der beiden

Hüftgelenkseiten ist nicht gekoppelt.

Das Hüftgelenk des Parawalkers läßt

nur Bewegungen in der Sagitalebene

(Vorbeugen) zu [11]. Zum Hinsetzen

läßt sich das Hüftgelenk und die

„Schweizer Sperre" der Kniegelenke

entriegeln. Eine Feder im Hüftgelenk

erleichtert das Hinstellen aus dem Sitz.

Der Patient verlagert zum Gehen mit der Orthese den Körperschwerpunkt vor seine

Aufstandsfläche. Um nicht umzufallen stützt er sich mit Unterarmstützen nach vorne ab.

Ein Schritt wird durch das Abheben des Spielbeins eingeleitet. Der Patient drückt sich mit

einer Unterarmgehstütze seitlich ab. Durch den Parawalker neigt sich hierbei die gesamte

Längsachse des Patienten, ohne daß die Hüfte zu einer Seite hin abfällt. Das Spielbein

schwingt unter dem Körperschwerpunkt hindurch nach vorne. Nun muß der Patient mit

Hilfe der Unterarmstützen unter Einsatz des Musculus Latissimus dorsi (großer seitlicher

Jörg Hahn & Jens Schlesener 27

Page 39: Gehorthese

_______________________

Rückenmuskel) seinen Körperschwerpunkt wieder vor seine Aufstandsfläche bringen und

der nächste Schritt kann durch ein Hochdrücken zur anderen Seite eingeleitet werden.

Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte

Jörg Hahn & Jens Schlesener 28

Page 40: Gehorthese

4. Werkstoffe im Orthesenbau

Werkstoffe

Für klassische Orthesen werden auch heute noch Metallschienen, gegebenfalls mit frei

beweglichen oder sperrbaren Gelenken, und metallene Bänder als tragende

Rahmenkonstruktion verwendet, ergänzt durch gewalkte Lederhülsen zum sogenannten

Schienen-Hülsen- oder Schienen-Schellen-Apparat: Die Hülse umhüllt formschlüssig einen

längeren Gliedmaßenabschnitt, während die halbzirkuläre Metallschelle, durch ein

Lederband auf der Gegenseite vervollständigt, einen relativ schmalen Teil der jeweiligen

Gliedmaßen - meist in Nachbarschaft zu einem Gelenk - fixiert. Spezielle Druckpelotten

erlauben die gezielte Übertragung dosierter Kräfte auf bestimmte Körperpartien. Zug um

Zug wird jedoch die herkömmliche Leder - Metall - Technik zur Orthesenherstellung

abgelöst von thermoplastischen Kunststoffmaterialien und glas- oder

carbonfaserverstärkten Gießharzen [14].

Ein Hauptziel bei der Herstellung von Orthesen ist, neben den funktionellen Aspekten, eine

Verringerung des Gewichtes und eine Verbesserung der Zuverlässigkeit und der Sicherheit

der einzelnen Bauteile. Edelstahle werden schon seit langem verwendet. Sie entsprechen

den Anforderungen hinsichtlich Festigkeit und Zuverlässigkeit, weisen aber ein

entsprechend hohes Gewicht auf. Oft werden Orthesenkonstruktionen in Stahl-Leder-

Technik deshalb vom Patienten als zu schwer empfunden. Spezifisch leichtere Aluminium

Legierungen, die bei der Herstellung von Beinorthesen zum Einsatz kommen, weisen oft

nicht die erforderliche Bruchsicherheit auf. Neue Generationen von Legierungen eröffnen

zwar neue Möglichkeiten, was das Verhältnis von Gewicht zu Festigkeit betrifft, aber ihre

Verformbarkeit ist eingeschränkt und dadurch die Bruchsicherheit entsprechend gemindert.

Zum Vergleich der Metallwerkstoffe im Orthesenbau dient Tab. 4.1.

Thermoplastische Kunststoffe, wie Polypropylen und ihre Modifikationen haben zur

Lösung einiger Probleme bezüglich Gewicht und Formgebung beigetragen. Auch hat die

Laminattechnik unter Verwendung von Carbonfasern eine starke Weiterentwicklung des

Orthesenbaus bewirkt. Das Problem der Gelenkverbindung mit dem Laminat konnte aber

nur teilweise gelöst werden.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 28

Page 41: Gehorthese

_____ ________

Werkstoffe

Werkstoffe

Eigenschaften Titan Edelstahl Eisen Aluminium

Dichte in kg/m 4500 7930 7860 2700

Schmelzpunkt in °C 1670 1420 1535 658

Wärmekapazität in kJ/kG*K 0,535 0,490 0,464 0,908

Elastizitätsmodul in N/mm2 110000 194000 204000 71000

Ausdehnungskoeffizient bei25°CinlO"6/°C

8,5 11,0 11,17 22,9

Tab 4.1: Tabelle zum Vergleich der Metall Werkstoffe im Orthesenbau [11, 12, 13]

Titan hat bisher in der Orthopädietechnik vor allem bei Prothesen-Paßteilen Anwendung

gefunden. Der hohe Preis und die schwierige handwerkliche Verarbeitung verhindern aber

bisher die Verbreitung im Orthesenbau. Die guten mechanischen Eigenschaften und das

geringe Gewicht machen es jedoch auch für den Aufgabenbereich des

Orthopädietechnikers interessant.

4.1 Polyethylen und Polypropylen

Dichte Zugfestigkeit G-Modul zulässiger Temp.- bereich

g/cm3 N/mm2 N/mm2 °C

HDPE 0,97 30 1000 -120 bis 130

PP ca. 0,9 37 ca.800 bis 130

Tab. 4.2: Eigenschaften von HDPE (High Density PE) und PP

Hauptsächlich finden Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP) im Schalenbau

Verwendung. Sie gehören zur Gruppe der Thermoplaste (TP) und sind daher leicht zu

verarbeiten. Bei hinreichender Erwärmung erweichen TP bis zur Fließfähigkeit, sind somit

beliebig sphärisch verformbar und härten bei Abkühlung aus. Dieser Vorgang ist beliebig

wiederholbar, wenn man eine Zersetzung (zu hohe Temperatur) vermeidet. TP sind im

allgemeinen schmelzbar, schweißbar, quellbar und löslich.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 29

Page 42: Gehorthese

PP und HDPE sind kochfest, sterilisierbar und besitzen ähnliche chemische Beständigkeit

und elektrische Eigenschaften.

Werkstoffe

4.2 Carbonfaserverstärkte Kunststoffe

Mit carbonfaserverstärkten Kunststoffen (CFK) lassen sich besonders konturgetreue

Stützelemente herstellen, die hinsichtlich der Festigkeit mit Stahl und Aluminium zu

vergleichen sind, aber nur ein Fünftel davon wiegen. Die Dehnung von CFK ist

vollelastisch, Ermüdungsbeständigkeit und Vibrationsdämpfung sind hervorragend.

Da in diesem Material die Fasern überwiegen (60 Vol % bis 80 Vol %), sind die

Eigenschaften der Fasern maßgebend. Carbonfasern, sie bestehen zu über 95 % aus reinem

Kohlenstoff, besitzen eine hohe Zugfestigkeit, hohen Elastizitätsmodul, niedriges

spezifisches Gewicht, geringe Bruchdehnung und eine hohe Temperaturbelastbarkeit. Sie

sind chemisch weitgehend inert. Die Festigkeiten übertreffen die der meisten Metalle und

anderer Faserverbundwerkstoffe.

C-Fasertype

Eigenschaften Einheit HAT IM HM

Dichte g/cm3 1,78 1,80 1,79

Zugfestigkeit MPA 3400 5400 2350

Zug-E-Modul GPA 235 290 358

Bruchdehnung % 1,4 1,7 0,6

Wärmeaus-

dehnungskoeffizient

10-6 K-l -0,1 -0,5

Tab. 4.3: Übersicht der Eigenschaften verschiedener C-Fasern

CFK ist ein Laminat, das schichtweise aus Kohlenstoffgewebe und einem Kunststoff - der

Matrix - besteht [15]. Eine Eigenheit von CFK, wie auch aller anderen faserverstärkten

Verbundwerkstoffe, besteht darin, daß man ihre Belastbarkeit den vorgesehenen

Bedingungen anpassen kann. Das geschieht durch zweckmäßige Wahl oder Kombination

der Faserorientierungen innerhalb der Matrix. So ergeben bidirektionale Anordungen

Jörg Hahn & Jens Schlesener 30

Page 43: Gehorthese

(0°/90°) gute Festigkeitswerte in zwei (senkrechten) Richtungen. Und noch komplexere,

multidirektionale Anordungen (0° / ± 45° / 90°) wirken in mehreren Richtungen

verstärkend [16].

Werkstoffe

Im Orthesenbau ist die Matrix meist duroplastisch, d.h. sie besteht aus einem Gießharz, das

nach dem Aushärten nicht erneut plastisch geformt werden kann. Hierin besteht der große

Nachteil des herkömmlichen CFK, da somit ein Nachformen der Teile nur gering sowie die

Anpassung an veränderte anatomische Gegebenheiten nicht möglich ist. Eine Alternative

dazu bietet das carbonfaserverstärkte Halbzeug METCORE. Dieser Werkstoff läßt es zu,

die Form der Stützelemente auch nachträglich den gegebenen anatomischen Verhältnissen

anzupassen. Dies ist möglich, indem die Matrix in einen thermoelastischen Zustand

versetzt wird, damit die Kohlenstoffaserschichten sich gegeneinander verschieben können,

ohne daß es zu einer Ablösung der Matrix von der Faser kommt. Hierbei soll es zu keiner

Beeinträchtigung der Festigkeit und Steifigkeit der Schale kommen.

Verarbeitet werden die METCORE-Zuschnitte, indem sie nach einer Erwärmung an das

Model angeformt und anschließend verklebt werden [17].

4.3 Aluminium

Aluminium findet in der Orthopädietechnik Verwendung beim Bau von orthopädischen

Schienen. Es eignet sich durch sein besonders geringes spezifisches Gewicht von 2700

kg/m bei beachtlichen Festigkeitswerten von 40-180 N/mm je nach Behandlungszustand.

Nachteilig wirkt sich seine geringe Bruchsicherheit aus. Aluminium hat im Vergleich zu

Stahl keine Dauerfestigkeit nach Wöhler. Eine weitere günstige Eigenschaft für die

Orthopädietechnik ist die hervorragende Korrosionsbeständigkeit.

Der geringe Elastizitätsmodul von Aluminium führt bei der Verwendung für

Stützkonstruktionen zu einem wesentlich elastischeren Verhalten, verglichen mit

gleichartigen Konstruktionen aus Stahl. Nachteilig ist auch der thermische

Ausdehnungskoeffizient, der rund das Zweifache von dem des Stahles beträgt.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 31

Page 44: Gehorthese

Die breite Nutzung der Vorteile von Aluminium für den technischen Bereich, nämlich

seine geringe Dichte und die große Korrosionsbeständigkeit, wurden erst möglich durch die

Verbesserung der Festigkeitseigenschaften. Hier spielt für die technische Entwicklung der

Aluminiumlegierungen die Entdeckung der Festigkeitssteigerung durch Aushärten eine

überragende Rolle. Die wichtigsten Legierungselemente sind Kupfer, Magnesium und

Silizium.

Werkstoffe

Durch eine Wärmebehandlung der Aluminiumlegierungen werden die Festigkeitswerte

gesteigert.

4.4 Edelstahl

Edelstahle sind besonders reine (in Bezug auf mechanische Gütewerte und Kerbwirkung

der Einschlüsse) Qualitätsstähle. Qualitätsstähle werden nach ihrem Verwendungszweck

untergliedert, nach dem sie durch Legierungselemente ihre speziellen Eigenschaften

erhalten. Im Bereich Orthopädietechnik werden rostfreie Stähle verwendet. Sie haben einen

Chrom-Legierungsanteil von mindestens 12 Prozent. Die Korrosionsbeständigkeit wird

durch eine besonders glatte, zum Beispiel polierte Oberfläche begünstigt [18].

Stahl hat ein sehr hohes spezifisches Gewicht von 7900 kg/m3

4.5 Titan

und kann daher nur begrenzt

beim Bau von Orthesen verwendet werden. Durch seine extrem hohen Festigkeits- und

Steifigkeitswerte bietet sich Stahl zur Verwendung bei kritischen Bauteilen - wie zum

Beispiel bei Gelenken - an, ist aber aus dem gleichen Grund auch schwierig zu bearbeiten.

So stellt zum Beispiel die Firma Otto Bock einzelne Gelenke aus Edelstahl her, die zum

Einbetten in Verbundfaserwerkstoff oder zur Anbindung an Aluminiumschienen gedacht

sind.

Der Werkstoff Titan eröffnet neue Anwendungsmöglichkeiten bei Orthesen. Er stellt eine

dritte Möglichkeit dar, die zwischen den traditionellen Versorgungen mit Stahl-Aluminium

Orthesen und den neueren Orthesen aus Faserverbundwerkstoffen liegt.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 32

Page 45: Gehorthese

Titan hat ein spezifisches Gewicht von 4500 kg/m

Werkstoffe

3

Der Vorteil von Titan gegenüber den Verbundwerkstoffen liegt jedoch in der Möglichkeit,

bei Anproben und über die gesamte Lebensdauer der Orthese hinweg, Nachpassungen

vorzunehmen, ohne daß sich dies nachteilig auf die Struktur und die Festigkeit der Orthese

auswirkt. Ebenso eignen sich Titanorthesen besonders für die Versorgung von Kindern, da

hier das geringe Gewicht, die leichte Veränderbarkeit der Bauteile sowie die

Reparaturfreundlichkeit von größter Wichtigkeit sind.

, das heißt, es ist 40 Prozent leichter als

Edelstahl, mit ähnlichen Leistungsmerkmalen. Bei industriell gefertigten Paßteilen aus

Titan können die traditionellen Montagetechniken beibehalten und dabei das Gewicht der

Orthesenkonstruktion entscheidend reduziert werden. Ein Vergleich von

Titankonstruktionen mit Faserverbundkonstruktionen ergibt, daß Titankonstruktionen ca.

10-15 Prozent schwerer sind, wenn die Orthesen in Faserverbundtechnik mit einem

leistungsfähigen Verfahren hergestellt sind. Die normale Acryl-Laminattechnik ergibt

ungefähr die gleiche Gewichtssituation wie bei Titanschienen.

Gelenkelemente aus Titan sind des weiteren bestens geeignet für die Einbettung in

Faserverbundwerkstoffe, da es sich im Gegensatz zu Aluminium mit allen

Verbundwerkstoffen verträgt [19].

4.6 Sonstige verwendete Materialien

Die Art der Innenverkleidung und Befestigungsriemen richtet sich nach den Wünschen

bzw. Bedürfnissen (bei Allergien) des Patienten und besteht aus Baumwolle, Leder oder

verschiedenen Kunststoffen.

Die Firma 3M Medica in Borken stellt verschiedene Arten von individuell anpaßbaren

Kunststoffschienen zur Abstützung und Entlastung aller Gliedmaßen her. Der Werkstoff ist

ein Glasfaser-Trägermaterial, daß mit einem wasseraktivierbaren Polyurethanharz getränkt

ist. Nach kurzem Einweichen in Wasser härtet das Harz innerhalb einer halben Stunde

vollkommen aus. Das ausgehärtete Material ist sehr leicht und atmungsaktiv, weil es mit

Jörg Hahn & Jens Schlesener 33

Page 46: Gehorthese

Poren durchsetzt ist. Für die Verwendung zur Stabilisation kritischer Punkte der

Gehorthese bieten sich insbesondere folgende zwei Produkte an:

Werkstoffe

• „3M Softcast": Läßt sich paßgenau an den Körper anmodelieren und ist nach

dem Aushärten unter Krafteinwirkung noch begrenzt biegsam, findet aber immer

zur Ausgangsform zurück. Durch das Einmodelieren einer Schiene lassen sich

gewünschte Bereiche vollkommen stabilisieren.

• „3M Scotchcast": Dieser Werkstoff wird hauptsächlich als Ersatz für

herkömmlichen Gips verwendet. Er bietet genügend Stabilität, um ihn als

Schiene zur vollkommenen Stabilisation in das Softcast Material

einzumodelieren.

Vor dem Anmodelieren wird nur ein dünner Unterziehstrumpf über die entsprechende

Extremität gezogen. Er verbleibt als Polsterung in der Schiene und kann Schweiß

aufnehmen. Durch die genaue Paßform lassen sich Druckstellen vermeiden. Zum Softcast

Material werden Schnallen, Bänder und Knöpfe, wie sie zum Verschließen von

Rucksäcken üblich sind, angeboten. Diese lassen sich als Schnellverschlüsse direkt an die

Schiene montieren.

Die Firma 3M Medica gibt gerne weitere Informationen unter der Kontaktadresse im

Anhang.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 34

Page 47: Gehorthese

5. Ideenfindung

Ideenfindung

Im Vordergrund der Konstruktion und Herstellung von Orthesen steht die generelle Frage:

Welche Aufgabe soll die Orthese erfüllen und wie können die medizinischen

Anforderungen mechanisch umgesetzt werden?

Zur Lösung dieser Probleme empfiehlt es sich, den wissenschaftlichen Weg einzuschlagen,

den Dingen auf den Grund zu gehen, damit eine bestmögliche Abstimmung der

mechanischen Orthesenelemente in ihrer Wirkungsweise auf den menschlichen Körper

erfolgen kann. Dies geschieht zweckmäßigerweise durch eine Eingrenzung des

Aufgabengebietes mittles folgender Fragen:

• Welchem Zweck dient die Orthese?

• Welche Gelenke werden mit einbezogen?

• Wieviel Kraft brauchen wir?

• Welche Hebelwirkung machen wir uns zunutze?

• Wie lange soll die Orthese verwendet werden?

• Aufweiche Oberfläche wirken wir ein?

• Gegen welche Reaktionen arbeiten wir?

• Gibt es krankheitsspezifische Warnsignale?

Der oben aufgeführte Fragenkatalog kann als logischer Leitfaden bei der Rezeptierung und

Fertigung herangezogen werden [5].

Dieser Leitfaden aus dem Standardwerk der Orthopädietechnik dient zur ersten

Sensibilisierung für die Problematik der Konzeption der Gehorthese.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 35

Page 48: Gehorthese

5.1 Problemdarstellung

Ideenfindung

An sich ist die Konstruktion ein rein technisches Problem. Die Orthese ist so zu gestalten,

daß die Funktion sichergestellt ist, das Design ansprechend und funktional ist und somit

der Markt die Orthese akzeptiert. Das beinhaltet unter anderem ein geringes Gewicht, die

einfache Handhabung und andere Punkte, die später als Bewertungskriterien unter Punkt

5.5 noch aufgeführt werden. Zusätzlich zu den technischen Problemen der Konstruktion

müssen jedoch auch in einem sehr hohen Maß die Eigenarten der menschlichen Anatomie

erkannt bzw. das Fehlen von Funktionen berücksichtigt werden. Plausibel wird dies beim

Betrachten der Muskulatur. Durch das Fehlen ihrer Funktion treten gleich mehrere

medizinische Probleme auf. Zunächst führt und hält die Muskulatur die Gelenke in ihrer

Position und ermöglicht somit einen exakten Bewegungsablauf innerhalb des Gelenkes.

Fehlt nun diese Führung, kommt es zu unkontrollierten Bewegungen des Gelenkes, was zu

einem enormen Verschleiß führt. Somit geben die Gelenke nur vor, wo man eine Kraft

bzw. Bewegung einleiten kann. Ferner sorgt die Muskulatur mit Hilfe der Venenklappen

für eine gute Blutzirkulation im ganzen Körper. Durch die Erschlaffung des

Muskelgewebes ist die Funktion der Venenklappen stark beeinträchtigt bzw. nicht mehr

vorhanden. Hieraus folgt eine unzureichende Blutzirkulation in den betroffenen

Extremitäten, da die Pumpfunktion des Herzens allein zum Transport des Blutes aus den

Beinen nicht ausreicht und somit die Gefahr besteht, daß sich Blut in den Beinen sammelt.

Die unzureichende Blutzirkulation wiederum bewirkt eine sehr hohe Empfindlichkeit

gegenüber der Bildung von Druckstellen. Im Vergleich mit einer intakten Muskulatur, wo

eine punktuelle Druckbelastung auf das Gewebe einen blauen Fleck erzeugt, der nach 3-4

Tagen wieder verheilt ist, bildet sich im schlaffen Gewebe eine Druckstelle, die entweder

einer Operation zur Entfernung bedarf, oder erst nach mehr als 6 Monaten verheilt und das

auch nur bei dauernder Pflege. Denn durch die mangelnde Durchblutung ist der Körper

nicht in der Lage sich selbst zu regenerieren.

Des weiteren bedingt die mangelnde Blutzirkulation eine Unterversorgung der Knochen

mit Mineralien, was zu einer Art Osteoporose im Knochen führt. Die Knochenfestigkeit

Jörg Hahn & Jens Schlesener 36

Page 49: Gehorthese

sinkt auf ca. 50 % der eines gesunden Knochens, so daß ein Stoß, der vor der Lähmung nur

zu einem blauen Fleck geführt hätte, einen Trümmerbruch bewirkt.

Ideenfindung

Man kann schon jetzt erkennen, daß ein Großteil der Führungsfunktion deshalb von der

Orthese übernommen werden muß. Die Muskulatur, die ohne Funktion schlaff am

Knochen hängt, ein Orthopäde vergleicht sie mit einem lose gebundenen Sack voll Sand,

bedeutet dadurch zusätzliches Gewicht, das auch noch geführt und eingebettet werden

muß.

Daneben tritt auch öfters eine trophische Störung auf, das heißt das vegetative

Nervensystem, das für die Spannung der Haut, der Gefäße und der Lymphgefäße

verantwortlich ist, ist geschädigt. Diese Schädigung führt zu Hautdurchblutungsstörungen,

übermäßiger Schweißsekretbildung und zu einer zusätzlichen Wasseraufnahme des

Körpers.

Als weiteres Problem taucht die Spastik auf, unter der man die unkontrollierte und

willkürliche Bewegung von Muskeln und dadurch der Gliedmaßen versteht. Diese

Bewegungen gilt es sanft mit der Orthese zu unterdrücken bzw. zu mindern, da die Spastik

ein hohes Verletzungspotential wie Prellungen und Knochenbrüche für die Person birgt.

