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Universität Potsdam
Wirtschafts - und Sozialwissenschaftliche Fakultät
Professur für das politische System der Bundesrepublik Deutschland
Diplomarbeit zum Thema:
Typologien des Gedenkens in Deutschland nach der Wiedervereinigung
Paradigmenwechsel in der Gedenkkultur am Beispiel der KZ-
Gedenkstätten - Verlieren die KZ-Gedenkstätten ihre Funktion als
primäre authentische Gedenkorte?
1. März – 2. Juli 2004
vorgelegt bei
Prof. Dr. Jürgen Dittberner
eingereicht von:
Franziska SchumannDipl. Verwaltungswissenschaft
Matrikelnummer: 136365 Adresse: Paul-Neumann-Straße 66, 14482, Potsdam
Telefon: 0331-740 66 13; E-Mail: [email protected]
Inhaltsverzeichnis
VORWORT..................................................................................................................3
EINLEITUNG...............................................................................................................4
1. DIE KONSTRUKTION DER VERGANGENHEIT.................................................71.1 Formen der kollektiven Erinnerung: Das kommunikative und das
kulturelle Gedächtnis................................................................................101.2 Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus - Zur Spezifität des
Opfergedenkens........................................................................................142. ZUGANG ZU EINER ERINNERUNGSKULTUR................................................18
2.1 Erinnerungskultur im geteilten Deutschland.........................................222.1.1 Die Erinnerungskultur in der Bundesrepublik......................................232.1.2 Die Erinnerungskultur in der DDR.......................................................27
2.2 Ein vorläufiges Fazit.................................................................................292.3 Zur Semantik der Erinnerungskultur.......................................................30
2.3.1 Annäherung an den Begriff der modernen Erinnerungskultur............312.3.2 Ein facettenreicher Terminus.............................................................34
2.4 Von der Erinnerungskultur zur Gedenkkultur - Ein Gedankenspiel?. .353. ANSÄTZE ZUR GENESE EINER GEDENKKULTUR........................................40
3.1 Abgrenzung zum Terminus der modernen Erinnerungskultur.............453.2 Die Konstituanten der Gedenkkultur.......................................................49
3.2.1 Typologien des Gedenkens................................................................503.2.2 Grafische Darstellung der Typologien des Gedenkens.......................57
3.3 Zur Transformation der Gedenkkultur im vereinten Deutschland - Herausforderungen und Ansprüche.......................................................58
3.3.1 Die Neukonzeption der Gedenkstätten und die Enquête-Kommissionen........................................................................................................
643.3.2 Ein vorläufiges Fazit............................................................................68
3.4 Gedenken am authentischen Ort - Die KZ-Gedenkstätten....................694. DIE GEDENKSTÄTTEN BERGEN-BELSEN, SACHSENHAUSEN UND
MITTELBAU-DORA...........................................................................................724.1 Die Auswahl der Untersuchungsobjekte................................................734.2 Vorgehensweise und Methode................................................................734.3. Geschichtlicher Exkurs............................................................................734.4 Aufbau und Struktur der einzelnen Untersuchungsobjekte: Bergen-
Belsen, Sachsenhausen und Mittelbau-Dora.........................................794.4.1 KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen........................................................804.4.2 KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen......................................................834.4.3 KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora........................................................844.4.4 Kurze Bewertung der Ergebnisse.......................................................85
Typologien des Gedenkens
4.5 Die funktionale Gedenkstätte...................................................................864.6 Der Übergang vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis am
Beispiel der Untersuchungsobjekte........................................................914.7. Die Gedenkstätten unter Anpassungsdruck - Eine zusammen-
fassende Betrachtung der Ergebnisse...................................................945. DER WIRKUNGSGRAD DER GEDENKTYPOLOGIEN - ENTZAUBERUNG
DER AUTHENTISCHEN ORTE?.......................................................................985.1 Kritische Einordnung der Mahnmaldebatte...........................................995.2 Instrumentalisierung der öffentlichen Kommemoration.....................104
6. ZUSAMMENFASSUNG UND BEWERTUNG DER ERGEBNISSE.................106
SCHLUSSBETRACHTUNG....................................................................................109
7. ANHANG..........................................................................................................110
8. LITERATURVERZEICHNIS UND QUELLENNACHWEIS...............................113
Ehrenwörtliche Erklärung
2
Typologien des Gedenkens
VorwortDie Überlegungen dieser Arbeit sind ein Angebot, eine Diskussionsbasis. Sie
bringen keine Beweise vor, sondern nur Indizien, Hinweise und persönliche
Einstellungen, die für sich eine Plausibilität und innere Stimmigkeit beanspruchen,
weil ich versuche, sie aus verschiedenen Evidenzquellen und aus den Befragungen
zusammenzufügen. Zum Teil getroffene Aussagen und Wertungen sind in der Regel
nicht das Resultat akademischer Überlegungen, sondern persönlicher Erfahrungen.
Eine enge persönliche Verbundenheit zum Thema, zur Auseinandersetzung mit der
Geschichte der Zeit der NS-Herrschaft und ihren verheerenden Folgen noch für
Generationen, verhindern oftmals eine objektive Einschätzung. Meine jahrelange
Mitgliedschaft in einem Jugendverein, welcher an eine Gedenkstätte formell
angegliedert ist und zum Teil freundschaftliche Beziehungen zu überlebenden
ehemaligen Häftlingen pflegt, führt teilweise zu apologetischen oder gar
moralisierenden Aussagen.
Auch wenn die Ausgangslage denkbar ungünstig für eine wissenschaftliche
Herangehensweise ist, so lag es mir am Herzen mit dieser Arbeit ein Plädoyer für
die ortfeste Gedenkpraxis in KZ-Gedenkstätten zu setzen.
3
Typologien des Gedenkens
EinleitungDie dunklen Prognosen, dass unsere Gesellschaft unter Gedächtnisverlust leidet
und dies einen Rückgang der öffentlichen Beschäftigung mit dem
Nationalsozialismus mit sich bringt, haben sich nicht erfüllt. Als diametrale
Erscheinung ist hingegen der Geschichts- und Erinnerungsboom Wirklichkeit
geworden. Die vielen Kontroversen im geschichtspolitischen Bereich zeigen, dass
die Bedeutung der Vergangenheit und die Geschichtsdeutung in pluralistisch
verfassten Gesellschaften nicht sinkt, sondern dass den Konflikten um die historisch
orientierte Sinndeutung eine besonders große Bedeutung bei der Fixierung von
Werten beigemessen wird.
