hans werner schroeder: friedrich benesch 1907-1991 (rezension)

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„Rätselhafte Zeilen“ H.-W. Schroeders Buch über Friedrich Benesch von Hans-Jürgen Bracker Der Nationalsozialismus hört nicht auf, Schatten in die Gegenwart zu werfen: Jüngst standen G. Grass und G. Oettinger (wg. Filbinger) im Dunkel. Auch die anthroposophische Szene ist betroffen: 2004 wurde Friedrich Beneschs (1907-1991) NS-Vergangenheit bekannt. Von 1947 bis 1987 wirkte er prägend in der Christengemeinschaft, war als Seelsorger, Vortragender und Seminarleiter geachtet, wurde von Vielen verehrt. Fragen zu seiner Vergangenheit wies er aber zuweilen barsch zurück: „Misch dich nicht in meine Angelegenheiten!“ Anlässlich des 100. Geburtstages erscheint nun eine Biografie Beneschs von Hans-Werner Schroeder. Ein objektives Lebensbild des verehrten Kollegen zu zeichnen war sicher schmerz- haft: Die Darstellung seiner NS-Verstrickung seit 1928 und die Frage, warum er bis an sein Lebensende schwieg, nehmen einen großen Teil des Buches ein. Sein späteres Wirken als Priester, Forscher und Lehrer („Viele sahen in ihm den geistigen Führer…“) wird ebenso aus- führlich gewürdigt: Es wird u.a. von tiefer Menschlichkeit und seiner „vollkommen freilas- senden“ Art berichtet, auch menschliche Schwächen werden angedeutet. Es gibt Menschen, die von ihm „kleingemacht“ wurden, sich tief verletzt fühlten. Ein Nazi war er – auch heim- lich – sicher nicht mehr. Quellen Schroeder lagen Dokumente aus Archiven vor, Erinnerungstexte von Zeitzeugen und eine von Benesch vor seinem Tod verfasste unveröffentlichte autobiografische Skizze. Darin findet eine Auseinandersetzung mit seiner NS-Biografie nicht statt. Stattdessen: Verschweigen und Verfälschung. Er stellt z.B. die Amtsenthebung als ev. Pfarrer als Folge seiner in religiöser Hinsicht nicht kirchenkonformen Predigten dar; der entscheidende Grund aber waren seine NS-Aktivitäten! Im Buch wird das zutreffend dargestellt, aber dann wird ein Text von Hans Bergel eingeschoben, in welchem die Maßnahme als überzogen dargestellt wird. Wenn Benesch Wesentliches verfälscht darstellt: Wie glaubwürdig ist dann der Rest, z.B. hin- sichtlich seiner Anthroposophie-Rezeption und der Schilderung innerer Entwicklungen oder religiöser Erlebnisse? Danach fragt Schroeder nicht. Entsprechende Textstellen werden un- kritisch zitiert; folgende besonders unwahrhaftige Stelle dagegen fehlt: „… im Frühjahr 1932 kam dann der Nationalsozialismus auf mich zu […] in der Gestalt eines Jugendfreundes. […] Je drängender der Jugendfreund wurde, desto intensiver erhob sich in mir der innere Wider- stand. […] Mir wurde […] der verheerende Irrtum deutlich, dem die deutsche Jugend verfal- len war.“ Schroeder kontrastiert die Faktenlage mit anderen Zitaten und resümiert: „Die Dis- krepanz ist unübersehbar. Hatte sich für Benesch im Rückblick auf diese Zeit […] die Per- spektive zugunsten einer später gewonnenen Einsicht verschoben? Oder wollte er im Nach- hinein nicht mehr wahrhaben, worin er sich aktiv betätigt hatte: ‚als Rebell und Revolutionär‘?“Anhand einer weiteren Stelle hinterfragt Schroeder Beneschs Umgang mit der

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erschienen in Info3, 7/8 2007, S. 39-42

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  • Rtselhafte ZeilenH.-W. Schroeders Buch ber Friedrich Beneschvon Hans-Jrgen Bracker

    Der Nationalsozialismus hrt nicht auf, Schatten in die Gegenwart zuwerfen: Jngst standen G. Grass und G. Oettinger (wg. Filbinger) imDunkel. Auch die anthroposophische Szene ist betroffen: 2004 wurde Friedrich Beneschs(1907-1991) NS-Vergangenheit bekannt. Von 1947 bis 1987 wirkte er prgend in derChristengemeinschaft, war als Seelsorger, Vortragender und Seminarleiter geachtet, wurdevon Vielen verehrt. Fragen zu seiner Vergangenheit wies er aber zuweilen barsch zurck:Misch dich nicht in meine Angelegenheiten!

