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Gott im Horizont der Existenz des Menschen Das Gottesverständnis der Neuzeit Paul Tillich (Primärtexte zu Sachwissen Religion, 164-168) 127 Gott als Symbol Gott ist das fundamentale Symbol für das, was uns un- bedingt angeht. Hier wäre es wieder falsch, zu fragen: »Ist Gott denn nur ein Symbol?« Denn die nächste Frage müsste lauten: »Ein Symbol wofür?« Und dann würde die Antwort heißen: »Für Gott.« – »Gott« ist Symbol für Gott. Das bedeutet, dass in der Idee Gottes zwei Ele- mente zu unterscheiden sind: einmal das Element der Unbedingtheit, das Gegenstand der unmittelbaren Erfah- rung und nicht symbolisch in sich selbst ist; zweitens das konkrete Element, das aus unserer täglichen Erfah- rung genommen und in symbolischer Weise auf Gott angewendet wird. Der Mensch, dessen unbedingtes Anliegen in einem heiligen Baum ausgedrückt ist, be- sitzt beides, die Unbedingtheit des Anliegens und die Konkretheit des Baumes, der seinen Bezug zum Unbe- dingten symbolisiert. Der Mensch, der Apollo anbetet, ist in konkreter Weise unbedingt ergriffen, denn sein letztes Anliegen ist in der göttlichen Gestalt des Apollo symbolisiert. Der Mensch, der Jahwe, den Gott des Alten Testaments, verehrt, hat ein unbedingtes Anliegen und ein konkretes »Bild« dessen, was ihn unbedingt an- geht. Das ist der Sinn der scheinbar so paradoxen Fest- stellung, dass »Gott« das Symbol Gottes sei. In diesem Sinn ist Gott der fundamentale und universale Inhalt des Glaubens. Es ist klar, dass durch diese Deutung des Gottesbegriffs eine Diskussion über die Existenz oder Nicht-Existenz Gottes sinnlos wird. Es ist sinnlos, nach der Unbedingt- heit des Unbedingten zu fragen. Dieses Element in der Idee Gottes ist in sich selbst gewiss. Aber der symboli- sche Ausdruck für die Beziehung zum Unbedingten variiert endlos im Lauf der Menschheitsgeschichte. Es wäre sinnlos zu fragen, ob die eine oder andere Gestalt, in der das Unbedingte symbolisch dargestellt wird, »existiert«. Wenn »Existenz« sich auf etwas bezieht, das im Ganzen der Wirklichkeit vorgefunden wird, so exis- tiert kein göttliches Wesen. Die Frage nach der Existenz Gottes kann also gar nicht so gestellt werden, sondern es muss heißen: Welches unter den unzähligen Symbolen des Glaubens ist dem Sinn des Glaubens am meisten angemessen? Mit anderen Worten: Welches Symbol des Unbedingten drückt das Unbedingte aus, ohne götzen- hafte Elemente zu enthalten? Dies ist das eigentliche Problem und nicht die sogenannte »Existenz Gottes« – eine Phrase, die eine unmögliche Kombination von Worten ist. Gott als das Unbedingte im unbedingten Ergriffensein des Menschen ist eine größere Gewissheit, sogar größer als die Gewissheit unserer selbst. Aber die Begegnung mit Gott im Symbol einer göttlichen Gestalt ist Sache des Glaubens, des Wagnisses und des Mutes. »Gott« ist das fundamentale Symbol des Glaubens, aber es ist nicht das einzige. Alle Eigenschaften, die wir ihm zulegen, wie Macht, Liebe, Gerechtigkeit, sind aus unseren end- lichen Erfahrungen genommen und werden symbolisch angewandt auf das, was sich jenseits von Endlichkeit und Unendlichkeit befindet. Wenn der Glaube Gott »all- mächtig« nennt, so benutzt er die menschliche Erfahrung der Macht, um den Gegenstand seines unendlichen An- liegens symbolisch darzustellen; aber er beschreibt nicht ein höchstes Wesen, das tun kann, was ihm beliebt. Das gleiche gilt für alle anderen Eigenschaften, die der Mensch Gott zuschreibt, und für alles Handeln Gottes in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es sind Sym- bole, die aus unserer alltäglichen Erfahrung genommen sind; aber es sind keine Berichte über etwas, das Gott in grauer Vorzeit getan hat oder in ferner Zukunft tun wird. Glaube ist nicht das Für-wahr-Halten von Geschichten, sondern er ist die Annahme von Symbolen, die unser unbedingtes Ergriffensein im Bild göttlichen Handelns ausdrücken. 128 Wir können nicht einfach sagen, dass Gott ein Symbol ist, sondern wir müssen immer auf zweifache Weise von ihm reden – nichtsymbolisch und symbolisch. Wenn wir nichtsymbolisch reden, sagen wir, dass er die letzte Wirklichkeit, das Sein-Selbst, der Grund des Seins, die Macht des Seins ist. Wenn wir symbolisch reden, nen- nen wir ihn das höchste Wesen, in dem alles Endliche in höchster Vollkommenheit vereinigt ist. Es ist wichtig, diese zwei Elemente im Gottesbegriff zu unterscheiden. Diese Unterscheidung würde die un- fruchtbare Diskussion beenden, ob Gott Person ist oder nicht. Solche Diskussionen wirken religiös zerstörerisch durch falsche Interpretationen der religiösen Erfahrung. Wir können ihnen entgegenhalten: Sicherlich ist das Unbedingte an sich, was es ist, und man könnte es mit den Scholastikern das Sein-Selbst (esse qua esse, esse ipsum) nennen. Eine solche Aussage ist nicht-symbo- lisch. Aber in unserer Beziehung zu ihm müssen wir symbolisch reden. Wir könnten nie in Kommunikation mit Gott treten, wenn er nur »das Sein-Selbst« wäre. In unserer Beziehung zu ihm begegnen wir ihm in der höchsten Stufe unseres Seins: als Person. Es wird also in der symbolischen Redeweise über Gott zweierlei aus- gesagt: Er ist das, was unsere Erfahrung des Person- Seins unendlich transzendiert, und zugleich das, was unserm Person-Sein so adäquat ist, dass wir »Du« zu ihm sagen und zu ihm beten können. Beide Elemente müssen erhalten bleiben. Haben wir nur das Element des Unbedingten, so ist keine Beziehung zu Gott möglich. Bleibt nur die Ich-Du-Beziehung, wie wir heute sagen, so verlieren wir das Element des Göttlichen, des Unbe- dingten, welches Subjekt und Objekt und alle anderen Polaritäten transzendiert. Quelle: H. Freudenberg / K. Goßmann, Sachwissen Religion Texte, Göttingen 1989, 112-114 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100 105 110