Der Begriff der Erinnerung hat Konjunktur und resultiert aus einer spezifischen
Situation: in Bezug auf die Erinnerung an die nationalsozialistische Vergangenheit
stehen wir an einer Epochenschwelle: am Übergang vom kommunikativen zum
institutionellen, kulturellen Gedächtnis. Prekärerweise konvergiert der Übergang zum
kulturellen Gedächtnis mit einem weiteren historischen Ereignis, das die Virulenz der
Erinnerungsdiskussion verstärkt. Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten
stellt aus der Sicht der gesellschaftlichen Integration des kollektiven Gedächtnisses
eine doppelte Herausforderung dar: zum einen werden zwei völlig unterschiedliche
Erinnerungskulturen zusammengeführt und konfrontiert und zum anderen bedarf es
der Berücksichtigung der Geschichte von SED-Diktatur und Stalinismus. Mit dieser
Konstellation war von Anfang an die Angst verbunden, dass die Diskurse um die
DDR-Vergangenheit und die Bedeutung der Abgrenzung zum Unrecht im NS-
Regime deren Verbrechen relativieren können. Mit der Liberalisierung der
Gedenkplattform konnten sich neben der ortsfesten Gedenkpraxis weitere Formen
des reflexiven Umgangs mit dem Nationalsozialismus ausbilden und sich eine
weiter-entwickelte Form der Erinnerungskultur konstituieren - die Gedenkkultur. Die
konstitutiven Elemente der Gedenkkultur werden als miteinander konkurrierende
Gedenktypologien vorgestellt und zueinander in Relation gesetzt. Die Memoration
am authentischen Ort ist der Ausgangspunkt für alle anderen Formen des
Gedenkens, ohne dieses könnten die anderen Formen theoretisch nicht
4
Typologien des Gedenkens
ausgewiesen werden. In Anbetracht der Tatsache, dass hier der ortsfesten
Gedenkmemoria die vorrangige Stellung innerhalb der Gedenkkultur eingeräumt
werden wird, soll diese Abhandlung aufzeigen, dass sich die KZ-Gedenkstätten nicht
nur den offensichtlichen Faktoren, wie der veränderten Wahrnehmung unserer
Umwelt und dem Verlust der Zeitzeugen stellen müssen, sondern sich auch gegen
die zahlreichen virtuellen Debatten über Gedenkkultur und Denkmalkultur
emanzipieren müssen.
Diese Ausgangssituation akzentuiert einen Aspekt, welcher in der
Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust bisher nur
wenig Aufsehen erregte. Sowohl das Bewusstwerden des bevorstehenden Verlusts
der Zeitzeugenschaft, als auch die staatliche Vereinigung rücken die Bedeutung von
kollektiv verbindlichen Entscheidungen über die Ausgestaltung einer offiziellen
Gedenkkultur in den Fokus des Interesses. Die daraus resultierenden Fragen nach
den Beiträgen des politischen Systems zu Form und Inhalt des institutionalisierten
Gedenkens manifestieren sich zuerst anschaulich an den authentischen Orten - den
KZ- Gedenkstätten.
Die zentrale These dieser Arbeit ist, dass wir einen Paradigmenwechsel in der
Gedenkkultur erleben, der zum Verlust der primären Stellung der authentischen
Orte, genauer, der KZ-Gedenkstätten führt. Dieser Paradigmenwechsel lässt sich als
Resultat einer Metamorphose innerhalb der Gedenkkultur feststellen. Dieser Prozess
beginnt mit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten und dem
Zusammenführen zweier disparater Erinnerungskulturen. Mit der Transformation der
beiden deutschen Erinnerungskulturen zu einer bundesweiten Gedenkkultur wird die
zweite Phase des Paradigmenwechsels eingeläutet. Die daraus resultierende
Liberalisierung archaischer Trauer- und Gedenkriten und die Erweiterung der
konventionellen Handlungsfelder der KZ-Gedenkstätten, stellen diese vor immense
Herausforderungen und sie geraten innerhalb der politischen Sphäre immer wieder
in ein Spannungsverhältnis zwischen Emanzipation und moralisch-pädagogischer
Verpflichtung.
Wie weit die KZ-Gedenkstätten in unserer Gedenkkultur und unserer Gesellschaft
als sinnbildende Elemente und multifunktionale Lernorte verankert sind, wird durch
5
Typologien des Gedenkens
die Ergebnisse der Literaturrecherche zur Thematik aufgezeigt und Aussagen und
Prognosen auch durch die Experteninterviews gestützt. Die getroffenen Aussagen
beziehen sich im weiteren Sinn auf die KZ-Gedenkstätten im bundesdeutschen
Gebiet. Im engeren Sinn werden die Aussagen den drei untersuchten Objekten
zugeordnet werden. Da nur insgesamt drei Experteninterviews in den Gedenkstätten
geführt worden sind, sollen keine apodiktischen Schlussfolgerungen gezogen
werden. Die verschiedenen Ausführungen zur Gedenkkultur und den einzelnen
Gedenktypologien beziehen sich wiederum auf die KZ-Gedenkstätten und können
ihrerseits nur im Licht des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland
betrachtet werden.
6
Typologien des Gedenkens
„Es gibt keine menschliche Kultur ohne das für sie
konstitutive Element der gemeinsamen Erinnerung.
Durch Erinnern, Deuten und Repräsentieren der
Vergangenheit verstehen die Menschen ihr gegen-
wärtiges Leben und entwickeln eine Zukunfts-
perspektive von sich selbst und ihrer Welt.“
(Jörn Rüsen)
1. Die Konstruktion der Vergangenheit
Kein historisches Ereignis hat die Frage nach der Funktion, nach den Grenzen und
nach der Zerstörung von Erinnerung zugleich so radikal gestellt wie der Holocaust.
Seit einigen Jahre wird eine anhaltende, länderübergreifende Diskussion in den
Kulturwissenschaften zur Erinnerung im weitesten Sinne geführt. Beteiligt sind daran
nicht nur die Geschichtswissenschaften, sondern, um hier nur exemplarisch die
Wichtigsten zu nennen, ebenso die Literatur- und Kunstwissenschaften, die
Ethnologie sowie die Soziologie und Politikwissenschaft. Wie so häufig in aktuellen
wissenschaftlichen Diskussionen, erweist sich die Debatte um die Erinnerung als
facettenreich: wissenschaftsintern steht sie im Kontext der intensivierten Reflexion
auf die grundlegenden Bedingungen wissenschaftlicher Erkenntnis. Gefragt wird
nach dem Zusammenhang von individueller und kollektiver Erinnerung, nach dem
Verhältnis von Geschichte und Erinnerung, nach den medialen Trägern1 von
Erinnerungen: Schrift und Bild, Denkmale, Orte, Gegenstände und Rituale des
alltäglichen Gebrauchs.
Darüber hinaus hat die Diskussion aber gerade in Deutschland eine herausragende
politische Aktualität: Wir fragen seit einiger Zeit intensiver als früher nach der
Bedeutung unserer Erinnerung an die Zeit nationalsozialistischer Herrschaft in 1 Vgl. Assmann, Jan: Kollektives und kulturelles Gedächtnis- Zur Phänomenologie und Funktion von Gegen-Erinnerung, S. 13-32, in: Borsdorf, Ulrich/ Grütter, Heinrich Theodor (Hg.): Orte der Erinnerung- Denkmal, Gedenkstätte und Museum, Frankfurt/ New York, 1999.
7
Typologien des Gedenkens
Deutschland für unsere eigene Gegenwart und Zukunft, nach dem rechten
moralischen und politischen Umgang mit dieser Erinnerung im Angesicht neuer
politischer Konstellationen und Herausforderungen. Erstmals fragen wir nach den
Chancen und Gefahren des Vergessens. Dass wir uns gerade jetzt so intensiv mit
Erinnerungen beschäftigen wollen, korreliert vor allem mit dem fortschreitenden
Generationenwechsel. Er rückt die Epoche des deutschen Faschismus heute über
die pure zeitliche Distanz hinaus, in eine neue existenzielle Ferne. So ist uns
konsequenterweise die jüngere deutsche Geschichte ein wesentlicher Anstoß, für
die Frage nach dem Wesen und der Struktur von Erinnerung und meines Erachtens
auch notwendig, um die Angst und Konsequenzen des Vergessens zu begreifen.