    Anlsslich des 100. Geburtstages erscheint nun eine Biografie Beneschs von Hans-WernerSchroeder. Ein objektives Lebensbild des verehrten Kollegen zu zeichnen war sicher schmerz-haft: Die Darstellung seiner NS-Verstrickung seit 1928 und die Frage, warum er bis an seinLebensende schwieg, nehmen einen groen Teil des Buches ein. Sein spteres Wirken alsPriester, Forscher und Lehrer (Viele sahen in ihm den geistigen Fhrer) wird ebenso aus-fhrlich gewrdigt: Es wird u.a. von tiefer Menschlichkeit und seiner vollkommen freilas-senden Art berichtet, auch menschliche Schwchen werden angedeutet. Es gibt Menschen,die von ihm kleingemacht wurden, sich tief verletzt fhlten. Ein Nazi war er auch heim-lich sicher nicht mehr.

    QuellenSchroeder lagen Dokumente aus Archiven vor, Erinnerungstexte von Zeitzeugen und eine vonBenesch vor seinem Tod verfasste unverffentlichte autobiografische Skizze. Darin findeteine Auseinandersetzung mit seiner NS-Biografie nicht statt. Stattdessen: Verschweigen undVerflschung. Er stellt z.B. die Amtsenthebung als ev. Pfarrer als Folge seiner in religiserHinsicht nicht kirchenkonformen Predigten dar; der entscheidende Grund aber waren seineNS-Aktivitten! Im Buch wird das zutreffend dargestellt, aber dann wird ein Text von HansBergel eingeschoben, in welchem die Manahme als berzogen dargestellt wird.

    Wenn Benesch Wesentliches verflscht darstellt: Wie glaubwrdig ist dann der Rest, z.B. hin-sichtlich seiner Anthroposophie-Rezeption und der Schilderung innerer Entwicklungen oderreligiser Erlebnisse? Danach fragt Schroeder nicht. Entsprechende Textstellen werden un-kritisch zitiert; folgende besonders unwahrhaftige Stelle dagegen fehlt: im Frhjahr 1932kam dann der Nationalsozialismus auf mich zu [] in der Gestalt eines Jugendfreundes. []Je drngender der Jugendfreund wurde, desto intensiver erhob sich in mir der innere Wider-stand. [] Mir wurde [] der verheerende Irrtum deutlich, dem die deutsche Jugend verfal-len war. Schroeder kontrastiert die Faktenlage mit anderen Zitaten und resmiert: Die Dis-krepanz ist unbersehbar. Hatte sich fr Benesch im Rckblick auf diese Zeit [] die Per-spektive zugunsten einer spter gewonnenen Einsicht verschoben? Oder wollte er im Nach-hinein nicht mehr wahrhaben, worin er sich aktiv bettigt hatte: als Rebell undRevolutionr?Anhand einer weiteren Stelle hinterfragt Schroeder Beneschs Umgang mit der

  • Wahrheit: Ein Teil des Jugendkreises um Schwiegervater Hahne bildete das Hochzeitsgeleit.Sie machten aus Freundschaft bei einer christlichen Trauung mit, obwohl sie nach derberzeugung Nationalsozialisten waren, schrieb Benesch im hohen Alter. Und was war erdamals?

    Erneuerung aber welche?1932 referiert er zustimmend, dass der Nationalsozialismus zur Vollendung seines Zieles, derrestlosen Vereinigung der deutschen Volksgemeinschaft, Religion verlangt []: das positiveChristentum, eine religise Erneuerung! Der Nationalsozialismus [] stellt sich selbstvor die entscheidende Frage, ob das positive Christentum [] erhaltend oder zerstrend aufdie germanische Substanz [des deutschen Volkes, hjb] einwirkt. Die Konfessionen []hemmen die Einigung des deutschen Volkes und werden das so lange tun, solange nicht ausder Substanz des Christentums eine Erneuerung aufbricht, die ber die letzten Reste der Kon-fessionen hinweg zu einer einzigen deutschen Volkskirche fhrt. Das kann ein Anhaltspunktsein fr die Verwechslung, die bei Benesch vorgelegen haben mag: Er suchte die deutscheVolkskirche im Sinne Hitlers und fand die Bewegung fr religise Erneuerung, die Christen-gemeinschaft, von der er frh gehrt hatte und deren Gemeinde in Halle er kannte.

    Vlkisches MilieuBezeichnend ist, dass Benesch als Student sein erstes Steiner-Buch, den sog. Volksseelen-Zy-klus, 1926 in der Bibliothek der Marburger Burse entdeckte, jener nationalkonservativen Ein-richtung, in der er wohnte und die er selber 1932-34 leitete. Anthroposophie und Nationalso-zialismus traten fast gleichzeitig in sein Leben: Letzterer durch Prof. Mannhardt (Marburg)und Prof. Hahne (Halle), den Volkheitskundler, erstere durch den Freund Gottfried Schmidt.Er las Steiners Vortrag Die germanische Seele und der deutsche Geist. Benesch retrospektiv:Ich wollte mich identifizieren mit dem deutschen Idealismus und mit den Wurzeln in der ger -manischen Seele. Nicht also mit dem Christentum wollte ich mich verbinden Sein Urent -schluss war es, nicht in anthroposophischen Zusammenhngen wirken zu wollen.

