grundlagen der industrie- und organisationssoziologie · crozier und friedberg machen vier große...
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17.01.2014
Grundlagen der Industrie- und
Organisationssoziologie
10. Mikropolitik
Prof. Dr. Birgit Blättel-Mink
e-mail: [email protected]
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Mikropolitik
Crozier, Michel/ Friedberg, Erhard (1979): Das Spiel als Instrument
organisierten Handelns. In: dies., Macht und Organisation. Die
Zwänge kollektiven Handelns. Königstein Ts., S. 56-76
Neuberger, Oswald (1988): Spiele in Organisationen, Organisationen
als Spiele. In: Küpper, W./Ortmann, G. (Hrsg): Mikropolitik.
Rationalität, Macht und Spiele in Organisationen. Opladen
(Westdeutscher Verlag), S. 53-86.
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Mikropolitik
Inhalt
1. Begriffsarbeit - Mikropolitik
2. Michel Crozier und Erhard Friedberg – Das Spiel als Instrument
organisierten Handelns
Exkurs: Oswald Neuberger – Spiele in Organisationen
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Mikropolitik
Hauptanliegen und grundlegen Annahmen
Betrachtung der Prozesse in Organisationen unter einer politischen
Perspektive
Handlungsspielräume von Akteuren innerhalb struktureller
Organisationsgrenzen identifizieren und deren Verschiebung durch
(mikro)politisches Agieren interessengeleiteter Akteure
analysieren
Mikropolitik, Macht und Spiele/Strategien
Mikropolitik und strategische Organisationsanalyse
Macht als Kontrolle relevanter Ungewissheitszonen
Organisation als Gesamtheit aneinander gegliederter Spiele
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Mikropolitik
Modell einer von Mikropolitik bestimmten Organisation
Organisation ist eine Koalition bzw. die Summe von Koalitionen politisch bzw.
mikropolitisch agierender Personen
Konflikt, d.h. der Kampf aller gegen alle um die größten Belohnungen, bestimmt das
Geschehen in Organisationen
Rollen-, Autoritäts- und Kommunikationsstruktur der Organisation sind das
Ergebnis der Machtgewinnung und -ausübung wechselnder Koalitionen
Zur Erhöhung der Machtpotentiale gehen die Organisationsmitglieder und die
Koalitionen Verbindungen bzw. soziale Tauschbeziehungen mit Fremdsystemen ein
Macht ist die bedeutendste Entscheidungsvariable
Im Mittelpunkt der Handlungsorientierung der Organisationsmitglieder steht die
Besetzung von innerorganisatorischen Schlüsselpositionen bzw. – rollen mit
Angehörigen der eigenen Koalition
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Mikropolitik
(Ideal)Typ des Mikropolitikers
Vornehmliches Interesse an Machtvermehrung und -absicherung
Instrumentalisierung von Menschen, Ideen, Arbeitsprozessen und Outputs für
eigene Ziele oder die Ziele seiner Koalition
Neigung, Ideologie und politische Inhalte lediglich als Mittel zum Zweck und
Orientierung eher an der Erfolgs- als an der Gesinnungsethik
Hohes Maß an „geliehener Autorität“, d.h. an Autorität, die ihm Fremdsysteme
zur Verfügung stellen
Kunstfertigkeit der erfolgreichen Mobilisierung und Aktivierung von
Ressourcen und Hilfskräften
„Konspirative Autorität“ aufgrund von Hintergrund- und Geheimwissen
darüber, wie die Entscheidung der Oberen in Zukunft aussehen werden und
wer aktiviert, gegen wen ausgespielt und mit wem zusammengebracht werden
muss, damit die Weichen in der gewünschten Richtung gestellt werden
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Mikropolitik
Bekannte Vertreter dieses Ansatzes
Michel Crozier (* 1922) ist ein französischer Soziologe mit dem
Forschungsschwerpunkt auf Organisationen an der Académie
des Sciences Morales et Politiques, Paris. Mitbegründer der
"strategischen Organisationsanalyse".
Erhard Friedberg (* 1942 in Wien) ist Professor für Soziologie am
Sciences Po Paris mit dem Forschungsschwerpunkt auf
Organisationen. Mitbegründer der "strategischen
Organisationsanalyse".
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Mikropolitik
Bekannte Vertreter dieses Ansatzes
Oswald Neuberger (* 1941) ist ein deutscher Psychologe.