Der Bezug menschlicher Gesellschaften zu ihrer Vergangenheit ist ein
außerordentlich komplexer, kultureller Prozess. In der Erinnerung wird
Vergangenheit rekonstruiert. Der Begriff der Erinnerung setzt hohe Ansprüche an die
Beschreibung komplexer Gesellschaften. Als Wertebegriff oder Ursprungsschema,
so wie in der des christlichen Abendlandes, kann es nicht genügen, um die vielen
einzelnen, die Vorstellungen einer Zugehörigkeit, eines Zusammenhalts oder einer
Verpflichtung zu begründen. Offenbar brauchen wir Erzählungen über gemeinsam
errungen Siege, gemeinsam erlittene Verfolgung oder eben gemeinsam begangene
Verbrechen, die starke Wir-Gefühle erzeugen können und so den Horizont möglicher
Zuschreibung begrenzen. Das alles weist auf eine lange und endlose Geschichte
hin, die nie zu Ende erzählt werden kann und selten aufgeht. Wahrscheinlich hängt
dies mit dem „sperrigen Charakter“2 von Erinnerungen zusammen, die schwerlich
auf
eine Linie zu bringen sind, weil sie schnell zu abseitigen, vergessenen und
unterdrückten Geschichten führen.
Um dem Mythos gleich vorweg zu greifen: authentische Erinnerung gibt es nicht,
denn es gibt sie nur als Verfremdung der tatsächlichen Erfahrung, als Schmerz oder
als Kontinuitäts- und Traditionsbruch, verbunden mit dem steten Versuch, der
Vergangenheit habhaft zu werden. Dabei ist die Erinnerung als solche keine fraglos
vorauszusetzende Basis, sich über die Vergangenheit zu verständigen, sondern eine
in sich höchst widersprüchliche soziale Form und ein kulturelles Konstrukt, das 2 Vgl. Bude, Heinz: Erinnerung der Generationen, S. 69, in: König/Kohlstruck/Wöll (Hg.): Vergangenheitsbewältigung am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, Opladen/ Wiesbaden, 1998.
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Typologien des Gedenkens
zumeist durch Trennung und Tod als natürliche Zäsuren in der kollektiven
Erfahrungsgeschichte ausgelöst wird. Erinnerung ist nicht einfach nur Bewahrung,
Festhalten und Speichern. Vielmehr ist Erinnerung ein „kreativer, modellbildender
9
Typologien des Gedenkens
Prozeß.“3
Das schwierigste Problem allerdings ergibt sich aus der Perspektive des Erinnerns,
denn Erinnerung ist auch ein Prozess der Semiose: man erinnert sich vor allem an
das, was einem wichtig ist; von dem Punkt beginnend, an dem Licht auf die
Ereignisse fällt. Wessen Erinnerung ist nun maßgebend? Was wird in welcher Form
erinnert und wer darf wann Einspruch erheben und Korrekturen vornehmen? Welche
selektiven Maßnahmen wirken in der Gemeinschaft oder Gesellschaft, um eine
bestimmte Erinnerung durchzusetzen und eine andere zu verhindern?
Vom Erinnern ist das Vergessen nicht abzulösen, es hat notwendig an ihm Teil
und geht in dieses ein. Die konsequente Verbindung von Erinnern und Vergessen
zeigt sich noch einmal in seiner paradoxen Form, nach der ein Phänomen erst
abhanden gekommen sein muss, damit es in das volle Bewusstsein zurückgelangen
kann. Bewusstsein entwickelt sich erst dann, wenn etwas vergangen ist, das nicht
mehr der Gegenwart angehört.
In der Erinnerung wird die Vergangenheit rekonstruiert, wenn man Bezug auf sie
nimmt. Dass man sich auf die Vergangenheit beziehen kann, setzt zwei Dinge
voraus: die Vergangenheit darf nicht völlig verschwunden sein, es muss Zeugnisse
darüber geben und diese Zeugnisse müssen eine charakteristische Differenz zur
Gegenwart aufweisen.4 Diese Differenz kann sich am deutlichsten im Sprachwandel
erklären, der sich langsam vollzieht und auch erst dann ins Bewusstsein tritt, wenn
man auf sogenannte Sondersprachen oder alte Sprachen stößt. Diese Differenz
zwischen dem alten und dem Neuen kann allerdings auf jede andere Art und Weise
auftreten, als durch den sprachlichen Wandel. Jeder Kontinuitätsbruch kann zur
Entstehung von Vergangenheit führen und zwar dann, wenn nach solch einer Zäsur
ein Neuanfang versucht wird. Deutlich wird dies besonders am Beispiel der
Renaissance: Neuanfänge treten immer in der Form eines Rückgriffs auf die
Vergangenheit auf. In dem Maße wie die Zukunft erschlossen und produziert wird, in
dem Maße wird Vergangenheit entdeckt.
3 Assmann, Jan: Kollektives und kulturelles Gedächtnis, S. 16, in: Borsdorf/Grütter (Hg.): Orte der Erinnerung, 1999.4 Vgl. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis- Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München, 2002, S.32f.
10
Typologien des Gedenkens
Die ursprünglichste Form, in der sich die Entscheidung zwischen Verschwinden
und Bewahren stellt, ist der Tod. Gewissermaßen ist der Tod die Ur-Erfahrung des
zeitlichen Bruchs und die Basis, um eine Erinnerungskultur auszuprägen. Das
Totengedenken ist die ursprünglichste und verbreitetste Form der Erinnerungskultur
und hat mit dem Begriff Tradition und damit, was wir darunter verstehen, weniger
gemein. Dass man sich beispielsweise an Verstorbene erinnert, ist nicht eine Frage
der Tradition, sondern
„…Sache affektiver Bindung, kultureller Formung und bewussten, den Bruch überwindenden Vergangenheitsbezugs.“5
Sowohl die kulturelle Formung, als auch der bewusste Vergangenheitsbezug sind
Bestandteile dessen, was wir als kulturelles Gedächtnis bezeichnen und sich
dadurch klar vom Begriff der Tradition ablösen.
1.1 Formen der kollektiven Erinnerung: Das kommunikative und das kulturelle Gedächtnis
Die historischen Ereignisse der Massenverbrechen im 20. Jahrhundert werden in
ihrer Repräsentation im kollektiven Gedächtnis mit unterschiedlichen Kategorien
belegt. Betrachtet man zum Beispiel die geringe Resonanz, die der in unserer Zeit,
zwar auf einem anderen Kontinent mit anderen kulturellen Traditionen6, begangene
Genozid bei uns gefunden hat und sicherlich auch später in unserem Gedächtnis
haben wird, dann wird sichtbar, wie sehr unsere „eigene Kultur wie ein Filter“ 7 in
solchen Dingen wirkt. Denn entscheidend ist nicht was passiert ist, sondern vielmehr
wer etwas erinnert und um welchen spezifischen Fall es sich handelt - das
zusammen ist ausschlaggebend für die Repräsentation im Gedächtnis. Das heißt
auch, dass nicht das Verbrechen, die Vernichtung von Menschen als solches im
Vordergrund steht, sondern von wem es welcher Gruppe zugefügt wurde und
welche kulturellen Gedächtnistraditionen dafür eine Rolle spielen und damit die
Wertigkeit in unserer Erinnerung bestimmen.8 Dabei werden gespeicherte 5 Assman, J.: Kulturelles Gedächtnis, 2002, S.34.6 Es handelt sich um den Genozid an den Tutsi und oppositionellen Hutu in Ruanda, Beginn April 1994.7 Diner, Dan: Massenvernichtung und Gedächtnis- Zur kulturellen Strukturierung historischer Ereignisse, S. 47, in: Loewy, Hanno/ Moltmann, Bernhard (Hg.): Erlebnis-Gedächtnis-Sinn: authentische und konstruierte Erinnerung, Frankfurt a.M., 1996.8 Ebd.