    Benesch trat 1925 einer schlagenden Verbindung bei und spter den Artamanen, die einenlandwirtschaftlichen Arbeitsdienst propagierten, wie er ihn spter als Pfarrer in seiner Ge-meinde einfhrte. In dem vlkischen Milieu, in dem er lebte, sah er offenbar keinen Wider-spruch zwischen NS und dem, was er damals von der Anthroposophie kannte.

    1926 wechselt er an die Universitt Halle und tritt Hahnes Jugendkreis bei; 1927 geht er derGrund bleibt unklar nach Siebenbrgen zurck und legt 1931 in Klausenburg das Lehrerex-amen ab. Sptestens seit 1928 ist er NS-Aktivist. Er schreibt 1934 ber sich: 1931-32 Aufbauder Nationalsozialistischen Bewegung im ganzen Kreis. Erster Nationalsozialist desKreises Er heiratet Sunhilt Hahne und wird Pfarrer in Birk/Nordsiebenbrgen, bis zurAmtsenthebung 1937; gleichzeitig betreibt er weiter NS-Indoktrination. Er studiert dann er-neut in Halle und bewirbt sich 1939 um Aufnahme in die SS, wozu es aber wohl offiziell nichtkam. Auch eine evtl. angestrebte Karriere im Ahnenerbe kam nicht zustande. Nach seiner

  • Dissertation 1940 kehrt er zurck, bernimmt seine frhere Pfarrstelle, ist Lehrer und Dozent und wird ehrenamtlicher Kreisleiter (1941/42) und Stellvertretender Gebietsleiter (1941-44)des faschistischen Volksbundes der Deutschen in Ungarn.

    Umbruch?Was hat er in dieser Zeit getan und gewusst, wie verhielt er sich angesichts der Judenverfol-gung in seiner Umgebung? Schroeder weicht dieser Frage nicht aus und bilanziert: Dass erselbst [] an den brutalen Aktionen [] Anteil gehabt haben [knnte], ist ausgeschlossen.Zwei Briefstellen, die als Abwendung vom NS interpretiert werden knnen, deutet Schroederentsprechend: [ man kann] wohl nun mit Gewissheit sagen, dass [] auch fr ihn ange-sichts dieser unvorstellbaren Tragdie die alten berzeugungen und Ideale zerbrechen.

    SelbstkritikIm 1947 fr den Priesterkreis verfassten Lebensgang erwhnt Benesch die Artamanen, denMarburger Ahnenerbe-Mitbegrnder Herman Wirth, dessen Ideen ihn beeinflussten, und seinefrhe Affinitt zum Nordisch-Germanischen. Schroeder: Vielleicht htten diese Stze damalsschon Fragen, Vermutungen aufkommen lassen mssen. In der einzigen Schroeder bekannt-gewordenen selbstkritischen Andeutung sprach Benesch von Fehlern, die er in seinem Lebengemacht habe. Er habe sich fr das Vlkische einfangen lassen. Und er habe seiner Abnei-gung gegen die Anthroposophen zu groe Bedeutung beigemessen.

    Kritik, Fragen, FazitMitteilungen ber eine Zugehrigkeit Beneschs bzw. sein Verhltnis zur AnthroposophischenGesellschaft (und zur Hochschule) oder ber mter in der Hierarchie der Christengemein-schaft vermisse ich; etwaige Konflikte mit deren Leitung kommen nicht vor Eine Charakte-risierung wie die von Hans Hahne (edler Vertreter [ des] Strebens nach dem wahrenDeutschtum) birgt m.E. eine verharmlosende Tendenz. Schlielich: Sind Jhzorn und autori-trer Stil angeborene Charakterzge oder Relikte seiner NS-Prgung? Was mgen diejenigenempfinden, die ihm vorbehaltlos vertrauten und posthum enttuscht wurden? Was bleibt vonBeneschs moralischer Autoritt, gerade als Seelsorger?

    Schroeder ist weder Anklger noch Verteidiger; er kritisiert Beneschs Umgang mit seiner Ver-gangenheit und entschuldigt nichts; die Lebenslge wird erkennbar aber nicht so deutlich,wie es ntig wre. Fragen nach der inneren Wandlung Beneschs, ob er mit sich im Reinenwar, sind wohl kaum endgltig zu klren. Das Buch liefert ein wertvolles, aber vorlufigesLebensbild und kann Ausgangspunkt weiterer notwendiger Forschung sein.

    Hans-Werner Schroeder: Friedrich Benesch. Leben und Werk 1907-1991. 516 S. Stuttgart, Mayer 2007. 36,