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Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit Grundlagen und Grundwissen – Ein Handbuch Schriſtenreihe der Unfallkasse Hessen, Band 5

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Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der ArbeitGrundlagen und Grundwissen – Ein Handbuch

Unfallkasse Hessen

ISBN 978-3-934729-05-6

Leonardo-da-Vinci-Allee 2060486 Frankfurt am MainServicetelefon: 069 29972-440(montags bis freitags von 7:30 bis 18:00 Uhr)Fax: 069 29972-588E-Mail: [email protected]: www.ukh.de

Stand: Dezember 2011

Schriftenreihe der Unfallkasse Hessen, Band 5Sich

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Schriftenreihe der Unfallkasse Hessen

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Schriftenreihe der Unfallkasse HessenBand 5

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Impressum Schriftenreihe der UK Hessen Band 5, Auflage 2

Herausgeber:© Unfallkasse HessenLeonardo-da-Vinci-Allee 20, 60486 Frankfurt am Main Postanschrift: Postfach 10 10 42, 60010 Frankfurt am MainServicetelefon: 069 29972-440, Telefax: 069 29972-207Internet: www.ukh.deE-Mail: [email protected]

Regionalbüro NordhessenWilhelmshöher Allee 268, 34131 KasselTelefon: 0561 72947-0, Telefax: 0561 72947-11

Autorinnen und Autoren:Hans Günter Abt, Wolfgang Baumann, Dr. Gerlinde Brunke, Stephanie Caspar, Heike Duffner, Claudia Gerardi, Oliver Heise, Rainer Knittel, Gernot Krämer, Marianne Kühn, Dr. Torsten Kunz, Matthias Lange, Thomas Rhiel, Wolfgang Rothe, Ingrid Thullner, Christina Walther (alle Unfallkasse Hessen)

Redaktionelle Bearbeitung:Hans Günter Abt, Wolfgang Baumann, Dr. Gerlinde Brunke, Ingrid Thullner, Pia Ungerer (alle Unfallkasse Hessen) Ina Geißinger, Butzbach

Grafische Gestaltung und Satz:Format · Absatz · Zeichen, 65527 Niedernhausen

Titelfoto:Winfried Eberhardt, Frankfurt am Main

Herstellung:Manfred Morlok, Harald Koch, Universum Verlag GmbH

Verlag und Druck:Universum Verlag GmbH, 65175 Wiesbaden

Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier

Verantwortlich für den Inhalt sind die Autoren

© für diesen Band: Unfallkasse Hessen2. vollständig überarbeitete Auflage Dezember 2011

ISBN 978-3-934729-05-6

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Vorwort zur 2. Auflage

Bernd Fuhrländer Dr. Torsten KunzGeschäftsführer Leiter Prävention

Der Schutz der Beschäftigten vor Unfallgefahren und Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz ist heute eine sehr komplizierte Aufgabe. Es gibt zum einen zahlreiche Gesetze, staatli-che Verordnungen und Erlasse, dazu die Unfallverhütungsvorschriften und andere Schrif-ten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung sowie eine unübersehbare Anzahl von DIN- oder EN-Normen mit sicherheitsrelevanten Inhalten. Zum anderen ist Arbeits- und Gesundheitsschutz ein sehr komplexes Thema mit vielen Einzelfragen aus den Gebieten der Technik, Pädagogik, Medizin, Physik, Biologie, Chemie und Psychologie. Eine Viel-zahl von Institutionen und Personen beschäftigt sich damit.

Um Sie als Verantwortliche oder Betroffene bei dieser schwierigen Aufgabe zu unterstüt-zen wurde das vorliegende Handbuch ,Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitʻ von der Unfallkasse Hessen, die u. a. für den öffentlichen Dienst sowie die Schulen und Kindertagesstätten in Hessen zuständig ist, als Beiheft für ihre Seminare entwickelt. Mit ihm sollen Führungskräfte, Sicherheitsbeauftragte, Personalvertretungen, Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Betriebsärzte und auch interessierte Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer in die umfangreiche Materie eingeführt werden. In den Beiträgen sind nicht nur die wichtigsten Fachgebiete, Funktionen und Regelungen leicht verständlich erläu-tert, es finden sich auch Bezugsquellen für weitere Publikationen zur Vertiefung der ein-zelnen Themen.

Gegenüber der ersten Auflage wurden alle Kapitel überarbeitet. Neu ist der Abschnitt über arbeitspsychologische Fragestellungen. Hier werden die häufigsten psychischen Belastungen und Beanspruchungen am Arbeitsplatz sowie praxisgerechte Lösungsvor-schläge vorgestellt.

Das Handbuch erhebt nicht den Anspruch, alle Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschut-zes erschöpfend zu behandeln. Aus Gründen der Verständlichkeit und Übersichtlichkeit sind insbesondere juristische oder technische Sachverhalte oft verkürzt dargestellt. Auf diesem Grundwissen können die Leserinnen und Leser jedoch aufbauen und somit ei-nen Einstieg auch in komplexere Fragestellungen erhalten. Weiterführende Informatio-nen finden sich zum Beispiel auf der Internetseite der Unfallkasse Hessen (www.ukh.de).

Wir hoffen, dass das Handbuch Ihnen bei der Planung und Anwendung der notwendigen Maßnahmen zum Schutz vor den Gefahren der Arbeitswelt gute Dienste leistet. In die-sem Sinne wünschen wir allen Leserinnen und Lesern viel Erfolg bei der praktischen Um-setzung der erläuterten Themen.

Ihre Unfallkasse Hessen

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inhalt

Vorwort zur 2. Auflage 5

i die Unfallkasse Hessen 9

ii die gesetzliche Unfallversicherung 12

iii die Organisation des Arbeitsschutzes 16 3.1 Innerbetrieblicher Arbeitsschutz 16 3.2 Überbetrieblicher Arbeitsschutz 24

iV Grundlagen der Prävention 29 4.1 Unfall, Unfallverhütung und Unfalluntersuchung 29 4.2 Arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren 40 4.3 Gefährdungsbeurteilung 44 4.4 Erste Hilfe im Betrieb 53 4.5 Brandschutz 57 4.6 Arbeitsmedizinische Vorsorge 59 4.7 Vergabe von Aufträgen an Fremdfirmen 64 4.8 Arbeitszeitgesetz 68 4.9 Schutz für besondere Personengruppen 70 4.10 Prävention von Wegeunfällen in der betrieblichen Praxis 77

V Arbeitsstätten und betriebssicherheit 80 5.1 Allgemeine Anforderungen an Arbeitsstätten 81 5.2 Ergonomische Gestaltung von Büro- und Bildschirmarbeitsplätzen 83 5.3 Betriebssicherheit von Arbeitsmitteln und

überwachungsbedürftigen Anlagen 88

Vi Gefährdungen und Schutzmaßnahmen 93 6.1 Biologische Arbeitsstoffe 94 6.2 Gefahrstoffe 98 6.3 Brand- und Explosionsgefahren 113 6.4 Hautschutz 121 6.5 Physikalische Einwirkungen 126 6.6 Elektrische Gefährdung 142 6.7 Umgang mit schweren Lasten 146 6.8 Stolpern, Rutschen und Stürzen 149 6.9 Psychische Belastung und Beanspruchung 151 6.10 Suchtmittel im Betrieb 162

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I n h a l t

Vii Personenbezogene Maßnahmen 167 7.1 Persönliche Schutzausrüstung 168 7.2 Unterweisung 172 7.3 Veränderung des Verhaltens hin zur Sicherheit 174

Abkürzungen 179Angebote der UKH 182

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Die Unfallkasse Hessen (UKH) hat den gesetzlichen Auftrag, in den öffentlichen Berei-chen des Landes Hessen

� mit allen geeigneten Mitteln Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten sowie arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu verhüten

� nach Eintritt von Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten die Gesundheit und Leis-tungsfähigkeit der Versicherten mit allen geeigneten Mitteln wiederherzustellen und die Versicherten oder ihre Hinterbliebenen durch Geldleistung zu entschädigen.

Bei der Erfüllung dieses Dienstleistungsauftrages steht der Mensch im Mittelpunkt. Da-her gilt: „Prävention vor rehabilitation, rehabilitation vor rente“.

Als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung übernimmt die UKH Verantwortung für einen unverzichtbaren Teil des Sozialversicherungssystems. Wie alle Zweige der deut-schen Sozialversicherung ist auch die UKH eine Pflichtversicherung; sie ist die „Berufs-genossenschaft“ für den öffentlichen Dienst in Hessen. Die Arbeitnehmer der hessischen Stadt-, Gemeinde- oder Kreisverwaltungen sind bei der UKH gegen Arbeitsunfall oder Be-rufskrankheit versichert. Die UKH bietet darüber hinaus gesetzlichen Unfallschutz für die Beschäftigten der Behörden, Ämter und Landesbetriebe des Landes Hessen. Auch selbst-ständige Unternehmen, an denen die öffentliche Hand beteiligt ist, zum Beispiel die Fra-port AG, der Landeswohlfahrtsverband Hessen, Sparkassen, Zweckverbände und rund 36.000 Privathaushalte, sind Mitglied bei der UKH. Das Verzeichnis der zugehörigen Un-ternehmen umfasst somit ein breites Spektrum.

Die Beschäftigten der Mitgliedsunternehmen – mit Ausnahme der Beamten – sind eine bedeutende Gruppe der versicherten Personen. Daneben gibt es einen Kreis von versi-cherten Personen, die aus sozialpolitischen Gründen unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestellt wurden, z. B. ehrenamtlich Tätige und private Pflegeperso-nen. Aber auch Helfer, die bei Unglücksfällen ehrenamtlich im Einsatz sind, wie die Mit-glieder der Freiwilligen Feuerwehren, der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG), des Arbeiter-Samariter-Bundes, des Malteser Hilfsdienstes oder der Johanniter-Unfall-Hilfe zählen dazu.

Eine weitere bedeutende Gruppe von Versicherten wird unter dem Begriff „gesetzliche Schüler-Unfallversicherung“ zusammengefasst. Dazu gehören:

� Kinder, die von geeigneten, das heißt vom Jugendamt anerkannten, Tagespflegeper-sonen betreut werden

� Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen � Schüler während des Besuchs von allgemeinbildenden oder berufsbildenden Schu-

len und bei der Teilnahme an Betreuungsmaßnahmen vor und nach dem Unterricht

die Unfallkasse Hessendr. Gerlinde brunkeI

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K a p i t e l I · D i e U n f a l l k a s s e H e s s e n

� Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen � Teilnehmer an Untersuchungen und Prüfungen, die für die Aufnahme in Kindertages-

einrichtungen, Schulen oder Hochschulen erforderlich sind.

Beschäftigte des hessischen öffentlichen Dienstes 246.000

Beschäftigte in Privathaushalten 58.000

ehrenamtlich Tätige 157.000

Beschäftigte in Hilfeleistungsunternehmen 113.000

private Pflegepersonen 232.000

Kinder in Tageseinrichtungen oder Tagespflege 260.000

Schüler in allgemeinbildenden Schulen 672.000

Schüler in berufsbildenden Schulen 195.000

Studierende 186.000

Versicherte gesamt über 2 Millionen

tabelle 1: die Versicherten der UKH nach tätigkeiten (Stand Januar 2011)

SelbstverwaltungDie UKH ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit einer Selbstverwaltung. Sozi-ale Selbstverwaltung bedeutet: Die unmittelbar Betroffenen treffen als Sozialpartner die grundlegenden und wichtigen Entscheidungen selbst. Die soziale Selbstverwaltung ist ein Privileg, da die Sozialpartner – und nicht etwa staatliche Institutionen – ganz auto-nom die Zukunft der UKH gestalten. So entscheiden die Mitglieder der Selbstverwaltung beispielsweise über die Rechtsvorschriften der UKH, ihre Finanzmittel, die Anzahl der Beschäftigten und deren Bezahlung. Dieses Selbstverwaltungsrecht sichert der UKH die Unabhängigkeit gegenüber staatlichen Institutionen bei der Ausführung ihres gesetzli-chen Auftrages und stärkt gleichzeitig die Eigenverantwortung der Sozialpartner. Die Auf-sichtsbehörde ist das hessische Sozialministerium.

Für die UKH handeln ihre Selbstverwaltungsorgane: die Vertreterversammlung und der Vorstand. Die Organe sind je zur Hälfte mit Vertretern der Versicherten und der Arbeitge-ber besetzt. Die Mitglieder der Vertreterversammlung werden im Rahmen der Sozialwah-len alle sechs Jahre demokratisch gewählt. Der Vorsitz wechselt jährlich im Oktober je-weils zwischen dem Vertreter der Arbeitgeber und dem Vertreter der Versicherten.

Die Vertreterversammlung wählt den Vorstand, beschließt für Versicherte und Unterneh-mer verbindliche Rechtsnormen (z. B. Satzung, Unfallverhütungsvorschriften), außerdem für jedes Geschäftsjahr den Haushalts- und Stellenplan. Sie setzt die Beiträge fest und entscheidet über die Entlastung des Vorstandes sowie des Geschäftsführers hinsicht-lich der Jahresrechnung. Sie besteht aus je zwölf Vertretern der Versicherten und Vertre-tern der Arbeitgeber.

Der Vorstand verwaltet und vertritt die UKH. Darüber hinaus bereitet er Entscheidungen der Vertreterversammlung vor, spricht Empfehlungen an diese aus und erlässt Richtlinien für die Führung der Verwaltungsgeschäfte. Der Vorstand besteht aus je fünf Vertretern der

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Versicherten und der Arbeitgeber. Als eigenständiges Organ gehört der Geschäftsführer dem Vorstand an.

StandorteDie UKH hat ihren Hauptsitz in Frankfurt am Main; in Kassel hat das Regionalbüro Nord-hessen der Hauptabteilung Prävention seinen Sitz.

In Kapitel 2 sind die Aufgaben der Unfallkasse Hessen als einem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung genauer dargestellt.

LiteraturSatzung der Unfallkasse Hessen, Stand Januar 2011, veröffentlicht in inform Ausgabe 4/2010.

Weiterführende LiteraturUnfallkasse Hessen: www.ukh.de

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die gesetzliche Unfallversicherungdr. Gerlinde brunkeII

Die gesetzliche Unfallversicherung ist neben der gesetzlichen Kranken-, Arbeitslosen-, Pflege- und der Rentenversicherung ein wichtiger und wesentlicher Teil der deutschen Sozialversicherung. Sie hat die Funktion, Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Falle von Ar-beitsunfällen oder Berufskrankheiten abzusichern.

Schon seit 1885 gibt es die gesetzliche Unfallversicherung als eigenen Zweig der Sozi-alversicherung. Seit 1997 wird sie im Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) geregelt. Insgesamt gliedert sich die gesetzliche Unfallversicherung in drei Zuständigkeitsberei-che: die gewerblichen und die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften sowie die Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand, also die Unfallkassen. Die Unfallver-sicherungsträger der öffentlichen Hand und die gewerblichen Berufsgenossenschaften sind seit dem Jahr 2007 in einem gemeinsamen Dachverband, der Deutschen Gesetzli-chen Unfallversicherung (DGUV), organisiert.

Wie die anderen Zweige der Sozialversicherung ist auch die gesetzliche Unfallversiche-rung eine Pflichtversicherung. In der gesetzlichen Unfallversicherung sind alle Beschäf-tigten, die eine versicherte Tätigkeit ausüben, kraft Gesetzes gegen die Folgen arbeitsbe-dingter Gesundheitsschäden versichert. Die gesetzliche Unfallversicherung unterstützt die Betriebe dabei, Gesundheitsgefahren bei der Arbeit zu reduzieren sowie Unfälle und Berufskrankheiten zu verhüten. Außerdem nimmt sie in Teilen die Aufsicht über den be-trieblichen Arbeitsschutz wahr. Im Schadensfall hilft sie den Betroffenen bei der Wieder-herstellung ihrer Gesundheit, damit diese wieder am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft teilhaben können, oder sie gewährt ihnen Geldleistungen.

Ablösung der UnternehmerhaftpflichtDas Prinzip der „Ablösung der Unternehmerhaftpflicht“ prägt bis zum heutigen Tag die Struktur der gesetzlichen Unfallversicherung, unterscheidet sie von allen anderen Zwei-gen der Sozialversicherung und begründet die Finanzierung der Ausgaben allein durch die Unternehmer. Seit der Einführung der gesetzlichen Unfallversicherung richten sich die Ansprüche verletzter Arbeitnehmer nach einem Arbeitsunfall oder bei einer Berufs-krankheit ausschließlich gegen die Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse und nicht mehr gegen den Arbeitgeber oder gegen Kollegen. Damit ist die soziale Absicherung der Arbeitnehmer nach einem Arbeitsunfall oder bei einer Berufskrankheit auf eine solide, allgemein verbindliche Basis gestellt.

Auch für den Unternehmer hat die Ablösung der Haftpflicht Vorteile: Sie befreit ihn von wirtschaftlichem Risiko und drohendem Ruin durch Schadenersatzklagen betroffener Arbeitnehmer, die im Einzelfall einen existenzbedrohenden Umfang annehmen können. Damit leistet die gesetzliche Unfallversicherung einen entscheidenden Beitrag zum Er-halt des sozialen Friedens. Die Ablösung der Unternehmerhaftpflicht durch die öffentlich-

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rechtlich organisierte Unfallversicherung hat vor allem für die deutschen Betriebe mit we-niger als 20 Mitarbeitern existenzielle Bedeutung; das sind immerhin 93 % aller Betriebe.

FinanzierungZur Finanzierung der Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung werden unterschied-lich hohe Umlagen oder Beiträge von den Mitgliedern, in der Hauptsache von den Mit-gliedsbetrieben, erhoben, wobei einzelne Versichertengruppen auch beitragsfrei ge-stellt sind. Dabei ist jeder Arbeitgeber kraft Gesetzes Mitglied des für ihn nach der Art des Unternehmens zuständigen Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Kosten der Schüler-Unfallversicherung werden vom Sachkostenträger der Schule übernommen.

AufgabenDie Aufgabe der gesetzlichen Unfallversicherung ist es, „mit allen geeigneten Mitteln für die Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesund-heitsgefahren und für eine wirksame Erste Hilfe zu sorgen“ sowie – bei eingetretenen Versicherungsfällen – deren Entschädigung zu regeln (§ 1 SGB VII). Der Versicherungs-schutz der gesetzlichen Unfallversicherung bezieht sich in der Regel nur auf Körperschä-den, nicht aber auf Sachschäden; eine Entschädigung durch Schmerzensgeld, wie im Zi-vilrecht, ist nicht vorgesehen.

PräventionZur Prävention von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesund-heitsgefahren überwachen die Unfallversicherungsträger die Umsetzung ihrer Unfallver-hütungsvorschriften und anderer Arbeitsschutzregelungen. Die Mitarbeiter, insbesondere die Aufsichtspersonen (siehe Kapitel 3.2), schulen und beraten ihre Mitgliedsunterneh-men über technische und organisatorische Verbesserungsmöglichkeiten, sie beschäfti-gen sich mit pädagogischen und psychologischen Fragen der Prävention sowie mit der Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren. Auch für eine wirksame Erste Hilfe in den Betrieben sorgen die Unfallversicherungsträger, indem sie die Ausbildung einer be-stimmten Anzahl von Beschäftigten zum Ersthelfer finanzieren (§§ 24 ff. der Unfallverhü-tungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“).

Unfallverhütungsvorschriften und andere Informationsmaterialien sind bei der DGUV un-ter www.dguv.der erhältlich.

entschädigungWer zum Kreis der versicherten Personen gehört, das heisst nach Gesetz oder Satzung unfallversicherungsrechtlich geschützt ist, kann Leistungen aus der gesetzlichen Unfall-versicherung erhalten. Anders als in der privaten Unfallversicherung ist aber eine Person in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht „rund um die Uhr“ gegen Unfälle versichert, sondern immer nur in Zusammenhang mit einer bestimmten Tätigkeit. So sind Beschäf-tigte bei ihren Tätigkeiten, die ihre eigentliche Arbeit darstellen und „dem Unterneh-mensziel dienen“, gesetzlich unfallversichert, unabhängig vom Zeitpunkt und Ort dieser Tätigkeiten. Ein weiteres Beispiel: Personen, die bei einem Verkehrsunfall Hilfe leisten und dabei verletzt werden, sind gesetzlich unfallversichert. Wenn ihre Hilfeleistung be-endet ist, erlischt auch der Unfallversicherungsschutz. Eine Tätigkeit, die versichert ist, macht eine Person zu einer versicherten Person.

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Versicherungsfälle in der gesetzlichen Unfallversicherung sind

� Arbeitsunfälle (Unfälle, die in ursächlichem Zusammenhang mit der versicherten Tä-tigkeit stehen)

� Wegeunfälle (Unfälle auf Wegen zum oder vom Ort der versicherten Tätigkeit) � Berufserkrankungen (siehe Kapitel 4.2) � Mittelbare Folgen der vorgenannten Versicherungsfälle oder entsprechende Schäden

an einer Liebesfrucht.

Unter bestimmten Voraussetzungen können auch betrieblich bedingte Tätigkeiten wie Betriebssport, Gemeinschaftsveranstaltungen und Betriebsausflüge, körperliche Reini-gung nach schmutziger Berufsarbeit und anderes unter Versicherungsschutz stehen. Nicht versichert sind eigenwirtschaftliche Tätigkeiten wie Essen und Trinken, Schlafen an der Betriebsstätte, das Benutzen einer Toilette, sowie alle rein dem Privaten zuzuordnenden Tätigkeiten, die am Arbeitsplatz ausgeführt werden (z. B. Reparatur eines privaten Gerä-tes an einer Betriebs einrichtung während der Arbeitszeit).

Auch die direkten Wege von und zu dem Ort der versicherten Tätigkeit stehen unter Versi-cherungsschutz. Ein Abweichen vom direkten Weg kann versichert sein, wenn Mitglieder von Fahrgemeinschaften abgeholt werden oder ein Umweg verkehrsgünstiger ist. Auch „abweichende“ Wege zur Unterbringung eines mit dem Versicherten in häuslicher Ge-meinschaft lebenden Kindes, das wegen der beruflichen Tätigkeit des Versicherten oder seines Ehegatten fremder Obhut anvertraut werden muss, sind versichert. Abwege (in der Regel das Entfernen vom eigentlichen Ziel des Weges, beispielsweise aufgrund von Einkäufen) und erhebliche Umwege unterbrechen jedoch den Versicherungsschutz. Eine Unterbrechung des versicherten Weges um mehr als zwei Stunden aus privaten oder ei-genwirtschaftlichen Gründen führt im Allgemeinen zur Lösung vom Versicherungsschutz, so dass dieser auch für den Rest des Weges nicht wieder auflebt.

Berufskrankheiten sind Krankheiten, die als Folge einer versicherten Tätigkeit des Ver-sicherten entstehen und die die Bundesregierung durch eine Rechtsverordnung mit Zu-stimmung des Bundesrates in der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) definiert. Sie müs-sen nach dem Stand der Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sein, denen diese Versicherten in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausge-setzt sind (siehe Kapitel 4.2 Arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren).

Da die Frage, ob Versicherungsschutz bei der UKH besteht, manchmal nur unter Berück-sichtigung des Einzelfalles beantwortet werden kann und sich auch die Rechtsprechung in diesem Bereich ständig weiter entwickelt und Änderungen unterworfen ist, empfiehlt es sich, in Zweifelsfällen Rücksprache mit der UKH (069 29972-440) zu nehmen.

rehabilitationNach einem Gesundheitsschaden ist es das primäre Ziel, die Gesundheit und Leistungs-fähigkeit der Versicherten wiederherzustellen. Dafür leitet der Unfallversicherungsträger medizinische, berufliche und soziale Rehabilitationsmaßnahmen ein und gewährt auch ergänzende Leistungen. Gegebenenfalls ist bei unfallbedingter Pflegebedürftigkeit die

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Pflege sicherzustellen. Schwerverletzte werden in eigenen Spezialkliniken (BG-Unfallkli-niken) optimal betreut.

Bei bleibenden Schäden, durch die eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um min-destens 20 % und diese über einen Zeitraum von mindestens 26 Wochen resultiert, wird eine Rente gewährt. Deren Höhe richtet sich nach dem Grad der MdE und dem Erwerbs-einkommen im Jahr vor dem Arbeitsunfall. Bei Tod durch Arbeitsunfall sind Hinterblie-benenleistungen (Sterbegeld, Witwen- und Witwerrenten, Waisenrenten) zu gewähren.

regressDer Träger der gesetzlichen Unfallversicherung hat gegenüber dem Mitgliedsunterneh-men und dessen Beschäftigten die Möglichkeit, seine Aufwendungen zurückzufordern, wenn der Unfall von diesen vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht wurde. Die Recht-sprechung hat die Anforderungen bezüglich des Vorliegens von „grober Fahrlässigkeit“ erweitert (Verletzung der verkehrserforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße). Demnach wird eine objektiv besonders krasse und auch subjektiv schlechthin unent-schuldbare Pflichtverletzung verlangt. Das Verschulden muss Eintritt und Umfang des Schadens umfassen. Dazu kann zum Beispiel die Missachtung von Unfallverhütungsvor-schriften oder von Anordnungen einer Aufsichtsperson gehören, zumindest dann, wenn diese wider besseres Wissen erfolgt.

LiteraturMerkblatt über die gesetzliche Unfallversicherung (GUV-I 506)Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII)Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ (GUV-V A1)

Weiterführende LinksSpitzenverband Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: www.dguv.de

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die Organisation des ArbeitsschutzesHans Günter AbtIII

Sicherheit und Gesundheitsschutz der abhängig Beschäftigten wurden mit der Schaf-fung der gesetzlichen Unfallversicherung zu öffentlichen Zielen erhoben. Aus der soli-darischen Absicherung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten leitete sich deshalb konsequent das Interesse an Prävention in den Betrieben ab. Zum staatlichen Bestreben für den Schutz der Beschäftigten kamen damit die Aktivitäten der selbstverwalteten Un-fallversicherung hinzu, um die Risiken für den Eintritt von Versicherungsfällen zu redu-zieren. Dadurch sind zwei gleichgerichtete Systeme entstanden, die das Ziel der Präven-tion von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten verfolgen.

In diesem Kapitel wird die Organisation des sogenannten dualen Systems beschrieben und es werden die innerbetrieblichen Strukturen vorgestellt. Dazu gehört zum einen die Klärung, wo im Betrieb Verantwortung angesiedelt ist. Zum anderen werden die Aufga-ben beschrieben, die verschiedene Akteure im Arbeitsschutz übernehmen. In den meis-ten Fällen handelt es sich um rechtlich vorgeschriebene Aufgaben, die, trotz aller staat-lichen Deregulierung, die Prävention in den Betrieben selbst verankern.

3.1 Innerbetrieblicher Arbeitsschutz

Sicherheit und Gesundheitsschutz sind nur als Gemeinschaftserfolg zu erreichen. Ein er-heblicher Teil des Erfolgs bei Unfallverhütung und Gesundheitsschutz wird durch innerbe-triebliche Aktivitäten erzielt. Eine gute Arbeitsschutzorganisation im Betrieb ist wichtig, damit Risiken rechtzeitig erkannt und beseitigt oder aber effektive Schutzmaßnahmen ergriffen werden können. Die Aufgaben müssen definiert und die Zuständigkeiten und Befugnisse innerhalb der betrieblichen Organisation geregelt sein. Dann ist auch das Zu-sammenspiel von Linienorganisation und speziellen Beauftragten erfolgreich.

UnternehmerDie Vorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit richten sich an den Unternehmer oder Arbeitgeber (§ 3ff. ArbSchG, § 21 (1) SGB VII). Dieser trägt die Gesamt-verantwortung dafür, dass die Beschäftigten sicher und gesundheitsverträglich arbeiten. Im öffentlichen Dienst trifft diese Verantwortung in persona die Leiter von Landesdienst-stellen und Landesbetrieben, die Bürgermeister der Kommunen und die Betriebsleiter oder Geschäftsführer eigenständiger Betriebe in öffentlicher Hand. In kommunalen Ei-genbetrieben tragen in der Regel die Betriebsleiter die Unternehmerverantwortung. Nä-heres regelt die Eigenbetriebssatzung.

Dem Unternehmer obliegt die Aufgabe, den Arbeitsschutz in seinem Betrieb zu organisie-ren. Er stellt zunächst die anliegenden Aufgaben für Sicherheit und Gesundheitsschutz in seinem Betrieb fest. Schwerpunkte für ihn sind dabei die Prävention von Unfällen und arbeitsbedingten Erkrankungen sowie die Gewährleistung von Erster Hilfe und Anwei-

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sungen für Notfälle. In der Aufbauorganisation entscheidet er dann, in welchen Positio-nen, Organisationseinheiten oder von welchen Personen bestimmte Arbeitsschutzaufga-ben zu erledigen sind. Des Weiteren gibt der Unternehmer vor, in welchen betrieblichen Prozessen Sicherheit und Gesundheitsschutz zu beachten und wie die Vorschriften um-zusetzen sind. In seiner übergeordneten Verantwortung übt er die Aufsicht aus, indem er sich ein Bild von der Umsetzung (Arbeitsschutzaktivitäten) und den Ergebnissen (Ent-wicklung der Risiken, der Unfälle und Erkrankungen) macht.

Teile seiner Aufgaben und der Verantwortung kann der Unternehmer delegieren (§ 13 Arb-SchG). Dazu nutzt er sein Direktionsrecht. Bei der Übertragung von Unternehmerpflichten muss er darauf achten, dass er geeignete Personen beauftragt, diesen die erforderlichen Befugnisse erteilt und ausreichend Mittel (z. B. Zeit, Finanzen) zur Verfügung stellt. Die formalen Anforderungen an die individuelle Pflichtenübertragung regelt § 13 DGUV Vor-schrift 1. Werden externe Fachleute mit Aufgaben betraut, was zum Beispiel bei Geräteprü-fungen häufig vorkommt, so muss der Unternehmer deren Qualifikation ebenfalls prüfen.

Zu ihrer persönlichen Entlastung bestellen manche Unternehmer einen Arbeitsschutzko­ordinator. Dies ist keine im Gesetz verankerte Funktion. Vielmehr beauftragt der Unter-nehmer eine Person, ihm bei der Umsetzung von Sicherheit und Gesundheitsschutz zu-zuarbeiten. Meist handelt es sich bei Arbeitsschutzkoordinatoren um Führungskräfte mit Querschnittaufgaben. Ihre Aufgabe ist es, Informationen zum Arbeitsschutz zu sammeln, aufzubereiten und sie aus Unternehmersicht zu bewerten. Sie weisen auf Defizite in der Umsetzung hin und unterbreiten dem Unternehmer Vorschläge zum weiteren Vorgehen. Dabei stimmen sie sich mit den Arbeitsschutzexperten, der Fachkraft für Arbeitssicher-heit und dem Betriebsarzt ab, die ihre engsten Berater sind. Die Gesamtverantwortung verbleibt beim Unternehmer.

FührungskräfteMit ihrer Position übernehmen Führungskräfte auch eine Fürsorgepflicht, leider manchmal ohne Kenntnis der damit verbundenen Verantwortung. Zwar werden sie in den Arbeits-schutzvorschriften nur am Rande erwähnt, zum Beispiel in § 2 (2) Zf. 2 und § 13 ArbSchG, doch im Falle einer Verletzung oder eines Gesundheitsschadens können sie zur Verant-wortung gezogen werden. Jede Führungskraft hat aufgrund ihrer „Garantenstellung“ ge-genüber den Beschäftigten eine Mitverantwortung für Sicherheit und Gesundheitsschutz. Deshalb kann ihr, auch ohne formelle Pflichtenübertragung, bei einem Regelverstoß oder Unfallschaden Mitschuld zugeschrieben werden, sofern sie Schutzmaßnahmen unter-lassen hat. Der Verantwortungsbereich einer Führungskraft wird durch die ihr zugewie-senen Befugnisse und ihre Budgetverantwortung eingegrenzt. Höhere Führungsebenen übernehmen mehr Verantwortung für die organisatorischen Voraussetzungen sicherer und gesundheitsverträglicher Arbeit als niedrigere. Die direkte Führungskraft hingegen hat bei ihren Anordnungen an Beschäftigte zumindest zu beurteilen, ob Schutzmaßnah-men erforderlich und ausreichend sind sowie bei Bedarf Hinweise zur sicheren Ausfüh-rung der Tätigkeit zu geben (siehe Unterweisung). Sicherheitswidrige Anweisungen darf eine Führungskraft nicht geben.

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beschäftigteDem Kreis der versicherten Personen, den Arbeitnehmern und anderen Beschäftigten, weist die DGUV Vorschrift 1 ebenfalls einige Pflichten zu. So wird von ihnen erwartet, dass sie die Weisungen des Unternehmers und der Führungskräfte für Sicherheit und Gesund-heitsschutz befolgen und entsprechende Maßnahmen unterstützen, sofern diese nicht sicherheitswidrig sind. Mit Arbeitsmitteln und –stoffen sollen sie sachgerecht umgehen, persönliche Schutzausrüstung verantwortungsbewusst benutzen, Mängel und Gefahren melden sowie Regelungen zu ihrem Schutz beachten. In ihre Eigenverantwortung fällt es auch, sich nicht durch berauschende Mittel (Alkohol, Drogen) oder durch Medikamente bei ihrer Tätigkeit selbst zu gefährden.

ArbeitnehmervertretungPersonal- und Betriebsräte (PR/BR) wirken in vielfältiger Weise bei der Ausgestaltung und Überwachung des Arbeitsschutzes mit. Dies gilt auch für die Jugend- und Auszubil-dendenvertretung in Verbindung mit dem PR/BR. Rechtsgrundlagen dafür finden sich im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVerfG), für den öffentlichen Dienst im Hessischen Per-sonalvertretungsgesetz (HPVG), sowie in mehreren Arbeitsschutzvorschriften. Die Zusam-menarbeit findet zum Beispiel statt:

� bei Beratungen über Sicherheit und Gesundheitsschutz im Arbeitsschutzausschuss (siehe unten)

� bei der Planung neuer Arbeitsräume und deren Einrichtung � durch Mitbestimmung bei ganz konkreten Arbeitsschutzmaßnahmen.

Die Personalvertretung kann sich ein Bild über die Wirksamkeit von Sicherheit und Ge-sundheitsschutz machen, weil ihr die Unfallanzeigen und die Verdachtsfälle von Berufs-krankheiten zugeleitet werden müssen. Bei Störfällen oder Unfällen mit Gefahrstoffen und biologischen Arbeitsstoffen besteht eine Informationspflicht für den Arbeitgeber gegenüber den Beschäftigten und ihrer Vertretung (GefStoffV und BioStoffV). Über die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung im Falle einer Schwangerschaft ist der PR/BR ebenfalls zu unterrichten (§ 2 MuSchArbV). Die vorstehende Aufzählung der Informati-onspflichten ist nicht vollständig.

Arbeitsschutzangelegenheiten können Gegenstand von Betriebs- bzw. Dienstvereinbarun-gen mit dem Arbeitgeber sein, soweit über die Vorschriften hinaus Festlegungen für den Betrieb getroffen werden sollen. Außerdem kooperiert der PR/BR mit dem Betriebsarzt und der Fachkraft für Arbeitssicherheit und holt sich bei diesen fachlichen Rat (§ 9 ASiG).

Vom Gesetzgeber wird die Zusammenarbeit zwischen Unfallversicherungsträgern und Per-sonalvertretungen verlangt. So sollen die Aufsichtspersonen Betriebs- oder Personalräte über eigene betriebsbezogene Aktivitäten informieren und die jeweilige Vertretung zu Be-sichtigungen, Unfalluntersuchungen und Besprechungen hinzuziehen (§ 20 (3) SGB VII).

einsatz der ArbeitsschutzexpertenSicherheit und Gesundheitsschutz sind ohne die Fachkompetenz von Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit nicht zu realisieren. Deshalb schreibt das Arbeitssicher-heitsgesetz (ASiG) deren Bestellung verbindlich vor und regelt auch die fachlichen An-

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forderungen. Der zeitliche Umfang der Beauftragung wird durch die DGUV Vorschrift 2 geregelt. Diese sieht einerseits Mindesteinsatzzeiten vor, andererseits betriebsspezi-fische Einsatzzeiten, die das Unternehmen entsprechend seinem Bedarf selbst fest-setzt. Die Betreuung kann durch angestelltes Personal erfolgen. Aber auch Selbststän-dige oder überbetriebliche Dienste betreuen viele Unternehmen, vor allem kleine und mittlere (§ 24 SGB VII). Betriebe bis 50 Beschäftigte können statt der Regelbetreuung al-ternativ das Unternehmermodell praktizieren. In Schulungen erfahren die Unternehmer, wann der Betriebsarzt oder die Fachkraft für Arbeitssicherheit tätig werden müssen. Die Unternehmer steuern deren Einsatz.

Die besondere Rolle der beiden Experten wird auch darin sichtbar, dass ihnen – durch Urteil bestätigt – eine Stabsfunktion zugewiesen wird. Dies gilt auch für abhängig be-schäftigte Personen mit weiteren Aufgaben, soweit sie als Betriebsärzte oder Fachkräfte für Arbeitssicherheit tätig werden.1

Wirklich präventiv wirken die Arbeitsschutzexperten nur, wenn ihnen die Möglichkeit ge-geben wird, ihre Kenntnisse in Planungs- und Entscheidungsprozesse einzubringen. He-rausragende Beispiele hierfür sind die Bauplanung für Arbeitsstätten, die Konzeption neuer Arbeitsverfahren, Beschaffungsentscheidungen für Anlagen, Gerätschaften, Einrich-tungen und Stoffe. Beide wirken auch an den Gefährdungsbeurteilungen im Betrieb mit.

betriebe <= 10 beschäftigte betriebe <= 50 beschäftigte betriebe >50 beschäftigte

Grundbetreuungfür Gefährdungsbeurteilung+ anlassbezogene betreuung+ spezielle arbeits­

medizinische Vorsorge­untersuchungen

alternative betreuung (Unternehmermodell)mit Unternehmerschulung+ bedarfsorientierte

betreuungbei Gefährdungsbeurteilung oder bei anderen Anlässen

+ spezielle arbeits­medizinische Vorsorge­untersuchungen

oder regelbetreuungsiehe Betriebe >50 Beschäf-tigte

regelbetreuung = Grundbetreuung 0,5/1,5/2,5 h Einsatzzeit pro Beschäftigtem und Jahr für Fachkraft für Arbeitssicher-heit + Betriebsarzt zusammen (mind. 20 % bzw. 0,2 h für jede Seite)+ betriebsspezifische

betreuung bei speziellem Handlungs-bedarf+ spezielle arbeits­medizinische Vorsorge­untersuchungen

tabelle 1: betreuungsmodelle nach dGUV Vorschrift 2

Begehungen dienen dazu, dass sich die Arbeitsschutzexperten ein Bild von der Umset-zung des Arbeitsschutzes machen, Defizite aufdecken und konkrete Anregungen geben können. Deshalb empfiehlt sich die Teilnahme der Führungskraft, eines Mitglieds der Per-sonalvertretung und der Sicherheitsbeauftragten aus dem Verantwortungsbereich an der Begehung. Die systematische Abarbeitung der dabei aufgedeckten Mängel durch die zu-ständige Führungskraft ist Teil der kontinuierlichen Verbesserung bei Sicherheit und Ge-sundheitsschutz.

1 Urteil des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) vom 15.12.09 – 9 AZR 769/08

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K a p i t e l I I I · D i e O r g a n i s a t i o n d e s A r b e i t s s c h u t z e s

betriebsarztDer Betriebsarzt bringt die arbeitsmedizinische Fachkompetenz ein. Oft wird hierunter lediglich die Durchführung arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen verstanden. Doch der Betriebsarzt hat vorrangig die Aufgabe, den Arbeitgeber und andere Verant-wortliche bei der Durchführung des Arbeitsschutzes zu beraten. Die Beratung umfasst die Beurteilung von Gefährdungen ebenso wie die Organisation der Ersten Hilfe (§ 3 ASiG). Wichtige Themen arbeitsmedizinischer Beratung sind insbesondere:

� Raumklima und Gesundheit � Feuchtarbeit und Hautschutz � Gefahrstoffe und ihre Wirkungen � biologische Arbeitsstoffe und Hygiene � physische Beanspruchung, vor allem des Muskel- und Skelettapparates � psychische Beanspruchung � Integration gesundheitlich eingeschränkter oder gefährdeter Personen.

Die Durchführung arbeitsmedizinischer Untersuchungen ist ein Schwerpunkt der betriebs-ärztlichen Tätigkeit. In der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) ist festgelegt, bei welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber Untersuchungen durchführen oder anbieten muss (siehe Kapitel 4.6).

Der Betriebsarzt ist Berater des Unternehmers und des betroffenen Beschäftigten, wenn Letzterer wegen gesundheitlicher Einschränkungen eine Tätigkeit nicht mehr sicher und gesundheitsverträglich ausführen kann. Darüber hinaus informiert und berät er Beschäf-tigte, die mit Gefahr- oder biologischen Stoffen arbeiten oder Feuchtarbeit verrichten. Um seine Aufgaben wirklich erfüllen zu können, muss auch der Betriebsarzt die Arbeitsplätze des betreuten Betriebes bei Begehungen kennenlernen.

Fachkraft für ArbeitssicherheitDie sicherheitstechnische Kompetenz bringt die Fachkraft für Arbeitssicherheit in die Be-ratung des Unternehmers ein. Ihr Aufgabengebiet richtet sich stärker auf die Unfallgefah-ren (§ 6 ASiG). Sie berät den Unternehmer schwerpunktmäßig bei der Umsetzung der Be-triebssicherheitsverordnung, hinsichtlich der Auswahl und Gestaltung von Arbeitsmitteln sowie zum Bedarf an sicherheitstechnischen Prüfungen.

Wichtige Themen sicherheitstechnischer Beratung sind insbesondere:

� Verkehrssicherheit in Arbeitsstätten, Fluchtwege und Kennzeichnung � ergonomische Gestaltung und Einrichtung von Arbeitsräumen � Anforderungen an die Sicherheit von Geräten und Anlagen � Brand- und Explosionsschutz � elektrische Sicherheit � technische Schutzmaßnahmen beim Einsatz von Gefahr- und biologischen Stoffen � persönliche Schutzausrüstung gegen Verletzungen.

In vielen Betrieben nimmt die Fachkraft für Arbeitssicherheit auch Unterweisungen für die Beschäftigten vor, doch ist hier die Anwesenheit der betrieblichen Vorgesetzten er-forderlich, um den Unterweisungen Nachdruck zu verleihen. Sie berät oder schult die Si-cherheitsbeauftragten zu konkreten Gefahren und Schutzmaßnahmen.

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SicherheitsbeauftragteOft werden Sicherheitsbeauftragte mit der Fachkraft für Arbeitssicherheit verwechselt. Anforderungen und Aufgaben sind jedoch nicht vergleichbar: Sicherheitsbeauftragte tra-gen in ihrer Funktion weder Fach- noch Führungsverantwortung für die Umsetzung von Si-cherheit und Gesundheitsschutz. Vielmehr sollen sie in Kenntnis der betrieblichen Ge-fährdungen den Unternehmer bei der Umsetzung von Schutzmaßnahmen beraten sowie ein Auge auf Sicherheitseinrichtungen, persönliche Schutzausrüstung und auf die Ar-beitsweise der Kollegen haben (GUV-I 8503). Sie haben ein Recht auf Information, Wei-terbildung und angemessene Freistellung für diese Aufgabe. Insbesondere werden sie an Unfalluntersuchungen, Begehungen der Fachkraft für Arbeitssicherheit und des Betriebs-arztes sowie an den Sitzungen des Arbeitsschutzausschusses beteiligt.

Für einen Betrieb mit regelmäßig mehr als 20 Beschäftigten hat der Unternehmer Sicher-heitsbeauftragte zu bestellen, die ihn selbst, die Führungskräfte und Kollegen beim Ar-beitsschutz unterstützen (§ 22 SGB VII). Die Zahl der Sicherheitsbeauftragten, die ein Unternehmer bestellen muss, legt die DGUV Vorschrift 1 fest (§ 20 und Anlage 2). In tech-nischen Betrieben werden mehr Sicherheitsbeauftragte verlangt als in Verwaltungen. Auch in jeder Kindertageseinrichtung und Schule sollen Sicherheitsbeauftragte bestellt sein.

Weitere beauftragte im betriebIn den Betrieben sind weitere Beauftragte anzutreffen, deren Bestellung teils auf eine klare Rechtsvorschrift zurückgeht, teils aus Gründen der zweckmäßigen Organisation von Schutzmaßnahmen erfolgt. Die Rechtsgrundlagen reichen dabei vielfach über den Arbeitsschutz hinaus:

� Beim Betrieb von Lasereinrichtungen der Klassen 3B oder 4 verlangt die Arbeits-schutzverordnung zu künstlicher optischer Strahlung (OStrV) die Bestellung eines Laserschutzbeauftragten.

� Der Umgang mit ionisierenden Strahlen erfordert Strahlenschutzbeauftragte, so-fern der Unternehmer nicht selbst einen ausreichenden Strahlenschutz garantieren kann. Dies schreiben die Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) und die Röntgenver-ordnung (RöV) vor.

� Betriebe, die gefährliche Güter auf öffentlichen Verkehrswegen befördern, haben nach der Gefahrgutbeauftragtenverordnung (GbV) Gefahrgutbeauftragte zu bestellen, die sich um den sicheren Transport von Gefahrgütern kümmern.

� Brandschutzbeauftragte werden in Betrieben mit besonderen Brand- oder Explosions-gefahren oder mit einem hohen Schadenspotenzial gefordert. Ihre Bestellung erfolgt für Aufgaben nach dem Arbeitsschutz-, Bau- und Zivilrecht und ist häufig im Brand-versicherungsvertrag geregelt.

� Optional ist die Bestellung von Hygienebeauftragten für Aufgaben nach dem Infekti-onsschutzgesetz (IfSG) bei besonderen Infektionsrisiken.

Darüber hinaus kann der Unternehmer im Rahmen seiner Organisationshoheit auch für andere Aufgaben Beauftragte bestellen, die in keiner Rechtsvorschrift gefordert werden. Mit Prüfungen von Arbeitsmitteln und Betriebsanlagen nach der Betriebssicherheitsver-ordnung (BetrSichV) können ebenfalls Beschäftigte beauftragt werden. Diese werden in Anspielung auf ihre fachlichen Voraussetzungen als „befähigte Personen“ bezeichnet (siehe Kapitel 5.3).

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ArbeitsschutzausschussDas offizielle innerbetriebliche Beratungsgremium für Arbeitsschutzfragen ist der Arbeits-schutzausschuss (ASA), der einzurichten ist, sofern der Betrieb mehr als 20 Beschäftigte hat (§ 11 ASiG). Das Arbeitssicherheitsgesetz benennt den Teilnehmerkreis:

� Unternehmer und/oder sein Vertreter � zwei Betriebs- oder Personalräte � Fachkraft für Arbeitssicherheit � Betriebsarzt � Sicherheitsbeauftragte in angemessener Zahl.

Selbstverständlich kann dieser Kreis bei Bedarf erweitert werden, vor allem um Verant-wortliche, bei denen bestimmte Fragen aufgetaucht sind, die behandelt werden sollen, sowie um Beauftragte oder Spezialisten für bestimmte Aufgaben. Der Arbeitsschutzaus-schuss trifft sich einmal pro Quartal und erörtert Strategien, Neuerungen, Ereignisse im Arbeitsschutz oder auch Einzelfragen aus den Betriebsbereichen. Ein gut funktionieren-der ASA berät nicht nur Details, sondern auch die Arbeitsschutzziele des Unternehmens, wertet die Erfahrungen aus und entwickelt Vorschläge zur Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz.

ArbeitsschutzmanagementsystemDie aufgeführten Bausteine einer guten Arbeitsschutzorganisation können zu einem Ar-beitsschutzmanagementsystem ausgebaut werden. Dazu sind klare Grundsätze und Ziele erforderlich. Die betrieblichen Abläufe werden auf ihre Relevanz für Sicherheit und Ge-sundheitsschutz hin überprüft und bei Bedarf angepasst. Die Ergebnisse des Manage-mentsystems werden gemessen und mit den selbst gesetzten Zielen abgeglichen. So wird eine ständige Verbesserung des Arbeitsschutzniveaus angestrebt. Ziele, Maßnahmen und Ergebnisse werden dokumentiert, und das ganze System wird regelmäßig auditiert. Für alle diese Aktivitäten sind selbstverständlich die Verantwortlichkeiten festzulegen.

Auf Bundesebene gibt der Leitfaden für Arbeitsschutzmanagementsysteme („Nationa-ler Leitfaden“) Hilfestellung bei der Weiterentwicklung der Arbeitsschutzorganisation. Er wurde gemeinsam von Unfallversicherungsträgern, staatlichen Arbeitsschutzbehörden und Sozialpartnern verfasst. In Hessen unterstützt das Fachzentrum für systemischen Ar-beitsschutz und Arbeitsgestaltung beim Regierungspräsidium Gießen den Aufbau von Ar-beitsschutzmanagementsystemen auf der Basis des Nationalen Leitfadens und der Er-fahrungen im sogenannten ASCA-Projekt.

LiteraturArbeitsschutzgesetz (ArbSchG)Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG)Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)Hessisches Personalvertretungsgesetz (HPVG)Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII)Allgemeine Verwaltungsvorschrift über das Zusammenwirken der technischen Aufsichtsbeamten

der Träger der Unfallversicherung mit den Betriebsvertretungen (AVV Zusammenwirken) 1977ASCA-Leitfaden Arbeitsschutzmanagement des Hessischen Ministeriums für Arbeit, Familie und

Gesundheit

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Leitfaden für Arbeitsschutzmanagementsysteme des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit (BMWA), der obersten Arbeitsschutzbehörden der Länder, der Träger der gesetzlichen Unfall-versicherung und der Sozialpartner („Nationaler Leitfaden“)

Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ (GUV-V A1), Erläuterungen hierzu in der Regel „Grundsätze der Prävention“ (GUV-R A1)

Informationen „Sicherheitsbeauftragte“ (GUV-I 8503)Unfallverhütungsvorschrift „Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit“ (DGUV-V2)

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K a p i t e l I I I · D i e O r g a n i s a t i o n d e s A r b e i t s s c h u t z e s

3.2 Überbetrieblicher Arbeitsschutzdr. Gerlinde brunke

Der überbetriebliche Arbeitsschutz ist durch das so genannte duale System gekenn-zeichnet, das die staatlichen Arbeitsschutzbehörden und die Präventionsabteilungen der Unfallversicherungsträger unterscheidet. Grundlage des Handelns stellen Richtli-nien der Europäischen Union sowie Gesetze des Bundes und der Länder dar (siehe Ab-bildung 1). Im Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) werden die Unfallversicherungs-träger ermächtigt, Unfallverhütungsvorschriften (UVV) zu erlassen. Als Beispiel sei die UVV „Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit“ (DGUV Vorschrift 2) genannt, die 2011 in Kraft trat.

Ergänzt werden die Regelungen durch eine Reihe von Regelwerken, die Mindestanforde-rungen an Maschinen, Bauten und Arbeitsstoffe definieren. Diese Regeln von Verbänden wie VDI und VDE sowie die Industrienormen (EN, DIN) gelten als allgemein anerkannte Regeln der Technik.

europäische Union

eG­VertragArt. 94, 95, 137, 138

eWG­richtlinien98/37/EG 89/391/EWG

GesetzeGSG ArbSchG

Verordnungen1.–12- GSGV, ArbStättV, DruckBehV, ElexV AMBV, PSA-BV, BildscharbV

Verwaltungs­vorschriften

Unfallverhütungs­vorschriften

BGV A2, VBG 5 BGV A1

durchführungs­anweisungen

Staat SelbstverwaltungUnfallkassen

„Allgemein anerkannte regeln“, z. b. normen, technische regeln

Gesicherte sicherheitstechnische und arbeitsmedizinische (arbeitswissenschaftliche) erkenntnisse

Harmonisi

erung

der Gese

tze

Abbildung 1: Gliederung des Arbeitsschutzsystems

SGb Vii

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Hessische ArbeitsschutzbehördenIn Hessen sind die staatlichen Arbeitsschutzbehörden als Dezernate für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik bei den Regierungspräsidien angesiedelt. Sie überwachen die Einhaltung der europäischen und nationalen Vorschriften für die Sicherheit und den Ge-sundheitsschutz am Arbeitsplatz sowie die Einhaltung des sozialen Arbeitsschutzes und den sicheren Betrieb von Geräten und Anlagen. Außerdem fördern die Dezernate für Ar-beitsschutz und Sicherheitstechnik die Prävention von gesundheitlichen Belastungen in der Arbeitswelt und unterstützen den Aufbau betrieblicher Arbeitsschutzmanagement-systeme, die betriebliche Gesundheitsförderung sowie die Weiterentwicklung von Ar-beitsschutzstandards.

Das zentrale Gesetz zur Regelung des Arbeitsschutzes ist das Arbeitsschutzgesetz, dem zahlreiche Verordnungen zur Regelung spezieller Gefahren nachgeordnet sind, z. B.:

� Arbeitsstättenverordnung � Betriebssicherheitsverordnung � Biostoffverordnung � Bildschirmarbeitsverordnung � Gefahrstoffverordnung � Lärm- und Vibrationsschutzverordnung.

Weitere relevante Gesetze zum Arbeitsschutz sind das Arbeitssicherheitsgesetz, das die Beratung der Unternehmen durch Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit re-gelt, und das Arbeitszeitgesetz. Besondere Vorschriften gibt es zum Arbeitsschutz von Jugendlichen sowie von werdenden und stillenden Müttern (siehe auch Kapitel 4.9 Be-sondere Personengruppen).

Die hessischen Arbeitschutzbehörden stimmen sich mit Vertretern der anderen Bundes-länder im Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) ab.

Im Oktober 2005 haben die Hessische Landesregierung und die UKH eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit bei der Prävention und der Überwachung von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit abgeschlossen. Diese Kooperation sieht zum einen eine enge Zusammenarbeit und einen gegenseitigen Informationsaustausch zwischen den staatlichen Arbeitsschutzbehörden und der Präventionsabteilung der UKH vor. Zum anderen wurde bei der Überwachung des betrieblichen Arbeitsschutzes eine Arbeitstei-lung zwischen den staatlichen Arbeitsschutzbehörden und der UKH vereinbart. Dem-zufolge überwachen die Aufsichtspersonen der UKH im Rahmen der Unfallverhütungs-vorschrift „Grundsätze der Prävention“ (GUV-V A1, § 2) auch die Einhaltung staatlicher Arbeitsschutzvorschriften in der Mehrzahl ihrer Mitgliedsbetriebe.

Diese Regelung gilt für nahezu alle Einrichtungen der Städte, Gemeinden und Landkreise, für kommunale Gesellschaften und Verbände sowie für die meisten Dienststellen des Landes Hessen. Ausgenommen sind Flughäfen, Kliniken, Hochschulen und Theater, die Dienststellen von Polizei, Berufsfeuerwehr und Strafvollzug sowie die Arbeitsplätze beam-teter Lehrkräfte, da dort entweder besondere Vorschriften gelten, deren Überwachung den

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staatlichen Stellen vorbehalten ist, oder aber, weil die UKH dort nur wenige Versicherte hat. Hier sind die staatlichen Arbeitsschutzbehörden und die Aufsichtspersonen der UKH abgestimmt tätig. Bei der Untersuchung tödlicher Unfälle oder von Massenunfällen werden in allen Mitgliedsbetrieben der UKH auch weiterhin die staatlichen Stellen aktiv.

Die inhaltliche Schwerpunktsetzung der Zusammenarbeit erfolgt durch die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA). Die GDA ist die von Bund, Ländern und Unfallversi-cherungsträgern gemeinsam getragene und bundesweit geltende Arbeitsschutzstrategie. Sie hat zum Ziel, Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten durch einen abgestimmten und systematisch wahrgenommenen Arbeitsschutz – ergänzt durch Maßnahmen der be-trieblichen Gesundheitsförderung – zu erhalten, zu verbessern und zu fördern. Die gesetz-liche Grundlage dafür findet sich in den §§ 20a und 20b des Arbeitsschutzgesetzes. Bund, Länder und Unfallversicherungsträger handeln im Bereich der Prävention künftig in noch engerer Abstimmung und auf der Grundlage gemeinsam festgelegter Arbeitsschutzziele.

Hauptabteilung Prävention der Unfallkasse HessenIn der Hauptabteilung Prävention der UKH mit ihren vielfältigen Aufgaben arbeiten Fach-leute aus unterschiedlichen Bereichen interdisziplinär zusammen. Neben Ingenieuren finden sich auch Fachkräfte aus den Bereichen Chemie, Physik, Pädagogik, Medizin und Arbeitspsychologie. Sie erhalten nach ihrem Studium (und einer vorgeschriebenen Be-rufspraxis) eine zweijährige Zusatzausbildung zur Aufsichtsperson durch den Unfallver-sicherungsträger.

Die Präventionsfachleute sind Ansprechpartner aller betrieblichen Akteure im Ar-beitschutz. Sie sollen durch Überwachung sicherstellen, dass die Unternehmer ihren vielfältigen Verpflichtungen im Arbeitsschutz nachkommen. Des weiteren beraten und schulen sie Verantwortliche, Personalvertretungen, Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Be-triebsärzte und Sicherheitsbeauftragte, um die Entstehung von Unfällen und Berufskrank-heiten zu verhindern sowie arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren entgegenzuwirken. Darüber hinaus führen die Präventionsmitarbeiter wissenschaftliche Untersuchungen und Projekte durch und arbeiten im Rahmen von Fachgruppen an der Weiterentwicklung von Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallverhütungsvorschriften, Re-geln, Informationen) mit.

Die Aufsichtspersonen sind gesetzlich dazu ermächtigt, Anordnungen zu treffen (z. B. eine Fristsetzung zur Mängelbeseitigung). Sie können bei akut bestehender Unfallgefahr (Ge-fahr im Verzug) sofort vollziehbare Anordnungen treffen, zum Beispiel auch Maschinen stilllegen oder Gebäude schließen (§§ 17, 19 SGB VII).

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Auszug aus dem SGb Vii: § 17 Überwachung und beratung

(1) Die Unfallversicherungsträger haben die Durchführung der Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten, arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren und für eine wirk-same Erste Hilfe in den Unternehmen zu überwachen sowie die Unternehmer und die Versi-cherten zu beraten.

(2) Soweit in einem Unternehmen Versicherte tätig sind, für die ein anderer Unfallversiche-rungsträger zuständig ist, kann auch dieser die Durchführung der Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten, arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren und für eine wirksame Erste Hilfe überwachen. Beide Unfallversicherungsträger sollen, wenn nicht sachli-che Gründe entgegenstehen, die Überwachung und Beratung abstimmen und sich mit deren Wahrnehmung auf einen Unfallversicherungsträger verständigen.