11
Typologien des Gedenkens
Erfahrungen und Ausschnitte aus der Wirklichkeit von jedem anders wahrgenommen
und auf eine eigene Weise mit dem „subjektiven Beziehungsnetz“9 der Lebenswelt
verknüpft. Die persönliche Erinnerung wird aber durchaus nicht allein vom eigenen,
primären Erleben bestimmt, sondern ist immer auch ein Teil größerer
Zusammenhänge, von denen es beeinflusst wird, mit denen es lebt und sich
verändert. In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelte der französische
Soziologe Maurice Halbwachs seinen Begriff des „mémoire collective“10. Die zentrale
These, die Halbwachs in seinen Werken voranstellte, ist die von der sozialen
Bedingtheit des Gedächtnisses. Die neusten Erkenntnisse in der Hirnforschung und
Bewusstseinspsychologie bestätigen den theoretischen Ansatz von Maurice
Halbwachs. Wir wissen heute, dass sich das menschliche Bewusstsein inklusive
Gedächtnis nur in der Kommunikation mit anderen Individuen entwickelt und
persönliche Erinnerung immer auch Teil größerer Zusammenhänge ist. Darauf will
der Begriff des kollektiven Gedächtnisses aufmerksam machen. Hier ist es sinnvoll,
den Begriff des kollektiven Gedächtnisses als Oberbegriff zu verwenden, innerhalb
dessen wir zwischen zwei Gedächtnisrahmen unterscheiden: dem kommunikativen
und dem kulturellen Gedächtnis.
Im kommunikativen Gedächtnis beziehen sich die Erinnerungen auf die rezente
Vergangenheit. Es sind Erinnerungen, die die Menschen mit ihren Zeitgenossen
teilen. Gemeint ist damit der Erfahrungsaustausch in der Alltagskommunikation in
der Familie, in privaten Kreisen und in anderen sozialen Milieus. Das kommunikative
Gedächtnis lebt von zufälligen Interaktionen, es ist nicht eingebettet in signifikante
Muster, sondern es ist informeller Gestalt. Ein typischer Fall dafür ist das
Generationengedächtnis, welches der Gruppe historisch zuwächst, das heißt, es
wächst mit seinen Trägern und vergeht auch mit seinen Trägern. Das
kommunikative Gedächtnis setzt die Träger der Erinnerungen in eine rege
Beziehung zueinander und schafft „lebendige Erinnerungsgemeinschaften“11. Diese
Gemeinschaften basieren auf spezifischen Erinnerungsstützen, zu denen
beispielsweise das familiäre Fotoalbum zählt. Man könnte auch sagen, dass es sich 9 Hockerts, Hans Günter: Zugänge zur Zeitgeschichte: Primärerfahrungen, Erinnerungskultur, Geschichtswissenschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 28/ 2001, S. 17f.10 Assman, J.: Kulturelles Gedächtnis, 2002, S.35.11 Hockerts, H.G.: Zugänge zur Zeitgeschichte, 2001, S.18.
12
Typologien des Gedenkens
beim kommunikativen Gedächtnis um ein Kurzzeitgedächtnis handelt, mit dem sich
die Gruppenmitglieder über ihre selbst erfahrene Vergangenheit verständigen. Wenn
man das kommunikative Gedächtnis in eine Zeitstruktur setzte, würde man von
einem Zeithorizont von 3-4 Generation oder von ca. 80-100 Jahren sprechen.
Durch die enge Beziehung der Erinnerungsträger zueinander wird das
kommunikative Gedächtnis zwar zu einem gruppenbezogenen, aber
trägerunspezifischen Gedächtnis, weil es sich grundsätzlich um Zeitzeugen einer
Erinnerungsebene handelt, die nicht unbedingt einer spezifischen Gruppe
angehören.
Der andere Modus hingegen, das kulturelle Gedächtnis, richtet sich auf Fixpunkte in
der Vergangenheit. Die Vergangenheit wird zu einer symbolischen Größe, an die
sich die Erinnerungen heften. Die absolute Vergangenheit oder auch Urzeit ist eine
symbolische Figur, die sich in Vätergeschichten, in Revolutionen, in
Wüstenwanderungen oder auch im Exil wiederfindet und die etwa in liturgischen
Festen begangen wird.
Für das kulturelle Gedächtnis zählt nicht die faktische Erinnerung, sondern
ausschließlich die erinnerte Geschichte. Man könnte auch sagen, dass im kulturellen
Gedächtnis die faktische Geschichte erinnert wird und dadurch in Mythos
transformiert wird. Das Mythische bekommt nicht dadurch etwas unwirkliches,
sondern wird erst durch die Transformation zum realen Gegenstand. Der Mythos
dient der Erhellung der Geschichte vom Ursprung zur Gegenwart und wird zur
„(…) fortdauernden normativen und formativen Kraft.“12
Im Gegensatz zum kommunikativen Gedächtnis, ist es hier kaum möglich, einen
Zeithorizont zuzuschreiben. Beim kulturellen Gedächtnis kann sich der Zeitlauf von
einer mythischen Urzeit bis in die Gegenwart erstrecken. Jan Assmann geht in
seinem bahnbrechenden Werk „Das kulturelle Gedächtnis“ davon aus, dass dem
kulturellen Gedächtnis etwas Sakrales und Religiöses anhaftet. Die
Erinnerungsfiguren tragen einen religiösen Charakter, der sich in der
Vergegenwärtigung widerspiegelt, die sich häufig in Form eines feierlichen Aktes
vollzieht. Das Fest oder der Feierakt dienen neben vielen anderen Funktionen im
kulturellen Gedächtnis vor allem dazu, dass Vergangene zu vergegenwärtigen. Sie
12 Assmann, J.: Das kulturelle Gedächtnis, 2002, S. 52.
13
Typologien des Gedenkens
strukturieren und rhythmisieren den Zeitfluss. Durch den feierlichen Rückblick
fundiert die Gruppe in der Erinnerung ihre Identität in der momentanen Realität. Hier
meint Assmann, dass diese feierliche und kollektive Retrospektive etwas
Außergewöhnliches, nicht Alltägliches hat. Sie ist sozusagen „überlebensgroß“.13
Das kulturelle Gedächtnis erhält durch die zeremonielle und kollektive
Kommunikation eine besondere Formung. Abweichend vom kommunikativen
Gedächtnis zeichnet es sich durch einen hohen „Grad von Geformtheit“14 ab, der
sich zunächst in den zeremoniellen und wiederkehrenden Festen und einer
traditionellen Kodierung abzeichnet. Die Kodierung vollzieht sich als solche in
Texten, Bildern, Tänzen und Riten. Durch die Feierlichkeit verliert das kulturelle
Gedächtnis den informellen Alltagscharakter und ist nicht länger Bestandteil der
Alttagskommunikation.
Während im kommunikativen Gedächtnis die Träger unspezifisch sind und man
zumeist von Zeitzeugen einer Erinnerungsgemeinschaft spricht, sind die Träger des
kulturellen Gedächtnis spezifisch. Das korrespondiert mit der speziellen Position des
kulturellen Gedächtnisses, der Alltagsenthobenheit. Diese besondere Form der
Kommunikation bedarf einer spezialisierten Trägergemeinschaft, die den
zeremoniellen Charakter auch adäquat weitergeben kann. Zu dieser Trägerschaft
gehören zum Beispiel Priester und auch Lehrer und Künstler. Da sich das kulturelle
Gedächtnis im Gegensatz zum kommunikativen nicht von selbst herumspricht,
bedarf es hier einer gewissen Einweisung und Kontrolle. Gleichzeitig
kann durch die Abgrenzung gewährleistet werden, dass das spezifische Wissen über
die Vergangenheit nur an Gruppenmitglieder weitergeben wird, aber es wird auch
dazu führen, dass ein Teil vom Wissen verborgen bleibt für andere. Im Judentum
wurden gezielt die Frauen vom „elitären“ Wissen um die Vergangenheit
ausgeschlossen, in der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts waren es die
unteren Schichten, denen konsequent der Zugang hierzu verweigert wurde.
