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HAMBURGISCHES VERFASSUNGSGERICHT U R T E I L IM NAMEN DES VOLKES HVerfG 01/06 In der Verfassungsstreitsache Verkündet am 1. Dezember 2006 58 Mitglieder der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Ham- burg Justizangest. als Urkundsbeamtin 1. Michael Neumann, d.Geschäftsstelle Fraktionsvorsitzender der SPD-Bürgerschaftsfraktion Hamburg, 2. Christa Goetsch, Fraktionsvorsitzende der GAL-Bürgerschaftsfraktion Hamburg 3. Tanja Bestmann 4. Sabine Boeddinghaus 5. Thomas Böwer 6. Petra Brinkmann 7. Dr. Barbara Brüning 8. Wilfried Buss 9. Ingrid Cords 10. Hans-Christoff Dees 11. Werner Dobritz 12. Gesine Dräger 13. Dr. Andreas Dressel 14. Barbara Duden 15. Ingo Egloff 16. Britta Ernst 17. Luisa Fiedler 18. Günter Frank 19. Uwe Grund

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HAMBURGISCHES VERFASSUNGSGERICHT

U R T E I L

IM NAMEN DES VOLKES

HVerfG 01/06

In der Verfassungsstreitsache Verkündet am 1. Dezember 2006 58 Mitglieder der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Ham-

burg Justizangest. als

Urkundsbeamtin 1. Michael Neumann, d.Geschäftsstelle Fraktionsvorsitzender der SPD-Bürgerschaftsfraktion Hamburg,

2. Christa Goetsch, Fraktionsvorsitzende der GAL-Bürgerschaftsfraktion Hamburg 3. Tanja Bestmann 4. Sabine Boeddinghaus 5. Thomas Böwer 6. Petra Brinkmann 7. Dr. Barbara Brüning 8. Wilfried Buss 9. Ingrid Cords 10. Hans-Christoff Dees 11. Werner Dobritz 12. Gesine Dräger 13. Dr. Andreas Dressel 14. Barbara Duden 15. Ingo Egloff 16. Britta Ernst 17. Luisa Fiedler 18. Günter Frank 19. Uwe Grund

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20. Dr. Andrea Hilgers 21. Dirk Kienscherf 22. Rolf-Dieter Klooß 23. Lutz Kretschmann-Johannsen 24. Gerhard Lein 25. Doris Mandel 26. Wolfgang Marx 27. Aysan Özoguz 28. Dr. Mathias Petersen 29. Erhard Pumm 30. Jan Quast 31. Jan Peter Riecken 32. Karin Rogalski-Beeck 33. Jenspeter Rosenfeldt 34. Dr. Monika Schaal 35. Dr. Martin Schäfer 36. Jürgen Schmidt 37. Rüdiger Schulz 38. Dr. Dorothee Stapelfeldt 39. Karin Timmermann 40. Carola Veit 41. Silke Vogt-Deppe 42. Walter Zuckerer 43. Christiane Blömeke 44. Martina Gregersen 45. Nebahat Güclü 46. Katja Husen 47. Jens Kerstan 48. Gudrun Köncke 49. Dr. Verena Lappe 50. Claudius Lieven 51. Jörg Lühmann 52. Christian Maaß 53. Dr. Willfried Maier 54. Antje Möller 55. Farid Müller 56. Dr. Heike Opitz 57. Manuel Sarrazin 58. Dr. Till Steffen sämtlich Rathausmarkt 1, 20095 Hamburg,

- Antragsteller - Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Bertelsmann, Bildstein, Ede, Gäbert, Greiner-Mai, Dr. Kühling, Ludwig und Mammitzsch, Osterbekstr. 90c, 22083 Hamburg,

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g e g e n Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, vertreten durch den Präsidenten Berndt Röder, Rathausmarkt 1, 20095 Hamburg,

- Antragsgegnerin - Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Graf von Westphalen Bappert & Modest, Große Bleichen 21, 20354 Hamburg, b e i g e l a d e n: Parlamentarischer Untersuchungsausschuss zur „Weitergabe von vertraulichen Dokumenten des PUA ‚Geschlossene Unterbringung Feuerbergstraße’“, vertreten durch den Vorsitzenden Wolfgang Marx, Rathausmarkt 1, 20095 Hamburg,

hat das Hamburgische Verfassungsgericht durch seinen Präsidenten Rapp, die Ver-

fassungsrichterinnen v. Paczensky und Wirth-Vonbrunn sowie die Verfassungsrichter

Hardt, Dr. Maselewski, Nesselhauf, Seifert, Dr. Westphal und Dr. Willich aufgrund der

mündlichen Verhandlung vom 6. Oktober 2006 für Recht erkannt:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

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A. Tatbestand:

I.

Die Antragsteller sind die Abgeordneten der beiden Minderheitsfraktionen der Ham-

burgischen Bürgerschaft, der Antragsgegnerin. Sie wenden sich gegen einen mit den

Stimmen der Mehrheitsfraktion gefassten Plenumsbeschluss über die Erweiterung

des Untersuchungsauftrags des beigeladenen Parlamentarischen Untersuchungs-

ausschusses (PUA) „zur Weitergabe von vertraulichen Dokumenten des PUA ‚Ge-

schlossene Unterbringung Feuerbergstraße’ an den Senat“ (PUA Weitergabe); und

zwar wenden die Antragsteller sich gegen die Erweiterung des Untersuchungsauf-

trags auf die Untersuchung der Weitergabe „an Dritte“.

1. Die Einsetzung und Tätigkeit von Parlamentarischen Untersuchungsaus-

schüssen ist in Art. 26 i.V.m. Art. 23 Abs. 1 Satz 2 der Verfassung der Freien und

Hansestadt Hamburg (HV) und im Gesetz über die Untersuchungsausschüsse der

Hamburgischen Bürgerschaft (UAG) vom 27. August 1997 geregelt (HmbGVBl.

1997, S. 427, vor dem 19. April 2006 zuletzt geändert am 1. September 2005,

HmbGVBl. 2005, S. 377, 381).

Anknüpfend an Art. 26 Abs. 1 Satz 1 HV heißt es im UAG zur Einsetzung von Unter-

suchungsausschüssen auszugsweise:

㤠2 Einsetzung.

(1) Die Bürgerschaft setzt für einen bestimmten Untersuchungsgegenstand durch Beschluss einen Untersuchungsausschuss ein.

(2) Auf Antrag eines Viertels der Abgeordneten (Minderheitsantrag) hat die Bürgerschaft die Pflicht, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen.

(3) Liegen der Bürgerschaft zu einer Sitzung mehrere Anträge auf Einset-zung eines Untersuchungsausschusses zum selben Untersuchungsgegen-stand vor, sollen die Untersuchungsaufträge zu einem Auftrag zusammenge-fasst werden. Dies kann nicht gegen den Willen der Antragstellerinnen und Antragsteller nach Absatz 2 erfolgen. ...“

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§ 3 Untersuchungsauftrag.

(1) Der Auftrag der Untersuchung ist im Antrag und im Beschluss über die Einsetzung hinreichend bestimmt festzulegen.

(2) Der in einem Minderheitsantrag nach § 2 Absatz 2 festgelegte Untersu-chungsauftrag kann gegen den Willen der Antragstellerinnen und Antragsteller nicht eingeschränkt werden. Er kann gegen ihren Willen nur dann konkreti-siert, erweitert oder verändert werden, wenn dadurch der Kern des Untersu-chungsgegenstandes nicht berührt wird und eine wesentliche Verzögerung oder wesentliche Auswirkungen für die Öffentlichkeit des Verfahrens nicht zu erwarten sind.

(3) Der Untersuchungsausschuss ist an den Untersuchungsauftrag gebun-den. Neue Sachverhalte können nur aufgrund eines Änderungs- oder Ergän-zungsbeschlusses der Bürgerschaft einbezogen werden. § 2 Absatz 2 bleibt unberührt.“

2. Auf Antrag der Minderheitsfraktionen vom 30. März 2005 gemäß Bü-Drs.

18/2017 setzte die Bürgerschaft - bei Enthaltung der Abgeordneten der Mehrheits-

fraktion - mit Beschluss vom 13. April 2005 den PUA „Geschlossene Unterbringung

Feuerbergstraße“ ein (PUA Feuerbergstraße).

a) Nachdem dieser in 18 Sitzungen getagt hatte, von denen fünf (teilweise) nicht

öffentlich waren, entstand der Verdacht, dass Unterlagen unzulässig weitergegeben

worden waren. Der Weitergabe-Verdacht bezieht sich auf Sitzungsprotokolle und

Informationen aus Akten oder beigezogenen Akten oder aus Vermerken des Arbeits-

stabs mit Arbeitsergebnissen (vgl. Antwort auf kl. Anfrage Bü-Drs. 18/3863 vom 14.

März 2006 u.a.).

Zu den Sitzungsniederschriften gehört das Protokoll Nr. 18/17 mit dem nicht-

öffentlichen Sitzungsteil betreffend Beugehaftantrag gegen den damaligen Justizse-

nator (vgl. Antwort auf kleine Anfrage Bü-Drs. 18/3905 vom 21. März 2006 u.a.).

Andere Informationen ergaben sich aus dem 67-seitigen als „vertraulich“ gekenn-

zeichneten Vermerk Nr. 18 - oder dessen Kurzfassung - zur Frage der Rechtmäßig-

keit der Unterbringungen, Inobhutnahmen oder sonstigen Aufnahmen Minderjähriger

in die Geschlossene Unterbringung Feuerbergstraße.

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b) Zur Aufklärung der Weitergabe von Protokollen und Unterlagen des PUA Feu-

erbergstraße haben der Erste Bürgermeister am 8. März 2006 und der Präsident der

Bürgerschaft am 14. März 2006 je einen Sonderermittler eingesetzt. Die von den

Sonderermittlern für den Bereich des Senats und der Behörden einerseits und der

Bürgerschaft andererseits vorgelegten Berichte sind (bisher) nicht veröffentlicht, son-

dern der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt worden. Aufgrund dieser Anzei-

gen wurden Ermittlungsverfahren wegen Verletzung von Privat- oder Dienstgeheim-

nissen (§§ 203, 353b, 26 Strafgesetzbuch --StGB--) gegen verschiedene Personen

eingeleitet und inzwischen eingestellt (vgl. Antworten auf kl. Anfragen Bü-Drs.