(3) Erwachsen dem Unfallversicherungsträger durch Pflichtversäumnis eines Unternehmers bare Auslagen für die Überwachung seines Unternehmens, so kann der Vorstand dem Unter-nehmer diese Kosten auferlegen.

Auszug aus dem SGb Vii: § 19 befugnisse der Aufsichtspersonen

(1) Die Aufsichtspersonen können im Einzelfall anordnen, welche Maßnahmen Unternehme-rinnen und Unternehmer oder Versicherte zu treffen haben 1. zur Erfüllung ihrer Pflichten auf-grund der Unfallverhütungsvorschriften (…), 2. zur Abwendung besonderer Unfall- und Ge-sundheitsgefahren.Die Aufsichtspersonen sind berechtigt, bei Gefahr im Verzug sofort vollziehbare Anordnun-gen zur Abwendung von arbeitsbedingten Gefahren für Leben und Gesundheit zu treffen. (…)

(2) Zur Überwachung der Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten, arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren und für eine wirksame Erste Hilfe sind die Aufsichts-personen insbesondere befugt,1. zu den Betriebs- und Geschäftszeiten Grundstücke und Betriebsstätten zu betreten, zu be-sichtigen und zu prüfen,2. von dem Unternehmer die zur Durchführung ihrer Überwachungsaufgabe erforderlichen Auskünfte zu verlangen,3. geschäftliche und betriebliche Unterlagen des Unternehmers einzusehen, soweit es die Durchführung ihrer Überwachungsaufgabe erfordert,4. Arbeitsmittel und persönliche Schutzausrüstungen sowie ihre bestimmungsgemäße Ver-wendung zu prüfen,5. Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufe zu untersuchen und insbesondere das Vorhandensein und die Konzentration gefährlicher Stoffe und Zubereitungen zu ermitteln oder, soweit die Auf-sichtspersonen und der Unternehmer die erforderlichen Feststellungen nicht treffen können, auf Kosten des Unternehmers ermitteln zu lassen,6. gegen Empfangsbescheinigung Proben nach ihrer Wahl zu fordern oder zu entnehmen; so-weit der Unternehmer nicht ausdrücklich darauf verzichtet, ist ein Teil derProben amtlich verschlossen oder versiegelt zurückzulassen,7. zu untersuchen, ob und auf welche betriebliche Ursachen ein Unfall, eine Erkrankung oder ein Schadensfall zurückzuführen ist,(…).

(3) Der Unternehmer hat die Aufsichtsperson zu unterstützen, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. (…).

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K a p i t e l I I I · D i e O r g a n i s a t i o n d e s A r b e i t s s c h u t z e s

Die Zuständigkeit der Aufsichtspersonen gliedert sich sowohl regional als auch fachlich:

� Im Rahmen der regionalen Zuständigkeit sind sie Ansprechpartner für alle Führungs-kräfte, Personalvertretungen und für sonstige Funktionsträger in einem Landkreis oder einer Stadt. Weiterhin beraten und besichtigen sie dort alle Verwaltungen, Beschäfti-gungsgesellschaften und andere bei der UKH versicherte Einrichtungen.

� Im Rahmen der fachlichen Zuständigkeit werden Gruppen von Betrieben (z. B. Kläran-lagen, Forstämter) aber auch Fachgebiete (z. B. Asbest) betreut.

Die Hauptabteilung Prävention der UKH hat neben den Aufsichtspersonen, deren Auf-gaben den Betrieben zugeordnet sind, die Abteilung „Organisationsberatung und Zent-rale Präventionsaufgaben“. Wie sich bereits aus dem Namen dieser Abteilung erkennen lässt, ist ihre wichtigste Aufgabe die Beratung von Mitgliedsbetrieben für eine gute und nachhaltige Arbeitsschutzorganisation.

LiteraturSiebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII)Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ (GUV-V A1)Unfallversicherungsvorschrift „Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit“ (DGUV Vor-

schrift 2)Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)

Weiterführende LinksHessisches Sozialministerium: www.sozialministerium.hessen.deHessisches Sozialministerium, Sozialnetz Hessen: www.sozialnetz.deEuropäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz: lasi.osha.deBundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: www.baua.de/gdaGemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie: www.gda-portal.de

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Grundlagen der PräventionWolfgang rotheIV

Dieses Kapitel befasst sich mit den Grundlagen der Prävention. Vorab wird erläutert, wie Unfälle und arbeitsbedingte Erkrankungen entstehen, welche Gefährdungsfaktoren da-bei wirksam werden und welche Arten von Schutzmaßnahmen ergriffen werden können. Ausführlich werden arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren beschrieben, die zu arbeits-bedingten Erkrankungen oder Berufserkrankungen führen können. Detailliert werden die auf unterschiedliche Gefährdungen abgestimmten Schutzmaßnahmen vorgestellt und eingehend aufgezeigt, wie eine Gefährdungsbeurteilung systematisch durchgeführt wird. Zudem wird die Organisation der Ersten Hilfe und der arbeitsmedizinischen Vorsorge be-schrieben. Auf die besonderen Probleme beim Einsatz von Fremdfirmen wird in diesem Kapitel ebenso hingewiesen wie auf die ergonomische Gestaltung der Arbeitszeit. Die Frage, welche Anforderungen bei der Beschäftigung besonderer Personengruppen rele-vant sind und die Prävention von Wegeunfällen runden dieses Kapitel ab.

4.1 Unfall, Unfallverhütung und Unfalluntersuchung

Wie ein Unfall oder eine arbeitsbedingte erkrankung entstehtDieser Abschnitt befasst sich mit der Entstehung von Unfällen und arbeitsbedingten Er-krankungen und legt den Grundstock für das Verständnis einiger folgender Kapitel. Ver-schiedene Gefahrenquellen sowie die davon ausgehenden Gefährdungsfaktoren werden vorgestellt. Mögliche Unfallursachen und deren Wechselwirkung werden erläutert und die entsprechenden Maßnahmen zum Ausschalten der Ursachen abgeleitet.

GefahrenquellenDamit ein Unfall oder eine Erkrankung entstehen kann, muss eine Gefahrenquelle vor-handen sein. Gefahrenquellen sind Arbeitsmittel (z. B. eine Kreissäge), Arbeitsstoffe (z. B. ein giftiger Gefahrstoff), die Arbeitsorganisation (z. B. Schichtarbeit), Tiere (z. B. Zootiere und Tierpatienten in Veterinärkliniken) oder Menschen (z. B. aggressive Patien-ten, Bankräuber).

GefährdungsfaktorenVon Gefahrenquellen gehen Gefährdungsfaktoren aus. In Tabelle 1 sind Gefährdungsfak-toren und mögliche Folgen ihrer Einwirkung auf den Menschen aufgelistet.

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K a p i t e l I V · G r u n d l a g e n d e r P r ä v e n t i o n

Gefährdungsfaktoren und deren mögliche Folgen

1. Mechanische Gefährdungsfaktoren

Gefährdungsfaktor Mögliche Folge

ungeschützte bewegte Maschinenteile Durch Maschinenteile � gequetscht � geschert � gestoßen � geschnitten � gestochen � eingezogen

werden.

bewegte Arbeitsmittel,Transportmittel, Fahrzeuge

Von Fahrzeugen � angefahren � überfahren � gequetscht

werden.Als Fahrer mit dem Fahrzeug � aufprallen � umkippen � abstürzen.

unkontrolliert bewegte Teile (Herabfallende, wegfliegende, herum-schlagende, kippende, pendelnde, rollende, rutschende Teile)

Von Teilen � gequetscht werden � getroffen werden.

Teile mit gefährlichen Oberflächen (Ecken, scharfe Kanten, Spitzen, raue Oberflächen)

Sich � Schnittwunden � Stichwunden � Abschürfungen

zuziehen.

Sturz, Absturz � Knochenbrüche � Muskelzerrungen � Bänderzerrungen und -risse � Schürf- und Platzwunden

erleiden.

2. Physikalische Faktoren

2.1 elektrizität

Gefährdungsfaktor Mögliche Folge

unter Spannung stehende Teile � Körperdurchströmung

Kurzschluss, Lichtbogen � sich verbrennen � Verblitzen der Augen

elektrostatische Aufladung � Explosionsgefahr beim Vorhandensein einer explosionsfähigen Atmosphäre

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K a p i t e l I V · G r u n d l a g e n d e r P r ä v e n t i o n

2.2 thermische Faktoren

Gefährdungsfaktor Mögliche Folge

Kontakt mit heißen Gegenständen/Medien Sich an heißen � Oberflächen � Stoffen � Flüssigkeiten

verbrennen, verbrühen.

Kontakte mit kalten Gegenständen/Medien Sich durch kalte � Oberflächen � Stoffe � Flüssigkeiten

Erfrierungen zuziehen.

2.3 Lärm

Gefährdungsfaktor Mögliche Folge

Langzeitbelastung über 85dB (A) � Lärmschwerhörigkeit

ab ca. 95dB (A) Hörschäden wie � Tinnitus � Knalltrauma

2.4 Vibrationen

Gefährdungsfaktor Mögliche Folge

Ganzkörper-Schwingungen (z. B. Bedienung von Rüttelplatten, Fahren von Traktoren im Gelände)

� Bandscheibenschäden

Hand-, Arm-Schwingungen (z. B. Bedienen einer Motorsäge)

� Weißfingerkrankheit durch Schädigung der Nerven in der Hand

2.5 Strahlung, elektromagnetische Felder

Gefährdungsfaktor Mögliche Folge

ionisierende Strahlung (Röntgenstrahlung, Gammastrahlung, Teilchenstrahlung)

� Verbrennungen der Haut � Strahlenkrankheit � Beeinträchtigung der Fortpflanzungs-

fähigkeit � Krebserkrankungen

künstliche ultraviolette Strahlung(z. B. beim Schweißen)

� Verbrennungen � Verblitzungen der Augen

Infrarot-Strahlung � Verbrennungen � Augenerkrankungen

Laserstrahlung � Verbrennungen der Haut � Augenschädigungen durch Verbrennung der

Netzhaut � Platzen des Glaskörpers im Auge

Elektromagnetische Felder � Thermische Wirkung auf biologische Materie

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3. Gefahrstoffe

Gefährdungsfaktor Mögliche Folge

� gesundheitsschädlich, giftig und sehr giftig � Vergiftungen

� ätzend und reizend � Verätzungen, Reizungen

� sensibilisierend � Allergien der Haut und der Atemwege

� Krebs erzeugend � Krebserkrankungen

� fortpflanzungsgefährdend � Beeinflussung der Fortpflanzungsfähigkeit

� Erbgut verändernd � Schädigung der Leibesfrucht

� entzündlich (z. B. Kraftstoffe) � Brandgefährdung in Verbindung mit Oxidationsmitteln und Zündquellen

� erstickend (z. B. Kohlendioxid) � Erstickungsgefahr z. B. in Gärkellern

� explosiv (z. B. Acetylen-Luft-Gemische, Methan als Grubengas)

� Explosionsgefährdung in Verbindung mit Zündquellen

4. biologische Faktoren

Gefährdungsfaktor Mögliche Folge

� Mikroorganismen (Bakterien, Pilze, Viren) � gentechnisch veränderte Mikroorganismen � humanpathogene Endoparasiten

(z. B. Eingeweidewürmer) � Prionen (Verursacher von BSE und

Creutzfeldt-Jakob-Krankheit)

� Infektionen � Allergien � Vergiftungen

5. Physische Faktoren

Gefährdungsfaktor Mögliche Folge

� schwere dynamische Arbeit (z. B. Heben von schweren Lasten)

� einseitige dynamische Arbeit (z. B. Schreiben auf einer Tastatur )

� statische Arbeit (z. B. Haltearbeit)

� Muskel-Skelett-Erkrankungen � Bandscheiben bedingte Wirbelsäulen-

erkrankungen � Sehnenscheidenentzündung � Muskelverspannungen

� Arbeitsaufgabe (Daueraufmerksamkeit, Arbeitsmenge, Schwierigkeitsgrad, besondere Anforderungen z. B. an Helfer in Notfallsituation)

� Stress � Burn-out-Syndrom � Posttraumatische Belastungsstörung

� Arbeitsorganisation (Dauer der Tätigkeit, Ruhepausen, Schichtarbeit, Zeitdruck)

� Stress � Burn-out-Syndrom � Schlafstörungen

6. Psychische Faktoren

Gefährdungsfaktor Mögliche Folge

� traumatische Erlebnisse (Überfälle, Notfallsituationen)

� Posttraumatische Belastungsstörung

� angespannte soziale Beziehungen (Mobbing, Konflikte mit Kunden)

� Stress

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K a p i t e l I V · G r u n d l a g e n d e r P r ä v e n t i o n

7. Aggressive Personen und tiere

Gefährdungsfaktor Mögliche Folge

Tiere Von Tieren � gebissen � gestochen � getreten � gequetscht � mit Krankheiten infiziert

werden.

aggressive Personen (Bankräuber, aggressive Patienten)

� Schuss-, Stich- und Schlagverletzungen � Übertragung von Infektionskrankheiten � psychische Einwirkungen

8. Klima

Gefährdungsfaktor Mögliche Folge

zu kalte/zu warme Lufttemperaturen � Störung der Wärmebilanz des menschlichen Körpers

� Erfrierungen � Hitzschlag

zu geringe/zu hohe Luftfeuchtigkeit � Störung der Wärmebilanz des menschlichen Körpers

zu hohe Luftgeschwindigkeit (Zugluft) � Störung der Wärmebilanz des menschlichen Körpers

9. Licht

Gefährdungsfaktor Mögliche Folge

� Beleuchtungsstärke � Blendung

� Beeinträchtigung des Sehvermögens � Verstärken anderer Gefährdungen

10. Sonstige Gefährdungsfaktoren

Gefährdungsfaktor Mögliche Folge

Arbeiten in feuchtem Milieu � Hauterkrankungen

tabelle 1: Gefährdungsfaktoren und ihrer möglichen Folgen

Eine Gefahrenquelle, z. B. eine Kreissäge, kann mehrere Gefährdungsfaktoren aufweisen:

� mechanische Gefährdungen: Man kann sich am Sägeblatt schneiden und von wegge-schleuderten Holzteilen getroffen werden.

� physikalische Gefährdungen: Nach längerfristiger Lärmexposition kann man eine Lärmschwerhörigkeit erleiden.

� chemische Gefährdungen: Durch Exposition mit Holzstäuben kann man an Krebs er-kranken oder eine Allergie entwickeln.

GefährdungDamit eine Gefährdung entsteht, muss der Mensch mit dem Gefährdungsfaktor räum-lich und zeitlich zusammentreffen können. Auf unser Beispiel bezogen bedeutet dies, dass der Mensch dem Lärm der Kreissäge und den Holzstäuben in der Luft tatsächlich

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K a p i t e l I V · G r u n d l a g e n d e r P r ä v e n t i o n

ausgesetzt sein muss und dass er ein Stück Holz mit der Hand am Sägeblatt vorbeiführt (siehe Abbildung 1).

MenschGefahrenquelle

(Kabel mit defekter Isolierung)

Möglichkeit des zusammentreffens

Gefährdung(physikalische Gefährdung durch

elektrischen Strom)

Wirksamwerden der Gefährdung (Kontakt zu unter Strom

stehender Stelle)

Verletzung/erkrankung(Verletzung durch Stromschlag)

begünstigende Bedingungen

(Nässe)

Abb. 1: Wie ein Unfall oder eine berufskrankheit entsteht

Eine Gefährdung ist also immer vorhanden, wenn man Holz mit einer Kreissäge bearbei-tet. Es kommt aber erst dann zu einem Unfall oder einer Erkrankung, wenn die Gefähr-dung wirksam wird. In der Prävention geht es darum, eine vorhandene Gefährdung zu be-seitigen oder ihr Wirksamwerden zu verhindern.

Begünstigende Faktoren können das Wirksamwerden der Gefährdung wahrscheinlicher machen. So kann die schlechte Beleuchtung eines Weges auf dem Betriebsgelände die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass man über einen hoch stehenden Pflasterstein stolpert. Die Gefahrenquelle ist hier der Pflasterstein, der Gefährdungsfaktor das Stolpern und die schlechte Beleuchtung ist die begünstigende Bedingung.

Ursachen für Unfälle und berufskrankheitenEine Ursache ist der Grund dafür, dass eine Gefährdung wirksam wird und zu einer Ver-letzung bzw. Erkrankung führt.

Die Ursachen für Unfälle und arbeitsbedingte Erkrankungen lassen sich nach dem TOP-Schema drei Bereichen zuordnen:

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� Technische Ursachen – Defekte an Arbeitsmitteln (etwa eine schadhafte Isolierung an einem Elektrokabel) – Mängel an Gebäuden (etwa eine schwer erkennbare Stolperstelle)

� Organisatorische Ursachen – Wiederkehrende Prüfungen von Arbeitsmitteln werden nicht veranlasst – Unterweisungen werden nicht durchgeführt – Es liegt keine Gefährdungsermittlung vor – Erforderliche persönliche Schutzausrüstung wird nicht gestellt

� Personenbezogene, verhaltensbedingte Ursachen – Nichtbeachtung von sicherheitsrelevanten Anweisungen – Vom Unternehmer gestellte persönliche Schutzausrüstung wird nicht getragen.

zusammenwirken und Verkettung von UrsachenHäufig müssen verschiedene Ursachen zusammenwirken, damit eine Gefährdung wirk-sam wird und es zum Unfall kommt. Dabei kann das Ausschalten einer einzelnen Ursa-che oft schon den Unfall verhindern. Ursachen können auch eine Ursachenkette bilden, bei der eine Ursache die nächste bedingt. Schaltet man die Ursache am Anfang der Kette aus, sind auch die nachfolgenden Ursachen beseitigt.

Die Verkettung und das Zusammenwirken von Ursachen erläutert nachfolgend ein Bei-spiel:

Ein Schwimmmeistergehilfe war mit dem Reinigen eines leeren Schwimmbeckens beschäftigt. Beaufsichtigt wurden die Arbeiten vom Schwimmmeister. Für die Rei-nigungsarbeiten verwendete der Gehilfe einen Hochdruckreiniger, der über eine Ka-beltrommel mit Mehrfachstecker an eine Steckdose angeschlossen war. Durch den Sprühnebel wurde die Kabeltrommel nass. Nachdem der Gehilfe die Position des Hochdruckreinigers verändert hatte, steckte er den Stecker des Hochdruckreinigers wieder in die Kabeltrommel. Beim Berühren der Kabeltrommel erlitt er aufgrund ei-nes Defektes an der Kabeltrommel einen Stromschlag. Er fiel in eine Bewusstlosig-keit und musste in ein Krankenhaus transportiert werden.

Die Unfalluntersuchung ergab, dass der Defekt am Kabel der Kabeltrommel schon vor längerer Zeit nur notdürftig mit Isolierband repariert worden war. Eine wieder-kehrende Prüfung der Kabeltrommel als einem ortsveränderlichen elektrischen Be-triebsmittel wurde ebenso wenig veranlasst wie eine Unterweisung des Schwimm-meistergehilfen oder des Schwimmmeisters. Diese hätten die Kabeltrommel vor der Benutzung einer Prüfung auf sichtbare Beschädigungen durch Inaugenscheinnahme unterziehen müssen. Das Stromkabel wurde zudem ohne Fehlerstromschutzschalter an eine Steckdose angeschlossen.

Für den im Beispiel geschilderten Unfall sind fünf Ursachen zu nennen:

1. Technisch: Die Kabeltrommel war defekt. Der Defekt bewirkte, dass eine Spannung auf der Metalltrommel lag, die der Schwimmmeistergehilfe berührt hat.

2. Organisatorisch: Wiederkehrende Prüfungen wurden nicht durchgeführt. Eine Kabel-trommel ist ein ortsveränderliches elektrisches Betriebsmittel und muss regelmäßig

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durch eine Elektrofachkraft oder eine elektrotechnisch unterwiesene Person geprüft werden. Wäre die Prüfung durchgeführt worden, wäre der Defekt an der Kabelisolie-rung aufgefallen und behoben worden.

3. Organisatorisch: Eine Unterweisung des Schwimmmeistergehilfen zur Prüfung von Arbeitsmitteln durch den Benutzer vor der Benutzung und zum sicheren Betrieb von elektrischen Betriebsmitteln in Feuchtbereichen (Verwendung des Fehlerstromschutz-schalters) hat nicht stattgefunden.

4. Personenbezogen, verhaltensbedingt: Der Schwimmmeistergehilfe hat eine Prüfung der Kabeltrommel vor der Benutzung nicht durchgeführt. Die Betriebssicherheitsver-ordnung fordert eine Prüfung des Arbeitsmittels durch den unterwiesenen Nutzer vor Benutzung durch Inaugenscheinnahme und eine Funktionsprobe. Diese Prüfung dient dazu, offensichtliche Defekte zu entdecken, die zwischen den wiederkehrenden Prü-fungen auftreten. Wäre diese Sichtprüfung durchgeführt worden, wäre die defekte Ka-beltrommel nicht zum Einsatz gekommen.

5. Personenbezogen, verhaltensbedingt: Obwohl er damit rechnen musste, dass die Ka-beltrommel durch den Sprühnebel nass wird, hat der Schwimmmeistergehilfe keinen Fehlerstromschutzschalter verwendet. Dieser wird zwischen Steckdose und Kabel ge-schaltet und stellt den Strom blitzschnell ab, wenn eine Person an Strom führende Teile kommt. Schwere Verletzungen können dadurch vermieden werden. Der Einsatz des Fehlerstromschutzschalters hätte den Unfall zwar nicht verhindert, aber die Fol-gen erheblich gemindert.

Abbildung 2 verdeutlicht die Verkettung und das Zusammenwirken von Ursachen.

Ursache 1Keine wiederkehrende Prüfung

von elektrischen Betriebsmitteln

Ursache 2Keine Unterweisung des

Schwimmmeister gehilfen

Ursache 3Kabeltrommel ist defekt

Ursache 4Keine Prüfung der

Kabel trommel vor Benutzung

Ursache 5Kein Fehlerstromschutz -

schalter verwendet

Unfall

Abb. 2: zusammenwirken und Verkettung von Ursachen

Die Ursachen 1 und 2 stehen am Anfang einer Ursachenkette. Werden sie ausgeschaltet, indem eine Unterweisung durchgeführt wird und elektrische Betriebsmittel geprüft wer-den, können die Ursachen 3–5 überhaupt nicht mehr eintreten.

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Die Ursachen 3–5 wirken gemeinsam. Durch das Ausschalten von nur einer dieser drei Ur-sachen kann der Unfall verhindert oder zumindest die Folgen stark abgemildert werden.

Oft stehen am Anfang einer Ursachenkette organisatorische Mängel, die in einer unzu-reichenden Arbeitsschutzorganisation begründet sind. Durch die systematische Unter-suchung aller Unfälle lassen sich diese organisatorischen Mängel ermitteln und besei-tigen. Hierdurch kann eine kontinuierliche Verbesserung der Arbeitsschutzorganisation und auch eine Absenkung der Unfallzahlen erreicht werden.

Maßnahmen zur Verhütung von Unfällen und erkrankungenDie Schutzmaßnahmen zielen darauf ab, das aktuelle Risiko mindestens auf das höchste akzeptable Risiko zu senken und es bestenfalls ganz zu beseitigen.

höchstes akzeptables risiko aktuelles risiko

Mindestmaßnahme

optimale Maßnahme

risiko

Abb. 3: risikoabsenkung durch Schutzmaßnahmen

Die Wahl der geeigneten Maßnahme orientiert sich an einer Zielhierarchie. An erster Stelle steht die Beseitigung der Gefahrenquelle als Maßnahme mit der größten Wirkung. An letzter Stelle steht die Beeinflussung des Verhaltens des Einzelnen. Abbildung 4 ver-deutlicht die Zielhierarchie der Schutzmaßnahmen.

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K a p i t e l I V · G r u n d l a g e n d e r P r ä v e n t i o n

Wirkung

zielhierarchie

� Beseitigen der Gefahrenquelle Ein giftiger Gefahrstoff wird durch einen Stoff ohne gefährliche Eigenschaften ersetzt.

� Ausschließen des Wirksamwerdens des Gefährdungsfaktors Aufstellung eines lauten Kompressors außerhalb des Arbeits-raums.

� Verringern des Wirksamwerdens des Gefährdungsfaktors Verwendung eines Fehlerstromschutzschalters bei Arbeiten mit elektrischen Geräten in nassen Bereichen.

� Verringern der Wirkung des Gefährdungsfaktors durch persönliche Schutzausrüstung Beschäftigte arbeiten in der Schreinerwerkstatt nur mit Gehörschutz.

� Verringern der Wirkung des Gefährdungsfaktors durch das Verhalten des Einzelnen Die schädigende Wirkung auf die Bandscheiben durch das Heben schwerer Lasten wird durch die Anwendung Rücken schonender Hebetechniken reduziert.

Aufwand

Abb. 4: zielhierarchie der Schutzmaßnahmen

Ebenso wie die Ursachen können auch die Schutzmaßnahmen den drei Bereichen des tOP­Schemas zugeordnet werden:

technische Maßnahmen � Gefahrstoffe durch ungefährliche Stoffe ersetzen � Einsatz technischer Hilfsmittel (z. B. einer Hebehilfe) oder technischer Schutzeinrich-

tungen (z. B. ein Kontaktschalter, der eine Maschine beim Öffnen einer Abdeckung ausschaltet)

� Kapselung von lauten Maschinen.

Organisatorische Maßnahmen � Arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen organisieren � Erste Hilfe organisieren � Prüfung von Arbeitsmitteln veranlassen.

Personenbezogene Maßnahmen � Beschäftigte über die Gefahren und die entsprechenden Schutzmaßnahmen unter-

weisen � Persönliche Schutzausrüstung (PSA) stellen.

Um eine Minderung des Risikos zu erreichen, können verschiedene Schutzmaßnahmen infrage kommen. Sowohl die Wirkung der Maßnahme als auch der damit verbundene Auf-wand können sehr unterschiedlich ausfallen.

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Um einen Beschäftigten zum Beispiel wirkungsvoll vor der Einwirkung von gesundheits-schädlichem Lärm zu schützen, kommen drei Maßnahmen infrage:

� Lärmdämmung im Raum (z. B. Schallschluckplatten anbringen) � Lärmdämmung an der Lärmquelle (Kapseln einer Maschine) � Gehörschutz tragen.

Welche der Maßnahmen sinnvoll und ausreichend ist, hängt von der Situation ab. In ei-ner Schreinerwerkstatt mit einer Kreissäge bieten sich andere Maßnahmen an als in ei-ner Kindergartengruppe.

Bezogen auf das vorgestellte Beispiel, können den Ursachen entsprechend die erforder-lichen Maßnahmen zur Vermeidung ähnlicher Unfälle wie folgt formuliert werden:

� Technisch und personenbezogen: Bei Arbeiten mit elektrischen Geräten in Bereichen, in denen Nässe auftreten kann (Schwimmbäder, Freigelände, Küchen) sind Fehler-stromschutzschalter zu verwenden. Die Schalter sind anzuschaffen und ggf. zu ins-tallieren. Die Beschäftigten sind entsprechend zu unterweisen.

� Organisatorisch: Es sind wiederkehrende Prüfungen für alle Arbeitsmittel zu veran-lassen.

� Personenbezogen: Die Nutzer sind zu unterweisen, dass alle Arbeitsmittel vor der Ver-wendung durch Inaugenscheinnahme und eine Funktionsprobe auf den sicheren Zu-stand geprüft werden.

Die Maßnahmen schließen sowohl alle Arbeitsmittel als auch alle verschiedenen Arbei-ten mit elektrischen Arbeitsmitteln ein. Denn eine Ursache, die in einem Fall zu einem Unfall geführt hat, kann auch bei anderen Gelegenheiten zu Unfällen führen. Der organi-satorische Mangel etwa, dass Arbeitsmittel in allen Betrieben der Kommune nicht wie-derkehrend geprüft werden, wirkt sich auf die Sicherheit aller Arbeitsmittel, ob Stehlei-ter, Kreissäge oder Kabeltrommel, und in allen Bereichen der Kommune aus.

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4.2 Arbeitsbedingte GesundheitsgefahrenGernot Krämer

Aufgabe des Unternehmers: erkrankungen verhindernIm Rahmen der Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz muss das Au-genmerk auch darauf gerichtet werden, ob durch die Bedingungen am Arbeitsplatz ge-sundheitliche Beschwerden bis hin zu Erkrankungen verursacht werden können. Dies zu ermitteln und zu beurteilen ist wesentlich schwieriger und aufwendiger als die reine Be-trachtung von Unfallgefahren. Neben der Ermittlung der Exposition bzw. der ergonomi-schen Bedingungen am Arbeitsplatz muss geprüft werden, ob es arbeitsmedizinische oder sicherheitstechnische Erkenntnisse gibt, die es erlauben, das damit verbundene Risiko einzuschätzen.

Ständig werden neue arbeitsmedizinische Erkenntnisse gewonnen. Daher muss bei der regelmäßigen Überprüfung der Gefährdungsbeurteilung nicht nur untersucht werden, ob sich die Verhältnisse am Arbeitsplatz geändert haben, sondern es muss auch geprüft werden, ob es bezüglich der am Arbeitsplatz auftretenden Exposition oder der ergonomi-schen Bedingungen, unter denen gearbeitet wird, neue medizinische Erkenntnisse gibt, die zu einem anderen Beurteilungsergebnis führen. So hat sich zum Beispiel im Laufe der Jahre die Einschätzung des Risikos beim Umgang mit Gefahrstoffen wie Benzol oder Asbest verändert, was eine mehrfache Verschärfung der Grenzwerte und im Falle von As-best sogar ein völliges Verwendungsverbot zur Folge hatte.

Während es bei der Untersuchung von Arbeitsunfällen unmittelbar nach dem Ereignis meistens gelingt, die Unfallursache zu ermitteln und daraus Erkenntnisse zur Verhinde-rung ähnlicher Unfälle abzuleiten, ist dies bei berufsbedingten Erkrankungen ungleich schwieriger. Es kann nämlich sehr wohl sein, dass die Bedingungen am aktuellen Ar-beitsplatz gar nicht ursächlich für die Erkrankung sind, sondern dass der Schaden an ei-nem anderen, früheren Arbeitsplatz gesetzt wurde, sich aber erst viel später bemerkbar macht. Beschwerden im Muskel-Skelett-Bereich (z. B. Verspannungen) sind oft durch er-gonomisch ungünstige Verhältnisse am Arbeitsplatz verursacht. Ausgeprägte Erkrankun-gen des Muskel-Skelett-Apparates (z. B. Bandscheibenschäden) dagegen sind Folge einer langjährigen Belastung und müssen daher nicht zwangsläufig mit dem aktuellen Arbeits-platz in Zusammenhang stehen. Selbstverständlich gibt es auch Ausnahmen von dieser „Regel“. So sind beispielsweise Hauterkrankungen durch Feuchtarbeit zumeist durch die aktuellen Arbeitsplatzverhältnisse verursacht.

Weil die Beurteilung des Risikos für die Entstehung von Erkrankungen am Arbeitsplatz so schwierig ist, sollte die Gefährdungsbeurteilung im Hinblick auf mögliche Erkrankungen nicht nur routinemäßig (z. B. in einem jährlichen Rhythmus) oder bei Veränderungen am Arbeitsplatz überprüft werden, sondern immer auch dann, wenn Beschäftigte Beschwer-den äußern. Es versteht sich von selbst, dass solche Beschwerden von vorneherein ernst genommen werden und dass versucht wird, die Ursache zu ermitteln und möglichst zu beseitigen, bevor es zum Vollbild einer Erkrankung kommt.

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Arbeitsbedingte erkrankungen sind nicht automatisch berufskrankheitenNeben Arbeitsunfällen sind bei den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung bereits seit vielen Jahrzehnten bestimmte Erkrankungen, die in Zusammenhang mit der beruf-lichen Tätigkeit entstanden sind, versichert. Im Gegensatz zum Arbeitsunfall, bei dem praktisch alle Unfälle, die in Zusammenhang mit der geschuldeten Arbeitsleistung auf-treten, versichert sind, wurde bei den berufsbedingten Erkrankungen eine Einschränkung vorgenommen und ein Listenprinzip eingeführt. Danach können nur solche Erkrankun-gen als Berufskrankheit (BK) entschädigt werden, die einer Listenziffer in der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) zugeordnet werden können. Kriterium für die Auf-nahme in die Liste der Berufskrankheiten ist, dass nach wissenschaftlichen Erkenntnis-sen eine Erkrankung in einer bestimmten Beschäftigtengruppe doppelt so häufig wie in der Allgemeinbevölkerung auftritt. Über die Aufnahme in die Liste entscheidet der Bun-desarbeitsminister. Berufskrankheiten sind – versicherungsrechtlich betrachtet – Ge-sundheitsschäden, die in Folge einer chronischen Einwirkung, d. h. einer Einwirkung, die länger andauert als eine Arbeitsschicht, auftreten.

Bis zur Ablösung der Reichsversicherungsordnung durch das Siebte Buch Sozialgesetz-buch (SGB VII) im Jahr 1997 lautete der Präventionsauftrag an die Unfallversicherungs-träger, mit allen geeigneten Mitteln Arbeitsunfällen und der Entstehung von Berufs-krankheiten vorzubeugen. Erst mit Inkrafttreten des SGB VII wurde der Auftrag, was die Erkrankungen anbelangt, auf die so genannten „arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren“ erweitert. Streng genommen können die Unfallversicherungsträger erst seit diesem Zeit-punkt auch auf diesem Gebiet präventiv (z. B. durch Vorschriften, Regeln, Seminare, Be-ratung) tätig werden. Leistungen an Versicherte sind dagegen auch weiterhin nur bei Er-krankungen möglich, die einer Position im Anhang zur BKV zugeordnet werden können. Die Erkrankungen in Folge arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren können als Gesamt-menge aufgefasst werden, wovon die Berufskrankheiten eine Teilmenge bilden.

Die Unterscheidung zwischen „arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren“ einerseits und „Berufskrankheiten“ andererseits ist eher unter versicherungsrechtlichen Aspekten be-deutsam als für die betriebliche Praxis. Der Unternehmer ist nach dem Arbeitsschutzge-setz, dem SGB VII, der Satzung der UKH und der Unfallverhütungsvorschrift ‚Grundsätze der Präventionʻ ohnehin verpflichtet, alles zu tun, damit – unabhängig von der versiche-rungsrechtlichen Relevanz – keine Erkrankungen auftreten.

disposition und SchädigungspotentialBei Arbeitsunfällen handelt es sich um Situationen, in denen sich jede Person entspre-chend verletzt hätte, weil das Schädigungspotenzial der Einwirkung deutlich über der Be-lastbarkeit des menschlichen Körpers liegt (Beispiel: Schnittverletzung an einer scharfen Kante). Anders verhält es sich bei vielen Erkrankungen: Hier spielt häufig die individu-elle Disposition eine wesentliche Rolle. Während beispielsweise der eine Mitarbeiter eine Sensibilisierung und nachfolgend allergische Reaktionen gegen einen Arbeitsstoff bereits nach kurzer Zeit entwickelt, kann es sein, dass ein Kollege dieselben Tätigkeiten jahrelang ohne gesundheitliche Probleme ausführt. Aus diesem Grund ist es bis auf den heutigen Tag auch nicht möglich, Grenzwerte für die sensibilisierenden Eigenschaften von Stoffen anzugeben. Situationen, die unausweichlich Erkrankungen nach sich ziehen, weil die Einwirkungen so hoch sind, dass ausnahmslos bei jedem Menschen zwangsläu-

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fig eine Erkrankung eintritt, kann es in einem Betrieb, in dem die aktuellen arbeitsme-dizinischen und sicherheitstechnischen Kenntnisse beachtet und die heutigen Arbeits-schutzvorschriften eingehalten werden, eigentlich nicht geben.

die bK­ermittlung: behandlung des einzelfallsWird bei einem Unfallversicherungsträger der Verdacht einer Berufskrankheit angezeigt, so löst dies die sogenannte Amtsermittlungspflicht aus. Im Gegensatz zur Gefährdungs-beurteilung, bei der sich der Blick auf die Gesamtsituation am Arbeitsplatz unabhängig vom einzelnen dort beschäftigten Mitarbeiter richtet, handelt es sich bei Ermittlungen zu Berufskrankheiten (BK-Ermittlungen) immer um eine auf eine Person bezogene Einzelfall-betrachtung. Gegenstand der Untersuchung sind die Tätigkeiten des einzelnen Versicher-ten und hiervon nur diejenigen, die für die Entstehung der angezeigten Berufskrankheit relevant sind. Hat sich zum Beispiel ein Versicherter eine Sensibilisierung gegenüber Na-turlatex zugezogen, wird geprüft, in welchem Umfang er in der Vergangenheit – d. h. vor der erstmaligen Diagnose – Kontakt mit naturgummihaltigen Produkten hatte und wie in-tensiv dieser Kontakt war. Die übrigen Einwirkungen (z. B. Hitze, Kälte, Lärm, Strahlung) und Gefährdungen wie Quetsch- und Scherstellen oder Infektionsgefährdung am Arbeits-platz bleiben in diesem Fall unbeachtet, da sie nicht zur Erkrankung beigetragen haben können. Wenn der Arbeitsplatz nicht mehr existiert, kann es sein, dass die Ermittlungen als reine Besprechung (evtl. mit Einsicht in noch vorhandene Aufzeichnungen oder Un-terlagen) durchgeführt werden.

datenschutz – ein heikles themaVoraussetzung für Ermittlungen am Arbeitsplatz ist, dass der Versicherte zuvor damit ein-verstanden ist und eine entsprechende Erklärung unterzeichnet. Es kommt immer wieder vor, dass Versicherte nicht möchten, dass ihr gesundheitliches Problem am Arbeitsplatz bekannt wird und aus diesem Grund die Einverständniserklärung verweigern oder diese zum Beispiel auf bestimmte Personen einschränken. Verweigert der Versicherte sein Ein-verständnis vollständig oder ist es aufgrund der Einschränkungen nicht möglich, sich ein Bild über die Risiken am Arbeitsplatz zu verschaffen und diese zu beurteilen, kann dies dazu führen, dass die UKH ihre Leistungspflicht nicht prüfen kann und aus diesem Grund die Anerkennung der Berufskrankheit versagen muss. Da bei BK-Ermittlungen kaum zu vermeiden ist, dass die Gesprächspartner erfahren, welche Erkrankung in etwa bei dem Versicherten aufgetreten ist, versuchen die mit der Ermittlung vor Ort beauftragten Auf-sichtspersonen, den Kreis der Beteiligten so klein als möglich zu halten. Beteiligt wer-den diejenigen Personen, welche über den in Frage kommenden Beschäftigungsabschnitt am besten Auskunft geben können. Es müssen dies daher nicht zwangsläufig diejenigen sein, die sich heute mit den Belangen des Arbeitsschutzes im Betrieb beschäftigen oder aktuell Vorgesetzte und Kollegen des Betreffenden sind.

eine berufskrankheitenermittlung ist keine betriebsbesichtigungDa bei Berufskrankheitenermittlungen der Fokus ausschließlich auf die bei einem Ver-sicherten aufgetretene Erkrankung gerichtet ist, wird auch kein Besichtigungsbericht an den Betrieb erstellt, sondern nur eine auf die individuelle Ermittlungsanfrage durch die Berufskrankheitenabteilung bezogene Stellungnahme für die Sachbearbeitung. Bei der UKH führen in den meisten Fällen Aufsichtspersonen, die sich auf die Ermittlung von Be-rufskrankheiten spezialisiert haben, diese Ermittlungen durch. Wenn ihnen während der

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Ermittlungen ein Missstand auffällt, wird die für den Betrieb zuständige Aufsichtsperson informiert, die dann die Möglichkeit hat, im Rahmen einer normalen Betriebsbesichti-gung unter Beteiligung aller innerbetrieblichen Arbeitsschutzakteure, diesen Punkt zu überprüfen und gegebenenfalls entsprechende Anordnungen zu erlassen.

LiteraturArbeitsschutzgesetz (ArbSchG)Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII)Information „In guten Händen. Die gesetzliche Unfallversicherung“ (GUV-I 506)Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ (GUV-V A1)Satzung und Mehrleistungssatzung der Unfallkasse Hessen vom 12.11.2010. In: Inform 4 (2010)

Weiterführende LinksBundesministerium der Justiz: www.gesetze-im-internet.deBundesministerium der Justiz: www.bundesrecht.juris.deUnfallkasse Hessen: www.ukh.de

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4.3 GefährdungsbeurteilungStephanie caspar

Der Begriff „Gefährdungsbeurteilung“ steht verkürzt für die Verpflichtung des Arbeitge-bers, die Arbeitsbedingungen aller Beschäftigten in seinem Betrieb hinsichtlich möglicher Gefährdungen und Belastungen zu beurteilen. Diese Forderung ist im Arbeitsschutzgesetz (§§ 5, 6 ArbSchG) verankert, sie wird systematisch in den meisten staatlichen Vorschrif-ten wie der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) und der Lärm- und Vibrationsarbeitsschutz-verordnung (LärmVibrationsArbSchV) aufgegriffen und ist nicht zuletzt Teil der Unfallver-hütungsvorschriften (UVV) „Grundsätze der Prävention“ (GUV-V A1).

Konsequenterweise fordert die Deregulierung im Arbeitsschutz die Eigenverantwortung des Arbeitgebers immer stärker. Dieser muss sein Unternehmen selbst bewerten, denn der Gesetzgeber gibt lediglich Schutzziele vor. Der Arbeitgeber ist für die Gesundheit und Sicherheit seiner Mitarbeiter verantwortlich. Die Gefährdungsbeurteilung ist das geeig-nete Instrument, um das Gefährdungspotenzial einzuschätzen und somit der eigenen Fürsorgeverpflichtung nachzukommen.

Konzept zur GefährdungsbeurteilungGrundsätzlich sind die Arbeitsbedingungen aller Mitarbeiter, auch der Führungskräfte, in allen betrieblichen Bereichen zu betrachten. Damit der Betrieb den Aufwand für die Beurteilung der Arbeitsbedingungen in Grenzen hält, ist ein Konzept notwendig. Dieses Konzept soll die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung für den gesamten Betrieb re-geln und gleichzeitig Schwerpunkte bei der Umsetzung festlegen. Priorität haben jene Bereiche, in denen Gefahren und Belastungen offenkundiger und schwerwiegender sind als in anderen. In diesen Unternehmensteilen kann eine betriebsspezifische Vorgehens-weise entwickelt und erprobt werden, die dann auf die übrigen Bereiche übertragen wer-den kann.(Tipp: Ausführliche Hilfestellung beim Erstellen eines Konzeptes und beim Durchführen der Gefährdungsbeurteilung gibt Band 14, Schriftenreihe UKH: „Einführung in die Gefähr-dungsbeurteilung für Führungskräfte“).

Abbildung 1 zeigt einen empfohlenen Ablauf für die Konzeptentwicklung und die anschlie-ßende Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung im Überblick.

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Sind die Maßnahmen wirksam?

Dokumentation

Feinanalyse

Erforderliche Maßnahmen ableiten

Maßnahmen umsetzenWER macht

WAS bis WANN?ja

ja

nein

nein

nein

Aktu

alis

ieru

ng/k

ontin

uier

liche

r Pro

zess

BeteiligteArbeitgeber,Personal- oder Betriebsrat,Arbeitsschutz-ausschuss (ASA)

Arbeitgeber/KoordinatorPersonal- oder Betriebsrat, ASA

Führungskraft (FK)

Ab hier ist die FK unter Beteiligung der Mitarbeiter und Arbeitsschutz-experten verantwortlich

Ggf. übergeordnete FK/Arbeitgeber einbeziehen

Ablaufschema von der Konzeptentwicklung bis zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung

Sind die vorhandenen Maßnahmen ausreichend?

Sind diese eindeutig erkennbar?

Abb. 1: Ablaufschema von der Konzeptentwicklung bis zur Umsetzung der Gefährdungsentwicklung

Leitbild für Arbeitsschutzpolitik entwickeln; Auftrag der obersten Leitung

Vorbereitung der Gefährdungsbeurteilung (Methodenauswahl, Vorgehensweise fest-

legen, Qualifizierung FK)

VorüberlegungenStrukturierung der Tätigkeiten

Ermittlung der Gefährdungenund Belastungen

Sind Gefährdungen vorhanden?

ja

ja

Risikobewertung und Schutzziele

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durchführung der GefährdungsbeurteilungAuftrag an den ArbeitgeberFür die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung ist der Arbeitgeber verantwortlich. Er hat die Verpflichtung, das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung, die festgelegten Maß-nahmen des Arbeitsschutzes und das Ergebnis der Überprüfungen zu dokumentieren.Da er diese Aufgabe nicht allein bewältigen kann, delegiert er die Aufgaben in der Regel an nachgeordnete Führungskräfte (FK). Der Arbeitgeber sollte hierfür eine klare Verant-wortlichkeit schaffen.

Aufgabe der FührungskräfteDie Erstellung der Gefährdungsbeurteilung ist grundsätzlich Aufgabe der Führungskräfte, da diese

� die Arbeit und die Arbeitsbedingungen gestalten � die Verantwortung für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter haben � über Sicherheit und Gesundheitsschutz informieren, kommunizieren und unterweisen.

Darüber hinaus haben die Führungskräfte – neben den Mitarbeitern – die genauesten Kenntnisse aus dem alltäglichen Betriebsablauf. Dazu gehören zum Beispiel Kenntnisse über die Häufigkeit des Auftretens besonders schwieriger Arbeitssituationen, Daten über Beinah-Unfälle und nicht meldepflichtige Unfälle, Erfahrungen von Schwierigkeiten in der Handhabung von persönlicher Schutzausrüstung, aber auch Wissen über Beanspruchung durch psychische und soziale Anforderungen. Die Fachkraft für Arbeitsicherheit und der Betriebsarzt können durch Begehungen nur einen Ausschnitt der konkret vorhandenen Gefährdungen und Belastungen erfassen.

Die zweite Führungsebene konkretisiert in der Regel die Aufgabenstellung für ihre Be-triebsteile. Sie legt die zu beurteilenden Bereiche, die durchführenden und mitwirken-den Personen fest. In größeren Unternehmen delegieren die Führungskräfte dieser Ebene den Auftrag zur konkreten Durchführung an eine weitere Führungsebene.

Mitbestimmung des Personal- und BetriebsratesDer Personal- bzw. Betriebsrat (PR/BR) hat über das Hessische Personalvertretungsge-setz (HPVG) bzw. das Betriebsverfassungsgesetz und das Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) weitreichende Aufgaben im Arbeitsschutz. Die Gefährdungsbeurteilung nach dem Ar-beitsschutzgesetz ist eine ausfüllungsbedingte, dem Gesundheitsschutz dienende Rah-menvorschrift im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes (§ 87Abs. 1 Nr. 7). Daher sollte der PR/BR bereits in die Beratung über das Konzept zur Gefährdungsbeurteilung einbe-zogen werden.

Beteiligung der MitarbeiterBei der Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung sollten die Mitarbeiter grundsätzlich beteiligt werden, da

� das spezielle betriebsinterne Wissen der Beschäftigten als Experten in eigener Sa-che genutzt wird

� die Eigenverantwortlichkeit der Beschäftigten gefördert und die Akzeptanz für Maß-nahmen erhöht wird

� die Mitarbeiter das Recht haben, dem Arbeitgeber zu allen Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes Vorschläge zu machen (§ 17 ArbSchG).

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Unterstützung durch ArbeitsschutzexpertenGerade bei einer Erstbeurteilung der Arbeitsbedingungen können viele Fragen auftauchen, bei deren Beantwortung die Arbeitsschutzexperten (Fachkraft für Arbeitssicherheit, Be-triebsarzt) Unterstützung geben können. In der Regel ist deren Beratungszeit im Rahmen der Grundbetreuung beschränkt, sodass eine gute Gesprächsvorbereitung wichtig ist. Da-bei sollte die Führungskraft mit den Arbeitsschutzexperten folgende Fragen besprechen:

� Welche Tätigkeiten haben aus Sicht der Arbeitsschutzexperten in der weiteren Ermitt-lung der Gefährdungen und Belastungen Priorität?

� Welche Tätigkeiten, Arbeitsmittel und Stoffe bedürfen einer Feinanalyse mit spezi-ellen Methoden, um zum Beispiel ergonomische Fragestellungen, Gefahrstoffe, Bio-stoffe und Maschinen zu erfassen?

� Entspricht das weitere Vorgehen den aktuellen arbeitswissenschaftlichen Erkennt-nissen?

� Welche Aspekte sollte die Führungskraft aus Sicht der Arbeitsschutzexperten darü-ber hinaus beachten?

Im Einzelfall bietet es sich auch an, eine gemeinsame Begehung zu initiieren, um Gefähr-dungen vor Ort zu begutachten, gegebenenfalls neue Gefährdungen aufzudecken und mögliche Lösungen direkt zu diskutieren.

Abbildung 2 verdeutlicht die kooperative Vorgehensweise im Schema.

ersteinschätzung von Gefährdungen,

belastungen und Schutzmaßnahmen

Vervollständigung

ergänzungen

MitarbeiterFührungskraft

Klärungen, Stellungnahmen,

empfehlungen

Vorlagen, Hilfsmittel

Arbeitsschutzexperten

Festlegung, Anwendung

Gefährdungsbeurteilung

Abb. 2: Kooperative Vorgehensweise bei der durchführung einer Gefährdungsbeurteilung

Nachdem geklärt wurde, wer für die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung verant-wortlich ist und welche Vorüberlegungen sinnvoll sind, stellt sich die Frage, wann eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen ist.

Zunächst müssen die Erstbeurteilungen für alle bestehenden Arbeitsplätze und Tätigkei-ten des gesamten Betriebes erarbeitet werden. Sind die Erstbeurteilungen erstellt, müs-sen diese überprüft und gegebenenfalls angepasst werden, falls sich die Arbeitsbedin-

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gungen verändert haben. Dies kann zum Beispiel bei Änderungen der Arbeitsräume, von Tätigkeiten oder Arbeitsabläufen, aber auch bei Änderungen von Vorschriften und Regeln der Fall sein. Zwingend notwendig ist eine Überprüfung nach Unfällen, Beinah-Unfällen und Störfällen. Darüber hinaus sollte in regelmäßigen Abständen überprüft werden, ob die Gefährdungsbeurteilung noch aktuell und vollständig ist.

Methodische Arbeitsschritte der GefährdungsbeurteilungWie sieht nun die konkrete Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung aus?Wie im Ablaufschema (siehe Abbildung 1) ersichtlich, gibt es hierfür eine logische Ab-folge der wichtigsten Schritte:

1. Vorüberlegung und Strukturierung der TätigkeitenDazu gehört die Erfassung, welche Personen an welchen Orten gefährdet sein können und welche Arbeitstätigkeiten und Arbeitsmittel in den jeweiligen Arbeitsbereichen vor-kommen. Nach einer gegebenenfalls nötigen Zusammenfassung und Priorisierung von Tätigkeiten erfolgt die endgültige Festlegung der Betrachtungseinheiten. Sinnvoll ist es, bei der Bearbeitung mit denjenigen Arbeitsbereichen anzufangen, die nach erster Ein-schätzung die höchsten Gefährdungen aufweisen.

2. Gefährdungen und Belastungen ermittelnFür die festgelegte Betrachtungseinheit wird der Ist-Zustand bezüglich der arbeitsbeding-ten Gefährdungen ermittelt. Unterlagen über Unfälle, Erkrankungen, Beinahe-Unfälle, Be-triebsbegehungen, aber auch eigenes Alltagswissen und Hilfsmittel wie Gefährdungs- und Belastungskataloge (GUV-I 8700 ff.) helfen bei der Orientierung. Wie in Kapitel 4.1 erläu-tert, sind für die Betrachtungseinheit die bestehenden Gefahrenquellen und die dazu-gehörigen Gefährdungsfaktoren zu ermitteln. Einzelne Gefährdungsfaktoren sind in Ka-pitel 6 dieses Handbuches detailliert beschrieben.

Bei der Gefährdungsbeurteilung sollten die wesentlichen Gefährdungen ermittelt wer-den, denen sich der Arbeitnehmer bei seiner Tätigkeit bzw. am untersuchten Arbeits-platz aussetzt. Es ist nicht sinnvoll, dicke Dokumente zu erstellen, wenn diese wenig praxistauglich sind.

beispiel

Arbeitsplatz � Verwaltung

Tätigkeit � Bildschirmtätigkeit

Gefährdungsfaktor � physische Belastung

Gefährdung � Fehlbelastung des Muskel-Skelett-Systems (durch einseitige ausdauernde Körperhaltung).

Kann keine sichere Bewertung der Gefährdungen erfolgen, sind gegebenenfalls Feinana-lysen notwendig. Sie sind auch erforderlich, wenn höhere Anforderungen an die Genau-igkeit und Zuverlässigkeit der Ermittlungsergebnisse gestellt werden. Dazu gehören zum Beispiel Lärmmessungen, Schadstoffmessungen, aber auch Ermittlungen von Gefährdun-gen bei der Handhabung von Lasten.

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3. Risiken bewerten und Schutzziele festlegenBei der Risikoeinschätzung werden das Ausmaß des möglichen Schadens, der durch die betrachtete Gefährdung verursacht werden kann, und die Wahrscheinlichkeit des Eintritts dieses Schadens abgeschätzt. Es gibt Gefährdungen, die sich anhand festgeschriebener Grenzwerte beurteilen lassen. Viele Gefährdungen müssen jedoch in ihrem Risikopoten-zial abgeschätzt werden. Hilfreich ist es, die Fachkraft für Arbeitssicherheit und den Be-triebsarzt bei der Erstbeurteilung einzubeziehen.

Nach der Risikobewertung soll überlegt werden, welche Schutzziele erreicht werden sol-len. Schutzziele beschreiben den sicheren und gesundheitsgerechten Soll-Zustand. Nor-mierte Schutzziele sind Grenzwerte aus Vorschriften oder DIN-Normen, die auf entspre-chenden arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen fußen. Schutzziele geben den Rahmen für mehrere mögliche Maßnahmen vor.

beispiel:

Schutzziel: Ausgewogene Anforderungen an das Muskel-Skelett-System schaffen.

4. Maßnahmen ableiten und umsetzenBei der Planung und Umsetzung von Schutzmaßnahmen kann die Führungskraft auf den Expertenrat der Fachkraft für Arbeitssicherheit oder des Betriebsarztes zurückgreifen. Da die Sicht der Mitarbeiter hinsichtlich der Praktikabilität und der Wirkung der Schutzmaß-nahmen wichtig ist, sollten diese bei der Auswahl der Maßnahmen einbezogen werden.

OrganisationArbeitsorganisation, Arbeitsstrukturierung � Arbeitsabläufe � Arbeitsaufgaben, -inhalte � Arbeitszeit, Pausen,

Schichtsystem

technikMaschinen, Geräte, AnlagenArbeitsstätten, Arbeits-

plätzeFertigungsverfahrenArbeitsstoffe, Arbeits-

gegenstände

PersonalQualifikation, MotivationFührungsverhalten/

BetriebsklimaVerhaltensregelnUnterweisung

Abb. 3: tOP­Prinzip: Quellen für das entstehen von Gefährdungsfaktoren und Ansatzpunkte zur Gestaltung von Sicherheit und Gesundheit

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Maßnahmen können sich auf die technik, die Organisation und die Personen beziehen (siehe tOP-Prinzip in Abbildung 3).

technische Maßnahmen sind zum Beispiel: � Einsatz ungefährlicher Stoffe � Änderung der Technologie � Einsatz technischer Hilfsmittel oder technischer Schutzeinrichtungen.

Organisatorische Maßnahmen können sein: � Dienstanweisungen � Änderung des Arbeitsablaufes, des Arbeitsinhaltes und der Aufgabenverteilung � Arbeitszeitgestaltung.

Personengebundene Maßnahmen sind zum Beispiel: � persönliche Schutzausrüstung (PSA) tragen � Beschäftigte qualifizieren und unterweisen � Arbeitsanweisungen, Betriebsanweisungen.

beispiele für mögliche Maßnahmen an einem büroarbeitsplatz

� Technisch: Einrichtung des Arbeitsplatzes nach den Empfehlungen für Bildschirm-arbeitsplätze (Tisch, Bildschirm, Arbeitsstuhl, Beleuchtung, Tastatur etc.)

� Organisatorisch: Unterbrechen der Tätigkeit durch Pausen oder andere Tätigkeiten � Personengebundene Maßnahmen: Unterweisung, Ausgleichsgymnastik anbieten

Die Auswahl der geeigneten Maßnahmen orientiert sich grundsätzlich an der Zielhierar-chie, wie sie der Gesetzgeber im Arbeitsschutzgesetz vorsieht (§ 4 ArbSchG oder § 2(2) GUV-V A1). In der Zielhierarchie steht die Beseitigung oder Reduzierung der Gefahrenquelle an oberster Stelle. Eine solche Maßnahme hat die stärkste Reichweite, ist manchmal aber am schwersten umzusetzen. Ein Appell an das Verhalten des Einzelnen ist sicherlich am leichtesten zu realisieren, hat jedoch die geringste Reichweite aller möglichen Schutz-maßnahmen. Abbildung 4 gibt die Abstufung der Zielhierarchie wieder. Am Beispiel ei-nes lauten Kompressors wird das abstrakte Ziel mit einer konkreten Schutzmaßnahme auf jeder Hierarchieebene verdeutlicht.

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abnehmende Reichweite

Zielhierarchie

� Vermeiden oder Beseitigen der GefahrenquelleMaßnahmen: Kapseln eines lauten Kompressors oder Beschaffung eines leiseren Kompressors

� Ausschließen oder Beseitigen des Wirksamwerdens (räumliche Trennung)Maßnahme: Aufstellung des lauten Kompressors in einem anderen abgeschlossenen Raum als dem als Arbeitsraum genutzten

� Verhindern oder Verringern des Wirksamwerdens der Gefahrenquelle (räumliche bzw. zeitliche Trennung)Maßnahme: Lauter Kompressor wird nur betrieben, wenn keine Beschäftigten in der Nähe sind bzw. Beschäftigte dür-fen nur zeitlich stark begrenzt in der Nähe des Kompressors arbeiten

� Verhindern oder Verringern der Einwirkung der Gefahren-quelle durch PSAMaßnahme: Beschäftigte arbeiten in der Nähe des Kompres-sors nur mit Gehörschutz

� Verringern der Wirkung der Gefahrenquelle durch Verhalten des EinzelnenBei Lärm gibt es keine sinnvolle Verhaltensweise, daher kann in diesem Beispiel keine Maßnahme genannt werden.

schwieriger zu realisieren

Abb. 4: zielhierarchie von Maßnahmen zum Schutz vor der Lärmquelle „Kompressor“

5. Wirksamkeit überprüfenBei der Wirkungskontrolle überprüft die Führungskraft, ob mit den durchgeführten Maß-nahmen das angestrebte Schutzziel erreicht wird. Ist dies nicht der Fall, müssen Korrek-turen vorgenommen werden.