Die Unterscheidung der beiden Erinnerungsmodi ist wichtig, da im folgenden
Hauptteil die Begriffe häufiger verwendet werden. Es ist als Voraussetzung
notwendig, um zu verstehen, was mit dem Übergang vom kommunikativen zum
13 Assmann, J.: Das kulturelle Gedächtnis, 2002, S. 53.14 Vgl. dazu: Reichel, Peter: Politik mit der Erinnerung- Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit, München/ Wien, 1995, Grafik S.359.
14
Typologien des Gedenkens
kulturellen Gedächtnis gemeint ist. Als logische Anknüpfung würde sich die
öffentliche Erinnerungskultur hier auch als Gedächtnismodus zum Vergleich
anbieten. Doch die Erinnerungskultur wird als theoretisches Rahmenkonstrukt
genutzt, um darin die beiden Gedächtnismodi einzubetten und um die Gedenkkultur
zu generieren. Deshalb wird an dieser Stelle darauf verzichtet. Ferner ist die
Erinnerungskultur ein eigenes Handlungsfeld mit einer komplizierten
Entwicklungsgeschichte und verdient einen eigenen Bearbeitungsteil.
1.2 Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus - Zur Spezifität des Opfergedenkens
Sucht man nach einem historischen Ereignis, an dem sich im Sinn einer politischen
Basiskultur sowohl das individuelle Verhalten, als auch die staatliche Politik
orientieren könnte, so findet man kein herausragendes positives Ereignis oder große
soziale und politische Errungenschaften - obwohl es einige davon gäbe. Vielmehr ist
es die Verfolgung und Vernichtung der Juden durch das nationalsozialistische
Deutschland, die als Verbrechen gegen die Menschheit den äußersten
Orientierungspunkt festlegt.
„Sie bedeuten nicht allein einen Zivilisationsbruch, (…) <sie> markieren zugleich Potenzial und Perversion der Zivilisation.“15
Angesichts des Versuchs der Auslöschung des Judentums hat jedes Unterfangen,
das Verhältnis von Erinnerung und Gegenwart zu bestimmen, eine nicht mehr zu
übertreffende Zuspitzung erfahren. Im Kontext der Menschheitsverbrechen dieses
Jahrhunderts und ihrer kontroversen Deutungen, ist der nationalsozialistischen
Massenvernichtung die Rolle eines scheinbar absoluten Maßstabs zugewiesen
worden. Die unterschiedlichen Kriegs- und Völkermordverbrechen, die Terrorakte
und Bürgerkriege im 20. Jahrhundert, welche Ursache sie auch immer haben,
beanspruchen eine Position und Geltung im Rahmen einer universalen Interpretation
der Menschheitsgeschichte in ihrem Vergleich mit dem Holocaust.
Wenn die Rede von der Singularität der deutschen Verbrechen unter dem Nazi-
Regime ist, so kann dieser Begriff nicht die Unvergleichbarkeit bedeuten16, schon 15 Jeismann, Michael: Auf Wiedersehen Gestern - Die deutsche Vergangenheit und die Politik von morgen, Stuttgart/München, 2001, S.22.16 Vgl. dazu: Diner, Dan: Kreisläufe - Nationalsozialismus und Gedächtnis, Berlin, 1995, S. 60-111.
15
Typologien des Gedenkens
deshalb nicht, da das gesamte 20. Jahrhundert geprägt ist durch millionenfachen
Mord. Zumindest ein Vergleich mit den Verbrechen der Stalinära muss im Sinne
weiterer Erkenntnis erlaubt sein.
Singularität meint natürlich auch nicht die Banalität, dass jedes Ereignis, jeder
Handlungskomplex in der Geschichte etwas Einmaliges und Einzigartiges ist.
Vielmehr kann Singularität in diesem Zusammenhang vernünftigerweise nur
bedeuten, dass die Menschheitsverbrechen, die wir17 damals begangen haben, ihre
Quantität und die einzigartige Qualität ein neues Kapitel in der menschlichen
Geschichte eröffnet haben. Die Singularität verifiziert sich zudem dadurch, dass
‚…noch nie zuvor ein Staat (…) beschlossen (…) hatte, eine bestimmte Menschengruppe einschließlich der Alten, der Frauen, der Kinder und der Säuglinge möglichst restlos zu töten, und diesen Beschluß mit allen nur möglichen staatlichen Machtmitteln in die Tat umsetzt.’18
Es wurde mit der systematischen, industriell betriebenen Ausrottung von
Menschengruppen nicht nur ein neuer Modus auf der Skala der Möglichkeiten des
Tötens erreicht, sondern sofern es zu beurteilen ist, ein qualitativer Sprung getan.
Denn es war nicht nur die massenhafte Vergasung neu - vielmehr war es die
distanzierte, kalte und fabrikmäßige Vernichtung der Opfer, welche die nicht zu
übertreffende Menschenverachtung darstellte.
Ein zweiter Betrachtungspunkt kommt hinzu, der zweifelsohne in der Einschätzung
der Singularität nicht fehlen darf: Die Shoa ist apodiktisch auch durch das Ausmaß
der Modernität singulär, der ihre so rationale Technik und großräumige Organisation
entstammt und die das Irrationale der Vernichtungsanlagen erst voll entfesselt hat.
Gewiss ist das eine sehr einseitige Betrachtung der Modernität, aber doch sehr wohl
ein Spezifikum des zwanzigsten Jahrhunderts.
„Die Jüdische Identität ist seitdem ohne dieses singuläre Grauen nicht erfahrbar.“19
17 „Wir“ wird hier als ein nationales und historisches Wir begriffen. Es soll keine Abgrenzung zu den vorherigen Generationen geschehen oder einen Exculpationsversuch rechtfertigen. Jede Generation, die eine Nation ausmacht, reicht in verschiedenen zeitliche Tiefen zurück, also auch in die Generation der Eltern und Großeltern - wir alle sind Teil dessen. (in Anlehnung an C. Meier)18 Zitat nach Eberhard Jäckel in: Christian Meier: Vierzig Jahre nach Auschwitz - Deutsche Geschichtserinnerung heute, München, 1990, 2. Auflage, S. 39.19 Meier, Christian: Vierzig Jahre nach Auschwitz, 1990, S. 40.
16
Typologien des Gedenkens
Wie auch immer die Diskussion um die Singularität des Holocaust geführt werden
soll, es geht um die absolute Ausnahme und diese Ausnahmsartigkeit der
Vernichtung muss zumindest klar sein. Die Ausnahmsartigkeit ist ein Resultat von
Vergleichen mit anderen Menschheitsverbrechen. Wer jedoch solche Vergleiche
zieht, setzt sich immer dem Verdacht aus, damit andere Verbrechen zu relativieren.
Es ist nicht die Absicht, andere Morde zu relativieren, Opferzahlen aufzuheben oder
qualitativ zu bemessen. Es soll auch keine moralische Betrachtung sein, sondern
eine historisch eingeordnete Einzigartigkeit. Die wissenschaftliche Aussage besteht
darin, dass zum einen noch nie so viele Menschen der totalitären Herrschaft eines
radikalen Regimes zum Opfer fielen und zum anderen, dass nie zuvor speziell eine
andere Rasse Opfer von gezielter, technologisierter Ausrottung über das eigene
Staatsgebiet hinaus wurde.