18/4567 und 4865 vom 4. Juli und 1. September 2006 u.a.).

c) Nach Fertigstellung des Berichts des Senats-Sonderermittlers über den Um-

gang mit den PUA-Unterlagen bzw. -Protokollen wurde am 20. März 2006 der

Staatsrat der Behörde für Soziales und Familie in den einstweiligen Ruhestand ver-

setzt und am 22. März 2006 durch einen neuen Staatsrat ersetzt. Weiter hat der Ers-

te Bürgermeister am 27. März 2006 den Justizsenator entlassen und anschließend

einen neuen Justizsenator berufen und diesen gemäß Antrag vom 28. März 2006

(Bü-Drs. 18/3965) durch die Bürgerschaft am 29. März 2006 bestätigen lassen (Ple-

narprotokoll 18/52 vom 29. März 2006, S. 2645B-C).

d) In derselben Sitzung und Aussprache zur „Aktuellen politischen Lage“ hat sich

das Plenum der Bürgerschaft in 10 Reden mit der Weitergabe von Protokollen und

Unterlagen des PUA Feuerbergstraße befasst (Plenarprotokoll 18/52 vom 29. März

2006, S. 2646A - 2660C). Außerdem debattierte die Bürgerschaft über einen ge-

meinsamen Oppositionsantrag vom 15. März 2006 Bü-Drs. 18/3910 und über einen

Antrag der Mehrheitsfraktion vom 28. März 2006 Bü-Drs. 18/3968. Nach ersterem

sollte die Bürgerschaft „die Anforderung und senatsinterne Weiterleitung vertraulicher

Unterlagen ihres PUA durch Einrichtungen des Senats als rechtswidrig und im Um-

gang mit dem Parlament inakzeptabel“ rügen. Nach letzterem sollte die Bürgerschaft

das sofortige Handeln des Ersten Bürgermeisters und ihres Präsidenten und die Ein-

setzung der Sonderermittler ausdrücklich begrüßen. Nach 7 Reden wurde mehrheit-

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lich der Oppositionsantrag abgelehnt und der Antrag der Mehrheitsfraktion ange-

nommen (Plenarprotokoll 18/52 vom 29. März 2006, S. 2663C - 2671B).

3. Auf Antrag der Oppositionsfraktionen vom 29. März 2006 gemäß Bü-Drs.

18/3989 setzte die Bürgerschaft am 12. April 2006 - nach Plenardebatte mit 10 Re-

den - durch einstimmigen Beschluss den hier interessierenden beigeladenen PUA

„zur Weitergabe von vertraulichen Dokumenten des PUA ‚Geschlossene Un-terbringung Feuerbergstraße’ an den Senat“

ein (Plenarprotokoll 18/54 vom 12. April 2006, S. 2774B - 2785A). In der Bü-Drs.

heißt es auszugsweise:

„... Im Zuge seiner Untersuchung hat der PUA (Feuerbergstraße) bisher 15 Zeugen aus unterschiedlichen Behörden vernommen. Anfang März 2006 hat sich herausgestellt, dass offenbar von Beginn der Ausschussarbeit an Sit-zungsprotokolle zunächst aus der Bürgerschaftskanzlei, dann aus dem Ar-beitsstab des PUA in den Bereich des Senats gelangt sind. Nach öffentlichen Verlautbarungen des Senats und nach Zeitungsberichten hat die Senatskanz-lei - auch vor dem Hintergrund entsprechender Anforderungen aus einzelnen Fachbehörden - die Vernehmungsprotokolle von der Bürgerschaft erhalten und an beteiligte Behörden ... weitergeleitet.

Damit wurde - soweit sich dieser Sachverhalt bestätigt - nach aller Voraussicht gegen die Bestimmungen des Gesetzes über die Untersuchungsausschüsse verstoßen: Um die Aufklärung des Untersuchungsgegenstands durch den PUA nicht zu gefährden, dürfen insbesondere potentielle Zeugen, d. h. also Behördenleitung und -mitarbeiter/-innen, prinzipiell keinen Zugang zu Proto-kollen und anderen Unterlagen eines Untersuchungsausschusses erhalten.

... Diese Vorgänge deuten darauf hin, dass möglicherweise gezielt versucht wurde, Aussagen aufeinander abzustimmen. Die Bürgerschaft kann nicht hin-nehmen, dass offenbar von Seiten des Senats versucht worden ist, die parla-mentarische Untersuchung des Senatshandelns zu unterlaufen. ...

Die Weiterleitung vertraulicher Unterlagen des Untersuchungsausschusses an den Senat und ihre Weiterleitung und Verwendung auf Seiten des Senats sind deshalb mit den dem Parlament zustehenden Mitteln aufzuklären.

Die Bürgerschaft möge beschließen:

1. Es wird ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingerichtet, der den Auftrag hat, die Weitergabe von vertraulichen Dokumenten des PUA ‚Geschlossene Unterbringung Feuerbergstraße’ insbesondere durch PUA-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen, Abgeordnete, Abgeordneten- oder Frakti-onsmitarbeiter und -mitarbeiterinnen an den Senat (einschließlich Behörden und Landesbetriebe) und den weiteren Umgang hiermit im Senat und den Fachbehörden und Landesbetrieben zu überprüfen. Dies schließt Aktivitäten des Senats oder einzelner (auch ehemaliger) Senatoren/-innen oder (auch ehemaliger) Bediensteter im Zusammenhang mit der Aufklärung des Um-

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gangs mit den vertraulichen Unterlagen ein. Insbesondere hat der PUA fol-gende Fragen zu klären:

a) Wer hat i. von wem und auf welchem Wege, ii. auf wessen Veranlassung und iii. mit welchem Ziel auf Seiten des Senats vertrauliche Unterlagen des PUA ‚Geschlossene Unter-bringung Feuerbergstraße’ angefordert oder erlangt oder weitergegeben?

b) Wer hat auf Seiten des Senats was mit vertraulichen Unterlagen des PUA ‚Geschlossene Unterbringung Feuerbergstraße’ unternommen und zu welchem Zweck?

c) Wurde hierbei auf Seiten des Senats oder der Bürgerschaft gegen Rechtsvorschriften oder Dienstanweisungen verstoßen?

d) Welche Vorkehrungen sollten getroffen werden, um die Vertraulichkeit von PUA-Dokumenten in Zukunft besser zu schützen? ...“

4. Ebenfalls am 12. April 2006 zog die Mehrheitsfraktion ihren mit Bü-Drs.

18/3981 vom 29. März 2006 vorbereiteten Antrag zurück, den Untersuchungsauftrag

des PUA „Geschlossene Unterbringung Feuerbergstraße“ auf die „Protokoll-Affäre“

gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 UAG auszuweiten.

5. Auf Antrag aller drei Fraktionen gemäß Bü-Drs. 18/4050 beschloss die Bür-

gerschaft am 12. April 2006 auch einstimmig u. a. folgende Änderung des UAG (Drit-

tes Gesetz über die Untersuchungsausschüsse der Hamburgischen Bürgerschaft;

Plenarprotokoll 18/54 vom 12. April 2006, S. 2797A):

„1. § 13 Absatz 3 erhält folgende Fassung:

‚(3) Sämtliche Protokolle über öffentliche und nichtöffentliche Sitzun-gen werden an die ordentlichen und stellvertretenden Mitglieder sowie die nach § 15 Absatz 1 Satz 1 von den Fraktionen und Gruppen be-nannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verteilt.’

2. § 16 Absatz 2 Satz 3 erhält folgende Fassung:

‚Die Arbeitsergebnisse des Arbeitsstabes sind an alle ordentlichen und stellvertretenden Mitglieder des Untersuchungsausschusses sowie die nach § 15 Absatz 1 Satz 1 von den Fraktionen und Gruppen benannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unverzüglich zu verteilen.’ ...“

Dieses Änderungsgesetz wurde vom Senat am 19. April 2006 ausgefertigt und im

HmbGVBl. vom 21. April 2006 (S. 178) verkündet.

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6. Im vorliegenden Verfassungsrechtsstreit geht es um den auf Antrag der Mehr-

heitsfraktion gemäß Bü-Drs. 18/4055 vom 11. April 2006 in derselben Bürgerschafts-

sitzung vom 12. April 2006 mit ihrer Mehrheit gegen die Stimmen der Minderheits-

fraktionen gefassten Beschluss (Plenarprotokoll 18/54, S. 2774C, 2785A), den mit

PUA

„zur Weitergabe von vertraulichen Dokumenten des PUA ‚Geschlossene Un-terbringung Feuerbergstraße’ an den Senat“

rubrizierten Untersuchungsauftrag zu ergänzen:

„und an Dritte“.

Dazu heißt es in der Bü-Drs. auszugsweise:

„Des Weiteren gelangten offenbar vertrauliche Dokumente des PUA an Dritte. So wurde in der Presse wiederholt aus Akten und Vermerken des PUA zitiert; eine Pressemitteilung der GAL enthielt sogar wörtliche Zitate aus Akten des PUA. Damit wurde gegen die Bestimmungen des Gesetzes über die Untersu-chungsausschüsse verstoßen: Um die Aufklärung des Untersuchungsgegen-stands durch den PUA nicht zu gefährden, dürfen andere Personen als Aus-schussmitglieder und -mitarbeiter prinzipiell keinen Zugang zu Protokollen und anderen Unterlagen eines Untersuchungsausschusses erhalten. ...

Die Bürgerschaft möge beschließen:

Der Auftrag des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) zur Weitergabe von vertraulichen Dokumenten des PUA ‚Geschlossene Unter-bringung Feuerbergstraße’ an den Senat wird um die Überprüfung der Weiter-gabe von vertraulichen Dokumenten des PUA ‚Geschlossene Unterbringung Feuerbergstraße’ insbesondere durch PUA-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen, Abgeordnete, Abgeordneten- oder Fraktionsmitarbeiter und -mitarbeiterinnen an Dritte ergänzt. Dabei hat der PUA insbesondere die Frage zu klären:

Welche PUA-Mitarbeiter oder -mitarbeiterinnen, Abgeordneten, Abgeordneten- oder Fraktionsmitarbeiter oder -mitarbeiterinnen haben i. an wen und auf welchem Wege ii. auf wessen Veranlassung und iii. mit welchem Ziel vertrauliche Unterlagen des PUA ‚Geschlossene Unterbringung Feuerberg-straße’ an Dritte weitergeleitet?“

7. Am 10. Mai 2006 wurde ein umfangreicher Antrag der Abgeordneten aller drei

Fraktionen im PUA Weitergabe zum Zweck der Beweiserhebung beschlossen, und

zwar zur Vorlage von Akten des Senats, der Bürgerschaftskanzlei und des PUA

Feuerbergstraße sowie zur Sicherung von Daten in Bürgerschaftskanzlei und Behör-

den.

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Die der Mehrheitsfraktion angehörenden Mitglieder des PUA Weitergabe legten zu

dessen Sitzung am 11. Mai 2006 einen ergänzenden Antrag zur Vorlage von Unter-

lagen vor, der sich auf die streitige Erweiterung des Untersuchungsgegenstands

durch den Mehrheitsbeschluss der Bürgerschaft gemäß Bü-Drs. 18/4055 bezog.

Am 24. Mai 2006 wurde der umfangreiche gemeinsame Beweisbeschluss der Abge-

ordneten aller drei Fraktionen im PUA Weitergabe vom 10. Mai 2006 in abgewandel-

ter Fassung neu beschlossen.

8. Die Mehrheitsfraktion der Bürgerschaft veröffentlichte am 30. Mai 2006 eine

Presseerklärung ihres Obmanns aus dem PUA Weitergabe. Für die ergänzende Un-

tersuchung der Informationsweitergabe an Dritte sei eine Vernehmung von Journalis-

ten weder erforderlich noch von der Mehrheitsfraktion beabsichtigt. Es reiche völlig

aus, Abgeordnete und Mitarbeiter zu fragen, ob sie vertrauliche Dokumente weiterge-

leitet hätten.

9. Am 31. Mai 2006 wurde im PUA Weitergabe der Beweisantrag der Aus-

schuss-Mehrheitsfraktion vom 11. Mai 2006 gegen die Minderheitsstimmen be-

schlossen.