Hier muß versucht werden, bei der Beschaffenheit der Orthese einen Mittelweg zu finden,

damit nicht andererseits die Orthese zu einer Verletzung führt. Das nächste Problem ist der

besondere Aufbau des Kniegelenkes. Das Gelenk besitzt nur im gestreckten Zustand eine

seitliche Stabilität. Das heißt ein Kniegelenk hat im gebeugten Zustand mehr Freiheitsgrade

als im gestreckten Zustand. Aus diesem Grund benötigt es starke seitliche Ersatzführungen,

die nur Bewegungen in der Sagitalebene zulassen. Ferner führt das Kniegelenk keine reine

Rotationsbewegung aus, sondern eine Überlagerung aus Rotation- und Scherbewegung.

Dieser komplizierte Bewegungsablauf muß zusätzlich bei der Krafteinleitung beachtet

werden.

5.2 Lösungsfindung

Jörg Hahn & Jens Schlesener 37

Page 50: Gehorthese

____________________________________________________________

Um eine konkrete Lösung zu erlangen, wird sich einer Bewertungs- und

Konstruktionssystematik bedient. Dazu wird die Orthesenfunktion in Teilfunktionen

aufgesplittet, die im morphologischen Kasten aufgelistet sind (siehe Tabelle 5.1, 1. Spalte).

Neben jeder dieser Teilfunktionen stehen eine Anzahl von möglichen Teillösungen für das

entsprechende Problem. Diese Teillösungen stammen aus Gesprächen mit Betroffenen,

Technikern und Krankengymnasten, dem Brainstorming in der Fa. MRD und aus einem

Konstruktionskatalog. In den folgenden morphologischen Kästen werden die Teillösungen

zu vier sinnvollen Gesamtlösungen kombiniert. Die Lösungen 3 und 4 sind wegen ihrer

vielen Gemeinsamkeiten in einem Kasten zusammengefaßt. Die Lösung 4 ist durchgängig

grün markiert, die Alternativlösung 3 gelb.

Ideenfindung

Jörg Hahn & Jens Schlesener 38

Page 51: Gehorthese

Teilfunktion Lösung 1 Lösung 2 Lösung 3 Lösung 4 Lösung 5 Lösung 6 Lösung 7 Lösung 8 Verschlüsse Schnallen Klettverschlüsse Steckverschlüsse

(Vgl. Rucksack) Spannverschluß (Vgl. Skischuh)

Strumpf (ohne) Reißverschluß

Körperanbindung: Strumpfgewebe Bandagen Schalen in der Hüfte am Bein Strumpfgewebe Bandagen Schalen der Füße Strumpfgewebe Bandagen Schalen Stützschuh Energieauftanken Akku elektrisch

außer Betrieb Akku elektrisch an Oberleitung

Drucklufttank aufladen

Hydraulikspeicher aufladen

Solarzellen Schuhsohlen- generator

Biogas Körperwärme

Energieversorgung Akku zentral Akkus verteilt Druckluft chemisch Solarenergie Drucktank Positionserkennung der Gelenke

mechanisch über Anschläge

induktive Endschalter

Microtaster Lichtschranken Inkremental- maßstab

Gray-code

Steuerung elektrisch ASI- Bus => SPS

mechanisch über Armbewegung

Bus an Pneumatikventile

Bus an Hydraulikventile

Fuzzy Logic

Kraft- und Moment Übertragung im:

E-Motor rotatorisch /linear

Hydraulikmotor Pneumatikmotor Gestänge Hydraulikzylinder Pneumatik- zylinder

Seilzüge

Hüftgelenk

Kniegelenk E-Motor rotatorisch /linear

Hydraulikmotor Pneumatikmotor Gestänge Hydraulikzylinder Pneumatik- zylinder

Seilzüge

Sprunggelenk E-Motor rotatorisch /linear

Hydraulikmotor Pneumatikmotor Stützschuh Hydraulikzylinder Pneumatik- zylinder

Seilzüge Gestänge

Stabilisierung des: Bowdenzüge Stützstrumpf Hüftgelenkes Gestell Kniegelenkes Bowdenzüge Gestell Stützstrumpf Sprunggelenkes Bowdenzüge Gestell Stützstrumpf Stützschuh Verhindern von Druckstellen

angepaßte Schalen

Schutzgewebe Polsterungen Abstand zur Haut Bandagen

Verhindern von Scheuern

angepaßte Schalen

Schutzgewebe Polsterungen Abstand zur Haut

Gleichgewicht erhalten

Unterarmgeh- stiitzen

Gleichgewichts- sensor

mit über Arme unterstützender Mechanik

Tabelle 5.1: Morphologischer Kasten Lösung 1: Gestänge-Hebelarmkombination mit Hydraulikantreib

Page 52: Gehorthese

Teilfunktion Lösung 1 Lösung 2 Lösung 3 Lösung 4 Lösung 5 Lösung 6 Lösung 7 Lösung 8 Verschlüsse Schnallen Klettverschlüsse Steckverschlüsse

(Vgl. Rucksack) Spannverschluß (Vgl. Skischuh)

Strumpf (ohne) Reißverschluß

Körperanbindung: Strumpfgewebe Bandagen Schalen in der Hüfte am Bein Strumpfgewebe Bandagen Schalen der Füße Strumpfgewebe Bandagen Schalen Stützschuh Energieauftanken Akku elektrisch

außer Betrieb Akku elektrisch an Oberleitung

Drucklufttank aufladen

Hydraulikspeicher aufladen

Solarzellen Schuhsohlen- generator

Biogas Körperwärme

Energieversorgung Akku zentral Akkus verteilt Druckluft chemisch Solarenergie Drucktank Positionserkennung der Gelenke

mechanisch über Anschläge

induktive Endschalter

Microtaster Lichtschranken Inkremental- maßstab

Gray-code

Steuerung elektrisch ASI- Bus => SPS

mechanisch über Armbewegung

Bus an Pneumatikventile

Bus an Hydraulikventile

Fuzzy Logic

Kraft- und Moment Übertragung im:

E-Motor rotatorisch /linear

Hydraulikmotor Pneumatikmotor Gestänge Hydraulikzylinder Pneumatik- zylinder

Seilzüge

Hüftgelenk

Kniegelenk E-Motor rotatorisch /linear

Hydraulikmotor Pneumatikmotor Gestänge Hydraulikzylinder Pneumatik- zylinder

Seilzüge

Sprunggelenk E-Motor rotatorisch /linear

Hydraulikmotor Pneumatikmotor Stützschuh Hydraulikzylinder Pneumatik- zylinder

Seilzüge Gestänge

Stabilisierung des: Bowdenzüge Stützstrumpf Hüftgelenkes Gestell Kniegelenkes Bowdenzüge Gestell Stützstrumpf Sprunggelenkes Bowdenzüge Gestell Stützstrumpf StUtzschuh Verhindern von Druckstellen

angepaßte Schalen

Schutzgewebe Polsterungen Abstand zur Haut Bandagen

Verhindern von Scheuern

angepaßte Schalen

Schutzgewebe Polsterungen Abstand zur Haut

Gleichgewicht erhalten

Unterarmgeh- stUtzen

Gleichgewichts- sensor

mit über Arme unterstützender Mechanik

Tabelle 5.2: Morphologischer Kasten Lösung 2: Anatomische CFK-Schienen mit elektromotorischen Antrieben

Page 53: Gehorthese

Teilfunktion Lösung 1 Lösung 2 Lösung 3 Lösung 4 Lösung 5 Lösung 6 Lösung 7 Lösung 8 Verschlüsse Schnallen Klettverschlüsse Steckverschlüsse

(Vgl. Rucksack) Spannverschluß (Vgl. Skischuh)

Strumpf (ohne) Reißverschluß

Körperanbindung: Strumpfgewebe Bandagen Schalen in der Hüfte am Bein Strumpfgewebe Bandagen Schalen der Füße Strumpfgewebe Bandagen Schalen Stützschuh Energieauftanken Akku elektrisch

außer Betrieb Akku elektrisch an Oberleitung

Drucklufttank aufladen

Hydraul ikspeicher aufladen

Solarzellen Schuhsohlen- generator

Biogas Körperwärme

Energieversorgung Akku zentral Akkus verteilt Druckluft chemisch Solarenergie Drucktank Positionserkennung der Gelenke

mechanisch über Anschläge

induktive Endschalter

Microtaster Lichtschranken Inkremental- tnaßstab

Gray-code

Steuerung elektrisch ASI- Bus => SPS

mechanisch über Armbewegung

Bus an Pneumatikventile

Bus an Hydraulikventile

Fuzzy Logic

Kraft- und Moment Übertragung im:

E-Motor rotatorisch /linear

Hydraulikmotor Pneumatikmotor Gestänge Hydraulikzylinder Pneumatik- zylinder

Seilzüge

Hüftgelenk

Kniegelenk E-Motor rotatorisch /linear

Hydrauiäkmotor Pneumatikmotor Gestänge Hydraulikzylinder Pneumatik- zylinder

Seilzüge

Sprunggelenk E-Motor rotatorisch /linear

Hydraulikmotor Pneumatikmotor Stützschtih Hydraulikzylinder Pneumatik- zylinder

Seilzüge Gestänge

Stabilisierung des: Gestell Stützstrumpf Hüftgelenkes Bowdenzüge Kniegelenkes Bowdenzüge Gestell Stützstrumpf Sprunggelenkes Bowdenzüge Gestell Stützstrumpf Stützschuh Verhindern von Druckstellen

angepaßte Schalen

Schutzgewebe Polsterungen Abstand zur Haut Bandagen

Verhindern von Scheuern

angepaßte Schalen

Schutzgewebe Polsterungen Abstand zur Haut

Gleichgewicht erhalten

Uoterarrogeh- stützen

Gleichgewichts- sensor

mit über Arme unterstützender Mechanik

Tabelle 5.3: Lösung 3 und 4: Seilzuggesteuerte Orthesen oder hydraulisch angetrieben

Page 54: Gehorthese

5.3 Vorstellung der Gesamtlösungen

Ideenfindung

Lösung 1: Gestänge-Hebelarmkombination mit Hydraulikantrieb

Lösung 2: Anatomische CFK-Schienen mit elektromotorischen Antrieben auf den

Gelenkachsen

Lösung 3: Seilzuggesteuerte Orthese mit elektromotorischen Antrieben

Lösung 4: Seilzuggesteuerte Orthese mit hydraulischen Antrieben

5.3.1 Details, die alle Lösungen aufweisen

Alle Lösungen bestehen aus einem System von Bandagen, das zur Einleitung bzw.

Abstützung der Momente und zur Befestigung der Antriebe dient. Um einen sicheren Sitz

und eine Lastverteilung auf die Weichzonen zu realisieren, was zur Vermeidung von

Druckstellen besonders wichtig ist, sind die Bandagen großflächig gestaltet. Jedoch dürfen

sie nicht zu groß ausfallen, da sie sonst dem Betroffenen beim Tragen durch das enge

Anliegen ein einengendes und somit unangenehmes Gefühl vermitteln. Zudem müssen die

Bandagen anisotrope Eigenschaften vorweisen, d.h. sie sind in horizontaler Richtung

zwecks Anformung bedingt elastisch und in vertikaler Richtung möglichst steif. Die

vertikale Steifigkeit ist nötig, um ein Verrutschen der Antriebskomponenten in Richtung

der Körperlängsachse zu verhindern. Weiterhin sollte das Material hautfreundlich und

atmungsaktiv sein um den Tragekomfort zu erhöhen. Zum Schutz der Haut kann zusätzlich

ein spezieller Orthesen-Unterziehstrumpf verwendet werden. Die Firma ORMED GmbH in

Freiburg stellt zum Beispiel einen orthopädischen Strumpf mit folgenden Merkmalen her:

• Enger Sitz, wie zweite Haut

• Kompression des Gewebes gegen Flüssigkeitsstauungen

• Kontrollierte Wärmeentwicklung

• geringe Schweißbildung

• atmungsaktiv

Jörg Hahn & Jens Schlesener 42

Page 55: Gehorthese

Als Verschluß der Bandagen dienen großflächige Klettverschlüsse oder Schnallen.

Inwiefern faserverstärkte Schalen Bandagen ersetzen müssen, kann erst nach

Modellversuchen von einem Orthopädietechniker oder Orthopäden entschieden werden.

Ideenfindung

Das Sprunggelenk wird nicht motorisch angetrieben. Die Bewegungsfreiheit des Gelenkes

wird soweit eingegrenzt, wie es für ein minimales Abrollen nötig ist. In diesem Gelenk

wirken die größten Kräfte. Deshalb würde die Erhaltung der vollen Flexibilität dieses

Gelenkes für das Gehen mit Ihrem Nutzen dem dafür notwendigen Aufwand nicht gerecht

werden. Die Bewegungsfreiheit wird durch einen Stützschuh, soweit wie nötig,

eingegrenzt. Da im Sprunggelenk sehr hohe Kräfte herrschen, kann voraussichtlich kein

normaler Stützschuh verwendet werden, sondern es müßte ein zum Beispiel durch CFK-

Einlagen geschienter Schuh getragen werden. Zur ersten Dimensionierung dient die

Faustregel: Die Höhe des Schuhs sollte wenigstens seiner Länge entsprechen.

Als Steuerung bzw. Regelung wird eine SPS (Speicherprogrammierbare Steuerung)

verwendet, die ihre Signale z.B. über den Siemens ASI Bus an die entsprechenden Antriebe

weiterleitet, bzw. von den Strecken - und Winkelmessern über den Bus erhält. Bei

Orthesen mit elektromotorischen Antrieben können die Signale direkt im Antrieb

umgesetzt werden, dagegen wirken bei den hydraulischen Antrieben die Signale auf

Ventilblöcke, die ihrerseits die Energie des Druckmediums an die Antriebe verteilen.

5.4 Beschreibung der vier Lösungsvorschläge

Die Lösungsvorschläge werden anhand einer Symboldarstellung und eines erklärenden

Textes vorgestellt. Anschließend werden Vor- und Nachteile tabellarisch dargestellt.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 43

Page 56: Gehorthese

5.4.1 Lösung 1: Gestänge-Hebelarmkombination mit Hydraulikantrieb

Ideenfindung

Oberschenkelmotor: Hydraulikeinheit muß drehbar an Hüftbandage befestigt werden

Hüftbandage: Verhindert ein Absacken des Beckens beim Schritt im Zusammenspiel mit dem Hüftgestänge

Oberschenkelbandage: Leitet Moment (aus Versatz von Gelenkdrehpunkt und Bandagen- drehpunkt) in Oberschenkel ein

Oberschenkelbandage: Zur Abstützung des Unterschenkel- motors

Unterschenkelbandage: Leitet Moment (aus Versatz von Gelenkdrehpunkt und Bandagen- drehpunkt) in Unterschenkel ein

Stützschuh: Verhindert seitliche Bewegungen; läßt nur geringe Bewegungen um die Körper- querachse zu

Bild 5.1: Orthesenbestandteile der Lösung 1

Jörg Hahn & Jens Schlesener 44

Hüftgestänge: Leitet Kraft aus Hüftmotor über Hebelarm zur Hüftgelenkdrehachse in Ober- schenkelbandage ein

Unterschenkelmotor: Hydraulikeinheit muß drehbar an Oberschenkelbandage be- festigt werden

Unterschenkelgestänge: Leitet Kraft aus Unterschenkelmotor über Hebelarm zur Knie- gelenkdrehachse in Unter- schenkelbandage ein

Page 57: Gehorthese

Beschreibung der Lösung 1: Gestänge-Hebelarmkombination mit Hydraulikantrieb

Ideenfindung

Diese Orthese wird mittels vier hydraulischer Linearmotoren angetrieben. Zwei sitzen als

Oberschenkelmotoren drehbar gelagert außen an der Hüftbandage, die anderen beiden als

Lnterschenkelmotoren gleichartig gelagert an den unteren Oberschenkelbandagen. Die

drehbare Lagerung ist nötig, um der Beugebewegung des Ober- bzw. Unterschenkels zu

folgen und somit eine zu starke Querkraft in den Hydraulikeinheiten zu vermeiden. Die

Druck- bzw. Zugkraft des Oberschenkelmotors, die mittels des Hüftgestänges in die

Hüftbandage geleitet wird, bewirkt mit dem aus dem Versatz des körpereigenen

Gelenkdrehpunktes und dem Bandagendrehpunkt entstehehenden Hebelarm ein Moment,

das den Oberschenkel beugt bzw. streckt. Die Befestigung des Hüftgestänges an der

Oberschenkelbandage liegt vor dem Hüftgelenkdrehpunkt, so daß beim Einfahren des

Kolbens die Hüfte gebeugt und der Oberschenkel angehoben wird. Beim

Unterschenkelmotor geschieht die Kraft- und Momentübertragung mittels Gestänge und

Hebelarm auf die gleiche Art. Hier ergibt sich der Hebelarm aus dem Abstand des

Befestigungspunktes des Unterschenkelgestänges an der Unterschenkelbandage zu dem

natürlichen Kniegelenkdrehpunkt. Kraft und Moment bewirken somit beim Einfahren des

Kolbens eine Beugung des Kniegelenkes. Das Sprunggelenk wird nicht motorisch

angetrieben, sondern durch den anfangs beschriebenen Stützschuh geführt.

Als ein Vorteil ist die Einfachheit der Wartung zu sehen, die sich im wesentlichen auf eine

Sichtprüfung der Hydraulikteile und der Befestigungspunkte beschränkt. Durch das geringe

Leistungsgewicht der Hydraulik ist ein geringes Gesamtgewicht der Orthese zu erwarten,

auch trägt die Orthese durch die kleinen Baumaße nicht so auf, was dem Design zugute

kommt. Zudem ist die Möglichkeit der schnellen Primärenergieaufladung über einen

Drucktank positiv zu werten. Negativ fällt die Notwendigkeit der exakten Anpassung der

Orthesendrehpunkte an die natürlichen Körperdrehpunkte auf. Dies ist absolut nötig zur

Vermeidung von Körperschäden durch unsachgemäße Einleitung der Bewegung. Die

Befestigungspunkte der Antriebe und des Gestänges dienen gleichzeitig als Gelenke und

können somit nicht großflächig gestaltet werden. Da sie aber die gesamten Stützkräfte

weiterleiten müssen, unterliegen sie einem hohen Verschleiß, was eine regelmäßige

Reparatur erfordert. Gleichzeitig führen die Befestigungspunkte der Orthese zu Instabilität

Jörg Hahn & Jens Schlesener 45

Page 58: Gehorthese

und damit zu erheblichen Unsicherheiten im Gang. Dies läßt sich nur durch hohen

Trainingsaufwand kompensieren. Jedoch wird eine Orthese mit einem zu hohen

notwendigem Trainingsaufwand von den Betroffenen nicht akzeptiert. Um eine

Verstärkung dieser Instabilität zu vermeiden, muß das Gestänge sehr steif ausgeführt

werden, da es einem hohen Biegemoment ausgesetzt wird. Beim Sitzen können die

Unterschenkelmotoren und das Gestänge störend wirken. Zuletzt ist anzumerken, daß zur

Einhaltung des Medizinproduktgesetzes in Bezug auf den Betroffenen und seine Umwelt

die mechanischen Kräfte und die Verträglichkeit des Druckmediums zu beachten sind.

Ideenfindung

Vorteile:

• Kleine Hydraulikbaumaße

• Nutzer wartet Orthese ausschließlich

über Sichtprüfung

• Schnelle Energieaufladung über

Drucktank

• Geringes Gewicht durch hohe

Hydraulikleistungen bei kleinen

Bauteilen

Nachteile:

• Körperdrehpunkte müssen exakt

angepaßt werden

• Schienen können beim Sitzen stören

• Stützkräfte wirken auf Gelenke der

Orthese

• Durch die hohen mechanischen

Belastungen der Gelenke ist eine

intensive Wartung der Gelenke durch

einen Fachmann notwendig

• Hohe Biegebelastung des Becken-

gestänges

• Hoher Trainingsaufwand durch

geringe Stabilität

Bei Einhaltung des Medizinproduktgesetzes müssen mechanische Kräfte und die

Verträglichkeit des Druckmediums beachtet werden.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 46

Page 59: Gehorthese

5.4.2 Lösung 2: Anatomische CFK-Schienen mit elektromotorischen

Antrieben auf den Gelenkdrehachsen

Ideenfindung

CFK-Hüftschiene: Stabilisiert das Becken; dient zur Moment- abstützung des Hüftelektromo- tors

Hüftelektromotor: Auf Gelenk- achse zentriert; Abmaße entwe- der großer Radius und flach oder länglich und Rotation über Ke- gelradgetriebe an Gelenkachse geführt

CFK-Oberschenkelschiene: Leitet Moment aus Hüftelek- tromotor in Oberschenkelban- dagen ein; dient zur Momentab- stützung des Knieelektromotors

Knieelektromotor: Auf Ge- lenkachse zentriert; Abmaße entweder großer Radius und flach oder länglich und Rotation über Kegelradgetriebe an Ge- lenkachse geführt CFK-Unterschenkelschiene: Leitet Moment aus Knieelek- tromotor in Unterschenkelban- dage ein

Stützschuh: Verhindert seitliche Bewegungen; läßt nur geringe Bewegungen um die Körper- querachse zu

Bild 5.2: Orthesenbestandteile der Lösung 2

Jörg Hahn & Jens Schlesener 47

Hüftbandage: Verhindert ein Absacken des Beckens beim Schritt im Zusammenspiel mit der CFK-Hüftschiene

Oberschenkelbandage: Leitet Moment aus CFK-Ober- schenkelschiene in den Ober- schenkel ein

Oberschenkelbandage: Dient der Momentabstützung des Knieelektromotors

Unterschenkelbandage: Leitet Moment aus Knieelektromotor in Unterschenkel ein

Page 60: Gehorthese

Beschreibung der Lösung 2: Anatomische CFK-Schienen mit elektromotorischen

Ideenfindung

Antrieben auf den Gelenkdrehachsen

Hauptmerkmale dieses Orthesenkonzeptes sind die CFK-Schienen und die

elektromotorischen Antriebe auf den Gelenkachsen. Die CFK-Schienen bestehen aus drei

Teilen, der Hüftschiene, der Oberschenkelschiene, und der Unterschenkelschiene.

Zwischen den CFK-Schienen sitzen die elektromotorischen Antriebe. Ein Antrieb sitzt in

Höhe der Hüftgelenkdrehachse, der andere ist auf der Kniegelenkdrehachse plaziert. Die

Anbindung der Orthese an den Körper erfolgt über Bandagen, die Hüftbandage am

Oberkörper, zwei Oberschenkelbandagen und eine Unterschenkelbandage. Das

Sprunggelenk wird mit dem Stützschuh stabilisiert.

