gibt es dyskalkulie? neurokognitive grundlagen der ... · 3 anzahl publikationen über dyslexie und...
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KARIN LANDERLKARIN LANDERL
UNIVERSITUNIVERSITÄÄTT TTÜÜBINGENBINGEN
Gibt es Dyskalkulie?Neurokognitive Grundlagen der
Rechenschwäche
ÜÜberblickberblick
DyskalkulieDyskalkulie –– die vernachldie vernachläässigte ssigte LernstLernstöörungrung
Grundannahmen neurokognitiver TheorienGrundannahmen neurokognitiver Theorien
Basisnumerische Verarbeitung ist komplexBasisnumerische Verarbeitung ist komplex
Implikationen fImplikationen füür Diagnose und Interventionr Diagnose und Intervention
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Prävalenz:Lewis, Hitch, & Walker (1994):Epidemiologische Erhebung der Gesamtpopulation 9- bis 10-jähriger in einem englischen Schulbezirk (Land- und Stadtschulen): 1056 Kinder (497 weibl., 559 männl.)
•6% haben Lesedefizit trotz unauffälliger Intelligenz•3.6% haben Schwierigkeiten in Mathematik trotz unauffälliger Intelligenz
•40% der Kinder mit Lesedefizit waren auch in Mathematik auffällig schwach
Lesedefizit: mehr Buben als MädchenDefizit in Mathematik: kein Geschlechtsunterschied
Schwedische KönigsfamilieHans Christian Andersen Cher Agatha Christie Winston Churchill Leonardo DaVinciCharles Darwin Walt Disney Thomas Edison Michael KöhlmeierVerona Feldbusch/Pooth
Whoopi GoldbergJohn IrvingGreg LouganisMichelangelo Pablo Picasso Nelson Rockefeller Franklin Roosevelt Mark Twain Vincent VanGoghAugust Rodin
Prominente Legastheniker
Prominente Dyskalkuliker??
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Anzahl Publikationen über Dyslexie und Dyskalkulie in PsycInfo
4594
1830
1000
2000
3000
4000
5000
Dyslexie Dyskalkulie
# Pu
blik
atio
nen
Okt
ober
200
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(PsychInfo Database)
DEFINITION laut ICD 10 (WHO)DEFINITION laut ICD 10 (WHO)
RechenstRechenstöörung:rung:...umschriebene Beeinträchtigung der Rechenfertigkeiten, die nicht allein durch eine allgemeine Intelligenzminderung oder eine eindeutig unangemessene Beschulung erklärbar ist.
Das Defizit betrifft die Beherrschung grundlegender Rechenfertigkeiten wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division, weniger die höheren mathematischen Fertigkeiten, die für Trigonometrie, Geometrie und Differential- sowie Integralrechnung benötigt werden.
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DreiDrei AnnahmenAnnahmen üüberberneurologischneurologisch bedingtebedingteEntwicklungsstEntwicklungsstöörungenrungen
• ein kognitives Defiziterklärt vieleProbleme
•Die meisten kognitiven Komponenten sind intakt
• Kompensationaber Schwierigkeiten bleiben
AnnahmeAnnahme beibei einereinerneuroneuro--kognitivenkognitiven TheorieTheorie
Es gibt einen angeborenen Mechanismus für die kritische Fähigkeit, die man zum Lesen / Rechnenbraucht
Angeborene Starter-Mechanismen ermöglichenFast-track Lernen (Mit normaler Stimulation von derUmwelt)
Was passiert wenn der Starter-Mechanismus nichtfunktioniert? Vielleicht durch genetischeProgrammfehler?
Es folgt eine Entwicklungsstörung
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Was Was istist derder kritischekritische‘‘StarterStarter’’ FehlerFehler by by LegasthenieLegasthenie??
PhonologiePhonologieermermööglichtglicht fastfast--track track LernenLernen von von SpracheSprache
DerDer StarterStarter--MechanismusMechanismus derderPhonologiePhonologie istist gestgestöörtrt......
Kein fast-track Lernen von gesprochener Sprache
Langsames kompensatorisches Lernen
Kein fast-track Lernen von geschriebener Sprache
Kein fast-track Lernen von Fremdsprachen
6
Was Was istist derder kritischekritischeStarterStarter--MechanismusMechanismusffüürr RechenleistungenRechenleistungen??