Ein zum 29. Juni 2006 von der Mehrheitsfraktion im PUA Weitergabe vorgelegter

Antrag zur Strukturierung der Untersuchung und Reihenfolge der Beweiserhebung

wurde mehrheitlich am 7. Juli 2006 beschlossen. Danach gliedert sich die Untersu-

chung in die Komplexe: Bürgerschaftskanzlei, Arbeitsstab PUA Feuerbergstraße,

Bereich der Senatskanzlei, Bereich der damaligen Behörde für Soziales und Familie,

Justizbehörde sowie Beweiserhebung durch Sachverständige. Für den ursprüngli-

chen Untersuchungsauftrag kommen nach diesem Strukturierungsbeschluss insbe-

sondere die darin zu den einzelnen Bereichen namentlich genannten - insgesamt 40

- Zeugen in Betracht.

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Einstimmig wurden zum 21. Juni, 30. August, 15. und 28. September 2006 vorgeleg-

te Beweisanträge betreffend die Bereiche Bürgerschaftskanzlei, PUA Feuerbergstra-

ße, Senatskanzlei, Sonderermittler und Justizbehörde beschlossen. Danach erhöht

sich die Zahl der für den Einsetzungs-Untersuchungsauftrag namentlich benannten

Zeugen - um zwei - auf 42.

10. Nach der Sommerpause hat der beigeladene PUA Weitergabe in seinen Sit-

zungen vom 30. August, 8., 15. und 28. September 2006 mit der Durchführung der

Beweisaufnahme begonnen und 9 von 11 hierfür geladenen Zeugen gehört (ein-

schließlich einer Aussageverweigerung).

Am Tag der mündlichen Verhandlung waren weitere Sitzungen auf den 3. November

sowie 1. und 15. Dezember 2006 terminiert. Für eine am 17. November 2006 ausfal-

lende Sitzung stand noch kein neuer Termin fest.

Für das Jahr 2007 hat der PUA bisher 20 Termine vorgemerkt, ohne diese bereits

bestimmten Fragen oder einer Reserve für die hier streitige Erweiterung der Unter-

suchung zuzuordnen.

Die laufende 18. Legislaturperiode aus der Bürgerschaftswahl vom 29. Februar 2004

endet regulär nach vier Jahren mit Neuwahlen im ersten Quartal 2008 (Art. 10, Art.

12 Abs. 4 HV).

11. Der Umgang mit Protokollen und Unterlagen des PUA Feuerbergstraße und

die diesbezüglichen Sonderermittler-Erkenntnisse waren bereits Gegenstand von

mindestens 33 kleinen Anfragen und diesbezüglichen Antworten des Senats. In der

Presse und anderen Medien einschließlich Websites von politischer und sonst inte-

ressierter Seite sind und werden zahlreiche Berichte (mit z.T. detailliertem Inhalt) ü-

ber die Sitzungen und Beweisaufnahmen des PUA Feuerbergstraße veröffentlicht.

Entsprechendes gilt für die - öffentlich so genannte - „Protokollaffäre“ betreffend die

Weitergabe von Protokollen und Unterlagen des PUA Feuerbergstraße und für die

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vorerwähnte politische und juristische Aufarbeitung einschließlich der Tätigkeit des

PUA Weitergabe (vgl. oben 2 ff, unten III 1).

II.

Die Antragsteller haben am 1. Juni 2006 ihren Feststellungsantrag im Organstreitver-

fahren gemäß Art. 65 Abs. 3 Nr. 2 HV i.V.m. § 14 Nr. 2 HVerfGG eingereicht; sie tra-

gen zur Begründung vor:

Sie seien durch den Beschluss über die Erweiterung des PUA-Untersuchungs-

auftrags in ihrem Minderheitsrecht aus Art. 26 Abs. 1 HV verletzt. Dieses Minder-

heitsrecht, einen PUA einzusetzen, begrenze zugleich die Befugnis der Mehrheit,

den Untersuchungsgegenstand gegen ihren (der Minderheit) Willen zu erweitern.

Diese Rechtsstellung ergebe sich unmittelbar aus der Verfassungsnorm selbst. Bei

deren Anwendung seien die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entwickelten

Maßstäbe heranzuziehen. Diese seien aus den Grundsätzen parlamentarischer De-

mokratie gemäß Art. 28 Abs. 1 Grundgesetz (GG) abgeleitet und könnten daher vom

Landesverfassungsgeber nicht zu Lasten der Minderheit unterschritten werden. Die

Ermächtigung in Art. 26 Abs. 3 HV, „das Nähere“ durch Gesetz zu regeln, lasse eine

Abweichung von den allgemeinen verfassungsrechtlichen Standards nicht zu. In § 3

Abs. 2 Satz 2 UAG könnten einzelne Voraussetzungen für die Erweiterung des Un-

tersuchungsgegenstands nur ausformuliert und verdeutlicht werden. Sowohl nach

Art. 26 HV als auch nach § 3 Abs. 2 UAG überschreite der Mehrheitsbeschluss die

zulässigen Grenzen einer Erweiterung des Untersuchungsauftrags gegen den Willen

der Einsetzungsminderheit. Die Mehrheit könne jederzeit einen weiteren Untersu-

chungsausschuss durchsetzen.

Der Erweiterungsbeschluss sei ein Störmanöver, um vom Kern des Untersuchungs-

gegenstandes abzulenken. Nach dem Einsetzungsbeschluss seien die Weiterleitung

„vertraulicher Unterlagen“ und ihre Verwendung auf Seiten des Senats zu untersu-

chen. Hierauf zielten die im Einsetzungsbeschluss bezeichneten Fragen. Die Fragen

zu a und b zielten ausschließlich auf den Senat. Die Zielrichtung sei durch Redebei-

träge von Oppositionsabgeordneten in der Plenarsitzung vom 12. April 2006 verdeut-

licht worden. Dazu gehörten die Frage der Zeugenabsprache und der Authentizität

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der Aussagen von Senats- und Behördenvertretern im vorangehenden PUA Feuer-

bergstraße. Dementsprechend handele es sich beim PUA Weitergabe um eine typi-

sche Kontrollenquete zur Überprüfung des Handelns von Regierung und Verwaltung.

- Der Erweiterungsbeschluss ziele auf einen anderen Gegenstand. Mit der Einbezie-

hung von Indiskretionen gegenüber Dritten durch Parlamentarier oder Mitarbeiter der

Bürgerschaft werde der Blick von Senat und Behörden abgelenkt. Der Erweiterungs-

beschluss betreffe ausschließlich Vorgänge innerhalb des Parlaments. Dabei gehe

es um eine typische Kollegialenquete.

Nach der Rechtsprechung des BVerfG sei eine Erweiterung nur zulässig, wenn der

Kern des Untersuchungsgegenstands nicht „berührt“ werde und wenn sie notwendig

sei, um der Öffentlichkeit ein umfassenderes und wirklichkeitsgetreueres Bild des

aufzuklärenden Missstands zu liefern (anstelle einer Verzerrung). Diese Vorausset-

zungen erfülle der Erweiterungsbeschluss nicht. Der Missstand betreffe ausschließ-

lich einen abgrenzbaren Vorgang innerhalb der Exekutive. Dass die Medien in der

Öffentlichkeit daraus eine „Protokollaffäre“ gemacht hätten, könne das Recht des

Parlaments und der Einsetzungsminderheit auf Bestimmung des Untersuchungsge-

genstands nicht schmälern. Die Kontrollenquete lasse die parlamentarischen Indis-

kretionen nicht wahrheits verzerrend in den Hintergrund treten; diese seien naturge-

mäß Voraussetzung der Weitergabe der Protokolle.

Der Erweiterungsbeschluss führe zu einer wesentlichen Verzögerung der Untersu-

chung. Diese könnte dann alle Abgeordneten, sämtliche Mitarbeiter der Abgeordne-

ten und Fraktionen sowie Journalisten und andere Mitarbeiter der Hamburger Zei-

tungen und Rundfunkanstalten sowie mögliche weitere Dritte als Zwischenträger ein-

schließen. Der Erweiterungsbeschluss setze einem Ausufern keine Grenzen und er-

öffne der Ausschussmehrheit einen unübersehbar großen Handlungsspielraum und

damit die Chance zu einer Verzögerungstaktik. Dieses Prognoserisiko bestehe trotz

des Strukturierungsbeschlusses des PUA. Der jetzige Vortrag der Antragsgegnerin

mit der in Bezug genommenen Presseerklärung der Mehrheitsfraktion widerspreche

dem früheren schriftsätzlichen Vortrag der Antragsgegnerin über die Einbeziehung

der Presse. Absichtserklärungen der Mehrheit seien unverbindlich; gemäß Recht-

sprechung des BVerfG dürfe die Opposition für ihre öffentliche Untersuchung zur

Kontrolle der Regierung nicht auf das Wohlwollen der jene stützenden Mehrheit an-

gewiesen sein. Durch die Redebeiträge aus der Mehrheitsfraktion in der Einbrin-

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gungsdebatte sei deutlich geworden, dass die Erweiterung auf einen weiten Kreis der

Ermittlungen ziele, nämlich wer die Presse informiert oder was an wen zu welchem

Zweck durchgereicht habe. Danach handele es sich erkennbar um einen Gegenan-

griff, der die Planung eines Ermittlungsabschlusses bis zum Ende der Wahlperiode

konterkariere. Die Prognoseunsicherheit gehe zu Lasten der Parlamentsmehrheit.

In Anbetracht des vorliegenden Streitstandumfangs fehle es zumindest an dem vom

BVerfG ausgeführten Erfordernis des „Offen-zu-Tage-Liegens“ der Voraussetzungen

für die Erweiterung des Untersuchungsauftrags.

Im Übrigen nehmen die Antragsteller Bezug auf die Gutachten der Bürgerschafts-

kanzlei vom 2. Mai 2006 und von Prof. Dr. Kämmerer vom 17. Mai 2006, die beide

– mit unterschiedlichen Begründungen – zu dem Ergebnis kommen, dass die Erwei-

terung des Untersuchungsauftrags unzulässig sei.

Die Antragsteller beantragen,

festzustellen:

Der Beschluss der Antragsgegnerin vom 12. April 2006 zur Bürger-

schaftsdrucksache 18/4055 verletzt Art. 26 Abs. 1 HV in Verbindung mit

§ 3 Abs. 2 UAG.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin trägt vor:

Verfassungsrechtlich sei für Untersuchungsausschüsse zu unterscheiden zwischen

einerseits dem Untersuchungs- und Einsetzungsrecht des Parlaments sowie ande-

rerseits dem Initiativrecht der Minderheit. Neben letzterem bestehe die Verantwor-

tung des Plenums mit der Möglichkeit der Einflussnahme.

Der Homogenitätsgrundsatz des Art. 28 GG bedeute keine Uniformität der Demokra-

tie, sondern lasse Raum für die vom BVerfG angeführten länderunterschiedlichen

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Regelungen für die Erweiterung eines PUA-Untersuchungsauftrags, darunter die in

mehreren Ländern geltenden Voraussetzungen, dass der Kern des Untersuchungs-

gegenstands gewahrt bleibt und dass keine wesentliche Verzögerung der Untersu-

chung zu erwarten ist.