Ob die ergriffenen Maßnahmen langfristig erfolgreich sind, lässt sich beispielsweise an-hand folgender Parameter kontrollieren:

� Unfallzahlen oder Krankheitszahlen vergleichen � Mängel bei gemeinsamen Begehungen von Führungskraft, Fachkraft für Arbeitssicher-

heit und Betriebsarzt, Sicherheitsbeauftragten, Personal- bzw. Betriebsrat erfassen � Eignung und Akzeptanz der PSA überprüfen � Mitarbeiter über veränderte Belastungen und Beanspruchungen befragen.

6. DokumentationDas Arbeitsschutzgesetz verlangt die Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung. Demzufolge müssen das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung, die festgelegten Maßnah-men und das Ergebnis der Überprüfung dokumentiert sein. Der Prozess der Ermittlung und Bewertung bis zum Ergebnis hingegen muss nicht dokumentiert sein.In der Praxis hat sich bewährt, nachfolgende Angaben in jede Dokumentation aufzuneh-men:

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� Arbeitsbereich(e), gefährdende Tätigkeit(en), ergriffene Schutzmaßnahmen (Verant-wortlicher, Frist, Kontrolle), Verweise auf andere Dokumente, Schnittstellen, Wirkungs-kontrolle (Datum, Verantwortlicher), Datum der Aktualisierung.

Eine Dokumentationsvorlage ist auf der UKH-Homepage abrufbar: http://www.ukh.de/praevention/fachthemen/gefaehrdungsbeurteilung

Vorteile der GefährdungsbeurteilungDas Instrument der Gefährdungsbeurteilung unterstützt die Unternehmensleitung und die oberste Führungsebene darin, zielgerichtet zu steuern und nicht nur zu reparieren. Damit eine Gefährdungsbeurteilung tatsächlich ganz oben in der Entscheidungspyramide be-rücksichtigt wird, ist eine geeignete Organisation Voraussetzung. Die Gefährdungsbeur-teilung unterstützt insbesondere Führungskräfte, weil sie

� das Wissen um die Arbeitsbedingungen koordiniert zusammenträgt � die rechtliche Führungsverantwortung konkret umsetzt � die Ursachen für Störungen der Arbeit verringert und die Effizienz der betrieblichen

Abläufe steigert � die Wirtschaftlichkeit unterstützt, indem sie durch vorausschauendes Handeln teure

Nachbesserungen überflüssig macht � die Arbeitsbedingungen durch Risikominderung nachhaltig verbessert � die Beteiligung und Motivation der Mitarbeiter unterstützt und � den Wandel in der Arbeitswelt gestalten hilft.

LiteraturUKH (Hrsg.): Einführung in die Gefährdungsbeurteilung für Führungskräfte. Praxisleitfaden für die

Erstbeurteilung von Arbeitsbedingungen. Schriftenreihe der UKH Band 14. Wiesbaden: Univer-sum, 2009

Informationen „Gefährdungs- und Belastungskataloge“ (GUV-I 8700 ff.)Seminare zum Thema Gefährdungsbeurteilung für Führungskräfte, siehe Seminarprogramm der UKH

Weiterführende LinksBundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: www.baua.deBundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: www.gefaehrdungsbeurteilung.de

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4.4 Erste Hilfe im BetriebMarianne Kühn

Nach einem Unfall ist eine schnelle und fachgerechte Erstversorgung für einen erfolgrei-chen Heilungsverlauf entscheidend. Deshalb sind gut qualifizierte Ersthelfer sowie das Vorhandensein der erforderlichen Einrichtungen und Sachmittel unverzichtbar.

rechtlicher HintergrundDie Verantwortung für die Sicherstellung einer wirksamen Ersten Hilfe ist sowohl im staat-lichen als auch im Unfallversicherungsrecht geregelt:

Staatliches recht

Nach § 10 Arbeitsschutzgesetz hat der Arbeitgeber entsprechend der Art der Arbeits-stätte und der Tätigkeiten sowie der Zahl der Beschäftigten die Maßnahmen zu treffen, die zur Ersten Hilfe, Brandbekämpfung und Evakuierung der Beschäftigten erforderlich sind. Dabei hat er auch der Anwesenheit anderer Personen Rechnung zu tragen. Dazu korrespondierend fordert die Arbeitsstättenverordnung, dass der Arbeitgeber Mittel und Einrichtungen zur Ersten Hilfe und angemessene Erste-Hilfe-Räumlichkeiten zur Ver-fügung stellen muss. Das zitierte staatliche Recht bezieht sich dabei auf alle Beschäf-tigten einschließlich der Beamten und arbeitnehmerähnlich Beschäftigten.

Unfallversicherungsrecht

Nach § 21 SGb Vii ist der Unternehmer für eine wirksame Erste Hilfe verantwortlich. In der UVV „Grundsätze der Prävention“ (GUV­V A1) befasst sich ein eigener Abschnitt (Dritter Abschnitt, §§ 24-28) mit der Ersten Hilfe. Hier werden die Pflichten des Unter-nehmers zur Organisation der Ersten Hilfe, zur Bereithaltung der erforderlichen Einrich-tungen und Sachmittel, zur Zahl und Ausbildung der Ersthelfer bzw. Betriebssanitäter sowie Unterstützungspflichten der Versicherten festgelegt. Das Unfallversicherungs-recht gilt ausschließlich für den in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Personenkreis.

Pflichten des UnternehmersNach GUV-V A1 hat der Unternehmer dafür zu sorgen, dass

� zur Ersten Hilfe und zur Rettung aus Gefahr die erforderlichen Einrichtungen und Sach-mittel sowie das erforderliche Personal zur Verfügung stehen

� nach einem Unfall unverzüglich Erste Hilfe geleistet und eine erforderliche ärztliche Versorgung veranlasst wird

� Verletzte sachkundig transportiert werden � schriftliche Hinweise über die Erste Hilfe und Angaben über Notruf, Erste-Hilfe- und

Rettungseinrichtungen, über das Erste-Hilfe-Personal sowie über Ärzte und Kranken-häuser vorhanden sind

� jede Erste-Hilfe-Leistung dokumentiert und diese Dokumentation fünf Jahre verfüg-bar gehalten wird.

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Erforderliche Einrichtungen und SachmittelDurch Meldeeinrichtungen und organisatorische Maßnahmen muss dafür gesorgt wer-den, dass unverzüglich ein Notruf abgesetzt werden kann. Als Meldeeinrichtung können je nach Gefährdungsbeurteilung beispielsweise ein Telefon mit Angabe der Notrufnum-mer, ein Sprechfunkgerät oder aber eine Personen-Notsignal-Anlage dienen. In einem Alarmplan können die zu treffenden Maßnahmen zusammengefasst werden.

Erste-Hilfe-Material muss jederzeit schnell erreichbar und leicht zugänglich sein, es muss in geeigneten Behältnissen gegen schädigende Einflüsse geschützt und in ausreichender Menge bereitgehalten werden. Geeignetes Erste-Hilfe-Material befindet sich zum Beispiel im kleinen Verbandkasten nach DIN 13157 oder im großen Verbandkasten nach DIN 13169. Die GUV-Regel „Grundsätze der Prävention“ (GUV-R A1) gibt Richtwerte für die Ausstat-tung mit Verbandkästen in Abhängigkeit von der Betriebsart und Zahl der Versicherten vor.

betriebsart zahl der Versicherten Kleiner Verband­kasten

Großer Verband­kasten*

Verwaltungs- und Handelsbetriebe

1–50 1

51–300 1

ab 310für je 300 weitere Versichertezusätzlich ein großer Verbandkasten

2

Herstellungs-, Verarbeitungs- und vergleichbare Betriebe

1–20 1

21–100 1

ab 101für je 100 weitere Versichertezusätzlich ein großer Verbandkasten

2

Baustellen und baustellenähnlicheEinrichtungen

1–10 1**

11–50 1

ab 51für je 50 weitere Versichertezusätzlich ein großer Verbandkasten

* Zwei kleine Verbandkästen ersetzen einen großen Verbandkasten.** Für Tätigkeiten im Außendienst, insbesondere für die Mitführung von Erste-Hilfe-Material

in Werkstattwagen und Einsatzfahrzeugen, kann auch der Kraftwagen-Verbandkasten z. B. nach DIN 13164 als kleiner Verbandkasten verwendet werden.

tabelle 1: Art und Menge von erste­Hilfe­Material

Bei betriebsspezifischen Gefahren kann je nach Gefährdungsbeurteilung auch weiteres Erste-Hilfe-Material notwendig sein. Wichtig ist, dass das Material rechtzeitig ergänzt und erneuert wird, beispielsweise bei Verbrauch, Ablauf des Verfallsdatums, Verschmutzung oder Beschädigung.

Unter Berücksichtigung der besonderen betrieblichen Verhältnisse und Gefahren müs-sen Rettungsgeräte wie Notduschen, Löschdecken, Rettungsgurte, Sprungtücher oder

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Atemschutzgeräte für Helfer oder zur Selbstrettung bereitgehalten werden. Gleiches gilt für Rettungstransportmittel wie Krankentragen oder Tragegurte.

Die GUV-V A1 bestimmt, unter welchen Voraussetzungen der Unternehmer einen eigenen Sanitätsraum oder eine vergleichbare Einrichtung für die Erste Hilfe und die ärztliche Erst-versorgung vorhalten muss. Dies ist beispielsweise regelmäßig dann der Fall, wenn in einer Betriebsstätte mehr als 1000 oder auf einer Baustelle mehr als 50 Versicherte be-schäftigt sind. Außerdem muss in einer Betriebsstätte mit mehr als 100 Versicherten ein gesonderter Erste-Hilfe-Raum vorhanden sein, wenn dies nach Art der Betriebsstätte und nach dem Unfallgeschehen erforderlich ist.

Erforderliches PersonalDer Unternehmer hat dafür zu sorgen, dass für die Erste-Hilfe-Leistung eine ausreichende Zahl an Ersthelfern zur Verfügung steht.Paragraf 26 der GUV-V A1 legt folgende Mindestzahl an Ersthelfern fest:

� bei 2 bis zu 20 anwesenden Versicherten 1 Ersthelfer � bei mehr als 20 anwesenden Versicherten

– in Verwaltungs- und Handelsbetrieben 5 % – in sonstigen Betrieben 10 % – in Kindertageseinrichtungen 1 Ersthelfer je Kindergruppe.

Die erforderliche Anzahl an Ersthelfern im Betrieb muss zu jeder Zeit gewährleistet sein. Dabei ist die Abwesenheit von Ersthelfern, zum Beispiel durch Urlaub, Krankheit oder Schichtdienst, zu berücksichtigen.

Als Ersthelfer dürfen nur Personen eingesetzt werden, die bei einer vom Unfallversiche-rungsträger hierfür ermächtigten Organisation ausgebildet wurden. Die Ausbildung zum Ersthelfer erfolgt in einem acht Doppelstunden umfassenden Erste-Hilfe-Lehrgang. In Zeitabständen von zwei Jahren müssen die Ersthelfer in einem vier Doppelstunden um-fassenden Erste-Hilfe-Training fortgebildet werden. Die Kosten für Aus- und Fortbildung der Ersthelfer übernimmt die Unfallkasse Hessen auf Antrag (siehe auch www.ukh.de).

Bestehen in einem Betrieb besondere Unfallgefahren, zum Beispiel durch den Umgang mit bestimmten Gefahrstoffen, und muss damit gerechnet werden, dass bei Unfällen zu-sätzliche Maßnahmen erforderlich werden, die nicht Gegenstand der allgemeinen Aus-bildung zum Ersthelfer sind, hat der Unternehmer für die erforderliche zusätzliche Aus- und Fortbildung zu sorgen.

In welcher Anzahl und unter welchen Voraussetzungen Betriebssanitäter zur Verfügung stehen müssen, bestimmt die GUV-V A1. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn in einer Betriebsstätte mehr als 1500 oder auf einer Baustelle mehr als 100 Versicherte be-schäftigt sind. Außerdem muss mindestens ein Betriebssanitäter in Betriebsstätten mit mehr als 250 Versicherten zur Verfügung stehen, wenn Art, Schwere und Anzahl der Un-fälle den Einsatz erfordern.

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DokumentationWichtig ist die lückenlose Aufzeichnung der geleisteten Erste-Hilfe-Maßnahmen, bei-spielsweise im „Verbandbuch“ (GUV-I 511-1), wobei die Daten vertraulich zu behandeln sind. Die Dokumentation gewährleistet, dass im Einzelfall der Nachweis für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls geführt werden kann. Außerdem kann sie als Informationsquelle zur Identifizierung von Unfallschwerpunkten im Betrieb dienen.

Unterstützungspflichten der VersichertenNach der GUV-V A1 haben Versicherte sich zum Ersthelfer ausbilden und regelmäßig fort-bilden zu lassen und müssen sich nach der Ausbildung für Erste-Hilfe-Leistungen zur Ver-fügung stellen. Nur soweit persönliche Gründe entgegenstehen, brauchen sie dieser Ver-pflichtung nicht nachzukommen.

Unterläuft einem Ersthelfer ein Fehler, obwohl er im Rahmen seines Wissens und Kön-nens gehandelt hat, so kann er dafür strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen wer-den. Andererseits kann eine – auch aus Angst vor falschem Handeln – unterlassene Hil-feleistung strafrechtlich verfolgt werden.

LiteraturTechnische Regeln für Arbeitsstätten „Erste-Hilfe-Räume, Mittel und Einrichtungen zur Ersten Hilfe“

(ASR A4.3)Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ (GUV-V A1)Regel „Grundsätze der Prävention“ (GUV-R A1)Information „Rechtsfragen bei Erster-Hilfe-Leistung durch Ersthelfer“ (GUV-I 8512)Information „Verbandbuch“ (GUV-I 511-1)Information „Erste Hilfe im Betrieb“ (GUV-I 509)

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4.5 BrandschutzWolfgang baumann

Der Unternehmer hat die für seinen Betrieb geeigneten Notfallmaßnahmen zu planen, zu treffen und zu überwachen. Hierzu gehören insbesondere auch die Maßnahmen für den Fall des Entstehens von Bränden.

Die Hauptursachen für Brände in den Betrieben sind:

� unsachgemäßer Umgang mit Einrichtungen und Stoffen � fehlende Unterweisung der Beschäftigten � mangelndes Gefahrenbewusstsein beim häufigen Umgang mit Gefahrstoffen.

Die Verhütung und Bekämpfung von Bränden ist eine Gemeinschaftsaufgabe aller im Be-trieb Tätigen.

Unternehmer und Führungskräfte müssen

� die zur Verhütung von Entstehungsbränden erforderlichen technischen und organi-satorischen Maßnahmen treffen

� die zur Brandbekämpfung erforderlichen Einrichtungen schaffen und unterhalten so-wie deren Benutzung üben lassen

� die Versicherten auf die mit ihrer Beschäftigung verbundenen Brandgefahren hinwei-sen und in der Vermeidung und Abwendung dieser Gefahren unterweisen.

Bei der Planung und Durchführung der vorbeugenden Brandschutzmaßnahmen soll der Unternehmer die Mitarbeitervertretung, die Fachkraft für Arbeitssicherheit und die Sicher-heitsbeauftragten einbeziehen. Insbesondere durch das Baurecht sind bereits viele Unter-nehmen verpflichtet, einen Brandschutzbeauftragten zu bestellen. Der Brandschutzbeauf-tragte soll den Brandschutzverantwortlichen eines Betriebes oder einer Organisation (z. B. Arbeitgeber bzw. Unternehmer, Betriebs- oder Behördenleiter) in allen Fragen des vorbeu-genden, abwehrenden und organisatorischen Brandschutzes beraten und unterstützen.

Maßnahmen gegen die brandentstehungEin Brand benötigt zu seiner Entstehung drei Komponenten:

� einen brennbaren Stoff � eine Zündquelle � Sauerstoff.

Nimmt man eine dieser Komponenten weg, erlischt der Brand bzw. ist die Entstehung eines Brandes unmöglich. Die beste Art der Brandverhinderung ist die Verwendung von schwer entflammbaren oder nicht brennbaren Baumaterialien oder Gegenständen. Da eine völlige Vermeidung brennbarer Gegenstände nicht machbar ist, ist die Vermeidung von Zündquellen der zweite mögliche Weg. So sind in feuergefährdeten Bereichen offe-nes Feuer (wie Rauchen) und andere Zündquellen zu verbieten. Die dritte Möglichkeit, der Entzug von Sauerstoff, ist meist nur durch Abdecken des Feuers mit Löschmittel nach Brandentstehung möglich.

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Um einen gezielten Einsatz des richtigen Löschmittels zu gewährleisten, sind in der DIN EN 2 die brennbaren Stoffe in Brandklassen eingeteilt:

� Brandklasse A: feste, glutbildende Stoffe � Brandklasse B: flüssige Stoffe � Brandklasse C: gasförmige Stoffe, auch unter Druck � Brandklasse D: brennbare Metalle � Brandklasse F: Fettbrände.

Für die meisten Stoffe, die in der Arbeitsumgebung anzutreffen sind, reicht ein ABC-Lö-scher (ein Löscher, der Brände der Brandklassen A, B und C löschen kann). Für besondere Einsatzgebiete (z. B. EDV-Anlagen) gibt es auch Speziallöscher mit gasförmigem Lösch-mittel. Eine Übersicht über die verschiedenen Arten von Feuerlöschern findet sich in der Informationsschrift „Arbeitssicherheit durch vorbeugenden Brandschutz“ (GUV-I 560).

Wichtige betriebliche einrichtungenIm Brandfall müssen Arbeitsplätze, Räume und Gebäude schnell und sicher verlassen werden können. Hierzu sind ausreichend Fluchtwege, Rettungswege und Ausgänge not-wendig. Rettungswege, Fluchtwege und Notausgänge müssen auf möglichst kurzem Weg ins Freie oder zu gesicherten Bereichen, zum Beispiel Sicherheitstreppenhäusern, füh-ren. Die erforderliche Anzahl und die Lage richten sich nach der Art des Betriebes oder der Einrichtung sowie nach der durch die Bauart der Gebäude oder die Nutzung gege-bene Brand- und Explosionsgefährdung. Flucht- und Rettungswege sowie Notausgänge müssen gekennzeichnet sein.

Auch bei einem Ausfall der Allgemeinbeleuchtung müssen die Flucht- und Rettungswege benutzbar bleiben. Dies muss unter Umständen durch eine Sicherheits- oder Notbeleuch-tung gewährleistet werden. Die Sicherheits- oder Notbeleuchtung beleuchtet während der betrieblich erforderlichen Zeiten die Flucht- und Rettungswege mit einer vorgegebe-nen Mindestbeleuchtungsstärke und wird rechtzeitig wirksam.

In Betrieben ist eine Brandschutzordnung zu erstellen. Wenn Lage, Ausdehnung und Art der Nutzung der Arbeitsstätte es erfordern, muss zusätzlich ein Flucht- und Rettungsplan aufgestellt werden. Dieser Plan ist an geeigneter Stelle auszulegen. Die in den Flucht- und Rettungsplänen sowie der Brandschutzordnung vorgegebenen Verhaltensweisen und Abläufe müssen in angemessenen Zeitabständen mit den Versicherten geübt werden.

Nach der Entstehung eines Brandes stellen weniger die Flammen selbst als vielmehr die giftigen Rauchgase eine Gefahr für Personen dar: Circa 80 % der Opfer von Bränden er-sticken, bevor die Flammen sie erreichen. Es ist daher wichtig, die Arbeitsstätten und Ge-bäude in ausreichende Brandabschnitte aufzuteilen und die Brandabschnitte mit geeig-neten Brandabschnittstüren voneinander zu trennen.

LiteraturArbeitsschutzgesetz (ArbSchG)Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ (GUV-V A1)Brandklassen nach der DIN EN 2Information „Arbeitssicherheit durch vorbeugenden Brandschutz“ (GUV-I 560)Regel „Regeln für die Ausrüstung von Arbeitsstätten mit Feuerlöschern“ (GUV-R 133)

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4.6 Arbeitsmedizinische VorsorgeMarianne Kühn

Der Begriff arbeitsmedizinische Vorsorge wird häufig mit arbeitsmedizinischen Vorsor-geuntersuchungen gleichgesetzt. Dabei sind Untersuchungen nur ein – wenn auch sehr wesentlicher – Teil der Vorsorge. Arbeitsmedizinische Präventionsmaßnahmen im Be-trieb werden in Maßnahmen der Primär- und der Sekundärprävention unterschieden.

Arbeitsmedizinische PrimärpräventionDie Primärprävention betrifft in der Regel kollektive Arbeitsschutzmaßnahmen, die im We-sentlichen im Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) in Verbindung mit der Unfallverhütungs-vorschrift „Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit“ (DGUV Vorschrift 2) gere-gelt sind.

Nach ASiG sollen Betriebsärzte den Arbeitgeber beim Arbeitsschutz und bei der Unfall-verhütung in allen Fragen des Gesundheitsschutzes unterstützen. Zu ihren Aufgaben ge-hören unter anderem:

� die Beteiligung bei der Gefährdungsbeurteilung � die Beratung des Arbeitgebers bei der Planung von Betriebsanlagen, sozialen und sa-

nitären Einrichtungen, bei der Beschaffung von Arbeitsmitteln, bei der Einführung von Arbeitsverfahren und Arbeitsstoffen sowie bei der Auswahl von persönlicher Schutz-ausrüstung

� die Beratung in allen arbeitsphysiologischen, arbeitspsychologischen, ergonomi-schen und arbeitshygienischen Fragen, insbesondere bei der Regelung der Arbeits- und Pausenzeiten, bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes, des Arbeitsablaufs und der Arbeitsumgebung

� die Beratung bei der Organisation der Ersten Hilfe im Betrieb � die Durchführung regelmäßiger Arbeitsplatzbegehungen.

Arbeitsmedizinische SekundärpräventionDie arbeitsmedizinische Sekundärprävention hingegen ist ein personenbezogenes Ar-beitsschutzinstrument. Sie ist im Wesentlichen in der Verordnung zur arbeitsmedizini-schen Vorsorge (ArbMedVV) geregelt und umfasst vor allem die Beurteilung der individuel-len Wechselwirkungen zwischen Arbeit und Gesundheit der Beschäftigten, die individuelle arbeitsmedizinische Aufklärung und Beratung sowie arbeitsmedizinische Vorsorgeunter-suchungen. Diese dienen definitionsgemäß der Früherkennung arbeitsbedingter Gesund-heitsstörungen sowie der Feststellung, ob bei einer bestimmten Tätigkeit eine erhöhte gesundheitliche Gefährdung besteht.

Auch das ASiG nennt darüber hinaus einige Aufgaben des Betriebsarztes, die personen-bezogen sind, zum Beispiel die Beratung des Arbeitgebers bei Fragen des Arbeitsplatz-wechsels oder der Wiedereingliederung Behinderter in den Arbeitsprozess.

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Pflichten des ArbeitgebersGrundsätzlich hat der Arbeitgeber auf Grundlage der Gefährdungsbeurteilung eine an-gemessene arbeitsmedizinische Vorsorge sicherzustellen. Mit der Durchführung der ar-beitsmedizinischen Vorsorge hat er einen Arzt mit der Gebietsbezeichnung „Arbeitsme-dizin“ oder mit der Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“ zu beauftragen.

Der Arzt, der mit der arbeitsmedizinischen Vorsorge nach der Verordnung beauftragt wird, ist nicht zwingend identisch mit dem nach § 2 des ASiG bestellten Arzt (Betriebs-arzt). Demzufolge sind auch die arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen außer-halb der Einsatzzeiten nach der UVV „Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit“ (DGUV Vorschrift 2) zu erbringen. Dass beide Aufgabenbereiche von ein und demselben Arzt wahrgenommen werden, ist aber vorrangig vorgesehen. Der Arzt, der arbeitsmedizi-nische Vorsorgeuntersuchungen durchführt, muss zwingend die Arbeitsplatzverhältnisse der untersuchten Person kennen, denn nur so sind qualifizierte Aussagen zu Wechselwir-kungen von Arbeit und Gesundheit möglich. Der Betriebsarzt, der nach dem ASiG bestellt ist, verfügt idealerweise durch die Beteiligung an der Gefährdungsbeurteilung sowie an Arbeitsplatzbegehungen über die erforderlichen Informationen. Besteht keine Personal-union zwischen Betriebsarzt und untersuchendem Arzt, muss der Arbeitgeber den Arzt mit allen Informationen versorgen, die für die Durchführung der Vorsorgeuntersuchun-gen und der Bewertung der Ergebnisse erforderlich sind. Korrespondierend besteht auch die Verpflichtung des Arztes, sich diese Informationen zu beschaffen.

UntersuchungsartenDie ArbmedVV sieht je nach Gefährdungspotenzial des jeweiligen Untersuchungsanlas-ses eine klare Trennung der Vorsorgeuntersuchungen in Pflicht- und Angebotsuntersu-chungen vor. In Tabellen listet der Anhang der ArbMedVV die konkreten Anlässe für Pflicht- und Angebotsuntersuchungen auf. Er ist wie folgt untergliedert:

Teil I: Tätigkeiten mit GefahrstoffenTeil II: Tätigkeiten mit biologischen ArbeitsstoffenTeil III: Tätigkeiten mit physikalischen Einwirkungen (Lärm, Vibrationen, extreme Hitze-

oder Kältebelastung, Druckluft, Taucherarbeiten, künstliche optische Strahlung)Teil IV: Sonstige Tätigkeiten (Tragen von Atemschutzgeräten, Auslandsaufenthalte mit

besonderen klimatischen Belastungen und Infektionsgefährdungen beispiels-weise in den Tropen, Bildschirmarbeiten).

Die Unfallversicherungsträger haben für ihren Bereich Handlungsanleitungen für die ar-beitsmedizinische Vorsorge (GUV-I 504-NN) herausgegeben. Sie enthalten für den Un-ternehmer ergänzende Hinweise zur Auswahl des zu untersuchenden Personenkreises.

PflichtuntersuchungenPflichtuntersuchungen sind bei bestimmten Tätigkeiten mit besonders hohem Gefähr-dungspotenzial für die Gesundheit vorgeschrieben. Der Arbeitgeber muss Pflichtun-tersuchungen vor Aufnahme der gefährdenden Tätigkeit als Erstuntersuchung und da-nach in regelmäßigen Abständen als Nachuntersuchung veranlassen. Die Durchführung der Pflichtuntersuchungen ist Tätigkeitsvoraussetzung. Über die Pflichtuntersuchungen muss er eine Vorsorgekartei führen. Bei allen Vorsorgeuntersuchungen muss der untersu-chende Arzt den Untersuchungsbefund und das Untersuchungsergebnis schriftlich fest-

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halten und die untersuchte Person entsprechend beraten. Außerdem hat er ihr eine Be-scheinigung mit Angaben zu Anlass, Tag und Ergebnis der Untersuchung auszustellen, d. h. die Bescheinigung muss die ärztliche Beurteilung enthalten, ob und inwieweit bei der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit gesundheitliche Bedenken bestehen. Nur im Falle einer Pflichtuntersuchung erhält der Arbeitgeber eine Kopie dieser Bescheinigung.

Lautet das Ergebnis der Untersuchung „gesundheitliche Bedenken gegen die Ausübung der Tätigkeit“, so muss im Falle unzureichender Schutzmaßnahmen der Arbeitgeber die Gefährdungsbeurteilung überprüfen und unverzüglich die erforderlichen Schutzmaßnah-men treffen. Lassen sich dadurch die gesundheitlichen Bedenken nicht ausräumen, so hat der Arbeitgeber nach Maßgabe der dienst- und arbeitsrechtlichen Regelungen dem Beschäftigten eine andere Tätigkeit zuzuweisen, bei der diese Bedenken nicht bestehen.Halten die untersuchte Person oder der Arbeitgeber das Ergebnis einer Untersuchung für unzutreffend, so kann eine Entscheidung der zuständigen Behörde beantragt werden.

AngebotsuntersuchungenAngebotsuntersuchungen sind bei Tätigkeiten mit einem niedrigeren Gefährdungspoten-zial ebenfalls als Erst- und Nachuntersuchungen vorgesehen. Der Arbeitgeber hat dann dem Beschäftigten zwar regelmäßig ein Untersuchungsangebot zu unterbreiten, aber es liegt beim Beschäftigten, ob er dieses Angebot annimmt oder nicht. Außerdem ist eine automatische Weitergabe des Untersuchungsergebnisses an den Arbeitgeber nicht vor-gesehen. Es steht dem Beschäftigten jedoch frei, bei Angebots- oder Wunschuntersu-chungen den Arbeitgeber selbst über das Ergebnis zu unterrichten. Liegen gesundheitli-che Bedenken vor, löst dies ggf. arbeitsrechtliche Fürsorgepflichten aus.

beispiele für Anlässe für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen nach dem Anhang der ArbMedVV:

Feuchtarbeit: Verrichtet ein Beschäftigter Feuchtarbeit von regelmäßig vier Stunden oder mehr pro Tag, ist die arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung verpflichtend durchzuführen (Pflichtuntersuchung). Bei Feuchtarbeit von regelmäßig mehr als zwei Stunden pro Tag muss die arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung angeboten werden (Angebotsuntersuchung). Als Feuchtarbeit sind nach der Technischen Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 401 alle Tätigkeiten definiert, bei denen Beschäftigte einen erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit Arbeiten im feuchten Milieu ausführen bzw. flüs-sigkeitsdichte Handschuhe tragen oder häufig oder intensiv ihre Hände reinigen.

Lärm: Eine Pflichtuntersuchung muss bei Tätigkeiten mit Lärmexposition durch-geführt werden, wenn die oberen Auslösewerte von L ex,8h = 85 dB(A) bzw. L pC peak = 137 dB(C) erreicht oder überschritten werden. Eine Angebotsuntersuchung muss bei Tätigkeiten mit Lärmexposition erfolgen, wenn die unteren Auslösewerte von L ex,8h = 80 dB(A) bzw. L pC peak = 135 dB(C) überschritten werden. Die dämmende Wirkung eines persönlichen Gehörschutzes der Beschäftigten bleibt bei der Anwen-dung der Auslösewerte jeweils unberücksichtigt.

bildschirmarbeit: Bei Tätigkeiten an Bildschirmarbeitsgeräten muss eine arbeits-medizinische Vorsorgeuntersuchung regelmäßig angeboten werden (Angebotsun-tersuchung).

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Die sogenannten nachgehenden Untersuchungen fallen ebenfalls unter die Kategorie An-gebotsuntersuchungen. Diese müssen Beschäftigten und ehemals Beschäftigten nach Beendigung bestimmter Tätigkeiten angeboten werden, bei denen Gesundheitsstörungen nach längeren Latenzzeiten auftreten können. Konkret handelt es sich dabei um Tätigkei-ten mit Exposition gegenüber bestimmten krebserzeugenden und erbgutverändernden Stoffen. In der Verordnung wird die Möglichkeit eingeräumt, dass die Verpflichtung zur Unterbreitung von Angeboten für nachgehende Untersuchungen vom Arbeitgeber auf den zuständigen gesetzlichen Unfallversicherungsträger übertragen wird, um so den frühzei-tigen Einsatz berufsgenossenschaftlicher Maßnahmen und Leistungen zu unterstützen.

WunschuntersuchungenNeben den Pflicht- und Angebotsuntersuchungen bezieht die ArbmedVV auch Wunsch-untersuchungen mit ein. Damit sind arbeitsmedizinische Untersuchungen gemeint, die der Arbeitgeber nach § 11 Arbeitsschutzgesetz den Beschäftigten auf ihren Wunsch hin zu ermöglichen hat, es sei denn, aufgrund der Gefährdungsbeurteilung ist nicht mit ei-nem Gesundheitsschaden zu rechnen.

durchführung der UntersuchungenIn jedem Falle muss der Arzt vor der Durchführung arbeitsmedizinischer Vorsorgeunter-suchungen die zu untersuchende Person über die Untersuchungsinhalte und den Unter-suchungszweck – einschließlich der Folgen wie Weitergabe des Untersuchungsergebnis-ses bei Pflichtuntersuchungen – aufklären.

Arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen sollen während der Arbeitszeit durchge-führt werden. Sie sollen nicht zusammen mit Untersuchungen zur Feststellung der Eig-nung für berufliche Anforderungen nach sonstigen Rechtsvorschriften (z. B. Verkehrsrecht) oder individual- oder kollektivrechtlichen Vereinbarungen (z. B. Arbeitsvertragsrecht, Be-triebsvereinbarungen, Tarifrecht) stattfinden. Ist die gemeinsame Durchführung jedoch aus betrieblichen Gründen erforderlich, so müssen dem Beschäftigten ausdrücklich die unterschiedlichen Zwecke der Untersuchungen offen gelegt werden. Mit dieser Regelung soll vorsorglich das Persönlichkeitsrecht des Beschäftigten geschützt werden. Denn bei Eignungsuntersuchungen gibt der Arzt regelmäßig das Untersuchungsergebnis an den Arbeitgeber weiter, bei Angebots- oder Wunschuntersuchungen jedoch nicht. Auch der Arzt befindet sich bei den Untersuchungen in verschiedenen Rollen: einmal als „Anwalt des Arbeitsschutzes“, das andere Mal als Vertrauensarzt des Arbeitgebers. Damit das für die Arbeitsmedizin erforderliche und wünschenswerte vertrauliche Arzt-Beschäftigten-Verhältnis nicht gestört wird, sollte er sich seiner unterschiedlichen Rollen bewusst sein.

Eine weitere Aufgabe des Arztes ist es, die Erkenntnisse aus den arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen auszuwerten. Sie sollen für die Gefährdungsbeurteilung und andere Maßnahmen des Arbeitsschutzes genutzt werden. Erhält der Arzt beispielsweise mit Auswertung der Untersuchungsergebnisse Hinweise auf unzureichende Schutzmaß-nahmen, so hat er dies dem Arbeitgeber mitzuteilen und Verbesserungen vorzuschlagen. Für den Arbeitgeber ergibt sich in diesem Fall die Verpflichtung, die Gefährdungsbeur-teilung zu wiederholen und die erforderlichen Schutzmaßnahmen zu treffen. Auf diese Weise können Primär- und Sekundärprävention optimal verknüpft werden.

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LiteraturArbeitssicherheitsgesetz (ASiG)Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV)Informationen „Handlungsanleitungen für die arbeitsmedizinische Vorsorge“ (GUV-I 504-NN)

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4.7 Vergabe von Aufträgen an FremdfirmenHans Günter Abt

Auch im öffentlichen Dienst werden seit einigen Jahren verstärkt Aufgaben an private Dienstleister vergeben. Dieser Sachverhalt ist Grund dafür, das Thema Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Vergabe von Aufträgen an Fremdfirmen genauer zu betrach-ten. Zwei Fragen stehen dabei im Vordergrund:

Inwieweit wird der Auftraggeber durch die Vergabe von Aufträgen an externe Leistungs-erbringer von seiner Verantwortung für Sicherheit und Gesundheitsschutz entbunden?Welche Aufgaben verbleiben dem Auftraggeber im Hinblick auf die Gewährleistung von Sicherheit und Gesundheitsschutz?

VorschriftenMehrere Arbeitsschutzvorschriften sprechen explizit die Verantwortung des Arbeitgebers in der Rolle des Auftraggebers beim Einsatz von Fremdfirmen an:

� Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG): Zusammenarbeit mehrerer Arbeitgeber � Gefahrstoffverordnung (GefStoffV): Zusammenarbeit verschiedener Firmen � Baustellenverordnung (BauStellV): Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordination � Unfallverhütungsvorschrift DGUV Vorschrift 1 „Grundsätze der Prävention“: Zusam-

menarbeit mehrerer Unternehmer, Vergabe von Aufträgen.

Darüber hinaus sind zivil- und baurechtliche Vorschriften zu beachten, die insbesondere die Verkehrssicherung betreffen.

Leitsätze für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Vergabe von Aufträgen � Grundsätzlich übernimmt jeder Arbeitgeber die Verantwortung für die Sicherheit und

den Gesundheitsschutz seiner eigenen beschäftigten bei der Arbeit, solange diese unabhängig und getrennt voneinander ihre Aufgaben erledigen.

Zunächst sind sowohl Auftragnehmer wie auch Auftraggeber verpflichtet, Unfälle und arbeitsbedingte Erkrankungen ihrer jeweiligen Beschäftigten zu verhindern. Für beide sind die Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften relevant, die sie zum Schutz ihrer eigenen Beschäftigten zu erfüllen haben. So ist es Sache jedes Auftragnehmers, der sich um die Zuteilung bemüht, seine Schutzmaßnahmen entsprechend zu planen und in seinem Angebot zu berücksichtigen (z. B. als „Besondere Leistungen“ nach VOB Teil C).

Ist absehbar, dass zur Durchführung der Arbeiten auch Anweisungen an Beschäftigte eines anderen, fremden Unternehmens zu geben sind, ist eine weitere rechtliche Grundlage erforderlich, zum Beispiel eine vertragliche Regelung zwischen Auftragge-ber und Auftragnehmer. Ein Sonderfall ist die Selbstgefährdung von Beschäftigten des Auftragnehmers an der Arbeitsstätte des Auftraggebers. Stellt der Auftraggeber fest, dass Beschäftigte des Auftragnehmers gravierend gegen Schutzmaßnahmen versto-ßen, kann er von seinem Hausrecht Gebrauch machen. Dabei hat er jedoch die Ver-hältnismäßigkeit zu beachten, sonst kann ihn der Auftragnehmer hinterher mit Scha-densersatzforderungen konfrontieren.

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� besondere Arbeitsschutzmaßnahmen können mit der Vergabe vereinbart werden, gehören dann aber auch in die Ausschreibung.

Sofern besondere Schutzmaßnahmen vom Auftraggeber erwartet werden, muss die-ser bereits in der Ausschreibung darauf hinweisen. Beispiele können sein: Verkehrs-sicherungsmaßnahmen an Baustellen, Zugangsbeschränkungen zu bestimmten Be-reichen, Aufsichtsregelungen, besondere Brand- oder Explosionsschutzmaßnahmen oder Geschwindigkeitsbeschränkungen im innerbetrieblichen Verkehr. Sind mit der Vergabe bestimmte Schutzmaßnahmen vertraglich vereinbart, kann der Auftraggeber diese einfordern und eine Vertragsverletzung geltend machen, falls diese nicht erfüllt werden.

Grundsätzlich gelten in der Arbeitsstätte des Auftraggebers die für ihn verbindlichen Unfallverhütungsvorschriften auch für Fremdfirmen. Ebenso müssen ausländische Un-ternehmen die staatlichen Vorschriften und Unfallverhütungsvorschriften beachten, wenn sie in Deutschland tätig werden (§ 16 SGB VII). Insofern können entsprechende Hinweise in der Ausschreibung zur Klarstellung beitragen, auch wenn die Vorschrif-ten davon unabhängig gelten.

� Auftraggeber und Auftragnehmer stehen wechselseitig in der Verantwortung, die be­schäftigten des jeweils anderen betriebs nicht zu gefährden.

Bei der Auftragsvergabe sind mehrere Konstellationen denkbar, bei denen Gefähr-dungen für die andere Seite entstehen können:

– Beschäftigte des Auftragnehmers werden zeitgleich nebeneinander an derselben Arbeitsstätte wie die des Auftraggebers tätig.

– Beschäftigte des Auftragnehmers werden an der Arbeitsstätte des Auftraggebers tä-tig, aber räumlich bzw. zeitlich getrennt.

In jedem dieser Fälle können Gefährdungen auftreten, weil von Tätigkeiten der Be-schäftigten des Auftraggebers Gefährdungen für die Beschäftigten des Auftragneh-mers entstehen können und umgekehrt. Diese wechselseitige Gefährdung ist durch die gegenseitige Information der Vertragsparteien zu ermitteln. Unfälle und Gesund-heitsschäden sind durch Absprachen, Regelungen und ggf. durch zusätzliche Schutz-maßnahmen auszuschließen. Jede Seite ist dafür verantwortlich, dass von ihr keine Gefahr für die jeweils andere Seite ausgeht. Den Auftraggeber trifft darüber hinaus die Verpflichtung, sich zu vergewissern, dass die Beschäftigten des Auftragnehmers über die Gefahren während ihrer Tätigkeit in der Arbeitsstätte des Auftraggebers an-gemessen unterwiesen sind.

Gerade in fremder Umgebung ist es wichtig, dass ein Auftragnehmer die Gefahren vor Ort einschätzen kann, um die richtigen Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Umgekehrt steht er in der Verantwortung, keine Gefahren vor Ort zu hinterlassen, von denen der Auftraggeber und seine Beschäftigten überrascht werden. Maßnahmen, die das ver-hindern, können die gleichen wie im ersten Fall sein: gegenseitige Information, Un-terweisung und ggf. Zugangsbeschränkungen zu bestimmten Arbeitsbereichen.

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� Auftraggeber und Auftragnehmer stehen in der gemeinsamen Verantwortung für Si­cherheit und Gesundheitsschutz, wenn beschäftigte beider Seiten gemeinsam be­stimmte Aufgaben ausführen.

Bei der gemeinsamen Erledigung von Aufgaben durch Beschäftigte zweier Betriebe (direkte Kooperation) sind diese den gleichen Gefährdungen ausgesetzt. Um die ei-genen Beschäftigten zu schützen, muss der Auftraggeber mit dem Auftragnehmer nicht nur Informationen austauschen, sondern eine gemeinsame Gefährdungsbeur-teilung vornehmen und die Schutzmaßnahmen abstimmen. Außerdem muss festge-legt werden, wer Weisungsrecht gegenüber der gemischten Gruppe von Beschäftig-ten hat und die Arbeiten vor Ort koordiniert. Dieser Person sollte in der Regel auch die Verantwortung für Sicherheit und Gesundheitsschutz übertragen werden. Eine Aus-nahme stellt die Baustelle dar: Hier muss ab einer bestimmten Größenordnung ein Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator bestellt werden.

Über den Arbeitsschutz hinaus können durch die Auftragsvergabe weitere Verantwort-lichkeiten des Auftraggebers berührt werden:

� der Schutz dritter kann erforderlich werden. In vielen öffentlichen Betrieben gibt es neben den Beschäftigten weitere Personen-

kreise, deren Schutz gewährleistet werden muss. Zum einen können dies klar umris-sene Gruppen anvertrauter Personen sein wie Kinder in einer Kindertagesstätte oder Schüler in allgemein- oder berufsbildenden Schulen, zum anderen offene Personen-kreise wie etwa Besucher eines Theaters oder der Publikumsverkehr im Bürgerbüro. Deren Sicherheit ist durch den Auftraggeber mitzuplanen und durch den Auftragneh-mer mitzubeachten, möglichst durch weitgehende Abschottung von den in Auftrag gegebenen Arbeiten. Ansonsten setzen sich Auftraggeber und Auftragnehmer dem Vorwurf aus, erforderliche Schutzmaßnahmen unterlassen zu haben.

� der Auftraggeber kann seine Verpflichtung zur Verkehrssicherung auf andere über­tragen. bei der Auswahl hat er die eignung des Auftragnehmers zu prüfen und fest­zustellen.

Gerade bei Betrieben der öffentlichen Verwaltung spielt die Verkehrssicherung im öf-fentlichen Raum eine besondere Rolle. Für die Gefährdung Dritter bei der Ausführung von Arbeiten ist der Auftragnehmer in der Regel selbst voll verantwortlich. Wenn dem Auftraggeber jedoch Gefährdungen Dritter bekannt werden, die auf mangelnde Sicher-heitsmaßnahmen des Auftragnehmers zurückzuführen sind, setzt er sich bei Untätig-keit dem Vorwurf aus, einen fachlich oder persönlich ungeeigneten Auftragnehmer ausgewählt zu haben. Die Zuverlässigkeit hinsichtlich der Sicherheit ist durch Stich-proben genauso zu prüfen wie die Qualität der Auftragsausführung.

� bei der Vergabe von Aufträgen zur Gestaltung von Arbeitsbedingungen muss der Auf­traggeber vom Auftragnehmer die beachtung der Vorschriften verlangen.

Vorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz sind in der Regel weitgehend ver-einheitlicht. Diese Tatsache erleichtert es dem Auftraggeber, den Auftragnehmer dazu anzuhalten, diese Vorschriften zu beachten, soweit Sicherheit und Gesundheitsschutz seiner Beschäftigten vom Ergebnis der Arbeiten abhängen. Bei Bauaufträgen, bei de-nen die Anforderungen an die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bereits im Auf-

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trag formuliert sein sollen, ist dies besonders wichtig. Geplante Zutrittsverbote, Brand-schutz oder Lärmreduzierung sind Beispiele dafür. Dies geschieht am besten in einer vorausschauenden Gefährdungsbeurteilung für die späteren Nutzer der Gebäude. Für einige wenige Betriebsarten gelten darüber hinaus spezielle Vorschriften, die Auftrag-nehmer ggf. nicht kennen, etwa die Unfallverhütungsvorschrift Kassen (GUV-V C9) für Geldinstitute.

� ist der Auftraggeber als betreiber für Arbeitsstätten verantwortlich, so muss er die Vergabe von Aufträgen, die den nutzer der Arbeitsstätte tangieren, so koordinieren, dass auch die beschäftigten von Auftragnehmer und Arbeitsstättennutzer keiner ver­meidbaren wechselseitigen Gefährdung ausgesetzt werden.

Bei dieser Dreieckskonstellation ist eine klare Regelung der Zuständigkeiten zwi-schen Betreiber und Nutzern der Arbeitsstätte zwar Voraussetzung, reicht aber nicht aus. Bei der Vergabe von Aufträgen ist eine weitreichende Koordinierung erforderlich, denn die Gefährdungen, die in der Betriebsstätte auftreten können, sind dem Auftrag-geber möglicherweise nur unzureichend oder überhaupt nicht bekannt. Der Betrei-ber muss deshalb dafür sorgen, dass Informationen über potenzielle Gefährdungen zwischen dem Nutzer der Betriebsstätte und dem Auftragnehmer ausgetauscht und bei Bedarf geeignete Schutzmaßnahmen festgelegt werden. Bei besonderen Gefähr-dungen sind beiderseits Ansprechpartner und Koordinatoren vor Ort festzulegen. Bei-spiele hierfür sind die Reinigungsarbeiten in Labors oder in Schießanlagen der Poli-zei, sofern sie von Fremdfirmen durchgeführt werden. Die erforderliche Abstimmung sollte vertraglich festgeschrieben werden.

Ausreichende information, komplexe VerantwortungDie Verantwortung des Unternehmers für seine Beschäftigten wird durch die Vergabe von Aufträgen nicht verlagert, sondern nur komplexer. Zusätzlich zu den von der Tätigkeit ausgehenden Gefährdungen kommen diejenigen hinzu, die sich durch räumliche oder zeitliche Überschneidungen sowie durch das direkte Zusammentreffen und Kooperieren der Beschäftigten ergeben können. Sicherheit und Gesundheitsschutz können nur durch ausreichende Information und Kommunikation, auf deren Basis über geeignete zusätzli-che Schutzmaßnahmen entschieden wird, gewährleistet werden. Der Verbund aus min-destens zwei Unternehmern, dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer, ggf. noch wei-teren von der Auftragsausführung betroffenen Arbeitgebern, muss bei der Vergabe in der Summe das gleiche Maß an Sicherheit und Gesundheitsschutz erreichen, das bei eige-ner Erledigung der Aufgaben von einem Unternehmer verlangt wird.

Wenn die Vereinbarungen zu Sicherheit und Gesundheitsschutz klar sind und deren Ein-haltung überprüft wird, sollte es auch keine Wettbewerbsverzerrung geben, da für alle die gleichen Rechtsvorschriften gelten.

LiteraturUKH (Hrsg.): Kooperation mit Fremdfirmen. Arbeitsschutz bei Werkverträgen. Schriftenreihe der Un-

fallkasse Hessen Band 12. Wiesbaden: Universum, 2. Auflage 2009

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4.8 ArbeitszeitgesetzHeike duffner

Jedes Arbeitsgebiet stellt eigene Anforderungen an die Gestaltung der Arbeitszeit. Man-che Tätigkeiten werden täglich mehrmals wiederholt, andere benötigen Wochen oder Jahre bis sie endgültig abgeschlossen sind. Es gibt Aufgaben, die eine kontinuierliche Weiterführung durch den Menschen erfordern (Schichtarbeit). Andere können nur zu be-stimmten Tageszeiten ausgeführt oder müssen in der Saison, zum Beispiel im Winter, er-ledigt werden.

Auch der Mensch selbst stellt individuelle Ansprüche an die Gestaltung der Arbeitszeit: Stichworte wie Familienfreundlichkeit, Gesundheitsschutz, sinnvolles Verhältnis zwischen Arbeit, Zeit und Lohn sind Kriterien, die bei der Planung berücksichtigt werden müssen.

Den äußeren Rahmen für all diese Ansprüche stellt das Arbeitszeitgesetz. Innerhalb sei-ner Grenzen soll jede Arbeit für den Menschen und für den Betrieb möglich sein.

Das Arbeitszeitgesetz erfüllt dann seinen Zweck, wenn

� die Sicherheit und der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeitszeitge-staltung sichergestellt ist

� die Rahmenbedingungen für eine flexible Arbeitszeit gegeben sind � Sonn- und Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung geschützt

sind.

Damit Arbeitszeiten individuell, flexibel und intelligent gestaltet werden können, bietet das Arbeitszeitgesetz allgemeine Grundlagen der Arbeitszeitplanung, bei de-ren Einhaltung man davon ausgeht, dass die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht ge-fährdet ist und den gesellschaftlichen Gepflogenheiten (Sonntagsruhe) in Deutsch-land Rechnung getragen wird.

In vielen Branchen haben die Sozialpartner die flexiblen Gestaltungsspielräume des Ar-beitszeitgesetzes genutzt, die es erlauben, in Tarifverträgen oder Betriebs- bzw. Dienst-vereinbarungen ergänzende Regelungen zu treffen.

Zum Beispiel

� kann eine Verlängerung der werktäglichen Arbeitszeit über zehn Stunden zugelassen werden, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und zu einem erheblichen Umfang Arbeits-bereitschaft oder Bereitschaftsdienst fällt (zum Beispiel im Krankenhaus)

� können, unter der Voraussetzung, dass die Gesundheit der Beschäftigten durch einen entsprechenden Zeitausgleich geschützt und die Höchstarbeitszeit von 48 Stunden wöchentlich im Durchschnitt von zwölf Monaten nicht überschritten wird, die Arbeits-, Pausen- und Ruhezeiten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Menschen be-handeln, pflegen und betreuen, so geändert werden, dass sie auf die Tätigkeit zuge-schnitten sind und dem Wohl der betreuten Personen dienen

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� können – unter der eben genannten Vorrausetzung – die Arbeits-, Pausen- und Ru-hezeiten für Beschäftigte im öffentlichen Dienst der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit angepasst werden.

Wird die werktägliche Arbeitszeit über zwölf Stunden hinaus verlängert, so muss unmit-telbar danach eine Ruhezeit von mindestens elf Stunden gewährt werden.Um als Arbeitnehmer die eigene Arbeitszeitregelung kontrollieren und für sich persön-lich individuell gestalten zu können, muss man die für den Arbeitsplatz geltenden Regeln kennen. Dazu wenden sich die Arbeitnehmer an ihren Personal- oder Betriebsrat oder fra-gen in der Personalabteilung nach.

Bei der Erfassung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren (Stichwort: Gefährdungsbeur-teilung, siehe auch Kaptitel 4.3) soll die Arbeitszeit unter den Vorgaben und Prinzipien einer menschengerechten Gestaltung der Arbeit stets berücksichtigt werden. Einige der wichtigsten Regelungen und Begriffe werden nachfolgend erläutert.

Die Arbeitszeit ist die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne Ruhepausen.

Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten. Mon-tag bis Samstag sind Werktage. Sie kann auf bis zu zehn Stunden (60 Stunden wöchent-lich) nur dann verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder inner-halb von 24 Wochen im Durchschnitt die Höchstarbeitszeit von 48 Stunden wöchentlich nicht überschritten wird. Eine Verlängerung des Zeitausgleichs auf zwölf Monate kann in einem Tarifvertrag oder durch Betriebs- bzw. Dienstvereinbarungen festgelegt werden.

Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienste erlauben es, die Arbeitszeit auf über zehn Stunden zu verlängern. Der Gesetzgeber hatte diese Verlängerungsmöglichkeit nicht be-grenzt, sodass sich die Obergrenze der täglichen höchstzulässigen Arbeitszeit aus der Länge des Tages ergibt, also bei 24 Stunden liegt.

Ruhepausen müssen nicht strikt festgelegt sein, aber der zeitliche Rahmen, in dem die Ruhepausen genommen werden können, muss bekannt sein. Ruhepausen gelten nicht als Arbeitszeit. Länger als sechs Stunden hintereinander dürfen Arbeitnehmer nicht ohne Ruhepause beschäftigt werden.

Ruhezeiten zwischen Arbeitsende und Arbeitsbeginn müssen elf Stunden lang sein. In einigen Branchen ist eine Verkürzung der Ruhezeit möglich.

Nachtarbeitnehmer, die in Wechselschicht oder an mindestens 48 Tagen im Jahr auch zwischen 23 bis 6 Uhr arbeiten, sind besonders geschützt. Der Gesetzgeber gibt ihnen die Möglichkeit einer zusätzlichen medizinischen Untersuchung, um potenzielle Gesund-heitsrisiken zu vermeiden.

Weiterführende LinksSozialnetz Hessen: www.sozialnetz.deBundesministerium für Arbeit und Soziales: www.bmas.deBundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: www.baua.de

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4.9 Schutz für besondere PersonengruppenHans Günter Abt

Rechtsvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz beziehen sich in der Regel auf Gefährdungen, die mit Tätigkeiten oder Arbeitssituationen verbunden sind. Sie gehen von der üblichen Belastbarkeit erwachsener und gesunder Beschäftigter aus. Für schwangere und stillende Frauen gelten ebenso wie für Jugendliche besondere rechtliche Regelun-gen, weil bei ihnen die Grenzen unbedenklicher Belastungen niedriger anzusetzen sind. Regelungen für diese Gruppen rechnet man deshalb dem „sozialen Arbeitsschutz“ zu. Angesichts der Zunahme älterer Beschäftigter ist außerdem häufiger damit zu rechnen, dass in Mitgliedsbetrieben mehr Beschäftigte mit vorübergehenden oder bleibenden ge-sundheitlichen Beeinträchtigungen tätig sind. In diesen Fällen kommen weitere Vorschrif-ten zur Anwendung, die über den Arbeitsschutz hinausreichen. Der Arbeitgeber hat den genannten Gruppen besondere Aufmerksamkeit zu widmen, um Sicherheit und Gesund-heitsschutz für sie zu gewährleisten.

Schwangere und stillende FrauenDie Erwerbstätigkeit von Frauen ist zur Normalität geworden. Im öffentlichen Dienst wächst der Anteil der Frauen stetig. Die Mehrheit der Angestellten im hessischen öffentlichen Dienst sind Frauen, in sozialen Bereichen überwiegen sie deutlich. Mithin sind Sicher-heit und Gesundheitsschutz für schwangere und stillende Frauen in Mitgliedsbetrieben der UKH ständige Herausforderungen.

Vorschriften zur Mutterschaft erwerbstätiger Frauen � Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mütter (Mutterschutzgesetz – MuSchG seit

1952) � Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz (MuSchArbV seit 1997)1

Schutzziele für schwangere und stillende FrauenDie besonderen Regelungen für schwangere Frauen und stillende Mütter richten sich so-wohl auf den Schutz der Frau und Mutter vor den Gefahren der Arbeit als auch auf den Schutz des ungeborenen bzw. neugeborenen Kindes. Erstes Ziel ist der möglichst unge-störte Verlauf der Schwangerschaft und der Stillzeit, soweit Arbeitseinflüsse hierbei von Bedeutung sind. Die Konstitution der Mutter soll nicht durch die Arbeit geschwächt wer-den. Sie soll außerdem während der Entwicklung der Leibesfrucht bis zum Abstillen vor schädlichen mechanischen, physikalischen, chemischen und biologischen Einwirkun-gen geschützt werden.

Schutzmaßnahmen bei Schwangerschaft und StillzeitZur Verhütung von Schäden für Frauen und deren Nachwuchs sehen die Vorschriften Maß-nahmen des Arbeitgebers vor, die bei schwangeren und stillenden Frauen über die Schutz-maßnahmen für die üblichen Beschäftigten hinausgehen. Die Arbeit ist so zu gestalten, dass für Frauen und ihre Frucht bzw. ihr Kind keine Gefährdung entsteht. Arbeitsbelas-tungen sind entsprechend anzupassen. Dazu ist für die betroffene Frau eine individuelle

1 Die häufig zitierte Mutterschutz-Richtlinienverordnung hat die MuSchArbV in Kraft gesetzt (sogenanntes Artikelgesetz). Unter den geltenden Gesetzen findet man nur die MuSchArbV.

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Beurteilung der Arbeitsbedingungen vorzunehmen. Die Hauptgefährdungsfaktoren, vor denen sie zu schützen ist, sind

� Arbeitsstoffe, vor allem mit Wirkungen auf die Entwicklung des Fötus oder auf die Muttermilch

� biologische Stoffe, insbesondere solche mit Einflüssen auf den Fötus oder auf eine mögliche Infektion des Kindes

� körperliche Überbeanspruchung, sowohl die Gesamtbeanspruchung als auch ein-seitige Beanspruchungsmuster, die Fehlgeburten fördern oder die Muttermilchpro-duktion verhindern

� psychische Überbeanspruchung mit vergleichbaren Folgen.

Auf die Beurteilung baut ein gestuftes Vorgehen auf. Zu prüfen ist, welche Maßnahmen zum Schutz ausreichen. Genügt die Anpassung von Arbeitsbedingungen, so ist dies Pflicht des Arbeitgebers. Wenn nicht, dann kommen der vorübergehende Arbeitsplatzwechsel oder die Freistellung von der Arbeit in Betracht. Über die getroffenen Maßnahmen sind die betroffene Frau, deren direkter Kollegenkreis sowie der Personalrat zu unterrichten. Wenn bestimmte Gefährdungen vorliegen, sieht der Gesetzgeber Beschäftigungsbeschränkun-gen und -verbote vor. Sie betreffen vor allem den Umgang mit bestimmten Stoffgruppen, aber auch die Arbeitszeiten und extreme körperliche Belastungen.