Die Elektromotoren werden mit Strom aus Akkus versorgt. Die Akkus können nahe an den

einzelnen Motoren plaziert werden. So wird eine günstigere Gewichtsverteilung im

Vergleich zu einem einzelnen zentralen Akku erreicht. Dies ist besonders wichtig, wenn

man die geringe Leistungsdichte bei elektrischer Energieversorgung bedenkt. Bei den

Motoren selbst bieten sich zwei Varianten zur Dimensionierung an. Sie können sehr flach

aber dafür mit großem Durchmesser ausgelegt werden, wie im Bild dargestellt, oder sie

werden länglich mit geringem Durchmesser dimensioniert. Bei beiden Varianten muß die

Antriebsachse genau mit der Gelenkdrehachse übereinstimmen. Das heißt, die

Motordrehachse des flachen Motors fluchtet genau mit der Gelenkachse. Die

Motordrehachsen der länglichen Variante müßten parallel zur Längsachse des Beines

verlaufen, damit die Orthese in ihren Abmaßen nicht zu breit wird. Um die Antriebsachse

in eine Flucht mit der jeweiligen Gelenkdrehachse zu bringen, muß ein Getriebe zum

Beispiel mit Kegelrädern vorgesehen werden. Die Übereinstimmung der Achsen ist sehr

wichtig, um Schäden am Gelenk und den Knochen zu vermeiden. Da die Knochenstruktur

eines Querschnittgelähmten durch mangelhafte Versorgung mit Mineralstoffen geschwächt

ist, nimmt sie um ein vielfaches schneller Schaden als gesunde Knochen. Diese

Problematik tritt verstärkt im Kniegelenk auf, weil das Kniegelenk keine reine Rotation in

Bewegung ausführt. Hier überlagert sich die Rotation mit einer Scherbewegung. Im

Modellversuch kann geklärt werden, ob über eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit

auf einen geringen Winkel, der zum Gehen nur notwendig ist, dieses Problem in einem

Jörg Hahn & Jens Schlesener 48

Page 61: Gehorthese

_____________________________________________________________

medizinisch vertretbaren Rahmen gehalten wird. Im Hüftgelenk ist eine reine Rotation um

eine Körperquerachse möglich.

Ideenfindung

Zur Einhaltung bestimmter Positionen, beispielsweise im Stand, muß eine extra Mechanik

vorgesehen werden, die die Gelenke in den Positionen blockiert. Diese Mechanik kann

konstruktiv einfach in das Getriebe zur Umsetzung der Antriebsachse beim länglichen

Motor integriert werden.

Die Momente der Motoren werden über die Hebelarme der CFK-Schienen in Kräfte

umgewandelt. Die CFK-Schienen werden der Körperform genau angepaßt, so daß sie nicht

zu Druckstellen führen und auch nicht voluminös auftragen. Durch die Verwendung von

kohlefaserverstärkten Kunststoffen wird Gewicht gespart, was insbesondere bei der

Verwendung eines relativ schweren elektromotorischen Antriebes notwendig ist. Die

Schienen selbst müssen ein Profil erhalten, das besonders steif gegenüber

Torsionsbelastungen und Biegebelastungen ist, um der Orthese genügend Stabilität zu

geben.

Erfahrungen mit CFK-Schienen in der Orthopädietechnik haben gezeigt, daß die

Verbindungsstellen von CFK-Schienen zu Gelenken aus Metall sehr problematisch sind.

Die Materialien vertragen sich im Zusammenspiel nicht gut, und es kommt zu Ablösungen

und einem Ausbrechen der Schienen. Aus diesem Grund muß den Verbindungsstellen der

Schienen an die Motoren und an die Bandagen bzw. Schalen schon im Vorfeld bei der

Konstruktion große Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Die Kräfte aus den Schienen werden hier über besondere Bandagen in den Körper

eingeleitet. Um die Kräfte optimal zu übertragen, müssen die Bandagen in den

Belastungsrichtungen sehr steif sein, dürfen aber zugleich keine Druckstellen verursachen.

Hier können neben den Bandagen auch Schalen aus faserverstärkten Kunststoffen

verwendet werden. Die Versorgung mit CFK-Schalen für bestimmte Bereiche muß hier in

Absprache mit dem jeweiligen Patienten und einem Orthopädietechniker erfolgen, weil bei

jedem Betroffenen andere problematische Körperbereiche besonders unterstützt werden

müssen. Die Hüftbandage und die Hüftschiene stellen die Verbindung zum Oberkörper dar.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 49

Page 62: Gehorthese

Mit Hilfe von Unterarmstützen kann über diese Verbindung das Gleichgewicht gehalten

werden. Die Bandagen an den Beinen dienen nur zur Übertragung der Kräfte.

Ideenfmdung

Das Sprunggelenk wird nicht motorisch angetrieben, sondern durch den anfangs

beschriebenen Stützschuh geführt.

Wird der Stützschuh auch über Schienen mit der Orthese verbunden, kann das Gewicht der

Orthese direkt über die Schuhe am Boden abgestützt werden. Dieser selbsttragende Effekt

ist zur Gewichtsentlastung des Patienten sicherlich positiv anzusehen, unterstützt aber auch

die gesamte Steifigkeit des Systems hinsichtlich der Harmonie des Bewegungsablaufes.

Durch den elektromotorischen Antrieb sind die Freiheitsgrade der Orthese bereits sehr

eingeschränkt. Somit wird es voraussichtlich zu einem eckigen Gangbild kommen, das

durch eine durchgehende, steife Orthese vom Oberkörper bis zum Fuß noch verstärkt wird.

Die Orthese ist aus vergleichsweise wenig Einzelteilen aufgebaut. Die seitliche Führung

der Schienen ist vorteilhaft bei der Handhabung der Orthese zum Beispiel beim An- und

Ablegen. Dadurch, daß die Sitzflächen (Oberschenkel und Gesäß) frei geblieben sind, ist

ein Hinsetzen mit der Orthese ohne weiteres möglich.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 50

Page 63: Gehorthese

Lösung 2: Anatomische CFK-Schienen mit elektromotorischen Antrieben auf den

Gelenkdrehachsen

Ideenfindung

Vorteile:

• Sitzen ist gut möglich, weil an

Oberschenkelbeuger und Gesäß keine

Applikationen vorhanden sind

• Einfacher Aufbau aus vergleichsweise

wenigen Einzelteilen

Nachteile:

• Sehr genaues Anpassen bzw. Anlegen

notwendig, da die Antriebsachsen

genau mit den anatomischen

Gelenkachsen übereinstimmen

müssen

• Vergleichsweise große Baumaße der

Elektromotoren

• Zusätzliche Sperre zum Halten in

bestimmten Positionen notwendig

• Schäden der Gelenke durch falsches

Positionieren der Drehachsen möglich

• Akku-Handling erfordert lange

Ladezeiten

• Starke Biegebelastung der Schienen

und Gelenkwellen durch notwendige

Stabilisation des Beckens

• Wenig Flexibilität, daher entsteht

voraussichtlich ein „eckiges

Gangbild"

• Hohes Gewicht der Elektromotoren

erfordert höheren Trainingsaufwand

Bei Einhaltung des Medizinproduktgesetzes muß auf mechanische Kräfte und elektrische

Spannungen geachtet werden.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 51

Page 64: Gehorthese

5.4.3 Lösung 3: Seilzuggesteuerte Orthese mit elektromotorischen

Antrieben

Ideenfindung

Hüftbandage: Stützt elektro- motorische Antriebe für Bewe- gungen des Oberschenkels ab; elektromotorische Antriebe sind in die Bandage integriert

Oberschenkelstrecker innen und rückseitig Oberschenkel- beuger innen: Für Oberschenkel Streck- und Beugebewegungen und für Bewegungen seitwärts

Seilzugfiihrung: Der mensch- lichen Anatomie nachempfundene gekreutzte Führung

Oberschenkelbandage: Nimmt Kräfte aus Unterschenkel Antrie- ben auf

Seilzuganbindung: Der mensch- lichen Anatomie nachempfundene aufgefächerte Anbindung

Unterschenkelbandage: Nimmt Kräfte aus Unterschenkelstrecker und Unterschenkelbeuger auf

Verbindungsband: Verbindet die Orthese mit dem Stützschuh, somit ist im Zusammenspiel mit der Hüftbandage und dem Ober- schenkelgurt kein Verrutschen entlang der Körperlängsachse möglich

Schulterträger: Nimmt Kräfte aus Beckenheber auf

Beckenheber: Verhindert ein Absacken des Beckens beim Schritt im Zusammenspiel mit dem Schulterträger; ermöglicht ein Anheben des Beckens

Oberschenkelstrecker außen und rückseitig Oberschenkel- beuger außen: Für Oberschen- kel Streck- und Beugebewegun- gen und für Bewegungen seit- wärts

Oberschenkelgurt: Unterstützt die Funktionen der Hüftbandage; führt die Oberschenkelzüge

Unterschenkelstrecker und rückseitig Unterschenkelbeu- ger: Können zur Gelenkent- lastung auch paarweise gekreuzt wie am Oberschenkel angeord- net werden

Stützschuh: Nimmt Kräfte in der Körperlängsachse auf; ver- hindert seitliche Bewegungen des Fußes; läßt nur geringe Be- wegungen des Fußes um die Körperquerachse zu

Jörg Hahn & Jens Schlesener 52

Page 65: Gehorthese

Bild 5.3: Orthesenbestandteile der Lösung 3

Ideenfindung

Lösung 3: Seilzuggesteuerte Orthese mit elektromotorischen Antrieben

Vorteile:

Verwendung der körpereigenen

Drehpunkte

Sitzmöglichkeit durch geführte Züge

gegeben

Einfache, platzsparende Energie-

zufuhr zu den Einzelantrieben

Sehr große Anlehnung an mensch-

liche Anatomie

Große Flexibilität im Gangbild bei

optimaler Steuerung

Nachteile:

• Elektromotoren benötigen größeren

Einbauraum als Hydraulikmotoren

mit gleicher Leistung

• Elektromotoren besitzen ein we-

sentlich höheres Leistungsgewicht

als Hydraulikmotoren

• Die Elektromotoren erfordern eine

zusätzliche Sperrfunktion der Ge-

lenke. Dadurch wird die Steuerung

umfangreicher und aufwendiger

• Bedingt durch das höhere Gewicht

kann ein größerer Trainingsaufwand

nötig sein

• Der komplexe Aufbau erfordert

Sorgfalt beim Anlegen der Orthese

• Bei der Wartung sind viele kleine

Motoren zu prüfen

Bei der Erfüllung des Medizinproduktgesetzes sind in Bezug auf den Patienten die

auftretenden Kräfte und Spannungen zu beachten.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 53

Page 66: Gehorthese

5.4.4 Lösung 4: Seilzuggesteuerte Orthese mit hydraulischen Antrieben

Ideenfindung

Hüftbandage: Stützt hydrauli- sche Antriebe für Bewegungen des Oberschenkels ab; Hydrau- likzylinder sind in die Bandage integriert

Oberschenkelstrecker innen und rückseitig Oberschenkel- beuger innen: Für Oberschenkel Streck- und Beugebewegungen und für Bewegungen seitwärts

Seilzugführung: der mensch- lichen Anatomie nachempfundene gekreutzte Führung

Oberschenkelbandage: Nimmt Kräfte aus Unterschenkel Antrie- ben auf

Seilzuganbindung: Der mensch- lichen Anatomie nachempfundene aufgefächerte Anbindung

Unterschenkelbandage: Nimmt Kräfte aus Unterschenkelstrecker und Unterschenkelbeuger auf

Verbindungsband: Verbindet die Orthese mit dem Stützschuh, somit ist im Zusammenspiel mit der Hüftbandage und dem Ober- schenkelgurt kein Verrutschen entlang der Körperlängsachse möglich

Schulterträger: Nimmt Kräfte aus Beckenheber auf

Beckenheber: Verhindert ein Absacken des Beckens beim Schritt im Zusammenspiel mit dem Schulterträger; ermöglicht ein Anheben des Beckens

Oberschenkelstrecker außen und rückseitig Oberschenkel- beuger außen: Für Oberschen- kel Streck- und Beugebewegun- gen und für Bewegungen seit- wärts

Oberschenkelgurt: Unterstützt die Funktionen der Hüftbandage; führt die Oberschenkelzüge

Unterschenkelstrecker und rückseitig Unterschenkelbeu- ger: Können zur Gelenkent- lastung auch paarweise gekreuzt wie am Oberschenkel angeord- net werden

Stützschuh: Nimmt Kräfte in der Körperlängsachse auf; ver- hindert seitliche Bewegungen des Fußes; läßt nur geringe Be- wegungen des Fußes um die Körperquerachse zu

Bild 5.4: Orthesenbestandteile der Lösung 4

Jörg Hahn & Jens Schlesener 54

Page 67: Gehorthese

Lösung 4: Seilzuggesteuerte Orthese mit hydraulischen Antrieben

Ideenfmdung

Vorteile:

Verwendung der körpereigenen

Drehpunkte

Sitzmöglichkeit durch geführte Züge

gegeben

Die Antriebe können durch ihren

kleinen Einbauraum in die Bandagen

integriert werden

Durch das geringe Leistungsgewicht

der Antriebe ist das Gewicht der

Orthese nicht zu groß

Das geringe Gewicht der hy-

draulischen Antriebe begünstigt

einen schnellen Trainingserfolg

Sehr große Anlehnung an mensch-

liche Anatomie

Große Flexibilität im Gangbild bei

optimaler Steuerung

Bei der Wartung ist nur eine Sicht-

prüfung notwendig

Nachteile:

• Die Energiezufuhr erfordert einen

größeren Einbauraum

• Der komplexe Aufbau erfordert

Sorgfalt beim Anlegen der Orthese

Bei Einhaltung des Medizinproduktgesetzes müssen mechanische Kräfte und die

Verträglichkeit des Druckmediums beachtet werden.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 55

Page 68: Gehorthese

_____________________________________________________________

Beschreibung der Lösungen 3 und 4

Ideenfindung

Die Lösungsvorschläge 3 (Seilzuggesteuerte Orthese mit elektromotorischen Antrieben)

und 4 (Seilzuggesteuerte Orthese mit hydraulischen Antrieben) sind sich im Aufbau sehr

ähnlich. Bei beiden Orthesen wird die Bewegung durch Längenänderungen von Seilzügen

hervorgerufen. Sie unterscheiden sich lediglich durch die Energieversorgung. Lösung 3

wird elektrisch angetrieben, Lösung 4 über ein Hydrauliksystem.

Die Orthesen bestehen auch wie die vorangegangenen aus einem Bandagensystem. Dieses

besteht aus:

• einem Schulterträger, der mit einem Hosenträger vergleichbar ist;

• einer breiten Hüftbandage und einem daran angebundenen Oberschenkelgurt;

beides zusammen bildet eine stabile Anbindung der Hüfte, wie zum Beispiel ein

alpines Klettergeschirr;

• einer Oberschenkelbandage;

• einer Unterschenkelbandage und

• dem Stützschuh, der über Verbindungsbänder mit der Unterschenkelbandage

verbunden ist.

Der Antrieb ist der menschlichen Anatomie nachempfunden. Die Gliedmaßen werden über

Muskelkontraktionen, die lineare Verkürzungen der Muskeln sind, bewegt. Diese linearen

Verkürzungen werden durch Hydraulikzylinder (Lösung 4) oder durch Elektroantriebe

(Lösung 3) erzeugt. Bei den Elektroantrieben können entweder Elektrolinearmotoren oder

gewöhnliche Elektromotoren mit einem Getriebe, das die rotatorische Bewegung in eine

Linearbewegung umwandelt, verwendet werden. Die Linearmotoren können:

• die Hüfte einseitig anheben,

• den Oberschenkel und Unterschenkel beugen und strecken,

• und den Oberschenkel seitwärts bzw. wieder zurück nach Innen bewegen.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 56

Page 69: Gehorthese

Die durch die Linearmotoren hervorgerufenen Bewegungen werden über Seilzüge an die

Bandagen weitergeleitet und so auf das Skelett übertragen. Die Seilzüge sind ein Ersatz der

Sehnen, die die Längenänderungen der Muskeln, in diesem Fall der Antriebe, auf die

Knochen übertragen und so Bewegungen aller Freiheitsgrade, die die Gelenke ermöglichen,

ausüben.

Ideenfindung

Ein Schritt beginnt mit dem Anheben des Spielbeins. Dabei muß die Hüfte stabilisiert

werden, damit sie nicht mit dem Spielbein absackt. Diese Stabilität wird durch den

Schulterträger gegeben. Hierbei wird das Prinzip der Umkehr des punktum fixum und des

punktum mobile angewendet. Beim Gang eines gesunden Menschen ist die Hüfte der

punktum Fixum. Sie bleibt als Fixpunkt stehen, während der Oberkörper darüber beim

Schritt die Gewichtsverlagerung nach vorne vollzieht, damit der Körperschwerpunkt

zusammen mit dem Spielbein nach vorne wandert. Hierbei ist die Schulter der punktum

mobile. Durch die Verwendung von Unterarmgehstützen wird beim Gehen mit der Orthese

die Schulter zum punktum fixum. Der Querschnittgelähmte kann sich mit den Armen über

die Unterarmgehstützen am Boden abstützen. An der seitlichen Hüfte ist der Beckenheber

in der Hüftbandage plaziert. Beim Anheben des Spielbeins zum Schritt verhindert dieser

Linearmotor ein Absacken der Hüfte und ermöglicht darüber hinaus das Anheben des

Beckens. Diese Bewegung wird über die Bowdenzüge seitlich an den Schulterträger

geleitet. Der Schulterträger leitet die Kräfte weiter über die Schulter und den Arm in die

Unterarmgehstütze in den Boden. Über die Beinmotorik erfolgt gleichzeitig ein Schritt.

Durch das Abdrücken mit der Unterarmgehstütze vom Boden wird der Körperschwerpunkt

über das Spielbein gebracht, bis dieses zum Standbein wird.

Die Bewegungen des Oberschenkels werden über die Oberschenkelstrecker und -beuger

ausgeführt. Zwei Linearmotoren sind für das Anheben des Oberschenkels vorgesehen und

zwei für die gegenläufige Bewegung. Ein Motor zum Anheben des Oberschenkels ist etwas

unterhalb des Bauchnabels in die Hüftbandage integriert, der andere ist seitlich in der

Hüftbandage plaziert. Die Kräfte der Motoren werden über Bowdenzüge verteilt. Die Züge

haben große Vorteile. Sie passen sich durch ihre Flexibilität von selbst an die

Körperoberfläche an und können bei kleinen Abmaßen große Kräfte übertragen. Dadurch

wird Gewicht eingespart und die Züge tragen nicht voluminös auf, so daß nicht der

Jörg Hahn & Jens Schlesener 57

Page 70: Gehorthese

_____________________________________________________________

Eindruck erweckt wird, hier würde eine große und schwere Apparatur getragen. Die

Seilzüge der beiden Zylinder verlaufen vor dem Oberschenkel gekreuzt, d.h. vom

Bauchnabel aus entlang der Hüfte um den Oberschenkel herum auf die Außenseite des

Oberschenkels zur Oberschenkelbandage bzw. von der äußeren Hüfte um den

Oberschenkel herum auf die Innenseite des Oberschenkels zur Oberschenkelbandage. Auf

dem Oberschenkelgurt können Führungsschlaufen angebracht werden, damit ein

Aneinanderscheuern der Bowdenzüge verhindert wird. Durch die gekreuzte Führung der

Züge kann der Oberschenkel in einer für die Bewegung in den Gelenken optimalen

Position zentriert werden. So wird die Bahn einer natürlichen Bewegung verfolgt. Dies

schont die Gelenke, wie es die Natur vorgesehen hat, denn die Muskulatur zentriert die

Gelenkpunkte optimal zueinander. Ziehen die beiden Oberschenkelbeuger an, verkürzen

sich die Bowdenzüge und der Oberschenkel wird zur Hüfte hin angezogen. Die umgekehrte

Bewegung erfolgt durch die Oberschenkelstrecker, die genau wie die Beuger angeordnet

sind, aber auf der Körperrückseite liegen. Durch eine Verkürzung der Oberschenkelstrecker

werden die Beuger wieder in die Länge gezogen.

Ideenfindung

Die Bewegung des Unterschenkels erfolgt nach dem gleichen Prinzip wie die Bewegung

des Oberschenkels. Im Bild ist hier nur eine einfache Führung der Seilzüge zu erkennen.

Die gekreuzte Führung ist aber auch hier, aus den oben genannten Gründen, zu

bevorzugen. Im Bild erkennt man gut die aufgefächerte Anbindung der Bowdenzüge an die

Bandagen. Diese Anbindung entspricht auch der natürlichen Physiologie. Dort, wo die

Sehnen an die Knochen angewachsen sind, werden sie flach und breit, damit die Kraft des

Muskels nicht nur an einem Punkt in den Knochen eingeleitet sondern verteilt wird. Durch

die aufgefächerte Anbindung der Seilzüge wird dieser Effekt nachgebaut. Die

Anbindungspunkte zur Bandage werden entlastet und somit können die Bandagen mit ihrer

gesamten Oberfläche ein Verrutschen verhindern. Dadurch wird dem Entstehen von

Scheuer- und Druckstellen vorgebeugt. Es ist vorteilhaft, sämtliche Seilzüge der Orthese

auf diese Art und Weise mit den Bandagen zu verbinden.

Der Stützschuh wird durch mehrere Verbindungsbänder mit der Unterschenkelbandage

verbunden. So entsteht eine durchgehende Verbindung der Orthese vom Fuß bis zur

Schulter. Die durchgehende Verbindung der Orthese entlang des gesamten Körpers ist sehr

Jörg Hahn & Jens Schlesener 58

Page 71: Gehorthese

wichtig für die Steifigkeit. Der Gelähmte wird bei dieser Orthese nur durch Zugkräfte

aufrecht gehalten. Dies ergibt sich aus der Verwendung der flexiblen Bowdenzüge, die

keine Druckkräfte der vorgesehenen Größenordnungen übertragen können. Durch den

lückenlosen Verbund der Orthese entlang der Körperlängsachse kann nur über Zugkräfte

eine sehr hohe Stabilität der Orthese gewährleistet werden. Ein Zusammensacken des

Unterkörpers in eine nicht vorgesehene Richtung wird durch ein Anziehen der auf der

Gegenseite liegenden Bowdenzüge verhindert. Die hohe Stabilität ist im Vergleich zur

Abstützung durch Schienen gegeben, weil hier keine Biegebelastungen und keine

Belastungen mechanisch empfindlicher Gelenke auftreten können.