Nach heutigem Rechtsstand in Hamburg sei der Erweiterungsbeschluss anhand der

Vorschrift des Art. 26 HV zu prüfen, die im Lichte der spezialgesetzlichen Regelung

des § 3 Abs. 2 UAG authentisch zu interpretieren sei. Diese sei gedeckt durch Art. 26

HV und den in dessen Abs. 2 enthaltenen Gesetzesvorbehalt zur Bestimmung des

Näheren über die Einsetzung. Der Gesetzesvorbehalt gewähre dem Gesetzgeber

einen erheblichen Gestaltungsspielraum für die Regelung des Spannungsverhältnis-

ses zwischen Minderheit und Mehrheit bei der Bestimmung des Untersuchungsge-

genstands. Die spezialgesetzliche Regelung sei abschließend und gehe den von der

Rechtsprechung für den Fall einer fehlenden gesetzlichen Regelung entwickelten

Grundsätzen vor.

Durch den Erweiterungsbeschluss werde der Untersuchungsauftrag konkretisiert und

allenfalls erweitert, aber i.S.v. § 3 Abs. 2 Satz 2 UAG „der Kern des Untersuchungs-

gegenstands nicht berührt“, wie bereits Prof. Dr. Kämmerer in seinem Gutachten

ausgeführt habe.

Gemäß § 3 Abs. 1 UAG werde der Untersuchungsauftrag formstreng und abschlie-

ßend durch Einsetzungsantrag und -beschluss definiert, nicht durch Redebeiträge in

der Plenardebatte. Untersuchungsgegenstand sei danach zum einen die „Weiterga-

be von vertraulichen Dokumenten“ als Weitergabeobjekte durch Bürgerschaftsange-

hörige („PUA-Mitarbeiter, Abgeordnete ...“) als Weitergabesubjekte. Zum anderen

werde der Untersuchungsgegenstand durch den Weitergabeadressaten näher cha-

rakterisiert („an den Senat“) und werde der weitere „Umgang mit den vertraulichen

Unterlagen“ thematisiert. Die exemplarischen Fragen („insbesondere“) richteten sich

gleichberechtigt auf Weitergabesubjekte (Bürgerschaftssphäre) und Weitergabe-

adressaten (Senatssphäre). Sachlich und personell umfassend sei der „Umgang mit

den vertraulichen Unterlagen“ schlechthin und das etwaige Fehlverhalten auf beiden

Seiten zu prüfen. Bereits der Begriff „Weitergabe“ setze einen Vorgang voraus, an

dem zwingend zwei Personen beteiligt seien und der einen bestimmten Gegenstand

betreffe. - Mit dem in der Antragsbegründung genannten „Verstoß“ gegen die Be-

stimmungen des UAG sei der Verstoß gegen die Vorschrift des § 13 Abs. 3 UAG

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gemeint, die den Verteilerkreis für die PUA-Protokolle begrenze. Die Weitergabe sei

nur mit einem solchen Verstoß denkbar. Dieser könne nur auf Seiten der Bürger-

schaft begangen worden sein.

Der Erweiterungsbeschluss betreffe ebenso die „Weitergabe von vertraulichen Do-

kumenten“ durch die Weitergabesubjekte aus dem Bürgerschaftsbereich. Es handele

sich gleichermaßen um einen Ausschnitt des übergreifenden Untersuchungsgegen-

stands „Umgang mit den vertraulichen Unterlagen“. Der Unterschied bestehe ledig-

lich im Hinblick auf die Weitergabeadressaten (zusätzlich „an Dritte“ bzw. „Presse“

statt nur „an den Senat“). Während der Minderheits-Untersuchungsgegenstand „Um-

gang mit den vertraulichen Unterlagen“ des PUA Feuerbergstraße gleichermaßen

das Verhalten von Bürgerschaft und Senat umfasse, betreffe der Erweiterungsbe-

schluss nur den Teilaspekt der Weitergabe aus der Bürgerschaft. Bei Identität der

beiden prägenden Elemente Weitergabesubjekt und -objekt und bei dem unverän-

derten bisherigen Weitergabeadressaten Senat betreffe die Hinzufügung eines addi-

tionalen Adressaten in Gestalt des Dritten lediglich die Peripherie. Die weitgehend

wortgleiche Antragsbegründung beziehe sich auf denselben Verstoß gegen § 13

Abs. 3 UAG zur Kennzeichnung des Aufklärungsziels. Für diesen Verstoß bestehe

kein Unterschied zwischen Senat und Dritten als Weitergabeadressaten; der Verstoß

sei nur im identischen Kreis der Weitergabesubjekte aus dem Bürgerschaftsbereich

möglich.

Schon nach dem Einsetzungsbeschluss handele es sich sowohl um eine Kollegial-

enquete betreffend das Parlament als auch um eine Kontrollenquete gegen die Exe-

kutive. Abgesehen davon, dass es verfassungsrechtlich hier nicht auf diese Unter-

scheidung ankomme, ändere sich diese beiderseitige Blickrichtung durch den Erwei-

terungsbeschluss nicht.

Nach dem Erweiterungsbeschluss sei auch „keine wesentliche Verzögerung des Ver-

fahrens“ i.S.v. § 3 Abs. 2 Satz 2 UAG „zu erwarten“. Während gewisse Verzögerun-

gen für Zusatzfragen hinzunehmen seien, komme es für die Wesentlichkeit einer

Verzögerung nicht allein auf die absolute Dauer an, sondern sei diese im Verhältnis

zur verbleibenden Dauer der Legislaturperiode abzuwägen. Ob eine wesentliche

Verzögerung „nicht zu erwarten sei“, könne nur mittels einer Prognose beurteilt wer-

den. Danach komme es auf eine gewisse Wahrscheinlichkeit nach dem gewöhnli-

chen Verlauf der Dinge und nicht auf nur entfernte Möglichkeiten unter ganz außer-

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gewöhnlichen Umständen an. Anders sei das verfassungsrechtliche Mitbestim-

mungsrecht der Parlamentsmehrheit nicht zu gewährleisten.

Angesichts der noch vergleichsweise langen Dauer der restlichen Legislaturperiode

bis in das 1. Quartal 2008 könne eine Verzögerung nur wesentlich sein, wenn ein

Mehraufwand von mehreren Monaten zu erwarten sei. Gegen eine solche wesentli-

che Verzögerung spreche die Identität der auf Seiten der Bürgerschaft und des Se-

nats in Betracht kommenden Zeugen für eine Weitergabe. Das gelte auch für die

Herausgabe der erwähnten Pressemitteilung aus der GAL-Fraktion. Im Hinblick auf

Protokollzitate in der Presse sei der zusätzliche Personenkreis individualisierbar und

überschaubar. Die PUA-Mehrheitsfraktion beabsichtige im Rahmen der Erweiterung

lediglich die nochmalige Vernehmung von 2 der 42 ursprünglichen Zeugen (darunter

der in der Presse erwähnte Antragsteller zu 5) und zusätzlich die Vernehmung von

drei Oppositionsabgeordneten aus dem PUA Feuerbergstraße (in der Presse er-

wähnte Antragsteller zu 13, 20 und 43). Jedoch sei, wie bereits in der Pressemittei-

lung vom 30. Mai 2005 ausgeführt, keine Vernehmung von Journalisten vorgesehen.

Das jetzige Vorbringen der Antragsteller widerspreche ihrem Vortrag aus dem voran-

gegangenen Eilverfahren HVerfG 2/06, dass die möglichen zusätzlichen Zeugenver-

nehmungen allenfalls wenige Wochen beanspruchen würden. Auf die Spekulation

der Antragsteller, dass die Mehrheit die Ausschussarbeit aufgrund des Erweite-

rungsbeschlusses verschleppen könne, komme es mangels Wahrscheinlichkeitsge-

halts nicht an; im Übrigen könne die Minderheit in einem solchen Fall erneut das Ver-

fassungsgericht anrufen.

Anhaltspunkte für „Auswirkungen“ des Erweiterungsbeschlusses „für die Öffentlich-

keit des Verfahrens“ i.S.v. § 3 Abs. 2 Satz 2 UAG seien nicht ersichtlich.

Auf das Kriterium, ob die Erweiterung zur umfassenden und wirklichkeitsgetreuen

Sachverhaltsaufklärung notwendig sei, komme es nicht an. Dieses Kriterium sei vom

BVerfG im Fall fehlenden Gesetzesvorbehalts und fehlender spezialgesetzlicher Re-

gelung entwickelt worden. Nur vorsorglich werde ausgeführt, dass auch dieses Krite-

rium gegeben sei. Der - von den Antragstellern in ihrer Antragsschrift ausgeblendete

- Verstoß von Bürgerschaftsangehörigen gegen § 13 Abs. 3 UAG lasse sich nur um-

fassend und wirklichkeitsgetreu aufklären und bewerten, wenn auch die Protokollwei-

tergabe an Dritte einbezogen werde. Das gelte umso mehr, als die Weitergabe an

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die Presse mit deren anschließender Veröffentlichung die Effektivität der Untersu-

chung nicht minder beeinträchtigen könne als die Weitergabe an den Senat.

Ebenso wenig sei die vom BVerfG entwickelte Beweislastregel des „Offen-zu-Tage-

Liegens“ der Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Erweiterung hier maßgeblich.

Gleichwohl werde vorsorglich bemerkt, dass diese Einschränkung die Einhaltung der

funktionalen Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit gewährleisten solle, so dass

das Verfassungsgericht keine Nachforschungen in tatsächlicher Hinsicht anstellen

müsse. Im vorliegenden Fall sei mangels eines Zweifels eine Rechtsanwendung

nach § 3 Abs. 2 Satz 2 UAG wie dargestellt ohne weitere Sachverhaltsaufklärung

möglich.

Das Verfassungsgericht hat den PUA Weitergabe mit Beschluss vom 22. August

2006 beigeladen. Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

III.

Die Antragsteller haben mit derselben Antragsschrift vom 1. Juni 2006 einen unter

dem Az. HVerfG 2/06 eingetragenen Antrag auf einstweilige Anordnung dahin ge-

stellt, dass der PUA Weitergabe bis zur Entscheidung in der vorliegenden Hauptsa-

che nur den von der Einsetzungsminderheit bestimmten ursprünglichen Untersu-

chungsauftrag erfüllen darf, d.h. die Informationsweitergabe an den Senat und nicht

auch an Dritte. Jenes Eilverfahren ist nach diesbezüglicher Stillhaltezusage der An-

tragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung vom 3. Juli 2006 übereinstimmend für

erledigt erklärt worden. Der beigeladene PUA Weitergabe hat sich bei seiner zwi-

schenzeitlichen Untersuchungstätigkeit (oben I 10) auf den ursprünglichen Untersu-

chungsauftrag beschränkt.

Ergänzend wird Bezug genommen auf die Verhandlungsprotokolle vom 6. Oktober

2006 und HVerfG 2/06 vom 3. Juli 2006, auf den Beiladungsbeschluss vom 22. Au-

gust 2006 sowie auf die oben bezeichneten Vorgänge und die damit zusammenhän-

genden Unterlagen aus dem Eil- und dem vorliegenden Hauptsacheverfahren sowie

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ferner auf die allgemein veröffentlichten Bürgerschafts-Drucksachen und Plenarpro-

tokolle.

B. Entscheidungsgründe:

I.