KinderIn Deutschland ist es üblich, dass Kinder keiner oder nur begrenzter Erwerbstätigkeit nachgehen. Für sie gilt die Schulpflicht. Damit verhindert der Staat die Ausbeutung von Kindern und sichert ihnen einen Bildungsanspruch zu. In wenigen Ausnahmefällen kön-nen Kinder trotzdem für öffentliche Arbeitgeber tätig werden:

� Im Kulturbereich wirken Kinder in Musik- und Theateraufführungen mit. � Kinder dürfen ab dem 14. Lebensjahr Nachhilfeunterricht geben. � Dieselbe Altersgruppe darf bei der Verteilung der Gemeindenachrichtenblätter mit-

helfen. � Kinder nehmen an therapeutischen Beschäftigungen oder an erzieherischen Maß-

nahmen aufgrund richterlicher Anordnung teil. � Als Betriebspraktikanten dürfen Kinder während der Schulausbildung mitarbeiten. � Bei Vereins- oder Parteiveranstaltungen ohne Gewerbecharakter dürfen sie leichte

Tätigkeiten übernehmen.

Vorschriften zur KinderarbeitDas Regelwerk für Kinder ist leicht überschaubar. Grundlage für die Verordnung ist das Jugendarbeitsschutzgesetz. Die Vorschriften unterscheiden zwischen Kindern vor Vollen-dung des 13. Lebensjahrs und solchen vor Vollendung des 15. Lebensjahres. Für 13- und 14-Jährige lässt der Gesetzgeber etwas mehr Spielraum für Beschäftigungen. Für alle, die noch am Vollzeitschulunterricht teilnehmen, gelten die Vorschriften für Kinder auch über das 15. Lebensjahr hinaus weiter. Für Privathaushalte und landwirtschaftliche Familien-betriebe gelten übrigens traditionell spezielle Ausnahmeregelungen.

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� Gesetz zum Schutz der arbeitenden Jugend (Jugendarbeitsschutzgesetz – JArbSchG seit 1976)

� Verordnung über den Kinderarbeitsschutz (Kinderarbeitsschutzverordnung – Kind-ArbSchV seit 1998).

Schutzziele für KinderFür Kinder birgt Überbeanspruchung im Wachstum ein hohes Risiko für körperliche und seelische Fehlentwicklung. Hinzu kommt, dass Kindern die Erfahrung fehlt, um Unfall- oder Krankheitsrisiken richtig einzuschätzen. Die Schutzvorschriften sollen gewährleisten, dass Kinder vor Verletzungen, Wachstumsschäden oder frühzeitigen Verschleißerschei-nungen geschützt sind. Auch sollen schädliche sittliche Einflüsse von ihnen ferngehal-ten werden. Kinder sollen eine Chance auf eine gesunde körperliche und seelische Ent-wicklung erhalten. Die für ihre Zukunft wichtige schulische Bildung soll gesichert werden.

Schutzmaßnahmen für KinderBeschäftigungsverbote und -beschränkungen sind das Hauptinstrument, um Kinder zu schützen. So besteht bis zur Vollendung des 13. Lebensjahres ein generelles Beschäf-tigungsverbot mit ganz wenigen Ausnahmen, zum Beispiel im Rahmen der Ausbildung und – genehmigungspflichtig – im Kulturbereich. Der Gesetzgeber geht mit seiner Ver-ordnung den im Arbeitsschutzrecht ungewöhnlichen Weg, eine Positivliste von Tätigkei-ten vorzugeben, die für 13- und 14-Jährige erlaubt sind. Gleichzeitig werden enge Zeitgren-zen für deren Beschäftigung gesetzt, die einen Konflikt mit schulischen Anforderungen ausschließen sollen. Für die geringe Zahl der Kinder, die sich bereits in Berufsausbildung befinden, gelten die Regelungen für Jugendliche.

JugendlicheAuch wenn ein wachsender Teil der Jugendlichen sich in Vollzeit in der Schulausbildung befindet, so steigt doch eine erhebliche Anzahl bereits in ein Ausbildungs- oder Arbeits-verhältnis ein (ca. 25 bis 30 %). In der Berufsausbildung sind bereits die meisten Gefähr-dungen anzutreffen, die mit der zu erlernenden Berufstätigkeit verbunden sind.

Vorschriften zu Jugendlichen beim Eintritt ins ErwerbslebenZu Jugendlichen zählen alle, die das 15., aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, dazu Jüngere in Berufsausbildung. Wie bei Kindern gibt es nur wenige spezielle Vorschriften für sie. Basis ist auch hier wiederum das Jugendarbeitsschutzgesetz. Aller-dings liegt der Schwerpunkt bei Jugendlichen auf Schutzvorschriften, die sich auf die Ar-beit beziehen und weniger auf dem Ausschluss von Beschäftigungen.

� Gesetz zum Schutz der arbeitenden Jugend (Jugendarbeitsschutzgesetz – JArbSchG seit 1976)

� Verordnung über die ärztlichen Untersuchungen nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz (Jugendarbeitsschutzuntersuchungsverordnung – JArbSchUV seit 1990)

� Verordnung über das Verbot der Beschäftigung von Personen unter 18 Jahren mit sitt-lich gefährdenden Tätigkeiten (JArbSchSittV seit 1964).

Schutzziele für JugendlicheWachstum, psychische Verfassung und soziale Kompetenz sind nicht bei allen Jugend-lichen gleich fortgeschritten. Sie müssen die für ihre Tätigkeit erforderlichen Fertigkei-

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ten mit der Ausbildung und praktischen Übungen erst erwerben. Außerdem sollen sie eine realistische Einschätzung von Risiken erhalten, anstatt mit einem fast unbegrenz-ten Selbstvertrauen in die eigene Leistungs- und Kontrollfähigkeit auf ihr Glück zu bauen. Angesichts von erwartbaren Fehleinschätzungen und Leichtsinn ist es besonders wich-tig, dass Jugendliche möglichst rasch die existierenden Gefahren kennenlernen und die Schutzmaßnahmen verstehen und akzeptieren. Für diesen Lernprozess brauchen sie gute Vorbilder und zuverlässige Aufsicht. Außerdem soll den Jugendlichen eine qualifizierte Berufsausbildung vermittelt werden, womit überhöhte Arbeitsanforderungen nicht ver-einbar sind. Gesundheit und soziale Integration stehen als gleichberechtigte Ziele ne-beneinander. Die Verantwortung für Jugendliche umfasst auch bei der Arbeit einen päd-agogischen Auftrag.

Schutzmaßnahmen für JugendlicheDie Aufgaben des Arbeitgebers für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Beschäfti-gung Jugendlicher sind keine grundsätzlich neuen, sondern an die Altersgruppe angepasst:

� Die Gestaltung der Arbeitsstätte und die Beurteilung der Arbeitsbedingungen sollen die besondere Gefährdung Jugendlicher explizit berücksichtigen. In der Gefährdungs-beurteilung werden demnach relevante Aspekte wie jugendliche Neugier und Unbe-kümmertheit ebenso mit betrachtet wie Unkenntnis und Unerfahrenheit im Umgang mit Aufgaben und Gefahren.

� Vor Aufnahme der Tätigkeit und danach mindestens halbjährlich sind Jugendliche zu unterweisen (§§ 28, 29 JArbSchG). Dabei ist selbstverständlich die Sichtweise der Jugendlichen zu berücksichtigen, damit diese ihre besondere Gefährdung erkennen sowie sichere und gesundheitsverträgliche Arbeits- und Verhaltensweisen erlernen und akzeptieren.

� Die Vorschriften sehen eine intensive medizinische Betreuung Jugendlicher durch wie-derholte Untersuchungen vor, erstmalig vor Aufnahme der Tätigkeit, dann nach einem Jahr und gegebenenfalls bei auffälliger Konstitution oder Disposition (§§ 32 ff. JArb-SchG). Diese Untersuchungen müssen nicht zwangsläufig vom Betriebsarzt durchge-führt werden.

Wie bei Kindern bestehen Beschäftigungsbeschränkungen für Tätigkeiten und Arbeits-formen mit höheren Risiken, die Jugendliche vor Überbeanspruchung und schädlichen Einwirkungen schützen sollen (§§ 22 ff. JArbSchG). Als schädigend stuft der Gesetzgeber insbesondere die folgenden Arbeitsbedingungen ein:

� hohe physische oder psychische Beanspruchung � unfallträchtige Tätigkeiten � außergewöhnliche Hitze, Kälte oder Nässe � hohe Pegel von Lärm, Erschütterungen oder Strahlung � Umgang mit Gefahrstoffen � Umgang mit biologischen Arbeitsstoffen � Akkordarbeit � sittliche Gefährdung.

Darüber hinaus gibt es mannigfaltige Begrenzungen für die Arbeitszeiten Jugendlicher (§§ 8 ff. JArbSchG). Ausnahmeregelungen gelten jedoch für Ausbildungsgänge, die die genannten Tätigkeiten oder Arbeitsbedingungen einschließen.

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In der Rechtsprechung wird die Aufsicht über Jugendliche als Teil der Arbeitgeberverant-wortung besonders betont. Insofern ist es ratsam, auf Fehler von Jugendlichen, die zu Unfällen oder arbeitsbedingten Erkrankungen führen können, sowie auf Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften rasch und konsequent zu reagieren. Außerdem gilt: Jugendliche dürfen nicht unter der Leitung oder Aufsicht von straffälligen oder wiederholt ordnungs-widrig handelnden Personen bis fünf Jahre nach Verbüßung einer Tat oder der letzten Ordnungswidrigkeit (§ 25 JArbSchG) arbeiten. Damit werden Jugendliche vor der Verlei-tung zu rechtswidrigen oder unsittlichen Handlungen geschützt und einer zuverlässigen Aufsicht unterstellt.

Personen mit gesundheitlicher beeinträchtigung oder behinderungGesundheitliche Beschwerden sind auch unter Erwerbstätigen etwas Normales. Das be-legen Erhebungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und von Kran-kenkassen. Völlig gesunde Mitarbeiter sind danach in der Minderheit. Beschäftigte ge-hen immer wieder mit Gesundheitsbeschwerden oder Krankheiten zur Arbeit, einige mit einer chronischen Erkrankung. Zu Beeinträchtigungen werden gesundheitliche Probleme dann, wenn sie entweder die Unfallgefährdung erhöhen, die Ausführung der Tätigkeiten behindern oder aber durch die Tätigkeit eine weitere Verschlechterung des Gesundheits-zustandes eintritt. In diesen Fällen ist die Fürsorge des Arbeitgebers gefragt. Etwa 4 % aller Beschäftigten sind aufgrund von gesundheitlichen Beeinträchtigungen als Schwer-behinderte oder Gleichgestellte offiziell anerkannt.

nacken­/Schulter­schmerzen

Allg. Müdigkeit

Kreuzschmerzen

Kopfschmerzen

Augenschmerzen

Hautreizung

burnout

Schmerzen in brust

Schwindelgefühl

depressionen

0 10 20 30 40 50

in behandlung ohne behandlung

Abb. 1: Ausgewählte beschwerden während bzw. nach der Arbeit und ärztliche behandlung. Quelle: bibb­bAuA­erwerbstätigenbefragung 2005/2006: 20.000 befragte.

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VorschriftenFür den genannten Personenkreis gibt es keine speziellen Arbeitsschutzvorschriften. Man muss daher zunächst die allgemeinen Vorschriften heranziehen. Explizite Regelun-gen sind des Weiteren im Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) enthalten. Der Fokus im SGB IX richtet sich darauf, die Arbeitsfähigkeit behinderter oder von Behinderung be-drohter Personen zu erhalten bzw. wenigstens teilweise wiederherzustellen.

Weil es keinen eindeutigen Übergang zwischen vorübergehenden und chronischen Be-einträchtigungen gibt, hat der Gesetzgeber festgelegt, dass dann von Behinderung ge-sprochen wird, wenn die Beeinträchtigung im Vergleich zur Altersgruppe sechs Monate überschreitet und die gesellschaftliche Teilhabe erschwert. Schwerbehinderung setzt vo-raus, dass eine Behinderung von mindestens 50  % gegeben ist (§ 2 SGB IX).

� Neuntes Buch Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX von 2001)

� Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“, insbesondere § 7 (GUV-V A1)

Schutzziele bei gesundheitlichen BeeinträchtigungenVorliegende körperliche, geistige oder seelische Beeinträchtigungen sollen berücksich-tigt werden, damit die Betroffenen dennoch sicher und ohne gesundheitlichen Schaden arbeiten können. Die Gefahren bei kurzfristiger Beeinträchtigung sowie andauernder Krankheit oder Behinderung sollen individuell berücksichtigt werden. Wer Aufgaben aus gesundheitlichen Gründen nicht sicher ausführen kann, soll nur solche Tätigkeiten aus-führen, die er ohne besonderes Risiko erledigen kann. Die Arbeit soll den Gesundheits-zustand auch nicht verschlechtern, indem vorliegende Beschwerdebilder verstärkt wer-den. Die Sicherheit soll ebenfalls gewährleistet werden.

Schutzmaßnahmen bei gesundheitlichen BeeinträchtigungenDie UVV „Grundsätze der Prävention“ (GUV-V A1) verlangt, dass die Befähigung von Be-schäftigten vor der Übertragung von Aufgaben auf Arbeitgeberseite berücksichtigt wird und geht davon aus, dass auch die bekannten Gefährdungen bewältigt werden können (siehe § 7). Gesundheitliche Beeinträchtigungen sind Anlässe für fehlende Befähigung. Der Arbeitgeber muss deshalb seine Verantwortung bei der Auswahl von Beschäftigten für eine Tätigkeit wahrnehmen. Dies kann, muss aber nicht durch den Betriebsarzt fest-gestellt werden. Zu den alltäglichen Beispielen zählt die vorübergehende Entlastung von bestimmten Tätigkeiten wegen akuter Beschwerden oder der Einnahme von Medikamen-ten. Typische Fälle sind die Entlastung von Tätigkeiten mit Absturzgefährdungen, von Al-leinarbeit, von Fahrtätigkeit oder von Arbeiten, die in ungünstiger Haltung erledigt wer-den müssen. Bei lang andauernden oder chronischen Gesundheitsproblemen kann die Anpassung der Arbeitsbedingungen oder eine Umsetzung des Arbeitnehmers erforder-lich werden. Dies ist in einer individuellen Gefährdungsbeurteilung zu ermitteln.

Als Anspruch an die Unternehmen fordert der Gesetzgeber das frühzeitige Eingreifen bei drohender Behinderung, wofür er die Grenze bei mehr als sechs Wochen krankheitsbe-dingtem Ausfall innerhalb eines Jahres zieht (§ 84 SGB IX). In diesen Fällen soll ein be-triebliches Eingliederungsmanagement (BEM) praktiziert werden. Dabei sollen sowohl arbeitsbedingte Ursachen für die gesundheitliche Beeinträchtigung ermittelt als auch Möglichkeiten der individuellen Anpassung von Tätigkeiten oder Arbeitsbedingungen

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geprüft werden. Das BEM setzt allerdings das Einverständnis der betroffenen Beschäf-tigten voraus.

Für Beschäftigte, die als Behinderte anerkannt sind, verlangt der Gesetzgeber die ange-messene Gestaltung der Arbeitsumgebung und des Arbeitsplatzes „unter besonderer Be-rücksichtigung der Unfallgefahr“ (§ 81 SGB IX). Schwerbehinderten werden Sonderrechte bezüglich der Arbeitszeitregelungen eingeräumt sowie zusätzliche Urlaubstage gewährt (§ 124, 125). Hinzu kommen eine besondere arbeitsmedizinische Betreuung und weitere Leistungen zur individuellen Prävention und Gesundheitsförderung, die in Integrations-vereinbarungen niedergelegt werden sollen (§ 83).

Überwachung zum sozialen ArbeitsschutzDie Überwachung der hier behandelten Arbeitsschutzvorschriften obliegt den staatli-chen Arbeitsschutzbehörden, in Hessen den Regierungspräsidien. Sie nehmen auch die vorgeschriebenen Meldungen entgegen, zu denen die Arbeitgeber bei Schwangerschaft von Beschäftigten und bei der Beschäftigung von Kindern oder Jugendlichen verpflich-tet sind. Die Beschäftigung von Schwerbehinderten wird hingegen durch den Arbeitge-ber an die Agentur für Arbeit und über diese dem zuständigen Integrationsamt gemeldet.

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4.10 Prävention von Wegeunfällen in der betrieblichen Praxisrainer Knittel

Sicherheit auf allen WegenAlle 90 Minuten erleidet ein Versicherter der Unfallkasse Hessen einen Unfall auf dem Weg von oder zur Arbeit! Diese Wege werden häufig als Privatsache der Beschäftigten an-gesehen, in die sich der Arbeitgeber nicht einzumischen hat. Diese Sicht greift aber zu kurz: In den meisten Branchen ereignen sich deutlich mehr Unfälle auf den Arbeitswe-gen als bei betrieblichen Fahrten.

Wegeunfälle – gerade von Berufspendlern – sind überdurchschnittlich häufig Unfälle mit zum Teil schweren und lebenslangen Unfallfolgen. Die Ausfallzeiten und finanziel-len Auswirkungen für die Betroffenen und den Arbeitgeber sind dabei erheblich. Vier von fünf tödlichen Unfällen im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit sind durch We-geunfälle verursacht.

Heute selbstverständliche Mobilitätsanforderungen an den Arbeitnehmer bedeuten zu-nehmend mehr Zeit und Risiko für den Weg zur Arbeit als für die Arbeit selbst. Die Redu-zierung von Wegerisiken (beruflich wie privat) ist deshalb für Arbeitnehmer und Unter-nehmer gleichermaßen wichtig.

chancen einer betrieblichen WegeunfallpräventionNeben der ohnehin bestehenden gesetzlichen Verpflichtung des Arbeitgebers, Vorsorge-maßnahmen für arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu treffen (§§ 8,21 SGB VII), be-deuten wirkungsvolle betriebliche Schutzmaßnahmen für Wegetätigkeiten zusätzlich ei-nen wichtigen Beitrag für

� den betrieblichen Gesundheitsschutz generell � die Innen- und Außenwirkung eines Unternehmens � die betriebswirtschaftliche Situation eines Unternehmens.

Letztlich ermöglicht ein modernes Mobilitätsmanagement dem Arbeitnehmer schnell, ef-fizient und sicher Wege zurückzulegen. Das ist Problem und Chance zugleich: Zum einen gibt es praktisch zahllose direkte und indirekte betriebliche Einflussfaktoren, die zu einem Wegerisiko führen können. Zum anderen wirken besonders beim Weg von oder zur Arbeit auch private Belange in die betriebliche Sphäre hinein. Hinzu kommt der Faktor Zufall, der im öffentlichen Straßenverkehr einen Unfall verhindern oder mit verursachen kann.

Trotzdem: Die Unfallkasse Hessen unterstützt ihre Mitgliedsbetriebe intensiv, den opti-malen betrieblichen Maßnahmenmix (weiter)zuentwickeln.

Ein erfolgreiches und sicheres betriebliches Mobilitätsmanagement braucht:

� die Unternehmensphilosophie „Gehen und Fahren sind Arbeit“ � die Kenntnis des Instrumentariums � einen betrieblichen „Kümmerer“.

Nicht mehr und nicht weniger!

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Gehen und Fahren sind ArbeitDie bewusste Einbeziehung von Wegetätigkeiten in den betrieblichen Arbeitsschutz ist Grundvoraussetzung für eine gelebte Unternehmensphilosophie, die von oben nach un-ten durch alle Hierarchieebenen wichtiger Teil des Arbeitsalltags ist.

Den Verantwortlichen ist bewusst, dass das Fahren von Gabelstaplern oder Einsatzfahr-zeugen zur Arbeit zählt und hinsichtlich der Arbeitsschutzvorschriften genauso zu be-werten ist wie etwa das Bedienen einer Maschine oder eines PCs. Grundlagen sind hier das Arbeitsschutzgesetz, die zugehörigen Verordnungen sowie die Unfallverhütungsvor-schriften und Regeln der Unfallkassen und Berufsgenossenschaften.

Bei Fahrten im Straßenverkehr wird diese Tatsache gelegentlich übersehen – ein riskan-ter Trugschluss. Mit der eigentlichen Arbeitstätigkeit verbundene Wege zählen klar zur beruflichen Tätigkeit und unterliegen damit der Arbeitsschutzgesetzgebung. Der Unter-nehmer – wie auch die Beschäftigten – müssen daher bei Fahrtätigkeiten die erforderli-chen Maßnahmen zum Schutz vor Unfällen und Gesundheitsgefahren treffen wie an je-dem anderen Arbeitsplatz im Betrieb.

Das Zurücklegen von Wegen zwischen Wohnung und Arbeitsstelle ist in der Regel ebenso unvermeidbar wie auch die damit verbundenen Risiken. Konsequenterweise besteht auf allen Wegen von und zur Arbeitsstelle auch gesetzlicher Unfallversicherungsschutz, der von den Arbeitgebern allein finanziert wird. Ohne nähere rechtliche Verpflichtung sind konkrete Präventionsangebote und Maßnahmen des Arbeitgebers für diese letztlich „au-ßerbetrieblichen Risiken“ des Mitarbeiters für alle Beteiligten zwar freiwillig, aber den-noch wichtig und wirkungsvoll. Im Kontext Betrieb sind Mitarbeiter oftmals besonders offen für eine Sicherheitskultur und bereit, ihr eigenes Verkehrs- und Mobilitätsverhal-ten sicher und unfallfrei zu gestalten.

Der Unternehmer trägt die Verantwortung für die Durchführung der Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren (§ 21 Abs. I SGB VII).

Zu den Arbeitsunfällen im Sinne des Unfallversicherungsrechts gehören auch die Wegeunfälle (§ 8 SGB VII).

Systematische erfassung der WegerisikenDie systematische Implementierung von Wegerisiken in die betriebliche Praxis der Ge-fährdungsbeurteilungen ist dabei ein wichtiger Schritt. Gemeinsam sollten Arbeitnehmer und die Fachkraft für Arbeitssicherheit ein Risikoprofil für Wegetätigkeiten erstellen und Sicherheitsmaßnahmen vereinbaren.

Die wichtigsten Kriterien sind dabei:

� persönliche Mobilitätserfahrungen � persönliche Risikobereitschaft � persönliche Unfallbiographie

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� individuelle Risiken des Arbeitsweges � spezielle Risiken von Dienst- bzw. Betriebswegen � betriebliche Rahmenbedingungen (technisch, organisatorisch, personell).

Daraus abgeleitete individuelle und betriebliche Maßnahmen technischer, organisatori-scher und persönlicher Art gewährleisten ein Mehr an Sicherheit auf allen Wegen.

In der Praxis werden mögliche technische Lösungen gerne übersehen. Daher sollte be-wusst grundsätzlich in allen Bereichen stets auch nach technischen Sicherungsmaßnah-men gesucht werden.

Mehr (Wegeunfall­)PräventionVielfach werden betriebliche Maßnahmen angeboten, die mit dem passenden Zuschnitt auch Wegerisiken deutlich senken können. Ein Beispiel: Berufliche Vielfahrer üben eine sitzende Tätigkeit aus und sind – zumindest in LKWs und Baumaschinen – auch starken Vibrationen ausgesetzt. Daraus können Belastungen der Wirbelsäule und Rückenschmer-zen resultieren. Leider werden Angebote der Gesundheitsförderung wie Ausgleichs-gymnastik und Rückenschulen primär den Bürobeschäftigten angeboten (die Außen-dienstmitarbeiter sind dann schon unterwegs). Es ist aber durchaus möglich, durch eine entsprechende Organisation der gesundheitsfördernden Angebote, auch die Außen-dienstmitarbeiter besser zu erreichen.

Generell hat jeder Arbeitgeber große Einflussmöglichkeiten auf das Mobilitätsverhalten seiner Mitarbeiter. So kann er die Bildung von Fahrgemeinschaften fördern. Studien bele-gen, dass deren Mitglieder sicherer unterwegs sind. Defensiv ausgerichtete PKW-Fahrtrai-nings erhöhen nachweislich die Sicherheit. Der Arbeitgeber kann bei Radfahrern darauf achten, dass diese nur mit Helm auf dem Betriebsgelände fahren, er kann die Helmnut-zung im öffentlichen Straßenverkehr bewerben oder konkret unterstützen. Ein Job-Ticket fördert den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel und bringt mehr Sicherheit. Die An-passung der Arbeitszeiten an die ÖPNV-Zeiten oder umgekehrt hilft mitunter auch. Der Fantasie sind hierbei keine Grenzen gesetzt.

Die UKH unterstützt ihre Mitgliedsbetriebe konkret mit:

� PKW-Fahrttrainings („UKH-GeFahrtraining“) � Seminarangeboten zur Reduzierung (schwerer) Wegeunfälle � Kurzworkshops zu Spezialthemen auf Anfrage (z. B. Fahrradunfälle, Stolper-Rutsch-

Sturz-Unfälle) � Medien für die betriebliche Verkehrssicherheitsarbeit � Unterstützung bei der Durchführung von betrieblichen Aktionstagen.

Die UKH arbeitet hierbei eng mit weiteren Institutionen und Akteuren der Verkehrssicher-heitsarbeit (Deutscher Verkehrssicherheitsrat, Automobilverbände, Allgemeiner Deut-scher Fahrrad Club e.V.) und anderen zusammen.

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In den kommunalen und staatlichen Einrichtungen kommen die unterschiedlichsten Ar-beitsplätze mit vielfältigen Anforderungen an die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Arbeit-nehmer vor. Diesen Anforderungen an die Arbeitnehmer müssen die Arbeitsplätze durch eine ergonomische und sicherheitstechnische Gestaltung gerecht werden. Neben reinen Verwaltungstätigkeiten in Ein- und Mehrpersonenbüros kommen handwerkliche Tätigkei-ten wie in der Grünpflege, der Straßenunterhaltung oder in Bauhöfen, Dienstleistungen wie in der Gebäudereinigung oder im Gesundheitsdienst vor. Auch komplexe technische Anlagen wie in Forschungseinrichtungen, Flughäfen oder Theatern werden von kommu-nalen und staatlichen Betrieben unterhalten. Einige grundsätzliche Anforderungen an die ergonomische Gestaltung der Arbeitsstätten und die Erhaltung der Betriebssicher-heit sollen in den folgenden Kapiteln behandelt werden.

Neben einem Überblick über die grundsätzlichen Anforderungen an Arbeitsstätten wer-den die ergonomischen Anforderungen an Büro- und Bildschirmarbeitsplätze behandelt. Darüber hinaus werden die Bestimmungen zur Betriebssicherheit, insbesondere der si-chere Betrieb von Arbeitsmitteln, Anlagen und Maschinen angesprochen.

Arbeitsstätten und betriebssicherheitWolfgang baumannV

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5.1 Allgemeine Anforderungen an ArbeitsstättenWolfgang baumann

Anforderungen an Arbeitsstätten ergeben sich vorrangig aus der Arbeitsstättenverord-nung, aber auch aus anderen Rechtsquellen wie dem Baurecht oder allgemein anerkann-ten Regeln der Technik und aus gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen.

baurechtDie grundlegenden Anforderungen, die ein Gebäude erfüllen muss, sind in den Landes-bauordnungen zusammengefasst. Die in Hessen geltende Landesbauordnung (HBO) wurde zuletzt im Jahr 2010 geändert.

Gemäß den Regelungen der HBO sind bauliche Anlagen sowie andere Anlagen und Ein-richtungen so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass die öf-fentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet werden. Die verwendeten Bauprodukte müssen ge-währleisten, dass die baulichen Anlagen bei ordnungsgemäßer Instandhaltung während einer dem Zweck entsprechenden angemessenen Zeitdauer die Anforderungen des Bau-rechts erfüllen und gebrauchstauglich bleiben. Bei der Errichtung von baulichen Anlagen sind die von der obersten Bauaufsichtsbehörde durch öffentliche Bekanntmachung als technische Baubestimmungen eingeführten Technischen Regeln zu beachten.

Die Ziele des Baurechts sind eine mit dem Straßen-, Orts- und Landschaftsbild im Ein-klang stehende Gestaltung, die Standsicherheit der baulichen Anlagen, der Schutz vor Gefahren durch schädliche Einflüsse (z. B. Feuchtigkeit, Witterung oder physikalische, chemische und biologische Einflüsse), die Vorbeugung vor der Entstehung und Ausbrei-tung von Feuer und Rauch, der Wärme-, Schall- und Erschütterungsschutz sowie die Ver-kehrssicherheit auf dem Grundstück. Entsprechend diesen Zielen werden Anforderungen beispielsweise an Wände und Decken, Verkehrs- und Rettungswege, Fenster und Türen oder an die Abmessungen von Räumen formuliert.

ArbeitsstättenverordnungDie Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) soll den Schutz der Beschäftigten an Arbeits-stätten in Gebäuden und im Freien sicherstellen. Die ArbStättV wurde im Jahr 2004 no-velliert und der Konzeption des Arbeitsschutzgesetzes angepasst. Dementsprechend fin-den sich in der neuen ArbStättV weniger konkrete Vorgaben als allgemeine Schutzziele, die eine höhere Eigenverantwortung des Arbeitgebers bei gleichzeitig erweitertem Hand-lungsspielraum zulassen.

Der Arbeitgeber hat zunächst festzustellen, ob die Beschäftigten beim Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten Gefährdungen ausgesetzt sind oder ausgesetzt sein kön-nen. Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, dass Arbeitsstätten so eingerichtet und betrie-ben werden, dass von ihnen keine Gefährdungen für die Sicherheit und die Gesundheit der Beschäftigten ausgehen. Dabei hat er den Stand der Technik zu berücksichtigen. Der Stand der Technik wird zum Beispiel in den Arbeitsstättenregeln beschrieben, die vom Bundesminister für Arbeit und Soziales veröffentlicht werden.

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Im Verordnungstext werden insbesondere allgemeine Regeln zur Sicherheit und zum Ge-sundheitsschutz am Arbeitsplatz (betreffend z. B. Hygiene, Brandschutz, Verkehrs- und Rettungswege oder Arbeitsräume) festgelegt. Erstmalig werden die Forderungen des Nicht-raucherschutzes und der barrierefreien Gestaltung der Arbeitsplätze im Verordnungstext aufgegriffen. Weitergehende Ausführungen zu den Schutzzielen der Verordnung sind im verbindlichen Anhang wiedergegeben. Hier findet man die allgemeinen Anforderungen zu Konstruktion und Festigkeit von Gebäuden, zu Abmessungen von Räumen und zum Luftraum, zur Sicherheits- und Gesundheitsschutzkennzeichnung, zu Fußböden, Wän-den, Decken, Dächern, Fenstern, Oberlichtern, Türen oder Toren und zu Verkehrswegen. Es werden Maßnahmen zum Schutz vor besonderen Gefahren wie Bränden behandelt. Weitere Themen sind die ergonomischen Anforderungen an die Arbeitsbedingungen, zu denen die Bewegungsflächen sowie Beleuchtung, Raumtemperatur, Lüftung oder Lärm gehören. Die Anforderungen an besondere Räume wie Sanitärräume oder Pausen- und Bereitschaftsräume oder an besondere Arbeitsstätten wie Baustellen werden formu-liert. Die im Anhang aufgegriffenen Themen werden in den Arbeitsstättenregeln einge-hender behandelt.1

Der Verordnungstext kann von der Internetseite des Ministeriums für Arbeit und Sozia-les (www.bmas.de) herunter geladen werden. Die derzeit bearbeiteten Themen aus dem Anhang zur neuen ArbStättV sind auf der Homepage der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (www.baua.de) einzusehen.

1 Bis zu ihrem Verfallsdatum gelten auch weiterhin Arbeitsstättenrichtlinien, die auf der alten Arbeitsstättenverordnung basieren.

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5.2 Ergonomische Gestaltung von Büro- und BildschirmarbeitsplätzenMatthias Lange

Büroarbeitsplätze stellen nach wie vor einen wesentlichen Teil der Arbeitsplätze in öffent-lichen Verwaltungen dar. Der zunehmende Einsatz moderner Datenverarbeitungstechnik hat auch hier einen fast vollständigen Wandel zur Bildschirmarbeit nach sich gezogen. Dieser Strukturwandel ist durch eine zunehmende und immer schnellere Verarbeitung von Wissen und den forcierten Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik geprägt.

Stand in der Vergangenheit der klassische Arbeitsunfall im Mittelpunkt, ist nunmehr die sitzende und bewegungsarme Tätigkeit vor dem Bildschirm Auslöser für Beschwerden und Erkrankungen der Beschäftigten. Verspannungen im Nacken und Rücken sowie Au-genbeschwerden durch unzureichend gestaltete Bildschirmarbeitsplätze zählen hierbei zu den am häufigsten genannten Symptomen. Arbeitsplätze mit Publikumsverkehr, zum Beispiel in Sozialämtern und Jobcentern, belasten zusätzlich und verlangen ein hohes Maß an Stressresistenz.

Die Gestaltung von Bildschirmarbeitsplätzen unterliegt daher einer Reihe von Anforde-rungen, die sich sowohl aus rechtlichen Vorgaben wie auch aus ergonomischen Erfor-dernissen herleiten.

Der rechtliche Rahmen wird im Wesentlichen durch die Bildschirmarbeitsverordnung (BildSchArbV) geprägt, die als nationale Umsetzung der EU-Bildschirmrichtlinie seit De-zember 1996 in der Bundesrepublik Anwendung findet. Von Seiten der Unfallversiche-rungsträger der öffentlichen Hand wird mit der GUV-Information „Bildschirm- und Büro-arbeitsplätze – Leitfaden für die Gestaltung“ (GUV-I 850) eine inhaltliche Konkretisierung der Anforderungen aus der Bildschirmarbeitsverordnung vorgenommen.

Die Bildschirmarbeitsverordnung ist auf Beschäftigte anzuwenden, die gewöhnlich bei einem nicht unwesentlichen Teil ihrer normalen Arbeit ein Bildschirmgerät benutzen. Sie gilt nicht für:

� Bedienerplätze von Maschinen und Fahrzeugen � öffentliche Datenverarbeitungs-Anlagen wie z. B. Fahrscheinautomaten an Bahnhöfen � ortsveränderliche Bildschirmgeräte, sofern sie kein regelmäßiger Arbeitsplatz sind � Rechenmaschinen, Schreibmaschinen und andere Arbeitsmittel mit kleinem Display.

Ergonomische Anforderungen an den Arbeitsplatz gelten unabhängig von der Tätigkeit bzw. dem Arbeitsverhältnis (EU-Gerichtshof 1996 AZ: C-74/95 und C-129/95).In der Bildschirmarbeitsverordnung wird dem Arbeitgeber analog § 5 Arbeitsschutzge-setz aufgetragen, die Bedingungen am Arbeitsplatz zu beurteilen und er muss geeignete Maßnahmen treffen, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Mitarbeiter zu ge-währleisten. Dazu zählt beispielsweise die Organisation des Arbeitsablaufs, sodass die Tätigkeit regelmäßig durch Pausen oder andersartige Arbeiten unterbrochen wird. Wei-terhin ist den Beschäftigten vor Aufnahme der Arbeit und danach in regelmäßigen Ab-ständen (3–5 Jahre) eine Untersuchung der Augen und des Sehvermögens anzubieten (Vorsorgeuntersuchung G 37).

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Neben den organisatorischen Verpflichtungen bestehen auch Anforderungen an die Ge-staltung des Arbeitsplatzes und an die Auswahl der eingesetzten technischen Kompo-nenten.

bildschirmIn der Bildschirmarbeitsverordnung sind folgende Anforderungen formuliert:

� Die auf dem Bildschirm dargestellten Zeichen müssen scharf, deutlich und ausrei-chend groß sein sowie einen angemessenen Zeichen- und Zeilenabstand haben.

� Das auf dem Bildschirm dargestellte Bild muss stabil und frei von Flimmern sein. Es darf keine Verzerrungen aufweisen.

� Die Helligkeit der Bildschirmanzeige und der Kontrast zwischen Zeichen und Zeichen-hintergrund auf dem Bildschirm müssen einfach einstellbar sein und den Verhältnis-sen der Arbeitsumgebung angepasst werden können.

� Der Bildschirm muss frei von störenden Reflexionen und Blendungen sein. � Das Bildschirmgerät muss frei und leicht dreh- und neigbar sein.

Eine gute Lesbarkeit erfordert bei Fließtexten, dass mindestens 80 Zeichen je Zeile ange-zeigt werden können. Daraus ergibt sich bei einem Sehabstand von ca. 70 cm eine erfor-derliche Bildschirmdiagonale von mindestens 15 Zoll (38 cm) für Flachbildschirme und 17 Zoll (43 cm) für Röhrenmonitore.

Bei einem Bildschirm mit Kathodenstrahlröhre ist eine Bildwiederholfrequenz von min-destens 100 Hz empfehlenswert, 85 Hz sollen nicht unterschritten werden. Ein Flachbild-schirm bietet technologiebedingt auch bei einer Bildwiederholfrequenz von 60 Hz (in der Regel von den meisten Herstellern empfohlen) ein absolut flimmerfreies Bild.

Eine einfache Einstellbarkeit von Helligkeit und Kontrast ist gegeben, wenn die Stellteile im Blickfeld des Benutzers liegen und leicht betätigt werden können.

Bildschirme werden bezüglich ihrer Reflexionseigenschaften in drei Reflexionsklassen eingeteilt, wobei für den Bürobereich die Reflexionsklasse I erforderlich ist (bei Negativ-darstellung, d. h. hellen Zeichen auf dunklem Hintergrund ggf. Klasse II). Zusätzliche Filter verschlechtern häufig die Darstellung auf dem Bildschirm und sollten deshalb nur nach sorgfältiger Abwägung aller Einflussfaktoren verwendet werden.

Wenn der Bildschirm häufig gebraucht wird, sollte er so stehen, dass man ohne den Kopf zu drehen direkt auf den Monitor blickt. In der richtigen Höhe steht der Monitor dann, wenn sich die oberste Zeichenzeile unterhalb der Augenhöhe befindet. Dadurch wird der Kopf weder zu sehr nach hinten gestreckt noch stark nach unten geneigt.

tastaturEntsprechend der Bildschirmarbeitsverordnung gelten folgende Anforderungen:

� Die Tastatur muss vom Bildschirmgerät getrennt und neigbar sein, damit die Benut-zer eine ergonomisch günstige Arbeitshaltung einnehmen können.

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� Die Tastatur und die sonstigen Eingabemittel müssen auf der Arbeitsfläche variabel angeordnet werden können. Die Arbeitsfläche vor der Tastatur muss ein Auflegen der Hände zulassen.

� Form und Anschlag der Tasten müssen eine ergonomische Bedienung der Tastatur er-möglichen. Die Beschriftung der Tasten muss sich vom Untergrund deutlich abheben und bei normaler Arbeitshaltung lesbar sein.

Wer die Tastatur bedient, sollte eine ergonomisch günstige Arbeitshaltung einnehmen können. Daher sollte die Tastatur im nicht höhenverstellten Zustand eine Neigung zwi-schen 5° und 12° und eine Bauhöhe (in der mittleren Tastaturreihe) von höchstens 30 mm haben. Im höhenverstellten Zustand (Tastaturfüße ausgeklappt) darf der Neigungswin-kel der Tastatur maximal 15° betragen.

Weiterhin sollte vor der Tastatur eine Fläche in einer Tiefe von 100 mm bis 150 mm, zum Auflegen von Händen und Armen vorhanden sein.

Eine ergonomische Bedienung der Tastatur ist gegeben, wenn eine sichere Rückmeldung der Tastenbetätigung für den Benutzer, ein schnelles Auffinden der jeweiligen Taste und eine gute Fingerführung gewährleistet sind. Dies erfordert u. a. eine konkave Tastenfläche mit Kantenlängen von 12 mm bis 15 mm, Tastenmittenabstände von 18 mm bis 20 mm und einem Tastenweg von 2 mm bis 4 mm mit einem deutlich wahrnehmbaren Druckpunkt so-wie einer Tastendruckkraft in der Größenordnung von 0,5 N bis 0,8 Newton.

MausDie Maus sollte so gestaltet sein, dass ihre Tasten in normaler Körper- und Handhaltung betätigt werden können. Schaltelemente müssen leicht und sicher bedient werden kön-nen; dazu gehört ebenfalls eine Tastendruckkraft in der Größenordnung von 0,5 bis 0,8 Newton.

druckerAm Bildschirmarbeitsplatz werden überwiegend Laser– oder Tintenstrahldrucker einge-setzt. Diese Geräte können direkt am Arbeitsplatz oder zentral als Netzwerkdrucker ein-gesetzt werden.

Moderne Laserdrucker setzen während des Druckvorgangs keine relevanten Mengen an Tonerstaub frei. Auch der verfahrensbedingte Ausstoß von flüchtigen Kohlenwasserstof-fen ist so gering, dass ein Nachweis in normal belüfteten Büroräumen kaum gelingt. Für einen störungsfreien und emissionsarmen Betrieb der Geräte ist eine regelmäßige War-tung allerdings von großer Bedeutung.

ArbeitstischMindestanforderungen nach DIN EN 527-1:

� Tischhöhe 720 mm (besser: variabel 680–760 mm) � Tischtiefe 800–1000 mm (abhängig von der Monitortiefe) � Oberflächenreflexion 20–50 %, nicht glänzend.

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Empfehlenswert sind höhenverstellbare Tische, damit die individuellen Körpermaße be-rücksichtigt werden können. Weiterhin ist ein Wechsel zwischen stehenden und sitzenden Körperhaltungen, besonders bei lange andauernder Bildschirmarbeit, erstrebenswert.

bürostuhlMindestanforderungen nach DIN EN 1335-1:

� stufenlos verstellbare Sitzhöhe 400–510 mm � Rückenlehnenbreite mindestens 360 mm und Oberkante der Rückenlehne mindes-

tens 360 mm (gemessen ab Sitzfläche) � Armauflagenhöhe 200–250 mm (gemessen ab Sitzfläche) � Fußstütze bei nicht höhenverstellbaren Tischen oder sehr kleinen Personen (Neigungs-

winkel im Bereich von 5°–15° verstellbar).

Um einem raschen Ermüden vor allem der Rückenmuskulatur vorzubeugen, sollten Büro-stühle ein dynamisches Sitzen ermöglichen. Hierbei verfügt der Bürostuhl über eine Syn-chronverstellung, die die Sitzflächenneigung der Rückenlehnenneigung anpasst.

beleuchtungDie Bildschirmarbeitsverordnung stellt an die Beleuchtung folgende Anforderungen:

� Die Beleuchtung muss der Art der Sehaufgabe entsprechen und an das Sehvermö-gen der Benutzer angepasst sein; dabei ist ein angemessener Kontrast zwischen Bild-schirm und Arbeitsumgebung zu gewährleisten.

� Durch die Gestaltung des Bildschirmarbeitsplatzes sowie Auslegung und Anordnung der Beleuchtung sind störende Blendwirkungen, Reflexionen oder Spiegelungen auf dem Bildschirm und den sonstigen Arbeitsmitteln zu vermeiden.

� Bildschirmarbeitsplätze sind so einzurichten, dass leuchtende oder beleuchtete Flä-chen keine Blendung verursachen und Reflexionen auf dem Bildschirm so weit als möglich vermieden werden. Die Fenster müssen mit einer geeigneten verstellbaren Lichtschutzvorrichtung ausgestattet sein, durch die sich die Stärke des Tageslichtein-falls auf den Bildschirmarbeitsplatz vermindern lässt.

Ein ausreichendes Beleuchtungsniveau wird an Bildschirm- und Büroarbeitsplätzen er-reicht, wenn eine horizontale Beleuchtungsstärke von mindestens 500 Lux vorhanden ist. Im Umgebungsbereich ist eine horizontale Beleuchtungsstärke von mindestens 300 Lux notwendig.

Eine teilflächenbezogene Beleuchtung durch spezielle Arbeitsplatzleuchten ist zu emp-fehlen, wenn es erforderlich ist, die Beleuchtung innerhalb des Arbeitsbereiches an un-terschiedliche Tätigkeiten und Sehaufgaben anzupassen. Bei der teilflächenbezogenen Beleuchtung wird eine horizontale Beleuchtungsstärke von mindestens 750 Lux auf der Teilfläche gefordert.

Zur Erreichung einwandfreier Sehbedingungen ist ein ausgewogenes Leuchtdichtever-hältnis im Gesichtsfeld erforderlich. Dies liegt vor, wenn ein Verhältnis der Leuchtdich-

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ten zwischen Arbeitsfeld und näherem Umfeld von 3:1 sowie zwischen ausgedehnten Flä-chen der Arbeitsumgebung und dem Arbeitsfeld von 10:1 erreicht wird.

Um eine Blendung durch Tageslicht weitgehend zu vermeiden, sollen die Arbeitsplätze möglichst mit einer zur Hauptfensterfront parallelen Blickrichtung und nicht direkt an den Fenstern angeordnet sein. Eine Aufstellung von Bildschirmen vor den Fenstern kann durch große Leuchtdichteunterschiede zwischen Bildschirm und Arbeitsumgebung zur Direktblendung führen. Weiterhin müssen sowohl zur Begrenzung der Direkt- als auch der Reflexblendung verstellbare Licht- bzw. Sonnenschutzvorrichtungen an den Fens-tern angebracht sein.

büroräumeVorgaben zur Gestaltung und Größe von Büroräumen finden sich neben der Bildschirm-arbeitsverordnung vorrangig in der Arbeitsstättenverordnung und den dazugehörigen Technischen Regeln für Arbeitsstätten.

LiteraturGUV-Information „Bildschirm- und Büroarbeitsplätze – Leitfaden für die Gestaltung“ (GUV-I 850)Martin, Peter; Prümper, Jochen; von Harten, Gerd: Ergonomieprüfer – Zur Beurteilung von Bild-

schirmarbeitsplätzen. Frankfurt am Main: BUND-Verlag, 2008

internetseiten zum thema büro­ und bildschirmarbeitInformationsdienst Arbeit und Gesundheit, Schwerpunkt Bildschirmarbeit der Gesellschaft Arbeit

und Ergonomie – online e.V.: www.ergo-online.deKomNet – Kompetenznetzwerk und Wissensdatenbank für Arbeitsschutz und Ergonomie des Ministe-

riums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen: www.komnet.nrw.de

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5.3 Betriebssicherheit von Arbeitsmitteln und überwachungsbedürftigen Anlagen

Wolfgang rothe

Die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) regelt die Bereitstellung, Nutzung und Prü-fung von Arbeitsmitteln und überwachungsbedürftigen Anlagen. Zu den Arbeitsmitteln gehören Werkzeuge, Geräte und Maschinen (z. B. Kettensägen); zu den überwachungsbe-dürftigen Anlagen beispielsweise Aufzüge, Tankanlagen und Druckanlagen. Das folgende Kapitel geht speziell auf die Prüfung von Arbeitsmitteln und Anlagen ein.

Konkretisiert wird die BetrSichV durch die Technischen Regeln für Betriebssicherheit (TRBS).

5.3.1 Prüfungen von Arbeitsmitteln und überwachungsbedürftigen AnlagenArbeitsmittel müssen auf ihren sicheren Zustand überprüft werden. Dies regelt die BetrSichV. Die Technische Regel für Betriebssicherheit (TRBS) 1201 „Prüfungen von Ar-beitsmitteln und überwachungsbedürftigen Anlagen“ präzisiert die Verordnung.

Im Folgenden wird zunächst auf die Prüfung von Arbeitsmitteln und anschließend auf die von überwachungsbedürftigen Anlagen eingegangen. Abschließend werden die Auswahl-kriterien für die befähigte Person dargestellt.

Prüfungen von ArbeitsmittelnZu den Arbeitsmitteln gehören Werkzeuge, Maschinen und Anlagen. Für Arbeitsmittel werden

� wiederkehrende Prüfungen � situationsabhängige Prüfungen � Prüfungen vor der Benutzung des Arbeitsmittels

durch eine befähigte Person gefordert.

Wiederkehrende PrüfungenFür Arbeitsmittel fordert die Betriebssicherheitsverordnung eine wiederkehrende Prüfung, wenn diese schädigenden Einflüssen ausgesetzt sind, die den sicheren Zustand des Ar-beitsmittels gefährden. Hierunter fallen zum Beispiel mechanische Einwirkungen, wie sie bei bei Einsatz und Transport entstehen und die für die Arbeitsbedingungen typisch sind.

Beispiele für Schäden verursachende Einflüsse sind:

� Verschleiß der Tragmuttern an einer Fahrzeughebebühne � korrosive Medien bei Lagerbehältern � Verschmutzung von Isolierstrecken an elektrischen Arbeitsmitteln � UV-Strahlung, die zur Versprödung von Kunststoffteilen führt.

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Im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung sind

� Art � Umfang � Fristen

wiederkehrender Prüfungen zu ermitteln. Außerdem hat der Unternehmer festzulegen, welchen Grad der Befähigung diejenige Person benötigt, die mit der Prüfung beauftragt wird.

Art und Umfang der Prüfungen ergeben sich aus den Unterlagen des Herstellers. Sie müs-sen angepasst werden, wenn sich Schäden bemerkbar machen, die beim vorgesehenen Umfang und der vorgesehenen Art der Prüfung nicht bemerkt wurden.

Konkrete Fristen werden in der BetrSichV nicht genannt. Die Fristen müssen so festgelegt werden, dass der Prüfgegenstand nach allgemein zugänglichen Erkenntnisquellen und betrieblichen Erfahrungen im Zeitraum zwischen zwei Prüfungen sicher benutzt werden kann. Eine Frist von einem Jahr ist in der Regel angemessen.

Die Fristen müssen verkürzt werden, wenn besondere Beanspruchungen wie Überlast, er-höhte Temperaturen und Witterungseinflüsse auf das Arbeitsmittel schädigend einwirken.

Wenn der sichere Zustand über einen längeren Zeitraum durch

� regelmäßige Instandhaltungsarbeiten � kontinuierliche Überwachung � Benutzung deutlich unterhalb der zulässigen Belastung oder � seltenen Gebrauch des Arbeitsmittels

gewährleistet wird, können die Fristen verlängert werden.

Die Fristen müssen bei jeder Prüfung des Arbeitsmittels überprüft und gegebenenfalls geändert werden. Ist die Häufigkeit und/oder die Schwere von Schäden hoch, sind die Prüffristen zu verkürzen. Bei geringer Schadenshäufigkeit und wenn die Schäden die Si-cherheit des Arbeitsmittels nicht beeinträchtigen, kann die Prüffrist verlängert werden.

Über die Prüfungen sind Aufzeichnungen zu führen.

Situationsabhängige PrüfungenSituationsabhängige Prüfungen durch eine befähigte Person sind durchzuführen, wenn

� die Sicherheit des Arbeitsmittels von den Montagebedingungen abhängt (Prüfung nach der Montage und vor der ersten Inbetriebnahme)

� außergewöhnliche Ereignisse (z. B. ein Unfall) stattgefunden haben, die schädigende Auswirkungen auf die Sicherheit des Arbeitsmittels haben können

� Instandsetzungsarbeiten durchgeführt wurden, welche die Sicherheit des Arbeitsmit-tels beeinträchtigen können.

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Beispiele für Arbeitsmittel, deren Sicherheit von den Montagebedingungen abhängt, sind:

� Krane � Zentrifugen � Arbeitsmittel, die vor der ersten Inbetriebnahme zusammengesetzt, montiert und auf-

gestellt werden (z. B. Werkzeugmaschinen).

Beispiele für außergewöhnliche Ereignisse, die schädigende Einflüsse auf die Sicherheit der Arbeitsmittel haben können, sind:

� Naturereignisse (Blitzschlag, Sturm, Überschwemmung) � Unfälle (umstürzendes Arbeitsmittel, Abstürzen eines Arbeitsmittels, Zusammenstoß) � Veränderungen an Arbeitsmitteln (Aufspielen einer neuen Software) � längere Zeiträume der Nichtbenutzung (Stillstandszeiten des Arbeitsmittels, die den

Zeitraum zwischen den wiederkehrenden Prüfungen überschreiten).

Beispiele für Instandsetzungsarbeiten, welche die Sicherheit der Arbeitsmittel beein-trächtigen können, sind:

� der Austausch von Steuerungselementen � der Austausch von Schutzeinrichtungen � der Austausch einer elektrischen, hydraulischen oder pneumatischen Netzanschluss-

leitung.

Prüfung vor der BenutzungVor der Benutzung ist das Arbeitsmittel durch einen unterwiesenen Nutzer zu prüfen. Die Prüfung auf sicherheitsrelevante Mängel erfolgt durch Inaugenscheinnahme und durch eine Funktionsprobe. Es handelt sich hier nicht um eine eingehende technische Prüfung, sondern um eine Prüfung, die ohne Werkzeuge und ohne besondere Kenntnisse von je-dem unterwiesenen Nutzer durchgeführt werden kann.

Hierzu zählen:

� eine Sichtprüfung vor Arbeitsaufnahme, um etwa zu erkennen, ob an einem Hammer-kopf der Keil fehlt

� Funktionsprüfungen der Bedienungseinrichtungen an einem Kran bei Arbeitsbeginn � Funktionsprüfung von Bremsen an Flurförderzeugen vor Beginn jeder Arbeitsschicht.

Prüfung überwachungsbedürftiger AnlagenWelche Anlagen zu den überwachungsbedürftigen Anlagen zählen, ist in § 1 Abs. 2 der BetrSichV geregelt. Hierzu gehören u. a. Druckbehälteranlagen, Aufzuganlagen sowie Lager und Füllstellen für entzündliche, leichtentzündliche und hochentzündliche Flüs-sigkeiten.

Überwachungsbedürftige Anlagen sind zu prüfen:

� vor der ersten Inbetriebnahme � vor der Inbetriebnahme nach wesentlichen Änderungen � wiederkehrend nach festgelegten Fristen � auf Anordnung der zuständigen Behörde.

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Die Prüfungen bestehen aus einer technischen Prüfung, die an der Anlage selbst unter Anwendung der Prüfregeln vorgenommen wird und einer Ordnungsprüfung.

Mit der Prüfung ist eine zugelassene Überwachungsstelle (nach § 14 Abs. 1 und 2 Gerä-tesicherheitsgesetz) zu beauftragen. Zugelassene Überwachungsstellen sind zum Bei-spiel der TÜV oder die DEKRA. Bestimmte überwachungsbedürftige Anlagen, die in § 14 Abs. 3 aufgeführt sind, dürfen auch von einer befähigten Person mit Befähigungsgrad 2 oder 3 durchgeführt werden. Zu diesen Anlagen gehören zum Beispiel Druckbehäl-ter, wenn das Produkt aus maximal zulässigem Druck und maßgeblichem Volumen nicht mehr als 200 (bar x Liter) beträgt. Für die meisten auf Bauhöfen verwendeten Kompres-soren trifft dies zu.

Die Prüffristen werden vom Betreiber der überwachungsbedürftigen Anlage in einer si-cherheitstechnischen Bewertung festgelegt. Bei der Festlegung der Prüffristen sind die in § 15 Abs. 5 genannten maximalen Fristen zu beachten. Die Fristen sind innerhalb von sechs Monaten nach Inbetriebnahme an die zuständige Aufsichtsbehörde zu melden. Die Meldung ist nicht erforderlich, wenn die Prüfung von einer befähigten Person durch-geführt werden darf. Soweit die Prüfungen von einer zugelassenen Überwachungsstelle durchzuführen sind, unterliegt die Prüffristermittlung durch den Betreiber einer Überprü-fung durch die zugelassene Überwachungsstelle. Ist die vom Betreiber ermittelte Prüffrist länger als die von der zugelassenen Überwachungsstelle ermittelte, meldet die Überwa-chungsstelle dies an die zuständige Behörde. Die Behörde legt dann eine Prüffrist fest.

Werden bei der Prüfung durch eine zugelassene Überwachungsstelle sicherheitsrelevante Mängel festgestellt, meldet die Überwachungsstelle diese an die zuständige Behörde. Die Meldung erfolgt nicht, wenn die Prüfung durch eine befähigte Person durchgeführt wer-den darf. Über das Ergebnis der Prüfung ist eine Prüfbescheinigung zu erteilen. Soweit die Prüfung von einer befähigten Person durchgeführt wird, sind Aufzeichnungen zu führen.

5.3.2 die befähigte PersonEine befähigte Person verfügt durch ihre Berufsausbildung, Berufserfahrung und zeitnahe berufliche Tätigkeit über die erforderlichen Fachkenntnisse zur Prüfung der Arbeitsmittel. Der Arbeitgeber hat den notwendigen Befähigungsgrad festzulegen.

Die Befähigungsgrade lassen sich wie folgt einteilen:

� befähigungsgrad 1: Die befähigte Person muss soweit mit der Prüfung vertraut sein, dass die übertragene Prüfaufgabe durchgeführt und beurteilt werden kann. Diesen Befähigungsgrad hat ein im Umgang mit dem Arbeitsmittel unterwiesener Nutzer.

� befähigungsgrad 2: Die befähigte Person muss aufgrund ihrer fachlichen Ausbildung und Erfahrung ausreichende Kenntnisse auf dem Gebiet des zu prüfenden Arbeitsmit-tels haben und mit den einschlägigen Vorschriften soweit vertraut sein, dass sie den arbeitssicheren Zustand des Arbeitsmittels beurteilen kann. Dieser Befähigungsgrad entspricht dem eines Sachkundigen.

� befähigungsgrad 3: Die befähigte Person muss aufgrund ihrer fachlichen Ausbildung und Erfahrung besondere Kenntnisse auf dem Gebiet des zu prüfenden Arbeitsmittels haben und mit den einschlägigen Vorschriften vertraut sein. Sie muss regelmäßig Ar-

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beitsmittel entsprechend der Bauart und Bestimmung prüfen und gutachterlich beur-teilen und in der Lage sein, Prüfart, Prüfumfang, Prüftiefe und Prüffristen festzulegen. Sie muss in der Lage sein, jederzeit den Stand der Technik in ihrem Prüfgebiet zu er-mitteln. Dieser Befähigungsgrad entspricht dem eines Sachverständigen.

Die für die Befähigungsgrade 2 und 3 geforderte „Fachliche Ausbildung und Erfahrung“ bedeutet, dass die befähigte Person

� durch eine berufsbildende Qualifikation oder eine Fortbildung sowie � durch das Anwenden dieses Wissens in der betrieblichen Praxis

die für die Prüfung nötigen Voraussetzungen besitzt.