Ideenfindung

Im Bild sind zwei Möglichkeiten die Antriebe zu plazieren dargestellt. Die Motoren

können zwischen den Bandagen untergebracht werden, wie im Bild am Oberschenkel. Dies

entspricht der Anatomie. Durch die Verschiebungen infolge der Längenänderungen können

bei dieser Anordnung aber leicht Scheuerstellen entstehen. Besser können die Motoren in

die Bandagen integriert werden. So sind sie fest in die Orthese eingebaut und können auch

beim Handling der Orthese nicht stören.

Die unterschiedlichen Antriebsarten der beiden Lösungen 3 und 4 wirken sich auf die Art

der Steuerung aus. Im Vergleich zur menschlichen Anatomie stellt die Steuerung oder

Regelung die kontrollierte Innervation der Muskeln dar. Beim Antrieb über Elektromotoren

wird die rein elektrische Steuerung oder Regelung verwendet. Zum Einhalten bestimmter

Positionen müssen hierbei im entsprechenden Augenblick Gelenksperren angesteuert

werden. Dies entfällt bei der hydraulisch angetriebenen Orthese, da hier ein geschlossenes

Ventil die Hydraulikzylinder fest in der bestimmten Position hält. Im ersten Schritt ist eine

Steuerung oder Regelung für das hydraulisch angetriebene System ähnlich aufgebaut. Die

Signale der SPS werden über das Bussystem an einen oder mehrere Ventilblöcke

weitergeleitet. Diese verteilen die Energie des Druckmediums weiter an die

Hydraulikzylinder, an denen sie im jeweiligen Augenblick benötigt wird.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 59

Page 72: Gehorthese

5.5 Vergleich der vier Lösungen

Ideenfmdung

Zum objektiven Vergleich dieser Gesamtlösungen benötigt man definierte und gewichtete

Bewertuiigskriterien. Die Definitionen der Bewertungskriterien stammen aus Gesprächen

mit Betroffenen. Sie beschreiben zugleich auch die technischen Probleme. Hier eine

Aufstellung der Kriterien und Ihre Erläuterung.

1. Einhaltung des Medizinproduktgesetzes

Jedes medizinische Produkt unterliegt dem Medizinproduktgesetz, in dem die

Sicherheit für die Person und die Umwelt beschrieben ist. Erst wenn es dessen

Kriterien erfüllt, darf es auf den Markt.

2. Gleichgewicht mit Stützen

Ein gesunder Mensch hält sein Gleichgewicht unter anderem durch Verlagern des

Oberkörpers, wobei als Drehpunkt das Becken dient. Da die Motorik des Beckens bei

den Betroffenen nicht funktioniert, können sie nur mit Hilfe von Unterarmstützen das

Gleichgewicht halten. Somit muß die Orthese die Hände und Arme des Betroffenen auf

jeden Fall frei halten bzw. darf das Tragen der Orthese den Gebrauch der

Unterarmstützen nicht beeinträchtigen.

3. Hohe Stützfunktion

Im vorherigen Abschnitt wird die Notwendigkeit der von der Orthese aufzubringenden

Stützfunktion bereits beschrieben. Sie muß so groß sein, daß die Person nicht in sich

zusammen sackt. Technisch zu realisieren ist diese Stützfunktion entweder mit einem

sehr steifen Gerüst oder einer Nachahmung der muskulären Stützfunktion. Das steife

Gerüst hat den Nachteil, daß es sehr klobig wirkt und nur einen sehr unnatürlichen

Gang ermöglicht.

4. Keine negativen Auswirkungen auf den Körper

Durch die Orthese und ihre Benutzung darf der Organismus der Person nicht zusätzlich

geschädigt werden wie z.B. durch Knochenbrüche, übermäßiger Gelenkverschleiß,

usw. Das ist am besten zu realisieren, indem die Orthese neben der Stützfunktion auch

Jörg Hahn & Jens Schlesener 60

Page 73: Gehorthese

____________________________________________________________

die fehlenden Funktionen der Muskulatur übernimmt, soweit dies technisch möglich

ist.

Ideenfindung

5. Kleine Stufen < 10 cm

Mit Hilfe der Orthese muß es möglich sein, kleine Stufen mit einer Höhe von maximal

10 cm zu überwinden. Dies wäre dann neben dem Stehtraining ein weiterer Vorteil der

Orthese gegenüber einem Rollstuhl. Anderenfalls benutzt jeder Querschnittgelähmte

weiterhin seinen Rollstuhl, da dieser bequemer und einfacher zu handhaben ist. Das

technische Problem besteht hierbei im Bereitstellen der ausreichenden Kraft. Die Kraft

muß groß genug sein, um das Körpergewicht und das der Orthese durch Strecken des

Knies hoch zu drücken.

6. Geringes Gewicht

Dies ist nötig, um eine zusätzliche Belastung des Körpers zu verhindern. Einerseits

verkürzt ein geringes Gewicht den zum Gehen nötigen Trainingsaufwand und

andererseits verringert sich der Kraftaufwand der Person. Dafür müssen leichte

Werkstoffe wie Aluminiumlegierungen, Titan, carbonfaserverstärkte Kunststoffe

(CFK) und glasfaserverstärkte Kunststoffe (GFK) verwendet werden, die dennoch die

gewünschte Festigkeit besitzen.

7. Ansprechendes Design

In der Orthese sollten Form und Funktion ein vernünftiges Gesamtkonzept bilden, um

einerseits die Akzeptanz der betroffenen Person zur Orthese, andererseits die

Akzeptanz der Person in der Öffentlichkeit zu steigern. Dies ist z.B. möglich, indem

man die Orthese stark an die menschliche Anatomie anlehnt.

8. Treppen steigen

Später sollte es möglich sein, mit Hilfe der Orthese Treppen steigen zu können. Hier

besteht dieselbe Schwierigkeit im Bereitstellen der nötigen Kraft wie bei den kleinen

Stufen, jedoch wird der Beugewinkel und somit der Aufwand meist größer, da die

Treppen in der Regel eine größere Tritthöhe erfordern.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 61

Page 74: Gehorthese

9. Geringer Trainingsaufwand

Ideenfindung

Studien haben gezeigt, daß Orthesen, deren Handhabung ein großes Maß an

Trainingsaufwand erfordern, vom Markt nicht akzeptiert werden. Von den Personen

wird dann weiterhin der Rollstuhl bevorzugt, da dieser ihrer Meinung nach nur Vorteile

besitzt. Das einzige Manko des Rollstuhls sei die Sitzhöhe und die Benötigung von

Hilfe beim Bewältigen von Stufen.

10. Einfaches Anlegen möglich

Die Akzeptanz der Orthese ist nur dann gegeben, wenn sie leicht und unkompliziert

anzulegen ist, da sonst der Betroffene, wie im Punkt „Geringer Trainingsaufwand"

bereits erwähnt, den Rollstuhl aus Bequemlichkeit vorzieht.

11. Geringer zeitlicher Wartungsaufwand

Um eine kontinuierliche Benutzung der Orthese zu erreichen, muß der zeitliche

Wartungsaufwand so gering wie möglich gehalten werden. Nur so kann die Akzeptanz

der Orthese auf Dauer gewährleistet sein. Meinung eines Betroffenen: "Was bringt mir

eine Orthese, die mehr Zeit in der Werkstatt als im Gebrauch ist?"

12. Preis

Der Preis darf nicht ins Unermäßliche steigen, da sonst die Krankenkassen sich weigern

würden, die Kosten voll zu übernehmen. Auch wäre so eine ausreichende Versorgung

der Rehabilitationskliniken und Krankengymnasten nicht möglich.

13. Sitzmöglichkeit

Dies ist mit eine Grundvoraussetzung, da die Orthese im Sitzen angelegt wird. Auch ist

das Sitzen zum Ausruhen nötig, da gerade in der Anfangsphase das Gehen, da es

ungewohnt ist, größere Anstrengungen erfordert.

Diese Bewertungskriterien werden gegeneinander verglichen und somit eine Gewichtung

erreicht (Tabelle 5.4). Der Vergleich erfolgt durch die Frage, ob das eine Kriterium

wichtiger ist als das andere. Ist das in der Zeile stehende Kriterium wichtiger, so erhält das

Jörg Hahn & Jens Schlesener 62

Page 75: Gehorthese

Kreuzfeld eine „1", wenn es umgekehrt ist, dann eine „0". Durch die Art der Anordung der

Kriterien erreicht man, daß jede Kriteriumspaarung zweimal hinterfragt wird, was zur

Kontrolle der Objektivität der Antworten auf die Fragen von Vorteil ist. Zur Auswertung

wird die Summe der „1" von jeder Zeile und die Summe der „0" von jeder Spalte gebildet.

Aus diesen beiden Summen wird das Mittel gebildet, was den Bewertungsfaktor des

Kriteriums darstellt. In Gesprächen mit Betroffenen erfolgt ein nochmaliger Vergleich der

nahe beieinander liegenden Faktoren. Es zeigt die Notwendigkeit einer Korrektur einiger

Faktoren mittels Korrektursummanden. Da die Kriterien „Kleine Stufen < 10 cm" und

„Sitzmöglichkeit" jeweils Grundanforderungen an die Orthese darstellen, werden sie um

einen Punkt angehoben. Dies ist nötig, um ihre Wichtigkeit gegenüber den anderen

Kriterien hervorzuheben. Die Korrektur des Kriteriums „Ansprechendes Design" erfolgt

aus der Notwendigkeit der Akzeptanz der Orthesen vom Umfeld des Betroffenen. Denn nur

wenn das Umfeld die Orthese genauso normal betrachtet wie den Rollstuhl, fühlt der

Betroffene sich wohl und wird im Tragen der Orthese bestärkt. Weiterhin werden die

Kriterien „Geringer Trainingsaufwand" und „Geringer zeitlicher Wartungsaufwand" zur

Angleichung aufgewertet. Das Kriterium Preis wird um einen Punkt angehoben, da es sonst

mit Null Punkten aus der Wertung fallen würde. Der endgültige Bewertungsfaktor spiegelt

nun den Wichtigkeitsgrad des einzelnen Kriteriums wieder. Dieser Aufwand zeigt, wie

wichtig diese Kriterien und ihre zugehörigen Faktoren für einen objektiven Vergleich der

Gesamtlösungen sind.

Ideenfindung

Jörg Hahn & Jens Schlesener

Page 76: Gehorthese

Ideenfindung

1. E

inha

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12. P

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13. S

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öglic

hkei

t

1. Einhaltung des Medizinprodukt- aesetzes

1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

2. Gleichgewicht mit Stützen

0 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

3. hohe Stützfunktion

0 0 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

4. keine negativen Auswirkungen auf den Körner

0 0 0 1 1 1 1 1 1 1 1 1

5. kleine Stufen <10 cm

0 0 0 0 1 1 0 1 1 1 1 1

6. geringes Gewicht 0 0 0 0 0 1 1 1 1 1 1 0

7. ansprechendes Design (Form und Funktion)

0 0 0 0 0 1 1 1 0 1 1 0

8. Treppensteigen 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0

9. geringer Trainingsaufwand

0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 1 0

10. einfaches Anlegen möglich

0 0 0 0 0 1 1 1 1 1 1 0

11. geringer zeitlicher Wartungsaufwand

0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0

12. Preis 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

13. Sitzmöglichkeit 0 0 0 0 0 1 1 1 1 1 1 1

Summe Zeilen "1" 12 11 10 9 7 6 5 2 3 6 2 0 7

Summe Spalten "0" 12 11 10 9 7 4 4 2 3 5 2 0 7

Mittelwert Zeilen & Spalten

12 11 10 9 7 5 4,5 2 3 5,5 2 0 7

Korrektursummand 0 0 0 0 1 0 1.5 0 1 0 1 1 1

Bewertungsfaktor 12 11 10 9 8 5 6 2 4 5,5 3 1 8

Tabelle 5.4.: Gewichtung der Bewertungskriterien

Jörg Hahn & Jens Schlesener 64

Page 77: Gehorthese

__________________________________________________________________

5.6 Vergleichssystematik

Ideenfindung

Jede Lösung wird nun an Hand der Bewertungskriterien beurteilt (Tabelle 5.6). Dabei

erhält jede Lösung für jedes Kriterium eine Punktzahl, die sich danach richtet, inwieweit

die Lösung das jeweilige Kriterium erfüllt. Das heißt, man fragt z.B. „Besitzt die Lösung 1

eine hohe Stützfunktion?" Durch die vorhandene Instabilität und der daraus resultierenden

geringen Stützfunktion wird hier die Lösung 1 nur mit drei Punkten bewertet. Die Punkte

sind in drei Gruppen gestaffelt. Eins bis drei Punkte bedeutet schlecht, vier bis sechs

bedeutet mittel und sieben bis neun Punkten gut bzw. sehr gut. Sind alle Lösungen nach

den Kriterien bepunktet, multipliziert man die vergebenen Punkte mit dem jeweiligen

Bewertungsfaktor des Kriteriums. Addiert man nun die so errechneten Zahlen, erhält man

die endgültige Punktzahl der Lösung. Und wie das meistens so ist, gewinnt die Lösung mit

der höchsten Punktzahl. Aus der Bewertung geht die Lösung 4 als die beste hervor, da sie

in einem hohen Maße die Grundforderungen an die Orthese gut bzw. sehr gut erfüllt.

Bwertungsnoten

Noten 1-3 4-6 7-9

Bedeutung schlecht mittel sehr gut

Tabelle 5.5: Maßstab für die Vergleichssystematik

Jörg Hahn & Jens Schlesener 65

Page 78: Gehorthese

Ideenfindung

Lösu

ng 1

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nge-

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pr

oduk

t

Bew

ertu

ng

Bew

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ngs-

pr

oduk

t

1. Einhaltung des Medizinprodukt- gesetzes

12 8 96 7 84 7 84 8 96

2. Gleichgewicht mit Stützen

11 5 55 6 66 7 77 8 88

3. hohe Stütz funktion

10 3 30 5 50 7 70 8 80

4. keine negativen Auswirkungen auf den Körper

9 4 36 4 36 6 54 6 54

5. kleine Stufen < 10 cm

8 6 48 6 48 6 48 8 64

6. geringes Gewicht 5 7 35 5 25 3 15 6 30

7. ansprechendes Design (Form und Funktion)

6 4 24 3 18 6 36 8 48

8. Treppensteigen 2 5 10 5 10 5 10 7 14

9. geringer Trainingsaufwand

4 5 20 4 16 6 24 7 28

10. einfaches Anlegen möglich

5,5 5 27.5 5 27.5 4 22 4 22

11. geringer zeitlicher Wartun gsaufwand

3 4 12 7 21 5 15 6 18

12. Preis 1 6 6 8 8 7 7 5 5

13. Sitzmöglichkeit 8 7 56 7 56 7 56 8 64

Summe 455,5 465,5 518 611

Tabelle 5.6: Vergleichssystematik

Jörg Hahn & Jens Schlesener 66

Page 79: Gehorthese

5.7 Auswertung der Vergleichssystematik

Ideenfindung

In den vorangegangenen Kapiteln wurde die Problematik bei der Konzeption der

Gehorthese und ein systematischer Weg, für diese Problematik Lösungen zu finden,

beschrieben. Als Ergebnis der Lösungsfindung hat sich die Lösung 4 (Seilzuggesteuerte

Orthese mit hydraulischen Antrieben) als deutlich beste Lösung herausgestellt. Die Lösung

4 kann die Bewertungskriterien mit der höchsten Priorität am besten erfüllen, was sich in

einer dementsprechend hohen Bewertung äußert.

Zur Konstruktion gibt es Bewertungskriterien, die unbedingt eingehalten werden müssen.

Sie haben die höchsten Bewertungsfaktoren in der Diskussion mit Betroffenen erhalten.

Diese Kriterien sind:

• Einhaltung des Medizinproduktgesetzes

• Gleichgewicht mit Stützen

• Hohe Stützfunktion

• Keine negativen Auswirkungen auf den Körper

• Kleine Stufen bis 10 cm überwinden

• Sitzmöglichkeit

Wird nur eins dieser Kriterien bei der Konstruktion nicht eingehalten, wird die Orthese

vom Markt nicht akzeptiert.

Nach diesen „Muß-Kriterien" folgen in der Bewertungsrangfolge die Kriterien, die den

Komfort und die Akzeptanz in der Öffentlichkeit der Orthese heben. Auch unter diesen

Kriterien entstand im Gespräch mit Betroffenen eine sinnvolle Abstufung der

Bewertungsfaktoren. Herauszustellen ist hierbei der Punkt: Ansprechendes Design (Form

und Funktion). Dieses Kriterium stellt den Übergang zu den „Muß-Kriterien" her. In

diesem Punkt ist auch die Anlehnung an die menschliche Anatomie enthalten, weil eine

Konstruktion ohne Berücksichtigung dieses Punktes nicht zum Ziel führen kann. Im

Kapitel „Stand der Lechnik" werden die zur Zeit erhältlichen reziproken Gehorthesen

vorgestellt. Bei allen diesen Orthesen ist das Kniegelenk beim Gehen verriegelt, dies führt

Jörg Hahn & Jens Schlesener 67

Page 80: Gehorthese

zu einem sehr unnatürlichen Gangbild. Hier wurde die Anatomie des Kniegelenkes

übergangen, um Stabilitätsprobleme zu lösen. Dies ist mit ein Grund dafür, warum diese

Orthesen von Querschnittgelähmten kaum akzeptiert werden. Alle die hier vorgestellten

Lösungen sind Neukonstruktionen und somit nicht vergleichbar mit den momentan auf

dem Markt erhältlichen Orthesen. Was alle Lösungen hauptsächlich von den bereits

existierenden Orthesen unterscheidet, ist der mechanische Antrieb. Als Antrieb werden

zwei Konzepte verwendet, die grundsätzlich bei jeder der hier vorgestellten Lösungen

denkbar wären. Dies sind hydraulische Linearmotoren oder Elektromotoren mit Getrieben.

Betrachtet man die Lösungen 2, 1, 3 in dieser Reihenfolge, wird ersichtlich, daß zusätzlich

versucht wird, sich schrittweise von dem Schema der absoluten Steifheit einer Orthese zu

entfernen. Vielmehr wird immer mehr die Stützfunktion des Skeletts in die Orthese mit

eingebunden. Somit besteht die Möglichkeit einer größeren Flexibilität im Gangbild und

einer äußeren Form, die der menschlichen Anatomie entspricht. Dies wird zu einer

größeren Akzeptanz bei den Querschnittgelähmten führen.

Ideenfmdung

In Tabelle 5.6 hat die Lösung 4: „Seilzuggesteuerte Orthese mit elektromotorischen

Antrieben" mit einem Summanden der Bewertungsprodukte von 611 die meisten Punkte in

der Vergleichssystematik bekommen. Die Lösung 3: „Seilzuggesteuerte Orthese mit

elektromotorischen Antrieben" hat mit 518 Punkten einen deutlich geringeren Summanden.

Dahinter liegen die Lösungen 2: „Anatomische CFK-Schienen mit elektromotorischen

Antrieben" und 1: „Gestänge Hebelarmkombination mit Hydraulikantrieb" mit 465,5 bzw.

455,5 Punkten.

Der große Abstand der Lösung 4 gegenüber den anderen entsteht hauptsächlich durch die

hohe Bewertung in den „Muß-Kriterien". Beispielhaft ist hier die hohe Stützfunktion, die

ausschließlich über Zugkräfte erreicht wird. So werden keine Gelenke, die durch kritische

Belastungen verschleißen können, verwendet. Des weiteren wird die Problematik eines

Verbiegens von Stützschienen gänzlich ausgeschaltet. Diese Problematik müßte bei der

Konstruktion der Lösungen 1 und 2 in besonderem Maße berücksichtigt werden. Durch die

Verwendung eines hydraulischen Antriebes im Zusammenspiel mit der hohen

Stützfunktion können sehr große Kräfte gezielt übertragen werden. Störende Nebeneffekte

durch Instabilität oder nicht genau reproduzierbare Krafteinleitungsrichtungen werden

Jörg Hahn & Jens Schlesener 68

Page 81: Gehorthese

durch dieses System weitestgehend ausgeschlossen. Im Gespräch mit Ärzten,

Orthopädietechnikern und Krankengymnasten der Orthopädischen Universitätsklinik in

Heidelberg wurde die Notwendigkeit einer absoluten Steifigkeit immer wieder betont.

Ferner können nur bei weitestgehendem Ausschluß von Instabilitäten die Kräfte mit

zugehörigen Geschwindigkeiten zu einem natürlichen Gangbild optimal aufeinander

abgestimmt werden. So sind kleine Stufen (< 10 cm) keine unüberwindbaren Hindernisse.

Darüber hinaus besteht sogar die Möglichkeit zum Treppensteigen. Auf die notwendigen

Längenänderungen und Winkeländerungen wird im folgenden Kapitel eingegangen.

Ideenfindung

In der intensiven Zusammenarbeit mit der krankengymnastischen Abteilung der

Rehabilitationsklinik Burg Landshut in Bernkastei (RPL) wurde immer wieder die hohe

Flexibilität in den Handhabungsmöglichkeiten der Lösung 4 gegenüber den Lösungen 1

und 2 gelobt. Hier ist eine Anpassung an die individuellen Bedürfnisse des einzelnen

Patienten unbedingt notwendig, um in der Rehabilitation Querschnittgelähmter

größtmögliche Erfolge erzielen zu können. Mit den Lösungskonzepten 1 und 2 ist es

schwieriger, die unterschiedlichen Gegebenheiten zum Beispiel bei inkompletten

Lähmungen zu berücksichtigen. Darüber hinaus ist es für den Betroffenen einfacher, das

Gleichgewicht mit Unterarmgehstützen zu halten, je mehr die Orthese dabei unterstützend

wirkt und nicht ein Gerät darstellt, dessen Bedienung mit viel Geschick verbunden ist und

erst lange Zeit erlernt werden muß. Aus diesen Gründen wird die Lösung 4 auch in den

Kriterien „Gleichgewicht mit Stützen" und „Geringer Trainigsaufwand" höher als die

anderen Lösungen bewertet.