Der Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Bürgerschaftsbeschlusses

über die Erweiterung des Untersuchungsauftrags für den PUA Weitergabe ist im ver-

fassungsgerichtlichen Organstreitverfahren zulässig (Art. 65 Abs. 3 Nr. 2 HV, § 14

Nr. 2, §§ 39a ff HVerfGG).

II.

Der Antrag ist jedoch unbegründet. Der Erweiterungsbeschluss verstößt nicht gegen

Art. 26 HV.

1. Art. 26 Abs. 1 HV gewährt der Bürgerschafts-Minderheit von einem Viertel der

Abgeordneten das Recht auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses und auf

Erhebung beantragter Beweise; die Beweise werden in öffentlicher Verhandlung er-

hoben, soweit der Ausschuss nichts anderes beschließt. Gemäß Art. 26 Abs. 3 HV

bestimmen das Gesetz und die Geschäftsordnung der Bürgerschaft das Nähere über

die Einsetzung, die Befugnisse und das Verfahren von Untersuchungsausschüssen.

Insbesondere bei einer Missstands-Enquete dient das Untersuchungsausschuss-

Minderheitsrecht der Opposition als wesentliches Instrument zur Kontrolle der Regie-

rung im Spannungsverhältnis gegenüber der sie tragenden Parlamentsmehrheit (vgl.

Verfassungsgerichtshof --VerfGH-- Nordrhein-Westfalen vom 17. Oktober 2000

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16/98, OVGE 48, 280, Die öffentliche Verwaltung --DÖV-- 2001, 207 f zu C 2 a; vom

7. März 1995 3/95, DÖV 1995, 728 f; zu PUA-Typen vgl. Wiefelspütz, Das Untersu-

chungsausschussgesetz, 2003 S. 46 ff; insges. David, Verfassung der Freien und

Hansestadt Hamburg, Kommentar, 2. A., Art. 26 Rd. 1-2).

Die Verfassungsvorschrift ist danach sowohl auf Schutz der qualifizierten Minderheit

als auch auf Ausgleich gegenüber der fortwirkenden Mehrheitsregel und Gesamtver-

antwortung des Parlaments angelegt (vgl. BVerfG vom 8. April 2002 2 BvE 2/01,

BVerfGE 105, 197, 222 ff zu C 1; vom 22. Dezember 1992 2 BvQ 14/91 u. a., BVerf-

GE 88, 63, 68 ff zu B II 1; Hermes, Das Minderheitsrecht auf eine parlamentarische

Untersuchung, in: Däubler-Gmelin/Kinkel/Meyer/Simon (Hrsg.), Festschrift für E. G.

Mahrenholz, Baden-Baden 1994, S. 349, 356 f).

2. Mit dem Recht auf Einsetzung eines PUA allein ist das Kontrollrecht noch

nicht gewährleistet. Seine ungehinderte Ausübung setzt weitere Sicherungen voraus.

So muss es vor allem der Minderheit überlassen bleiben, den Gegenstand der von

ihr beantragten Untersuchung festzulegen. Dieser Regelungsgehalt des Einset-

zungsrechts setzt sich bei der Durchführung der Untersuchung fort. Dies kommt auch

in dem Beweiserhebungsrecht der Minderheit gemäß der Verfassungsbestimmung

des Art. 26 Abs. 1 Satz 3 HV zum Ausdruck (vgl. BVerfG vom 8. April 2002 2 BvE

2/01, BVerfGE 105, 197, 223 zu C I 1 a; Bayerischer VerfGH vom 19. Juli 1982 Vf.

84-IV-82, Bay. VerfGHE 35, 82, 88 f zu IV 5; vom 29. Juli 1981 Vf. 92-IV-80, Bay.

VerfGHE 34, 119, 123 f zu B 1 zu Art. 25 Abs. 1 Satz 3 HV a.F.; David, Verfassung

der Freien und Hansestadt Hamburg, Kommentar, 2. A., Art. 26 Rd. 43 m.w.N.).

3. Unter Einbeziehung der obigen Vorgaben entnimmt das Verfassungsgericht

dem Art. 26 HV die beiden Kriterien, dass der in einem Minderheitsantrag festgelegte

Untersuchungsauftrag gegen den Willen der Antragsteller nur dann erweitert werden

kann, wenn dadurch der Kern des Untersuchungsgegenstands nicht berührt wird und

wenn eine wesentliche Verzögerung nicht zu erwarten ist. Da es für die vorliegende

Entscheidung nicht darauf ankommt, kann offen bleiben, ob bereits aus der Verfas-

sung auch die dritte in § 3 Abs. 2 Satz 2 UAG genannte Voraussetzung zu entneh-

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men ist, dass wesentliche Auswirkungen für die Öffentlichkeit des Verfahrens nicht

zu erwarten sind.

Die vorstehende Auslegung, die der hamburgische Gesetzgeber auch der Fassung

des § 3 Abs. 2 Satz 2 UAG zugrunde gelegt hat, rechtfertigen insbesondere folgende

Erwägungen:

a) Die Voraussetzungen, dass erstens der Kern des Untersuchungsgegenstands

nicht berührt wird und dass zweitens eine wesentliche Verzögerung nicht zu erwarten

ist, entsprechen den Empfehlungen der Konferenz der Präsidenten der Länderpar-

lamente vom 4. Mai 1961 (dort zu II 5 Satz 1 Buchst. a und b, Zeitschrift für Parla-

mentsfragen --ZParl-- 1972, 433 f) und den anschließend von der Interparlamentari-

schen Arbeitsgemeinschaft (IPA) aus Bund und Ländern am 12. November 1968

verabschiedeten IPA-Regeln und dem entsprechenden Entwurf eines UAG vom 14.

Mai 1969 (§ 2 Abs. 4 Satz 2 Bstb. a und b, Bundestags-Drs. --BT-Drs.-- V/4209) so-

wie dem Mustergesetzentwurf der Präsidenten der Länderparlamente von 1972 (§ 3

Abs. 2, ZParl 1972, 427; vgl. Wiefelspütz, Das Untersuchungsausschussgesetz,

2003, S. 90 ff, 94 ff, 100 ff).

Die beiden Kriterien des nicht berührten Kerns und der nicht zu erwartenden wesent-

lichen Verzögerung wurden in den meisten anderen Bundesländern übernommen,

sei es durch entsprechende Normierung in der Verfassung (Niedersachsen) oder sei

es im jeweiligen UAG (Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Rheinland-Pfalz, Saar-

land, Sachsen-Anhalt, Thüringen), ferner durch auf die IPA-Regeln verweisende Ein-

setzungs-Handhabung (Hessen).

b) Es stimmt auch mit der Verfassungsentwicklung in Hamburg überein, wenn für

die Interpretation des Art. 26 HV auf die beiden eingangs genannten Kriterien abge-

stellt wird, die in § 3 Abs. 2 Satz 2 UAG ihren Niederschlag gefunden haben.

Schon seit Jahrzehnten wurden Ergänzungen in Abgrenzung zu verzögernden Er-

weiterungen als zulässig angesehen (Drexelius/Weber, Die Verfassung der Freien

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und Hansestadt Hamburg vom 6. Juni 1952, Kommentar, 2. A., 1972, Art. 25 a.F.

Anm. 4; vgl. David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, Kommentar, 1.

A. 1988, Art. 25 a.F. Rd. 44 m.w.N. mit Bsp. u. Kritik ggü. Erweiterung m.w.N.; Thie-

me, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, Kommentar, 1998, Art. 25 a.F.

Anm. 2 Fragenänderung und Konkretisierung ohne Gegenstandsänderung).

Sowohl die heutige Fassung von Art. 26 HV als auch die Regelung des Näheren

durch § 3 Abs. 2 des UAG beruhen auf der Verfassungsreform vom 29. Juni 1996

(HmbGVBl. 1996, 129 ff; nebst Umnummerierung vom 26. Mai 2001; HmbGVBl.

2001, 105 ff) nach vorangegangener Tätigkeit der Enquete-Kommission „Parlaments-

reform“ (vgl. David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, Kommentar, 2.

A., Art. 26 Rd. 3, 43 f m.w.N.; Hoog, Hamburgs Verfassung, Kommentar, 2004, S.

317, 319 f). Die Enquete-Kommission schlug in ihrem Bericht vom 20. Oktober 1992

vor, das PUA-Verfahren gesetzlich zu regeln. Sie schloss die Erörterung des Für und

Wider einer Erweiterung des Untersuchungsauftrags ab mit der Zusammenfassung,

dass der Kern des beantragten Untersuchungsgegenstands nicht angetastet werden

dürfe und dass die Erweiterung gegen den Willen der antragsberechtigten Minderheit

nicht zu einer erheblichen Verzögerung der Untersuchung führen dürfe (Bü-Drs.

14/2600 S. 119 f). Dieser Beurteilung ist die Bürgerschaft in dem UAG gefolgt, das

am 21. August 1997 bei nur einer Gegenstimme beschlossen wurde (ausgefertigt am

27. August 1997, HmbGVBl. 1997, 427; Entwurf der Abg. R. Kruse, Prof. Dr. Karpen

und Fraktion vom 9. April 1997, Bü-Drs. 15/7251; Plenarprotokoll 15/102 vom 21.

August 1997, S. 5270 A-B; Protokolle des Verfassungsausschusses vom 27. Mai, 3.

und 17. Juni 1997; Bericht des Verfassungsausschusses vom 27. Juni 1997, Bü-Drs.

15/7700).

c) Dass dem Art. 26 HV die Kriterien nicht berührter Kern und nicht zu erwarten-

de wesentliche Verzögerung entnommen werden, deckt sich auch mit der entspre-

chenden Verfassungsauslegung gemäß den IPA-Regeln in den oben zu a genannten

anderen Bundesländern.

Soweit nicht anders normiert, besteht - wie der Bayerische VerfGH zusammenge-

fasst hat - im deutschen Verfassungsrecht und in der parlamentarischen Praxis weit-

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gehend Übereinstimmung dahin, dass der in einem Minderheitsantrag bezeichnete

Untersuchungsauftrag nur dann erweitert oder ergänzt werden darf, wenn der Kern

des ursprünglichen Untersuchungsgegenstandes gewahrt bleibt und dadurch keine

wesentliche Verzögerung eintritt (Bayerischer VerfGH vom 29. Juli 1981 Vf. 92-IV-80,

Bay. VerfGHE 34, 119, 123 zu V B 1; h.M. nach Hempfer, ZParl 1979, 295, 298

m.w.N.; vgl. Friedrich, Der parlamentarische Untersuchungsausschuss, Diss. Mann-

heim 1990, S. 80 f).

d) Nach allem unterscheidet sich die Rechtslage in Hamburg gemäß Art. 26 HV

unter Abstellen auf die Kriterien des § 3 Abs. 2 UAG von den Regelungen, nach de-

nen der Untersuchungsgegenstand oder -auftrag nur mit Zustimmung der Einset-

zungs-Antragsteller geändert werden darf - Bepackungsverbot - (Bund, Baden-

Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen) und Aus-

nahmen streitig sind (ablehnend: Hempfer, ZParl 1979, 294, 300; Klein in

Maunz/Dürig, Grundgesetz, Loseblatt-Kommentar, 2006, Art. 44 Rd. 80; Kretschmer

in Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 10. A., 2004, Art. 44 Rd.