0
20
40
60
80
100
Pro
zent
kor
rekt
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ntw
orte
n
Kontrollgruppe LRS Rechenstörung kombinierte Störung
„Sag /ti:k/ ohne /k/“
Wichtig: Berücksichtigung von Komorbiditäten!!!Landerl, Fussenegger, Moll & Willburger (2007)
Phonologische Bewusstheit?Phonologische Bewusstheit?
7
50
5560
6570
75
% korrekt
Kontrollgruppe Rechenstörung
„Sag /ti:k/ ohne /k/“
Phonologische Bewusstheit?Phonologische Bewusstheit?
BenennungsflBenennungsflüüssigkeit fssigkeit füür r ZiffernZiffern
40
60
80
100
120
140
digi
ts /
min
control dyslexia dyscalculia combined
Arithmetic ability: n.s.Reading ability: F(1,104)=25.9, p<.05Arithmetic x reading: n.s.
Simple contrasts: control = dyscalculic > dyslexic = combined
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Rechnen lernt man in der Rechnen lernt man in der Schule .Schule .- oder?
Babys verarbeiten kleine Numerositäten
Xu, Spelke & Goddard (2006)
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Babys verarbeiten große Numerositätenim Verhältnis 2:1
Xu, Spelke & Goddard (2006)
BabiesBabies kköönnen rechnennnen rechnenWynn (1992)Wynn (1992)
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Babys verfBabys verfüügen gen üüber ber basalebasale Kompetenzen in Kompetenzen in der Verarbeitung von der Verarbeitung von NumerositNumerositäätenten= Kernsystem / Startermechanismus= Kernsystem / Startermechanismus
„„ZahlensinnZahlensinn““ ((numbernumber sensesense –– Dehaene, 1997)Dehaene, 1997)
„„ZahlenmodulZahlenmodul““ ((numbernumber modulemodule –– ButterworthButterworth, 1999), 1999)
Fehler im angeborenen Zahlenmodul Fehler im angeborenen Zahlenmodul keine normale Entwicklung der keine normale Entwicklung der kognitiven kognitiven ReprReprääsentation von Zahlen sentation von Zahlen DyskalkulieDyskalkulie
MengenvergleichMengenvergleich
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MengenvergleichMengenvergleich
MengenvergleichMengenvergleich
1000
1200
1400
1600
1800
groß klein
Distanz
Rea
ktio
nsze
it [m
s]
Kontrollgruppe LRS Rechenstörung kombinierte Störung
Mathematik-Kontrast:Gruppe: F(1,104)=4.4, p=.04
Lese-Kontrast:Gruppe: F < 1, n.s.
Landerl, Fussenegger, Moll & Willburger (2007)
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Zahlen = Symbole fZahlen = Symbole füür r NumerositNumerositäätenten
2 8
32 58
Zahlengrößenvergleich –Verständnis für Zahlen = Zahlensemantik
ZahlengrZahlengrößößenvergleichenvergleich
0
500
1000
1500
2000
2500
physisch 1-stellig 2-stellig
Zeit
in m
s
Kontrollgruppe LRS Rechenstörung kombinierte Störung
Landerl, Fussenegger, Moll & Willburger (2007
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DistanzeffektDistanzeffekt
aus Butterworth (1999)
Reaktionszeit sinkt mit steigender Distanz zwischen den beiden Zahlen
SNARCSNARC--EffektEffektSpatial Numerical Association of Response Code
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Der mentale Zahlenstrahl “Mental Number Line“:
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 . . .
klein-links groß-rechts
Neglekt-Patienten:
Zahlenbisektion: „Was ist die Mitte zwischen 1 und 9“? Antwort korrekt: 5Antwort Neglekt-Patienten: 7
(Zorzi et al. 2002)
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ZahlenstrahlZahlenstrahl
120 Pixel = 3.2cm
ZahlenstrahlZahlenstrahl
0
2040
6080
100
120140
160
0 - 100 0 - 1000
Abw
eich
ung
vom
Zie
lwer
t in
Pixe
l
Kontrollgruppe LRS Rechenstörung kombinierte Störung
Mathematik-Kontrast:Gruppe: F(1,104)=7.3, p=.008Bedingung: F(1,104)=25.6, p<.001Gruppe x Bedingung: F(1,104)=4.8, p=.031
Lese-Kontrast:Gruppe: F < 1, n.s.
Vergleich aller 4 Gruppen: Kontr., < R = komb.