Querschnittgelähmte waren von den geringen Baugrößen der hydraulischen

Lösungskonzepte begeistert. Hierbei ist das Erscheinungsbild mit der Orthese in der

Öffentlichkeit ausschlaggebend. Für Betroffene ist ein positives Auftreten gegenüber

Dritten wichtig, um nicht direkt durch ein ungewohntes Erscheinungsbild ausgegrenzt zu

werden. Zum einen ist dabei die Persönlichkeit des Betroffenen in besonderem Maße

gefragt aber natürlich auch das rein äußere Erscheinungsbild. Diese Anforderungen erfüllt

die Lösung 4 durch die ausgeprägte Anlehnung an die menschliche Anatomie. Es ergibt

sich ein Design das in Form und Funktion den anderen Lösungen überlegen ist. Ferner

werden durch den Nachbau der Physiologie des Menschen die negativen Auswirkungen auf

Jörg Hahn & Jens Schlesener 69

Page 82: Gehorthese

den Körper auf ein Minimum reduziert. Druck und Scheuerstellen werden weitestgehend

vermieden. Wie dies über die dargestellte großflächige Anbindung bei der Lösung 4

möglich ist, wird im folgenden Kapitel 6.3 genau beschrieben. Die positiven und negativen

Eigenschaften des Skeletts und speziell der Gelenke werden in dem Konzept verarbeitet.

Durch die Verwendung biegsamer Bowdenzüge und Hydraulikleitungen ist auch das

Hinsetzen mit der Orthese sehr einfach möglich im Vergleich zu einer aus Schienen

aufgebauten Orthese. Hieraus folgt die hohe Bewertung des Konzeptes 4 in den Punkten

„Ansprechendes Design (Form und Funktion)", „Keine negativen Auswirkungen auf den

Körper" und „Sitzmöglichkeit".

Ideenfindung

Die Orthesen der Lösungen 2 und 3 werden elektrisch angetrieben. Die Bereitstellung

elektrischer Energie ist immer mit hohem Gewicht verbunden. Darüber hinaus ist auch das

Leistungsgewicht bei der Umwandlung elektrischer in mechanische Energie sehr hoch. Für

die Weiterleitung der mechanischen Energie müssen Getriebe vorgesehen werden. Diese

Nachteile sind bei den hydraulisch angetriebenen Lösungen nicht vorhanden. Daher die

hohe Bewertung der Lösungen 1 und 4 im Bewertungskriterium „Geringes Gewicht"

Das Konzept 1 ist aber trotz der Verwendung eines hydraulischen Antriebes mit

mechanisch hoch beanspruchten Gelenken versehen. Diese Gelenke müssen regelmäßig

gewartet werden, um die Sicherheit der Orthese gewährleisten zu können. Wartungen an

einem rein hydraulischen System ohne Verwendung von weiteren Getrieben zur

Kraftübertragung wie bei Lösung 4 können in wesentlich größeren Zeitabständen

durchgeführt werden. Das Konzept der Lösung 2 besteht nur aus sehr wenigen

Komponenten, speziell wenn die großen flachen Motoren mit den Antriebsachsen direkt

auf den Gelenkachsen verwendet werden. Diese einfache Bauweise kommt voraussichtlich

mit dem geringsten Wartungsaufwand aus. Daher die Bewertung der Lösungen in Hinblick

auf die Wartung in der Reihenfolge 1-3-4-2.

Durch die Vergleichssystematik wird deutlich, daß eine hydraulisch angetriebene Orthese

die meisten Bewertungskriterien sehr gut erfüllen kann. Der Vergleich von Lösung 1 und

Lösung 4 zeigt aber auch, daß dies nicht zwingend der Fall ist. Lösung 1 erfüllt trotz der

Verwendung eines hydraulischen Antriebes viele Kriterien nur mittelmäßig. Zur guten

Jörg Hahn & Jens Schlesener 70

Page 83: Gehorthese

Lösung der Problematik sind die Eigenschaften der Hydraulik geschickt zu nutzen und

darüber hinaus müssen die übrigen Bewertungskriterien mit Lösungen erfüllt werden, die

sich durch ihre technische Einfachheit im Gebrauch der Orthese auszeichnen. So hat das

Konzept 1 die geringste Gesamtpunktzahl und das Konzept 4 die höchste Gesamtpunktzahl

am Ende der Bewertungssystematik erzielt.

Ideenfindung

Jörg Hahn & Jens Schlesener 71

Page 84: Gehorthese

___________________________________________________________

6. Detaillösungen

Detaillösungen

Dieses Kapitel soll als Schnittstelle für nachfolgende Arbeiten dienen. In ihm werden für

einige Details mögliche Lösungen genauer aufgezeigt und beschrieben. So wird z.B. ein als

Primärantrieb und zur Energieübertragung geeignetes Hydrauliksystem mit allen

Einzelkomponenten vorgestellt. Es folgt eine Konstruktion zur Aufnahme der

hydraulischen Linearmotoren und eine Beschreibung der Bandagen, aus denen die Orthese

aufgebaut ist.

6.1 Das Hydrauliksystem

Zur Verteilung und Wandlung der Energie an den vorgesehenen Elementen bietet sich ein

Hydrauliksystem in idealer Weise an. Das in der Orthese zu verwendende System fällt in

den Bereich der Mikrohydraulik, wodurch die hohen Systemanforderungen bestens erfüllt

werden. Die Systemanforderungen sind im folgenden dargestellt:

• Leiser Betrieb (< 55 dBA)

• Flexibilität in der Primärenergieversorgung

• Geringe Stromaufnahme bei Akkubetrieb (< 10 A, bei 24 V Gleichstromver-

sorgung)

• Sanfte Einleitung und sanftes Abbremsen von Bewegungen

• Exakte Positionierung durch hermetische Dichtheit des Hydrauliksystems, das

heißt keine interne oder externe Leckage

• Kleinste raumsparende Bauweise

• Übertragung von großen Kräften problemlos möglich

• Abruf programmierter Bewegungsabläufe möglich

• Hohe Betriebssicherheit durch vergleichsweise einfachen Aufbau

• Zur Synchronisation von mehreren Bewegungen zueinander bestens geeignet

• Kostenvorteile durch Baukastensystem

• Individuelle Anpassung an das Krankheitsbild des jeweiligen Patienten durch

das Baukastensystem einfach möglich

Jörg Hahn & Jens Schlesener 72

Page 85: Gehorthese

Detaillösungen

Bild 6.1: Prinzipschaltplan der Hydraulikeinheiten

Als Vorschlag eine Reversiersteuerung mit elektronisch geregelter Rampen- und

Geschwindigkeitssteuerung

In Bild 6.1 ist ein Prinzipschaltplan der Hydraulikeinheiten dargestellt. Um ein natürliches

Gangbild zu erreichen und dem Benutzer Bedienungskomfort zu bieten, wird die im Bild

vorgeschlagene einfache Reversiersteuerung gegen eine kompliziertere Regelung

ausgetauscht werden müssen. Die während der Arbeit entstandenen Ideen zur Steuerung

oder Regelung werden im Anhang aufgeführt, um für die Entwicklung der

Orthesensteuerung oder -regelung einen Ansatz zu bieten. Als Antriebseinheit ist im Bild

eine klassische Einheit aus Elektromotor und Pumpe dargestellt, die die Hydraulikmotoren

(1,2.. n) mit dem Druckmedium versorgen soll. Jedoch sollte die Energieversorgung aus

Gewichtsgründen nicht elektrisch, sondern durch Druckenergie aus einem Tank erfolgen.

Hierzu wird im Anhang ein speziell gewichtsoptimierter Drucktank vorgeschlagen.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 73

Page 86: Gehorthese

Die Bewegungsart der Hydraulikkolben wird über Wegeventile und Verstellblenden

beeinflußt. Filtereinheiten und ein Überdruckventil sorgen für hohe Betriebssicherheit.

Detaillösungen

Mit dem Ventil „y„ wird die Bewegungsrichtung der Hydraulikkolben beeinflußt. Soll ein

Kolben seine Bewegungsrichtung ändern, während ein anderer seine Bewegungsrichtung

beibehält, muß ein getrennter Versorgungszweig parallel zum Ventil „y„ vorgesehen

werden. Der einfach wirkende Hydraulikzylinder 1 bietet sich zum Heben und Halten des

Beckens an (in Bild 5.4 als Beckenheber bezeichnet). Wird das Ventil „yl2„ geöffnet, wird

der Kolben 1 bewegt und das Becken kann über diese Bewegung angehoben werden. Die

entgegengesetzte Bewegung wird durch das Körpergewicht beim Abstützen mit der

Unterarmgehstütze ohne hydraulische Kraft ausgeführt. Hierzu wird Ventil „yl2„ wieder

verriegelt und Ventil „yl 1„ geöffnet.

Die Hydraulikmotoren 2 - n leiten die Bewegung der Beine ein. Hierzu bieten sich

zweifach wirkende Zylinder an, um die natürlichen Bewegungsabläufe zu imitieren. Beim

Beugen des Knies zum Beispiel sind nicht nur die Oberschenkelbeuger (Muskeln auf der

Ober schenkelrückseite) aktiv, sondern auch die Oberschenkel Strecker (Muskeln auf der

Oberschenkelvorderseite). Nur durch das Zusammenspiel der Muskelgruppen von Beugern

und Streckern kommt eine gut koordinierte Bewegung zustande. Wird das Ventil „y22„

geöffnet, fährt der Kolben 2 ein, und das entsprechende Gelenk kann gebeugt werden. Mit

der Blende erfolgt eine Geschwindigkeitsregulierung. Zum Strecken wird das Ventil „y22„

wieder geschlossen und das Ventil „y21„ geöffnet. Über die Blende ist der Kolben

hydraulisch eingespannt, so daß eine koordinierte Bewegung möglich ist. Inwiefern einfach

oder zweifach wirkende Zylinder für die einzelnen Bewegungen vorgesehen werden

müssen, hängt vom Krankheitsbild des Betroffenen ab. Zur Rehabilitation sollte niemals

eine noch erhaltene Körperfunktion durch die Hydraulik ersetzt werden, damit diese

Funktion durch Entlastung nicht geschwächt wird.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 74

Page 87: Gehorthese

___________________________________________________________

Die Firma Knapp Micro Fluid® bietet Hydraulikkomponenten mit folgenden Eigenschaften

an:

Detaillösungen

Daraus ergeben sich rechnerisch folgende Grenzwerte:

• Berechnung der übertragbaren Kräfte:

Das heißt mit dem für die Orthese größten Hydraulikmotor der Firma Knapp Micro Fluid®

läßt sich eine Kraft von 25 kN aufbringen, was einer Gewichtskraft, die aus 2,5t Masse

resultiert, entspricht. Mit dem kleinsten sich anbietenden Zylinder der Firma Knapp Micro

Fluid® läßt sich eine maximale Kraft von

aufbringen. Bei Verwendung des im Anhang B beschriebenen Drucktankes zur Energie-

versorgung ergeben sich bei einem Betriebsdruck von 150 bar folgende maximale Kräfte:

• Berechnung der minimal und maximal erreichbaren Kolbengeschwindigkeiten:

Jörg Hahn & Jens Schlesener 75

Page 88: Gehorthese

Detaillösungen

6.1.1 Experimentelle Ermittlung der notwendigen Längenänderungen

Kniegelenk

Bandage mit Klettverschluß

Bandmaß mit Längenmarkierung für Kniegelenkbeugung von 90°

Längenmarkierung bei 45° Beuge- winkel

Ausgangsmarkierung bei gestreck- tem Bein Einheit zur Beugewinkelbegrenzung

Bild 6.2: Versuchsaufbau zur

Ermittlung der Längenänderungen am Knie bei

verschiedenen Beugewinkeln

Bild 6.2 zeigt den Versuchsaufbau für die Längenmessungen am Knie. Die hier verwendete

Orthese bietet sich in idealer Weise an, weil sie einstellbar nur bestimmte Beugewinkel

zuläßt. So konnten an der Orthese exakt 45° und 90° Beugewinkel eingestellt werden und

die dabei auftretenden Längenänderungen zwischen 0° und 45° bzw. 90° mit einem

Maßband abgegriffen werden. Die Längenänderungen wurden bei zwei Versuchspersonen

gemessen und anschließend gemittelt. Die Messung erfolgte bei verschiedenen

Bowdenzugführungen, wobei die maximalen Werte ausschlaggebend für die

Jörg Halm & Jens Schlesener 76

Page 89: Gehorthese

Dimensionierung der Hublängen der Hydraulikmotoren sind. Die Messungen der

Oberschenkelbeugung erfolgte über an Bandagen befestigten Bowdenzügen, die durch

provisorische Führungen den vorgesehenen Verläufen folgten. Ebenso wurde die

notwendige Bewegungsfreiheit des Beckens aufgenommen.

Detaillösungen

Die Firma Knapp Micro Fluid® bietet Kleinsthydraulikmotoren mit den in Tabelle 6.1

angegebenen Hüben an.

Längenäderung in mm bei

45° 90°

Unterschenkel Vorderseite 60 75

Rückseite 110 155

Oberschenkel Vorderseite 70 105

Rückseite 70 110

senkrechtem Anheben

Becken 60

Tabelle 6.1: Maximale Längenänderungen im Becken bzw. bei Beugewinkeln von 45° und

90° von Ober- und Unterschenkel

6.2 Aufnahme der Hydraulikzylinder

Die Aufnahme der Hydraulikzylinder ist in Bild 6.3 dargestellt. Sie besteht aus einer PP

oder PE Schale und einem Träger aus sehr dichtem Moosgummi oder Hartschaum. Der

Zylinder wird von oben in diese Schale bis zum Anschlag gesteckt und um 120° nach links

oder rechts, je nach Ausführung, verdreht, so daß die Hydraulikleitungen in der im Träger

dafür vorgesehenen Nut verlaufen. Anschließend wird die Aufnahme mit einem

Klettverschluß verschlossen, so daß ein nachträgliches Verdrehen des Zylinders verhindert

wird. Die Befestigung der Aufnahme an der Hüftbandage erfolgt mit dem an der Rückseite

des Trägers befindlichen Klettverschlusses (Haken). Diese Art der Befestigung ermöglicht

Jörg Hahn & Jens Schlesener 77

Page 90: Gehorthese

eine individuelle Plazierung und somit Anpassung des Antriebssystems an die jeweilige

Person.

Detaillösungen

Die gesamte Rückseite als Klettverschluß (Haken)

PP oder PE Schale, dient zur Aufnahme des Zylinders

Klettverschluß (Flausch), hier wird der Klettverschluß zum Verschließen der Aufnahme befestigt

Träger der Aufnahme aus sehr dichtem Moosgummi oder Hartschaum

Nut im Träger zur Aufnahme der Hydraulikleitungen

Anschlag für den Hydraulikzylinder

Schmale Reihe Haken zum Verschließen der Aufnahme

Bild 6.3: Aufnahme für einen Hydraulikzylinder

Die Aufnahme ist in zwei Ausführungen denkbar. Entweder verlaufen die

Hydraulikleitungen links oder rechts von der Schale. Dies ist nötig, um eine Befestigung

zweier Zylinder direkt nebeneinander zu ermöglichen.

6.3 Anbindung der Bowdenzüge

3Zur Übertragung der Kräfte bieten sich Bowdenzüge aus Stahl an. Die alternative

Verwendung von Bowdenzügen aus Kunststoffen wurde überprüft. Kunststoffzüge oder

auch Kunststoffseile mit Durchmessern bis 2 mm haben im Vergleich zu hochwertigen

nicht rostenden Stahlzügen bezüglich der Längendehnung und der Festigkeit wesentlich

Jörg Hahn & Jens Schlesener 78

Page 91: Gehorthese

schlechtere Kennwerte und Belastungsgrenzen. Bei den kraftübertragenden Teilen muß die

Längenausdehnung so gering wie möglich gehalten werden, denn sie spielt für die

Steifigkeit der Orthese eine entscheidende Rolle. Aus den nur sehr geringen Volumina, die

die Bowdenzüge einnehmen, ergeben sich durch die Verwendung von Kunststoffzügen nur

geringe Gewichtsvorteile, die die genannten Nachteile nicht aufwiegen. Bowdenzüge mit

den passenden Verbindungsnippeln stellt die Firma GEMO, D. G. Moritz GmbH & Co.

KG in Berlin her.

Detaillösungen

Bowdenzug: 0 2mm

Gewindestück: Zum Einschrauben in die Gewindebuchse

Gewindebuchse: Innengewinde als Verbindungsteil mit Gewindestück; drehbar gelagert zum Aufschrauben auf Gewindestück

Kugelaufnahme: Verbindet Auffächerung mit der Gewinde- buchse

Auffächerung: Breite Anbindung an den Klettverschluß zur Kraftverteilung, aus einzelnen Zügen oder Bandagengewebe

Klettverschluß: Überträgt die Kräfte der Hydraulikmotoren zur Bandage, ist Stufenlos variabel in der Positionierung, großflächig ausgelegt

Bild 6.4: Verbindung der Bowdenzüge mit den Bandagen über Kraftverteilung an die

variablen Klettverschlüsse

Jörg Hahn & Jens Schlesener 79

Page 92: Gehorthese

In Bild 6.4 ist die Verbindung der Bowdenzüge mit den Bandagen dargestellt. An die

Enden des Bowdenzuges ist jeweils ein Gewindestift aufgepreßt. Als Aufnahme für den

Gewindestift dient die Gewindebuchse. Sie ist drehbar an der Kugelaufnahme gelagert, so

daß sich der Gewindestift ohne Verdrehen des Bowdenzuges in die Gewindebuchse

einschrauben läßt. In die Kugelaufnahme ist das Ende der Auffächerung, die zur

Kraftverteilung dient, eingepreßt. Die Kraft aus den Hydraulikmotoren sollte möglichst

großflächig in die Bandage eingeleitet werden, um zum einen die Orthese vor punktuellen

Überbelastungen zu bewahren und zum anderen, um Scheuerstellen durch ein Verrutschen

der Bandagen an punktuellen Krafteinleitungspunkten zu verhindern. Die Auffächerung

kann aus mehreren Zügen oder auch aus dem Bandagenwerkstoff gefertigt werden. Der

Klettverschluß stellt die Verbindung zur Bandage her. Er wird mit der Auffächerung

vernäht. Zur Einleitung der Kräfte in die Bandagen bieten sich Klettverschlüsse an. Die

Klettverschlüsse haben die gleichen Eigenschaften wie die Bandagen, daß heißt sie sind in

horizontaler Richtung elastisch und in vertikaler Richtung steif. So wird das Prinzip der

absoluten Steifigkeit in der Längsachse aufrechterhalten. Ferner lassen sich die

Klettverschlüsse stufenlos an der Bandage positionieren, und es läßt sich eine optimale

Anpassung an die Individualitäten der Patienten erreichen. Auf die Grenzwerte der

übertragbaren Kräfte über die Klettverschlüsse wird im Punkt 6.5.1 „Individuelle

Bandagenanpassung durch Klettverschlüsse,, eingegangen.

Detaillösungen

6.3.1 Plazierungen der Anbindungen

Anbindungsbereich für vorderen außenliegenden Zylinder

Anbindungsbereich für hinteren außenliegenden Zylinder

Schrittrichtung

Anbindungsbereich für vorderen innenliegenden Zylinder

Anbindungsbereich für hinteren innenliegenden Zylinder

Bild 6.5: Draufsicht aufrechten Oberschenkel

Jörg Hahn & Jens Schlesener 80

Page 93: Gehorthese

Beim Ermitteln der nötigen Hubwege der Hydraulikmotoren wurden auch für die

Krafteinleitung günstige Plazierungen der Anbindungen gefunden. Dargestellt sind diese

Bereiche in Bild 6.5. Die optimalen Anbindungsbereiche können jedoch erst bei Versuchen

an einem Modell lokalisiert werden. Generell kann man aber davon ausgehen, daß sich

diese kreuzweise Anordnung auch auf die Unterschenkel übertragen läßt.

Detail lösungen

6.4 Führung der Bowdenzüge

Zum Erhalt der Hubwege und zur optimalen Übertragung der Zugkräfte der

Hydraulikzylinder müssen die Seilzüge unbedingt geführt werden. Dies kann durch auf die

Bandagen aufgenähte oder mit Klettverschlüssen befestigte TextilSchlaufen realisiert

werden. Beim Anlegen der Orthese werden die Züge einfach durch diese Schlaufen

gefädelt und am jeweiligen Kolben befestigt. Die Befestigung der Züge erfolgt wie bei der

Anbindung an die Bandagen durch einen Schraubverschluß.

6.5 Bandagen

Wie schon in Kapitel 5 erwähnt, müssen die Bandagen eine Reihe von Eigenschaften

erfüllen. So sollte das Material hautfreundlich und atmungsaktiv sein, um einen hohen

Tragekomfort zu gewährleisten. Weiterhin müssen die Bandagen entsprechend großflächig

gestaltet werden, um die Lastverteilung auf die Weichzonen zu realisieren, was zur

Vermeidung von Druckstellen besonders wichtig ist. Ferner müssen sie anisotrope

Eigenschaften vorweisen, um in horizontaler Richtung die zwecks Anformung notwendige

Elastizität und in vertikaler Richtung die notwendige Steifigkeit zu ermöglichen. Dies läßt

sich durch die Webart der Bandage realisieren. Natürlich müssen die zum Verschließen der

Bandagen verwendeten Klettverschlüsse, die auf die Bandagen genäht werden, die gleichen

Eigenschaften besitzen.

6.5.1 Individuelle Bandagenanpassung durch Klettverschlüsse

Jörg Hahn & Jens Schlesener 81

Page 94: Gehorthese

Zum bequemen Anlegen der Orthese im Sitzen oder Liegen müssen die einzelnen

Bandagen mit einem Verschluß versehen werden. Der Verschluß hat auch gleichzeitig die

Aufgabe, die

Detaillösungen

Bandagen paßgenau zu positionieren und bei Belastung an ihren Positionen zu halten.

Dafür sind Klettverschlüsse als Schnellbefestiger bestens geeignet. In Bild 6.6 ist eine

einfache Ausführung eines Schnellverschlusses als Muster der Firma G. Binder GmbH &

Co. in Holzgerlingen dargestellt. Ein Klettverschluß besteht immer aus einer weichen

Seite, dem „Flausch,,, der aus vielen kleinen Gewebeschlingen aufgebaut ist und dem

„Haft,,, der als Gegenstück zum Flausch aus vielen kleinen Haken besteht, die sich in die

Schlingen des Flausches beim Zusammenpressen einhaken.