15; zulassend: VerfGH Nordrhein-Westfalen vom 17. Oktober 2000 16/98, OVGE 48,

280, 285 zu C 2 b; Staatsgerichtshof --StGH-- Baden-Württemberg vom 16. April

1977 2/76, ESVGH 27, 1, 7 f, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1977, 1872,

1873; Pieroth in Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland,

Kommentar, 8. A., 2006, Art. 44 Rd. 6; ferner Morlok in Dreier, Grundgesetz, Kom-

mentar, 2. A., 2004, Art. 44 Rd. 37).

e) Ebenso unterscheidet sich die hiesige Rechtssituation und Verfassungsausle-

gung von den in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung behandelten Fällen

der gänzlich fehlenden Ausnahmeregelung (vgl. grundlegend StGH für das Deutsche

Reich --RStGH-- vom 18. Juni 1927, RGZ 116 Anhang, 45, 53 f; Oberverwaltungsge-

richt --OVG-- Lüneburg vom 26. April 1954 II OVG C 1/53, OVGE 7, 489, 497 ff).

Das Bundesverfassungsgericht hat dazu u. a. ausgeführt, dass Zusatzfragen der

Mehrheit gegen den Willen der Einsetzungsminderheit - selbst bei Verzögerung der

Ausschussarbeit - zulässig seien, wenn sie nötig seien, um (anstelle eines eingeeng-

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ten Blickwinkels und einer dadurch verzerrten Darstellung) ein umfassenderes und

wirklichkeitsgetreueres Bild eines untersuchten Missstands zu vermitteln. Die Zusatz-

fragen müssten jedoch denselben Untersuchungsgegenstand betreffen und diesen

im Kern unverändert lassen. Diese Voraussetzungen müssten offen zu Tage liegen

(BVerfG vom 2. August 1978 2 BvK 1/77, BVerfGE 49, 70, 86-88 zu C III 2 und 3).

Das vom BVerfG angeführte Kriterium der „nötigen Vermittlung eines umfassenderen

und wirklichkeitsgetreueren Bildes“ ist auf Kritik gestoßen (unscharf, streitanfällig,

Hempfer, ZParl 1979, 295, 299; Plagemann, Juristische Arbeitsblätter --JA-- 1979,

216 f; Schneider, Sitzungsbericht 57. Deutscher Juristentag --DJT-- 1988, M 54, 74;

Wiefelspütz, Das Untersuchungsausschussgesetz, 2003, S. 185 m.w.N.); es ist bis

heute in keiner Norm übernommen worden. Im Übrigen wird das vom BVerfG ange-

führte Kriterium des wirklichkeitsgetreueren Bildes auch dahin verstanden, dass es -

im Sinne der in jenem Urteil nachfolgenden Einschränkung - konkret bedeutet, dass

die Ergänzungsfragen zumindest denselben Untersuchungsgegenstand betreffen

und diesen im Kern unverändert lassen müssen (Damkowski (Hrsg.), Der parlamen-

tarische Untersuchungsausschuss, 1987, S. 28).

4. Das danach gemäß Art. 26 Abs. 1 HV zu prüfende erste Kriterium, dass der

Kern des Untersuchungsgegenstands nicht berührt wird, ist im Fall des vorliegenden

Erweiterungsbeschlusses erfüllt. Die beantragte Erweiterung des Untersuchungsauf-

trags lässt den Kern des von der Einsetzungsminderheit bestimmten Untersu-

chungsgegenstands unberührt. Dabei sind im Streitfall unter dem Begriff Kern mit

Rücksicht auf die unterschiedlichen Blickwinkel zwei Teile zu verstehen, einfacher

ausgedrückt zwei Kerne.

a) aa) Für die Bestimmung des Untersuchungskerns ist auszugehen von der Be-

zeichnung des Untersuchungsgegenstands im Einsetzungsbeschluss (§ 2 Abs. 1

UAG) und ergänzend von dem im Einsetzungsantrag und -beschluss hinreichend

bestimmt festzulegenden Untersuchungsauftrag (§ 3 Abs. 1 UAG). Die Bestimmung

des Kerns setzt dementsprechend diese Bestimmtheit des Einsetzungs-

Untersuchungsgegenstands voraus (vgl. Bayerischer VerfGH vom 27. Juni 1977 Vf.

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31-IV-77, Bay. VerfGHE 30, 48, 59 f zu VI A 2 a; StGH Baden-Württemberg vom 16.

April 1977 2/76, ESVGH 27, 1, 9, NJW 1977, 1872, 1873; Hilf, Neue Zeitschrift für

Verwaltungsrecht --NVwZ-- 1987, 537, 539 m.w.N.; Seidel, Bayerische Verwaltungs-

blätter --BayVBl-- 2002, 97, 102).

bb) Eine Rundum-Aufklärung eines Vorgangs ohne Benennung natürlicher Perso-

nen ist denkbar bei Eingrenzung auf einen körperschaftlichen Bereich bzw. auf juris-

tische Personen (vgl. Verfassungsgericht --VerfG-- Brandenburg vom 16. Oktober

2003 95/02, Landes- und Kommunalverwaltung --LKV-- 2004, 177 zu B II 1 b) oder

auf eine bestimmte Legislaturperiode oder Regierung. Auf terminologische Unter-

scheidungen zwischen administrativen, legislativen oder anderen Enquete-Typen

kommt es nicht an; verschiedene Missstands- oder Sachstandsaspekte können mit-

einander verbunden werden (vgl. StGH Baden-Württemberg vom 13. August 1991

1/91, ESVGH 42, 7, NVwZ-Rechtsprechungsreport --NVwZ-RR-- 1992, 593, 595 ff;

Bayerischer VerfGH vom 27. November 1985 Vf. 67-IV-85, Bay. VerfGHE 38, 165,

175 zu V A 1; Hilf, NVwZ 1987, 537, 538; zur Kontroll-, Kollegial- und Missstandsen-

quete Wiefelspütz, Das Untersuchungsausschussgesetz, 2003, S. 46 ff).

cc) Aus dem Einsetzungsantrag und -beschluss kann sich ergeben, dass der Un-

tersuchungsgegenstand zwei Kerne hat bzw. aus zwei untersuchungsfähigen Teilen

besteht, die für die anschließende Beurteilung von Erweiterungen nicht im Verhältnis

zueinander gewichtet werden müssen, sondern trotz unterschiedlichen Gewichts ne-

beneinander auch einzeln für die Anknüpfung einer Erweiterung in Betracht kommen

(vgl. OVG Lüneburg vom 26. April 1954 II OVG C 1/53, OVGE 7, 489, 490 f, 498 ff).

Bei diesen Kernen oder Teilen kann es sich um die bei der Einsetzung verbundenen

Missstands- oder Sachstandsaspekte handeln, so bei einer Kontrollenquete mit Blick

auf die Exekutive verbunden mit einer Kollegial- oder legislativen Enquete mit Blick

auf das Parlament (vgl. Rspr. oben bb m.w.N.).

b) aa) Eine Erweiterung des Untersuchungsauftrags berührt den Kern des Untersu-

chungsgegenstands, wenn sich dadurch das Untersuchungsthema sachlich ver-

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schiebt (vgl. Niedersächsischer StGH vom 16. Januar 1986 1/85, Nds. StGHE 3, 1,

DÖV 1986, 336 zu B II 1 m.w.N.; BVerfG vom 2. August 1978 2 BvK 1/77, BVerfGE

49, 70, 88 f zu C IV) oder wenn das Untersuchungsziel gar in sein Gegenteil verkehrt

wird (vgl. Bayerischer VerfGH vom 27. Juni 1977 Vf. 31-IV-77, Bay. VerfGHE 30, 48,

49). Die Erweiterung darf nicht die Richtung der Untersuchung umbiegen auf Vor-

gänge aus anderen Zeiträumen oder unter anderer Verantwortung (vgl. Pofalla, DÖV

2004, 335, 340), insbesondere auf ähnliche Missstände in früheren Legislaturperio-

den unter der Regierungsverantwortung der jetzigen Oppositionsminderheit (unzu-

lässiger Gegenangriff, vgl. OVG Lüneburg vom 26. April 1954 II OVG C 1/53, OVGE

7, 489, 503 ff; RStGH vom 18. Juni 1927, RGZ 116 Anhang, 45, 54 ff).

bb) Nicht berührt wird der Kern dagegen durch eine Erweiterung im Bereich des-

selben untersuchten Missstands unter derselben Organverantwortung in derselben

Legislaturperiode, auch wenn die Erweiterung sich nur auf einen von zwei untersuch-

ten Missständen oder Kernen bzw. Teilen des Untersuchungsgegenstands bezieht.

Der betreffende Kern wird nicht berührt, wenn untersucht wird, ob oder warum bei

demselben Untersuchungskomplex desselben Zeitraums über die von der Einset-

zungsminderheit getroffene Auswahl hinaus noch weitere Fragen oder Personen in

die Untersuchung einbezogen werden (zulässige Verteidigung, vgl. OVG Lüneburg

vom 26. April 1954 II OVG C 1/53, OVGE 7, 489, 503; Lüdemann, JA 1979, 959,

965; ferner StGH Baden-Württemberg vom 13. August 1991 1/91, ESVGH 42, 7,

NVwZ-RR 1992, 593, 595 ff). Dabei ist die Erweiterung des Untersuchungsauftrags

ebenso wie bei der Einsetzung konkret zu bestimmen (oben a aa; vgl. StGH Baden-

Württemberg vom 16. April 1977 2/76, ESVGH 27, 1, 10 ff).

c) Nach den vorstehenden Vorgaben ergibt sich Folgendes: Gemäß dem vorlie-

genden Einsetzungsantrag und -beschluss (Bü-Drs. 18/3989, oben A I 3) ist im PUA

Weitergabe die „Weitergabe von vertraulichen Dokumenten“ des PUA Feuerberg-

straße zu untersuchen bzw. der „Umgang mit den vertraulichen Unterlagen“ aufzu-

klären. Als „vertrauliche Dokumente“ werden insbesondere die Sitzungsprotokolle

des PUA Feuerbergstraße genannt. Dieser Untersuchungsgegenstand und -auftrag

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richtet den Blick in zwei Richtungen; er enthält damit, ohne dass es auf eine Gleich-

gewichtigkeit ankommt (oben a cc), zwei Teile oder Kerne:

aa) Chronologisch begonnen mit der Herkunft der weitergegebenen Unterlagen

geht es in der Einsetzungs-Drucksache zum einen darum, dass diese Dokumente

unter Verstoß gegen Bestimmungen des UAG (Antragsbegründung) aus dem bür-

gerschaftlichen Bereich der „PUA-Mitarbeiter, Abgeordnete, Abgeordneten- oder

Fraktionsmitarbeiter ...“ hinausgelangt sind (Einsetzungsbeschluss). Dies wird „im

Zusammenhang mit der Aufklärung des Umgangs mit den vertraulichen Unterlagen“

durch die den Untersuchungsauftrag „insbesondere“ kennzeichnenden Fragen ver-

deutlicht: a) „...von wem und auf welchem Wege ...?“ c) Wurde hierbei auf Seiten ...

der Bürgerschaft gegen Rechtsvorschriften oder Dienstanweisungen verstoßen? d)