Welche Befähigungsgrade der befähigten Person für die einzelnen Prüfungen in Frage kommen, ist in der folgenden Tabelle zusammengestellt. Vom Befähigungsgrad 2 und 3 kann nach unten abgewichen werden, wenn dadurch keine sicherheitstechnischen De-fizite bei dem zu prüfenden Arbeitsmitteln eintreten können.

Prüfungen von Arbeitsmitteln und erforderliche befähigungen

Anlass der Prüfung

befähigungsgrad

1 2 3

wiederkehrende Prüfung (§ 10 (2) Satz 1 BetrSichV) X

situationsbedingt nach der Montage und vor der ersten Inbetriebnahme (§ 10 (1) BetrSichV) X

situationsbedingt nach außergewöhnlichen, schädigenden Ereignissen (§ 10 (2) BetrSichV) X X

situationsbedingt nach Instandhaltungsarbeiten und Änderungen (§ 10 (3) BetrSichV) X X

vor jeder Benutzung (Anhang 2, Ziff. 2.4 BetrSichV) X

tabelle 1: erforderliche befähigungen bei der Prüfung von Arbeitsmitteln

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Gefährdungen sind die Ursachen für Unfälle und Gesundheitsschäden am Arbeitsplatz. Nach dem Arbeitsschutzgesetz hat der Unternehmer daher die Pflicht, die für die Beschäf-tigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdungen zu ermitteln, zu beurteilen und daraus die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten abzuleiten.

In der nachfolgenden, nicht abschließenden Tabelle werden Beispiele über mögliche, in der Praxis ermittelte, einschlägige Gefährdungen und Belastungsarten genannt:

Gefährdungen/belastungsarten beispiele

mechanische Gefährdung Quetsch- und Scherstellen an Maschinenteilen, Ausrutschen, Stolpern, Abstürzen

elektrische Gefährdung gefährliche Körperströme durch Berühren unter Spannung stehender Teile, Lichtbogenbildung durch Kurzschluss

chemische Gefährdung Einatmen giftiger, ätzender oder reizender Stoffe, Holz-staub, Umgang mit Kraftstoffen

biologische Gefährdung Infektionsgefahr durch Mikroorganismen und Viren, Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen

Brand- und Explosions-gefährdung

Umgang mit Sprengstoffen, Bildung gefährlicher, explosionsfähiger Atmosphären, Schweißarbeiten

thermische Gefährdung Verbrennungen an heißen Oberflächen, Aufenthalt in Kühlräumen

physikalische Gefährdung Lärm, Ultraschall, Schwingungen, Strahlung

Gefährdung durch Arbeits-umgebungsbedingungen

Hitze, Witterung, Kälte, Nässe, Zugluft, Belüftung, Beleuchtung am Arbeitsplatz

physische Belastung Bewegen schwerer Lasten, einseitige Arbeitshaltung, Zwangshaltung

Belastung aus Wahrnehmung und Handhabbarkeit

Gestaltung von Bildschirmarbeitsplätzen, Anordnung von Stellteilen und Anzeigen, Handhabbarkeit von Arbeits-mitteln

psychomentale Fehlbelastung ständig wechselnde Arbeitsstätten, Arbeiten unter Zeit-druck, kurzzyklisch sich wiederholende Tätigkeiten, Nachtarbeit, Überforderung

Gefährdung durch Mängel in der Arbeitsorganisation

Unterweisungs-, Unterrichtungs-, Ermittlungs- und Prüfpflichten, Erste Hilfe, Bereitstellung von geeigneten Arbeitsmitteln, arbeitsmedizinische Vorsorge

tabelle 1: Mögliche Gefährdungen und belastungsarten anhand von beispielen erläutert

In den folgenden Kapiteln werden einige der aufgeführten Gefährdungen und geeignete Schutzmaßnahmen zur Vermeidung von Unfällen und Gesundheitsgefahren ausführli-cher behandelt.

Gefährdungen und Schutzmaßnahmeningrid thullner, Wolfgang baumannVI

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6.1 Biologische Arbeitsstoffechristina Walther

Unter biologischen Arbeitsstoffen werden alle Mikroorganismen – einschließlich gen-technisch veränderter – verstanden, die beim Menschen Infektionen hervorrufen kön-nen oder die sensibilisierende oder toxische Eigenschaften besitzen. Darüber hinaus werden mit diesem Oberbegriff auch Endoparasiten (Parasiten, die im Menschen leben) sowie die Erreger von BSE/TSE (Erkrankungen wie Rinderwahn oder Creutzfeldt-Jakob-Krankheit) erfasst. Biologische Arbeitsstoffe sind allgegenwärtig, und jeder ist ihnen täglich ausgesetzt. Allein das Anfassen einer Türklinke bringt uns in Kontakt mit unzäh-ligen Mikroorganismen, von denen manche auch Krankheiten beim Menschen verursa-chen können. Dieses reine „Ausgesetztsein“ gegenüber biologischen Arbeitstoffen ge-hört zum normalen Lebensrisiko.

Darüber hinaus gibt es aber eine Vielzahl von beruflichen Tätigkeiten, bei denen biolo-gische Arbeitstoffe hergestellt, verwendet oder freigesetzt werden. Für Beschäftigte, die mit diesen Mikroorganismen in direkten Kontakt kommen, besteht ein zusätzliches Ri-siko. Hier ist es Aufgabe des Unternehmers, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz dieser Beschäftigten zu treffen. Die Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen – kurz Biostoffverordnung (BioStoffV) – fasst diese Maßnahmen zusammen.

beruflicher UmgangIm Sinne der Verordnung zählt zu den Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen der be-rufliche Umgang mit Menschen, Tieren, Pflanzen und biologischen Produkten, außerdem der Umgang mit Gegenständen und Materialien, wenn dabei biologische Arbeitsstoffe freigesetzt werden können und Beschäftigte mit den biologischen Arbeitsstoffen direkt in Kontakt kommen können. Wesentlich ist hierbei der Bezug zur beruflichen Tätigkeit. Der Kontakt zu einer erkrankten Kollegin am benachbarten Arbeitsplatz steht beispiels-weise nicht im erforderlichen Bezug zur beruflichen Tätigkeit.

Kernpunkt der Biostoffverordnung ist die Gefährdungsbeurteilung, die die Anforderun-gen des Arbeitsschutzgesetzes (§ 5) speziell für den Bereich der biologischen Einwirkun-gen regelt. Sie umfasst fünf Schritte:

� Informationen beschaffen � Gefährdungen ermitteln und beurteilen � Schutzstufen mit den entsprechenden Schutzmaßnahmen festlegen � Wirksamkeit der Maßnahmen überprüfen � Gefährdungsbeurteilung schriftlich dokumentieren.

die GefährdungsbeurteilungDas Schutzstufensystem als GrundlageEin wichtiges Instrumentarium für die Gefährdungsbeurteilung ist das Schutzstufensys-tem, das dem Unternehmer insbesondere bei gezielten Tätigkeiten die Festlegung der er-forderlichen Schutzmaßnahmen sehr erleichtert, da die Schutzstufe mit der Risikogruppe

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des verwendeten Mikroorganismus korrespondiert. Von nicht gezielten Tätigkeiten spricht man, wenn Mischexpositionen verschiedener biologischer Arbeitsstoffe in wechselnder Zusammensetzung und Konzentration vorliegen. In diesem Fall ist die Schutzstufenzuord-nung nicht ganz so einfach. Der Ausschuss für biologische Arbeitsstoffe (ABAS) hat da-her für etliche Bereiche mit nicht gezielten Tätigkeiten ein technisches Regelwerk (TRBA) erstellt, um Hilfestellungen für die Gefährdungsbeurteilung zu geben.

Definition für „gezielte Tätigkeiten“:

� die biologischen Arbeitsstoffe sind mindestens der Spezies nach bekannt und � die Tätigkeiten sind auf einen oder mehrere biologische Arbeitsstoffe unmittelbar

ausgerichtet und � die Exposition der Beschäftigten ist im Normalbetrieb hinreichend bekannt oder ab-

schätzbar.

Gezielte Tätigkeiten kommen zum Beispiel bei der Nahrungsmittel– oder Arzneimittelher-stellung oder in Laboratorien vor. Fehlt auch nur eine der oben genannten Voraussetzun-gen, handelt es sich immer um nicht gezielte Tätigkeiten. Diese finden sich unter ande-rem in der Abfallwirtschaft, in der Abwasserbehandlung, in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Gesundheitswesen.

InformationsbeschaffungDie Gefährdungsbeurteilung soll zeigen, ob am Arbeitsplatz biologische Agenzien mit gesundheitsgefährdenden Eigenschaften vorkommen und ob diese auf die Beschäftig-ten einwirken können bzw. wie man dies verhindern kann. Daher ist es wichtig, vorab fol-gende Informationen einzuholen:

� Identität und Infektionspotenzial der biologischen Agenzien sowie deren Einstufung in Risikogruppen

� Vorhandensein von sensibilisierenden und toxischen Eigenschaften dieser Biostoffe � tätigkeitsbezogene Informationen über Betriebsabläufe und Arbeitsverfahren � Art und Dauer der Tätigkeit sowie damit verbundene mögliche Übertragungswege � Erfahrungen aus vergleichbaren Tätigkeiten oder über bekannte tätigkeitsbezogene

Erkrankungen.

In Abhängigkeit vom Infektionsrisiko werden biologische Arbeitsstoffe in vier Risikogrup-pen eingestuft.

� risikogruppe 1 Biologische Arbeitsstoffe, bei denen es unwahrscheinlich ist, dass sie beim Menschen

eine Krankheit verursachen. Zur Gruppe 1 zählen alle biologischen Arbeitsstoffe, die nicht in Risikogruppe 2 bis 4 erfasst sind.

� risikogruppe 2 Biologische Arbeitsstoffe, die eine Krankheit beim Menschen verursachen können

und eine Gefahr für Beschäftigte darstellen können; eine Verbreitung des Stoffes in der Bevölkerung ist unwahrscheinlich; eine wirksame Vorbeugung oder Behandlung ist normalerweise möglich.

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erreger erkrankung

Bakterien � Clostridium tetani � Vibrio cholerae � Salmonella enterica

� Tetanus � Cholera � Gastroenteritis

Pilze � Aspergillus fumigatus Candida albicans

� Aspergillose � Candidamykose

Viren � HAV (Hepatitis-A-Virus) � Poliomyelitisvirus

� Hepatitis A � Kinderlähmung

tabelle 1: beispiele für biologische Arbeitsstoffe der risikogruppe 2

� risikogruppe 3 Biologische Arbeitsstoffe, die eine schwere Krankheit beim Menschen verursachen

können und eine ernste Gefahr für Beschäftigte darstellen können; die Gefahr einer Verbreitung des Stoffes in der Bevölkerung kann zwar bestehen, jedoch ist normaler-weise eine wirksame Vorbeugung oder Behandlung möglich.

erreger erkrankung

Bakterien � Mycobakterium tuberculosis � Salmonella typhi � Bacillus anthracis

� Tuberkulose � Thyphus � Milzbrand

Pilze � Histoplasma capsulatum � systemische Mykose in den Tropen

Viren � HBV/HCV � HIV � Rabiesvirus

� Hepatitis B und C � AIDS � Tollwut

tabelle 2: beispiele für biologische Arbeitsstoffe der risikogruppe 3

� risikogruppe 4 Biologische Arbeitsstoffe, die eine schwere Krankheit beim Menschen hervorrufen

und eine ernste Gefahr für Beschäftigte darstellen; die Gefahr einer Verbreitung des Stoffes in der Bevölkerung ist unter Umständen groß; normalerweise ist eine wirk-same Vorbeugung oder Behandlung nicht möglich.

erreger erkrankung

Bakterien – –

Pilze – –

Viren � Variolavirus � Lassavirus � Marburgvirus

� Pocken � Hämorrhagisches Fieber � Hämorrhagisches Fieber

tabelle 3: beispiele für biologische Arbeitsstoffe der risikogruppe 4

Anhand der gesammelten Informationen werden die Tätigkeiten mit biologischen Arbeits-stoffen einer Schutzstufe zugeordnet und die damit verbundenen allgemeinen Schutz- und speziellen Sicherheitsmaßnahmen festgelegt.

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Allgemeine Schutz- und spezielle SicherheitsmaßnahmenDie Biostoffverordnung sieht bei den allgemeinen Schutzmaßnahmen eine ähnliche Rang-folge der Maßnahmen wie bei der Gefahrstoffverordnung vor. Arbeitsverfahren müssen derart gestaltet sein, dass biologische Arbeitsstoffe möglichst nicht frei werden. Unver-meidbare Expositionen sind so gering als möglich zu halten. Die allgemeinen Hygiene-maßnahmen müssen eingehalten und geeignete persönliche Schutzausrüstung muss zur Verfügung gestellt werden. Betriebsanweisungen müssen arbeits-, verfahrens- und stoffspezifisch erstellt und die Beschäftigten regelmäßig anhand dieser Dokumente un-terwiesen werden. Diese Maßnahmen müssen stets dem Stand der Sicherheitstechnik und Arbeitsmedizin angepasst werden.

Als Schutzmaßnahmen beim Umgang mit biologischen Arbeitsstoffen der Risikogruppe 1 sind die allgemeinen Schutzmaßnahmen mit den Hygieneregeln entsprechend der TRBA 500 „Allgemeine Hygienemaßnahmen: Mindestanforderungen“ anzuwenden. Ergibt die Gefährdungsbeurteilung, dass die biologischen Arbeitsstoffe den Risikogruppen 2 bis 4 zuzuordnen sind, müssen darüber hinaus noch spezielle Sicherheitsmaßnahmen ent-sprechend der ermittelten Schutzstufen durchgeführt werden. Detaillierte Informationen über diese Sicherheitsmaßnahmen finden sich in der Biostoffverordnung, in den Tech-nischen Regeln für biologische Arbeitsstoffe und im Regelwerk der Unfallkassen und Be-rufsgenossenschaften.

LiteraturVerordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstof-

fen (Biostoffverordnung – BioStoffV)Gesetz zur Regelung der Gentechnik (Gentechnikgesetz – GenTG)Verordnung über die Sicherheitsstufen und Sicherheitsmaßnahmen bei gentechnischen Arbeiten

in gentechnischen Anlagen (Gentechnik-Sicherheitsverordnung – GenTSV)Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektions-

schutzgesetz – IfSG)Technische Regeln für biologische Arbeitsstoffe – TRBARegel „Schutz der Arbeitnehmer beim Umgang mit biologischen Arbeitsstoffen in abwassertech-

nischen Anlagen“ (GUV-R 145)Regel „Regeln für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstof-

fen im Unterricht“ (GUV-SR 2006)Betriebsanweisungen nach der Biostoffverordnung (BGI 853)BG der chemischen Industrie – Merkblätter „Sichere Biotechnologie“ (B-Reihe)UKH (Hrsg.): Bibliotheken und Archive. (K)ein Platz für Schimmelpilze. Leitfaden für Bau, Ausstat-

tung und Betrieb. Schriftenreihe der UKH Band 11. Wiesbaden: Universum, 2005

Weiterführende LinksBundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: www.baua.deBundesministerium für Arbeit und Soziales: www.bmas.deInstitut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung: www.dguv.de/ifaRobert-Koch-Institut: www.rki.de

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6.2 Gefahrstoffeingrid thullner

Kein Bereich des täglichen Lebens, sei es Arbeitswelt, Haushalt oder Freizeit, kommt ohne den Einsatz von chemischen Stoffen oder Zubereitungen bzw. Gemischen oder Erzeug-nissen (Produkten)1 aus. Die breite Anwendung von Stoffen verdanken sie ihren speziel-len Eigenschaften. Bei Tätigkeiten mit Arbeitsstoffen können allerdings auch Gefahren für Mensch und Umwelt auftreten. Um diesen Gefahren zu begegnen, wurden eine Reihe von Rechtsvorschriften erlassen, die sowohl das Herstellen und Inverkehrbringen als auch den Umgang mit Gefahrstoffen regeln. Für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen konkretisiert die Ge-fahrstoffverordnung (GefStoffV) sowohl die Pflichten der Arbeitgeber als auch die der Be-schäftigten. Detailregelungen zu Tätigkeiten mit Gefahrstoffen sind in Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) enthalten, von denen Vermutungswirkung ausgeht. Die TRGS wer-den vom Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) verabschiedet und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Gemeinsamen Ministerialblatt veröffentlicht. Im Internet sind die Regelungen des Gefahrstoffrechts auf der Homepage der Bundesanstalt für Ar-beitsschutz und Arbeitsmedizin unter www.baua.de, Stichwort „Gefahrstoffe“ zu finden.

Was sind Gefahrstoffe?Nicht alle Arbeitsstoffe, die am Arbeitsplatz vorkommen, sind Gefahrstoffe bzw. enthal-ten solche. Am Arbeitsplatz vorkommende Gefahrstoffe können chemisch hergestellt sein (z. B. Chlorgas, Formaldehyd, Ethanol; Reinigungsmittel, Farben, Lacke), natürlich vorkommende Stoffe sein (z. B. Asbest oder Quarz) oder erst im Arbeitsverfahren entste-hen (Holzstaub, Schweißrauche, Dieselmotoremissionen etc.).

Arbeitsstoffe sind Gefahrstoffe, wenn sie bestimmte Gefährlichkeitsmerkmale aufweisen, die auf den physikalisch-chemischen Eigenschaften, auf den für den Menschen akut und chronisch toxischen Eigenschaften sowie auf deren Wirkung auf die Umwelt beruhen.Gefahrstoffe müssen mindestens eines der folgenden Gefährlichkeitsmerkmale aufwei-sen:

1 Zur redaktionellen Vereinfachung ist im weiteren Text nur noch von „Stoffen“ die Rede.

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eigenschaften Gefährlichkeitsmerkmale

Physikalisch-chemische Eigenschaften explosionsgefährlich

brandfördernd

hochentzündlich

leichtentzündlich

entzündlich

Akut und chronisch toxische Eigenschaften

sehr giftig

giftig

gesundheitsschädlich

ätzend

reizend

sensibilisierend

krebserzeugend

fortpflanzungsgefährdend

erbgutverändernd

Ökotoxische Eigenschaften umweltgefährlich

tabelle 1: Gefährlichkeitsmerkmale von Gefahrstoffen

Auch explosionsfähige Stoffe, wie Mehlstaub, Kunststoffstäube, zündfähige Gasgemi-sche zählen zu den Gefahrstoffen. Außerdem können Gefahrstoffe bei der Herstellung oder Verwendung von Stoffen oder Erzeugnissen entstehen, zum Beispiel Holzstaub bei der zerspanenden Bearbeitung von Holz, Schweißrauche beim Schweißen, Dieselmotor-emissionen bei der Verbrennung von Dieselkraftstoff.

Auch Stoffe, die die genannten Gefährlichkeitsmerkmale nicht aufweisen, können auf-grund anderer gefährlicher Eigenschaften und der Art und Weise, wie sie am Arbeits-platz verwendet werden oder dort vorhanden sind, ein Risiko für die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer darstellen. Somit zählen Stoffe mit nachfolgenden Eigen-schaften auch zu Gefahrstoffen:

� narkotisch wirkend, z. B. Narkosegase, Lösemittel � erstickend/Sauerstoff verdrängend, z. B. Stickstoff, Kohlendioxid � heiß, z. B. Wasserdampf, Metallschmelzen � tiefkalt, z. B. tiefkalt verflüssigte Gase, Trockeneis � erhöhter Druck, z. B. Druckgase, gespannter Wasserdampf � vorschädigend, z. B. Wasser bzw. Feuchtarbeit, entfettende Lösemittel.

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Im Jahr 2009 ist eine neue EU-Verordnung zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemi-kalien, auch CLP-Verordnung genannt (Classification, Labelling, Packaging of Chemicals) in Kraft getreten. Diese Verordnung legt die neuen europa- und weltweit gültigen Einstu-fungs-, Verpackungs- und Kennzeichnungskriterien für Chemikalien fest, die nach Ablauf von Übergangsfristen anzuwenden sind. Nach der neuen Verordnung bezeichnen nicht mehr die bisherigen „Gefährlichkeitsmerkmale“ (s.o.) die Art der physikalischen Gefahr, der Gefahr für die menschliche Gesundheit bzw. der Gefahr für die Umwelt, die von ei-nem Stoff ausgeht, sondern „Gefahrenklassen“. Innerhalb jeder Gefahrenklasse sind Ab-stufungen in Abhängigkeit von der Schwere der Gefahr, „Gefahrenkategorien“ vorgese-hen. Demnach sind Stoffe gefährlich, wenn sie nach den Kriterien der CLP-VO, Anhang I, mindestens einer Gefahrenklasse zugeordnet werden können.

eigenschaften Gefahrenklasse Gefahrenkategorien

Physikalisch- chemische Eigenschaften

Explosive Stoffe oder Gemische und Erzeugnisse mit Explosivstoff

Instabil, explosiv

Unterklasse 1.1-1.6

Selbstzersetzliche Stoffe oder Gemische

Typ A, B, C, D, E, F, G

Organische Peroxide Typ A, B, C, D, E, F, G

Entzündbare Gase Kat. 1, Kat. 2

Entzündbare Aerosole Kat. 1, Kat. 2

Entzündbare Flüssigkeiten Kat. 1, Kat. 2, Kat. 3

Entzündbare Feststoffe Kat. 1, Kat. 2

Pyrophore Flüssigkeiten Kat. 1

Pyrophore Feststoffe Kat. 1

Selbsterhitzungsfähige Stoffe oder Ge-mische

Kat. 1, 2

Stoffe oder Gemische, die in Berührung mit Wasser entzündbare Gase entwickeln

Kat. 1, Kat. 2, Kat. 3

Oxidierende Gase Kat. 1

Oxidierende Flüssigkeiten Kat. 1, Kat. 2, Kat. 3

Oxidierende Feststoffe Kat. 1, Kat. 2, Kat. 3

Gase unter Druck Verdichtetes Gas

Verflüssigtes Gas

Tiefkalt verflüssigtes Gas

Gelöstes Gas

Korrosiv gegenüber Metallen Kat. 1

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eigenschaften Gefahrenklasse Gefahrenkategorien

Akut und chronisch toxische Eigenschaften

Akute Toxizität (nach Aufnahmeweg oral, dermal, inhalativ)

Kat. 1 Kat. 2 Kat. 3 Kat. 4

Ätz- bzw. Reizwirkung auf die Haut Kat. 1 A, 1 B, 1 C Kat. 2

Schwere Augenschädigung oder -reizung

Kat. 1 Kat. 2

Spezifische Zielorgantoxizität (einmalige Exposition)

Kat 1 Kat. 2

Spezifische Zielorgantoxizität (einmalige Exposition) � Atemwegsreizung � Narkotisierende Wirkungen

Kat. 3

Spezifische Zielorgantoxizität (wiederholte Exposition)

Kat 1, Kat. 2

Aspirationsgefahr Kat. 1

Sensibilisierung der Haut Kat. 1

Sensibilisierung der Atemwege Kat. 1

Karzinogenität Kat. 1 A, Kat. 1BKat. 2

Reproduktionstoxizität Kat. 1 A, Kat. 1BKat. 2Zusatzkategorie für Wir-kungen auf bzw. über Lak-tation

Keimzellmutagenität Kat. 1 A, Kat. 1BKat. 2

Ökotoxische Eigenschaften

Akut gewässergefährdend Kat. 1

Chronisch gewässergefährdend Kat. 1, Kat. 2, Kat. 3, Kat. 4

Ozonschicht schädigend

tabelle 2: zuordnung von Stoffen in Gefahrenklassen

Seit 1.12.2010 sind reine Stoffe nach den Kriterien der CLP-VO einzustufen und zu kenn-zeichnen. Für Gemische (früher Zubereitungen genannt) gilt der Stichtag 1.6.2015. Bis dahin sind im Sicherheitsdatenblatt (SDB) die Einstufungen sowohl nach den derzeit gültigen Regelungen vorzunehmen als auch nach der neuen Verordnung. Eine Doppel-kennzeichnung auf dem Etikett darf es nicht geben. Die Hersteller können allerdings die neue Kennzeichnung auch schon vor Ablauf des Stichtags freiwillig anwenden.

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Woran erkennt man Gefahrstoffe?Gefahrstoffe erkennt man in der Regel an der Kennzeichnung, die folgende Angaben ent-halten muss:

� die chemische Bezeichnung des Stoffes oder der Stoffe in der Zubereitung bzw. des Gemischs

� bei Zubereitungen bzw. Gemischen ggf. Handelsname oder Bezeichnung � die Gefahrensymbole mit den zugehörigen Gefahrenbezeichnungen � die Hinweise auf die besonderen Gefahren (R-Sätze) � die Sicherheitsratschläge (S-Sätze) � Name, Anschrift und Telefonnummer des Herstellers oder Vertreibers.

Auch Zubereitungen bzw. Gemische, die nicht gekennzeichnet sind, können Gefahrstoffe enthalten, da unterhalb bestimmter Konzentrationsgrenzen die Kennzeichnungspflicht entfällt. In diesen Fällen sind erforderlichenfalls Informationen vom Hersteller, Lieferan-ten oder von anderen Fachleuten einzuholen, um die Gefährdungsbeurteilung durchfüh-ren zu können.

Die Anforderung an die Kennzeichnung gilt auch für selbst hergestellte Zubereitungen. Beim Umfüllen in kleinere Behälter muss die Kennzeichnung übernommen werden. Die Kennzeichnung alter Gebinde muss auf dem aktuellen Stand gehalten werden.

Was ändert sich durch die cLP­VO an der Kennzeichnung?Die bisherigen orangefarbenen quadratischen Gefahrensymbole werden durch „Pikto-gramme“ ersetzt, die die entsprechenden schwarzen Symbole in auf der Spitze stehenden weißen Quadraten mit roter Umrandung enthalten. Auch werden drei neue Piktogramme für Gefahren eingeführt, für die bislang keine bildhafte Darstellung der Gefahr existierte:

� so warnt die „Gasflasche“ vor „Gasen unter Druck“ � das „Ausrufezeichen“ ersetzt unter anderem das „Andreaskreuz“ � das Piktogramm „Gesundheitsgefahr“ steht für die chronisch toxischen Eigenschaf-

ten von Stoffen, wie krebserzeugend, erbgutverändernd, fortpflanzungsgefährdend oder sensibilisierend.

Das „Totenkopf“-Symbol wird ausschließlich für die Darstellung der Einstufung in die Ge-fahrenklasse der akuten Toxizität mit drei Gefahrenkategorien verwendet. Eine Beson-derheit der neuen Kennzeichnung ist, dass die konkrete Gefahrenbezeichnung (z. B. gif-tig oder reizend) durch die Verwendung von zwei Signalwörtern ersetzt wird: „Gefahr“ steht für die gefährlicheren und „Achtung“ für die weniger gefährlichen Gefahrenkatego-rien (Eigenschaften). Für den Fall, dass ein Stoff aufgrund seiner Eigenschaften in meh-rere Gefahrenklassen und in mehrere Gefährdungskategorien eingestuft wird, die beide Signalwörter nach sich ziehen, wird das höherrangige Signalwort „Gefahr“ verwendet.

Die Hinweise auf die besonderen Gefahren (R-Sätze) werden durch „Gefahrenhinweise“ (Hazard Statements) oder „H“-Sätze ersetzt. Die Sicherheitsratschläge (S-Sätze) werden durch die „Sicherheitshinweise“ (Precautionary Statements) oder „P“-Sätze abgelöst. Eine Gegenüberstellung der alten und neuen Einstufung bzw. Kennzeichnung ist in Ta-belle 3 enthalten.

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Eine Hilfestellung für den beruflichen Gefahrstoffanwender, wie dieser in der Übergangs-zeit die Informationen zur Einstufung und Kennzeichnung von Gefahrstoffen nutzen kann, gibt die Bekanntmachung 408 des AGS „Anwendung der GefStoffV und TRGS mit dem Inkrafttreten der CLP-VO“ (siehe: http://www.baua.de). Für die innerbetriebliche Kenn-zeichnung gibt es Erleichterungen, die in der TRGS 201 „Einstufung und Kennzeichnung bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen“ enthalten sind.

informationsermittlung und GefährdungsbeurteilungVor Beginn der Tätigkeiten mit Gefahrstoffen in einem Betrieb muss eine Gefährdungsbe-urteilung vorgenommen werden. Diese muss dokumentiert und bei maßgeblichen Ver-änderungen (z. B. bei einer Neubewertung der verwendeten Gefahrstoffe oder bei Ände-rungen des Verwendungsverfahrens) wiederholt werden. Tätigkeiten mit Gefahrstoffen dürfen erst nach erfolgter Gefährdungsbeurteilung durchgeführt werden. Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung müssen zunächst die im Betrieb verwendeten Arbeitsstoffe er-fasst werden. Diese Erfassung kann arbeitsplatz- oder arbeitsbereichsbezogen erfolgen. Es ist empfehlenswert, bei diesen Ermittlungen die innerbetrieblichen Arbeitsschutz-experten, wie die Fachkraft für Arbeitssicherheit und den Betriebsarzt, einzubeziehen.

Wichtige Informationen für die Gefährdungsbeurteilung enthalten neben der Kennzeich-nung die Sicherheitsdatenblätter, die der Hersteller oder Lieferant zur Verfügung zu stel-len hat. Bei fehlenden Sicherheitsdatenblättern müssen diese beim Hersteller oder Lie-feranten angefordert werden.

Teil der Gefährdungsbeurteilung ist die Erstellung eines Gefahrstoffverzeichnisses, das mindestens folgende Angaben enthalten muss:

� Bezeichnung des Gefahrstoffes � Verweis auf das jeweilige Sicherheitsdatenblatt � gefährliche Eigenschaften (Einstufung) � Arbeitsbereiche � Mengenbereiche im Betrieb (regelmäßiger Verbrauch).

Das Verzeichnis muss allen Beschäftigten zugänglich sein. Die Angaben können schrift-lich festgehalten oder auch auf elektronischen Datenträgern gespeichert werden. Das Verzeichnis ist auf dem aktuellen Stand zu halten, mindestens jedoch einmal jährlich zu überprüfen. Ein Gefahrstoffverzeichnis ist nicht erforderlich, wenn die Gefährdungsbeur-teilung ergibt, dass hinsichtlich der verwendeten Mengen und der Expositionssituation nur eine geringe Gefährdung vorliegt. Dies ist zum Beispiel der Fall bei der Ausbesserung kleiner Lackschäden mit Lackpens oder bei der Verwendung und Aufbewahrung haus-haltsüblicher Mengen an Klebstoffen oder Reinigungsmitteln. Ein Eintrag in das Gefahr-stoffverzeichnis ist beispielsweise auch nicht erforderlich bei der kurzzeitigen Erprobung von Neuheiten und Mustern. Unabhängig von der Aufnahme der Stoffe in das Gefahrstoff-verzeichnis sind jedoch immer Schutzmaßnahmen festzulegen und die Beschäftigten ge-gebenenfalls durch Betriebsanweisungen zu informieren.

Detailregelungen zur Erfassung der Arbeitsstoffe, zur Erstellung des Gefahrstoffverzeich-nisses sowie zur Gefährdungsbeurteilung sind der TRGS 400 „Gefährdungsbeurteilung bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen“ zu entnehmen. Bei der Beurteilung der Tätigkeiten sind

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sowohl die inhalativen, als auch die dermalen und oralen Gefährdungen zu berücksich-tigen. Hierbei liefern die TRGS 401 „Gefährdung durch Hautkontakt: Ermittlung – Beur-teilung – Maßnahmen“ sowie die TRGS 402 „Ermitteln und Beurteilen der Gefährdungen bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen: Inhalative Exposition“ wertvolle Hinweise.

Eine Reihe von branchenspezifischen Handlungsanleitungen der Unfallversicherungs-träger enthalten Beurteilungen und Angaben zu Arbeitsschutzmaßnahmen für spezielle Arbeitsbereiche bzw. Arbeitsplätze der öffentlichen Hand. Diese Informationen können die Gefahrstoffermittlung vereinfachen, Ersatzstoffe oder -verfahren aufzeigen, Aussa-gen über die Einhaltung von Grenzwerten enthalten und Empfehlungen für Schutzmaß-nahmen geben (siehe Literaturliste).

SubstitutionsprüfungBeschäftigte sollen Gefahrstoffen möglichst nicht ausgesetzt werden. Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung muss der Unternehmer prüfen, ob nicht ein ungefährlicherer Er-satzstoff, eine emissionsärmere Verwendungsform oder ein emissionsärmeres Verwen-dungsverfahren gewählt werden kann. Das Ergebnis der Prüfung ist zu dokumentieren. Die Entscheidung über die Verwendung eines Ersatzstoffes oder eines Ersatzverfahrens hängt von der gesundheitlichen Bewertung, der technischen Eignung und von betriebli-chen Faktoren ab. Näheres regelt die TRGS 600 „Substitution“. Die Entscheidung, welcher Stoff im Einzelfall einzusetzen ist, bleibt grundsätzlich beim Unternehmer, der schließ-lich die Gewährleistung für die durchgeführten Arbeiten übernimmt. Der Einsatz von sen-sibilisierenden Stoffen muss überprüft werden. Die TRBA/TRGS 406 „Sensibilisierende Stoffe für die Atemwege“ und die TRGS 401 „Gefährdung durch Hautkontakt“ enthalten einzelnen Berufsgruppen zugeordnete Übersichten über sensibilisierende Stoffe, die nach arbeitsmedizinischer Erfahrung besonders häufig zu Sensibilisierungen führen. So müssen zum Beispiel gepuderte Latexhandschuhe durch puderfreie und allergenarme Handschuhe ersetzt werden. Für eine Reihe von Bauchemikalien (Farben, Lacke, etc.) aber auch für Reinigungsmittel wurde vom Gefahrstoffinformationssystem der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (GISBAU) eine Bewertung der Produkte unter dem Gesichtspunkt des gesundheitlichen Risikos vorgenommen. Dem Anwender wurde die Beurteilung jedes Einzelproduktes ab-genommen, indem Produkte mit ähnlicher chemischer Zusammensetzung, ähnlichem Einsatzzweck und vergleichbarer Gefährdung in Produktgruppen zusammengefasst wur-den. Diesen wurden so genannte Produkt-Codes zugewiesen, die eine Buchstaben-Zah-len-Kombination (Kennziffer) darstellen, die die Herstellerinformationen für den betrieb-lichen Anwender verständlicher machen und die Ersatzstoffsuche erleichtern sollen. Je höher die Kennziffer eines Codes ist, umso gefährlicher ist das Produkt (siehe www. wingis-online.de oder www.gisbau.de).

Festlegung von SchutzmaßnahmenNachdem die Gefährdungen ermittelt wurden, müssen die notwendigen technischen, or-ganisatorischen und personenbezogenen Schutzmaßnahmen festgelegt werden. Tech-nische Maßnahmen sind dann erforderlich, wenn Ersatzstoffe und/oder Ersatzverfahren nicht zur Verfügung stehen oder nach Einführung von Ersatzstoffen und Ersatzverfah-ren weiterhin mit Gefährdungen zu rechnen ist. Zu den technischen Maßnahmen zählen beispielsweise der Einsatz geschlossener Anlagen (z. B. Chlorungsanlage im Schwimm-

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bad) oder der Einsatz lüftungstechnischer Schutzmaßnahmen, wie Punktabsaugungen mit Erfassungstrichter (z. B. bei Schweißarbeiten), Untertischabsaugungen oder Lüftung durch raumlufttechnische Anlagen. Grundlegende Schutzmaßnahmen bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen sind in der TRGS 500 „Schutzmaßnahmen“ beschrieben. Diese umfassen auch organisatorische und personenbezogene Maßnahmen. So ist zum Beispiel die An-zahl der Beschäftigten, die den Gefahrstoffen ausgesetzt sind, möglichst einzuschrän-ken, die Expositionsdauer und das Ausmaß der Exposition ist zu minimieren. Am Arbeits-platz sind nur die für den Fortgang der Arbeiten benötigten Gefahrstoffe bereitzustellen, die Gebinde sind geschlossen zu halten, verschüttete Gefahrstoffe sind unverzüglich auf-zunehmen oder mit Gefahrstoffen kontaminierte Kleidung ist sofort zu wechseln. Ebenso darf bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen nicht gegessen, getrunken oder geraucht werden. In den Räumen, in denen mit Gefahrstoffen umgegangen wird, oder in zumutbarer Entfer-nung, muss eine Waschgelegenheit (z. B. Waschbecken, Seifenspender und Papierhand-tücher) vorhanden sein. Für die Arbeits- und Straßenkleidung muss eine getrennte Auf-bewahrungsmöglichkeit vorhanden sein.

Wenn trotz technischer und organisatorischer Maßnahmen eine Gefährdung der Mitar-beiter nicht ausgeschlossen werden kann, müssen zusätzlich persönliche Schutzaus-rüstungen zur Verfügung gestellt und solange getragen werden, wie die Gefährdung be-steht. Das Tragen von belastender persönlicher Schutzausrüstung (z. B. Atemschutz oder Schutzhandschuhe oder Schutzkleidung) darf jedoch keine ständige Maßnahme sein (siehe Kapitel 7.1).

Die Wirksamkeit aller Maßnahmen muss regelmäßig, mindestens jedoch alle drei Jahre, überprüft werden. Ggf. können auch Gefahrstoffmessungen zur Überprüfung der Arbeits-platzgrenzwerte erforderlich werden.

BetriebsanweisungDer Unternehmer ist verpflichtet, die bei den Tätigkeiten mit Gefahrstoffen auftretenden Gefahren und die erforderlichen Schutzmaßnahmen sowie Verhaltensregeln in einer tä-tigkeitsbezogenen Betriebsanweisung festzulegen. Diese Betriebsanweisung ist an ge-eigneter Stelle im Betrieb bekannt zu machen und in einer für die Beschäftigten verständ-lichen Form und Sprache abzufassen. In der Betriebsanweisung sind auch Anweisungen über das Verhalten im Gefahrfall und über die Erste Hilfe zu treffen. Auf die sachgerechte Entsorgung entstehender gefährlicher Abfälle ist hinzuweisen. Die notwendigen Informa-tionen sind zum Beispiel dem Sicherheitsdatenblatt zu entnehmen. Bei der Erstellung der Betriebsanweisungen können die innerbetrieblichen Arbeitsschutzexperten dem Arbeit-geber oder den Vorgesetzten wertvolle Unterstützung liefern. Es gibt eine Reihe von PC-Programmen (z. B. WINGIS), mit denen Betriebsanweisungen erstellt werden können. Sie enthalten Entwürfe von Betriebsanweisungen, die aber noch arbeitsplatz- und tätigkeits-bezogen angepasst werden müssen! So sind Name des Betriebes sowie des Arbeitsbe-reichs, Stoff- bzw. Produktbezeichnung und betriebsspezifische Erläuterungen zur per-sönlichen Schutzausrüstung (z. B. genaue Artikelbezeichnung oder Hinweise auf die Farbe von Handschuhen) zu ergänzen. Sinnvoll ist alles, was den Mitarbeitern konkrete Hin-weise gibt! Weiter sind beispielsweise die Angabe von Unfalltelefonnummer, Name des Ersthelfers, betriebsbezogene Entsorgungshinweise hilfreich.

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Wenn diese Ergänzungen erfolgt sind, muss der zuständige Vorgesetzte die Betriebsan-weisung für seinen Bereich in Kraft setzen. Er hat auch dafür Sorge zu tragen, dass die Betriebsanweisungen den Mitarbeitern zur Verfügung stehen und eingesehen werden können.

UnterweisungDie Beschäftigten, die Tätigkeiten mit Gefahrstoffen durchführen, müssen anhand der Betriebsanweisung über die auftretenden Gefahren sowie über die Schutzmaßnahmen unterwiesen werden (siehe auch Kapitel 7.2). Der Arbeitgeber hat sicherzustellen, dass im Rahmen der Unterweisung eine arbeitsmedizinisch-toxikologische Beratung durch-geführt wird, bei der die Beschäftigten über Angebotsuntersuchungen oder Pflichtun-tersuchungen unterrichtet und auf die besonderen Gesundheitsgefahren bei Tätigkeiten mit bestimmten Gefahrstoffen hingewiesen werden. Hinweise für die Erstellung von Be-triebsanweisungen und Durchführung von Unterweisungen sind der TRGS 555 „Betriebs-anweisung und Unterweisung“ zu entnehmen.

Verbote und beschäftigungsbeschränkungenFür eine Reihe von Gefahrstoffen (z. B. Kühlschmierstoffe mit nitrosierenden Agenzien, Azofarbstoffe, chromathaltigen Zement, dichlormethanhaltige Abbeizmittel) sind Verwen-dungsverbote zu beachten. Des Weiteren gelten Beschäftigungsbeschränkungen für Ju-gendliche sowie für gebärfähige Frauen, werdende und stillende Mütter. Ob die Voraus-setzungen für Beschäftigungsbeschränkungen im Betrieb gegeben sind, muss im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung geklärt werden.

Aufbewahrung und LagerungGefahrstoffe sind so aufzubewahren oder zu lagern, dass sie die menschliche Gesund-heit und die Umwelt nicht gefährden und ein Missbrauch oder ein Fehlgebrauch nach Möglichkeit verhindert wird. Dies wird zum Beispiel dadurch erreicht, dass Lagerräume verschlossen und mit entsprechenden Verbotsschildern zu versehen sind. Nur fachkun-dige Personen dürfen Zugang haben.

Wegen der Verwechslungsgefahr dürfen Gefahrstoffe nicht in Lebensmittelbehältern oder in Getränkeflaschen aufbewahrt oder gelagert werden! Durch unsachgemäße Lagerung von Gefahrstoffen können Brand- und Explosionsgefahren entstehen. Dies gilt beispiels-weise für die unsachgemäße Lagerung von entzündbaren Flüssigkeiten (z. B. Kraftstoffen, Lösemitteln) sowie von Druckgasen (z. B. Acetylen, Sauerstoff, Flüssiggas).

Gefahrstoffe dürfen nur in Behältern aufbewahrt werden, die aus Werkstoffen bestehen, die den zu erwartenden Beanspruchungen standhalten. Originalgefäße entsprechen in der Regel diesen Anforderungen. Behälter mit Gefahrstoffen sind stets geschlossen auf-zubewahren und zu lagern. Gefahrstoffe, die gefährliche Gase, Dämpfe, Nebel oder Rau-che entwickeln, sind in Schränken, die wirksam entlüftet werden, oder in entsprechend belüfteten Lagerräumen aufzubewahren.

Gefahrstoffe dürfen nicht in unmittelbarer Nähe von Arzneimitteln, Lebens- oder Fut-termitteln gelagert werden. Gefahrstoffe, insbesondere entzündbare Flüssigkeiten und Druckgasbehälter, dürfen in Pausen- oder Bereitschafts- bzw. Sanitärräumen, Durchgän-

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gen und Durchfahrten, Treppenräumen, in allgemein zugänglichen Fluren, auf Dächern und in Dachräumen bzw. in Arbeitsräumen nicht gelagert werden.

Für die betriebliche Praxis empfiehlt es sich, eine möglichst geringe Vielfalt an Gefahrstof-fen vorrätig zu halten und/oder möglichst geringe Mengen an Gefahrstoffen zu lagern. Je höher die zu lagernden Mengen an Gefahrstoffen und deren Vielfalt sind, umso umfang-reichere Anforderungen an die sichere Lagerung sind zu beachten. Eine Kleinmengenla-gerung liegt vor, wenn die Gesamtmenge der gelagerten Stoffe 50 kg bzw. 50 Liter nicht überschreitet bzw. nicht mehr als 50 Aerosolpackungen bzw. Druckgaskartuschen (Ge-samtmenge) gelagert werden.

Vertiefende Informationen zur Lagerung von Gefahrstoffen in ortsbeweglichen Gebinden, einschließlich entzündbarer Flüssigkeiten und Druckgase liefert die TRGS 510 „Lagerung von Gefahrstoffen in ortsbeweglichen Behältern“.

LiteraturVerordnung zum Schutz vor Gefahrstoffen (GefStoffV)Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS)Regel „Unterricht in Schulen mit gefährlichen Stoffen“ (BG/GUV-SR 2003) mit Stoffliste zur Regel

(BG/GUV-SR 2004)Regel „Umgang mit Gefahrstoffen im Hochschulbereich“ (GUV-SR 2005)Information „Gefahrstoffe auf Bauhöfen im öffentlichen Dienst“ (BGI/GUV-I 8561)Information „Tätigkeiten mit Gefahrstoffen in Werkstätten von Veranstaltungs- und Produktions-

stätten für szenische Darstellung“ (GUV-I 8560)Information „Gefahrstoffe in Werkstätten“ (GUV-I 8625)Information „Gefahrstoffe im Krankenhaus – Pflege und Funktionsbereiche“ (BGI/GUV-I 8596)Information „Tätigkeiten mit Gefahrstoffen im öffentlichen Dienst“ (BGI/GUV-I 8555)Information „Sicherheit im chemischen Hochschulpraktikum“ (BGI/GUV-I 8553)Information „Gefahrstoffe bei der Aufbereitung von Schwimm- und Badebeckenwasser“ (BGI/GUV-

I 8688)Gefahrstoffliste 2009, BGIA-Report 1/2009 – Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen

Unfallversicherung, St. AugustinGrenzwerteliste, BGIA Report 2011 – Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfall-

versicherung, St. AugustinGefahrstoffe 2011, Universum Verlag, Wiesbaden (jährliche Aktualisierung)

Page 109: Grundlagen und Grundwissen – Ein Handbuch€¦ · Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit Grundlagen und Grundwissen – Ein Handbuch Unfallkasse Hessen ISBN 978-3-934729-05-6

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362

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6.3 Brand- und Explosionsgefahreningrid thullner

Durch Brände und Explosionen entstehen in Deutschland jährlich Schäden in Millionen-höhe. Oft sind dabei Todesopfer und Verletzte zu beklagen. Häufige Ursache für diese Brände bzw. Explosionen sind Tätigkeiten mit entzündbaren und/oder brandfördernden (oxidierenden) Gefahrstoffen, zum Beispiel die Verwendung von Campinggasflaschen oder Spraydosen. Bei letzteren können sowohl das Treibmittel (Propan/Butan) als auch das getriebene Mittel entzündbar sein. Dämpfe von entzündbaren Flüssigkeiten sind in der Regel schwerer als Luft, können über weite Strecken „kriechen“, sich am Boden, in Senken oder Hohlräumen anreichern und dort entzündet werden. Entzündbare Gase da-gegen (z. B. Methan) sind leichter als Luft. Beim Schweißen können Schweißperlen meh-rere Meter weit springen und dort entzündbare Materialien in Brand setzen (z. B. bei der Brandkatastrophe am Düsseldorfer Flughafen 1996). Eine weitere Ursache ist die Verwen-dung von Lösemittel oder lösemittelhaltigen Farben, Lacken, Klebstoffen in kleinen, nicht oder schlecht belüfteten Räumen mit wirksamen Zündquellen (z. B. brennende Zigaret-ten, Heizstrahler, elektrische Funken). Zu Bränden und schweren Unfällen kann es auch kommen, weil etwa aus einem „leeren Lösemittel- oder Bitumenfass“ durch Aufschnei-den mit der Flex eine „Regentonne“ gebastelt wird.

brand­ und explosionsbegünstigende FaktorenZur Gefährdungsbeurteilung gehört auch die Ermittlung der Brand- und Explosionsge-fahren. Damit ein Brand bzw. eine Explosion entstehen kann, müssen folgende Fakto-ren vorhanden sein:

� entzündbarer (brennbarer) Stoff � Sauerstoff in ausreichender Menge � eine wirksame Zündquelle.

Die Verbrennungsgeschwindigkeit und die Geschwindigkeit, mit der sich bei einem Brand die Flammen ausbreiten, sind unter anderem abhängig von der Art des Stoffes (Brennbar-keit), der Größe seiner spezifischen Oberfläche (Dispersion) und der Sauerstoffkonzen-tration. Die Verbrennungsgeschwindigkeit fester Stoffe ist gering, sie nimmt jedoch mit der „Zerkleinerung“ des Brennstoffs zu (staubförmig, gas- oder dampfförmig).

In Abhängigkeit von der Verbrennungsgeschwindigkeit bzw. von der Ausbreitungsge-schwindigkeit der Flammen und dem durch die entstehenden Brandgase verursachten Druckanstieg unterscheidet man Verbrennung, Verpuffung, Explosion und Detonation.

entzündbare oder brennbare StoffeDie Begriffe „entzündbare“ oder „brennbare“ Stoffe umfassen gasförmige, flüssige und feste Stoffe einschließlich Dämpfe, Nebel oder Stäube, die im Kontakt mit Luft oder reinem Sauerstoff zum Brennen neigen. Das Brandverhalten eines Stoffes hängt von seinen che-mischen, physikalisch-chemischen Eigenschaften und seinem Aggregatzustand ab. Die Vergrößerung der Oberfläche eines Werkstoffs kann sich entscheidend auf das Brandver-halten auswirken. Brennbare Stoffe werden in Brandklassen eingeteilt (siehe Tabelle 1).

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� Benzin � Alkohol � Heizöl � Wachs

� Schaum � Kohlensäure � Pulver

c Gasförmige Stoffe Flamme

� Erdgas � Methan � Propan � Acetylen

� Kohlensäure � Pulver

d Leicht- und Alkalimetalle Flamme und Glut > 1000 °C

� Aluminium � Magnesium � Kalium � Natrium

� Metallbrand-pulver

� Trockener Sand

� Grauguss-späne

F Fett- bzw. Ölbrände � Friteusen � Speziallösch-mittel

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Die Kenntnis über die Zuordnung zur Brandklasse ist notwendig, um geeignete Lösch-mittel auszuwählen und um ungeeignete Löschmittel vermeiden zu können, da sie unter Umständen einen Brand ausbreiten können.

Entzündbare gasförmige und flüssige Stoffe werden nach verschiedenen physikalischen Kenngrößen beurteilt (siehe Tabelle 2). Bei entzündbaren Flüssigkeiten ist zu beachten, dass nicht die Flüssigkeit selbst brennt, sondern nur die Dämpfe, die sich über der Flüs-sigkeitsoberfläche befinden.

Sauerstoff in ausreichender MengeSauerstoff ist unabdingbar für den Verbrennungsvorgang, da hier eine Reaktion (Oxida-tion) zwischen dem „brennbaren“ Stoff und Sauerstoff abläuft. Die Umgebungsluft ent-hält 21 % Sauerstoff (O2), 78 % Stickstoff, 1 % Edelgase. Da bei einem Brand Sauerstoff verbraucht wird, hängt die Weiterentwicklung des Brandes von der Sauerstoffzufuhr ab: Ein Brand in einem geschlossenen Raum ohne Frischluftzufuhr wird nach einiger Zeit nur noch schwelen (bei ca. 15 % O2) und ggf. verlöschen (bei ca. 10–12 % O2). Daher ist die Sauerstoffreduktion in bestimmten Bereichen (z. B. EDV-Zentralen) eine Maßnahme des Brandschutzes. Für den Menschen kann das Betreten von Räumen, in denen eine redu-zierte Sauerstoffkonzentration (unter 19 % O2) auftreten kann, gefährlich werden. Daher ist vor Betreten von engen Räumen, Behältern, Gruben, Abwasserkanälen zunächst die Sauerstoffkonzentration zu messen.

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K a p i t e l V I · G e f ä h r d u n g e n u n d S c h u t z m a s s n a h m e n

Ein Schwelbrand kann durch plötzliche Sauerstoffzufuhr wieder aufflammen (z. B. durch Öffnen einer Tür oder eines Fensters), wobei es zur Bildung einer Stichflamme kommen kann („flash over“). Wird der Sauerstoffgehalt erhöht, so erhöht sich die Verbrennungs-geschwindigkeit. Aus diesem Grund ist in Werkstätten das Abblasen verstaubter Arbeits-kleidung mit Druckluft tunlichst zu vermeiden. Die Kleidung reichert sich mit Sauerstoff an und kann zum Beispiel durch eine brennende Zigarette, einen Schleiffunken oder durch Schweißperlen sofort entzündet werden.

Brände können auch ohne Luftsauerstoff entstehen, wenn „brandfördernde“ Stoffe vor-handen sind wie die sauerstoffreichen Verbindungen organische Peroxide, Chlorate, Per-manganate oder Nitrate.

Wirksame zündquelleUm einen Verbrennungsvorgang einzuleiten, sind die Intensität (Zündenergie) und die Einwirkungsdauer einer Zündquelle wichtig. Eine Zündquelle ist wirksam, wenn ihre Zünd-energie gleich oder größer ist als die Mindestzündenergie des brennbaren Stoffs. Bei Ga-sen oder Dämpfen von entzündbaren Flüssigkeiten reichen häufig schon Zündenergien von 0,1–1 Millijoule (mJ) aus.

Offene Flammen oder Glut, heiße Oberflächen, mechanische oder elektrische Funken, elektrostatische Aufladung, Laserstrahlung und Druck sind wirksame Zündquellen.

entzündbare Flüssigkeiten und GaseAn vielen Arbeitsplätzen werden entzündbare Flüssigkeiten verwendet oder Gefahrstoffe, die entzündbare Bestandteile enthalten. Jede entzündbare Flüssigkeit entwickelt mit zu-nehmender Temperatur immer mehr Dämpfe. Diese können im Gemisch mit Luft oder mit reinem Sauerstoff brennbare oder explosionsfähige Gemische bilden. Selbst von kleinen Mengen entzündbarer Flüssigkeiten kann Gefahr ausgehen. Verdampft zum Beispiel ein Milliliter entzündbare Flüssigkeit, können sich im Gemisch mit Luft zehn Liter explosions-fähige Atmosphäre bilden. Dies ist eine Menge, die gezündet bereits zu Personen- und Sachschäden führen kann. Dabei sind die für den Brandschutz relevanten Dampfkon-zentrationen immer um Größenordnungen höher als die für die Gesundheit bedenkli-chen Konzentrationen.

Kenngrößen des Brand- und ExplosionsschutzesDer Flammpunkt ist die niedrigste Flüssigkeitstemperatur, bei der sich ausreichend Dämpfe bilden, um das entstehende Dampf-Luftgemisch bei Fremdzündung kurzzeitig zu entflammen. Nach Entfernen der Zündquelle erlischt die Flamme. Der Flammpunkt ei-ner entzündbaren Flüssigkeit ist in den Sicherheitsdatenblättern (Abschnitt 9) zu finden.

Der Siedepunkt ist die maximal erreichbare Temperatur bei Normaldruck, bei der eine Flüs-sigkeit vollständig in den dampfförmigen Zustand übergeht. Der Flammpunkt ist neben dem Siedepunkt ein Einstufungskriterium für Stoffe in die Gefahrenklasse „entzündbare Flüssigkeiten“ und in deren drei Gefahrenkategorien (siehe folgende Tabelle).

Besonders gefährlich sind die entzündbaren Flüssigkeiten, deren Flammpunkt im Bereich der Raumtemperatur oder darunter liegt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Raum-

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temperatur (Umgebungstemperatur) im Sommer auch über 30 °C ansteigen kann. Auch Flüssigkeiten mit einem höheren Flammpunkt können – zum Beispiel an heißen Ober-flächen – entzündet werden.

Der Brennpunkt ist die Temperatur, bei der eine entzündbare Flüssigkeit mit fremder Zünd-quelle gezündet werden kann und anschließend nach Entfernung der Zündquelle selbst-ständig weiterbrennt.

Die Zündtemperatur ist die niedrigste Temperatur einer heißen Oberfläche, bei der durch Kontakt eines entzündbaren Stoffs eine Selbstentzündung erreicht werden kann. Die Ein-wirkung einer anderen Zündquelle ist dabei nicht erforderlich. Abhängig von der Zünd-temperatur, werden entzündbare Flüssigkeiten und Gase in Temperaturklassen einge-teilt. So gehört beispielsweise Methan mit einer Zündtemperatur von mehr als 450 °C in die Temperaturklasse T 1, während Öle mit Zündtemperaturen von 135 bis 200 °C in die Temperaturklasse T 4 eingeordnet sind.

Die elektrischen Betriebsmittel in explosionsgefährdeten Bereichen müssen den jewei-ligen Temperaturklassen der brennbaren Stoffe entsprechen.

Ein weiteres Merkmal von Flüssigkeiten ist der Dampfdruck. Jede Flüssigkeit dampft mehr oder weniger in die Umgebungsluft, dadurch wird ein bestimmter Dampfdruck erzeugt, der von der Umgebungstemperatur abhängt. Je höher die Umgebungstemperatur, um so höher ist auch der Dampfdruck einer Flüssigkeit. Günstig im Sinne des Arbeitsschutzes ist ein hoher Flammpunkt bei gleichzeitig niedrigem Dampfdruck und hohem Arbeits-platzgrenzwert.

Gase und Dämpfe entzündbarer Flüssigkeiten bilden mit der Luft innerhalb bestimmter Konzentrationsgrenzen explosionsfähige Gemische. Diese Grenzen nennt man untere und obere Explosionsgrenze (UEG/OEG). Ein Dampf-(Gas)-Luftgemisch in dem die Dampfkon-zentration unterhalb der UEG liegt, ist „zu mager“, während ein Dampf-Luftgemisch, in dem die Dampfkonzentration über der OEG liegt, „zu fett“ ist. Dazwischen liegt der ex-plosionsgefährdete Mischungsbereich (siehe Tabelle 3).

SchutzmaßnahmenBereiche, in denen gefährliche explosionsfähige Atmosphäre vorkommt, werden in Ab-hängigkeit von der Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer gefährlichen explosionsfä-higen Atmosphäre in Zonen eingeteilt. Die Zoneneinteilung stellt eine Grundlage für die Beurteilung des Umfanges der zu berücksichtigenden baulichen und technischen Maß-nahmen dar. So müssen zum Beispiel elektrische Betriebsmittel für die jeweilige Zone geeignet sein.

Für entzündbare Gase und Dämpfe gilt:

� Zone 0 – umfasst Bereiche, in denen gefährliche explosionsfähige Gemische stän-dig oder langzeitig vorhanden sind, zum Beispiel im Inneren von (auch entleerten) Behältern

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K a p i t e l V I · G e f ä h r d u n g e n u n d S c h u t z m a s s n a h m e n

� Zone 1 – umfasst Bereiche, in denen damit zu rechnen ist, dass gefährliche explosi-onsfähige Gemische gelegentlich auftreten, zum Beispiel in Chemikalienlagern, in de-nen auch umgefüllt wird, und in nicht belüfteten Abwasserkanälen

� Zone 2 – umfasst Bereiche, in denen damit zu rechnen ist, dass gefährliche explosi-onsfähige Gemische nur selten und dann auch nur kurzzeitig auftreten, zum Beispiel im Umfeld von Sicherheitsschränken und in natürlich belüfteten Abwasserkanälen.