Haft

Flausch

Bild 6.6: Klettschnellverschluß 20 mm breit in geschlossenem Zustand

Die Schnellverschlüsse sind an der einen Seite mit einer Öse versehen, und an der anderen

Seite ist an den Flausch als Abschluß ein Stück vom Haft angeschweißt. Mit dem Flausch

und der angeschweißten Hakenseite nach Außen gewendet, wird der Haft durch die Öse

gezogen und auf den Flausch gepreßt. Dieser Verschluß ist in der Länge stufenlos variabel

und kann individuell fest angezogen werden. Wird eine Bandage mit mehreren parallel

Page 95: Gehorthese

angeordneten Verschlüssen versehen, wird sogar eine Veränderung des Umfangs des

Beines oder der Hüfte innerhalb der Breite einer Bandage berücksichtigt. Diese

Beschaffenheit wirkt sich sehr günstig aus, wenn es darum geht, das Verrutschen der

Bandagen zu verhindern. Das Gewebe der Verschlüsse hat dieselben elastischen

Jörg Hahn & Jens Schlesener 82

Page 96: Gehorthese

Eigenschaften wie die Bandagen. Es ist in horizontaler Richtung elastisch und in vertikaler

Richtung steif. Die Verschlüsse sind in verschiedenen - bei den technischen Daten

aufgeführten - Breiten erhältlich.

Technische Daten (nach G. Binder GmbH & Co. KG):

Detaillösungen

Werkstoff: Polyamid

Breiten: 10, 16, 20, 25, 30, 38, 50, 100, 210 mm

Gewicht in g/m:

Breite in mm 10 16 20 25 30 38 50 100

Haft 2,9 4,9 6,5 7,9 9,8 12,4 16,6 33,3

Flausch 3,0 4,9 6,5 7,9 9,5 13,0 17,0 36,3

Verschluß-

festigkeiten:

Schälfestigkeit: Scherfestigkeit:

nach lx Durchschnitt 2,3 N/cm Bandbreite 10 N/cm2

Öffnen Mindestwerte 1,3 N/cm Bandbreite 6 N/cm2

nach 10000 x Durchschnitt 0,65 N/cm Bandbreite 3 N/cm2

Öffnen Mindestwerte 0,65 N/cm Bandbreite 3 N/cm2

Aus der Tabelle über die Verschlußfestigkeiten geht hervor, daß diese nach 10000

Schließungen und Öffnungen mindestens noch 50 % der Mindest-Anfangs-

Verschlußfestigkeiten betragen sollen. Über Rundungen nimmt die Scherfestigkeit um das

2-3 fache zu. Dieser Effekt müßte, zusammen mit einer großflächigen Auslegung, für die

Anbindung der Bowdenzüge genutzt werden.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 83

Page 97: Gehorthese

Jörg Hahn & Jens Schlesener 84

Detaillösungen

Page 98: Gehorthese
Page 99: Gehorthese

__________

7. Ausblick

Ausblick

Hier endet unsere Arbeit, aber wir hoffen, daß unsere Diplomarbeit als Grundstein weiterer

Arbeiten dient. Denn jetzt gilt es, dieses Projekt auch zu verwirklichen, und dazu wären

noch Diplomarbeiten mit folgenden Themen möglich.

• Ausarbeitung des Antriebes und der Primärenergieversorgung

• Der Bau und Test eines Teilmodells

• Programmierung der Antriebssteuerung

• Der Bau und Test des Prototypen

Es ist sinnvoll, die drei ersten Arbeiten parallel laufen zu lassen. Denn so ist die

notwendige Abstimmung untereinander am besten gewährleistet. Die zur Programmierung

der Steuerung benötigte Ganganalyse kann im Ganglabor der Orthopädischen

Universitätsklinik in Heidelberg erstellt werden. Hierbei und bei den Tests des Modells

und des späteren Prototypen hat der dortige Oberarzt der Abteilung Orthopädie II, Dr.

Bremer, der auch uns viel geholfen hat, seine volle Unterstützung zugesichert. Insgesamt

haben alle Beteiligten wie Betroffene, Krankengymnasten, Orthopädietechniker, Ärzte und

Firmen ihre weitere Hilfe zugesagt. Eine Auflistung aller Beteiligten und die Möglichkeit

sie zu kontaktieren befindet sich im Anhang. Wir wünschen den Diplomanden, die diese

Arbeit weiter verfolgen, viel Spaß und Erfolg.

Wir hoffen, durch unsere Diplomarbeit bei manchen Studenten das Interesse an der

Medizintechnik mit ihrem enormen Handlungsbedarf geweckt zu haben. Denn wir sind der

Ansicht, daß gerade die Medizintechnik von den Maschinenbauern als Betätigungsfeld

noch stark unterschätzt wird, obwohl das Angebot auf diesem Gebiet sehr breit gefächert

ist.

Und noch eine Meldung aus der Forschung. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb

am 07.08.1996 unter der Überschrift „Querschnittslähmung operativ zu beheben?,,

folgendes:

Jörg Hahn & Jens Schlesener 85

Page 100: Gehorthese

„Bei Ratten läßt sich durchtrenntes Rückenmark teilweise durch die Transplantation feiner

Nervenfasern wieder miteinander verknüpfen. Allerdings seien die Ergebnisse dieser

Experimente, wie die Wissenschaftler des Karolinzka-Instituts in Stockholm in der

Zeitschrift Science (Bd.273, S.510) berichten, noch recht dürftig. Die Tiere, denen durch

einen chirurgischen Eingriff zunächst ein fünf Millimeter langes Stück aus dem

Rückenmark entfernt wurde, konnten sich nach der Operation nur mühsam auf den Beinen

halten und diese nicht koordiniert bewegen. Für die Transplantationen wurden 18 zwischen

den Rippen verlaufenden Nervenfasern verwendet. Sie dienten gewissermaßen als

Leitschiene für die Regeneration der Fasern des Rückenmarks. Zur Befestigung der

Rückennerven diente ein biologischer Kleber, der Fibrin und andere Eiweißstoffe

beinhaltet. Außerdem wurde ihm eine Substanz - ein saurer Fibroblasten-Wachstumsfaktor

- beigemischt, die normalerweise im Rückenmark vorkommt. Sie soll auch das Wachstum

des Rückenmarks fördern. Ein weiterer Kunstgriff lag darin, daß die Enden der auf- und

absteigenden Stränge jeweils von der das Nervenwachstum unterdrückenden grauen

Materie in die regenerationsfreudigere Materie implantiert wurden. Sechs Monate nach

dem Eingriff war der Prozeß der Erneuerung beendet. Weitere Verbesserungen ließen sich

nicht mehr beobachten. Diese Experimente berechtigen nach der Ansicht einer ganzen

Reihe von Forschern zu der Annahme, daß eine Regeneration des Rückenmarks und eine

damit verbundene Behandlung von Querschnittslähmungen möglich sein wird.,,

Ausblick

Jörg Hahn & Jens Schlesener 86

Page 101: Gehorthese

Anhang A: Primärenergieversorgung über einen Druckspeicher

Anhang

Die Firma „Bolenz und Schäfer" in Biedenkopf stellt einen Drucktank her, der sich in

idealer Weise für die Primärenergieversorgung der Gehorthese anbietet. Der Drucktank ist

ursprünglich für den Einsatz im Motorsport zur aktiven Fahrwerksabstimmung in

Kurvenfahrten konstruiert. Für diese Zwecke mußte der Tank extrem klein und leicht sein

und dazu große Energiemengen speichern können.

Aufgebaut ist der Drucktank als Kolbenspeicher. Er kann zusätzlich zu seinem

Flüssiggasspeicher noch mit Speicherpatronen, wie in Bild AI dargestellt, versehen

werden. Durch die gewichtsoptimierte Dimensionierung und die Fertigung aus Titan wiegt

der Tank je nach Baugröße nur zwischen ein und zwei Kilogramm.

Drucktank ohne Drucktank mit Speicherpatrone Speicherpatrone

Bild AI: Symboldarstellung des Druckspeichers zur Primärenergieversorgung

Nach Herstellerangaben ist mit diesem Tank eine Energieversorgung über minimal 30

Minuten mit konstant einem kW Leistung möglich. Über die austauschbaren Patronen läßt

sich die zur Verfügung stehende Energiemenge beliebig variieren. Eine

Energierückgewinnung ist mit diesem Energiespeicher leicht zu realisieren.

Die Firma „Bolenz und Schäfer" hat uns umfangreiches Informationsmaterial mit

Jörg Hahn & Jens Schlesener 86

Page 102: Gehorthese

________________________________________________________________

Zeichnungen, Berechnungsabläufen, Abnahmevorschriften und Hinweisen zum Betrieb

und zur Wartung überlassen, welches wir gerne an die Diplomanden mit dem

Diplomarbeitsthema „Energieversorgung der Gehortese für Querschnittgelähmte"

weitergeben.

Anhang

Anhang B: Vorschläge zur Gestaltung der Steuerung bzw. Regelung

Die Steuerung oder Regelung ist neben den mechanischen Komponenten der zweite

zentrale Teil der Orthese. Genauso wie bei der Mechanik hängt von der Güte der Regelung

die Funktionalität und damit letztendlich die Akzeptanz der Orthese von Betroffenen ab.

Hierzu sollten folgende Punkte beachtet werden:

• Sicherheitsbedürfnis: Die Orthese darf keine Bewegungen ausführen, die vom

Betroffenen nicht gewollt sind, damit die Orthese kein Instrument darstellt, in

dessen vollständige Abhängigkeit der Benutzer sich gibt. Hierzu muß der

Bewegungsablauf zu jedem Zeitpunkt einfach und gezielt beeinflußbar sein. Dies

könnte zum Beispiel über einen in den Griff einer oder beider

Unterarmgehstützen integrierten Joystick realisiert werden.

• Passivität: Ein Ergebnis der Gespräche mit Querschnittgelähmten ist, daß der

Betroffene aktiv an seiner Mobilität beteiligt sein will, vergleichbar mit der

Anstrengung beim Gehen eines nicht gelähmten Menschen oder der Armarbeit

beim Bewegen des Rollstuhles.

• Individualität: Die Regelung muß individuell an die noch vorhandenen

Körperfunktionen des Betroffenen anzupassen sein, damit diese Funktionen

durch Entlastung nicht geschwächt, sondern gestärkt werden können.

• Koordination: Mit der Orthese soll ein Gangbild erreicht werden, daß im

Idealfall dem natürlichen Gang entspricht. Dies ist wahrscheinlich die

schwierigste Aufgabe bei der Erarbeitung der Regelung. Ein gesunder Mensch

könnte den Bewegungsablauf einer SPS vorgeben, indem er mit der Orthese

Jörg Hahn & Jens Schlesener 87

Page 103: Gehorthese

geht. Die Orthese würde diesen Bewegungsablauf beim Gebrauch wiedergeben.

In Verbindung mit einer Fuzzy-Logic wäre eine individuelle Anpassung an den

Betroffenen möglich.

Anhang

Anhang C: Kontakte zu Betroffenen, Medizinern und

Krankengymnasten

Die Ergebnisse dieser Diplomarbeit wurden unter anderem in vielen Gesprächen mit

Betroffenen, Medizinern und Krankengymnasten gewonnen. Die in dieser Form an der

Diplomarbeit Beteiligten, die auch weiterhin für nachfolgende Arbeiten ihre Unterstützung

zugesagt haben, sind im folgenden aufgeführt:

• Firma MRD Patent GmbH & Co. KG,

54292 Trier,

Tel.: 0651 /141646

Themenstellung und Finanzierung

• Frank Schäfer,

54492 Zeltingen-Rachtig,

Tel.: 06532/4819 oder 1355

Paraplegiker

• Claudia Kübert und Gerd Kluth, Tel.: 06531 / 924-000 oder Durchwahl -784,

54470 Bernkastel-Kues,

Krankengymnastin bzw. Leiter der Krankengymnastik in der Reha Gesellschaft für

Rehabilitation mbH

• Dr. Bremer,

69033 Heidelberg

Tel.: 06221/95-5

Oberarzt in der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg

Jörg Hahn & Jens Schlesener 88

Page 104: Gehorthese

Anhang D: Firmen, zu denen im Verlauf der Arbeit hilfreiche Kontakte

geknüpft wurden

Anhang

Die folgenden Firmen haben für diese Arbeit umfangreiches Informationsmaterial über

Gehorthesen und deren Zubehör bzw. Literatur zur Verfügung gestellt:

• Verlag Orthopädie - Technik, Bundesinnungsverband für das Orthopädiemechaniker-

und Bandagistenhandwerk,

Postfach 100651, 44006 Dortmund, Tel.: 0231 / 5570500,

Ansprechpartnerin: Frau Sosna,

Herausgeber der Zeitschrift „Orthopädie - Technik"

• Pro Walk GmbH,

Schlesierstr. 5, 63329 Egelsbach, Tel.: 06103 / 21086,

Ansprechpartner: Herr Preisler,

Hersteller der Orthese „Parawalker", zu deren Gebrauch es ein Video gibt

• Otto Bock Orthopädische Industrie,

Postfach 1260, 37105 Duderstadt, Tel.: 05527 / 848-0.

Ansprechpartnerin: Frau Leineweber,

Hersteller von speziellen Schienenelementen, zu deren Herstellung es ein Video gibt.

Anhang E: Firmen, deren Produkte in der Diplomarbeit vorgeschlagen

werden

• Knapp Micro Fluid® GmbH & Co. KG,

Borsigstr. 11, 93092 Barbing - Regensburg, Tel.: 09401 / 785-0,

Hersteller von Kleinsthydraulik

• Bolenz & Schäfer,

Jörg Hahn & Jens Schlesener 89

Page 105: Gehorthese

Postfach 1261, 35202 Biedenkopf, Tel.: 06461 / 933-0.

Anhang

Ansprechpartner: Herr Fuchs,

Hersteller des Drucktanks zur vorgeschlagenen Primärenergieversorgung

• GEMO D. G. Moritz GmbH & Co. KG,

Postfach 650529, 13305 Berlin, Tel.: 030 / 490040,

Hersteller von Bowdenzügen und deren Verbindungselementen

• Gottlieb Binder GmbH & Co, Textil- und Kunststofftechnik,

Bahnhofstr. 19, 71088 Holzgerlingen, Tel.: 07031 / 6830

Hersteller von Klettverschlüssen

• 3M - Medica,

Postfach 1462, 46322 Borken (Westfalen), Tel.: 02861 / 803-0,

Hersteller von Kunststoffschienen zur individuellen Anpassung an Patienten

• ORMED GmbH, Medizintechnik

Merzhauser Str. 112, 79100 Freiburg, Tel.: 0761 / 4584-02,

Hersteller von Orthesenunterziehstrümpfen

Anhang F: Quellenverzeichnis

[ 1 ] Volkmar Paeslack und Gerd Tschochner

Behandlung und Rehabilitation Querschnittgelähmter

Schriftenreihe des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit Band 78

Verlag W. Kohlhammer Stuttgartt Berlin Köln Mainz (1980)

ISBN 3-17-005674-3

[2] R. Pütz und R. Pabst

Jörg Hahn & Jens Schlesener 90

Page 106: Gehorthese

_________________________________________________________________

Atlas der Anatomie; CD-Rom Sobotta

20. Auflage 1997

Urban & Schwarzenberg

ISBN 3-541-00245-x

Anhang

[3] Internetlexikon

http://www.sign-lang.uni Hamburg.de/Projekte/Plex/Plex/lemmata/

R-Lemma/Rueckenm.htm

[4] Klaus Kunze

Lehrbuch der Neurologie

Georg Thieme Verlag Stuttgart New York (1992)

ISBN 3-13-761301-9

[5] Dietrich Hohmann und Ralf Uhlig

Orthopädische Technik

8. Auflage 1990

Ferdinant Enke Verlag Stuttgart

ISBN 3-432-82508-0

[6] Paeslack und Schlüter

Physiotherapie in der Rehabilitation Querschnittgelähmter

Band 9: Rehabilitation und Prävention

Springer Verlag Berlin Heidelberg New York (1980)

[7] Barbara Reye

Neuroprothesen: Nerven aus Draht

Therapiewoche 36, 1995

G. Braun Fachverlage Karlsruhe

[8] Titus Arnu und Niko Schmidt - Burgk

Jörg Hahn & Jens Schlesener 91

Page 107: Gehorthese

Hoffnung für Querschnittgelähmte: Mit Hilfe eines Computers lernen sie wieder

Anhang

gehen

Süddeutsche Zeitung Magazin 27.10.1995

[9] R. Douglas, C. Fillauer und P.F. Larson

Dürr. Fillauer Medical Inc. Manual (1983)

[10] Dr. med. Georg Neff

technische Anleitung, reziproke Gehorthese

Übersetzung von dem „Reziproke Gehorthese Basiskabelsystem" aus dem

Englischen

Basko Healthcare

[11] T. Giglio

Titan in der Orthesentechnik

praxis ergotherapie, Jg. 9(1), Februar 1996

[ 12] Günther Cerbe und Hans-Joachim Hoffmann

Einführung in die Thermodynamik

10. Auflage 1994

Carl Hanser Verlag München Wien

ISBN 3-446-17767-1

[13] Wilhelm Matek

Rolloff/ Matek Maschinenelemente: Normung Berechnung Gestaltung

12. Auflage 1992

Verlag Friedrich Vieweg & Sohn

ISBN -3-528-64028-6

[14] Michael Jäger und Carl Joachim Wirth

Jörg Hahn & Jens Schlesener 92

Page 108: Gehorthese

Praxis in der Orthopädie

Anhang

Georg Thieme Verlag Stuttgart New York 1992

ISBN 3-13-669702-2

[15] Katalog der Firma R&G GmbH Faserverbundwerkstoffe in 71107 Waidenbuch

Flüssigkunststoffe

3. Auflage 1992

[16] D.R. Askeland

Materialwissenschaften

Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg Berlin Oxford 1996

ISBN 3-86025-357-3

[17] G. Heckel und Ch. Roth

METCORE - Alternative zur Gießharzteclinik in der Orthopädietechnik

Ortopädie - Technik 1/96

[18] Hans-Jürgen Bargel und Günter Schulze

Werkstoffkunde

5. Auflage 1988

VDI Verlag

ISBN 3-18-400823-1

Anhang G: Bearbeiter

Diese Diplomarbeit haben

Jörg Hahn

Am Mariahof 79 in 54296 Trier, Tel.: 0651 / 31147 und

Jens Schlesener

Jörg Hahn & Jens Schlesener

Page 109: Gehorthese

Sachsenstraße 25 in 54295 Trier, Tel.: 0651 / 76047

Anhang

ausgearbeitet. Für Fragen, die zu Beginn weiterführender Diplomarbeiten evtl. auftreten,

stehen wir als Ansprechpartner gerne zur Verfügung. Alle Unterlagen, die sich aus den

Recherchen angesammelt haben liegen unter den oben angegebenen Adressen bereit. Gerne

bieten wir uns als Vermittler an, um während dieser Diplomarbeit geknüpfte Kontakte zu

Medizinern, Krankengymnasten und Firmen weiterzuvermitteln.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 94

Page 110: Gehorthese

Die Bewegungsart der Hydraulikkolben wird über Wegeventile und Verstellblenden

beeinflußt. Filtereinheiten und ein Überdruckventil sorgen für hohe Betriebssicherheit.

Detaillösungen

Mit dem Ventil „y„ wird die Bewegungsrichtung der Hydraulikkolben beeinflußt. Soll ein

Kolben seine Bewegungsrichtung ändern, während ein anderer seine Bewegungsrichtung

beibehält, muß ein getrennter Versorgungszweig parallel zum Ventil „y„ vorgesehen

werden. Der einfach wirkende Hydraulikzylinder 1 bietet sich zum Heben und Halten des

Beckens an (in Bild 5.4 als Beckenheber bezeichnet). Wird das Ventil „yl2„ geöffnet, wird

der Kolben 1 bewegt und das Becken kann über diese Bewegung angehoben werden. Die

entgegengesetzte Bewegung wird durch das Körpergewicht beim Abstützen mit der

Unterarmgehstütze ohne hydraulische Kraft ausgeführt. Hierzu wird Ventil „yl2„ wieder

verriegelt und Ventil „yl 1„ geöffnet.

Die Hydraulikmotoren 2 - n leiten die Bewegung der Beine ein. Hierzu bieten sich

zweifach wirkende Zylinder an, um die natürlichen Bewegungsabläufe zu imitieren. Beim

Beugen des Knies zum Beispiel sind nicht nur die Oberschenkelbeuger (Muskeln auf der

Oberschenkelrückseite) aktiv, sondern auch die Oberschenkelstrecker (Muskeln auf der

Oberschenkel Vorderseite). Nur durch das Zusammenspiel der Muskelgruppen von Beugern

und Streckern kommt eine gut koordinierte Bewegung zustande. Wird das Ventil „y22„

geöffnet, fährt der Kolben 2 ein, und das entsprechende Gelenk kann gebeugt werden. Mit

der Blende erfolgt eine Geschwindigkeitsregulierung. Zum Strecken wird das Ventil „y22„

wieder geschlossen und das Ventil „y21„ geöffnet. Über die Blende ist der Kolben

hydraulisch eingespannt, so daß eine koordinierte Bewegung möglich ist. Inwiefern einfach

oder zweifach wirkende Zylinder für die einzelnen Bewegungen vorgesehen werden

müssen, hängt vom Krankheitsbild des Betroffenen ab. Zur Rehabilitation sollte niemals

eine noch erhaltene Körperfunktion durch die Hydraulik ersetzt werden, damit diese

Funktion durch Entlastung nicht geschwächt wird.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 74

Page 111: Gehorthese

Die Firma Knapp Micro Fluid® bietet Hydraulikkomponenten mit folgenden Eigenschaften

an:

Detaillösungen

• Hydraulikmotoren mit Kolben-!