Welche Vorkehrungen sollten getroffen werden, um die Vertraulichkeit von PUA-

Dokumenten in Zukunft besser zu schützen?“

Wie insbesondere nach dem Wortlaut der Fragen c und d offen zu Tage liegt, betrifft

dieser eine Teil oder Kern der Untersuchung den Umgang mit den Unterlagen des

PUA Feuerbergstraße im legislativen oder kollegialen Bereich der Bürgerschaft mit

der Weitergabe von dort heraus unter Verstoß gegen das UAG.

bb) Im Sachverhalt chronologisch anschließend geht es zum anderen darum, dass

die Unterlagen oder Sitzungsprotokolle „an den Senat weitergegeben“ (Überschrift)

oder „... in den Bereich des Senats gelangt sind. Nach ... Verlautbarungen ... hat die

Senatskanzlei - auch vor dem Hintergrund entsprechender Anforderungen ... - die

Vernehmungsprotokolle ... erhalten und an beteiligte Behörden ... weitergeleitet. Um

die Aufklärung ... nicht zu gefährden, dürfen insbesondere potentielle Zeugen, d. h.

also Behördenleitung und -mitarbeiter ... prinzipiell keinen Zugang zu Protokollen und

anderen Unterlagen eines Untersuchungsausschusses erhalten. ...“ (Antragsbegrün-

dung). Der PUA Weitergabe hat „die Weitergabe ... an den Senat (einschließlich Be-

hörden ...) und den weiteren Umgang hiermit im Senat und in den Fachbehörden ...

zu überprüfen. Dies schließt Aktivitäten des Senats ... im Zusammenhang mit der

Aufklärung des Umgangs mit den vertraulichen Unterlagen ein“ (Einsetzungsbe-

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schluss). Kennzeichnend sind die „insbesondere“ zu klärenden Fragen: „a) Wer hat

... mit welchem Ziel auf Seiten des Senats ... angefordert oder erlangt oder weiterge-

geben? b) Wer hat auf Seiten des Senats was ... unternommen und zu welchem

Zweck? c) Wurde hierbei auf Seiten des Senats ... gegen ... Dienstanweisungen ver-

stoßen?“

Dieser andere Teil oder Kern der Untersuchung betrifft den Umgang mit Informatio-

nen aus denselben Unterlagen oder Protokollen des PUA Feuerbergstraße in dem

vom Parlament zu kontrollierenden administrativen Bereich des Senats und der Be-

hörden. Dazu gehören auch Anforderung, mittelbare oder weitere Weitergabe nach

Erhalt sowie eventuelle Kenntnisnahme oder Nutzung zur Vorbereitung durch poten-

tielle Zeugen des PUA Feuerbergstraße.

d) Ausgehend von diesen beiden Kernen oder Teilen des von der Einsetzungs-

minderheit bestimmten Untersuchungsgegenstands und -auftrags im Streitfall berührt

der Erweiterungsbeschluss nicht den Kern. Für die Erweiterung ist es nicht erforder-

lich, dass sie sich auf beide bisherigen Teile (einschließlich des Umgangs im Senat)

bezieht, sondern genügt es, dass der Kern der Erweiterung identisch ist mit einem

Kern des Einsetzungsbeschlusses (oben a cc; hier Umgang in der Bürgerschaft).

Der mit dem Einsetzungsantrag und -beschluss in verschiedenen Teilen wortgleiche

Erweiterungsantrag und -beschluss unterscheidet sich nach der „Weitergabe an den

Senat“ durch den Zusatz „und an Dritte“ (Überschrift und Einsetzungsbeschluss).

„Des Weiteren gelangten offenbar vertrauliche Dokumente des PUA an Dritte. So

wurde in der Presse wiederholt aus Akten und Vermerken des PUA zitiert; eine Pres-

semitteilung der GAL enthielt sogar wörtliche Zitate aus den Akten des PUA“ (An-

tragsbegründung). „Insbesondere“ ist die Frage zu klären: „Welche PUA-Mitarbeiter

..., Abgeordneten, Abgeordneten- oder Fraktionsmitarbeiter ... haben i) an wen und

auf welchem Wege ii) auf wessen Veranlassung und iii) mit welchem Ziel vertrauliche

Unterlagen ... an Dritte weitergeleitet?“

Diese Erweiterung betrifft ebenfalls den Umgang mit den Unterlagen des PUA Feu-

erbergstraße in dessen und der Bürgerschaft Verantwortungsbereich - mit der Frage

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der Weitergabe unter Verstoß gegen das UAG. Es handelt sich nicht um eine sachli-

che Verschiebung oder einen unzulässigen Gegenangriff (oben b aa), sondern um

eine zulässige Verteidigung durch Einbeziehung weiterer Fragen oder Personen bei

demselben Untersuchungskomplex desselben Zeitraums unter derselben Organver-

antwortung (oben b bb).

Insbesondere hat der Erweiterungsbeschluss im Unterschied zum Einsetzungsbe-

schluss neben der Weitergabe aus der Bürgerschaft keinen zweiten Kern. Die Erwei-

terung des Untersuchungsauftrags erstreckt sich nicht auf den Umgang mit den Un-

terlagen auf Seiten „Dritter“ bzw. der damit angesprochenen „Presse“. Nach deren

Umgang mit den Unterlagen ist nicht gefragt.

Somit wird der bisherige Kern des Untersuchungsgegenstands nicht berührt, weil der

Kern der Erweiterung mit einem der beiden von der Einsetzungsminderheit bestimm-

ten Kerne oder Teile identisch ist. Dieses Ergebnis widerspricht nicht dem vom Bun-

desverfassungsgericht angeführten Kriterium der Vermittlung eines umfassenderen

und wirklichkeitsgetreueren Bilds (oben 3 d, f). Durch die Erweiterung wird die um-

fassendere Aufklärung sichergestellt. Die Erfüllung des Kriteriums des unberührten

identischen Kerns liegt nach dem Beschlusswortlaut des ursprünglichen Untersu-

chungsauftrags offen zu Tage; dies ergibt sich insbesondere aus den dortigen Fra-

gen nach Verstößen auf Seiten der Bürgerschaft gegen Rechtsvorschriften und nach

Vorkehrungen zum besseren Schutz der Vertraulichkeit von PUA-Dokumenten (Fra-

ge c zweite Alternative und Frage d, oben c aa und A I 3).

e) Das Ergebnis, dass der Kern nicht berührt wird, wird zusätzlich gestützt durch

die Möglichkeit, dass vertrauliche Informationen oder Protokollinhalte durch Dritte

(z.B. Journalisten) zur Kenntnis des Senats gelangt sein können. Insoweit kann dem

PUA Feuerbergstraße auch dadurch eine Kontrollmöglichkeit erschwert oder aus der

Hand genommen worden sein.

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5. Ebenfalls ist die zweite Voraussetzung des Art. 26 Abs. 1 HV in der gefunde-

nen Auslegung erfüllt, dass nämlich durch die Erweiterung eine wesentliche Verzö-

gerung des Verfahrens nicht zu erwarten ist.

a) Die Wesentlichkeit der mit der Erweiterung verbundenen Verzögerung ist im

Spannungsverhältnis und unter Abwägung der unterschiedlichen Interessen von Ein-

setzungsminderheit und Mehrheit zu beurteilen. Eine zeitlich begrenzte Behinderung

der Kontrollfunktion der oppositionellen Minderheit ist hinnehmbar (vgl. insoweit

BVerfG vom 10. Oktober 2002 2 BvK 1/01, BVerfGE 106, 51, 62), und zwar im Inte-

resse der umfassenderen Aufklärung desselben Untersuchungsgegenstands (oben 4

d; vgl. insoweit BVerfG vom 2. August 1978 2 BvK 1/77, BVerfGE 49, 70, 87 f zu C III

3).

Neben der für die Abarbeitung des Minderheits-Untersuchungsauftrags einerseits

und für die Erweiterung andererseits veranschlagten Zeit ist insbesondere das Ver-

hältnis zur Restdauer der Legislaturperiode zu berücksichtigen, damit der Ausschuss

nicht der Diskontinuität zum Opfer fällt (vgl. BVerfG vom 8. Juli 1997 2 BvE 1/97,

BVerfGE 96, 223, 230; StGH Baden-Württemberg vom 16. April 1977 2/76, ESVGH

27, 1, 13). Der PUA soll auch nicht soweit unter Zeitdruck geraten, dass er seine

Aufgaben nicht mehr sachgerecht erfüllen kann (vgl. BVerfG vom 8. April 2002 2 BvE

2/01, BVerfGE 105, 197, 234; VerfGH Nordrhein-Westfalen vom 7. März 1995 3/95,

DÖV 1995, 728 a.E.; Seidel, BayVBl 2002, 97, 104). Bei dieser Beurteilung hat das

Verfassungsgericht das zeitliche Dispositionsrecht des Parlaments als Staatsorgan

im Hinblick auf Tagungsende, Ferien oder Wahlkampf zu respektieren (vgl. Bayeri-

scher VerfGH vom 3. August 1994 Vf. 85-IVa-94, Bay. VerfGE 47, 178, 183; vom 19.

Juli 1982 Vf. 84 IV/82, Bay. VerfGE 35, 82, 89).

b) Ob eine wesentliche Verzögerung zu erwarten ist, lässt sich nur im Prognose-

wege schätzen. Diese nach Auslegung von Art. 26 HV unter Berücksichtigung von

§ 3 Abs. 2 Satz 2 UAG in Hamburg bestehende Prognosepflicht führt ungeachtet an-

derweitiger Verfassungs- und Gesetzeslage und früherer Verfassungsrechtspre-

chung (oben 3 d-e) dazu, dass hier die Gefahr einer wesentlichen Verzögerung im

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Schätzungswege zu beurteilen ist und dabei - zur Vermeidung einer Sinnentleerung -

nicht jede denkbare Verzögerung die Erweiterung hindert. Die einer Prognose natur-

gemäß innewohnende Unsicherheit bringt u.U. unerwartete spätere Abkürzungen

einerseits und Verzögerungen andererseits mit sich.

c) Die Prognose der Untersuchungsdauer ohne und mit Erweiterung kann nicht

allein anhand des rechnerischen Verhältnisses benannter oder denkbarer Beweismit-

tel beurteilt werden, sondern richtet sich in der Gesamtschau u. a.

- nach der Untersuchungstiefe (Umfang und Bedeutung des jeweiligen Vor-

gangs oder der Mitwirkung einer Person?),

- nach der Untersuchungsbreite (Wieviele Vorgänge und Personen aus welchen

Bereichen? vgl. StGH Baden-Württemberg vom 16. April 1977 2/76, ESVGH

27, 1, 10) sowie

- nach dem zu untersuchenden Zeitraum (Welche Legislaturperioden oder

Amtszeiten?).

d) Das Ausmaß der Vertiefung kann davon abhängen, inwieweit das Interesse

der Abgeordneten und der Öffentlichkeit fortbesteht, zunimmt oder abnimmt. Unter-

suchungsinteresse und Untersuchungsbedarf können sich möglicherweise verrin-

gern, soweit die zu untersuchenden Sachverhalte inzwischen anderweitig geklärt

oder gewürdigt worden sind, zum Beispiel durch Behandlung in Anfragen, im Plenum

oder in anderen Ausschüssen des Parlaments oder in justiziellen Verfahren.

e) Wenn während eines verfassungsgerichtlichen Streits über die Zulässigkeit

der Erweiterung vorläufig nur der Einsetzungs-Untersuchungsauftrag ausgeführt

wird, kann für die zeitliche Prognose der zwischenzeitliche Fortschritt der Untersu-

chung und der (evtl. alternativen) Ausschussplanungen berücksichtigt werden (vgl.