In explosionsgefährdeten Bereichen ist im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung (siehe Kapitel 4.3 und 5.3) die Beurteilung gefordert für

� das Auftreten einer explosiven Atmosphäre � deren Zündungswahrscheinlichkeit � die Aus wirk ung einer möglichen Explosion.

Darüber hinaus sind explosionge fähr dete Bereiche in Zonen einzuteilen. In einem Ex-plosionsschutzdokument sind die Ereb nisse der Ermittlung, die Zoneneinteilung und die Explosionsschutzm aß nahmen schriftlich zu dokumentieren.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass unter folgenden Bedingungen entzünd-bare Flüssigkeiten und Gase besonders gefährlich sind:

� niedriger Siedepunkt � niedriger Flammpunkt � niedriger Brennpunkt � niedrige Zündtemperatur � großer Explosionsbereich � hoher Dampfdruck.

Zur Vermeidung von Brand- und Explosionsgefahren sind Maßnahmen zu ergreifen, die nachstehender Rangfolge unterliegen:

1. Vermeidung oder Verringerung gefährlicher Gefahrstoffmengen oder -konzentratio-nen, ggf. Substitution durch „weniger“ gefährliche Stoffe (z. B. mit höherem Flamm-punkt, Konzentration oberhalb OEG)

2. Vermeidung von Zündquellen (z. B. Absenken der Oberflächentemperaturen, explo-sionsgeschützte Ausführung von Geräten bzw. Anlagen, Vermeidung von elektrosta-tischer Aufladung)

3. Verringerung der Auswirkung von Bränden und Explosionen (z. B. Inertisierung von Be-hältern, geeignete Löschmittel (siehe Tabelle 1 „Brandklassen“), Brandmelder, bau-lich geeignete Lagerräume, Fluchtwege, Notausgänge).

Zur Lagerung entzündbarer Flüssigkeiten ist die TRGS 510 „Lagerung von Gefahrstoffen in ortsbeweglichen Behältern“ zu beachten. Gefahrstoffe, die gefährliche Gase, Dämpfe, Nebel oder Rauche entwickeln, sind in Schränken, die wirksam entlüftet werden, oder in entsprechend belüfteten Lagerräu-men aufzubewahren.

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Am Arbeitsplatz dürfen nur die Mengen entzündbarer Flüssigkeiten („für den Handge-brauch“) aufbewahrt werden, die dem unmittelbaren Fortgang der Arbeiten dienen (siehe auch Kapitel 6.2, S. 106f.). Insbesondere dürfen entzündbare Flüssigkeiten und Druck-gasbehälter nicht in Pausen- oder Bereitschafts- und Sanitärräumen, Durchgängen und Durchfahrten, Treppenräumen, in allgemein zugänglichen Fluren, auf Dächern und in Dachräumen bzw. in Arbeitsräumen gelagert werden.

Stoff Flammpunkt°c

Siedepunkt°c

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grenze (UeG)g/m3

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grenze (OeG)g/m3

Sättigungs­konzentra­

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n­butanol 35 118 43 350 20

cyclohexan -18 81 40 290 359

diethylether < -20 34 50 1100 1710

ethanol 12 78 67 290 112

ethylacetat -4 77 75 420 351

ethylbenzol 23 136 43 340 41

n – Hexan < -20 69 42 265 566

iso – Hexan (2­Methylpentan) -40 60 40 250 810

isopropanol (2­Propanol) 12 82 50 340 106

Methanol 11 64 73 590 168

1­Methoxy­2­propanol 38 120 71 490 44

n­Methyl­2­pyrrolidon 91 203 54 391 11

n­Propanol 22 97 50 340 47

Solvent naphtha (div. zusammen­setzung)

> 21 - > 55 149 bis 280 z. B.: 50 340 47

Styrol 32 146 45 350 31

toluol 6 111 46 270 110

Xylol (*: p­Xylol) 25* 138* 48* 310* 36*

tabelle 3: Stoffbeispiele und ihre Kenngrößen des brand­ und explosionsschutzes. Quelle: Gestis­Stoff datenbank

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LiteraturVerordnung zum Schutz vor Gefahrstoffen (GefStofV) Technische Regel für Gefahrstoffe „Lagerung von Gefahrstoffen in ortsbeweglichen Behältern“

(TRGS 510)Technische Regel für Gefahrstoffe „Gefährliche explosionsfähige Atmosphäre – Allgemeines“ (TRGS

720 [TRBS 2152])Technische Regel für Gefahrstoffe „Gefährliche explosionsfähige Atmosphäre – Beurteilung der Ex-

plosionsgefährdung“ (TRGS 721 [TRGS 2152 Teil 1])Technische Regel für Gefahrstoffe „Vermeidung oder Einschränkung gefährlicher explosionsfähi-

ger Atmosphäre“ (TRGS 722 [TRGS 2152 Teil 2])Technische Regel für Gefahrstoffe „Brandschutzmaßnahmen“ (TRGS 800)Information „Arbeitssicherheit durch vorbeugenden Brandschutz“ (BGI/GUV-I 560)

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6.4 HautschutzGernot Krämer

Hauterkrankungen sind die am häufigsten angezeigten Berufskrankheiten. In fast allen Fällen sind in erster Linie die Hände betroffen. Oft handelt es sich dabei um ein soge-nanntes Abnutzungsekzem. Dieses entsteht, wenn die Haut über längere Zeit ständig ei-ner einseitigen Belastung, zum Beispiel durch Feuchtarbeit, ausgesetzt wird. Von Feucht-arbeiten spricht man, wenn während der täglichen Arbeitszeit mindestens zwei Stunden mit den Händen in wässrigem Milieu gearbeitet wird oder wenn über einen entsprechen-den Zeitraum flüssigkeitsdichte Schutzhandschuhe getragen werden. Es kann also sein, dass das Tragen von flüssigkeitsdichten Schutzhandschuhen zwar vor ernsten und irre-versiblen Gesundheitsgefahren, wie Verätzungen, schützt, aber gleichzeitig ein neues, wenn auch geringeres Risiko in Erscheinung tritt, das weitere Schutzmaßnahmen notwen-dig macht. Ein umfassender Hautschutz ist daher an vielen Arbeitsplätzen unabdingbar.

Aufbau der HautDie Haut ist viel mehr als die äußere Hülle des menschlichen Körpers. Die vermeintlich (und rein anatomisch gesehen auch tatsächlich) dünne Haut nimmt eine Vielzahl von Aufgaben wahr! Sie schützt den Körper vor chemischen, mechanischen, physikalischen Einwirkungen, vor Auskühlung, Überhitzung sowie vor Austrocknung und vor Krankheits-erregern. Durch Rezeptoren werden Reize wie Druck oder Temperatur aus der Umwelt auf-genommen und mittels Drüsen werden Stoffe (Duftstoffe, Talg, Schweiß) an die Oberflä-che abgegeben. Darüber hinaus kann die Haut den Mitmenschen auch Informationen über die Gefühlslage vermitteln.

Um diese Aufgaben leisten zu können, muss die mehrschichtig aufgebaute Hülle intakt sein, wofür die obersten Strukturen der Haut von entscheidender Bedeutung sind:

� Basalmembran (Grenze zwischen Lederhaut und Oberhaut) � Oberhaut (Hornhaut) � Hydro-Lipidfilm („Säureschutzmantel“, „Wasser-Fett-Film“).

HauterkrankungenAbnutzungsekzemDie meisten mit dem Erwerbsleben in Zusammenhang gebrachten Hauterscheinungen gehen auf diesen Ekzemtyp zurück. Durch die tägliche Einwirkung von Schadstoffen mit relativ geringem Schädigungspotenzial (z. B. Wasser, Wasch- und Reinigungsmittel, Des-infektionsmittel, organische Lösemittel, Kühlschmierstoffe) wird nach einiger Zeit (die Zeitspanne ist von der Veranlagung des Einzelnen abhängig) der Reparaturmechanis-mus der Haut überfordert und es kommt zu Hauterscheinungen. Schuld sind Schadstoffe, die die schützende Barriere der oberen Hautschichten überwinden und in tiefere Zellla-gen eindringen konnten. Solche Schäden machen sich in Form von trockenen, rauen und rissigen Hautpartien bemerkbar. Oft treten sie zuerst an den Stellen auf, an denen die Haut besonders dünn ist oder besonders beansprucht wird: zwischen den Fingern, um den Nagelfalz oder auf der Rückseite der Hand an den Fingergelenken. Besonders häu-fig ist dies gegen Ende des Winters der Fall, wenn die Haut durch die zwangsläufig nied-rige Luftfeuchtigkeit in geheizten Räumen ohnehin wenig Feuchtigkeit enthält und in ih-

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rer Widerstandsfähigkeit reduziert ist. Gelangen Stoffe, die in der Lage sind, Allergien zu verursachen, in die Bereiche lebender Zellen, kann – manchmal erst nach jahrelangem Schadstoffkontakt – eine Sensibilisierung ausgelöst werden, die zur Folge hat, dass der Körper bei weiteren Kontakten mit diesem Stoff mit einer allergischen Reaktion antwortet.Im Zuständigkeitsbereich der UKH sind Arbeiten in feuchtem Milieu bzw. Arbeiten, bei denen über mehr als zwei Stunden pro Arbeitstag flüssigkeitsdichte Handschuhe getra-gen werden, die häufigste Ursache für Abnutzungsekzeme.

Allergisches KontaktekzemBei einer Allergie handelt es sich um eine erworbene Reaktionsbereitschaft des Immun-systems auf körperfremde Stoffe. Normalerweise ist es Aufgabe des Immunsystems, eingedrungene Fremdstoffe zu beseitigen. Leider kann die Körperabwehr auch über das eigentliche Ziel hinausschießen, sie bekämpft dann – nach vorhergegangener Sensibili-sierung – eingedrungene Fremdstoffe sehr heftig, was zu massiven Entzündungsreakti-onen (Rötung, Schwellung, Juckreiz usw.) der Haut führen kann. Bei bestimmten Stoffen mit hohem Sensibilisierungspotenzial können kleinste Mengen ausreichen, um bei ei-nem bereits sensibilisierten Menschen heftige Reaktionen hervorzurufen. Je nachdem, ob die Reaktion in etwa zeitgleich mit dem Stoffkontakt (Soforttyp) oder erst später (Spät-typ) eintritt und nach der Art des Entzündungsablaufs werden vom Mediziner verschie-dene Allergietypen unterschieden. Während es bei Allergien vom Soforttyp in der Regel keine Probleme bereitet, die kritischen Arbeitsstoffe zu identifizieren, ist dies bei Aller-gien vom Spättyp, bei denen die Reaktion des Körpers unter Umständen erst nach Tagen eintritt, häufig problematisch.

Gesetzliche ForderungenEines der Grundprinzipien des Arbeitsschutzes, das u. a. auch die Gefahrstoffverordnung explizit betont, ist es, Gefahren zu ermitteln und zu beseitigen, mindestens aber zu mi-nimieren. Dies gilt selbstverständlich auch für hautbelastende Tätigkeiten. Wann immer möglich, sollte daher zum Beispiel Feuchtarbeit vermieden, zumindest aber verringert werden. Eine solche Lösung bietet etwa der Einsatz moderner Reinigungssysteme, bei denen der Wischmop ausgetauscht werden kann ohne dass man die Hände benutzt. Wo solche Maßnahmen nicht möglich sind, kann durch eine entsprechende Arbeitsorgani-sation ein regelmäßiger Wechsel zwischen „feuchten“ und „trockenen“ Arbeiten und da-mit eine Reduktion der Belastung erreicht werden. Hierzu kann es unter Umständen not-wendig sein, Feuchtarbeiten auf mehrere Mitarbeiter zu verteilen.

Maßnahmen mit dem Ziel einer Belastungsreduktion haben immer Vorrang vor individu-ellen Schutzmaßnahmen. Hinweise zum Vorgehen bei der Ermittlung und Beurteilung von Hautgefährdungen enthält die TRGS 401 „Gefährdungen durch Hautkontakt – Ermittlung, Beurteilung, Maßnahmen“.

Hautschutzmittel werden der persönlichen Schutzausrüstung zugeordnet und müssen aufgrund der einschlägigen Paragrafen in Unfallverhütungsvorschriften (UVV „Grund-sätze der Prävention”), Gesetzen (Arbeitsschutzgesetz) und Verordnungen (Gefahrstoff-verordnung, Biostoffverordnung usw.) den Arbeitnehmern unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden.

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In der „Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge“ (ArbMedVV) wird unter anderem festgelegt, dass der Unternehmer dem Beschäftigten bei Kontakt mit verschiedenen Ge-fahrstoffen Untersuchungen anbieten muss (Angebotsuntersuchungen) bzw. dass solche Untersuchungen zwingend durchgeführt werden müssen (Pflichtuntersuchungen). Auch sogenannte Feuchtarbeiten oder der Kontakt mit bestimmten Gefahrstoffen können sol-che Untersuchungen auslösen.

HautschutzKonsequenter Hautschutz setzt an diesen drei Punkten an:

� Hautreinigung � Hautpflege � Hautschutz.

HautreinigungDurch die Verwendung von adäquaten Hautschutzmitteln ist eine Hautreinigung unter Um-ständen in größeren Zeitabständen nötig und kann – beim Einsatz abgestimmter spezi-eller Reinigungsmittel – leichter und schonender erfolgen. Reinigungsmittel, die neben waschaktiven Substanzen Reibemittel (z. B. Handwaschpasten) oder gar Lösemittel ent-halten, sollten nur dann verwendet werden, wenn dies unumgänglich ist. Angeboten wer-den gegenwärtig Handwaschpasten, die als Reibemittel Sand, Holzmehl, Kunststoffgra-nulate oder biologisch abbaubares Material (gemahlene Walnussschalen, Olivenkerne, Maiskolben etc.) enthalten. Auch bei der Verwendung von Hautreinigungsmitteln sollte an die damit einhergehende Hautbelastung gedacht werden und diese so gering als mög-lich gehalten werden. Mittel, bei deren Anwendung eine stark abrasive Wirkung unwei-gerlich eintritt, oder lösemittelhaltige Handreinigungsmittel sollten nur dann eingesetzt werden, wenn dies unabdingbar ist.

HautpflegemittelDie Auswahl der Hautpflegemittel ist neben der individuellen Situation auch von der be-ruflichen Belastung abhängig. Wichtigstes Kriterium ist hierbei der Fettanteil. Wessen Haut durch die berufliche Tätigkeit stark austrocknet und fettarm ist, der benötigt ein Hautpflegemittel mit einem höheren Fettanteil als derjenige, dessen Haut nur gering be-lastet wird und nicht so stark austrocknet.

HautschutzmittelDie konsequente Verwendung von Hautschutzmitteln kann wesentlich zur Gesunderhal-tung der Haut der Hände beitragen. Die Schutzwirkung von Hautschutzmitteln ist jedoch geringer als die von Schutzhandschuhen – auch wenn manche Anbieter mit Bezeichnun-gen wie ”unsichtbarer” oder ”flüssiger Handschuh” gerne das Gegenteil suggerieren. Nur beim Umgang mit Gefahrstoffen mit geringem Schädigungspotenzial kann daher bei der Verwendung von Hautschutzmitteln auf Schutzhandschuhe verzichtet werden!

Hautschutzmittel sollen die Barrierefunktion der Haut erhalten. Die meisten Hautschutz-mittel nutzen den Umstand aus, dass sich Wasser nicht in Fett löst und umgekehrt. Diese Mittel werden als spezielle Hautschutzmittel bezeichnet. Soweit die Theorie. Aufgrund von verschiedenen Problemen (Fett zieht schlecht in die Haut ein, was die Anwenderak-zeptanz senkt; wässrige Anteile in den Präparaten verdunsten schnell, was wiederhol-

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tes Auftragen in kurzen Abständen erforderlich macht usw.) sind die meisten heute an-gebotenen Hautschutzmittel komplizierter aufgebaut.

An vielen Arbeitsplätzen werden in rascher Folge abwechselnd wasserlösliche und nicht-wasserlösliche Stoffe verwendet (in Werkstätten z. B. Kühlschmierstoffe und organische Lösemittel). Der Einsatz von speziellen, auf das Lösungsverhalten der verwendeten Stoffe abgestimmten Hautschutzmitteln ist daher nicht möglich. In solchen Fällen bietet sich als Kompromiss die Verwendung eines Hautschutzpräparates an, das nach dem soge-nannten dualistischen Wirkprinzip funktioniert und gegen beide Stoffe einen gewissen Schutz bietet. Die wichtigsten Wirkbestandteile solcher Präparate sind häufig Wachse und Gerbstoffe. Die Wachse bilden einen Schutzfilm auf der Haut, während die Gerb-stoffe die oberen Hornschichten verfestigen und vor dem Eindringen von Wasser schüt-zen. Rein gerbstoffhaltige Präparate können auch verwendet werden, um die Haut beim Tragen von Handschuhen vor dem Feuchtigkeitsstau und dem Aufquellen zu schützen.

HautschutzplanDamit die Mitarbeiter sich rasch und einfach über die im jeweiligen Fall anzuwenden-den Hautschutz-, Hautreinigungs- und Hautpflegemittel orientieren können, muss der Arbeitgeber einen Hautschutzplan aufstellen. In ihm sind die gefährdenden Tätigkeiten und die jeweils erforderlichen Schutzmaßnahmen übersichtlich zusammengestellt. Der Hautschutzplan sollte dort ausgehängt werden, wo auch die entsprechenden Mittel an-geboten werden, beispielsweise am Handwaschplatz.

AllergierisikoLeider gibt es auch in Hautschutz-, -reinigungs- und -pflegemitteln Stoffe, die möglicher-weise Allergien auslösen oder (häufiger) bei bestehenden Sensibilisierungen Hauter-scheinungen verursachen können. Aus diesem Grund müssen auf der Verpackung aller in Europa vertriebenen Kosmetikprodukte die Bestandteile deklariert werden. So wird es Allergikern ermöglicht, Produkte mit für sie unverträglichen Bestandteilen zu meiden. Die Deklarierung erfolgt nach dem INCI-Standard (International Nomenclature of Cosmetic In-gredients) in englischer Sprache, was die Orientierung erschweren kann. In Zweifelsfällen sollte daher ein Arzt (Betriebs-, Haut- oder Hausarzt) befragt werden. Persönliche Schutz-ausrüstung muss dem Anwender individuell passen. Auf Hautschutz, Hautreinigung und Hautpflege bezogen bedeutet dies, dass der Arbeitgeber Produkte zur Verfügung stellen muss, auf deren Bestandteile der Arbeitnehmer nicht allergisch reagiert.

HygieneSchutz-, Reinigungs- und Pflegemittel für die Haut sollten aus hygienischen Gründen den Beschäftigten in Spendern angeboten werden. Die Verwendung von Dosen, Eimern usw. und insbesondere die Nutzung durch mehrere Personen führt allzu leicht dazu, dass der Inhalt verschmutzt und verkeimt. Aus diesem Grund dürfen auch Seifenstücke nicht von mehreren Personen verwendet werden. Zum Abtrocknen der Hände müssen Einmal-handtücher, Automaten mit Endlosstoffhandtüchern, Warmlufttrockenautomaten etc. zur Verfügung gestellt werden. Normale Stoffhandtücher dürfen aus hygienischen Gründen nur dann benützt werden, wenn sie eindeutig einer Person zugeordnet werden können.

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Eincremen ist gar nicht so einfachEin großer Nachteil von Hautschutz-, Hautreinigungs- und Hautpflegemitteln ist, dass die banal erscheinende Anwendung wesentlich schwieriger ist, als dies den Anschein hat. Versuche mit Mitteln, die mit einem fluoreszierenden Anteil versehen wurden, ha-ben gezeigt, dass es vielen Anwendern nicht gelingt, die Mittel auf alle Hautpartien an den Händen aufzutragen. Oft werden die kritischen Bereiche auf dem Handrücken, zwi-schen den Fingern, im Bereich der Knöchel und Fingergelenke und rund um den Nagel-falz nicht ausreichend eingecremt.

FazitDie Prävention von Hauterkrankungen ist ein Gebiet, das viel komplexer ist, als es zu-nächst den Anschein hat. Durch eine sorgfältige Gefährdungsbeurteilung und auf die Be-lastung abgestimmte Maßnahmen ist es jedoch – verbunden mit einer entsprechenden Beharrlichkeit – möglich, die Anzahl der Erkrankungen zu reduzieren.

LiteraturInformation „Hautkrankheiten und Hautschutz“ (GUV-I 8559)Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV)Technische Regel für Gefahrstoffe „Gefährdung durch Hautkontakt – Ermittlung, Beurteilung, Maß-

nahmen“ (TRGS 401)Unfallkasse Hessen: „Mit heiler Haut“ – DVD und Internetauftritt (www.mit-heiler-haut.de)

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6.5 Physikalische EinwirkungenWolfgang baumann

An vielen, sehr unterschiedlichen Arbeitsplätzen sind Arbeitnehmer speziellen physika-lischen Einwirkungen ausgesetzt, insbesondere sind das Lärm, Vibrationen, elektroma-gnetische Felder oder optische Strahlung. In den folgenden vier Abschnitten werden die Gefahren durch diese speziellen physikalischen Einwirkungen aufgezeigt sowie die Be-urteilung der Gefährdung und Mindestanforderungen an die Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer beschrieben. Die aufgeführten speziellen physikalischen Einwirkungen wer-den darüber hinaus in Verordnungen zum Arbeitsschutzgesetz behandelt.

6.5.1 LärmZu den Begleiterscheinungen des technischen Fortschritts gehören laute Geräusche. Die Geräusche, die der Straßen- oder Flugverkehr verursacht, werden laut einer Umfrage in Deutschland als besonders belästigend empfunden. Schienenverkehr, Gewerbe und Industrie oder laute Nachbarn folgen fast gleichrangig in größerem Abstand, aber auch Sportanlagen finden sich in der Hitliste der Verursacher.

Lärm ist ein unerwünschtes Geräusch, das zu einer Belästigung, Störung, Beeinträchti-gung der Leistungsfähigkeit, besonderen Unfallgefahren oder Gesundheitsschäden führt. Am Arbeitsplatz kann Lärm zu Stressreaktionen, zu erhöhten Unfallgefahren oder zur Schädigung des Gehörs führen. Schwerhörigkeiten, verursacht durch Lärm am Arbeits-platz, zählen zu den häufigsten Berufserkrankungen.

Was als Lärm empfunden wird, ist zunächst Schall, das heißt Schwingungen in einem elastischen Medium. Je nach Medium, in dem sich die Schwingungen ausbreiten, wird zwischen Luftschall, Körperschall und Wasserschall unterschieden. Die Schwingungen breiten sich in Form von Wellen, im einfachsten Fall als Sinuswellen, aus.

Luftschall entsteht durch Schwankungen des örtlichen Luftdruckes in der Atmosphäre. Die Ursachen dieser Schwankungen können zum Beispiel Luftverwirbelungen in Lüftungs-kanälen oder an Druckluftdüsen, Anregungen von Luftsäulen (Orgelpfeifen oder Flöten) oder Schwingungen von Maschinenteilen und -oberflächen sein. Am Beispiel der schwin-genden Lautsprechermembran kann die Schallentstehung nachvollzogen werden. In der unmittelbaren Nähe der Membran werden die Luftmassen durch die Membran bewegt. In größerem Abstand entsteht hierdurch eine Kompression der Luftmoleküle. Es entste-hen Stellen mit Über- und Unterdruck, die sich als Wellen ausbreiten.

Den Abstand zwischen zwei benachbarten Überdruckgebieten (Wellenberge) bezeichnet man als Wellenlänge. Die Anzahl der Schwingungen in einer Zeiteinheit heißt Frequenz. Der Kehrwert der Frequenz wird Periodendauer genannt und gibt die Zeit an, die zwischen zwei Wellenbergen verstreicht. Wellenlänge und Frequenz stehen in einer festen Bezie-hung. Das Produkt aus Wellenlänge und Frequenz ist die Schallgeschwindigkeit, das heißt die Geschwindigkeit, mit der sich die Welle ausbreitet.

Die Schalldruckwellen werden vom Ohr aufgenommen und im Innenohr durch die Haar-zellen in der Schnecke in Signale umgewandelt, die vom Gehirn verarbeitet werden kön-

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nen. Das Gehör kann Geräusche mit einem Schalldruck von 20 Mikropascal bereits wahr-nehmen. Dieser Schalldruck wird als Hörschwelle bezeichnet. Ein Geräusch mit einem Schalldruck von 20 Pascal wird als schmerzhaft oder unerträglich empfunden. Das Ge-hör kann Schallsignale im Frequenzbereich zwischen 16 Hertz (Hz) und 16 000 Hertz (Hz) erkennen und verarbeiten. Schallsignale werden bei gleichem Schalldruck, aber unter-schiedlichen Frequenzen unterschiedlich laut empfunden. Den Zusammenhang zwischen Schalldruckpegel, Frequenz und Lautstärkeempfindung geben die Kurven gleicher Laut-stärkepegel wieder.

Gefahren durch LärmDie Haarzellen im Innenohr werden durch laute Geräusche stark gefordert. Eine andau-ernd hohe Lärmbelastung führt zunächst zu einer vorübergehenden Vertäubung (tempo-räre Hörschwellenverschiebung). Wird der Stoffwechsel des Innenohrs durch dauernde Überbelastung überfordert, sterben die Haarzellen ab. Es kommt zu einer bleibenden Hör-schwellenverschiebung, was zur Schwerhörigkeit und ggf. bis zur Taubheit führt. Oberhalb einer bestimmten Grenzbelastung (extrem hohe Impulslärmbelastungen) muss zusätzlich mit einer direkten Schädigung der Haarzellen durch mechanische Überbeanspruchung ge-rechnet werden. Die Haarzellen brechen ab und verursachen einen akuten Gehörschaden.

Auch Lärmbelastungen, die keinen Gehörschaden verursachen, haben ein Gefährdungs-potenzial. Laute Geräusche können andere Signale überdecken. Sie beeinträchtigen zum Beispiel die sprachliche Verständigung, verdecken Geräusche, die Gefahren ankündigen, oder übertönen Alarmsignale und erhöhen so die Unfallgefahr. Bereits relativ leise Schall-ereignisse können physische Reaktionen hervorrufen (extraaurale Wirkungen). Geräusch-belastungen können das Einschlafen erschweren, die Tiefe und Dauer des Schlafes ver-ändern und u. U. vegetativ bedingte Krankheiten verursachen oder verstärken. Die Folge von – durch Lärm hervorgerufenen – Schafstörungen beispielsweise ist eine Minderung der Leistungsfähigkeit und des Wohlbefindens am Tag.

Starke Lärmbelastung kann Stressreaktionen verursachen, die sich in Verärgerung, An-spannung und Nervosität zeigen oder die sich durch Veränderung der Atemrate, erhöh-ten Blutdruck und Hemmung der Magensaft- und Speichelsekretion äußern. In Wohnbe-reichen mit hohen Geräuschbelastungen aus der Umwelt wurde ein größeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen beobachtet. In Arbeitsbereichen konnte eine Verminderung der Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter bei Störeinwirkungen und Lästigkeit von Lärm fest-gestellt werden. Im Laufe von lärmbelasteten Arbeitsschichten wurden beispielsweise eine Steigerung der Fehlerhäufigkeit und eine Verringerung der Produktivität ermittelt. Unter Lärmeinwirkung ist häufiger mit Unfällen aufgrund von Fehlverhalten oder Schreck-reaktionen zu rechnen.

Noch ungeklärt sind die Gefährdungen bei einer Kombinationswirkung von Lärm und Vi-brationen oder von Lärm und ototoxischen (gehörschädlichen) Substanzen. Aufgrund einzelner Untersuchungen wurde ein höheres Schadenrisiko bei Kombinationswirkun-gen vermutet, bisher aber nicht eindeutig bestätigt.

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Ermittlung und Beurteilung der GefährdungZur Bewertung und Beurteilung von Schallereignissen werden Pegelmaße verwendet. Beim Schalldruckpegel wird zum Beispiel der gemessene Schalldruck auf den Schall-druck an der Hörschwelle bezogen. Das Verhältnis beider wird zusätzlich logarithmiert. Hierdurch erhält man Zahlenwerte, die einfacher zu handhaben sind.

Bei der Ermittlung und Beurteilung von Schall sind „Geräuschemission“ und „Geräuschim-mission“ zu unterscheiden. Es müssen die jeweils spezifischen Messverfahren angewen-det und unterschiedliche Geräuschkennwerte bestimmt werden.

Bei der Geräuschimmissionsmessung werden alle auf eine Person oder auf einen Ort ein-wirkenden Geräusche erfasst und bewertet. Das Ziel ist die Beurteilung der Lärmeinwir-kung, insbesondere hinsichtlich der Lästigkeit und Störwirkung oder der Gehörschädlich-keit. Als Kennwerte werden der Beurteilungspegel oder der Lärmexpositionspegel bestimmt.

Der Beurteilungspegel ist ein Maß für die Lästigkeit und Störwirkung eines Geräusches. Messgröße ist der äquivalente Dauerschallpegel LAeq, ggf. mit Zuschlägen, die Impulshal-tigkeit oder Tonhaltigkeit des Geräusches berücksichtigen. Der äquivalente Dauerschall-pegel ist der für die Beurteilungszeit zeitlich gemittelte Schalldruckpegel des einwirken-den Geräusches.

Der Tages-Lärmexpositionspegel ist ein Maß für die Gehörgefährdung der gesamten Lärm-exposition am Arbeitsplatz während einer Arbeitsschicht. Messgröße ist der äquivalente Dauerschallpegel, der eine Geräuschimmission für einen repräsentativen Arbeitstag be-schreibt, bezogen auf eine Zeitdauer von acht Stunden. Die Beurteilung erfolgt orts- oder personengebunden.

Zur Beurteilung einer Lärmquelle muss die Geräuschemission bestimmt werden. Hierbei interessiert nur das von der Quelle abgestrahlte Geräusch, Einflüsse von anderen Lärm-quellen (Fremdgeräusche) oder Schallreflexionen innerhalb des Arbeitsraumes (Raum-einfluss) müssen korrigiert werden. Als Kennwerte werden der Schallleistungspegel oder der Emissions-Schalldruckpegel am Arbeitsplatz bestimmt.

Die notwendigen Schutzmaßnahmen bei gehörgefährdendem Lärm sind in der Lärm- und Vibrationsarbeitsschutzverordnung (Teil Lärm) festgelegt. Als Kenngröße wird der Tages-Lärmexpositionspegel herangezogen. Folgende Auslöse- und Grenzwerte wurden festgelegt:

tages­Lärmexpositionspegel (Lex,8h)

Spitzenschalldruckpegel (Lpcpeak)

untere Auslösewerte 80 dB(A) 135 dB(C)

obere Auslösewerte 85 dB(A) 137 dB(C)

maximal zulässige Expositionswerte*

85 dB(A) 137 dB(C)

* hierbei wird die dämmende Wirkung des Gehörschutzes mitberücksichtigt!

tabelle 1: Auslöse­ und Grenzwerte bei gehörgefährdendem Lärm

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SchutzmaßnahmenWerden die Auslöse- oder Grenzwerte erreicht oder überschritten, müssen Schutzmaß-nahmen in folgender Rangfolge ergriffen werden:

1. Untere Auslöseschwellen erreicht oder überschritten Beschäftigte informieren und über die Gefahr durch Lärm unterweisen2. Untere Auslöseschwellen überschritten geeignete Gehörschützer bereitstellen Beschäftigten arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen anbieten3. Obere Auslöseschwellen erreicht oder überschritten Lärmbereiche kennzeichnen und Zugang beschränken Beschäftigte müssen Gehörschutz benutzen regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen veranlassen (Pflichtuntersuchung)4. Obere Auslöseschwellen überschritten Lärmminderungsprogramm aufstellen und durchführen.

Die Lärmbelastung der Beschäftigten ist so gering wie nach dem Stand der Technik mög-lich zu halten. Ist in einem Arbeitsbereich der obere Auslösewert erreicht oder überschrit-ten, so muss der Arbeitgeber ein Lärmminderungsprogramm erstellen. In diesem werden die technisch möglichen Maßnahmen zur Verringerung der Lärmeinwirkung festgelegt.

Die Gefahren des Lärms müssen vor allem durch technische Maßnahmen an den Schall-quellen oder auf den Übertragungswegen beseitigt oder minimiert werden. Durch kon-struktive Maßnahmen an Maschinen und Anlagen kann die Schallanregung und die Schallabstrahlung verringert werden. Die Schallübertragung kann durch Minderung der Körperschall- und Luftschallausbreitung oder durch raumakustische Maßnahmen be-einflusst werden. Hierzu gehört zum Beispiel die schalldämmende Auskleidung von Maschinenständern oder Werkzeugverdeckungen, die Befestigung der Maschine auf Schwingungselementen, die Kapselung einzelner Aggregate oder der Maschine sowie die Verkleidung von Decken und Wänden mit schallschluckenden Konstruktionen.

Organisatorische Maßnahmen können zur weiteren Lärmminderung beitragen. Bei Neu-beschaffung von Maschinen sollte diejenige mit der geringsten Schallenergieabstrahlung ausgewählt werden. Zum Vergleich steht zum Beispiel die Angabe des Schallleistungs-pegels in den technischen Unterlagen der Maschine zur Verfügung. Lärmintensive Arbei-ten können in speziellen Räumen untergebracht oder zu anderen Schichtzeiten durch-geführt werden.

Sind alle möglichen technischen und organisatorischen Maßnahmen ausgeschöpft, so muss bei gehörgefährdendem Lärm geeigneter persönlicher Gehörschutz ausgewählt und zur Verfügung gestellt werden. Persönlicher Gehörschutz wird als Kapselgehörschützer oder Gehörschutzstöpsel angeboten. Kapselgehöhrschützer umschließen die Ohrmu-schel vollständig, während Gehörschutzstöpsel in die Ohrmulde oder den Gehörgang eingesetzt werden. Der Gehörschutz muss den Schall so dämmen, dass am Trommelfell kein gehörgefährdender Lärm mehr ankommt. Die Dämmwirkung darf aber nicht zu hoch gewählt werden, da der Beschäftigte sonst von seiner Umgebung akustisch isoliert wird.

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Insbesondere sollen (Warn-) Signale aus der Umgebung auch beim Tragen von Gehör-schutz weiter wahrgenommen werden können.

Den Beschäftigten, die gehörgefährdendem Lärm ausgesetzt sind, müssen arbeitsmedi-zinische Vorsorgeuntersuchungen angeboten werden. Mit der Vorsorgeuntersuchung wird festgestellt, ob lärmbedingte Verschiebungen der persönlichen Hörschwelle oder Krank-heiten des Gehörsystems vorliegen. Entsprechend den Ergebnissen muss der Arbeitsme-diziner den Beschäftigten beraten. Arbeitet der Beschäftigte in einem Lärmbereich, so sind die Vorsorgeuntersuchungen Pflicht und der Arbeitgeber erhält eine Bescheinigung über das Untersuchungsergebnis.

LiteraturLärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (LärmVibrationsArbSchV)Technische Regeln zur Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (TRLV „Lärm“)Information „Gehörschutz“ (GUV-I 5024)Maue, Jürgen H.: 0 Dezibel+0 Dezibel = 3 Dezibel. Berlin: Erich Schmidt, 2009

6.5.2 VibrationenVibrationen sind alle mechanischen Schwingungen, die durch Gegenstände auf den menschlichen Körper übertragen werden und zu einer mittelbaren oder unmittelbaren Gefährdung von Sicherheit und Gesundheit führen können. Mechanische Schwingungen mit niedriger Frequenz werden auch Erschütterungen genannt. Den meisten Menschen sind mechanische Schwingungen in Form von Erdbeben bekannt, bei denen durch Be-wegungsvorgänge in der Erdkruste Erschütterungen an der Erdoberfläche auftreten. Auch an Arbeitsmitteln können mechanische Schwingungen entstehen: So können Wechsel-kräfte, Stöße und Schläge mechanische Schwingungen erzeugen.

Vibrationen werden über die physikalischen Größen Frequenz (Anzahl der Schwingungen pro Zeiteinheit) und Intensität oder Schwinggröße beschrieben. Die Schwingungsgröße lässt sich als Schwingweg (in Metern), als Schwinggeschwindigkeit (in Metern pro Se-kunde) bzw. als Schwingbeschleunigung (in Metern pro Sekunde im Quadrat bzw. m/s²) ausdrücken. Die meisten Messsysteme (Schwingungsaufnehmer) erfassen die Beschleu-nigung des zu untersuchenden Objektes, sodass die Beschleunigung in der Regel zur Be-schreibung von mechanischen Schwingungen verwendet wird.

Es müssen Hand-Arm-Schwingungen und Ganzkörper-Schwingungen unterschieden wer-den. Bei den Hand-Arm-Schwingungen vibriert der Griff einer Maschine oder die Ober-fläche eines Werkstücks und diese schnelle Bewegung wird auf die Hand und den Arm übertragen. Die für die Hand-Arm-Schwingungen relevanten Frequenzen liegen in einem Bereich von 8 Hz bis 1.000 Hz. Im Fall von Ganzkörper-Schwingungen kann es sein, dass der Sitz eines Fahrzeugs oder die Plattform, auf der der Arbeitnehmer steht, vibriert und dass diese Bewegung auf den menschlichen Körper übertragen wird. Die für die Ganzkör-per-Schwingungen relevanten Frequenzen liegen in einem Bereich von 0,5 Hz bis 80 Hz.

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Gefahren durch VibrationenHand-Arm-Schwingungen können von Griffen einer Maschine oder von der Oberfläche eines Werkstückes über die Handinnenfläche und die Finger in Hände und Arme über-tragen werden. Sind Arbeitnehmer intensiven Hand-Arm-Schwingungen langfristig aus-gesetzt, können sie Störungen in der Durchblutung der Finger erleiden. Durch die Durch-blutungsstörungen werden zunächst die Fingerkuppen, bei längerer Exposition die Finger bis zu den Fingerwurzeln weiß. Die fortgesetzte Störung der Durchblutung führt zum Ver-lust des Tastgefühls und der manuellen Beweglichkeit (Weißfinger-Krankheit). Neurolo-gische Störungen können sich als Gefühl des Kribbelns und der Taubheit der Finger äu-ßern. Bei fortgesetzter Exposition können Temperaturempfinden und Tastsinn verändert und die manuelle Beweglichkeit eingeschränkt werden. Mechanische Schwingungen in Verbindung mit sich ständig wiederholenden Bewegungsabläufen, hohen Greifkräften und unbequemen Körperhaltungen können zum Karpaltunnelsyndrom oder zu Störun-gen des Muskel-Skelett-Systems führen.

Neben der Schwingungsbelastung können Umweltbedingungen (Temperatur, Feuchtig-keit), biodynamische und ergonomische Faktoren (Greifkraft, Andruckkraft) und persön-liche Merkmale (Krankheiten, Rauchen, Medikamente) Verlauf und Schwere der Weißfin-ger-Krankheit beeinflussen.

Ganzkörper-Schwingungen werden durch Schwingungen verursacht, die von Maschinen und Fahrzeugen am Arbeitsplatz über den Sitz oder die Füße übertragen werden. Eine Exposition gegenüber Ganzkörper-Schwingungen sorgt im menschlichen Körper für Be-wegungen und Kräfte, die

� ein Gefühl des Unbehagens verursachen � das Leistungsvermögen beeinträchtigen � Rückenschmerzen verursachen, bestehende Rückenbeschwerden verschlimmern oder

gar die Wirbelsäule schädigen � eine Gefährdung für die Gesundheit und die Sicherheit darstellen

können.

Niederfrequente Schwingungen (<= 1 Hz) des Körpers können zu Übelkeit führen (See-krankheit).

Ermittlung und Beurteilung der GefährdungZur Ermittlung und Beurteilung der Gefährdung durch mechanische Schwingungen wird die durch die Schwingung erzeugte Beschleunigung herangezogen. Da jedoch das Schä-digungsausmaß nicht bei allen Frequenzen gleich ist, verwendet man eine Frequenzbe-wertung, die die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung durch mechanische Schwingungen bei unterschiedlichen Frequenzen darstellt. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die bewer-tete Beschleunigung bei steigender Frequenz abnimmt.

Bei den Hand-Arm-Schwingungen wird für die drei Achsen, in denen die Schwingbewegun-gen stattfinden können, nur eine Frequenzbewertungskurve verwendet. Für die Ganzkör-per-Schwingungen werden zwei unterschiedliche Frequenzbewertungen benutzt. Eine Be-wertung gilt den Schwingungsbewegungen in Richtung der beiden horizontalen Achsen x und y, die andere Bewertung den Schwingbewegungen in Richtung der vertikalen z-Achse.

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Bei der Betrachtung der gesundheitlichen Gefährdung durch Ganzkörper-Schwingungen muss ein zusätzlicher Multiplikator auf die frequenzbewerteten Schwingungswerte an-gewandt werden.

Die Bewertung des Ausmaßes der Exposition erfolgt anhand der Berechnung des auf ei-nen Bezugszeitraum von acht Stunden normierten Tagesexpositionswertes A(8). Der Ta-gesexpositionswert für Hand-Arm-Schwingungen ist die Quadratwurzel aus dem Gesamt-wert der Effektivwerte der frequenzbewerteten Beschleunigungen (Summe der Quadrate), die in den drei Raumrichtungen gemessen wurden. Der Tagesexpositionswert für Ganzkör-per-Schwingungen ist die äquivalente Dauerbeschleunigung bezogen auf einen Zeitraum von acht Stunden. Als äquivalente Dauerbeschleunigung wird der höchste der ermittel-ten Effektivwerte der frequenzbewerteten Beschleunigungen in den drei Raumrichtungen für einen sitzenden oder stehenden Beschäftigten herangezogen.

Die notwendigen Schutzmaßnahmen bei gesundheitsgefährdenden Vibrationen sind in der Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (Teil Vibrationen) festgelegt. Folgende Auslöse- und Grenzwerte sind festgelegt:

Hand­Arm­Schwingung A(8)

Ganzkörper­SchwingungA(8)

Auslösewerte 2,5 m/s² 0,5 m/s²

Expositionsgrenzwerte 5 m/s² horizontale Richtung: 1,15 m/s²vertikale Richtung: 0,8 m/s²

tabelle 2: Auslöse­ und Grenzwerte gesundheitsgefährdender Vibrationen

SchutzmaßnahmenWerden die Auslöse- oder Grenzwerte erreicht oder überschritten, müssen Schutzmaß-nahmen in folgender Rangfolge ergriffen werden:

1. Auslösewerte erreicht oder überschritten: � Vibrationsminderungsprogramm mit technischen und organisatorischen Maßnah-

men ausarbeiten und durchführen � die Beschäftigten hinsichtlich möglicher Gesundheitsgefährdungen unterrichten,

unterweisen und arbeitsmedizinisch beraten � den Beschäftigten arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen anbieten.

2. expositionsgrenzwerte überschritten: � unverzüglich Gründe ermitteln und weitere Maßnahmen ergreifen, um die Exposi-

tion auf einen Wert unterhalb der Expositionsgrenzwerte zu senken � für die Beschäftigten regelmäßige arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen

(z. B. nach G 46) veranlassen.

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Mit den im Folgenden aufgezeigten Maßnahmen können die Schutzziele erreicht werden:

� Arbeitsmittel sind zu warten, um verschleißbedingte Unwuchten zu beheben und die Wirksamkeit der jeweiligen technischen Schwingungsminderungsmaßnahmen auch dauerhaft zu gewährleisten.

� Stumpfe Werkzeuge sollten instand gesetzt oder nicht mehr verwendet werden. � Schwingsitze auf Fahrzeugen sollten auf die grundsätzliche Eignung für die betreffende

Fahrzeuggruppe und den ordnungsgemäßen Zustand überprüft werden. � Die Beschäftigten sollten auf die Möglichkeiten der Sitzeinstellungen hingewiesen

und in der richtigen Einstellung unterwiesen werden. � Fahrbahnunebenheiten sollten ausgebessert werden. � Die Fahrgeschwindigkeiten sollten den Fahrbahnverhältnissen angepasst werden. � Bei der Neuanschaffung von Maschinen sollten die Emissionskennwerte aus den tech-

nischen Unterlagen gesichtet werden und es sollten bevorzugt schwingungsarme Ge-räte ausgewählt werden. Meist haben diese auch weitere Vorteile: sie sind zum Bei-spiel robuster oder präziser.

� Persönliche Schutzausrüstungen sollten erprobt und bereitgestellt werden. So sind geprüfte Antivibrations-Schutzhandschuhe sinnvoll bei hochfrequenten Arbeitsgerä-ten, wie beispielsweise Schleifmaschinen.

LiteraturLärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (LärmVibrationsArbSchV)Technische Regeln zur Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (TRLV „Vibrationen“)Neugebauer, Gerhard und Hartung, E.: Mechanische Schwingungen und Vibrationen am Arbeits-

platz. Bochum: Technik und Information, 2002Europäische Kommission (Hrsg.): Nicht verbindlicher Leitfaden für bewährte Verfahren zur Durch-

führung der Richtlinie 2002/44/EG (Vibrationen am Arbeitsplatz). Luxemburg: Amt für amtli-che Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, 2008

6.5.3 elektromagnetische FelderIn unserem beruflichen Alltag und in unserem häuslichen und privaten Umfeld nutzen wir elektrische Geräte und Maschinen zur Unterstützung bei alltäglichen Verrichtungen und bei der Erfüllung unserer Arbeitsaufgaben. Ohne elektrische Eisen-, U- und Straßen-bahnen wäre der öffentliche Nah- und Fernverkehr nicht zu bewältigen. Zu den Begleiter-scheinungen der Nutzung der elektrischen Energie gehören elektrische und magnetische Felder. Diese sind jedoch auch natürliche Begleiter des Menschen: Unsere Erde besitzt ein natürliches Magnetfeld und in der Atmosphäre, in der wir leben, bildet sich ein na-türliches elektrisches Feld.

Elektrische Felder entstehen durch Ladungen. Sie sind immer vorhanden, wenn zwischen zwei Punkten eine Potenzialdifferenz (Spannung) gegeben ist. Elektrische Felder entste-hen also um sämtliche ans Versorgungsnetz angeschlossenen Leitungen, auch wenn kein Strom fließt. Magnetische Felder entstehen, wenn sich elektrische Felder ändern bzw. elektrische Ladungen bewegen. Magnetische Felder begleiten zum Beispiel alle strom-durchflossenen Leitungen.

Elektrische und magnetische Felder werden durch ihre Feldstärke und die Frequenz, mit der sich die Feldstärke ändert, beschrieben. Statische elektrische und magnetische Fel-

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der haben eine zeitlich unveränderliche Feldstärke. Bei niederfrequenten Feldern ändert sich die Feldstärke mit Frequenzen zwischen 0 Hz und 30 kHz. Felder, deren Feldstärke sich mit Frequenzen über 30 kHz (bis 300 GHz) ändert, werden als hochfrequente Fel-der bezeichnet.

Statische elektrische Felder (Gleichfelder) findet man u. a. im öffentlichen Nahverkehr (Straßenbahnen, U-Bahnen) oder in Staubabscheidern von Kohlekraftwerken. Magneti-sche Gleichfelder werden in Permanentmagneten genutzt oder in den Spulen von Laut-sprechern und Kernspintomografen erzeugt. Niederfrequente elektrische oder mag-netische Wechselfelder werden in den Versorgungsnetzen für elektrische Energie von Industrie, Haushalten oder der Bahn genutzt. Sie dienen ferner dem Betrieb von Elektro-geräten in Haushalt und Gewerbe. Hochfrequente Wechselfelder kommen zum Beispiel beim Mobilfunk und beim Rundfunk, aber auch bei einigen Haushaltsgeräten zum Einsatz.

Gefahren durch elektrische und magnetische Felder sowie durch elektromagnetische StrahlungNiederfrequente FelderNiederfrequente elektrische Felder dringen nur schlecht in den Körper ein, wohingegen niederfrequente magnetische Felder den Körper nahezu ungestört durchdringen und elek-trische Ströme induzieren können. Die induzierten Ströme führen zu Reizungen von Ner-ven und Muskeln, wenn sie bestimmte Schwellenwerte überschreiten. Für jedes Gewebe existiert eine Reizschwelle, die überschritten werden muss, um eine Erregung auszulö-sen. Die Erregung selbst kann aber durch größere Reizstärken oberhalb der Reizschwelle nicht mehr gesteigert werden. Der Schwellenwert ist frequenzabhängig. Bei höherer Fre-quenz werden steigende Stromdichten zur Auslösung eines Reizes benötigt. Bei sehr hohen Frequenzen kann schließlich überhaupt keine Erregung mehr ausgelöst werden.

In Abhängigkeit von der Stromdichte können bei niedrigen Frequenzen die in der folgen-den Tabelle zusammengestellten Wirkungsbereiche unterschieden werden:

Wirkungen Stromdichten in mA/m²

deutliche Gesundheitsgefahren Extrasystolen und Herzkammerflimmern möglich

> 1000

Gesundheitsgefahren möglich Veränderung in der Erregbarkeit des zentralen Nervensystems bestätigt, Reizschwellen werden erreicht

100–1000

Belästigung und Beeinträchtigung des Wohlbefindens möglich gut bestätigte Effekte, visuelle (Magnetophosphene) und andere Nervensystemeffekte; Berichte über beschleunigte Knochenbruchheilung

10–100

Berichte über subtile biologische Wirkungen 1–10

Abwesenheit gut gesicherter Effekte < 1

tabelle 3: Wirkungsbereiche niedriger Frequenzen in Abhängigkeit der Stromdichte

Die induzierten Ströme können auch Körperimplantate erhitzen oder zerstören.

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Starke statische Magnetfelder können erhebliche Kräfte auf magnetisierbare Körper aus-üben. Die Gegenstände können u. U. im Magnetfeld beschleunigt werden und mecha-nische Schäden an Einrichtungsgegenständen oder Körperverletzungen verursachen.

Hochfrequente FelderDer menschliche Körper stellt aufgrund seiner Leitfähigkeit für das elektromagnetische Feld eine Antenne dar. Je nach Verhältnis von Körpergröße oder Teilen des Körpers zur Wel-lenlänge kann der Körper unterschiedlich gut Energie aus dem Feld aufnehmen. Elektro-magnetische Strahlung mit einer Frequenz bis 30 MHz dringt nahezu ungehindert in den Körper ein. Elektromagnetische Strahlung mit Frequenzen zwischen 70 bis 100 MHz hat eine Wellenlänge in der Größenordnung der Körperabmessungen. Daher wird viel Strah-lung in diesem Frequenzbereich absorbiert. Die Wellenlänge von elektromagnetischer Strahlung mit Frequenzen oberhalb von 300 MHz ist wesentlich kleiner als die mensch-lichen Körperabmessungen. Die Eindringtiefe der Strahlung ist daher nur gering und es kommt hier lediglich zur Teilkörperabsorption und bei Strahlung noch höherer Frequen-zen allein zur Oberflächenabsorption. Die eindringende Strahlungsenergie wird in bio-logischem Gewebe durch verschiedene Mechanismen letztlich in Wärme umgewandelt.

Als Maßstab für eine mögliche Schädigung dient die spezifische Absorptionsrate (SAR). Sie ist diejenige Energie, die pro Zeiteinheit im Gewebe absorbiert wird. Die Strahlungs-energie kann in unterschiedlichem Ausmaß im Gewebe absorbiert werden. Wird die ent-stehende Wärme nicht durch Transportvorgänge abgeführt, kann es zu Gewebeschädigun-gen kommen. An jeder Stelle des Körpers soll daher die strahlungsbedingte Erwärmung auf 1 °C begrenzt bleiben.

Weitere WirkungenIn verschiedenen Studien werden neben Reizungen und Wärmewirkung auch andere Fol-gen von elektromagnetischen Feldern bzw. der elektromagnetischen Strahlung unter-sucht. Diskutiert werden u. a. krebserzeugende Wirkung und Befindlichkeitsstörungen (z. B. Elektrosensibilität). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hält Magnetfelder für „möglicherweise kanzerogen“. Ein eindeutiger Nachweis konnte bisher aber nicht ge-funden werden. Hinweise für weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen wie Depressi-onen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Entwicklungsstörungen ergeben sich laut WHO derzeit nicht.

ermittlung und beurteilung der GefährdungDie elektrische oder magnetische Feldstärke sowie die spezifische Absorptionsrate (SAR) müssen für den Aufenthaltsbereich oder den Arbeitsplatz durch Berechnung oder Mes-sung bestimmt werden. Werden die festgelegten Basiswerte oder die abgeleiteten Grenz- bzw. Referenzwerte für die Feldstärken bzw. die SAR überschritten, muss eine Gefährdung für die so exponierten Menschen unterstellt werden.

Für den Schutz der Allgemeinbevölkerung gelten die in der Sechsundzwanzigsten Verord-nung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über elekt-romagnetische Felder – 26. BImSchV) veröffentlichten Grenzwerte:

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niederfrequenzanlagen

effektivwert der elektrischen Feldstärke und magnetischen Flussdichte

Frequenz in Hertz (Hz)

elektrische Feldstärke in Kilovolt pro Meter (kV/m)

magnetische Flussdichte in Mikrotesla (μT)

50 5 100

16 2/3 10 300

tabelle 4: Grenzwerte zum Schutz der Allgemeinbevölkerung (niederfrequenzanlagen)

Hochfrequenzanlagen

effektivwert der Feldstärke, quadratisch gemittelt über 6­Minuten­intervalle

Frequenz in Megahertz (MHz)

elektrische Feldstärke in Volt pro Meter (V/m)

magnetische Feldstärke in Ampere pro Meter (A/m)

10–400 27,5 0,073

400–2.000 1,375 √f 0,0037 √f

2.000–300.000 61 0,16

tabelle 5: Grenzwerte zum Schutz der Allgemeinbevölkerung (Hochfrequenzanlagen)

Berechnungsverfahren sowie Basiswerte und Expositionsgrenzwerte für den Arbeitsschutz sind in der Unfallverhütungsvorschrift „Elektromagnetische Felder“ (GUV-V B11) beschrie-ben und zusammengestellt. Weitere Hinweise finden sich in den zugehörigen Regeln für Sicherheit und Gesundheitsschutz (GUV-R B11).

SchutzmaßnahmenDer Schutz des Menschen vor negativen Wirkungen elektrischer, magnetischer und elek-tromagnetischer Felder wird beispielsweise dadurch sichergestellt, dass

� an den zulässigen Orten unabhängig von der Stärke des Feldes an der Quelle eine Überschreitung der Grenzwerte/Referenzwerte durch Maßnahmen verhindert wird (Immissionsbegrenzung oder Expositionsbeschränkung)

� die Emission der Felder an der Quelle begrenzt wird und an allen zulässigen Orten in der Umgebung dieser Quelle die Grenzwerte/Referenzwerte nicht überschritten wer-den (Emissionsbeschränkung).

So müssen zum Beispiel alle Betreiber von Mobilfunk- oder Rundfunkanlagen nachwei-sen, dass an Aufenthaltsorten von Menschen (Wohnung, Arbeitsplatz) durch den Be-trieb ihrer Anlagen im Zusammenwirken mit anderen Sendeanlagen keine Grenzwerte überschritten sind.

An Arbeitsplätzen sollte die Exposition der Beschäftigten soweit wie technisch möglich durch den Einsatz emissionsarmer Maschinen und Anlagen minimiert werden. Eine Mi-nimierung der Emission durch Verkleidung oder Verdeckung von Maschinen und Anla-gen ist häufig nicht möglich. Daher muss die Belastung der Beschäftigten, insbesondere durch Abgrenzung und Kennzeichnung, reduziert werden. Da die Intensität der elektri-

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schen und magnetischen Felder bzw. der elektromagnetischen Strahlung mit der Entfer-nung von der Quelle stark abnimmt, sollten die Aufenthaltsbereiche der Beschäftigten soweit wie möglich von den Quellen entfernt sein. Unter Umständen muss der Aufent-halt der Beschäftigten im Gefahrenbereich beschränkt werden.

LiteraturUnfallverhütungsvorschrift „Elektrische Felder“ (GUV-V B11)Fachverband für Strahlenschutz e. V.(Hrsg): Leitfaden „Nichtionisierende Strahlung“ – Elektroma-

gnetische Felder. Köln 2005Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg – LUBW (Hrsg.): Elek-

tromagnetische Felder im Alltag. Karlsruhe 2010Sechsundzwanzigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Ver-

ordnung über elektromagnetische Felder (26. BImSchV))

6.5.4 Künstliche und natürliche optische StrahlungWir brauchen Licht, um unsere Lebensfunktionen aufrechtzuerhalten, um uns in unse-rer Umwelt zu orientieren und Informationen mit dem Auge aufnehmen zu können. Die bedeutendste Lichtquelle ist die Sonne. Künstliche Lichtquellen sind Leuchtstoffröhren in Beleuchtungsanlagen, heiße Oberflächen wie glühende Metalle oder der Lichtbogen, der beim Schweißen entsteht.

Licht ist elektromagnetische Strahlung. Wellenlänge (λ) und Frequenz (f ) beschreiben die Strahlung. Im Regenbogen erkennen wir, dass das sichtbare Licht aus verschiedenen Farben, das heißt aus Strahlung verschiedener Wellenlänge und Frequenz besteht. Das sichtbare Licht nimmt einen Wellenlängenbereich von 380 Nanometer (nm) bis 780 Na-nometer (nm) ein. Die langen Wellenbereiche erscheinen uns rot. An den sichtbaren ro-ten Bereich schließt der unsichtbare Bereich der Sonnenstrahlung an, die Infrarot-Strah-lung, die uns wärmt. Der Wellenlängenbereich der Infrarot-Strahlung (IR-Strahlung) geht von 780 Nanometer (nm) bis 1 Millimeter (mm). Auch künstliche Strahlenquellen, wie zum Beispiel glühende Metalle, senden IR-Strahlung aus. Die kurzen Wellenbereiche er-scheinen uns blau. An den sichtbaren blauen Bereich schließt der unsichtbare Bereich der Sonnenstrahlung, die Ultraviolett-Strahlung an, die für die Bräunung, aber auch für den Sonnenbrand unserer Haut sorgt. Der Wellenlängenbereich der Ultraviolett-Strahlung (UV-Strahlung) geht von 380 nm bis 100 nm. Auch künstliche Strahlenquellen, wie zum Beispiel der Lichtbogen beim Schweißen, senden UV-Strahlung aus.