Der durch die Ermordung entstandene Verlust der Juden ist nicht zu ersetzen, die
von ihnen jahrhundertelang geformte Kultur in Mitteleuropa ist unwiederbringlich
verloren. Im Verhältnis von Opfern und Tätern kann von Aussöhnung oder Ausheilen
der Wunden keine Rede sein. Der Holocaust besteht in seiner singulären
Abscheulichkeit also auch im Vergleich. Das ist die Bedingung seiner Nachwirkung,
seiner steten Präsenz. Dies muss man sich vor Augen halten, um die Erinnerung
dessen und das Gedenken daran nicht als Zumutung zu begreifen.
Das ist ein Vermächtnis, das die Nachkommen der Täter bereits seit mehr als
zwei Generationen und noch auf nicht absehbare Zeit belastet. Alle oberflächlichen
Versuche, mit der Vergangenheit eine adäquate Umgangsform zu finden, sind
gescheitert. Die Geschichtserinnerung ist eng verknüpft mir der Identität unseres
Gemeinwesens. Wir würden eine angemessene Form der Erinnerung und des
Gedenkens finden, wenn wir in weit mehr als nur in juristischer Hinsicht die
Nachfolge des deutschen Reiches angetreten hätten, wenn wir nicht in irgendeiner
„freiwillig-unfreiwilligen Weise“20 einzustehen hätten für diese Vergangenheit, deren
Negation derart mit dem Beginn unserer Demokratie verbunden war, dass sie sich
mit deren Befestigung allgemein durchsetzte.
Die Beispiellosigkeit und die Radikalität des Holocaust machen ihn nicht nur
unfassbar, sondern bringen auch die Erinnerung an ihn in eine Spannung, die kaum
20 Meier, C. Vierzig Jahre nach Auschwitz, 1990, S. 20.
17
Typologien des Gedenkens
auszuhalten ist. Die Last der Vergangenheit darf in unserer Gesellschaft nicht das
existenzielle Bedürfnis wecken, zu vergessen und zu relativieren. Der zivilisatorische
Bruch durch den Holocaust und die unfassbare Zahl der Opfer war und ist einzigartig
und verdient deshalb ein einzigartiges Gedenken. Jedoch sollte sich dieses
Gedenken in erster Linie auf alle Opfer des NS-Regimes beziehen; zwar kann man
Geschichte nur begreifen, wenn man die Differenzen nicht einebnet21, jedoch
keinesfalls zu Lasten einer öffentlich gewollten Hierarchisierung der Opfergruppen.
21 Jäckel, Eberhard: Die Einzigartigkeit des Mordes an den europäischen Juden, S.170, in: Rosh, Lea: „Die Juden, das sind doch die anderen“ - Der Streit um ein deutsches Denkmal, Berlin/Wien, 1999.
18
Typologien des Gedenkens
Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.
Vergessen verlängert das Exil.
(Israel Baal Schem Tov)
2. Zugang zu einer Erinnerungskultur
Wie bereits im vorhergehenden Teil ersichtlich wurde, hat das Gedächtnis und die
damit verbundenen Erinnerungen eine lange und uns Menschen genuine Tradition.
Wir betrachten die Erinnerung an vergangene Ereignisse und an Erfahrungen als
selbstverständlich und für jeden Menschen ist ein Verlust des Gedächtnisses eine
katastrophale Erfahrung, die Selbstverständnis unmöglich macht. Allerdings wissen
wir auch, dass traumatische Erfahrungen bewusst zur Ausblendung des Erlebten
führen können und eine Art Schutzmechanismus entfalten, um ein Weiterleben zu
ermöglichen. Die Hinterlassenschaft des NS-Staates ist jedoch kaum
lebensbedrohlich, aber wie sich auch 60 Jahre nach dem totalen Zusammenbruch
des Dritten Reichs zeigt, noch für Generationen eine beschwerliche und brisante
Erblast. Es ist eine Last, derer man sich nach 1945 entledigen wollte und so hat sich
das deutsche Volk anstatt in eine „anamnetische Solidarität“22 in eine solidarische
Amnesie begeben.
Bevor die Erinnerungskultur und ihre Entwicklung in groben Zügen nach 1945
vorgestellt und folgend speziell auf die Entwicklung nach 1990 eingegangen wird,
soll versucht werden, die einzelnen Begriffe klar voneinander abzugrenzen, um zu
erklären, warum vorerst eine Anlehnung an den Begriff der Erinnerungskultur
notwendig ist. Dabei ist die Diskussion über die adäquate Terminologie, wenn es um
die Vergangenheit und ihre Aufarbeitung in unserem gesellschaftlichen Bewusstsein
geht, bereits zum Selbstzweck geronnen. Zunehmend wurde der Terminus
„Vergangenheitsbewältigung“ zur Diskussionsgrundlage, zum Schlagwort und
zentralen Kampfbegriff der politischen Auseinandersetzung. Sachliche Argumente
und Aufklärungen haben in der Vergangenheitsdiskussion keinen leichten Stand.
Jedoch ist es nicht Ziel dieser Arbeit, sich an diesem Diskurs zu beteiligen, sondern
22 Begriff von John Baptist Metz in: Assmann, Jan: Kollektives und kulturelles Gedächtnis, S. 32, in: Borsdorf/Grütter (Hg.): Orte der Erinnerung, 1999.
19
Typologien des Gedenkens
kurz die Entstehungen der einzelne Begriffe darzustellen und abschließend in vier
Entwicklungslinien die Erinnerungskultur mit den symptomatischen Erscheinungen
nach Ende des Zweiten Weltkriegs zusammenzufassen.
Der Terminus der Vergangenheitsbewältigung kam in der Bundesrepublik etwa
Mitte der 50er Jahre in Umlauf und stand damals im Focus eines moralisch
geprägten Politikverständnisses.23 Er fällt damit bereits in die zweite
Entwicklungslinie der Erinnerungspolitik und ist gemeinsam mit der Schuld- Debatte
deren prägender Bestandteil.
Der Terminus ist immer wieder kritisiert worden. Der Einwand bezieht sich auf den
Bestandteil „Bewältigung“; er impliziere, dass die Vergangenheit nachträglich
veränderbar sei und birge die trügerische Annahme, man könne mit der
Vergangenheit abschließen. Dass man dies wohl mit keiner Vergangenheit tun kann
und schon gar nicht mit dieser, darin sind sich die Kritiker wohl auch einig. Hannah
Arendt ging sogar noch einen Schritt weiter und bemühte nicht länger die Illusion der
Bewältigung. Sie glaubte, dass das Höchste was man erreichen kann, die
Gewissheit ist, dass es so und nicht anders gewesen ist und dass man das
aushalten muss.24 Andere Autoren haben andere Begriffe vorgeschlagen, aber
grundsätzlich neue Termini sind dabei nicht entstanden. Die wohl berühmteste
Alternative ist die „Aufarbeitung der Vergangenheit“.25 Sie entstammt einem Vortrag
von Theodor W. Adorno von 1959. Mitte der 90er Jahre hat Peter Reichel den
Begriff der „Erinnerungskultur“ in die Diskussion eingebracht und diese maßgeblich
beeinflusst, und er begründet das folgendermaßen:
„Er ist unpathetisch und verweist sehr viel präziser (…) auf das Handlungsfeld, das kulturelle Teilsystem, und den gesellschaftlichen Prozesscharakter und (…) der kollektiven Vergegenwärtigung von Vergangenheit.“26
Neu an diesem Begriff ist hier, dass Reichel durch den Kulturbegriff seinem
Terminus einen allumfassenden, beinahe „kollektiven“ Charakter gibt und so eine
ganze Gesellschaft in einen Prozess einbindet.