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Zahlenstrahl: von logarithmisch zu Zahlenstrahl: von logarithmisch zu linearlinear
Opfer & Siegler (2006)
PunktezPunktezäählenhlen
500
1000
1500
2000
2500
3000
3500
4000
4500
1 2 3 4 5 6 7 8
Number of dots
RT
in m
s
control dyslexic dyscalculic combined
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Dot Dot countingcounting: : SubitizingSubitizing
700750800850900950
10001050110011501200
1 2 3
number of dots
RT
in m
s
control dyslexic dyscalculic combined
Arithmetic ability: (F1,104)=3.4, p=.07Reading ability / arithmetic x reading: n.s.Number of dots: F(2,208) = 3.5*Arithmetic ability x no.of dots: F(2,208)=3.7, p=.058Reading ability x no. of dots: n.s.
aus Butterworth (1999)
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OkzipitotemporalesSystem
TemporoparietalesSystem
Frontales SystemNeuronale Lesezentren
Neuronale Zentren der Zahlenverarbeitung
Legasthenie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen
Paulesu et al. (2001)
Dyskalkulie: geringere Aktivierung im intraparietalenSulcus (bilateral)
Molko et al. (2003)
Dyskalkulie und Legasthenie :Unterschiedliche neurologische Auffälligkeiten
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PhonologischesDefizit
Defizit inbasaler Zahlen-repräsentation
Legasthenie Dyskalkulie
Defizit derphonologischenBewusstheit
Rechtschreib-störung
Defizit derBenennungs-flüssigkeit
Lesestörung
Verbale Fähigkeiten
Visuell-räumlicheVerarbeitung
Allgemeine Problem-lösefähigkeiten und logisches Denken
Langzeitgedächtnis
Aufmerksamkeit
RechenleistungRechenleistungUnterrichtFörderungAnregung
BiologischeEbene
KognitiveEbene
Verhaltens-ebene
Basisnumerische Verarbeitung
Leseleistung
Exekutivfunktionen
Arbeitsgedächtnis
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Mentaler Zahlenstrahl
Zahlenmodul/Analoge Mengenrepräsentation
(nicht-symbolisch)
Visuell-arabischeRepräsentation(symbolisch)
verbaleRepräsentation(symbolisch)
Zahlwörter hören/sprechenlesen/schreiben
Arabische Zahlenlesen/schreiben subitising Schätzen
ZahlenfaktenSchriftliches
Rechnen
BiologischeEbene
KognitiveEbene
IPS
UnterrichtFörderungAnregung
Finger-repräsentation
Finger-rechnen
Zählen
Zusammenfassung:Zusammenfassung:Kompetentes Lesen / Rechnen erfordern ein Kompetentes Lesen / Rechnen erfordern ein spezifisches neurologisches Netzwerkspezifisches neurologisches Netzwerk
Der Grundstein dieses Netzwerkes ist Der Grundstein dieses Netzwerkes ist angeboren (Starterangeboren (Starter--Mechanismus)Mechanismus)
Die Ausbildung und Spezifizierung des Die Ausbildung und Spezifizierung des neurologischen Netzes dauert viele Jahre und neurologischen Netzes dauert viele Jahre und hhäängt von externen Faktoren (Anregung, ngt von externen Faktoren (Anregung, Unterricht) abUnterricht) ab
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Legasthenie / Legasthenie / DyskalkulieDyskalkulie
StarterStarter--Mechanismus fehlt (angeborenes Mechanismus fehlt (angeborenes VerstVerstäändnis fndnis füür Sprachlaute / r Sprachlaute / NumerositNumerositäätenten))
Folge: Entwicklung des neurologischen Netzes Folge: Entwicklung des neurologischen Netzes ist von Anfang an gestist von Anfang an gestöört, Lernen ist langsam rt, Lernen ist langsam und kompensatorischund kompensatorisch
Wichtig: mWichtig: mööglichst frglichst früühe Identifikation und he Identifikation und FrFrüühfhföörderungrderung
Was hilft?Was hilft?
Nur symptomorientiertes Training Nur symptomorientiertes Training ermermööglicht Aufbau des jeweiligen glicht Aufbau des jeweiligen neuronalen Netzes neuronalen Netzes Voraussetzung: Detaillierte AbklVoraussetzung: Detaillierte Abkläärung rung des aktuellen Leistungsstandesdes aktuellen LeistungsstandesSetzen von realistischen LernzielenSetzen von realistischen LernzielenMotivierende Gestaltung der Motivierende Gestaltung der ÜÜbungssituationbungssituationAdAdääquate Berquate Berüücksichtigung von cksichtigung von KomorbiditKomorbiditäätenten
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