Professor für Organisationspsychologie u.a. in München (emer.
Seit 2007)
Schwerpunkte: Führung und Mikropolitik.
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Mikropolitik – Das Spiel als Instrument organisierten
Handelns
Zentraler Untersuchungsgegenstand von Crozier und Friedberg:
Machtbeziehungen in Organisationen
„Gestützt auf die ‚natürlichen‘ Ungewissheiten der zu lösenden Probleme,
stellt sich jede Struktur kollektiven Handelns als Machtsystem dar. Sie ist
ein Machtphänomen, das als solches zugleich Auswirkung und Ausübung von
Macht beinhaltet. Als menschliches Konstrukt ordnet, regularisiert, ‚zähmt‘ und
schafft sie Macht, um den Menschen ihre Zusammenarbeit in kollektiven
Vorhaben zu ermöglichen. Jede ernst zu nehmende Analyse kollektiven
Handelns muss also Macht in das Zentrum ihrer Überlegungen stellen, denn
kollektives Handeln ist im Grunde nichts anderes als tagtägliche Politik.
Macht ist ihr 'Rohstoff‚.“ (Crozier/Friedberg: 14)
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Mikropolitik – Das Spiel als Instrument organisierten
Handelns
Macht
„Was auch immer ihr ‚Typus‘, das heißt, ihre Quellen, ihre Legitimation, ihre Ziele oder Methoden der Ausübung sein mögen, so beinhaltet Macht – auf allgemeinster Ebene – immer die bestimmten Individuen oder Gruppen verfügbare Möglichkeit, auf andere Individuen oder Gruppen einzuwirken. […] Auf andere Einwirken, heißt, in Beziehung zu ihnen treten; und erst in dieser Beziehung kann sich die Macht einer Person A über eine Person B entfalten. Macht ist also eine Beziehung und nicht ein Attribut der Akteure.“ (Crozier / Friedberg: 39)
„Macht ist also letztlich in dem Freiraum angesiedelt, über den jeder der in eine Machtbeziehung eingetretenen Gegenspieler verfügt, das heißt, in seiner mehr oder weniger großen Möglichkeit, das zu verweigern, was der andere von ihm verlangt. Und die Kraft, der Reichtum, das Prestige, die Autorität, kurz, alle Ressourcen, die beide besitzen, spielen dabei nur in dem Maße eine Rolle, wie sie ihnen in der jeweiligen Beziehung eine größere Handlungsfreiheit verleihen.“ (Crozier / Friedberg: 41)
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Mikropolitik – Das Spiel als Instrument organisierten
Handelns
Macht
Nach Max Weber
Macht ist die Chance in eine sozialen Beziehung seinen Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen. Gleichwohl worauf dies Chance beruht!
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Mikropolitik – Das Spiel als Instrument organisierten
Handelns
Macht
Macht ist eine instrumentelle Beziehung. Dies meint, dass eine
Machtbeziehung kein Selbstzweck ist, sondern nur unter Bezugnahme auf ein
Ziel, das die Akteure erreichen wollen, seine Sinnhaftigkeit bekommt.
Macht ist eine nicht-transitive Beziehung. Dies wiederum meint, dass Macht
nicht von einem Akteur auf den nächsten übertragbar ist.
Macht beruht auf Gegenseitigkeit und Unausgewogenheit. Verhandlungen
und Tausch sind immer etwas Gegenseitiges. Beide Parteien haben etwas in
die Beziehung einzubringen. Hätte die eine Partei der anderen nichts
anzubieten, wäre sie uninteressant und es würde zu keiner Beziehung
kommen.
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Mikropolitik – Das Spiel als Instrument organisierten
Handelns
Crozier und Friedberg machen vier große Machtquellen aus, die den für eine Organisation relevanten Ungewissheitsquellen entsprechen
Expertenwissen: der Besitz einer nur schwer ersetzbaren funktionalen Fähigkeit, also von Kenntnissen, die für die Organisation von entscheidender Bedeutung sind. Aus diesem „Monopol“ lassen sich Vorteile und Privilegien aushandeln
Umweltbeziehungen: Jede Organisation braucht als Input Material und Personen aus ihrer Umwelt und muss ihren Output wieder in dieser platzieren. Deshalb kommt der Kontrolle dieser Umweltbeziehungen durch Vermittler und Übersetzer der z. T. unterschiedlichen Handlungslogiken eine zentrale Machtposition in der Organisation zu
Kontrolle von Informations- und Kommunikationskanälen: schafft in einer Organisation ebenfalls Macht, da eine angemessene Aufgabenerledigung ohne die richtigen Informationen kaum zu gewährleisten ist. Die Weitergabe wichtiger Informationen ist vor allem ein zentrales Machtmittel von „Untergebenen“.