23 Vgl. König,H./ Kohlstruck,M./ Wöll,(Hg.): Vergangenheitsbewältigung am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, Einleitung, Opladen/ Wiesbaden, 1998.24 Vgl. Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft- Antisemitismus, Imperialismus, Totalitarismus, München/ Zürich, 2001, 8. Auflage, S. 29-267.25 König, Helmut: Die Zukunft der Vergangenheit – Der Nationalsozialismus im politischen Bewusstsein der Bundesrepublik, Frankfurt a.M., 2003, S.7.26 Reichel, Peter: Politik mit der Erinnerung, Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit, München/ Wien, 1995, S. 331.
20
Typologien des Gedenkens
Kritisiert werden die Begriffe alle gleichermaßen, weil sie sich im wesentlichen auf
die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und deren Konsequenzen
beschränken und das Zusammenspiel von politischer, kultureller, wissenschaftlicher,
pädagogischer und religiöser Ebene außer acht lassen.27
Einen beachtlichen Beitrag zur Diskussion konnte auch Norbert Frei mit seinem
Begriff „Vergangenheitspolitik“ leisten. In seiner zeitgeschichtlichen Studie
beschreibt Frei damit eine Fülle von politischen Maßnahmen, die in den ersten
Jahren der Bundesrepublik dazu führten, dass ehemalige NS-Täter in das neue
demokratische System geschleust wurden.28 Hingegen zog es Edgar Wolfrum vor,
von „Geschichtspolitik“ zu sprechen.29 Wolfrum bezeichnete mit diesem Terminus
vorwiegend den politisch-instrumentellen Umgang mit der Geschichte und
Geschichtswissenschaft zur Beeinflussung von Gegenwartsdebatten. Dieser Begriff
wurde 1986 zum ersten Mal in die Diskussion eingeführt.
Die erwähnten Bezeichnungen haben den Vorteil, dass mit ihnen ein jeweils
abgrenzbarer Bereich beschrieben werden sollte, nur ein Aspekt in das Zentrum der
Diskussion gerückt wird. Allerdings hat dies wiederum den Nachteil, dass dadurch
die Gesamtheit der Phänomene außer acht gelassen werden. Deswegen wird
nachfolgend der Begriff der Erinnerungskultur bevorzugt, denn qua Definition ist
dieser Begriff derjenige, mit dem umfassend das Spektrum der Phänomene
bezeichnet werden kann. Dass die Bundesrepublik nach der Katastrophe des
Holocaust entstanden ist und sich aus der Hinterlassenschaft des sogenannten
Dritten Reiches entwickelt hat, ist nicht auf das ein oder andere Politikfeld
begrenzbar. Die NS- Vergangenheit hat alle Bereiche der gesellschaftlichen und
politischen Existenz der Bundesrepublik zutiefst geprägt. Dass der Terminus
Erinnerungskultur aber auch kein „catch-all-term“ ist und ebenfalls sehr kritisch
betrachtet wird, zeigt zunächst die Umschreibung von Hockerts:
„Was man neuerdings ‚Erinnerungskultur’ nennt, dient als lockerer Sammelbegriff für die Gesamtheit des nicht spezifischen wissenschaftlichen Gebrauchs der Geschichte (…)- mit den verschiedensten Mitteln und für die verschiedensten Zwecke, von der Gedenkrede des Bundespräsidenten (…) bis zum Fernseh-Infotainment über ‚Hitlers
27 König/Kohlstruck/Wöll: Vergangenheitsbewältigung, Einleitung, 1998.28 Vgl. Meyer, Erik: Erinnerungskultur als Politikfeld. Geschichtspolitische Deliberation und Dezision in der Berliner Republik, S. 121-137, in: Bergem Wolfgang (Hg.): Die NS-Diktatur im deutschen Erinnerungskurs, Opladen, 2003.29 Zitiert nach König, H .:Zukunft der Vergangenheit, 2003, S.8f.
21
Typologien des Gedenkens
Frauen’.“30
Es mag sein, dass Hockerts eine Abgrenzung zur zeitgeschichtlichen Forschung
sucht, mit seiner Definition zur Erinnerungskultur ist ihm das jedoch nicht gelungen.
Vergleicht man den Terminus, so wie ihn Reichel umschreibt, mit dem Begriff, den
Hockerts benutzt, dann ist augenscheinlich, dass Hockerts dies wohl mit der meist
als „öffentlichen Kommemoration“ bezeichneten und im weiteren Sinne gefassten
Erinnerungskultur gleichsetzt.
Den Terminus der Erinnerungskultur nach Reichel ist geeignet, um präzise eine
Reihe von politischen und gesellschaftlichen Aufgaben, Wegen und Zielen in der
Bundesrepublik nach dem Kriegsende zu beschreiben. An ihm können vier Wellen
der Entwicklung einer Erinnerungskultur nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs
konstruiert werden. Der negative Bezug auf die NS-Vergangenheit ist für das
politische Bewusstsein von Anfang an bestimmend gewesen.
Die klare Abgrenzung solcher Entwicklungslinien ist im Vergleich zur
Erinnerungspolitik in der DDR nicht möglich. Zwar durchläuft die Erinnerungskultur in
der DDR durchaus verschieden Phasen, diese sind jedoch grundsätzlich bestimmt
vom antifaschistischen Gründungsmythos und dem vermeintlich vollständigen Bruch
zur Vergangenheit.
Die erste vorangestellte These, dass wir seit Beginn der 90er Jahre einen
Paradigmenwechsel in der Gedenkkultur erleben, kann nur verifiziert werden, wenn
die vorhergehenden Phasen zumindest in ihren Grundzügen dargestellt werden.
Begonnen wird mit der Erinnerungskultur in der Bundesrepublik, um anschließend
auf die Entwicklungen in der DDR einzugehen.
30 Hockerts, H. G.: Zugänge zur Zeitgeschichte, Aus Politik und Zeitgeschichte, 2001, S. 16.
22
Typologien des Gedenkens
2.1 Erinnerungskultur im geteilten Deutschland
Wenn man in einem Satz die Erinnerungskultur in den beiden deutschen Staaten
konzentriert gegenüberstellen sollte, wäre folgende Aussage wohl am treffendsten:
„Das geteilte Deutschland hatte sich mit dem Gedenken arrangiert: als sozialistische Pflichtübung hier, als fakultatives Angebot politischer Bildung dort.“31
Ein für die gesamte Nation handelndes politisches Handlungssubjekt gab es nach
dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht und es waren die alliierten
Besatzungsmächte, die die Änderungen und deren Umfang im politischen, wie
gesellschaftlichen vorgaben. Innerhalb der von diesen vorgegebenen Parameter
knüpfte das Grundgesetz der Bundesrepublik an die Erfahrungen der
zusammenbrechenden Republik an. Vor allem in der Beseitigung der
Präsidialkompetenzen des Präsidenten der Weimarer Republik, der Einführung
eines konstruktiven Misstrauensvotums und der Fünf-Prozenthürde für Land- und
Bundestagswahlen wurden Mechanismen installiert, welche die neue Demokratie
stabilisieren sollten. Die DDR hingegen knüpfte in ihrem Selbstverständnis nicht an
das Ende, sondern an den Beginn der Weimarer Republik an. Sie verstand sich als
die Koda der auf halber Strecke beendeten Revolution der Jahre 1918/19. Sie
sozialisierte die Produktionsmittel, entmachtete die bürgerliche Elite und enteignete
die Großbauern, um die Herrschaft der Arbeiter und Bauern zu errichten.