• Hydraulikschläuche mit einer Betriebssicherheit bis 200bar und 6mm Außen-0

Daraus ergeben sich rechnerisch folgende Grenzwerte:

• Berechnung der übertragbaren Kräfte:

Das heißt mit dem für die Orthese größten Hydraulikmotor der Firma Knapp Micro Fluid®

läßt sich eine Kraft von 25 kN aufbringen, was einer Gewichtskraft, die aus 2,5t Masse

resultiert, entspricht. Mit dem kleinsten sich anbietenden Zylinder der Firma Knapp Micro

Fluid® läßt sich eine maximale Kraft von

aufbringen. Bei Verwendung des im Anhang B beschriebenen Drucktankes zur Energie-

versorgung ergeben sich bei einem Betriebsdruck von 150 bar folgende maximale Kräfte:

Berechnung der minimal und maximal erreichbaren Kolbengeschwindigkeiten:

Jörg Hahn & Jens Schlesener 75

• Hydraulikventile, regelbar in einem Bereich von

Page 112: Gehorthese

6. Detaillösungen

Detaillösungen

Dieses Kapitel soll als Schnittstelle für nachfolgende Arbeiten dienen. In ihm werden für

einige Details mögliche Lösungen genauer aufgezeigt und beschrieben. So wird z.B. ein als

Primärantrieb und zur Energieübertragung geeignetes Hydrauliksystem mit allen

Einzelkomponenten vorgestellt. Es folgt eine Konstruktion zur Aufnahme der

hydraulischen Linearmotoren und eine Beschreibung der Bandagen, aus denen die Orthese

aufgebaut ist.

6.1 Das Hydrauliksystem

Zur Verteilung und Wandlung der Energie an den vorgesehenen Elementen bietet sich ein

Hydrauliksystem in idealer Weise an. Das in der Orthese zu verwendende System fällt in

den Bereich der Mikrohydraulik, wodurch die hohen Systemanforderungen bestens erfüllt

werden. Die Systemanforderungen sind im folgenden dargestellt:

• Leiser Betrieb (< 55 dBA)

• Flexibilität in der Primärenergieversorgung

• Geringe Stromaufnahme bei Akkubetrieb (< 10 A, bei 24 V Gleichstromver-

sorgung)

• Sanfte Einleitung und sanftes Abbremsen von Bewegungen

• Exakte Positionierung durch hermetische Dichtheit des Hydrauliksystems, das

heißt keine interne oder externe Leckage

• Kleinste raumsparende Bauweise

• Übertragung von großen Kräften problemlos möglich

• Abruf programmierter Bewegungsabläufe möglich

• Hohe Betriebssicherheit durch vergleichsweise einfachen Aufbau

• Zur Synchronisation von mehreren Bewegungen zueinander bestens geeignet

• Kostenvorteile durch Baukastensystem

• Individuelle Anpassung an das Krankheitsbild des jeweiligen Patienten durch

das Baukastensystem einfach möglich

Jörg Hahn & Jens Schlesener 72

Page 113: Gehorthese

Detaillösungen

Bild 6.1: Prinzipschaltplan der Hydraulikeinheiten

Als Vorschlag eine Reversiersteuerung mit elektronisch geregelter Rampen- und

Geschwindigkeitssteuerung

In Bild 6.1 ist ein Prinzipschaltplan der Hydraulikeinheiten dargestellt. Um ein natürliches

Gangbild zu erreichen und dem Benutzer Bedienungskomfort zu bieten, wird die im Bild

vorgeschlagene einfache Reversiersteuerung gegen eine kompliziertere Regelung

ausgetauscht werden müssen. Die während der Arbeit entstandenen Ideen zur Steuerung

oder Regelung werden im Anhang aufgeführt, um für die Entwicklung der

Orthesensteuerung oder -regelung einen Ansatz zu bieten. Als Antriebseinheit ist im Bild

eine klassische Einheit aus Elektromotor und Pumpe dargestellt, die die Hydraulikmotoren

(1,2.. n) mit dem Druckmedium versorgen soll. Jedoch sollte die Energieversorgung aus

Gewichtsgründen nicht elektrisch, sondern durch Druckenergie aus einem Tank erfolgen.

Hierzu wird im Anhang ein speziell gewichtsoptimierter Drucktank vorgeschlagen.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 73

Page 114: Gehorthese

____________________________________________________________

Die Bewegungsart der Hydraulikkolben wird über Wegeventile und Verstellblenden

beeinflußt. Filtereinheiten und ein Überdruckventil sorgen für hohe Betriebssicherheit.

Detaillösungen

Mit dem Ventil „y„ wird die Bewegungsrichtung der Hydraulikkolben beeinflußt. Soll ein

Kolben seine Bewegungsrichtung ändern, während ein anderer seine Bewegungsrichtung

beibehält, muß ein getrennter Versorgungszweig parallel zum Ventil „y„ vorgesehen

werden. Der einfach wirkende Hydraulikzylinder 1 bietet sich zum Heben und Halten des

Beckens an (in Bild 5.4 als Beckenheber bezeichnet). Wird das Ventil „yl2„ geöffnet, wird

der Kolben 1 bewegt und das Becken kann über diese Bewegung angehoben werden. Die

entgegengesetzte Bewegung wird durch das Körpergewicht beim Abstützen mit der

Unterarmgehstütze ohne hydraulische Kraft ausgeführt. Hierzu wird Ventil „yl2„ wieder

verriegelt und Ventil „yl 1„ geöffnet.

Die Hydraulikmotoren 2 - n leiten die Bewegung der Beine ein. Hierzu bieten sich

zweifach wirkende Zylinder an, um die natürlichen Bewegungsabläufe zu imitieren. Beim

Beugen des Knies zum Beispiel sind nicht nur die Oberschenkelbeuger (Muskeln auf der

Oberschenkelrückseite) aktiv, sondern auch die Oberschenkel Strecker (Muskeln auf der

Oberschenkel Vorderseite). Nur durch das Zusammenspiel der Muskelgruppen von Beugern

und Streckern kommt eine gut koordinierte Bewegung zustande. Wird das Ventil „y22„

geöffnet, fährt der Kolben 2 ein, und das entsprechende Gelenk kann gebeugt werden. Mit

der Blende erfolgt eine Geschwindigkeitsregulierung. Zum Strecken wird das Ventil „y22„

wieder geschlossen und das Ventil „y21„ geöffnet. Über die Blende ist der Kolben

hydraulisch eingespannt, so daß eine koordinierte Bewegung möglich ist. Inwiefern einfach

oder zweifach wirkende Zylinder für die einzelnen Bewegungen vorgesehen werden

müssen, hängt vom Krankheitsbild des Betroffenen ab. Zur Rehabilitation sollte niemals

eine noch erhaltene Körperfunktion durch die Hydraulik ersetzt werden, damit diese

Funktion durch Entlastung nicht geschwächt wird.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 74

Page 115: Gehorthese

Die Firma Knapp Micro Fluid® bietet Hydraulikkomponenten mit folgenden Eigenschaften

an:

Detaillösungen

• Hydraulikschläuche mit einer Betriebssicherheit bis 200bar und 6mm Außen-0

Daraus ergeben sich rechnerisch folgende Grenzwerte:

• Berechnung der übertragbaren Kräfte:

Das heißt mit dem für die Orthese größten Hydraulikmotor der Firma Knapp Micro Fluid®

läßt sich eine Kraft von 25 kN aufbringen, was einer Gewichtskraft, die aus 2,5t Masse

resultiert, entspricht. Mit dem kleinsten sich anbietenden Zylinder der Firma Knapp Micro

Fluid® läßt sich eine maximale Kraft von

aufbringen. Bei Verwendung des im Anhang B beschriebenen Drucktankes zur Energie-

versorgung ergeben sich bei einem Betriebsdruck von 150 bar folgende maximale Kräfte:

• Berechnung der minimal und maximal erreichbaren Kolbengeschwindigkeiten:

Jörg Hahn & Jens Schlesener 75

Page 116: Gehorthese

Detaillösungen

6.1.1 Experimentelle Ermittlung der notwendigen Längenänderungen

Kniegelenk

Bandage mit Klettverschluß

Bandmaß mit Längenmarkierung für Kniegelenkbeugung von 90°

Längenmarkierung bei 45° Beuge- winkel

Ausgangsmarkierung bei gestreck- tem Bein Einheit zur Beugewinkelbegrenzung

Bild 6.2: Versuchsaufbau zur

Ermittlung der Längenänderungen am Knie bei

verschiedenen Beugewinkeln

Bild 6.2 zeigt den Versuchsaufbau für die Längenmessungen am Knie. Die hier verwendete

Orthese bietet sich in idealer Weise an, weil sie einstellbar nur bestimmte Beugewinkel

zuläßt. So konnten an der Orthese exakt 45° und 90° Beugewinkel eingestellt werden und

die dabei auftretenden Längenänderungen zwischen 0° und 45° bzw. 90° mit einem

Maßband abgegriffen werden. Die Längenänderungen wurden bei zwei Versuchspersonen

gemessen und anschließend gemittelt. Die Messung erfolgte bei verschiedenen

Bowdenzugführungen, wobei die maximalen Werte ausschlaggebend für die

Jörg Hahn & Jens Schlesener 76

Page 117: Gehorthese

Dimensionierung der Hublängen der Hydraulikmotoren sind. Die Messungen der

Oberschenkelbeugung erfolgte über an Bandagen befestigten Bowdenzügen, die durch

provisorische Führungen den vorgesehenen Verläufen folgten. Ebenso wurde die

notwendige Bewegungsfreiheit des Beckens aufgenommen.

Detaillösungen

Die Firma Knapp Micro Fluid® bietet Kleinsthydraulikmotoren mit den in Tabelle 6.1

angegebenen Hüben an.

Längenäderung in mm bei

45° 90°

Unterschenkel Vorderseite 60 75

Rückseite 110 155

Oberschenkel Vorderseite 70 105

Rückseite 70 110

senkrechtem Anheben

Becken 60

Tabelle 6.1: Maximale Längenänderungen im Becken bzw. bei Beugewinkeln von 45° und

90° von Ober- und Unterschenkel

6.2 Aufnahme der Hydraulikzylinder

Die Aufnahme der Hydraulikzylinder ist in Bild 6.3 dargestellt. Sie besteht aus einer PP

oder PE Schale und einem Träger aus sehr dichtem Moosgummi oder Hartschaum. Der

Zylinder wird von oben in diese Schale bis zum Anschlag gesteckt und um 120° nach links

oder rechts, je nach Ausführung, verdreht, so daß die Hydraulikleitungen in der im Träger

dafür vorgesehenen Nut verlaufen. Anschließend wird die Aufnahme mit einem

Klettverschluß verschlossen, so daß ein nachträgliches Verdrehen des Zylinders verhindert

wird. Die Befestigung der Aufnahme an der Hüftbandage erfolgt mit dem an der Rückseite

des Trägers befindlichen Klettverschlusses (Haken). Diese Art der Befestigung ermöglicht

Jörg Hahn & Jens Schlesener 77

Page 118: Gehorthese

eine individuelle Plazierung und somit Anpassung des Antriebssystems an die jeweilige

Person.

Detaillösungen

Die gesamte Rückseite als Klettverschluß (Haken)

PP oder PE Schale, dient zur Aufnahme des Zylinders

Klettverschluß (Flausch), hier wird der Klettverschluß zum Verschließen der Aufnahme befestigt

Träger der Aufnahme aus sehr dichtem Moosgummi oder Hartschaum

Nut im Träger zur Aufnahme der Hydraulikleitungen

Anschlag für den Hydraulikzylinder

Schmale Reihe Haken zum Verschließen der Aufnahme

Bild 6.3: Aufnahme für einen Hydraulikzylinder

Die Aufnahme ist in zwei Ausführungen denkbar. Entweder verlaufen die

Hydraulikleitungen links oder rechts von der Schale. Dies ist nötig, um eine Befestigung

zweier Zylinder direkt nebeneinander zu ermöglichen.

6.3 Anbindung der Bowdenzüge

3 Zur Übertragung der Kräfte bieten sich Bowdenzüge aus Stahl an. Die alternative

Verwendung von Bowdenzügen aus Kunststoffen wurde überprüft. Kunststoffzüge oder

auch Kunststoffseile mit Durchmessern bis 2 mm haben im Vergleich zu hochwertigen

nicht rostenden Stahlzügen bezüglich der Längendehnung und der Festigkeit wesentlich

Jörg Hahn & Jens Schlesener 78

Page 119: Gehorthese

schlechtere Kennwerte und Belastungsgrenzen. Bei den kraftübertragenden Teilen muß die

Längenausdehnung so gering wie möglich gehalten werden, denn sie spielt für die

Steifigkeit der Orthese eine entscheidende Rolle. Aus den nur sehr geringen Volumina, die

die Bowdenzüge einnehmen, ergeben sich durch die Verwendung von Kunststoffzügen nur

geringe Gewichtsvorteile, die die genannten Nachteile nicht aufwiegen. Bowdenzüge mit

den passenden Verbindungsnippeln stellt die Firma GEMO, D. G. Moritz GmbH & Co.

KG in Berlin her.

Detaillösungen

Bowdenzug: 0 2mm

Gewindestück: Zum Einschrauben in die Gewindebuchse

Gewindebuchse: Innengewinde als Verbindungsteil mit Gewindestück; drehbar gelagert zum Aufschrauben auf Gewindestück

Kugelaufnahme: Verbindet Auffächerung mit der Gewinde- buchse

Auffächerung: Breite Anbindung an den Klettverschluß zur Kraftverteilung, aus einzelnen Zügen oder Bandagengewebe

Klettverschluß: Überträgt die Kräfte der Hydraulikmotoren zur Bandage, ist Stufenlos variabel in der Positionierung, großflächig ausgelegt

Bild 6.4: Verbindung der Bowdenzüge mit den Bandagen über Kraftverteilung an die

variablen Klettverschlüsse

Jörg Hahn & Jens Schlesener 79

Page 120: Gehorthese

In Bild 6.4 ist die Verbindung der Bowdenzüge mit den Bandagen dargestellt. An die

Enden des Bowdenzuges ist jeweils ein Gewindestift aufgepreßt. Als Aufnahme für den

Gewindestift dient die Gewindebuchse. Sie ist drehbar an der Kugelaufnahme gelagert, so

daß sich der Gewindestift ohne Verdrehen des Bowdenzuges in die Gewindebuchse

einschrauben läßt. In die Kugelaufnahme ist das Ende der Auffächerung, die zur

Kraftverteilung dient, eingepreßt. Die Kraft aus den Hydraulikmotoren sollte möglichst

großflächig in die Bandage eingeleitet werden, um zum einen die Orthese vor punktuellen

Überbelastungen zu bewahren und zum anderen, um Scheuerstellen durch ein Verrutschen

der Bandagen an punktuellen Krafteinleitungspunkten zu verhindern. Die Auffächerung

kann aus mehreren Zügen oder auch aus dem Bandagenwerkstoff gefertigt werden. Der

Klettverschluß stellt die Verbindung zur Bandage her. Er wird mit der Auffächerung

vernäht. Zur Einleitung der Kräfte in die Bandagen bieten sich Klettverschlüsse an. Die

Klettverschlüsse haben die gleichen Eigenschaften wie die Bandagen, daß heißt sie sind in

horizontaler Richtung elastisch und in vertikaler Richtung steif. So wird das Prinzip der

absoluten Steifigkeit in der Längsachse aufrechterhalten. Ferner lassen sich die

Klettverschlüsse stufenlos an der Bandage positionieren, und es läßt sich eine optimale

Anpassung an die Individualitäten der Patienten erreichen. Auf die Grenzwerte der

übertragbaren Kräfte über die Klettverschlüsse wird im Punkt 6.5.1 „Individuelle

Bandagenanpassung durch Klettverschlüsse,, eingegangen.

Detaillösungen

6.3.1 Plazierungen der Anbindungen

Anbindungsbereich für vorderen außenliegenden Zylinder

Anbindungsbereich für hinteren außenliegenden Zylinder

Schrittrichtung

Anbindungsbereich für vorderen innenliegenden Zylinder

Anbindungsbereich für hinteren innenliegenden Zylinder

Bild 6.5: Draufsicht aufrechten Oberschenkel

Jörg Hahn & Jens Schlesener 80

Page 121: Gehorthese

Beim Ermitteln der nötigen Hubwege der Hydraulikmotoren wurden auch für die

Krafteinleitung günstige Plazierungen der Anbindungen gefunden. Dargestellt sind diese

Bereiche in Bild 6.5. Die optimalen Anbindungsbereiche können jedoch erst bei Versuchen

an einem Modell lokalisiert werden. Generell kann man aber davon ausgehen, daß sich

diese kreuzweise Anordnung auch auf die Unterschenkel übertragen läßt.

Detaillösungen

6.4 Führung der Bowdenzüge

Zum Erhalt der Hubwege und zur optimalen Übertragung der Zugkräfte der

Hydraulikzylinder müssen die Seilzüge unbedingt geführt werden. Dies kann durch auf die

Bandagen aufgenähte oder mit Klettverschlüssen befestigte Textilschlaufen realisiert

werden. Beim Anlegen der Orthese werden die Züge einfach durch diese Schlaufen

gefädelt und am jeweiligen Kolben befestigt. Die Befestigung der Züge erfolgt wie bei der

Anbindung an die Bandagen durch einen Schraubverschluß.

6.5 Bandagen

Wie schon in Kapitel 5 erwähnt, müssen die Bandagen eine Reihe von Eigenschaften

erfüllen. So sollte das Material hautfreundlich und atmungsaktiv sein, um einen hohen

Tragekomfort zu gewährleisten. Weiterhin müssen die Bandagen entsprechend großflächig

gestaltet werden, um die Lastverteilung auf die Weichzonen zu realisieren, was zur

Vermeidung von Druckstellen besonders wichtig ist. Ferner müssen sie anisotrope

Eigenschaften vorweisen, um in horizontaler Richtung die zwecks Anformung notwendige

Elastizität und in vertikaler Richtung die notwendige Steifigkeit zu ermöglichen. Dies läßt

sich durch die Webart der Bandage realisieren. Natürlich müssen die zum Verschließen der

Bandagen verwendeten Klettverschlüsse, die auf die Bandagen genäht werden, die gleichen

Eigenschaften besitzen.

6.5.1 Individuelle Bandagenanpassung durch Klettverschlüsse

Jörg Hahn & Jens Schlesener 81

Page 122: Gehorthese

Zum bequemen Anlegen der Orthese im Sitzen oder Liegen müssen die einzelnen

Bandagen mit einem Verschluß versehen werden. Der Verschluß hat auch gleichzeitig die

Aufgabe, die

Detaillösungen

Bandagen paßgenau zu positionieren und bei Belastung an ihren Positionen zu halten.

Dafür sind Klettverschlüsse als Schnellbefestiger bestens geeignet. In Bild 6.6 ist eine

einfache Ausführung eines Schnellverschlusses als Muster der Firma G. Binder GmbH &

Co. in Holzgerlingen dargestellt. Ein Klettverschluß besteht immer aus einer weichen

Seite, dem „Flausch,,, der aus vielen kleinen Gewebeschlingen aufgebaut ist und dem

„Haft,,, der als Gegenstück zum Flausch aus vielen kleinen Haken besteht, die sich in die

Schlingen des Flausches beim Zusammenpressen einhaken.

Halt

Flausch

Bild 6.6: Klettschnellverschluß 20 mm breit in geschlossenem Zustand

Die Schnellverschlüsse sind an der einen Seite mit einer Öse versehen, und an der anderen

Seite ist an den Flausch als Abschluß ein Stück vom Haft angeschweißt. Mit dem Flausch

und der angeschweißten Hakenseite nach Außen gewendet, wird der Haft durch die Öse

gezogen und auf den Flausch gepreßt. Dieser Verschluß ist in der Länge stufenlos variabel

und kann individuell fest angezogen werden. Wird eine Bandage mit mehreren parallel

Page 123: Gehorthese

angeordneten Verschlüssen versehen, wird sogar eine Veränderung des Umfangs des

Beines oder der Hüfte innerhalb der Breite einer Bandage berücksichtigt. Diese

Beschaffenheit wirkt sich sehr günstig aus, wenn es darum geht, das Verrutschen der

Bandagen zu verhindern. Das Gewebe der Verschlüsse hat dieselben elastischen

Jörg Hahn & Jens Schlesener 82

Page 124: Gehorthese

Eigenschaften wie die Bandagen. Es ist in horizontaler Richtung elastisch und in vertikaler

Richtung steif. Die Verschlüsse sind in verschiedenen - bei den technischen Daten

aufgeführten - Breiten erhältlich.

Technische Daten (nach G. Binder GmbH & Co. KG):

Detaillösungen

Werkstoff: Polyamid

Breiten: 10, 16, 20, 25, 30, 38, 50, 100, 210 mm

Gewicht in g/m:

Breite in mm 10 16 20 25 30 38 50 100

Haft 2,9 4,9 6,5 7,9 9,8 12,4 16,6 33,3

Flausch 3,0 4,9 6,5 7,9 9,5 13,0 17,0 36,3

Verschluß-

festigkeiten:

Schälfestigkeit: Scherfestigkeit:

nach lx Durchschnitt 2,3 N/cm Bandbreite 10 N/cm2

Öffnen Mindestwerte 1,3 N/cm Bandbreite 6 N/cm2

nach lOOOOx Durchschnitt 0,65 N/cm Bandbreite 3 N/cm2

Öffnen Mindestwerte 0,65 N/cm Bandbreite 3 N/cm2

Aus der Tabelle über die Verschlußfestigkeiten geht hervor, daß diese nach 10000

Schließungen und Öffnungen mindestens noch 50 % der Mindest-Anfangs-

Verschlußfestigkeiten betragen sollen. Über Rundungen nimmt die Scherfestigkeit um das

2-3 fache zu. Dieser Effekt müßte, zusammen mit einer großflächigen Auslegung, für die

Anbindung der Bowdenzüge genutzt werden.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 83

Page 125: Gehorthese

____________________________________________________________

Jörg Hahn & Jens Schlesener 84

Detaillösungen

Page 126: Gehorthese

____ ___________

7. Ausblick

Ausblick

Hier endet unsere Arbeit, aber wir hoffen, daß unsere Diplomarbeit als Grundstein weiterer

Arbeiten dient. Denn jetzt gilt es, dieses Projekt auch zu verwirklichen, und dazu wären

noch Diplomarbeiten mit folgenden Themen möglich.

• Ausarbeitung des Antriebes und der Primärenergieversorgung

• Der Bau und Test eines Teilmodells

• Programmierung der Antriebssteuerung

• Der Bau und Test des Prototypen

Es ist sinnvoll, die drei ersten Arbeiten parallel laufen zu lassen. Denn so ist die

notwendige Abstimmung untereinander am besten gewährleistet. Die zur Programmierung

der Steuerung benötigte Ganganalyse kann im Ganglabor der Orthopädischen

Universitätsklinik in Heidelberg erstellt werden. Hierbei und bei den Tests des Modells

und des späteren Prototypen hat der dortige Oberarzt der Abteilung Orthopädie II, Dr.