Benutzung organisatorischer Regeln: Sie kann als Antwort der Organisationsleitung auf das durch die drei anderen Machtquellen gestellte Problem angesehen werden. Im Prinzip sollen die Organisationsregeln die Ungewissheitsquellen ausschalten, aber das gelingt ihnen nie vollständig und damit schaffen sie neue Ungewissheitszonen.
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Mikropolitik – Das Spiel als Instrument organisierten
Handelns
Das Spiel und seine Regeln
"Das Spiel ist für uns mehr als ein Bild, es ist ein konkreter Mechanismus, mit dessen
Hilfe die Menschen ihre Machtbeziehungen strukturieren und regulieren und sich doch
dabei Freiheit lassen. Das Spiel ist das Instrument, das die Menschen entwickelt
haben, um ihre Zusammenarbeit zu regeln. Es ist das wesentliche Instrument
organisierten Handelns. Es vereint Freiheit und Zwang. Der Spieler bleibt frei, muss
aber, wenn er gewinnen will, eine rationale Strategie verfolgen, die der Beschaffenheit
des Spiels entspricht, und muss dessen Regeln beachten. Das heißt, dass er zur
Durchsetzung seiner Interessen die ihm auferlegten Zwänge zumindest zeitweise
akzeptieren muss. Handelt es sich, wie immer bei einer Organisation, um ein
Kooperationsspiel, so wird das Produkt des Spiels das von der Organisation gesuchte
gemeinsame Ergebnis sein" (Crozier/Friedberg: 68).
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Mikropolitik – Das Spiel als Instrument organisierten
Handelns
Organisation als Spiel
Eine Organisation ist als die „Gesamtheit aneinander gegliederter Spiele“
zu verstehen.
Das Spiel ist der „... Mechanismus, mit dessen Hilfe die Menschen ihre
Machtbeziehungen strukturieren und regulieren und sich doch dabei
Freiheiten lassen“ (Crozier /Friedberg: 68).
„Sie (Spiele, BBM) sind nichts anderes als die immer spezifischen Lösungen,
die relativ autonome Akteure mit ihren jeweiligen Ressourcen und Fähigkeiten
geschaffen, erfunden und eingesetzt haben, um die Probleme kollektiven
Handelns zu lösen, d.h. vor allem, um ihre zur Erreichung gemeinsamer Ziele
notwendige Zusammenarbeit trotz ihrer widersprüchlichen Interessenlagen
und Zielvorstellungen zu ermöglichen und sicherzustellen.“ (Crozier/Friedberg:
67)
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Mikropolitik – Spiele in Organisationen /
Organisationen als Spiele
Mehrfache Dialektik von Spielen – nach Oswald Neuberger
Emotionalität
Vergnügen, Spass – Spannung, Errgeung
Kognition
Deutung von Verhalten; Unvereinbare Widersprüche bewältigen
Aktion
Regeln befolgen, sie überschreiten, verändern
Sozialität
Interaktion, Wettkampf, Reziprozität
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Mikropolitik – Das Spiel als Instrument organisierten
Handelns
Organisierter Zwang vs. Individuelle Freiheit:
Organisationen definieren zwar den Handlungskontext und die Mittel der Akteure, sind
aber keine Unterdrückungsinstrumente
Crozier/Friedberg (27) betonen, „... dass das menschliche Verhalten auf keinen Fall
dem mechanischen Produkt des Gehorsams oder des Drucks struktureller
Gegebenheiten gleichzusetzen ist. Es ist immer Ausdruck und Verwirklichung einer
wenn auch noch so geringen Freiheit.“
Jeder einzelne Akteur hat die Freiheit, Politik zu betreiben, d.h. zu versuchen, seine
individuellen Ziele und Interessen zu verwirklichen und dies mit Hilfe einer persönlichen
(und rationalen) Strategie zu verfolgen
Ein Akteur „... entscheidet in einem Kontext begrenzter Rationalität in sequentieller
Weise und wählt für jedes zu lösende Problem die erste Lösung, die seiner Meinung
nach einer minimalen Befriedigungsschwelle entspricht“ (Crozier/Friedberg: 33)
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Mikropolitik – Das Spiel als Instrument organisierten
Handelns
Der organisationale Akteur spielt und erhält dadurch die
Organisation aufrecht. Er orientiert sich einerseits an
seinen eigenen Interessen, andererseits an den
Spielregeln(Strukturen). Ein andauernder
Spannungszustand zwischen Freiheit und Zwang.