HVerfG vom 1. März 1995 HVerfG 2/95, LVerfGE 3, 191, 193).

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f) Ebenso wie einerseits das Interesse einer Ausschussmehrheit an Abkürzung

der Untersuchung in genügendem Abstand zu Neuwahlen ist andererseits auch das

Risiko einer missbräuchlichen Verzögerung bis hin zur Diskontinuität nicht von vorn-

herein auszuschließen (Bsp. Hermes, Das Minderheitsrecht auf eine parlamentari-

sche Untersuchung, in: Däubler-Gmelin/Kinkel/Meyer/Simon (Hrsg.), Festschrift für

E. G. Mahrenholz, Baden-Baden 1994, S. 349, 351 f; Wiefelspütz, Neue Justiz --NJ--

2002, 398, 399). Dies hindert jedoch nicht die gemäß Verfassungsauslegung in

Hamburg bestehende Pflicht zur Prognose (oben b), ob oder dass eine wesentliche

Verzögerung des Verfahrens nicht zu erwarten ist. Bei einem nur theoretischen Risi-

ko einer missbräuchlichen Verzögerungstaktik ist diese nicht zu erwarten.

Im Übrigen ist auch das Beweiserhebungsrecht der Minderheit im PUA verfassungs-

rechtlich gesichert (Art. 26 Abs. 1 Satz 3 HV; vgl. HVerfG vom 26. April 1988 HVerfG

1/88, Hamburgisches Justizverwaltungsblatt --HmbJVBl-- 1988, 106, 109 f). Die Op-

position braucht nicht tatenlos zuzusehen, wenn durch eine verfassungswidrige Ab-

lehnung ihrer Anträge oder durch Mehrheitsmissbrauch der Zweck der Untersuchung

in Gefahr gerät; dem Mehrheitsmissbrauch kann durch Anrufung des Verfassungsge-

richts begegnet werden.

g) Im Streitfall kommt das Verfassungsgericht unter Einbeziehung der vorge-

nannten Gesichtspunkte zu der Prognose, dass eine wesentliche Verzögerung durch

den Erweiterungsbeschluss nicht zu erwarten ist.

aa) Bei dieser Prognose geht das Verfassungsgericht zunächst vom zwischenzeit-

lichen Fortschritt der Untersuchung und Stand der Planung (oben e) des beigelade-

nen PUA Weitergabe aus. Danach sind von den zum bisherigen Untersuchungsauf-

trag benannten 42 Zeugen in den 4 Sitzungen seit der Sommerpause 9 gehört wor-

den und sind in 2006 noch 3-4 Sitzungen vorgesehen und für 2007 vorsorglich 20

Termine reserviert (oben A I 10).

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bb) Weiter geht das Verfassungsgericht nach dem letzten Vorbringen der An-

tragsgegnerin davon aus, dass die Mehrheitsfraktion im beigeladenen PUA für die

Erweiterung nur die Vernehmung von 3 zusätzlichen Zeugen sowie die nochmalige

Vernehmung von 2 bereits gehörten Zeugen aus dem Bereich der Bürgerschaft be-

absichtigt und nicht die Ladung von Dritten etwa aus dem Bereich der Medien (oben

A II). Dieser - insoweit nicht näher bestrittene - Vortrag wird gestützt durch die bereits

vom 30. Mai 2006 datierende Pressemitteilung des Obmanns der PUA-

Mehrheitsfraktion (oben A I 8). Es erscheint glaubhaft, dass wegen der Weitergabe

von Informationen an Dritte nach jetziger Planung im Wesentlichen nur die vier in der

Presse mit Zitaten erwähnten seinerzeitigen Oppositionsabgeordneten des PUA

Feuerbergstraße gehört werden sollen sowie eine Mitarbeiterin der Bürgerschafts-

kanzlei wegen eines Kontakts mit einem dieser drei Abgeordneten. Ebenso wie bei

den Planungen nach dem ursprünglichen Untersuchungsauftrag bestehen auch bei

der Erweiterung keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass über die von der einen

oder anderen Seite genannten Zeugen hinaus weitere gehört werden sollen, auch

keine weiteren Mitglieder oder Abgeordneten-Vertreter des PUA Feuerbergstraße

oder weitere Mitarbeiter der Bürgerschaftskanzlei, des Arbeitsstabs oder der Fraktio-

nen.

Dass der Umgang mit den Informationen durch die Medien nicht näher untersucht

werden soll, entspricht dem begrenzten Inhalt der Erweiterung (oben 4 d) und der

Offenkundigkeit der Medienveröffentlichungen. Selbst wenn Medienmitarbeiter

daneben zur Herkunft ihrer Informationen befragt werden sollten, könnten sie sich

auf das Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 21 Abs. 2 UAG i.V.m. § 53 Abs. 1 Nr. 5

Strafprozessordnung (StPO) berufen.

cc) Die auf dem bisherigen Untersuchungsfortschritt aufbauenden und vorstehend

gegenübergestellten Planungen für den bisherigen Untersuchungsauftrag sowie für

die Erweiterung lassen mit den in 2006 vorgesehenen und in 2007 reservierten Ter-

minen nach Einschätzung des Verfassungsgerichts noch genügend Raum für den

Abschluss der Untersuchung nebst Berichtsabfassung vor den Neuwahlen (oben A I

10).

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Dabei sind eventuelle Reserven durch Zusatztermine einschließlich Sommerpause

2007 noch ebenso wenig berücksichtigt wie die die größere zeitliche Flexibilität bei

der Vernehmung der für die Erweiterung benannten Zeugen aus dem eigenen Be-

reich des Parlaments, die möglicherweise sogar kurzfristig bei Ausfall anderer Zeu-

gen eingeschoben werden können.

Die Gegenüberstellung der Beweisaufnahme- und Zeitplanungen und der Restdauer

der Legislaturperiode spricht nach Einschätzung des Verfassungsgerichts dafür,

dass durch die Erweiterung keine wesentliche, sondern allenfalls eine unbedeutende

Verzögerung zu erwarten ist.

dd) Diese Prognose liegt offen zu Tage. Sie wird in der Gesamtschau bestätigt bei

Berücksichtigung der Untersuchungstiefe und -breite in inhaltlicher Hinsicht und mit

Blick auf den zu untersuchenden Zeitraum (oben c-d).

Der für die Erweiterung interessierende Teil oder Kern der Untersuchung betrifft den

Umgang mit den Unterlagen aus dem PUA Feuerbergstraße im Bereich der Bürger-

schaft, mit möglichen Verstößen gegen die Regelungen zum Protokoll-Verteilerkreis

in § 13 Abs. 3 UAG und zur Verschwiegenheitspflicht bei nicht öffentlichen Vorgän-

gen gemäß Art. 26 Abs. 6 HV, § 29 UAG (oben 4 c aa, d). Dabei handelt es sich um

Fragen zu Geschehensabläufen, die im Beweisfall für die in parlamentarischen An-

gelegenheiten sachkundigen PUA-Abgeordneten nachvollziehbar sind und insge-

samt überschaubar bleiben. Das gilt - für den insoweit allein zu untersuchenden Be-

reich der Bürgerschaft - unabhängig von der Erweiterung des Weitergabe-

Sachverhalts auf Dritte. Danach erscheint die bisherige Beweisaufnahmeplanung

(oben aa - cc) durchführbar. Vom zu untersuchenden Lebenssachverhalt her geht es

um die Protokolle und Unterlagen sowie Personen aus demselben PUA und um iden-

tische Mitarbeiter aus dem Bürgerschaftsbereich. Weder handelt es sich um eine Er-

weiterung auf andere Ausschüsse oder Gremien noch um eine Erweiterung des zu

untersuchenden Zeitraums.

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ee) An diesem Gesamtschau-Ergebnis ändert sich nichts durch mögliche Interes-

sen der Mehrheit an einer Abkürzung oder Verzögerung der Untersuchung (oben f).

Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine wesentliche Verzögerung zu erwarten ist,

sind weder vorgetragen noch aufgrund des zwischenzeitlichen Verlaufs (oben e, g

aa; A I 10) ersichtlich.

ff) Nach dem vorstehenden Gesamtschauergebnis, dass keine wesentliche Ver-

zögerung zu erwarten ist, kann dahinstehen, ob sich bei der weiteren Untersuchung

Abkürzungen dadurch ergeben können (oben d), dass zahlreiche Fragen (des ge-

samten Untersuchungsauftrags) bereits in mindestens 33 kleinen Anfragen aufgelis-

tet und öffentlich beantwortet worden sind, und zwar einschließlich Sonderermitt-

lungs-Vorgängen und Ergebnissen strafrechtlicher Ermittlungen (oben A I 2 b, 11).

Entsprechendes gilt für die bisherige politische Aufarbeitung in Exekutive, Bürger-

schaftsplenum und Medien (oben A I 2 c, d, 3 ff, 11). So kommt es hier auch nicht

mehr auf die Frage an, inwieweit sich das Untersuchungsinteresse an zweck- oder

vorschriftswidrig (§ 17 Abs. 3 UAG) weitergeleiteten Protokollen öffentlicher Sitzun-

gen relativieren könnte durch selbst erstellte Berichte anwesender Journalisten oder

Verwaltungsangehöriger (Art. 26 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3, Abs. 6, Art. 23 Abs. 1 Satz 2

HV, § 11 Abs. 1, Abs. 5 UAG; zum Zutrittsrecht letzterer vgl. Bräcklein, Investigativer

Parlamentarismus, S. 86 m.w.N.; Wiefelspütz, Das Untersuchungsausschussgesetz,

2003, S. 203).

6. Das Verfassungsgericht lässt für den vorliegenden Organstreit dahinstehen,

ob Art. 26 HV über die genannten Kriterien für die Zulässigkeit der Erweiterung hin-

aus auch die dritte und letzte in § 3 Abs. 2 Satz 2 UAG geregelte Voraussetzung for-

dert, dass durch die Erweiterung wesentliche Auswirkungen für die Öffentlichkeit des

Verfahrens nicht zu erwarten sind.

Diese Voraussetzung steht dem vorliegenden Erweiterungsbeschluss schon deswe-

gen nicht entgegen, weil Anhaltspunkte für eine derartige negative Prognose von

keiner Seite vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich sind. Aus dem Erweite-

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rungsbeschluss ergibt sich kein Hinweis auf Öffentlichkeitsbeschränkungen des bei-

geladenen PUA Weitergabe.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen, da gem. § 66 HVerfGG im Verfahren

vor dem Verfassungsgericht keine Kosten erhoben werden und weil auch eine Aus-

lagenerstattung, wie sie für einige besondere Verfahrensarten vorgesehen ist, hier

nicht in Betracht kommt.

Die Entscheidung ist mit 7 zu 2 Stimmen ergangen.

Rapp Hardt Dr. Maselewski

Nesselhauf v. Paczensky Seifert

Dr. Westphal Dr. Willich Wirth-Vonbrunn