Bremer, der auch uns viel geholfen hat, seine volle Unterstützung zugesichert. Insgesamt

haben alle Beteiligten wie Betroffene, Krankengymnasten, Orthopädietechniker, Ärzte und

Firmen ihre weitere Hilfe zugesagt. Eine Auflistung aller Beteiligten und die Möglichkeit

sie zu kontaktieren befindet sich im Anhang. Wir wünschen den Diplomanden, die diese

Arbeit weiter verfolgen, viel Spaß und Erfolg.

Wir hoffen, durch unsere Diplomarbeit bei manchen Studenten das Interesse an der

Medizintechnik mit ihrem enormen Handlungsbedarf geweckt zu haben. Denn wir sind der

Ansicht, daß gerade die Medizintechnik von den Maschinenbauern als Betätigungsfeld

noch stark unterschätzt wird, obwohl das Angebot auf diesem Gebiet sehr breit gefächert

ist.

Und noch eine Meldung aus der Forschung. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb

am 07.08.1996 unter der Überschrift „Querschnittslähmung operativ zu beheben?,,

folgendes:

Jörg Hahn & Jens Schlesener 85

Page 127: Gehorthese

„Bei Ratten läßt sich durchtrenntes Rückenmark teilweise durch die Transplantation feiner

Nervenfasern wieder miteinander verknüpfen. Allerdings seien die Ergebnisse dieser

Experimente, wie die Wissenschaftler des Karolinzka-Instituts in Stockholm in der

Zeitschrift Science (Bd.273, S.510) berichten, noch recht dürftig. Die Tiere, denen durch

einen chirurgischen Eingriff zunächst ein fünf Millimeter langes Stück aus dem

Rückenmark entfernt wurde, konnten sich nach der Operation nur mühsam auf den Beinen

halten und diese nicht koordiniert bewegen. Für die Transplantationen wurden 18 zwischen

den Rippen verlaufenden Nervenfasern verwendet. Sie dienten gewissermaßen als

Leitschiene für die Regeneration der Fasern des Rückenmarks. Zur Befestigung der

Rückennerven diente ein biologischer Kleber, der Fibrin und andere Eiweißstoffe

beinhaltet. Außerdem wurde ihm eine Substanz - ein saurer Fibroblasten-Wachstumsfaktor

- beigemischt, die normalerweise im Rückenmark vorkommt. Sie soll auch das Wachstum

des Rückenmarks fördern. Ein weiterer Kunstgriff lag darin, daß die Enden der auf- und

absteigenden Stränge jeweils von der das Nervenwachstum unterdrückenden grauen

Materie in die regenerationsfreudigere Materie implantiert wurden. Sechs Monate nach

dem Eingriff war der Prozeß der Erneuerung beendet. Weitere Verbesserungen ließen sich

nicht mehr beobachten. Diese Experimente berechtigen nach der Ansicht einer ganzen

Reihe von Forschern zu der Annahme, daß eine Regeneration des Rückenmarks und eine

damit verbundene Behandlung von Querschnittslähmungen möglich sein wird.,,

Ausblick

Jörg Hahn & Jens Schlesener 86

Page 128: Gehorthese

Detaillösungen

6.1.1 Experimentelle Ermittlung der notwendigen Längenänderungen

Kniegelenk

Bandage mit Klettverschluß

Bandmaß mit Längenmarkierung für Kniegelenkbeugung von 90°

Längenmarkierung bei 45° Beuge- winkel

Ausgangsmarkierung bei gestreck- tem Bein Einheit zur Beugewinkelbegrenzung

Bild 6.2: Versuchsaufbau zur

Ermittlung der Längenänderungen am Knie bei

verschiedenen Beugewinkeln

Bild 6.2 zeigt den Versuchsaufbau für die Längenmessungen am Knie. Die hier verwendete

Orthese bietet sich in idealer Weise an, weil sie einstellbar nur bestimmte Beugewinkel

zuläßt. So konnten an der Orthese exakt 45° und 90° Beugewinkel eingestellt werden und

die dabei auftretenden Längenänderungen zwischen 0° und 45° bzw. 90° mit einem

Maßband abgegriffen werden. Die Längenänderungen wurden bei zwei Versuchspersonen

gemessen und anschließend gemittelt. Die Messung erfolgte bei verschiedenen

Bowdenzugführungen, wobei die maximalen Werte ausschlaggebend für die

Jörg Hahn & Jens Schlesener 76

Page 129: Gehorthese

Dimensionierung der Hublängen der Hydraulikmotoren sind. Die Messungen der

Oberschenkelbeugung erfolgte über an Bandagen befestigten Bowdenzügen, die durch

provisorische Führungen den vorgesehenen Verläufen folgten. Ebenso wurde die

notwendige Bewegungsfreiheit des Beckens aufgenommen.

Detaillösungen

Die Firma Knapp Micro Fluid® bietet Kleinsthydraulikmotoren mit den in Tabelle 6.1

angegebenen Hüben an.

Längenäderung in mm bei

45° 90°

Unterschenkel Vorderseite 60 75

Rückseite 110 155

Oberschenkel Vorderseite 70 105

Rückseite 70 110

senkrechtem Anheben

Becken 60

Tabelle 6.1: Maximale Tängenänderungen im Becken bzw. bei Beugewinkeln von 45° und

90° von Ober- und Unterschenkel

6.2 Aufnahme der Hydraulikzylinder

Die Aufnahme der Hydraulikzylinder ist in Bild 6.3 dargestellt. Sie besteht aus einer PP

oder PE Schale und einem Träger aus sehr dichtem Moosgummi oder Hartschaum. Der

Zylinder wird von oben in diese Schale bis zum Anschlag gesteckt und um 120° nach links

oder rechts, je nach Ausführung, verdreht, so daß die Hydraulikleitungen in der im Träger

dafür vorgesehenen Nut verlaufen. Anschließend wird die Aufnahme mit einem

Klettverschluß verschlossen, so daß ein nachträgliches Verdrehen des Zylinders verhindert

wird. Die Befestigung der Aufnahme an der Hüftbandage erfolgt mit dem an der Rückseite

des Trägers befindlichen Klettverschlusses (Haken). Diese Art der Befestigung ermöglicht

Jörg Hahn & Jens Schlesener 77

Page 130: Gehorthese

eine individuelle Plazierung und somit Anpassung des Antriebssystems an die jeweilige

Person.

Detaillösungen

Die gesamte Rückseite als Klettverschluß (Haken)

PP oder PE Schale, dient zur Aufnahme des Zylinders

Klettverschluß (Flausch), hier wird der Klettverschluß zum Verschließen der Aufnahme befestigt

Träger der Aufnahme aus sehr dichtem Moosgummi oder Hartschaum

Nut im Träger zur Aufnahme der Hydraulikleitungen

Anschlag für den Hydraulikzylinder

Schmale Reihe Haken zum Verschließen der Aufnahme

Bild 6.3: Aufnahme für einen Hydraulikzylinder

Die Aufnahme ist in zwei Ausführungen denkbar.

Entweder verlaufen die

Hydraulikleitungen links oder rechts von der Schale. Dies ist nötig, um eine Befestigung

zweier Zylinder direkt nebeneinander zu ermöglichen.

6.3 Anbindung der Bowdenzüge

3Zur Übertragung der Kräfte bieten sich Bowdenzüge aus Stahl an. Die alternative

Verwendung von Bowdenzügen aus Kunststoffen wurde überprüft. Kunststoffzüge oder

auch Kunststoffseile mit Durchmessern bis 2 mm haben im Vergleich zu hochwertigen

nicht rostenden Stahlzügen bezüglich der Längendehnung und der Festigkeit wesentlich

Jörg Hahn & Jens Schlesener 78

Page 131: Gehorthese

schlechtere Kennwerte und Belastungsgrenzen. Bei den kraftübertragenden Teilen muß die

Längenausdehnung so gering wie möglich gehalten werden, denn sie spielt für die

Steifigkeit der Orthese eine entscheidende Rolle. Aus den nur sehr geringen Volumina, die

die Bowdenzüge einnehmen, ergeben sich durch die Verwendung von Kunststoffzügen nur

geringe Gewichtsvorteile, die die genannten Nachteile nicht aufwiegen. Bowdenzüge mit

den passenden Verbindungsnippeln stellt die Firma GEMO, D. G. Moritz GmbH & Co.

KG in Berlin her.

Detaillösungen

Bowdenzug: 0 2mm

Gewindestück: Zum Einschrauben in die Gewindebuchse

Gewindebuchse: Innengewinde als Verbindungsteil mit Gewindestück; drehbar gelagert zum Aufschrauben auf Gewindestück

Kugelaufnahme: Verbindet Auffächerung mit der Gewinde- buchse

Auffächerung: Breite Anbindung an den Klettverschluß zur Kraftverteilung, aus einzelnen Zügen oder Bandagengewebe

Klettverschluß: Überträgt die Kräfte der Hydraulikmotoren zur Bandage, ist Stufenlos variabel in der Positionierung, großflächig ausgelegt

Bild 6.4: Verbindung der Bowdenzüge mit den Bandagen über Kraftverteilung an die

variablen Klettverschlüsse

Jörg Hahn & Jens Schlesener 79

Page 132: Gehorthese

In Bild 6.4 ist die Verbindung der Bowdenzüge mit den Bandagen dargestellt. An die

Enden des Bowdenzuges ist jeweils ein Gewindestift aufgepreßt. Als Aufnahme für den

Gewindestift dient die Gewindebuchse. Sie ist drehbar an der Kugelaufnahme gelagert, so

daß sich der Gewindestift ohne Verdrehen des Bowdenzuges in die Gewindebuchse

einschrauben läßt. In die Kugelaufnahme ist das Ende der Auffächerung, die zur

Kraftverteilung dient, eingepreßt. Die Kraft aus den Hydraulikmotoren sollte möglichst

großflächig in die Bandage eingeleitet werden, um zum einen die Orthese vor punktuellen

Überbelastungen zu bewahren und zum anderen, um Scheuerstellen durch ein Verrutschen

der Bandagen an punktuellen Krafteinleitungspunkten zu verhindern. Die Auffächerung

kann aus mehreren Zügen oder auch aus dem Bandagenwerkstoff gefertigt werden. Der

Klettverschluß stellt die Verbindung zur Bandage her. Er wird mit der Auffächerung

vernäht. Zur Einleitung der Kräfte in die Bandagen bieten sich Klettverschlüsse an. Die

Klettverschlüsse haben die gleichen Eigenschaften wie die Bandagen, daß heißt sie sind in

horizontaler Richtung elastisch und in vertikaler Richtung steif. So wird das Prinzip der

absoluten Steifigkeit in der Längsachse aufrechterhalten. Ferner lassen sich die

Klettverschlüsse stufenlos an der Bandage positionieren, und es läßt sich eine optimale

Anpassung an die Individualitäten der Patienten erreichen. Auf die Grenzwerte der

übertragbaren Kräfte über die Klettverschlüsse wird im Punkt 6.5.1 „Individuelle

Bandagenanpassung durch Klettverschlüsse,, eingegangen.

Detaillösungen

6.3.1 Plazierungen der Anbindungen

Anbindungsbereich für vorderen außenliegenden Zylinder

Anbindungsbereich für hinteren außenliegenden Zylinder

Schrittrichtung

Anbindungsbereich für vorderen innenliegenden Zylinder

Anbindungsbereich für hinteren innenliegenden Zylinder

Bild 6.5: Draufsicht aufrechten Oberschenkel

Jörg Hahn & Jens Schlesener 80

Page 133: Gehorthese

____________________________________________________________

Beim Ermitteln der nötigen Hubwege der Hydraulikmotoren wurden auch für die

Krafteinleitung günstige Plazierungen der Anbindungen gefunden. Dargestellt sind diese

Bereiche in Bild 6.5. Die optimalen Anbindungsbereiche können jedoch erst bei Versuchen

an einem Modell lokalisiert werden. Generell kann man aber davon ausgehen, daß sich

diese kreuzweise Anordnung auch auf die Unterschenkel übertragen läßt.

Detaillösungen

6.4 Führung der Bowdenzüge

Zum Erhalt der Hubwege und zur optimalen Übertragung der Zugkräfte der

Hydraulikzylinder müssen die Seilzüge unbedingt geführt werden. Dies kann durch auf die

Bandagen aufgenähte oder mit Klettverschlüssen befestigte Textilschlaufen realisiert

werden. Beim Anlegen der Orthese werden die Züge einfach durch diese Schlaufen

gefädelt und am jeweiligen Kolben befestigt. Die Befestigung der Züge erfolgt wie bei der

Anbindung an die Bandagen durch einen Schraubverschluß.

6.5 Bandagen

Wie schon in Kapitel 5 erwähnt, müssen die Bandagen eine Reihe von Eigenschaften

erfüllen. So sollte das Material hautfreundlich und atmungsaktiv sein, um einen hohen

Tragekomfort zu gewährleisten. Weiterhin müssen die Bandagen entsprechend großflächig

gestaltet werden, um die Lastverteilung auf die Weichzonen zu realisieren, was zur

Vermeidung von Druckstellen besonders wichtig ist. Ferner müssen sie anisotrope

Eigenschaften vorweisen, um in horizontaler Richtung die zwecks Anformung notwendige

Elastizität und in vertikaler Richtung die notwendige Steifigkeit zu ermöglichen. Dies läßt

sich durch die Webart der Bandage realisieren. Natürlich müssen die zum Verschließen der

Bandagen verwendeten Klettverschlüsse, die auf die Bandagen genäht werden, die gleichen

Eigenschaften besitzen.

6.5.1 Individuelle Bandagenanpassung durch Klettverschlüsse

Jörg Hahn & Jens Schlesener 81

Page 134: Gehorthese

____________________________________________________________

Zum bequemen Anlegen der Orthese im Sitzen oder Liegen müssen die einzelnen

Bandagen mit einem Verschluß versehen werden. Der Verschluß hat auch gleichzeitig die

Aufgabe, die

Detaillösungen

Bandagen paßgenau zu positionieren und bei Belastung an ihren Positionen zu halten.

Dafür sind Klettverschlüsse als Schnellbefestiger bestens geeignet. In Bild 6.6 ist eine

einfache Ausführung eines Schnellverschlusses als Muster der Firma G. Binder GmbH &

Co. in Holzgerlingen dargestellt. Ein Klettverschluß besteht immer aus einer weichen

Seite, dem „Flausch,,, der aus vielen kleinen Gewebeschlingen aufgebaut ist und dem

„Haft,,, der als Gegenstück zum Flausch aus vielen kleinen Haken besteht, die sich in die

Schlingen des Flausches beim Zusammenpressen einhaken.

Die Schnellverschlüsse

sind an der einen Seite

mit einer Öse

versehen, und an der

anderen

Seite ist an den

Flausch als Abschluß

ein Stück vom Haft angeschweißt. Mit dem Flausch

und der angeschweißten Hakenseite nach Außen gewendet, wird der Haft durch die Öse

gezogen und auf den Flausch gepreßt. Dieser Verschluß ist in der Länge stufenlos variabel

und kann individuell fest angezogen werden. Wird eine Bandage mit mehreren parallel

angeordneten Verschlüssen versehen, wird sogar eine Veränderung des Umfangs des

Beines oder der Hüfte innerhalb der Breite einer Bandage berücksichtigt. Diese

Beschaffenheit wirkt sich sehr günstig aus, wenn es darum geht, das Verrutschen der

Bandagen zu verhindern. Das Gewebe der Verschlüsse hat dieselben elastischen

Jörg Hahn & Jens Schlesener 82

Page 135: Gehorthese

Eigenschaften wie die Bandagen. Es ist in horizontaler Richtung elastisch und in vertikaler

Richtung steif. Die Verschlüsse sind in verschiedenen - bei den technischen Daten

aufgeführten - Breiten erhältlich.

Technische Daten (nach G. Binder GmbH & Co. KG):

Detaillösungen

Werkstoff: Polyamid

Breiten: 10, 16, 20, 25, 30, 38, 50, 100, 210 mm

Gewicht in g/m:

Breite in mm 10 16 20 25 30 38 50 100

Haft 2,9 4,9 6,5 7,9 9,8 12,4 16,6

Flausch 3,0 4,9 6,5 7,9 9,5 13,0 17,0 36,3

Verschluß-

festigkeiten:

Schälfestigkeit: Scherfestigkeit:

nach lx Durchschnitt 2,3 N/cm Bandbreite 10 N/cm2

Öffnen Mindestwerte 1,3 N/cm Bandbreite 6 N/cm2

nach 10000 x Durchschnitt 0,65 N/cm Bandbreite 3 N/cm2

Öffnen Mindestwerte 0,65 N/cm Bandbreite 3 N/cm2

Aus der Tabelle über die Verschlußfestigkeiten geht hervor, daß diese nach 10000

Schließungen und Öffnungen mindestens noch 50 % der Mindest-Anfangs-

Verschlußfestigkeiten betragen sollen. Über Rundungen nimmt die Scherfestigkeit um das

2-3 fache zu. Dieser Effekt müßte, zusammen mit einer großflächigen Auslegung, für die

Anbindung der Bowdenzüge genutzt werden.

Jörg Hahn & Jens Schlesener 83

Page 136: Gehorthese

Jörg Hahn & Jens Schlesener

Detaillösungen

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Page 137: Gehorthese
Page 138: Gehorthese

7. Ausblick

Ausblick

Hier endet unsere Arbeit, aber wir hoffen, daß unsere Diplomarbeit als Grundstein weiterer

Arbeiten dient. Denn jetzt gilt es, dieses Projekt auch zu verwirklichen, und dazu wären

noch Diplomarbeiten mit folgenden Themen möglich.

• Ausarbeitung des Antriebes und der Primärenergieversorgung

• Der Bau und Test eines Teilmodells

• Programmierung der Antriebssteuerung

• Der Bau und Test des Prototypen

Es ist sinnvoll, die drei ersten Arbeiten parallel laufen zu lassen. Denn so ist die

notwendige Abstimmung untereinander am besten gewährleistet. Die zur Programmierung

der Steuerung benötigte Ganganalyse kann im Ganglabor der Orthopädischen

Universitätsklinik in Heidelberg erstellt werden. Hierbei und bei den Tests des Modells

und des späteren Prototypen hat der dortige Oberarzt der Abteilung Orthopädie II, Dr.

Bremer, der auch uns viel geholfen hat, seine volle Unterstützung zugesichert. Insgesamt

haben alle Beteiligten wie Betroffene, Krankengymnasten, Orthopädietechniker, Ärzte und

Firmen ihre weitere Hilfe zugesagt. Eine Auflistung aller Beteiligten und die Möglichkeit

sie zu kontaktieren befindet sich im Anhang. Wir wünschen den Diplomanden, die diese

Arbeit weiter verfolgen, viel Spaß und Erfolg.

Wir hoffen, durch unsere Diplomarbeit bei manchen Studenten das Interesse an der

Medizintechnik mit ihrem enormen Handlungsbedarf geweckt zu haben. Denn wir sind der

Ansicht, daß gerade die Medizintechnik von den Maschinenbauern als Betätigungsfeld

noch stark unterschätzt wird, obwohl das Angebot auf diesem Gebiet sehr breit gefächert

ist.

Und noch eine Meldung aus der Forschung. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb

am 07.08.1996 unter der Überschrift „Querschnittslähmung operativ zu beheben?,,

folgendes:

Jörg Hahn & Jens Schlesener 85

Page 139: Gehorthese

„Bei Ratten läßt sich durchtrenntes Rückenmark teilweise durch die Transplantation feiner

Nervenfasern wieder miteinander verknüpfen. Allerdings seien die Ergebnisse dieser

Experimente, wie die Wissenschaftler des Karolinzka-Instituts in Stockholm in der

Zeitschrift Science (Bd.273, S.510) berichten, noch recht dürftig. Die Tiere, denen durch

einen chirurgischen Eingriff zunächst ein fünf Millimeter langes Stück aus dem

Rückenmark entfernt wurde, konnten sich nach der Operation nur mühsam auf den Beinen

halten und diese nicht koordiniert bewegen. Für die Transplantationen wurden 18 zwischen

den Rippen verlaufenden Nervenfasern verwendet. Sie dienten gewissermaßen als

Leitschiene für die Regeneration der Fasern des Rückenmarks. Zur Befestigung der

Rückennerven diente ein biologischer Kleber, der Fibrin und andere Eiweißstoffe

beinhaltet. Außerdem wurde ihm eine Substanz - ein saurer Fibroblasten-Wachstumsfaktor

- beigemischt, die normalerweise im Rückenmark vorkommt. Sie soll auch das Wachstum

des Rückenmarks fördern. Ein weiterer Kunstgriff lag darin, daß die Enden der auf- und

absteigenden Stränge jeweils von der das Nervenwachstum unterdrückenden grauen

Materie in die regenerationsfreudigere Materie implantiert wurden. Sechs Monate nach

dem Eingriff war der Prozeß der Erneuerung beendet. Weitere Verbesserungen ließen sich

nicht mehr beobachten. Diese Experimente berechtigen nach der Ansicht einer ganzen

Reihe von Forschern zu der Annahme, daß eine Regeneration des Rückenmarks und eine

damit verbundene Behandlung von Querschnittslähmungen möglich sein wird.,,

Ausblick

Jörg Hahn & Jens Schlesener 86

Page 140: Gehorthese

Wir begrüßen Sie zum ersten Kontakt mit der Diplomarbeit „Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte.

Diese Datei enthält einige Hinweise zur Nutzung der CD-Rom. Die einzelnen Dateien sind nach den Kapiteln der Diplomarbeit unterteilt:

• kapO enthält die Einführung in die Diplomarbeit

• kap 12 enthält die Kapitel „1. Einleitung" und Kapitel „2. Medizinische Grundlagen",

• kap3 enthält das Kapitel „3. Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte",

• kap4 enthält das Kapitel „4. Werkstoffe im Orthesenbau",

• kap5 enthält das Kapitel „5. Ideenfindung",

• kap67 enthält die Kapitel „6. Detaillösungen" und Kapitel „7. Ausblick",

• danach folgt der „Anhang" im Ordner anhang

Desweiteren sind auf dieser CD-Rom die während der Diplomarbeit erarbeiteten catia Model- Files der Detailkonstruktionen und der Lösungskonzepte gespeichert

Die einzelnen Kapitel lassen sich mit MS-Word 7.0 öffnen. Die catia Model-Files wurden mit der Version catia 4.1.7 erstellt.