Natürliche und künstliche Strahlungsquellen geben ihre Strahlung (Lichtquanten) in der Regel weder zeitlich noch örtlich koordiniert ab. Ihre Strahlung besteht meist aus einem kontinuierlichen Spektrum von vielen Wellenlängen. Eine besondere künstliche Strahlen-quelle ist der Laser. Laser ist die Lichtverstärkung durch stimulierte Emission von Strah-lung. Der Laser erzeugt kohärente und monochromatische Strahlung hoher Energie- und Leistungsdichte. Laser geben in der Regel einfarbige(s), gut gebündelte(s) Strahlung (Licht) ab. Laser können Strahlung verschiedener Wellenlängen vom Infrarot-Bereich über sichtbares Licht bis zum Ultraviolett-Bereich aussenden.

UV-Strahlung wird künstlich durch thermische Anregung von Atomen und Molekülen in Feststoffen oder in Schmelzen auf Temperaturen von einigen Tausend Grad Celsius oder durch Elektronenstoßreaktion in Gasen oder Dämpfen erzeugt. UV-Strahlenquellen sind

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z. B. Halogenglühlampen, Leuchtstofflampen, Quecksilber(Hg-)-Nieder- oder -Hochdruck-lampen, das Lichtbogenschweißen oder der Plasmabrenner. Zu den Quellen der künst-lichen IR-Strahlung gehören zum Beispiel die klassische Glühlampe, Flammen, erhitzte Werkstoffe, Öfen oder Schweißbögen.

Gefahren durch StrahlungVon natürlicher und künstlicher optischer Strahlung gehen Gefahren insbesondere für die Augen und die Haut aus. Die mögliche Schädigung ist u. a. abhängig von der Eindring-tiefe der Strahlung in Auge und Haut und von der Expositionszeit. Die Eindringtiefe der Strahlung ist von der Wellenlänge abhängig.

Zielorgan AugeDurch die UV-Strahlung wird die Hornhaut (Cornea) angegriffen. Von der kurzwelligen UV-Strahlung werden die Zellen der alleräußersten Hornhautschicht zerstört. Die Schädigung macht sich zunächst durch Augenschmerzen bemerkbar. Die Hornhautentzündung (Foto-keratitis), auch Verblitzen der Augen, Schweißerblende oder Schneeblindheit genannt, heilt in der Regel aber nach ein bis zwei Tagen wieder.

In der Augenlinse entstehen durch die UV-Strahlung Pigmente, die zu einer Trübung der Augenlinse mit entsprechender Einbuße der Sehfähigkeit (Grauer Star, Katarakt) führen können. Die Linse kann sich nicht erneuern. Gelangt die UV-Strahlung bis auf die Netz-haut (Retina), können die Sinneszellen durch fotochemische oder thermische Verän-derung geschädigt werden. Folge sind störende, oft im Blickfeld liegende blinde oder zumindest im Farbempfinden beeinträchtigte Zonen. Betroffen können Menschen mit Star-Operationen und Kinder sein.

Sichtbares Licht kann bei hoher Bestrahlungsstärke auf das Auge zu thermischen Schä-den im Bereich der Netzhaut führen (z. B. Blitzlampen). Eine hohe Leuchtdichte kann eine Blendwirkung verursachen. Eine längere Lichteinstrahlung auf das Auge von kurzwelli-gem Licht mit hoher Leuchtdichte kann durch fotochemische Reaktionen eine irreversi-ble Netzhautschädigung (z. B. die Fotoretinitis) verursachen. Ein erhöhtes Risiko besteht insbesondere für Personen mit künstlicher Augenlinse sowie für Kinder.

Die IR-Strahlung wird durch den hohen Wassergehalt des gallertartigen Glaskörpers stark geschwächt und kann nicht tief ins Auge eindringen. Die IR-Strahlung wird im vorderen Teil des Auges, vor allem in der Augenlinse, absorbiert und in Wärme umgewandelt. Eine kurzzeitige hohe oder langzeitige schwache Exposition kann zu einer Trübung der Linse (Katarakt) führen. Die Erkrankung wird als Feuerstar oder Glasbläserstar bezeichnet und trat früher häufiger bei Arbeitern in Metallschmelzen und in Glasbläsereien auf.

Beim Tragen von Kontaktlinsen in der Nähe von starken Infrarot-Quellen kann es zu Rei-zungen der Bindehaut durch Austrocknung der Tränenflüssigkeit kommen. Meldungen, wonach Kontaktlinsen durch Strahlungseinwirkungen mit der Hornhaut verkleben kön-nen und beim Herausnehmen die Hornhaut mit abgezogen werden kann, haben sich nicht bestätigt.

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Zielorgan HautDie wiederholte, langjährige Exposition durch langwellige UV-Strahlung lässt die Haut vorzeitig altern. Die Haut wird trocken, ledrig, schlaff und bekommt Falten. Die Exposi-tion durch die kurzwellig UV-Strahlung ist für die Entstehung von Hautkrebs mit verant-wortlich. Es gibt drei verschiedene Hautkrebsarten (Spinaliom, Basaliom und malignes Melanom) mit jeweils unterschiedlichem Krankheitsverlauf und unterschiedlicher Mor-talitätsrate. Das Risiko, an diesen Tumorarten zu erkranken, ist direkt abhängig von der UV-Lebenszeitdosis. Diese Krebsarten treten bei im Freien Beschäftigten häufiger auf als beim Durchschnitt der Bevölkerung.

Wenn bestimmte Stoffe durch UV-Strahlung chemisch umgewandelt und dadurch zu Aller-genen werden, können sie Fotoallergien auslösen. Typische allergische Reaktionen sind Entzündungen, Nässen der Haut und Blasenbildung. Sie können bei Wiederholung be-reits durch sehr kleine Stoffmengen in Verbindung mit UV-Strahlung erzeugt werden. Im Arbeitsbereich begünstigen beispielsweise Teer, Pech und Ruß fototoxische und fotoall-ergische Reaktionen. Gewisse Nahrungs- und Genussmittel, Medikamente oder Kosme-tika können ebenfalls Auslöser solcher Reaktionen sein.

Das sichtbare Licht führt in der Regel zu einer mehr oder weniger starken Hauterwär-mung. Sehr kurzwelliges Licht im Übergangsbereich zur UV-Strahlung kann eine Lichtder-matose („Lichtallergie“) auslösen. Dabei scheint ein körpereigenes Allergen aktiviert zu werden, was sich in einer Art Nesselsucht äußert, bei der Jucken, Brennen, Rötung und Quaddeln auftreten können.

Die kurzeitige Einwirkung von intensiver IR-Strahlung auf die Haut kann Verbrennungen verursachen. Eine lang andauernde Bestrahlung der Haut durch IR-Strahlung unterhalb der Verbrennungsschwelle kann zu einer thermischen Belastung führen. Der Wärme-haushalt des Menschen kann beeinflusst und aus dem Gleichgewicht gebracht werden.

ermittlung und beurteilung der GefährdungZur Bewertung der Gefährdung durch die natürliche UV-Strahlung wurde der UV-Index entwickelt. Am UV-Index (UVI) ist ablesbar, wie groß die Gefahr ist, beim Aufenthalt im Freien einen Sonnenbrand zu bekommen. Der UVI wurde international einheitlich fest-gelegt und wird in ganzen Zahlen angegeben. Weltweit liegt der UVI zwischen 1 und etwa 12. Ab einem UV-Index von 5 besteht ein hohes Sonnenbrand-Risiko und es sollten dann Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Der UV-Index wird zum Beispiel von den Wetter-diensten veröffentlicht.

Bei Quellen der künstlichen optischen Strahlung muss die von ihnen verursachte Auswir-kung auf Augen und Haut bestimmt werden. Hierzu kann zum Beispiel aus der Bestrah-lungsstärke und der Expositionszeit die Bestrahlung von Auge und/oder Haut berechnet werden. Sind die notwendigen Informationen für die Strahlungsquelle nicht erhältlich, so kann die Bestrahlung u. U. auch gemessen werden. Eine Gefährdung ist zu unterstel-len, wenn Expositionsgrenzwerte erreicht oder überschritten werden.

Berechnungsverfahren und Expositionsgrenzwerte sind in der BG-Information „Exposi-tionsgrenzwerte für künstliche optische Strahlung“ (BGI 5006) beschrieben und zusam-

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mengestellt. Eine Verordnung der Bundesregierung zum Schutz der Beschäftigten vor Ge-fährdung durch optische Strahlung ist am 27. Juli 2010 in Kraft getreten.

Zur Einschätzung der von Laser-Quellen ausgehenden Gefährdung werden die Quellen bzw. die Laser-Geräte in Klassen eingeteilt. Es gibt acht Laserklassen (1, 1M, 2, 2M, 3A, 3R, 3B und 4). Die Strahlung, die Lasergeräte der Klasse 3 abgeben, ist bereits gefährlich für das Auge. Bei Lasern der Klasse 3B kann auch schon die Haut geschädigt werden. Bei Lasern der Klasse 4 können Haut und Augen neben der direkten Strahlung auch von dif-fus reflektierter Strahlung geschädigt werden.

SchutzmaßnahmenAlle Strahlungsquellen müssen, soweit technisch durchführbar, so abgeschirmt sein, dass keine gesundheitsgefährdende Strahlung nach außen treten kann. Werden Verklei-dungen oder Verdeckungen häufig abgenommen oder geöffnet, müssen sie mit Verriege-lungsschaltern ausgestattet sein, die beim Öffnen oder Entfernen die Strahlungsquelle zwangsläufig abschalten. Verkleidungen und Verdeckungen sollen nur mit Werkzeugen gelöst werden können.

Sind Verkleidungen und Verdeckungen nicht möglich, können u. U. Abschirmungen ver-hindern, dass die gefährliche Strahlung in die Umgebung austritt. Für UV-Strahlung eig-nen sich Bleche aller Sorten und Herstellungsdicken, Holzplatten, undurchsichtige Kunst-stoffplatten (außer Teflon) oder gewöhnliches Glas und Acrylglas zur Abschirmung. Beim Schweißen können Schutzvorhänge aus nicht brennbarem Material die Ausbreitung der Strahlung verhindern.

Auf praktisch allen glatten Oberflächen kann UV-Strahlung reflektiert werden und so in unerwünschte Bereiche gelangen. Zur Eindämmung dieser Reflexionen können solche Flächen aufgeraut oder mit matter Lackfarbe oder Zinkoxidfarbe gestrichen werden.

Reichen technische Maßnahmen nicht aus oder können sie nicht angewendet werden, sind organisatorische Schutzmaßnahmen zu treffen. Zu den organisatorischen Schutz-maßnahmen gehören:

� Beschränken der Expositionsdauer gegenüber der Strahlung � Kennzeichnen der Gefahrenbereiche und Beschränken des Zugangs � spezielle Unterweisung von Personen, die sich im Gefahrbereich aufhalten können.

Bei einer Exposition durch natürliche UV-Strahlung sollte insbesondere im Sommer die Arbeitszeit im Freien möglichst in den frühen Vormittag oder späten Nachmittag gelegt werden. In der strahlungsintensiven Mittagszeit sollten Arbeiten nur im Schatten durch-geführt werden. Wo möglich, sollte für Schatten durch Sonnensegel, Überdachungen u. ä. gesorgt werden.

Sind technische und organisatorische Maßnahmen nicht durchführbar, wie beim Schwei-ßen oder an Arbeitsplätzen im therapeutischen Bereich, muss geeignete persönliche Schutzausrüstung zur Verfügung gestellt und verwendet werden. Persönliche Schutz-ausrüstungen sind zum Beispiel Schutzschild, Schutzbrille, Schutzanzug und eventuell auch Hautschutzcremes. Schutzbrillen müssen mit Schutzfiltern ausgestattet sein, die

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gegen die infrage kommende Strahlung ausreichend schützen. Unter Umständen sind die Schutzfilter auch zu verspiegeln, wenn eine Aufheizung der Schutzbrille vermieden werden muss.

An Arbeitsplätzen, die intensiver IR-Strahlung ausgesetzt sind, wird die Thermoregulation des Körpers der Beschäftigten stark belastet. An diesen Arbeitsplätzen sind die Maßnah-men für Hitzearbeitsplätze zu ergreifen. Hierzu gehört, dass die Arbeitnehmer:

� arbeitsmedizinisch untersucht werden � ausreichende Eingewöhnungs- und Akklimatisierungszeiten zur Verfügung haben � Hitzeschutzkleidung oder gut ventilierbare Kleidung tragen � ausreichend mit Getränken versorgt werden � Hitzepausen einlegen können � über ausreichende Belüftung am Arbeitsplatz verfügen.

An den Arbeitsplätzen können auch Schutzmaßnahmen gegen indirekte Wirkungen von Strahlung notwendig werden. So können u. U. Brände durch Überhitzung entstehen oder entzündliche Gemische zur Explosion gebracht werden. Bei offenen Flammen und Schmel-zen ist mit giftigen Dämpfen oder Gasen zu rechnen (z. B. mit NOx beim Schweißen).Die Blendwirkung intensiver Lichtquellen kann Unfälle verursachen. Dies gilt insbeson-dere für den Straßenverkehr, aber auch an entsprechenden Arbeitsplätzen.

LiteraturArbeitsschutzverordnung zu künstlicher optischer Strahlung (OStrV)BG-Information „Expositionsgrenzwerte für künstliche optische Strahlung“ (BGI 5006)Fachverband für Strahlenschutz e. V.: Leitfaden „Nichtionisierende Strahlung“ (Ultraviolett-Strah-

lung künstlicher Quellen, sichtbare und infrarote Strahlung, Laserstrahlung, Sonnenstrahlung) Köln 2005

Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Hrsg.): Licht und Schatten – Schutz vor Son-nenstrahlung für Beschäftigte im Freien. Dortmund 2007

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6.6 Elektrische GefährdungWolfgang baumann

In unserem beruflichen Alltag und in unserem häuslichen und privaten Umfeld nutzen wir die elektrische Energie, um Geräte und Maschinen zu betreiben. Wir haben uns daran ge-wöhnt, dass die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen von den Konstrukteuren der Ge-räte und Maschinen sowie der Anlagen, die die elektrische Energie verteilen, eingeplant wurden und Geräte und Maschinen quasi konstruktionsbedingt sicher betrieben werden können. Dennoch können elektrisch betriebene Geräte und Maschinen sowie die Strom-netze Ursachen von Stromunfällen sein, wenn sie unsachgemäß betrieben oder das Rest-risiko falsch eingeschätzt wird.

Gefahren durch elektrischen Schlag oder StörlichtbogenDurch die Berührung unter Spannung stehender oder Strom führender Teile kann es zu ei-ner gefährlichen Durchströmung des menschlichen Körpers kommen (elektrischer Schlag). Bei der Annäherung an entsprechende aktive Teile kann ein Störlichtbogen ausgelöst und so die Körperdurchströmung verursacht werden.

In Abhängigkeit von der Stromdichte im Körpergewebe (insbesondere am Herzen) können die in Tabelle 1 zusammengestellten Wirkungsbereiche unterschieden werden.

Wirkungen Stromdichten in mA/m²

deutliche Gesundheitsgefahren Extrasystolen und Herzkammerflimmern möglich

> 1000

Gesundheitsgefahren möglich Veränderung in der Erregbarkeit des zentralen Nervensystems bestätigt, Reizschwellen werden erreicht

100–1000

Belästigung und Beeinträchtigung des Wohlbefindens möglich gut bestätigte Effekte, visuelle (Magnetophosphene) und andere Nerven-systemeffekte; Berichte über beschleunigte Knochenbruchheilung

10–100

Berichte über subtile biologische Wirkungen 1–10

Abwesenheit gut gesicherter Effekte < 1

tabelle 1: Wirkungsbereiche in Abhängigkeit der Stromdichte im Körpergewebe

Die durch Störlichtbogen verursachten hohen Ströme ziehen unter Umständen zunächst nur starke Verbrennungen und die Zersetzung von Körpereiweißen nach sich. Die Zerset-zungsprodukte können dann schwere Vergiftungen bewirken, die zu einem Organversa-gen führen.

Eine elektrische Gefährdung ist gegeben, wenn aktive, unter Spannung stehende oder Strom führende Teile berührt werden können (z. B. bei einem defekten Arbeitsmittel oder bei Arbeiten an elektrischen Anlagen)

� und die Spannung zwischen einem aktiven Teil und Erde oder die Spannung zwischen aktiven Teilen höher als 25 Volt Wechselspannung (Effektivwert) oder 60 Volt Gleich-spannung (oberschwingungsfrei) ist und

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� der Kurzschlussstrom an der Arbeitsstelle größer 3 mA Wechselstrom (Effektivwert) oder 12 mA Gleichstrom ist und

� die Energie mehr als 350 Millijoule (mJ) beträgt.

Eine elektrische Gefährdung liegt auch vor, wenn bei Annäherung an direkt berührbare aktive Teile die in der Tabelle 2 angegebenen Schutzabstände unterschritten werden.

nennspannung Un (effektivwert) kV

äußere Grenze der näherungszone (Schutzabstand in Luft) m

bis 1 1,0

über 1 bis 110 3,0

über 110 bis 220 4,0

über 220 bis 380 5,0

tabelle 2: Schutzabstände bei Annäherung an aktive teile in Abhängigkeit von der Spannung

SchutzmaßnahmenBei Tätigkeiten, bei denen mit elektrischen Gefährdungen gerechnet werden muss, sind u. a. die folgenden Schutzmaßnahmen zu beachten:

� Zum Gefährdungsbereich elektrischer Anlagen dürfen nur Personen Zugang haben, die aufgrund fachlicher Ausbildung, Kenntnis und Erfahrung die auftretenden elektri-schen Gefährdungen erkennen und die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschut-zes treffen können. In der Regel sind das die Elektrofachkräfte, die eine Ausbildung im Elektrohandwerk erfolgreich absolviert haben.

� Andere Personen dürfen den Gefährdungsbereich nur in Begleitung der genannten fachkundigen Personen betreten.

� Es dürfen nur elektrische Anlagen und Betriebsmittel benutzt werden, die für die Be-anspruchung durch die Betriebs- und Umgebungsbedingungen an der Arbeitsstelle geeignet sind.

� Es müssen Betriebsanweisungen und Unterweisungsunterlagen erarbeitet und zur Verfügung gestellt werden.

� Arbeitsmittel, Schutz- und Hilfsmittel müssen regelmäßig überprüft werden (siehe auch Kapitel 5).

� Bei Arbeiten an elektrischen Anlagen und Betriebsmitteln ist: – der Arbeitsbereich eindeutig festzulegen, zu kennzeichnen und gegebenenfalls ab-

zugrenzen – freier Zugang zur Arbeitsstelle, freie Fluchtwege und ausreichende Bewegungsfrei-

heit zu gewährleisten – eine verantwortliche Personen für die sichere Durchführung der Arbeitsaufgabe zu

benennen – festzulegen, bei welchen Arbeiten, mit wem und wie die Durchführung der Arbeits-

aufgabe abzustimmen ist und dies zu dokumentieren.

Arbeiten an aktiven Teilen dürfen in der Regel erst nach Sicherstellen des spannungs-freien Zustandes durchgeführt werden. Der spannungsfreie Zustand ist entsprechend den fünf Sicherheitsregeln sicherzustellen:

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1. freischalten2. gegen Wiedereinschalten sichern3. Spannungsfreiheit feststellen4. erden und kurzschließen5. benachbarte, unter Spannung stehende Teile abdecken oder abschranken.

Kann bei Arbeiten an aktiven Teilen der spannungsfreie Zustand nicht hergestellt wer-den, so dürfen die Arbeiten nur mit einem sicheren Verfahren und nach schriftlicher An-weisung durch den Arbeitgeber durchgeführt werden. In der schriftlichen Anweisung sind festzulegen:

1. Grundsätze des Arbeitsverfahrens2. Verhaltensregeln3. zu benutzende persönliche Schutzausrüstungen, Werkzeuge, Schutz- und Hilfsmittel.

Bei Arbeiten in der Nähe aktiver Teile ist:

1. der spannungsfreie Zustand sicherzustellen oder2. der Schutz gegen zufälliges Berühren durch isolierende Umhüllung, Kapselung, Ab-

deckung oder sonstige Schutzvorrichtungen zu gewährleisten oder3. die in Tabelle 2 genannten Schutzabstände sicherzustellen.

Gefährdungen durch statische elektrizitätArbeitsmittel oder Anlagen und Einrichtungen, deren Oberflächen elektrischen Strom schlecht leiten oder die schlecht geerdet sind, können sich elektrisch aufladen. Kommt es zu einer Entladung über den menschlichen Körper, kann ein gesundheitsgefährlicher elektrischer Schlag verursacht werden. Eine Gefährdung durch statische Elektrizität liegt vor, wenn die über den menschlichen Körper übertragene Ladung 50 Mikrocoulomb (µC) oder die Energie 350 Millijoule (mJ) überschreitet. So ist zum Beispiel bei Anlagen für die Folienherstellung und -verarbeitung oder bei der Fertigung von Großbauteilen mit isolie-renden Materialien mit einer Gefährdung durch statische Elektrizität zu rechnen.

Im Alltag wird eine Aufladung mit statischer Elektrizität durch die Reibung zwischen Texti-lien oder das Gehen über schlecht leitende Fußbodenbeläge beobachtet. Auch beim Um-gang mit üblichen Handwerkszeugen, Trichtern und Kanistern kann eine Aufladung mit statischer Elektrizität vorkommen. Die dort gespeicherte Ladung ist bei ihrer Entladung spürbar, jedoch für Personen ungefährlich. Es sind aber unter Umständen Schreckreak-tionen zu berücksichtigen, zum Beispiel bei Arbeiten auf Leitern.

SchutzmaßnahmenEine gefährliche Aufladung durch statische Elektrizität kann zum Beispiel verhindert wer-den durch:

� konstruktive Gestaltung von Behältnissen � Gebrauch von Gegenständen und Einrichtungen aus elektrostatisch ableitfähigem

oder leitfähigem Material, die mit Erdpotenzial verbunden sind � Erhöhung der Luftfeuchte in den Arbeitsräumen

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� Ionisierung der Luft in den Arbeitsräumen � Benutzung von elektrostatisch ableitfähigem Schuhwerk � Benutzen von elektrostatisch ableitfähigen Handschuhen � Einsatz von Handgelenks-Erdungsarmbändern.

LiteraturUnfallverhütungsvorschrift „Elektrische Anlagen und Betriebsmittel“ (GUV-V A3)Berufsgenossenschaft Elektrotechnik Textil Elektro Medienerzeugnisse – BG ETEM (Hrsg.): „Ge-

fahren des elektrischen Stromes“ Köln 2011

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6.7 Umgang mit schweren LastenWolfgang baumann

In unserer modernen Arbeitswelt scheint der Umgang mit schweren Lasten durch zuneh-mende Automatisierung und Mechanisierung stetig abzunehmen. Die manuelle Lasten-handhabung, das Heben oder Tragen, Ziehen oder Schieben von Lasten ist aber nicht aus dem Arbeitsleben verschwunden. Die Erkrankungen des Muskel- und Skelettsys-tems, verursacht auch durch Überlastungen beim Heben, Tragen, Ziehen und Schieben, nehmen in vielen Untersuchungen zu berufsbedingten Gesundheitsschäden einen vor-deren Platz ein.

Gefahr durch Umgang mit schweren LastenBeim Umgang mit schweren Lasten, insbesondere beim Heben und Tragen, Ziehen und Schieben, muss meist die ganze Körpermasse mitbewegt und durch Anspannen der Mus-kulatur die aufrechte Haltung gewährleistet werden. Werden Muskeln, Sehnen, Bänder, Knorpel oder Knochen hierbei über ihre Belastungsgrenze beansprucht, kann es zu Funk-tionseinschränkungen, akuten oder chronischen Schäden kommen. Folgen sind unter anderem Muskelverhärtung, Muskelkrämpfe oder Verschleißerscheinungen an Sehnen, Bändern und Knochen.

Die Handhabung schwerer Lasten belastet vornehmlich die Wirbelsäule. Die durch Mus-keln, Sehnen und Bänder an der Wirbelsäule angreifenden Kräfte erzeugen einen Druck auf die Bandscheiben. In gebeugter Körperhaltung ist dieser Druck ungleichmäßig über den Wirbel- bzw. Bandscheibenquerschnitt verteilt. Der zähflüssige Kern der Bandscheibe weicht dem Druck zu weniger belasteten Stellen hin aus. Es kommt zu Bandscheibenvor-wölbungen, die im Wirbelkanal verlaufende oder in den Wirbelzwischenräumen austre-tende Nerven abklemmen können. Reißt der Faserknorpelring der Bandscheibe ein, ent-steht der Bandscheibenvorfall. Schmerzen oder Lähmungserscheinungen sind die Folgen.

Bei statischer Muskelarbeit, zum Beispiel beim Halten von Lasten, wird durch den Druck des angespannten Muskels der Blutstrom und damit die Sauerstoff- und Energiezufuhr gedrosselt und der Abtransport von Stoffwechselprodukten erschwert. Hierdurch tritt rasch eine Ermüdung ein.

ermittlung und beurteilung der GefährdungVerschiedene Studien haben zu Empfehlungen für zumutbare Lasten bei Hebe- und Tra-geaufgaben geführt. Es wird unterstellt, dass die dauernde Überschreitung dieser Richt-werte bei Hebe- und Tragetätigkeiten zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen kann. In den Tabellen 1 und 2 sind die Richtwerte für Erwachsene und Jugendliche aus einer Empfehlung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) zusammengestellt.

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Lebensalter Jahre

Häufigkeit des Hebens und tragens

gelegentlich häufig

Frauen Männer Frauen Männer

15–18 15 kg 35 kg 10 kg 20 kg

19–45 15 kg 55 kg 10 kg 30 kg

Ab 45 15 kg 45 kg 10 kg 25 kg

= sollen nicht überschritten werden= empfohlen

tabelle 1: empfehlungen für zumutbare Lasten

Einheitliche Richtwerte oder gar Grenzwerte wurden in der EU bisher nicht festgelegt. In Deutschland gibt es im Mutterschutzgesetz für schwangere Arbeitnehmerinnen und in der Kinderarbeitsschutzverordnung für Kinder über 13 Jahre sowie für vollzeitschul-pflichtige Jugendliche Festlegungen zu maximalen Lastgewichten unter bestimmten Vo-raussetzungen.

regelmäßiges manuelles Handhaben

gelegentliches manuelles Handhaben

Kinderarbeitsschutz-verordnung

≤ 7,5 kg ≤ 10 kg

Mutterschutzgesetz ≤ 5 kg ≤ 10 kg

tabelle 2: Gesetzliche Festlegungen für zumutbare Lasten

Neben dem Gewicht der Last und der Häufigkeit von Handhabungsvorgängen wird die Belastung aber auch von der Körperhaltung, der Beschaffenheit der Last, ihrer Griffigkeit, von Umgebungseinflüssen und der individuellen Eignung des Beschäftigten bestimmt. Zur Orientierung bei der Beurteilung von Arbeitsbedingungen unter Berücksichtigung ver-schiedener Gefährdungsmerkmale wurde die Leitmerkmalmethode entwickelt. Diese ist in den Veröffentlichungen „Heben und Tragen ohne Schaden“ sowie „Ziehen und Schie-ben ohne Schaden“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) aus-führlich beschrieben.

SchutzmaßnahmenVom Arbeitgeber sind geeignete technische und organisatorische Maßnahmen zu tref-fen oder geeignete Arbeitsmittel einzusetzen, um die Gefährdung der Gesundheit der Be-schäftigten durch manuelle Lastenhandhabungen so weit wie möglich zu minimieren. Sind manuelle Lastenhandhabungen nicht zu vermeiden, müssen die Arbeitsvorgänge so gestaltet werden, dass die Kräfte, die die Beschäftigten bei sich ständig wiederholen-den Belastungen aufwenden müssen, begrenzt bleiben. Für das Heben, Tragen, Ziehen und Schieben von Lasten sollen nicht mehr als 15 % der möglichen Maximalkräfte der Be-schäftigten erforderlich sein. Wichtig ist insbesondere die Auswahl und Anwendung ge-eigneter technischer Hilfsmittel, die die manuelle Lastenhandhabung erleichtern. Stehen technische Hilfsmittel nicht zur Verfügung, müssen die Beschäftigten über das geeignete Verhalten bei der manuellen Lastenhandhabung unterwiesen werden.

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beim Heben und tragensollen Lastgewichte so weit wie möglich verringert werden, zum Beispiel durch Auftei-lung einer Last in mehrere kleinere, ist die richtige Körperhaltung zu ermöglichen bei-spielsweise durch

� ausreichenden Bewegungsraum � Verzicht auf Körperdrehungen unter Last � die Höhe der Lastaufnahme und Lastablage � ausreichende Sicht.

beim ziehen und Schiebensollen günstige Bedingungen gestaltet werden beispielsweise durch

� ebene, feste und saubere Fußböden � gepflegte Radreifen und Radlager � möglichst gerade Wegführung ohne scharfe Kurven � Ausrollmöglichkeiten oder Bremsen � gute Ausleuchtung des Weges � keine oder geringe Neigungen der Transportwege.

Belastungsarme Verhaltensweisen müssen von den Beschäftigten in der Regel erlernt und trainiert werden. Eine Möglichkeit, das umzusetzen, sind arbeitsplatzbezogene Trai-ningsprogramme (z. B. Rückenschulen).

LiteraturLastenhandhabungsverordnungBundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin – BAuA (Hrsg.): Heben und Tragen ohne Scha-

den. Dortmund 2011Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin – BAuA (Hrsg.): Ziehen und Schieben ohne

Schaden. Dortmund 2008

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6.8 Stolpern, Rutschen und StürzenOliver Heise

Der aufrechte Gang ist ein besonderes Merkmal des Menschen. Diese Art der Fortbewe-gung gehört allerdings zu den unsichersten in der Natur. Voraussetzung ist eine komplexe Zusammenarbeit von Füßen, Knien, Hüftgelenk und Oberkörper. Von Kindheit an trainiert, findet der Bewegungsablauf dabei weitgehend automatisiert und unbewusst statt. Doch bereits eine geringfügige Veränderung der Oberfläche kann uns aus dem Tritt bringen. Da dies nicht nur im Privat-, sondern auch im Berufsleben so ist, spielen Unfälle durch Stolpern, Rutschen oder Stürzen (so genannte SRS-Unfälle) eine große Rolle im Unfallge-schehen der gesetzlichen Unfallversicherungen. So ist nahezu jeder fünfte Unfall in der gewerblichen Wirtschaft ein SRS-Unfall.

Laut einer Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) wer-den etwa die Hälfte aller Sturzunfälle durch Ausrutschen verursacht. Die andere Hälfte entsteht durch Stolpern, Umknicken und Fehltreten.

Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, die Gefahr der sogenannten SRS-Unfälle zu re-duzieren. Lange schien das Problem vernachlässigt worden zu sein. Dies begann sich im Verlauf der letzten Jahre zu ändern. So wurde – mit beachtlichem Erfolg – sehr viel mehr Wert auf Präventions- und Informationsmaßnahmen gelegt. Nach dem Aktionsprogramm „Sicherer Auftritt“ der Berufsgenossenschaften in den Jahren 2003 bis 2005 war ein Rück-gang der SRS-Unfälle um ein Viertel zu verzeichnen. Dieses zeigt, dass auch hier eine ef-fektive Prävention durchaus möglich ist.

Die Unfallursachen des Stolperns, Umknickens oder Fehltretens lassen sich im Wesent-lichen in drei Einflussgrößen zusammenfassen:

� organisatorische Mängel � technische Mängel � persönliches Verhalten.

Organisatorische Mängel sind beispielsweise Arbeitsgegenstände, die den Weg versper-ren, oder Verkehrswege, die mitten durch Arbeitsbereiche führen.

Technische Mängel sind etwa glatte Böden, Unebenheiten, schlecht verlegte Leitungen oder schlecht beleuchtete Arbeitsplätze.

Eine wesentliche Rolle spielt auch das persönliche Verhalten. Hier reichen die Fehler von falscher Kleidung über Unaufmerksamkeit und unangemessenem Verhalten bis hin zur Unordnung oder dem Vernachlässigen der Arbeitssicherheit. Als weitere Faktoren gel-ten Eile und Hektik.

Insgesamt ist aber weniger das individuelle Verhalten der Grund, vor allem technische Mängel spielen bei der Entstehung solcher Unfälle eine Rolle. Diese Erkenntnis ist wich-tig für die Ableitung von Präventionsmaßnahmen.

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In der Regel ist es erst einmal erforderlich, das Thema in allen Bereichen einer Organi-sation zu platzieren, denn nur gemeinsam mit allen betrieblichen Akteuren ist hier eine sinnvolle Prävention zu erreichen.

Aufgaben des UnternehmersEr sollte im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung ermitteln, ob seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Arbeitsplatz möglicherweise abstürzen, stolpern, stürzen oder aus-rutschen könnten. Festgestellte technische oder organisatorische Mängel müssen um-gehend beseitigt werden.

Die Mitarbeiter sind im Rahmen von Unterweisungen auf folgende Punkte aufmerksam zu machen:

Sie sollten:

� die Verkehrswege freihalten. Hindernisse sind Stolperfallen � gekennzeichnete Verkehrswege benutzen und Gefahrenbereiche meiden � gekennzeichnete Übergänge benutzen � vorgesehene Gehroste auf Verkehrswegen benutzen � Stolperstellen am besten beseitigen, ansonsten kennzeichnen � geeignetes festes, rutschsicheres Schuhwerk tragen � beim Treppensteigen den Handlauf benutzen � keine Hektik und Hast aufkommen lassen. Unaufmerksamkeit führt oft zum Unfall � Verunreinigungen des Fußbodens wenn möglich vermeiden oder so schnell wie mög-

lich beseitigen � Ordnung halten � von höher gelegenen Arbeitsplätzen nicht herunterspringen � geeignete Leitern und Auftritte verwenden – keine Stühle � bei Dämmerung oder Dunkelheit die notwendige Beleuchtung anschalten.

LiteraturBG Rohstoffe und chemische Industrie: www.stolpern-rutschen-stuerzen.deDeutsche Gesetzliche Unfallversicherung: www.gefaehrdungsbeurteilung.deBerger, Joachim & Smigielski, Peter: Stolpern Rutschen Stürzen. Arbeit und Gesundheit Basics,

Universum Verlag 2010Münch, Edith & Plonsker, Thomas: Aktionsmaterialien Jugend will sich-er-leben 2003/04: Stolper-,

Rutsch- und Sturzunfälle. In: Die BG – Unfallversicherung in Wirtschaft, Wissenschaft und Po-litik. Heft 1 (2004) S. 26–28

Weiterführende LinksDeutsche Gesetzliche Unfallversicherung, Landesverband Mitte: www.jwsl.de

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6.9 Psychische Belastung und Beanspruchungclaudia Gerardi, torsten Kunz, Hans Günter Abt

relevanz psychischer belastung und beanspruchung am ArbeitsplatzIn den letzten Jahren hat in der Arbeitswelt eine Verschiebung von den gesundheitsge-fährdenden körperlichen zu den heute überwiegenden psychischen Belastungen statt-gefunden. Häufig genannte Gründe hierfür sind die zunehmende Arbeitsverdichtung, Informationsüberflutung, neue Tätigkeitsformen wie Tele- und Zeitarbeit, die Zunahme befristeter Beschäftigungsverhältnisse sowie die Angst vor Arbeitsplatzverlust. Auch Fak-toren wie wachsender Kosten- und Konkurrenzdruck und hohe Dienstleistungsorientie-rung haben die Anforderungen an Unternehmen und somit an die Beschäftigten zusätz-lich verschärft. Gleiches gilt für die sich verändernden gesellschaftlichen Faktoren. Für den öffentlichen Dienst ist beispielsweise ein verstärkter Autoritätsverlust von öffent-lichen Einrichtungen oder auch von Lehrkräften bedeutsam, der sich in zunehmenden Konflikten mit Bürgern oder schwieriger Klientel zeigen kann. Dieser Wandel in der Ar-beitswelt bringt besonderen Handlungsbedarf für die Arbeitssicherheit und den Gesund-heitsschutz im Unternehmen mit sich.

Was ist mit psychischer belastung bzw. beanspruchung gemeint?Zur Definition dieser Begriffe wird häufig das sogenannte Belastungs-Beanspruchungs-modell herangezogen. Darin wird der Begriff der psychischen Belastung definiert als „die Gesamtheit der erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken“ (DIN EN 10075-1). Der Begriff Belastung hat im alltäglichen Sprachgebrauch zwar eine negative Besetzung, ist in dieser Definition jedoch neutral zu verstehen. Bei der psychischen Belastung handelt es sich um zunächst neutrale, objek-tiv messbare Faktoren, die beispielsweise unsere Informationsaufnahme, die Wahrneh-mung mittels unserer Sinnesorgane und emotionale Vorgänge betreffen und psychisch auf uns einwirken.

Die unmittelbare (nicht langfristige) Auswirkung dieser (zunächst wertneutralen) psychi-schen Belastung auf den einzelnen Beschäftigten wird als psychische Beanspruchung bezeichnet. Ob die Belastung sich auf positive oder negative Weise auf den Beschäftig-ten auswirkt, hängt wiederum von seinen individuellen „jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstra-tegien“ ab (DIN EN 10075-1). Die Wertung und das Ausmaß der psychischen Belastung werden also beeinflusst durch individuelle Faktoren wie Fähigkeiten, Qualifikation, Mo-tivation, Einstellungen – aber auch durch persönliche Variablen wie Gesundheit, Alter und Geschlecht.

Bei der Auseinandersetzung mit der psychischen Belastung darf nicht außer Acht gelas-sen werden, dass diese nicht nur am Arbeitsplatz entsteht, sondern auch außerbetrieb-liche Ursachen haben kann. Auf die außerbetriebliche Belastung hat der Arbeitgeber in der Regel geringe Einflussmöglichkeiten. Es gibt jedoch etliche Gestaltungsmöglichkei-ten auf der betrieblichen Ebene, die psychische Belastung am Arbeitsplatz zu optimie-ren oder betriebliche sowie persönliche Ressourcen zu schaffen.

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Ein und dieselbe Tätigkeit kann beispielsweise von einem erfahrenen Mitarbeiter als Rou-tinetätigkeit bewertet werden, während ein Berufsanfänger sich durch dieselben Anfor-derungen überfordert fühlen kann. Während beim routinierten Mitarbeiter als Beanspru-chungsfolge möglicherweise ein Übungseffekt eintritt und er sich durch die erfolgreich bewältigte Aufgabe selbst als kompetent erlebt, führt die Überforderung des nicht ausrei-chend qualifizierten Mitarbeiters eher zu erhöhtem Stresserleben. Dieses kann sich wie-derum negativ auf die Gesundheit, Zufriedenheit oder Motivation auswirken. Eben diese individuell unterschiedlichen Reaktionen auf vergleichbare Tätigkeiten oder Arbeitsbe-dingungen stellen eine besondere Herausforderung an die Erfassung der psychischen Belastung und Beanspruchung dar.

Bei der Ableitung von Gegenmaßnahmen geht es folglich nicht nur um die Reduzierung der psychischen Belastung an sich, da diese nicht per se negativ ist. Es geht vielmehr um die Optimierung der Arbeitsbedingungen: Die Anforderungen, die sich aus einer Tätigkeit ergeben, müssen den individuellen Voraussetzungen des Mitarbeiters gerecht werden. Maßnahmen können entweder auf der Seite der Bewältigungsmöglichkeiten des Unter-nehmens (z. B. durch Bereitstellen zusätzlicher Hilfsmittel oder durch organisatorische Maßnahmen) oder im Bereich der Bewältigungsfähigkeit des Individuums (z. B. durch Qualifikation des Mitarbeiters) ansetzen.

In diesem Zusammenhang kann es neben der Optimierung der Belastungsfaktoren auch sinnvoll sein, Ressourcen des Beschäftigten zu fördern. Diese schützen – ähnlich wie „Stoßdämpfer“ – gegen die negativen Auswirkungen psychischer Fehlbeanspruchung. Sie können dazu beitragen, die Wirkung psychischer Beanspruchung abzumildern oder sogar auszugleichen. Als wichtige Ressourcen gelten beispielsweise ein intaktes Be-triebsklima (soziale Unterstützung durch Kollegen), aber auch die regelmäßige Rückmel-dung des Arbeitsergebnisses sowie die soziale Unterstützung durch den Vorgesetzten.

Das Belastungs-Beanspruchungs-Modell wird in Abbildung 1 dargestellt; es wurde um die möglichen langfristigen individuellen Auswirkungen psychischer Belastung erweitert, die im ursprünglichen Modell nicht enthalten sind. Auch mögliche Rückkopplungsprozesse zeigt dieses Modell auf, da sich die kurzfristigen bzw. langfristigen Beanspruchungsfol-gen wiederum auf die arbeitsbedingte Belastung oder auf individuelle Voraussetzungen positiv oder negativ auswirken können.

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1psychische belastung

rückkoppelungen

betriebliche Einflüsse außerbetriebliche Einflüsse

Anforderungen – Umgebung – betriebliche Ressourcen

2individuelle Voraussetzungen

berufsbezogene Merkmale persönliche Merkmale

Einstellungen – Fähigkeiten – Konstitution – persönliche Ressourcen

3

psychische beanspruchung

Anregung – Übung Beeinträchtigung

4

mittel­ und langfristige Folgen

Kompetenzentwicklung Über-/Unterforderung, Krankheit

Abbildung 1: erweitertes belastungs­beanspruchungsmodell

einteilung der betrieblichen psychischen belastungDie Entstehungsbedingungen psychischer Belastung lassen sich in verschiedene Berei-che unterteilen. Die Faktoren, die in den einzelnen Bereichen jeweils zur Entstehung psy-chischer Belastung und Beanspruchung beitragen können, werden exemplarisch in Ta-belle 1 dargestellt. Die Aufzählung ist nicht abschließend.

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Arbeitsinhalt bzw. ­aufgabe

Arbeitsorganisation Psychosoziale Arbeitsfaktoren (Mensch­Mensch­Schnittstelle)

betriebliche rahmenbedingungen

Vollständigkeit bzw. Ganzheitlichkeit der AufgabeTätigkeit beinhaltet nicht alle Schritte von der Planung, Organisa-tion, Durchführung bis zur Kontrolle der eige-nen Tätigkeit

Arbeitsmenge im Verhältnis zur ZeitZeitdruck, Über- bzw. Unterforderung

Führungsverhaltenmangelnde soziale Un-terstützung, keine Leis-tungsrückmeldung, fehlende Anerken-nung, keine Zielverein-barungen, mangelnde Möglichkeit zur Partizi-pation, fehlende Trans-parenz

ArbeitsplatzsicherheitFurcht vor Arbeitsplatz-verlust

Handlungs- und Ent-scheidungsspielraumfehlender oder gerin-ger Einfluss auf In-halte, Umfang, Metho-den, Reihenfolge der Tätigkeit bzw. Arbeits-schritte

ArbeitszeitgestaltungSchicht- und Bereit-schaftsdienst, Über-stunden

Kooperation bzw. soziale Unterstützung durch Kollegenschlechtes Betriebs-klima, Konflikte, soziale Isolation

befristete Beschäfti-gung, Zeitarbeitprekäre Beschäftigun-gen

Anforderungsvielfalt, Abwechslung vs. Monotonieeinseitige Anforderun-gen bzw. ständige Wie-derholung derselben Tätigkeit

Arbeitsablaufhäufige Störungen bzw. Unterbrechungen, unvorhergesehene Ab-weichungen im Ablauf

Emotionsarbeitständiges Eingehen auf Menschen, dauerndes Zeigen positiver Emo-tionen, stark berüh-rende Ereignisse wie Krankheit oder Tod

Veränderungsprozesse in OrganisationVersetzungen, ungüns-tige Ablaufverände-rungen

InformationsangebotInformationsmenge (zu hoch oder zu gering), ungünstige Darstellung (Ergonomie)

Entwicklungs-möglichkeitenmangelnde Fortbil-dungsangebote

RollenanforderungenRollenkonflikte

Verantwortungzu hoch oder zu gering, unklare Kompetenzen bzw. Verantwortlich-keiten oder Zuständig-keiten

Arbeitsumgebungs-faktorenmangelhafte Ergono-mie von Arbeitsplatz und -mittel, ungünstige Beleuchtung, Lärm, Hitze

Qualifikationunter- bzw. überqualifi-ziert, unzureichend un-terwiesen

LernmöglichkeitenTätigkeit selbst bietet kaum Lern-möglichkeiten

tabelle 1: entstehungsbedingungen psychischer belastung und beanspruchung

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Folgen nicht optimal gestalteter ArbeitsbedingungenDie Schaffung angemessener Arbeitsbedingungen, bei der die individuellen Vorausset-zungen im ausgewogenen Verhältnis zu den jeweiligen Anforderungen einer Tätigkeit stehen, schützt nicht nur die Gesundheit des Mitarbeiters, sondern fördert auch die Mo-tivation und Zufriedenheit der Beschäftigten. Dies kann sich positiv auf Faktoren wie Fehlzeiten, Produktivität, Qualität der Arbeitsleistung, Fehlerhäufigkeit, Betriebsklima und Unfallhäufigkeit auswirken.

Spezielle Formen psychischer belastung und beanspruchungFür die besonderen Formen psychischer Belastung ist in diesem Rahmen nur eine kurze, einführende Beschreibung möglich. Für weitere Ausführungen zu den einzelnen Themen verweisen wir auf das Handbuch „Psychische Belastungen am Arbeits- und Ausbildungs-platz“ (GUV-I 8628).

Traumatische Erlebnisse bzw. posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)In bestimmten Berufsgruppen (z. B. Rettungsdienst, Feuerwehr, Polizei) sind die Beschäf-tigten während der Ausübung ihrer Tätigkeit einem höheren Gesundheitsrisiko aufgrund traumatischer Erlebnisse ausgesetzt. Hier sind Arbeitgeber besonders gefordert, mithilfe von (präventiven) Maßnahmen die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu schützen.

Eine mögliche, langfristige gesundheitliche Folge eines traumatischen Erlebnisses ist die sogenannte posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Die Kriterien für eine PTBS wer-den beispielsweise im Diagnostischen und statistischen Manual psychischer Störungen (DSM-IV) beschrieben. Die Hauptkriterien für die Diagnose sind das ständige, unkontrol-lierbare Wiedererleben des traumatischen Ereignisses, die Vermeidung von Reizen, die mit dem traumatischen Ereignis in Verbindung stehen sowie emotionale Taubheit und eine chronische Übererregung.

Nicht jede Person, die ein Trauma erlebt, entwickelt zwangsläufig eine PTBS. Die Wahr-scheinlichkeit dieser Chronifizierung eines Traumas kann durch rechtzeitige notfallpsy-chologische Betreuung nach dem traumatischen Ereignis verringert werden. Eine bereits vorliegende PTBS ist therapeutisch behandelbar.

MobbingDa es keine einheitliche Definition für Mobbing gibt, ist es häufig schwer abzugrenzen, wann Mobbing tatsächlich vorliegt. Nach Dieter Zapf (1999) ist Mobbing

� eine konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz � unter Kollegen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, � bei der die angegriffene Person unterlegen ist und � von einer oder einigen Personen systematisch, oft und während längerer Zeit � mit dem Ziel und/oder Effekt des Ausstoßes aus dem Arbeitsverhältnis � direkt oder indirekt angegriffen wird und sie � dies als Diskriminierung empfindet.

Heinz Leymann definierte 1993 hierzu 45 konkrete Mobbing-Handlungen. Diese beste-hen aus Angriffen auf:

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1. die Möglichkeit, sich mitzuteilen2. die sozialen Beziehungen3. das soziale Ansehen4. die Qualität der Berufs- und Lebenssituation5. die Gesundheit.

Laut dem Mobbing-Report (BAuA, 2002) lag die Häufigkeit von persönlich erlebtem Mob-bing bei ca. 3 % der Beschäftigten.

Bei Mobbing geht man von einer multikausalen Entstehung aus. Als Ursache wirken Fak-toren der Person sowie der Situation und auch der betrieblichen Organisation zusammen! Verantwortliche im Unternehmen sollten Mobbing nicht auf einen persönlichen, rein pri-vaten Konflikt zwischen Mitarbeitern reduzieren, da die vorliegenden Konflikte auch or-ganisatorische Ursachen haben können. Grenzt man betriebliche Entstehungsfaktoren aus, leitet man möglicherweise nicht alle notwendigen Maßnahmen für die Beseitigung dieser Konfliktursachen ein.Dabei profitieren nicht nur potenziell Betroffene von der Verhinderung von Mobbing, son-dern auch das Unternehmen. Neben schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen für Mob-bingbetroffene entstehen dem Unternehmen selbst hohe Kosten aufgrund des Ausfalls von Mitarbeitern sowie Qualitäts- und Leistungseinbußen durch die Folgen von Mobbing. Diese bestehen beispielsweise in der Leistungsabnahme des Betroffenen selbst, aber auch seitens der Mobber, da diese ihre Energie und Motivation in den Konflikt investie-ren statt in ihre Tätigkeit. Beim Mobben werden gezielt Arbeitsergebnisse des Betroffe-nen zerstört. Durch die Verschlechterung des Betriebsklimas leiden auch unbeteiligte Be-schäftigte. Auch Kosten aufgrund von Ausfallzeiten, Lohnfortzahlungen, Versetzungen und Einarbeitung von Vertretungen bzw. Neueinstellungen dürfen nicht unterschätzt werden.

Das Burn-out-SyndromBurn-out ist eine mögliche Gesundheitsfolge, wenn die psychische Belastung am Arbeits-platz nicht angemessen bewältigt werden kann. Hier wirken ungünstige betriebliche Fak-toren mit persönlichen Faktoren zusammen und begünstigen die Entstehung eines so-genannten Burn-out-Syndroms. Auch hier ist die Unternehmensleitung gefragt, Burn-out fördernde Strukturen im Unternehmen zu beseitigen, rechtzeitig Burn-out-Anzeichen bei den Beschäftigten zu erkennen und die Betroffenen bei der Bewältigung zu unterstützen.

Burn-out ist zwar keine anerkannte Krankheit, da eine einheitliche Klassifikation der Sym-ptome nicht möglich ist, betroffene Menschen leiden jedoch unter den teilweise schwer-wiegenden Gesundheitsfolgen dieses Phänomens. Durch lange Fehlzeiten oder Leistungs-minderungen aufgrund von Konzentrationsmangel, Motivationsverlust, Distanzierung zu Kunden oder Patienten können auch Nachteile für das Unternehmen selbst entstehen.

Burn-out ist ein schleichender Prozess, der meist erst im fortgeschrittenen Stadium er-kannt wird. In der Anfangsphase zeigt der Betroffene eher Merkmale, die sich jedes Un-ternehmen von seinen Mitarbeitern wünscht: Der Beschäftigte weist eine überdurch-schnittliche Motivation und Begeisterung für seine Tätigkeit auf und glänzt durch hohes Engagement. Dieses kann jedoch mit der Zeit in Überforderung umschlagen, sodass ein zunächst engagierter Mitarbeiter sich zunehmend von seiner Arbeit, aber auch von den

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Menschen distanziert, die ihn beruflich und privat umgeben. Dies kann sich in Zynismus und einer emotionalen Kälte (Dehumanisierung) gegenüber der beruflichen Klientel wie beispielsweise gegenüber Kunden, Patienten oder Schülern manifestieren. Im fortgeschrittenen Verlauf verliert der Mitarbeiter seine Leistungsfähigkeit und Motiva-tion (innere Kündigung, „Dienst nach Vorschrift“). Parallel entwickeln sich zunehmend gesundheitliche Beschwerden. Mögliche körperliche Symptome reichen von Kopf- und Rückenschmerzen, Herzrasen, Verdauungsbeschwerden über Schlafstörungen bis zur Depression.

In der Literatur finden sich viele verschiedene Phasenmodelle, mit unterschiedlichen typischen Stadien und Verläufen. Am Ende des Burn-out-Prozesses steht – falls keine rechtzeitige Intervention stattfindet – die völlige körperliche, emotionale und geistige Erschöpfung mit der Unfähigkeit, sich zu erholen. Die Bandbreite der Symptome reicht bei Betroffenen von Hilflosigkeit, Verzweiflung, dem vollständigen sozialen Rückzug und Isolation bis zum Suizid. Der Burn-out-Prozess kann auf jeder Stufe durchbrochen wer-den – je früher eingegriffen wird, umso mehr Erfolg verspricht eine therapeutische Inter-vention. Präventive betriebliche, aber auch individuelle Maßnahmen sind in jedem Fall vorzuziehen und lohnen sich langfristig nicht nur für den Betroffenen, sondern auch für das Unternehmen selbst.

rechtliche Grundlagen für die beurteilungArbeitgeber und, in deren Auftrag, die Führungskräfte sind gefordert, die gesundheitli-chen Risiken durch psychische Belastung zu beurteilen. Psychische Belastung kommt als eigenständige arbeitsbedingte Gesundheitsgefahr in Betracht, aber auch als ein Fak-tor, der das Sicherheitsrisiko für klassische Unfallgefahren erhöht. Im Arbeitsschutzge-setz, der grundlegenden Vorschrift über Arbeitsschutzmaßnahmen im deutschen Recht, findet man psychische Belastung nicht im Wortlaut, aber durchaus dem Sinngehalt ent-sprechend. Die menschengerechte Gestaltung der Arbeit wird explizit als Aufgabe des Arbeitsschutzes formuliert (§ 2 (1) ArbSchG). Der Arbeitgeber wird ausdrücklich aufgefor-dert, das gesamte Szenario zu betrachten, in dem Gefährdungen entstehen. Hierzu zäh-len auch Arbeitsabläufe, -zeiten, soziale Beziehungen, Qualifikation und Unterweisung für Tätigkeiten (§ 4 und § 5 (3) ArbSchG). Diese Hinweise schließen zwangsläufig die vor-handene psychische Belastung ein.

In der Bildschirmarbeitsverordnung wird die Beurteilung der psychischen Belastung durch den Arbeitgeber verlangt (§ 3 BildscharbV). Hierbei stehen die Anforderungen an Wahr-nehmung und Konzentration im Vordergrund, wobei diese auch von technischen, arbeits-organisatorischen und sozialen Bedingungen beeinflusst werden.

Vorgehen bei der beurteilung psychischer belastungDie psychische Belastung, erst recht jedoch die daraus resultierende Beanspruchung, lässt sich meist nur in Erfahrung bringen, indem Beschäftigte hierzu befragt werden. Er-fassungsinstrumente zur psychischen Belastung und Beanspruchung stehen in der Tool-box der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zur Verfügung sowie bei wis-senschaftlichen Instituten und im Internet. Neben strukturierten Mitarbeiterbefragungen kommen Gruppen- und Einzelgespräche für die Ermittlung psychischer Belastung infrage. Unspezifische Hinweise auf zu große psychische Belastung können Beobachtungen ge-

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ben, etwa Fehlerhäufung, Probleme in der Zusammenarbeit oder das Ausweichen vor be-stimmten Aufgaben.

In der Regel messen Befragungsinstrumente die Richtung und das Ausmaß psychischer Belastung und Beanspruchung (Grobanalyse). Um geeignete Maßnahmen ableiten zu können, ist es darüber hinaus oft erforderlich, die konkreten Einflüsse zu erkennen, aus denen psychische Belastung resultiert. Deshalb sind in einem zweiten Schritt gemeinsam mit den betroffenen Beschäftigten Situationsanalysen (Feinanalyse) durchzuführen, die auf den allgemeinen Befragungsergebnissen aufbauen: In welchen Situationen tritt eine Fehlbelastung auf und welche Umstände führen zu unerwünschter Beanspruchung? Ziel muss die Eingrenzung relevanter Belastungsfaktoren und persönlicher Haltungen sein, die eine unangemessene Beanspruchung hervorrufen. Auf diese soll mittels der Schutz-maßnahmen eingewirkt werden.

Schutz vor übermäßiger psychischer beanspruchungDer Schutz vor negativen Folgen psychischer Belastung ist nicht durch Einzelmaßnahmen zu erreichen. Vielmehr können, vor allem durch die Gestaltung der Organisation und der Tätigkeiten, gute Voraussetzungen geschaffen werden, um die positiven Folgen psychi-scher Belastung zu stärken und die negativen zu reduzieren.

Gesunde psychische Leistungsanforderungen beachten zwei Grundsätze, die auch für die Erhaltung der physischen Leistungsfähigkeit gelten: Zum einen wechseln Anspannung und Entspannung einander ab, auf Zeiten höherer Aktivität folgen Zeiten von Routine oder Ruhe. Zum anderen werden Extreme möglichst vermieden, vor allem extrem belastende Situationen, aber auch extrem reizarme Tätigkeiten. Ausgewogenheit und Abwechslung machen die menschengerechte Gestaltung von Tätigkeiten aus und erhalten neben der Gesundheit auch die Arbeitsmotivation. In stark arbeitsteilig organisierten Betrieben stellt die Realisierung dieser allgemeinen Schutzziele die Verantwortlichen vor andere Heraus-forderungen als in Betrieben mit eher vielfältigen und komplexen Aufgaben.

Bewältigung der ArbeitsverdichtungErheblichen Einfluss auf die psychische Beanspruchung der Beschäftigten haben organi-satorische Strukturen. Mit zunehmender Arbeitsverdichtung wirken sie sich immer stärker aus. Transparente Zuständigkeiten und funktionierende Abläufe helfen jedem Einzelnen bei der effizienten Erledigung von Aufgaben, sie lassen aber auch Engpässe und den Be-darf an Personalanpassung leichter erkennen. Wichtige ergänzende Maßnahmen mit Wir-kung auf die psychische Belastung sind Aufgabenplanung und offizielle Prioritätenfestle-gungen, um vorübergehende Aufgabenhäufung im betrieblichen Interesse zu bewältigen und Mitarbeiter von dauernden Prioritätenentscheidungen zu entlasten.

Da politische Entscheidungen anderen Gesetzmäßigkeiten folgen als betriebliche, sind politiknahe Verwaltungen und Betriebe sicherlich höheren Anforderungen ausgesetzt, sich rasch an neue Vorgaben und Prioritäten anzupassen. Gerade deshalb ist eine effizi-ente Organisation eine wesentliche Voraussetzung für die gesunde Bewältigung psychi-scher Belastung aus der Arbeitsmenge und -vielfalt.

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Gestaltung von TätigkeitenMit dem Aufgabenzuschnitt werden ebenfalls wichtige Weichen hinsichtlich der psychi-schen Belastung und Beanspruchung gestellt. Abwechslungsreiche und vielfältige Auf-gaben innerhalb einer Tätigkeit wirken anregend und motivierend, vorausgesetzt, die Qualifikation entspricht der Aufgabe und die Arbeitsmenge lässt sich steuern. Je einsei-tiger und beanspruchender eine Tätigkeit ist, umso kürzer soll der Wechselzyklus bei ih-rer Ausführung sein. Dies trifft insbesondere auch auf die Bildschirmarbeit zu. Hier ist die Personalentwicklung gefordert, günstige Voraussetzungen zu schaffen, um psychi-sche Belastung angemessen gestalten und besser auf individuelle Voraussetzungen zu-schneiden zu können.