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Gott im Horizont der Existenz des MenschenDas Gottesverständnis der Neuzeit

Paul Tillich(Primärtexte zu Sachwissen Religion, 164-168)

127 Gott als Symbol

Gott ist das fundamentale Symbol für das, was uns un-bedingt angeht. Hier wäre es wieder falsch, zu fragen: »Ist Gott denn nur ein Symbol?« Denn die nächste Frage müsste lauten: »Ein Symbol wofür?« Und dann würde die Antwort heißen: »Für Gott.« – »Gott« ist Symbol für Gott. Das bedeutet, dass in der Idee Gottes zwei Ele-mente zu unterscheiden sind: einmal das Element der Unbedingtheit, das Gegenstand der unmittelbaren Erfah-rung und nicht symbolisch in sich selbst ist; zweitens das konkrete Element, das aus unserer täglichen Erfah-rung genommen und in symbolischer Weise auf Gott angewendet wird. Der Mensch, dessen unbedingtes Anliegen in einem heiligen Baum ausgedrückt ist, be-sitzt beides, die Unbedingtheit des Anliegens und die Konkretheit des Baumes, der seinen Bezug zum Unbe-dingten symbolisiert. Der Mensch, der Apollo anbetet, ist in konkreter Weise unbedingt ergriffen, denn sein letztes Anliegen ist in der göttlichen Gestalt des Apollo symbolisiert. Der Mensch, der Jahwe, den Gott des Alten Testaments, verehrt, hat ein unbedingtes Anliegen und ein konkretes »Bild« dessen, was ihn unbedingt an-geht. Das ist der Sinn der scheinbar so paradoxen Fest-stellung, dass »Gott« das Symbol Gottes sei. In diesem Sinn ist Gott der fundamentale und universale Inhalt des Glaubens.Es ist klar, dass durch diese Deutung des Gottesbegriffs eine Diskussion über die Existenz oder Nicht-Existenz Gottes sinnlos wird. Es ist sinnlos, nach der Unbedingt-heit des Unbedingten zu fragen. Dieses Element in der Idee Gottes ist in sich selbst gewiss. Aber der symboli-sche Ausdruck für die Beziehung zum Unbedingten variiert endlos im Lauf der Menschheitsgeschichte. Es wäre sinnlos zu fragen, ob die eine oder andere Gestalt, in der das Unbedingte symbolisch dargestellt wird, »existiert«. Wenn »Existenz« sich auf etwas bezieht, das im Ganzen der Wirklichkeit vorgefunden wird, so exis-tiert kein göttliches Wesen. Die Frage nach der Existenz Gottes kann also gar nicht so gestellt werden, sondern es muss heißen: Welches unter den unzähligen Symbolen des Glaubens ist dem Sinn des Glaubens am meisten angemessen? Mit anderen Worten: Welches Symbol des Unbedingten drückt das Unbedingte aus, ohne götzen-hafte Elemente zu enthalten? Dies ist das eigentliche Problem und nicht die sogenannte »Existenz Gottes« – eine Phrase, die eine unmögliche Kombination von Worten ist.Gott als das Unbedingte im unbedingten Ergriffensein des Menschen ist eine größere Gewissheit, sogar größer als die Gewissheit unserer selbst. Aber die Begegnung mit Gott im Symbol einer göttlichen Gestalt ist Sache des Glaubens, des Wagnisses und des Mutes. »Gott« ist das fundamentale Symbol des Glaubens, aber es ist nicht das einzige. Alle Eigenschaften, die wir ihm zulegen, wie Macht, Liebe, Gerechtigkeit, sind aus unseren end-lichen Erfahrungen genommen und werden symbolisch