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Mikropolitik – Das Spiel als Instrument organisierten
Handelns
Widersprüchlich Aspekte von Strukturen und Regeln
„Einerseits bilden sie Zwänge, die sich zu gegebener Zeit allen
Mitgliedern einer Organisation auferlegen, selbst den
Leistungskräften, die sie geschaffen haben; aber andererseits sind sie
selbst nur Produkt früherer Kräfteverhältnisse und
Feilschbeziehungen. In gewisser Weise sind sie provisorische und
immer kontingente Institutionalisierung der Lösung, die relativ freie
Akteure mit ihren Zwängen und Ressourcen, kurz, mit ihren
augenblicklichen Verhandlungsfähigkeiten, für das schwierige
Problem der Kooperation im Rahmen eines finalisierten Ganzen
gefunden haben.“ (65)
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Mikropolitik
Strategie
„Der Begriff der Strategie dient hier zum Aufdecken von Strukturen
und nicht zum Aufdecken von Motivation. Es ist nicht wichtig, ob die
Verhaltensregelmäßigkeiten bewusst sind oder nicht, sie geben als
Verhaltensregelmäßigkeiten Auskunft über Systemzwänge. Unter
Strategie werden die vom Analytiker ex-post gefolgerten Rationalitäten
aufgrund empirisch beobachteter Verhaltensregelmäßigkeiten
verstanden. Strategie ist damit ein Erklärungsbegriff für das
beobachtete Verhalten der Akteure im organisatorischen Kontext“ (vgl.
Bogumil/Schmid 2001: 55)
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Mikropolitik
Strategie
Der Akteur hat nur selten klare Ziele und Präferenzen
Der Akteur handelt aktiv, selbst Passivität ist Ergebnis einer Entscheidung
Das Verhalten des Akteurs ist sinnvoll, zumindest im Hinblick auf die
Handlungsgelegenheiten und den Handlungskontext
Das Akteurshandeln hat hinsichtlich seiner Zielsetzung einen dualen
Charakter:
Ausnutzen von Gelegenheiten zur Verbesserung einer konkreten Situation
(offensiv),
Aufrechterhaltung bzw. Ausdehnung des eigenen Freiraums im System
(Beibehaltung der Handlungsfähigkeit) (defensiv).
Alle Stimmungen und Reaktionen des Akteurs äußern sich als Strategie
und können in die Analyse einfließen
21 17.01.2014
Mikropolitik
Methodische Implikationen
Dies alles führt dazu, dass die strategische Analyse den Weg eines induktives
Verfahrens der Rekonstruktion von Strukturen, Beschaffenheit und Regeln der Spiele
gehen muss und man immer auf ein fallstudienmäßiges Vorgehen angewiesen ist.
Beobachtung, systematischer Vergleich und Interpretation der ablaufenden
Interaktionsprozesse fassen nach und nach den Forschungsgegenstand genauer.
Dabei bedient man sich vor allem weitgehend offener Interviews und versucht, dem
subjektiven „Erleben der Beteiligten“ eine zentrale Bedeutung zuzumessen.
Die Einstellungen der Akteure werden benutzt, um Aussagen darüber zu treffen, wie die
Akteure ihre Ressourcen verwenden, die Akteursstrategien zu bestimmen und von da
ausgehend die Spiele zu rekonstruieren, denen diese Strategien entsprechen.
Strategische Organisationsanalyse ist damit als eine Methode der Analyse und des
Verstehens sozialer Wirklichkeit zu begreifen.
Das Aufstellen von „Gesetzen“, allgemeinen Lehrsätzen oder die Ausarbeitung
einer allgemeinen Organisationstheorie ist nicht möglich