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Aufgabengestaltung ist der Zuschnitt von Handlungs-spielräumen für die Beschäftigten. Größere Entscheidungsspielräume und vermehrte Be-fugnisse bringen größere Verantwortung mit sich. Auch hier entscheiden Form und Inhalt der Einführung sowie die Qualifizierung darüber, ob die daraus folgende psychische Be-lastung eher als positive oder eher als negative Beanspruchung empfunden wird.

Führung und strukturierte KommunikationFührungskräfte gestalten nicht nur die äußeren Bedingungen, sondern auch die sozia-len Beziehungen. Ein anerkannter Bestandteil dieser Aufgabe ist die direkte persönliche Zuwendung in Form von Austausch, Unterstützung und Anerkennung (Mitarbeiterorien-tierung). Hingegen wird der Umgang mit den Aufgaben, die Verteilung von Arbeitsauf-trägen, Ergebniskontrolle und -bewertung, in seiner Wirkung auf das Team häufig unter-schätzt (Aufgabenorientierung).

Jede Führungskraft hat eine Schlüsselstellung in der innerbetrieblichen Kommunikation. Sie vermittelt zwischen den Vorgaben bzw. Wünschen der Unternehmensleitung und den Belangen der Beschäftigten in ihrem Verantwortungsbereich. Da mit der Arbeitsver-dichtung die spontanen Gesprächsgelegenheiten reduziert werden, steigt die Bedeu-tung regelmäßiger, strukturierter Kommunikation erheblich. Ergebnisoffene Team- oder Einzelgespräche über die Arbeitssituation verhindern, dass sich über längere Zeit Miss-verständnisse und Fehlinterpretationen ausbreiten können. Stattdessen führen sie zur Vertrauensbildung, wenn sie mit gegenseitigem Respekt und mit Interesse an gemeinsa-men Arbeitsergebnissen geführt werden. Auch der regelmäßige Austausch und die Ver-ständigung untereinander sind wichtige Ziele der innerbetrieblichen Kommunikation.

Neben den üblichen Team- und Führungsgesprächen eignen sich die Arbeitssituations-analyse nach Nieder (2005) oder Gesundheits- und Mitarbeiterzirkel, um mit einer struk-turierten Vorgehensweise Problembeschreibungen und -lösungen zu erarbeiten. Externe Moderatoren können Hilfestellung geben, wenn die Führungskraft nur über geringe Er-fahrungen mit Gruppengesprächen verfügt oder bewusst eine unabhängige und unbe-lastete Gesprächsführung im Team bevorzugt.

Vermittlung von HandlungssicherheitViele Tätigkeiten im öffentlichen Dienst umfassen Leistungen für Bürger oder haben recht-lich wirksame Auswirkungen auf diese. Insofern übernehmen Beschäftigte mit vielen Ent-scheidungen besondere Verantwortung. Für den Umgang mit psychischer Belastung ist

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mit entscheidend, über welche persönlichen Ressourcen die Mitarbeiter verfügen. Dazu zählen ihre Qualifikation und Erfahrung, aber auch die Zielvorstellung und Handlungs-sicherheit bei der Ausführung psychisch belastender Tätigkeiten. Qualifizierung und der Zugang zu relevanten Informationen sind wichtige Bausteine hierzu. Jedoch entsteht Handlungssicherheit erst, wenn persönliche und betriebliche Zielvorstellungen weitge-hend übereinstimmen und auch die Erwartungen bezüglich der Vorgehensweise abge-stimmt sind. Insofern bieten praktikable Ausführungsregelungen für den Normalfall eine wichtige Orientierung für Beschäftigte. Dies gilt insbesondere für Tätigkeiten, bei denen der Umgang mit Menschen im Mittelpunkt steht. Stellt die Klientel besondere Ansprü-che, so vermitteln die Einübung neuer Verhaltensweisen und die Supervision der Praxis mit guten Aussichten auf Erfolg Verhaltenssicherheit.

Bearbeitung von speziellen EinzelsituationenBisher ist von Gestaltungsmöglichkeiten die Rede. Doch bei vielen Tätigkeiten können Einzelsituationen auftreten, die von Beschäftigten als besonders unangenehm oder gar als Bedrohung erlebt werden, also als spezielle Stress-Situationen. Bereits die Befürch-tung, dass sie auftreten, kann schon negative psychische Beanspruchung hervorrufen. So können negative Erfahrungen von einzelnen Kollegen im gesamten Team Angst vor ei-ner Aufgabe oder Tätigkeit auslösen.

Die Bereitschaft der Verantwortlichen, sich sowohl mit dem Auftreten solcher Situationen als auch mit den Befürchtungen der Beschäftigten zu befassen, ist der erste Schritt zur Verminderung der psychischen Beanspruchung. Bei der Festlegung von Maßnahmen ist der Blick auf drei Aspekte zu richten: Was kann getan werden, solche Situationen zu ver-meiden? Wie kann der Umgang damit erleichtert werden? Wie können die Folgen in Form von Anspannung, Aufregung, Ärger oder Angst gemindert werden? Oftmals ist eine Kom-bination mehrerer Maßnahmen der bestmögliche Weg.

Entlastende RahmenbedingungenGenerell entlasten gute Rahmenbedingungen bei der Arbeit die Beschäftigten. Diese kön-nen ihre Aufmerksamkeit auf die Aufgaben richten und müssen sich nicht mit unzuläng-lichen technischen, organisatorischen oder räumlichen Bedingungen beschäftigen. Im Zeitalter der elektronischen Datenverarbeitung und Informationsübermittlung sind eine funktionierende Hardware sowie ergonomische und funktionelle Software eine wesent-liche Arbeitserleichterung. Die Einflüsse aus der unmittelbaren Arbeitsumgebung sind für die psychische Belastung von besonderer Bedeutung, ein angenehmes Raumklima und eine mit den Aufgaben verträgliche Geräuschkulisse erhöhen die Konzentration der Mitarbeiter und tragen zu einer Reduzierung der negativen psychischen Belastung bei.

eigene Möglichkeiten und kompetente Unterstützung nutzenViele der aufgeführten Maßnahmen zum Schutz vor übermäßiger psychischer Beanspru-chung zählen zu den Instrumenten eines guten Personalmanagements. Damit sie ihre Wir-kung voll entfalten können, ist das Engagement der einzelnen Führungskraft genauso ge-fragt wie ein nachhaltiges Personalmanagement im Unternehmen. Sich gegenseitig die Verantwortung zuzuschieben, ist deshalb nicht förderlich, hier hilft nur die gemeinsame Veränderung weiter. Für die Erstbeurteilung psychischer Belastung und Beanspruchung

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bietet es sich daher an, sich sachverständige Unterstützung zu holen, mit deren Hilfe dann eine neutrale Beurteilung erfolgen kann.

LiteraturInformation „Psychische Belastungen am Arbeits- und Ausbildungsplatz“ – ein Handbuch. 2005

(GUV-I 8628)Nieder, Peter: Anpacken wo der Schuh drückt. Das Instrument Arbeitssituationsanalyse. In: Orga-

nisationsentwicklung 4 (2005) S. 54–61Zapf, Dieter: Mobbing in Organisationen – Überblick zum Stand der Forschung. In: Zeitschrift für

Arbeits- und Organisationspsychologie 43 (1999) S. 1–25Leymann, Heinz: Mobbing. Reinbek: Rowohlt, 1993Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung (DIN EN ISO 10075-1 bis 10075-3)Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)Bildschirmarbeitsverordnung (BildscharbV)Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) mit Arbeitsstättenregel Raumklima (ASR A3.5)

Weiterführende LinksBundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: www.baua.deOnline-Befragung und -Auswertung zu individuellen Diskrepanzen zwischen Erwartungen und Ein-

schätzungen der Arbeitsbedingungen: www.impulstest.atInitiative Neue Qualität der Arbeit: www.inqa.deDeutsche Gesetzliche Unfallversicherung: www.gefaehrdungsbeurteilung.de

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6.10 Suchtmittel im BetriebMarianne Kühn

Sucht ist kein Thema, das sich auf das private Umfeld beschränkt. Auch in der Arbeits-welt sind Beschäftigte und Führungskräfte mit Mitarbeitern konfrontiert, die suchtgefähr-det oder bereits süchtig sind. Dabei werden Suchtprobleme häufig verdeckt, verdrängt oder verschwiegen.

Für Betriebe und Organisationen ist das Thema Sucht deswegen besonders relevant, weil

� Suchtmittelgebrauch bzw. -missbrauch zu einem erhöhten Unfallrisiko führt, durch das nicht nur der Konsument selbst, sondern auch Dritte geschädigt werden können

� Sucht häufig zu erhöhten Fehlzeiten und verminderter Arbeitsleistung führt.

Der betriebliche Bereich bietet außerdem einen wichtigen Ansatzpunkt, um der Entste-hung von Suchterkrankungen vorzubeugen (Primärprävention) oder aber bereits beste-hende Erkrankungen zu erkennen und einer angemessenen Therapie zuzuleiten (Sekun-där- und Tertiärprävention).

Die wichtigsten Suchtmittel im Betrieb sind Alkohol, Nikotin, illegale Drogen und ver-schiedene Medikamente.

AlkoholNach Schätzungen der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) sind in Deutsch-land ca. 1,3 Millionen Menschen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren (2,4 %) behandlungs-bedürftig alkoholabhängig. Circa zwei Millionen Menschen (3,8 %) betreiben Alkoholmiss-brauch. Von einem riskanten Alkoholkonsum geht man bei 9,5 Millionen Menschen (15,6 %) aus. Von hundert Beschäftigten haben fünf bis sieben ein ernstes Alkoholproblem.

Bereits geringe Alkoholmengen haben Auswirkungen auf Körperfunktionen und Verhal-ten. Alkoholkonsum führt zum Beispiel zu einer erheblichen Verlangsamung des Reak-tionsvermögens, einem Nachlassen der Aufmerksamkeit, einer Beeinträchtigung des Gleichgewichts und des Sehvermögens. Gleichzeitig verändert sich die psychische Ver-fassung: Es kommt zum Verlust der Selbstkontrolle, zu Enthemmung, falscher Selbstein-schätzung und erhöhter Risikobereitschaft. Mit diesen körperlichen und psychischen Veränderungen geht ein bedrohlicher Anstieg der Unfallgefährdung am Arbeitsplatz und im Straßenverkehr einher.Fachleute schätzen, dass bei 30 bis 50 % der Arbeitsunfälle Alkohol zumindest eine Mit-ursache darstellt.

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rauchen – nikotin

Unter den Suchtmitteln ist Nikotin am verbreitetsten. In Deutschland rauchen etwa 30 % der erwachsenen Bevölkerung, 3,8 Millionen Menschen sind tabakabhängig. Im betrieblichen Zusammenhang steht beim Tabakkonsum nicht die erhöhte Un-fallgefährdung im Mittelpunkt wie etwa bei Alkohol und illegalen Drogen, sondern seine gesundheitsschädigende Wirkung, welche auch die nicht rauchenden Kolle-gen, die mit im Raum sind, betrifft. Das sogenannte Passivrauchen geht erwiesener-maßen mit einer erhöhten Gesundheitsgefahr einher, unter anderem mit einem er-höhten Erkrankungsrisiko für Krebs.

Der Gesetzgeber hat daher in der Arbeitsstättenverordnung den Nichtraucherschutz verankert. Dort heißt es in § 5:

„Der Arbeitgeber hat die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die nicht rau-chenden Beschäftigten in Arbeitsstätten wirksam vor den Gesundheitsgefahren durch Tabakrauch geschützt sind. Soweit erforderlich hat der Arbeitgeber ein allgemeines oder auf einzelne Bereiche der Arbeitsstätte beschränktes Rauchverbot zu erlassen.“

In Arbeitsstätten mit Publikumsverkehr hat der Arbeitgeber solche Schutzmaßnah-men insoweit zu treffen, als die Natur des Betriebs und die Art der Beschäftigung es zulassen. Die zu treffenden Maßnahmen sind unter Beteiligung der Personalvertre-tung festzulegen. Sie können von der räumlichen Trennung von Rauchern und Nicht-rauchern bis hin zu einem Rauchverbot in bestimmten oder allen Betriebsteilen rei-chen.

illegale drogenDie am häufigsten konsumierten illegalen Drogen sind:

� Cannabis, in Form von Haschisch oder Marihuana � Psychostimulanzien, meist Amphetaminderivate wie Ecstasy � Opiate, meist Heroin � Kokain, Crack � Halluzinogene, beispielsweise LSD.

In Deutschland geht man von 2,4 Millionen Cannabiskonsumenten beziehungsweise 220.000 Cannabisabhängigen und 640.000 Konsumenten anderer illegaler Drogen aus.

Je nach Droge ist die Wirkungsweise sehr unterschiedlich: Sie kann aufputschend oder beruhigend wirken, oft kommt es zu Veränderungen der Sinneswahrnehmung und Hallu-zinationen, häufig mit langen Nachwirkzeiten oder sogenannten Flashbacks. Unter Dro-geneinfluss ist die Unfallgefahr stark erhöht.

Psychotrope MedikamenteMedikamente werden ärztlich verordnet als Heilmittel oder aber auch missbräuchlich als Suchtmittel eingenommen. Die Übergänge können hier fließend sein. Schätzungsweise 1,4 Millionen Menschen sind medikamentenabhängig, wobei von einer hohen Dunkel-ziffer auszugehen ist.

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Werden die Medikamente vom Arzt verordnet, fehlt den Betroffenen oft völlig das Problem-bewusstsein. Dabei können auch diese Medikamente zu Nebenwirkungen führen, welche die Arbeitssicherheit beeinträchtigen. Besondere Vorsicht ist bei der Medikamentenein-nahme dann geboten, wenn auf dem Beipackzettel sinngemäß folgender Satz zu finden ist: „Dieses Arzneimittel kann auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch das Reaktions-vermögen so weit verändern, dass die Fähigkeit zur aktiven Teilnahme am Straßenverkehr oder zum Bedienen von Maschinen beeinträchtigt wird.“ Dies ist beispielsweise häufig bei bestimmten Schlaf-, Beruhigungs- oder Schmerzmitteln und bei Psychopharmaka der Fall. Zu beachten ist auch die Wirkungsdauer der Medikamente. Ist diese lang, kann die Me-dikamenteneinnahme am Abend noch bis in den nächsten Tag hinein Wirkungen zeigen.

risiko für die ArbeitssicherheitGesetzliche Regelungen über den Konsum von Suchtmitteln am Arbeitsplatz finden sich in der Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ (GUV-V A1).

Dort heißt es in § 15: „Versicherte dürfen sich durch den Konsum von Alkohol, Drogen oder anderen berauschenden Mitteln nicht in einen Zustand versetzen, durch den sie sich selbst oder andere gefährden können.“ Dies gilt auch für die Einnahme von Medi-kamenten.

Der Unternehmer andererseits „darf Versicherte, die erkennbar nicht in der Lage sind, eine Arbeit ohne Gefahr für sich oder andere auszuführen, mit dieser Arbeit nicht beschäfti-gen.“ (§ 7 GUV-V A1). Insbesondere gilt dies dann, wenn eine akute Minderung der Be-fähigung besteht, zum Beispiel durch Krankheit, Unwohlsein, Medikamenteneinnahme, Übermüdung oder den Konsum von Alkohol, Drogen oder anderer berauschender Mit-tel. Für das Aussprechen eines Beschäftigungsverbots müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Versicherte nicht in der Lage ist, die Arbeit gefahrlos auszufüh-ren. Dies kann durch eine arbeitsmedizinische Untersuchung beurteilt werden; es reicht aber auch die subjektive Einschätzung des Vorgesetzten aus, die auf Verhaltensbeobach-tungen und Hinweise gestützt ist. Je nach Zustand des Versicherten kann dieser im Be-trieb verbleiben, wenn er andere Arbeitsaufgaben gefahrlos ausführen kann. Anderen-falls muss der Unternehmer aufgrund seiner Fürsorgepflicht einen sicheren Heimweg für den Versicherten organisieren.

Der Konsum von Alkohol, Drogen und anderen berauschenden Mitteln kann auch zum Verlust des gesetzlichen Unfallversicherungsschutzes führen, und zwar dann, wenn die-ser Konsum die wesentliche Ursache eines Unfalls war. Es tritt dann nämlich eine Lösung des Zusammenhangs zwischen Unfall und versicherter Tätigkeit ein.

Für die Teilnahme am Straßenverkehr, also auch für den Weg von und zur Arbeit, hat die Rechtssprechung, was Alkohol angeht, noch strengere Maßstäbe entwickelt: Trunkenheit ist hier nämlich als rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls dann ohne Weiteres anzunehmen, wenn der Versicherte absolut fahruntüchtig gewesen ist. Zum Beweis der absoluten Fahruntüchtigkeit reicht eine Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille aus.

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betriebliche Hilfen und Maßnahmen im Umgang mit suchtkranken oder ­gefährdeten MitarbeiternSuchtmittelmissbrauch (Alkohol, Drogen, Medikamente) gefährdet nicht nur die Arbeits-sicherheit von Suchtmittelkonsumenten und Dritten, sondern hat weitere negative Folgen für den gesamten Betrieb: Die Arbeitsleistung der Betroffenen schwankt bzw. fällt ab, die Arbeitsqualität sinkt, Fehl- und Krankentage nehmen zu. Für den Betrieb entstehen da-durch nicht unerhebliche zusätzliche Kosten. Daneben kann es zu negativen Auswirkun-gen auf das Betriebsklima und zu einem Imageverlust des Betriebes kommen.

Ein Ziel betrieblicher Maßnahmen muss also sein, den Suchtmittelmissbrauch am Ar-beitsplatz abzubauen, um die betrieblichen Abläufe und die Arbeitssicherheit aufrecht-zuerhalten.Im Rahmen der Fürsorgepflicht des Unternehmers muss es jedoch ebenso Ziel sein, die suchtkranken Beschäftigten zu einer Therapie zu bewegen und ihnen den Erhalt ihres Arbeitsplatzes zu ermöglichen. Dies gelingt erwiesenermaßen in erster Linie über die Problemverschärfung am Arbeitsplatz, da der Verlust des Arbeitsplatzes als besonders schwerwiegend empfunden wird. Der Leidensdruck im Betrieb ist dann größer als der Ge-winn aus dem Suchtmittel.

Beim Entwurf einer übergreifenden Handlungsstrategie ist die Einbindung aller relevan-ten betriebsinternen Institutionen und Personen wichtig, insbesondere von Geschäfts-führung, Vorgesetzten, Personalvertretung, Betriebsarzt und Sozialdiensten oder Sucht-beratern, zum Beispiel in Form eines „Arbeitskreises Sucht“.

In vielen Betrieben und Organisationen existieren Betriebs- bzw. Dienstvereinbarungen zum Problemkreis Sucht, die den konfrontierten Personen Handlungsorientierung bie-ten und den Rahmen der betrieblichen Maßnahmen verbindlich abstecken. Insbeson-dere für Führungskräfte, aber auch für alle anderen Beteiligten ist in diesem Zusammen-hang eine Schulung sehr wichtig.

Folgende wichtige Punkte sollten bei betrieblichen Maßnahmen beachtet werden:

� Vorgesetzte und Kollegen sollten den suchtkranken oder -gefährdeten Mitarbeiter nicht decken (etwa durch Übernahme von dessen Arbeit), sondern den Betroffenen konkret auf sein Suchtproblem ansprechen.

� Der Betroffene sollte über die Gefährdung durch eine Suchterkrankung informiert und auf konkrete Hilfsangebote hingewiesen werden. Sinnvoll ist die Aushändigung von schriftlichem Informationsmaterial wie Broschüren, Adressen von Selbsthilfegruppen und Therapieeinrichtungen, ggf. auch eine weitere Hilfestellung bei der Wahrnehmung von diesen Hilfsangeboten.

� Arbeitsvertragliche Verletzungen müssen vom Vorgesetzten angesprochen werden. Über diese Fakten kann auf den Betroffenen Druck ausgeübt werden, eine Therapie zu beginnen.

� Falls der Betroffene die Therapieangebote nicht wahrnimmt und erneut Verletzungen des Arbeitsvertrags auftreten, sollte der Druck auf ihn schrittweise erhöht und dabei gleichzeitig weitere Hilfestellung gegeben werden. Während am Anfang ein vertrau-liches Gespräch zwischen Vorgesetztem und Betroffenem steht, sollte nun ein be-

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triebsinterner oder –externer Suchtberater hinzugezogen und schließlich der ein-gebundene Personenkreis um Personalleitung, Betriebsarzt und Personalvertretung erweitert werden.

� Dem Betroffenen sollte vom Arbeitgeber garantiert werden, dass sein Arbeitsplatz für die Dauer der Therapie für ihn freigehalten wird und ihm keine beruflichen Nachteile entstehen. Nach erfolgreicher Therapie muss für den Betroffenen die Wiedereinglie-derung in den Beruf sichergestellt sein.

� Die Personalvertretung sollte dem Betroffenen klarmachen, dass eine Vertretung und Unterstützung in arbeitsrechtlichen Fragen nur bei Therapiewilligkeit möglich ist.

betriebliche Maßnahmen zur SuchtpräventionNeben betrieblichen Hilfsmaßnahmen für bereits suchtkranke bzw. -gefährdete Mitar-beiter sollte der Betrieb auch seine Möglichkeiten zur Primärprävention, also zur Vorbeu-gung nutzen. Diese können beipielsweise sein:

� Information und Aufklärung der gesamten Belegschaft über Suchtprobleme und de-ren Folgen, z. B. durch Vorträge, Filme, Fortbildungsveranstaltungen, Beiträge in Mit-arbeiterzeitungen, Broschüren, Plakate, Infostände usw.

� kein Angebot von alkoholhaltigen Getränken in der Kantine bzw. aus dem Automaten � Abbau von Arbeitsbedingungen, die den Missbrauch von Suchtmitteln fördern, wie

Monotonie, ständige Unter- oder Überforderung, Stress oder schlechtes Arbeitsklima � Etablierung einer Unternehmenskultur, die klare Signale gegen Missbrauch und Sucht

setzt � Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung, Bildung von Gesundheitszir-

keln.

LiteraturDeutscher Verkehrssicherheitsrat e.V., Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften,

Bundesverband der Unfallkassen (Hrsg.): Suchtprobleme im Betrieb – Alkohol, Medikamente, illegale Drogen. 5. überarbeitete Auflage, Bonn 2008

Unfallkasse Post und Telekom (Hrsg.): Gute Gründe gegen Suchtprobleme in der Arbeitswelt (Leit-faden und CD-Rom mit Powerpoint-Vorträgen). Heidelberg: Jedermann, 2002

Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. – DHS (Hrsg.): Jahrbuch Sucht 2010. Geesthacht: Neu-land, 2010

Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen – DHS (Hrsg.): Substanzbezogene Störungen am Arbeits-platz. Hamm 2008

Weiterführende LinksDeutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS): www.dhs.deBundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA): www.bzga.de

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Ergibt die Gefährdungsbeurteilung, dass Gefährdungen der Beschäftigten durch Maß-nahmen nach dem Stand der Technik nicht ausgeschlossen werden können, hat der Ar-beitgeber personenbezogene Schutzmaßnahmen zu veranlassen, die von den Beschäf-tigten umgesetzt werden müssen. Personenbezogene Schutzmaßnahmen können eine Gefährdung minimieren, sie können sie aber in der Regel nicht ausschließen.

Zu den personenbezogenen Schutzmaßnahmen gehören persönliche Schutzausrüstun-gen (siehe 7.1) und Unterweisungen (siehe Kapitel 7.2).

Auch wenn im Arbeitsschutz technischen und organisatorischen Maßnahmen der Vorrang gebührt, hängen deren Umsetzung und Erfolg häufig davon ab, dass Verantwortliche und Mitarbeiter sie mittragen. Für die Benutzung persönlicher Schutzausrüstung und die Ein-haltung von Regeln zur Sicherheit und zum Gesundheitsschutz gilt dies erst recht. In Ka-pitel 7.3 wird deshalb der Motivation zu sicherheitsgerechtem Verhalten nachgegangen.

Personenbezogene Maßnahmeningrid thullnerVII

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7.1 Persönliche Schutzausrüstungthomas rhiel

Um Verletzungen zu vermeiden oder zu minimieren, die durch andere Maßnahmen nicht verhindert werden können, muss – abhängig vom Gefahrenpotenzial – eine persönliche Schutzausrüstung (PSA) getragen werden.

Die Verwendung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA) ist in der Unfallverhütungsvor-schrift „Grundsätze der Prävention“ (§§ 29 ff. GUV-V A1) und – als staatliche Vorschrift – in der „Persönliche Schutzausrüstung-Benutzungsverordnung – PSA-BV“ geregelt. Die PSA-BV definiert den Anwendungsbereich wie folgt:

Persönliche Schutzausrüstung im Sinne dieser Verordnung ist jede Ausrüstung, die dazu bestimmt ist, von den Beschäftigten benutzt oder getragen zu werden, um sich gegen eine Gefährdung für ihre Sicherheit und Gesundheit zu schützen, sowie jede mit demselben Ziel verwendete und mit der persönlichen Schutzausrüstung verbun-dene Zusatzausrüstung (§ 1(2) PSA-BV).

Sicherheit von Kopf bis FußPersönliche Schutzausrüstung kommt immer dann zum Einsatz, wenn es keine techni-schen oder organisatorischen Möglichkeiten gibt, eine Gefährdung der Mitarbeiter wir-kungsvoll zu verhindern. Es ist aber wichtig, zunächst genau diese Möglichkeiten zu über-prüfen. Das so genannte TOP-Prinzip (Technik – Organisation – Person) stellt den Schutz durch individuelle Schutzmaßnahmen bewusst ans Ende der Maßnahmenkette. Erst wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt oder trotz aller Maßnahmen eine Restgefährdung verbleibt, muss persönliche Schutzausrüstung zur Verfügung gestellt werden. Die War-tung und Pflege der persönlichen Schutzausrüstung liegt in der Verantwortung des Ar-beitgebers. Die Versicherten sind dann selbstverständlich dazu verpflichtet, die bereit-gestellte PSA auch zu benutzen (§ 30 (2) GUV-V A1).

Ein wichtiger Aspekt hierbei ist der Begriff „individuell“. Von wenigen Ausnahmen ab-gesehen ist die persönliche Schutzausrüstung immer auf eine bestimmte Person zuge-schnitten. Diese grundsätzliche Vorgabe des Gesetzgebers unterscheidet dabei nicht nach Dauer oder „Qualität“ des Arbeitsvertrages.

Durch Wartungs-, Reparatur- und Ersatzmaßnahmen sowie durch ordnungsgemäße Lagerung trägt der Arbeitgeber dafür Sorge, dass die persönlichen Schutzausrüstun-gen während der gesamten Benutzungsdauer gut funktionieren und sich in einem hygienisch einwandfreien Zustand befinden (§ 2 (4) PSA-BV).

bedarf durch eine betriebsspezifische Gefährdungsbeurteilung ermittelnOb und, wenn ja, welche persönliche Schutzausrüstung konkret benötigt wird, sollte durch eine betriebsspezifische Gefährdungsbeurteilung ermittelt werden. Der Arbeit-geber muss zunächst klären, welche Gefahren und Gefährdungen es bei den Tätigkei-

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ten gibt, die bei den zu erfüllenden Arbeitsaufgaben anfallen. Gegen diese Gefährdun-gen ergreift er dann Maßnahmen nach dem bereits erwähnten TOP-Prinzip. Kommt er zu dem Ergebnis, dass für bestimmte Tätigkeiten persönliche Schutzausrüstung unabding-bar ist, so hat der Arbeitgeber diese in regelkonformer Qualität und hygienisch ausrei-chender Anzahl zur Verfügung zu stellen.

beschäftigte beteiligenBei der Beschaffung von geeigneter PSA hat der Unternehmer seine Beschäftigten zu hö-ren (§ 29 (1) GUV-V A1). In Betrieben mit Mitarbeitervertretung nimmt dies in der Regel der Personal- bzw. Betriebsrat über sein Mitbestimmungsrecht wahr. Darüber hinaus emp-fiehlt es sich, auch die Fachkraft für Arbeitssicherheit und den Betriebsarzt in die Beschaf-fungsvorgänge einzubeziehen.

Ein ganz wichtiger betrieblicher Aspekt ist die Trageakzeptanz. Nur wenn die Mitarbeiter den Sinn und Nutzen ihrer persönlichen Schutzausrüstung verstehen, im Gebrauch der PSA unterwiesen werden und auch in die Beschaffungsvorgänge angemessen eingebun-den sind, wird die PSA zuverlässig verwendet.

So viel Schutz wie nötig, so wenig belastung wie möglichDas Tragen von persönlicher Schutzausrüstung erschwert häufig die Arbeit, weil die taktile, visuelle und auditive Wahrnehmung eingeschränkt wird und es zu vermehrter Schweißbildung kommt. Auch das zusätzliche Gewicht kann belastend sein.Deshalb gilt: So viel Schutz wie nötig, so wenig Belastung wie möglich!

Welche Arten von persönlicher Schutzausrüstung gibt es?Grundsätzlich kann man sich gegen nahezu alles auch persönlich – immer unter Berück-sichtigung des TOP-Prinzips – schützen: Den Kopf gegen Anstoßen und herunterfallende Gegenstände, das Gesicht und die Augen vor mechanischen und chemischen Gefahren, das Gehör vor Lärm, ebenso wie Atemwege, Hände, Füße, Körper und Beine. Man kann sich selbst insgesamt vor den Einflüssen des Wettergeschehens und der Umgebungssi-tuation allgemein schützen sowie gegen Absturz und vor ganz speziellen Gefährdungen, die der jeweilige Arbeitsplatz mit sich bringt. Wichtig ist, dass die beschaffte PSA die Ge-fährdung reduziert, ohne selbst zu einer zu werden und dass sie den Anforderungen der jeweiligen Norm entspricht.

PSA – KategorienPersönliche Schutzausrüstungen werden in Kategorien eingeteilt. In Kategorie I gehören Ausrüstungen, bei denen man davon ausgeht, dass der Benutzer selbst ihre Wirksam-keit gegenüber geringen Risiken beurteilen und dass er sie rechtzeitig und ohne Gefahr einsetzen kann. Dazu gehören Schutzausrüstungen gegen:

� oberflächliche mechanische Verletzungen � schwach aggressive Reinigungsmittel � Risiken bei der Handhabung heißer Teile (< 50 °C) � „übliche“ Witterungsbedingungen, weder außergewöhnlich noch extrem � schwache Stöße und Schwingungen � Sonneneinstrahlung.

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Die Schutzausrüstung dieser Kategorie schützt nur bei verhältnismäßig geringen Risiken.

Die Kategorie II umfasst jede persönliche Schutzausrüstung, die weder in Kategorie I noch in Kategorie III fällt. Persönliche Schutzausrüstungen der Kategorie II sind beispielsweise:

� Rettungswesten � Arbeitsschutzhelme � Schutzschuhe � Gehörschützer � Gesichtsschützer � Warnkleidung.

Gegen hohe Risiken schützt persönliche Schutzausrüstung der Kategorie III. Es handelt sich hier um Gefahren, deren unmittelbare Wirkung der Benutzer nicht erkennen kann und die irreversible bis tödliche Schädigungen verursachen können. Zu dieser Katego-rie zählen ausschließlich:

� Atemschutz � von der Atmosphäre isolierende Atemschutzgeräte inkl. Tauchgeräte � persönliche Schutzausrüstungen, die einen zeitlich begrenzten Schutz gegen chemi-

sche Einwirkungen oder ionisierende Strahlungen gewährleisten können � persönliche Schutzausrüstungen zum Einsatz in einer warmen Umgebung, die ver-

gleichbare Auswirkungen hat wie eine Umgebung mit einer Lufttemperatur von 100 °C oder mehr

� persönliche Schutzausrüstung zum Einsatz in kalter Umgebung, die vergleichbare Aus-wirkungen hat wie eine Umgebung mit einer Lufttemperatur von -50 °C oder weniger

� persönliche Schutzausrüstungen zum Schutz gegen Absturz � persönliche Schutzausrüstungen zum Schutz gegen Risiken der Elektrizität und bei Ar-

beiten an unter gefährlicher Spannung stehenden Anlagen oder persönliche Schutz-ausrüstungen zur Isolierung gegen Hochspannung.

Verwendungsdauer und HerstellerangabenDie Angaben der jeweiligen Hersteller sind eine verlässliche Grundlage dafür, zu entschei-den, ob die PSA noch verwendet werden kann oder nicht. Manche persönliche Schutz-ausrüstung ist bereits nach einer einmaligen Benutzung oder einer einmaligen Beauf-schlagung auszusondern, andere hingegen erst nach optisch erkennbarem oder auch nicht optisch erkennbarem Verschleiß. Den Nutzern müssen die maßgeblichen Kriterien aber in jedem Fall bekannt sein. Nur voll funktionsfähige und hygienisch einwandfreie PSA bietet den Schutz, den der Nutzer zu Recht erwartet.

Die Gebrauchsanweisung bzw. Herstellerinformation muss die folgenden wichtigen Punkte enthalten:

� Name und Adresse des Herstellers � Produktbezeichnung � CEN-Norm (Norm des Comité Européen de Normalisation) � Erklärung zu Piktogrammen und Leistungsstufen, einschließlich Erklärungen zu den

durchgeführten Prüfungen � eventuell Hinweise zum An- und Ausziehen

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� notwendige Gefahrenhinweise bei unsachgemäßer Verwendung � Informationen zu möglichen Einsatzbereichen � Pflegehinweise � Hinweise zu Lagerung und Wartung � Angaben zu Reinigung bzw. Dekontamination � Anzahl der Reinigungszyklen ohne Beeinträchtigung der Leistungsstufe � Wiederherstellung nach erfolgter Beeinträchtigung.

Auch Angaben zur Entsorgung von gebrauchten oder kontaminierten persönlichen Schutz-ausrüstungen gehören in die Herstellerinformation.

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7.2 Unterweisungingrid thullner

Beschäftigte können nur dann Gefahren vermeiden und bewältigen, wenn sie diese auch kennen. Deshalb müssen alle Beschäftigten, die gefährliche Arbeiten ausführen, nicht nur regelmäßig (mindestens einmal jährlich), sondern auch zielgerichtet unterwiesen werden.

Die Verantwortung dafür tragen die Vorgesetzten. Bleiben die Unterweisungen aus, kön-nen die Vorgesetzten nach Unfällen haftbar gemacht werden. Zwischen der Qualität der betrieblichen Unterweisung und dem Unfallgeschehen besteht ein enger Zusammenhang.

Unterweisungen sollen auf den Arbeitsplatz ausgerichtet und an die Gefährdungsent-wicklung angepasst sein. Unterweisungen müssen durchgeführt werden:

� vor Aufnahme der Tätigkeit bei Einstellung � bei Veränderungen im Aufgabenbereich � bei Einführung neuer Arbeitsmittel, Arbeitsstoffe oder neuer Technologien � bei wechselnden Gefährdungssituationen.

Eine regelmäßige Wiederholung zur Auffrischung der Informationen ist sinnvoll und not-wendig.

Unterweisungen können allgemeiner Natur, arbeitsplatzbezogen, tätigkeitsbezogen, stör-fallbezogen oder stoffbezogen sein.

Inhalte einer allgemeinen Unterweisung können sein:

� Zuständigkeiten und Pflichten der Arbeitsschutzexperten im Betrieb � das betriebliche Rettungswesen und die Erste Hilfe � Pflichten von Vorgesetzten und Beschäftigten aus Unfallverhütungsvorschriften � betriebliche Brandschutzmaßnahmen � Flucht- und Rettungswege, Notausgänge � allgemeine Verhaltensregeln und Beschäftigungsverbote � Sicherheits- und Gesundheitsschutzkennzeichnungen, wie Warnhinweise und -sig-

nale, Gebots- und Verbotshinweise � Unfallschwerpunkte im Betrieb.

Arbeitsplatzbezogene Unterweisungen können folgende Inhalte haben:

� sichere Bedienung von Anlagen, Maschinen und Geräten � Funktion von Schutz- und Sicherungseinrichtungen � Lage von Haupt- und Notschaltern � sicherer Umgang mit Arbeitsstoffen (siehe auch Kapitel 6.2) � spezielle Gefahren und Abwehrmaßnahmen � zweckmäßige Arbeitskleidung und persönliche Schutzausrüstung � Informationen über Arbeitsverfahren, Einrichtungen, Entsorgung.

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Inhalte der störfallbezogenen Unterweisung können sein:

� Ersthelfer, Verbandkasten und Verbandbuch � Notruftelefon � Maßnahmen bei der Rettung von Verletzten � Sanitätsstelle � Feuerlöscheinrichtungen, Feuermelder � Bekämpfung von Entstehungsbränden � Notausgang, Rettungswege � Evakuierungs- und Störfallpläne.

Jede Unterweisung ist zu dokumentieren. Die Dokumentation sollte Folgendes enthalten:

� Inhalte der Unterweisung � Name des Unterweisenden � Namen der Unterwiesenen � Zeitpunkt und Dauer der Unterweisung � die Unterschriften der Unterwiesenen.

LiteraturUnfallkasse Hessen (Hrsg.): Unterweisen in der betrieblichen Praxis. Schriftenreihe der UKH Band

15. Wiesbaden: Universum, 2008

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7.3 Veränderung des Verhaltens hin zur Sicherheittorsten Kunz

Die Mehrzahl der Unfälle geht heute nicht mehr auf das Versagen von Maschinen, Bau-lichkeiten oder Arbeitsmitteln zurück. Häufige Unfallursachen sind eine schlecht gestal-tete Mensch-Maschine-Schnittstelle, das Arbeiten unter Zeitdruck, eine unzureichende Unterweisung und Arbeitsschutzorganisation, das Unterschätzen von Risiken, das Um-gehen von Sicherheitsvorkehrungen und teilweise auch Unachtsamkeit. Daher liegen Überlegungen nahe, durch psychologische Maßnahmen die baulich-technische Arbeits-sicherheit zu ergänzen, um dadurch die Unfallzahlen zu senken. Neben der Motivation sind hierbei auch lernpsychologische Ansätze relevant.

Motivation und MotiveDie Motivation von Beschäftigten – aber auch von Führungskräften – zur Arbeitssicher-heit ist ein schwieriges Unterfangen. Damit eine Person motiviert ist, muss diese grund-sätzlich zuerst einen Mangel empfinden, der sie dann zu Handlungen bewegt, die den Zu-stand dieses Mangels abstellen. Ist etwa eine Person sehr hungrig, ist sie sehr motiviert, etwas Essbares zu finden. Andere Ziele treten in diesem Moment in den Hintergrund. Ist die Person hingegen satt, motiviert sie Nahrung kaum noch.

Ähnlich sieht dies bei der Sicherheit aus. Wird ein Arbeitsplatz als sehr gefährlich einge-schätzt, ist die Motivation hoch, ihn zu verändern oder sich sehr genau an die notwendi-gen Sicherheitsvorkehrungen zu halten. So sind zum Beispiel Entschärfer von Bomben hoch motiviert, die vorgeschriebenen Sicherheitsvorkehrungen akribisch einzuhalten.

Wird hingegen ein Arbeitsplatz als sehr sicher eingeschätzt, besteht nur eine sehr geringe Motivation, sich besonders sicher zu verhalten. Sicherheit wird als selbstverständlich an-gesehen. Andere Motive bestimmen dann viel stärker das Verhalten. Diese anderen Mo-tive (zum Beispiel schnell zu arbeiten, um den Verdienst zu steigern) können durchaus im Konflikt mit der Arbeitssicherheit stehen.

An vielen Arbeitsplätzen ist die Frage, wie sicher sich Beschäftigte verhalten, eher zweit-rangig: Die technische Sicherheit ist dort so hoch, dass selbst bei Fehlverhalten keine ernsten Folgen zu befürchten sind. Kritisch wird es hingegen, wenn die Beschäftigten die vorhandenen Risiken am Arbeitsplatz nicht sehen oder diese unterschätzen und wenn sie dadurch zu riskanterem Arbeiten verleitet werden. Hier treffen ein riskantes Verhal-ten und vorhandene Risiken am Arbeitsplatz zusammen, was fatale Folgen haben kann.

Motivationsprogramme müssen daher darauf abzielen, die vorhandenen Risiken ins Be-wusstsein der Beschäftigten zu rücken, bei ihnen ein glaubwürdiges Gefühl der Unsicher-heit zu erzeugen. Sie müssen die Themen Sicherheit und Gesundheit als Ziele verankern und so das Verhalten verändern. Erfolgreiche reine Motivationsprogramme zur Arbeitssi-cherheit sind eher selten, weil die überwiegende Anzahl der heutigen Arbeitsplätze we-nige offensichtliche Risiken in sich birgt.

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Sicheres und unsicheres VerhaltenDer Arbeitspsychologe Burkardt beobachtete, dass Personen sich in neuen Situationen zunächst eher sicher verhielten, dass sich mit der Zeit jedoch gefährdendere Gewohn-heiten einschlichen und diese dann gewohnheitsmäßig auftraten. Hierzu hat er eine ein-leuchtende Theorie entwickelt: Er erklärt den Weg von einem bewussten, sicheren Han-deln zu einer sicherheitswidrigen Verhaltensgewohnheit mit Lernprozessen und nutzt diese, um konkretes Verhalten zu beeinflussen. Nach Burkardt entscheidet die Konse-quenz jeder Handlung darüber, ob sie zukünftig beibehalten oder verworfen wird. Wenn auf der einen Seite sicheres, vorsichtiges Handeln zu Zeitverlust oder anderen Nachtei-len führt, auf der anderen Seite Unfallrisiken nicht bewusst sind, entwickeln sich leicht unsichere Verhaltensgewohnheiten. Um diesen Prozess umzukehren, können – gerade von der Betriebsleitung – die gleichen Gesetzmäßigkeiten genutzt werden:

� Wenn sicheres Verhalten Nachteile mit sich bringt, müssen diese abgebaut werden. � Wenn sicheres Verhalten keine direkt sichtbaren Vorteile bringt, muss es attraktiver

gemacht werden. � Wenn unsicheres Verhalten selten Misserfolge und Nachteile bringt, müssen die mög-

lichen negativen Folgen stärker verdeutlicht werden. � Wenn unsicheres Verhalten häufig Vorteile bringt, müssen diese abgebaut werden.

Es geht also im Kern darum, sicheres Verhalten bequemer und attraktiver zu machen als unsicheres Verhalten. Bequemes und attraktives Verhalten wird stets beibehalten. Ob-gleich die Theorie von Burkhardt inzwischen in vielen Punkten erweitert und modifiziert wurde, sind seine Anregungen für die praktische Arbeit weiterhin aktuell.

Attraktivität des sicheren Verhaltens erhöhenUm die Attraktivität des sicheren Verhaltens zu erhöhen, gibt es viele Strategien:

Wirksam und wiederholt ausbildenHier geht es darum, die Mitarbeiter darüber zu informieren, wie sicheres Arbeiten mög-lich ist. Die Anwendung lernpsychologischer Gesetze (siehe oben) ist dabei ebenso sinn-voll wie die regelmäßige Wiederholung.

Erfolge von Unfallverhütungsmaßnahmen bekannt machenErzielte Erfolge (zum Beispiel weniger schwere Unfälle oder seltenere gefährliche Situa-tionen als im Vorjahr) können zur Rechtfertigung unbeliebter Unfallverhütungsmaßnah-men beitragen.

Sicherheitswettbewerbe startenAls Versuch, Arbeitssicherheit zu steigern, führen viele Betriebe Sicherheitswettbewerbe durch. Missachtet man hier psychologische Erkenntnisse, können diese Wettbewerbe jedoch einen negativen Effekt auf Unfallsituationen und Betriebsklima haben. So füh-ren Prämien für unfallfreie Abteilungen zum Verschweigen von Unfällen oder dazu, dass noch nicht völlig gesunde Arbeitnehmer zur Arbeit erscheinen, um die Prämie zu retten. Preisausschreiben, die bloßes Wissen oder offensichtliche Lösungsworte abfragen, ha-ben keinen Einfluss auf die Unfallzahlen. Als günstig haben sich hingegen Belohnungen für die Befolgung konkreter Verhaltensforderungen erwiesen, wie zum Beispiel für das

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Tragen von persönlicher Schutzausrüstung. Gleichzeitig sollte nicht permanent, sondern gelegentlich belohnt werden, da dann der Lerneffekt dauerhaft ist.

Belohnen sicheren VerhaltensSicheres Verhalten kann sowohl materiell als auch in Form von beruflichen Aufstiegsper-spektiven belohnt werden. Als besonders erfolgreich hat sich die Kopplung von variab-len Bestandteilen der Entlohnung von Führungskräften mit den jeweiligen Unfallzahlen und dem Niveau der Organisation des Arbeitsschutzes erwiesen – etwa bei Hessen-Forst, denen u. a. mit diesem Instrument eine deutliche Senkung der Unfallzahlen gelang. Die Führungskräfte haben dadurch selbst ein starkes Motiv, die Sicherheit in ihrem Arbeits-bereich zu verbessern.

Identifikation der Leitung mit Zielen des ArbeitsschutzesDiese Identifikation ist eine Grundvoraussetzung für dauerhaft sicheres Verhalten der Beschäftigten. So müssen Führungskräfte stets die gleichen Sicherheitsvorkehrungen treffen und die gleiche Schutzausrüstung verwenden wie die Beschäftigten in dersel-ben Situation.

Ergonomische Hilfen nutzen und die Informationsaufnahme erleichternDie Gestaltung von Messanzeigen und die Darstellung von Informationen sollten sich an der typischen menschlichen Wahrnehmung orientieren. Gefahrensignale sollten auch auf niedrigem Aufmerksamkeitsniveau leicht erkennbar sein.

Bequemes Verhalten sichernHäufig sind bequeme Verhaltensweisen nicht generell, sondern nur durch einen leicht be-hebbaren Umstand gefährlich. Da man bei bequemem Verhalten davon ausgehen kann, dass es stets beibehalten wird, sollte man nicht versuchen, es zu unterbinden, sondern vielmehr die Umstände beseitigen, die es unsicher machen. So ist es oft sinnvoller, Tram-pelpfade zu sichern als ihre Benutzung zu verhindern.

Bequeme und optisch ansprechende persönliche Schutzausrüstungen (PSA) anschaffenDie Tragequote von persönlicher Schutzausrüstung hängt deutlich mit deren Bequemlich-keit zusammen. Besonders attraktiv ist das Tragen von PSA dann, wenn es einen Zusatz-nutzen für den Nutzer hat (zum Beispiel Schutz vor Regen durch Helm). Um die Tragebe-quemlichkeit sicherzustellen, sollten Körperschutzmittel mit den Beschäftigten erprobt und Wahlmöglichkeiten unter Wahrung der Qualität eingeräumt werden.

Sicherungszeiten extra ausweisenUm den Eindruck zu vermeiden, dass Zeiten für Arbeitssicherheitsmaßnahmen durch schnelleres Arbeiten ausgeglichen werden müssen, sollten diese Zeiten bei der Kalku-lation von Arbeitsaufgaben getrennt angegeben und dies auch den Beschäftigten mit-geteilt werden.

Attraktivität des unsicheren Verhaltens vermindernUm die Attraktivität des unsicheren Verhaltens zu vermindern können folgende Strate-gien eingesetzt werden:

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Über Gefährdungen informieren und Unfallmechanismen demonstrierenEs genügt nicht nur zu wissen, wie man sicher arbeiten kann. Zur Ausbildung gehört auch die Information über Risiken und über frühere Unfälle am Arbeitsplatz. Die oben genannten lernpsychologischen Gesetze sind dabei zu beachten. Es sollte hier bedacht werden, dass Menschen Risiken, die ihnen vertraut sind und mit denen sie häufig um-gehen, stark unterschätzen, dass sie unbekannte Risiken dagegen überschätzen. Somit ist eine Information über die objektive Gefährdungssituation wichtig. Sie kann zum Bei-spiel im Rahmen der Erstellung oder Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilung vorge-nommen werden.

Gefahrstellen kennzeichnen und gegebenenfalls absperrenDie ohnehin vorgeschriebene Kennzeichnung erleichtert es, Gefährdungen zu meiden. Sind diese nicht zu beseitigen, müssen sie wirksam abgesperrt werden.

Vermeidungsverhalten übenViele gefährliche Situationen treffen die Beschäftigten gänzlich unvorbereitet. An Maschi-nen und Steuereinrichtungen ist es daher wichtig zu trainieren, wie man plötzlich auftre-tenden Problemen begegnet, ohne dass die Anlage außer Kontrolle gerät.

Schutzmaßnahmen an technische Funktionen koppelnHierdurch ist ein Unfall praktisch unmöglich. Man sollte die Wirksamkeit einer solchen Kopplung jedoch gelegentlich überprüfen, da in Fällen, in denen durch die Schutzmaß-nahme nur langsamer gearbeitet werden kann, derartige Sicherheitsvorkehrungen von „findigen Bastlern“ gerne außer Funktion gesetzt werden.

Rechtfertigungen abarbeitenDie meisten Personen wissen, wann ihr Verhalten Risiken birgt. Sie legen sich daher Rechtfertigungen zurecht, um sich selbst und anderen gegenüber ihr riskantes Verhal-ten zu begründen. Diese Rechtfertigungen können meist argumentativ widerlegt werden. Ohne die gewohnte Rechtfertigung ist es für die Person schwierig, das riskante Verhal-ten in der gewohnten Form aufrechtzuerhalten. Zuweilen stellt sich allerdings heraus, dass die Rechtfertigung einen wahren Kern besitzt (zum Beispiel dass die Arbeitsumge-bung mit zu einem bestimmten Risiko beiträgt). Dies sollte dann ein Anlass für entspre-chende Veränderungen sein.

Kritisieren und disziplinarische MaßnahmenDiese Möglichkeiten sollten das letzte Mittel sein. Vielfach bewegen sie aber diejenigen zum Umdenken, die noch nicht mit Argumenten überzeugt werden konnten. Durch eine eher moderate Bußgeldandrohung ab dem Jahr 1984 konnte beispielsweise die Trage-quote von Sicherheitsgurten im Straßenverkehr in Deutschland, die bis dahin (je nach Straßenart) zwischen 50 % und 80 % lag, sehr schnell auf nahezu 100 % gesteigert werden.

Wie die exemplarisch vorgestellten Maßnahmen zeigen, ist es durchaus möglich, durch arbeitspsychologische Erkenntnisse und Maßnahmen die Sicherheit im Betrieb zu ver-bessern und psychische sowie andere gesundheitliche Belastungen am Arbeitsplatz zu reduzieren. Dabei verwischen sich die Grenzen zwischen technischen, organisatorischen, psychologischen, arbeitsmedizinischen und ergonomischen Maßnahmen zunehmend.

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Auch die Schnittstellen mit vergleichsweise neuen Akteuren wie der Gesundheitsförde-rung und auch der Personalentwicklung werden stetig zahlreicher. Nur eine Zusammen-arbeit aller Fachdisziplinen stellt an den Arbeitsplätzen der Zukunft sicher, dass die Be-schäftigten bis ins Rentenalter gesund und sicher arbeiten können.

LiteraturBurkhardt, Friedhelm und Colin, Ingrid: Zur Sicherheit führen. Motivation im Arbeitsschutz. Wies-

baden: Universum, 1997

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Abkürzungen

ABAS Ausschuss für biologische ArbeitsstoffeAGS Ausschuss für GefahrstoffeArbMedVV Verordnung zur arbeitsmedizinischen VorsorgeArbSchG ArbeitsschutzgesetzASA ArbeitsschutzausschussASCA Arbeitsschutz und sicherheitstechnischer Check in Anlagen/

„Leitfaden für Arbeitsschutzmanagement“ASiG ArbeitssicherheitsgesetzASR Arbeitsstättenregel/nAVV Allgemeine VerwaltungsvorschriftBAuA Bundesanstalt für Arbeitsschutz und ArbeitsmedizinBaustellV Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz auf Bau-

stellenBEM betriebliches EingliederungsmanagementBetrSichV BetriebssicherheitsverordnungBetrVerfG BetriebsverfassungsgesetzBG BerufsgenossenschaftBG ETEM Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro MedienerzeugnisseBGI BG-InformationBGV BG-VorschriftenBGIA Berufsgenossenschaftliches Institut für ArbeitsschutzBildscharbV BildschirmarbeitsverordnungBioStoffV Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Tätig-

keiten mit biologischen Arbeitsstoffen (Biostoffverordnung)BK BerufskrankheitBKV Berufskrankheiten-VerordnungBlmSchV Bundes-ImmissionsschutzverordnungenBMAS Bundesministerium für Arbeit und SozialesBMWA Bundesministerium für Wirtschaft und ArbeitBR/PR Betriebs- und PersonalratBSE bovine spongiforme EnzephalopathieBUK Bundesverband der UnfallkassenBUK und HVBG seit 2007 gem. Spitzenverband Deutsche Gesetzliche Unfall-

versicherung-DGUVBgA Bundeszentrale für gesundheitliche AufklärungCEN Comité Européen de Normalisation/Europäisches Komitee für

NormungCLP-Verordnung Verordnung über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpa-

ckung von Stoffen und Gemischen (Regulation on Classifica-tion, Labelling, Packaging of Chemicals)

DEKRA Deutscher Kraftfahrzeug-ÜberwachungsvereinDGUV Spitzenverband der Berufsgenossenschaften und Unfallversi-

cherungsträger der öffentlichen Hand-Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung

DHS Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V.DIN Deutsches Institut für Normung

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A b k ü r z u n g e n

DLRG Deutsch Lebens-Rettungs-Gesellschaft e.V.DSM IV Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders/Diag-

nostisches und statistisches Handbuch psychischer StörungenDV-Anlage DatenverarbeitungsanlageDVR Deutscher Verkehrssicherheitsrat e. V.EN Europäische NormEU-OSHA Occupationat Safety and Health Agency/Europäische Agentur

für Sicherheit und Gesundheitsschutz am ArbeitsplatzEWG Europäische WirtschaftsgemeinschaftGDA Gemeinsame Deutsche ArbeitsschutzstrategieGefStoffV Verordnung zum Schutz vor GefahrstoffenGHS global harmonisiertes System zur Einstufung und Kennzeich-

nung von Chemikalien (Globally Harmonized System of Classi-fication, Labelling and Packaging of Chemicals)

GISBAU Gefahrstoffinformationssystem der BG BauwirtschaftGSG Gerätesicherheitsgesetz, seit 2004 ersetzt durch das Geräte-

und Produktsicherheitsgesetz (GPSG)GUV-I Information der Unfallversicherungsträger der öffentlichen HandGUV-R Regel der Unfallversicherungsträger der öffentlichen HandGUV-SR Regel der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand für

Schulen bzw. KindertagesstättenGUV-V Unfallversicherungsvorschrift der Unfallversicherungsträger der

öffentlichen HandHAV Hepatitis-A-VirusHBO Hessische BauordnungHBV Hepatitis-B-VirusHCV Hepatitis-C-VirusHPVG Hessisches PersonalvertretungsgesetzHVBG Hauptverband der gewerblichen BerufsgenossenschaftenIFA Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfall-

versicherungIfSG InfektionsschutzgesetzINCI-Standard Internationale Nomenklatur für kosmetische Inhaltsstoffe (In-

ternational Nomenclature of Cosmetic Ingredients)INQA Initiative Neue Qualität der ArbeitIR-Strahlung Infrarot-StrahlungLärmVibrationsArbSchV Verordnung zum Schutz der Beschäftigten vor Gefährdungen

durch Lärm und VibrationenLASER Light Amplification by Stimulated Emission of Radiation/Licht-

verstärkung durch stimulierte Emission von StrahlungLASI Länderausschuss für Arbeitsschutz und SicherheitstechnikLUBW Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-

WürttembergMdE Minderung der ErwerbsfähigkeitMuSchArbV Verordnung zum Schutze der Mütter am ArbeitsplatzMuSchG Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen MutterOEG obere Explosionsgrenze

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A b k ü r z u n g e n

OSHA Informationsnetzwerk Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Occupational Safety and Health Administration)

OStrV Verordnung zum Schutz der Beschäftigten vor Gefährdungen durch künstliche optische Strahlung (Arbeitsschutzverordnung zu künstlicher optischer Strahlung)

PR/BR Personal- und BetriebsratPSA persönliche SchutzausrüstungPSA-BV Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Be-

nutzung persönlicher Schutzausrüstungen bei der ArbeitPTBS Posttraumatische BelastungsstörungRKI Robert-Koch-InstitutRöV RöntgenverordnungSAR spezifische AbsorptionsrateSDB SicherheitsdatenblattSGB VII Siebtes Buch Sozialgesetz-Gesetzliche UnfallversicherungSRS-Unfälle Unfälle durch Stolpern, Rutschen oder StürzenStrlSchV StrahlenschutzverordnungTR Technische Regel/nTRBA Technische Regeln für biologische ArbeitsstoffeTRBS Technische Regeln für BetriebssicherheitTRGS Technische Regeln für GefahrstoffeTRLV Technische Regeln zur Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzver-

ordnungTSE Sammelbegriff für durch Prionen übertragene Erkrankungen

(Transmissible Spongiform Encephalopathy)TÜV Technischer Überwachungs-VereinUEG untere ExplosionsgrenzeUKH Unfallkasse HessenUVI UV-IndexUV-Strahlung Ultraviolett-StrahlungUVV Unfallverhütungsvorschrift/enVBG VerwaltungsberufsgenossenschaftVCI Verband der Chemischen IndustrieVDE Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstech-

nikVDI Verein Deutscher IngenieureVOB Vergabe- und Vertragsordnung für BauleistungenWHO Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization)

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Abonnieren Sie unseren newsletter unter www.ukh.de, Webcode U400

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Für Führungskräfte und Verantwortliche: das Mitglieder portal der UKH

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besuchen Sie unser Feuerwehrportal unter www.feuerwehrportal­hessen.de

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Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der ArbeitGrundlagen und Grundwissen – Ein Handbuch

Unfallkasse Hessen

ISBN 978-3-934729-05-6

Leonardo-da-Vinci-Allee 2060486 Frankfurt am MainServicetelefon: 069 29972-440(montags bis freitags von 7:30 bis 18:00 Uhr)Fax: 069 29972-588E-Mail: [email protected]: www.ukh.de

Stand: Dezember 2011

Schriftenreihe der Unfallkasse Hessen, Band 5Sich

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