angewandt auf das, was sich jenseits von Endlichkeit und Unendlichkeit befindet. Wenn der Glaube Gott »all-mächtig« nennt, so benutzt er die menschliche Erfahrung der Macht, um den Gegenstand seines unendlichen An-liegens symbolisch darzustellen; aber er beschreibt nicht ein höchstes Wesen, das tun kann, was ihm beliebt.Das gleiche gilt für alle anderen Eigenschaften, die der Mensch Gott zuschreibt, und für alles Handeln Gottes in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es sind Sym-bole, die aus unserer alltäglichen Erfahrung genommen sind; aber es sind keine Berichte über etwas, das Gott in grauer Vorzeit getan hat oder in ferner Zukunft tun wird. Glaube ist nicht das Für-wahr-Halten von Geschichten, sondern er ist die Annahme von Symbolen, die unser unbedingtes Ergriffensein im Bild göttlichen Handelns ausdrücken.

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Wir können nicht einfach sagen, dass Gott ein Symbol ist, sondern wir müssen immer auf zweifache Weise von ihm reden – nichtsymbolisch und symbolisch. Wenn wir nichtsymbolisch reden, sagen wir, dass er die letzte Wirklichkeit, das Sein-Selbst, der Grund des Seins, die Macht des Seins ist. Wenn wir symbolisch reden, nen-nen wir ihn das höchste Wesen, in dem alles Endliche in höchster Vollkommenheit vereinigt ist.Es ist wichtig, diese zwei Elemente im Gottesbegriff zu unterscheiden. Diese Unterscheidung würde die un-fruchtbare Diskussion beenden, ob Gott Person ist oder nicht. Solche Diskussionen wirken religiös zerstörerisch durch falsche Interpretationen der religiösen Erfahrung. Wir können ihnen entgegenhalten: Sicherlich ist das Unbedingte an sich, was es ist, und man könnte es mit den Scholastikern das Sein-Selbst (esse qua esse, esse ipsum) nennen. Eine solche Aussage ist nicht-symbo-lisch. Aber in unserer Beziehung zu ihm müssen wir symbolisch reden. Wir könnten nie in Kommunikation mit Gott treten, wenn er nur »das Sein-Selbst« wäre. In unserer Beziehung zu ihm begegnen wir ihm in der höchsten Stufe unseres Seins: als Person. Es wird also in der symbolischen Redeweise über Gott zweierlei aus-gesagt: Er ist das, was unsere Erfahrung des Person-Seins unendlich transzendiert, und zugleich das, was unserm Person-Sein so adäquat ist, dass wir »Du« zu ihm sagen und zu ihm beten können. Beide Elemente müssen erhalten bleiben. Haben wir nur das Element des Unbedingten, so ist keine Beziehung zu Gott möglich. Bleibt nur die Ich-Du-Beziehung, wie wir heute sagen, so verlieren wir das Element des Göttlichen, des Unbe-dingten, welches Subjekt und Objekt und alle anderen Polaritäten transzendiert.

Quelle: H. Freudenberg / K. Goßmann, Sachwissen Religion Texte, Göttingen 1989, 112-114

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