Dies waren die Voraussetzungen unter denen die antagonistischen deutschen
Staaten verschiedene Formen einer Erinnerungskultur etablierten. Der Umgang mit
dem schwierigen NS- Erbe folgte unterschiedlichen politischen Interessen,
Interpretationen und kollektiven Identitätsbildungen. So wurde zwischen den beiden
deutschen Staaten die sich mit der NS-Erblast abmühende Politik und die
Erinnerungskultur zu einem heftig umstrittenen Terrain.
Mit dem politischen Umbruch in der Deutschen Demokratischen Republik im Herbst
1989 und mit der Vereinigung Deutschlands öffneten sich die Barrieren, die eine
gemeinsame Auseinandersetzung der Deutschen in Ost und in West mit ihrer
gemeinsamen Vergangenheit jahrzehntelang im geteilten Deutschland verhindert
31 Dittberner, Jürgen: Schwierigkeiten mit dem Gedenken - Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, Opladen/ Wiesbaden, 1999, S. 9.
23
Typologien des Gedenkens
hatten. Die Folgen waren das Entstehen zweier gegensätzlicher Erinnerungen an die
Verbrechen der Nazi-Diktatur und der ungleiche Umgang mit diesem Erbe,
begründet in unterschiedlichen politischen Prägungen und in den Allianzen des
Kalten Krieges. Der Wegfall der Barrieren ist zugleich eine Aufforderung zur
Verständigung über die gemeinsame Geschichte und über Wege und Formen eines
gemeinsamen Erinnerns und Gedenkens als Elemente unserer politischen Kultur.32
2.1.1 Die Erinnerungskultur in der Bundesrepublik
Nach dem Kriegsende nutzten die Siegermächte einen Teil der Konzentrationslager
des nationalsozialistischen Regimes als Internierungslager. Legitimiert durch die
Richtlinien des Potsdamer Abkommens von 1945 dienten sie zur Inhaftierung
deutscher Bürger. Während die amerikanischen Besatzungsmächte das KZ Dachau
als Internierungslager nutzten- Inhaftierte wurden später entweder vor Gericht
gestellt oder entlassen- wurden in der sowjetischen Zone die Konzentrationslager
Sachsenhausen und Buchenwald als Internierungslager eingerichtet und blieben
versehen mit dem Kürzel „NKWD“ bis 1950 bestehen. Unter Androhung schwerer
Strafen war den Inhaftierten verboten, über das Lagerleben zu sprechen. Durch in
Folge von Unterernährung grassierende Krankheiten und Misshandlungen durch die
Lageraufseher kamen noch einmal Tausende von Menschen um. Selbst nach der
Auflösung der Internierungslager zwischen 1952 und 1953 blieb es für viele ein
Tabuthema.
Die Bundesrepublik war von Anfang an unmittelbar mit der NS-Geschichte
konfrontiert. Ihr stand nicht die von der DDR vorgeführte Überwindung durch
„universalisierende Deutung“33 zur Verfügung. Zwar vollzog sich die
Erinnerungsentwicklung bisweilen ohne gesellschaftsimmanenten Anspruch, aber
die Vergangenheitserinnerung blieb immer Bestandteil des Prozesses, ob im
Verleugnen oder Vergegenwärtigen.
Trotz eines erfolgreichen Wiederaufbaus, eines international angesehen
Wirtschaftswunders und einer bemerkenswerten politischen Stabilität und
32 Vgl. Puvogel, Ulrike: Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus - Eine Dokumentation, Einleitung, Band II, Bundeszentrale für politische Bildung, Berlin, 1998, S. 11-26.33 Reichel, P.: Politik mit der Erinnerung, 1995, S.40.
24
Typologien des Gedenkens
nachfolgenden gesellschaftlichen Demokratisierung, blieb die Bundesrepublik
eigentümlich unsicher in ihrem Selbstbild. Die Wohlfahrtsdemokratie konnte die
„beschwiegene Schuld“34 nicht überdecken, was sich deutlich an den immer
wiederkehrenden Schändungen jüdischer Friedhöfe und Synagogen oder bei der
Enttarnung von Politikern mit NS- Vergangenheit vergegenwärtigte.
Es schien, als ob die Bundesrepublik nicht in der Lage sei, den Zivilisationsbruch
während der Nazi-Diktatur in ihr positives Selbstbild zu integrieren. Dazu waren
immense Anstrengungen notwendig und die Bundesrepublik war gezwungen, sich
auf einen langwierigen Prozess der Auseinandersetzung und Erinnerung zu
begeben.
Die Geschichte der Erinnerungskultur in der Bundesrepublik kann in vier
unterschiedliche Phasen eingeteilt werden und beginnt mit der ersten Phase in der
Nachkriegszeit. Die sogenannte Schuld-Debatte35 in der Nationalsozialismus, Krieg
und Vernichtung unter stark moralischen und abstrakten Gesichtspunkten bewertet
wurden, war wichtiger Bestandteil dieser ersten Periode.
Die 50er Jahre, stehen für die zweite Phase der Entwicklungslinien und umfassen
präziser die Zeit der Adenauer Ära. Kennzeichnend hierfür ist die Gegensätzlichkeit
in der Erinnerungskultur, denn zum einen werden ehemalige Täter und Parteigänger
der NS-Herrschaft durch Amnestie in die junge Demokratie geschleust und
unauffällig integriert, gleichzeitig aber zieht die neue Demokratie der Bundesrepublik
einen klaren Schlussstrich und distanziert sich vom Nationalsozialismus. Die zweite
Phase kann am besten mit den Worten von Peter Reichel charakterisiert werden: als
„Apologie der Verleugnung“.36
Im Unterschied zu den beiden bereits genannten Perioden, wird die dritte Phase
einen sehr viel längeren Zeitraum umfassen, zwischen 1960 und 1990 nämlich.
König bezeichnet dieses Zeitfenster als „lange Welle“, in der sich der negative Bezug
auf die NS-Vergangenheit zum zentralen Deutungsmuster der politischen Kultur in
der Bundesrepublik ausweitet.37
34 Schwan, Gesine: Politik und Schuld- Die zerstörerische Macht des Schweigens, Frankfurt am Main, 1997, S. 20235 Anm.: Karl Jaspers hatte 1946 die Schuld abgestuft von der politischen über die moralische zur metaphysischen Schuld. Siehe dazu auch: Schwan, G.: Politik und Schuld, 1997, S. 50-54.36 Reichel, P.: Politik mit der Erinnerung, 1995, S.15.37 Vgl. König, H.: Zukunft der Vergangenheit, 2003.
25
Typologien des Gedenkens
Die vierte Phase umfasst die Zeit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten und
damit auch das Aufeinandertreffen zweier disparater Erinnerungskulturen. Das bringt
einerseits einen konjunkturellen Aufschwung in die Erinnerungsdiskurse und ander-
rerseits verändert sich das Gefüge, in dem sich die Erinnerung bisher eingliederte.
Grundlegende Veränderungen in der Erinnerungskultur und im Umgang mit ihr sind
die Folge. Am Beispiel der KZ-Gedenkstätten wird später aufgezeigt, worin sich
diese Wechsel in der Erinnerungskultur widerspiegelt.
Zum anderen verändert sich der gesellschaftliche Blickwinkel auf den
Nationalsozialismus. Die Vergangenheit wird zur Geschichte. Ein Phänomen der
Zeitgeschichte rückt in einen anderen Zeithorizont und stellt die Erinnerungskultur
auch dadurch vor veränderte Rahmenbedingungen.
Natürlich diente diese recht grobe und oberflächliche Einteilung nur der
Orientierung. Die einzelnen Phasen sind eng miteinander verbunden und können
nicht für sich allein ihre Geltung beanspruchen, da sie einander bedingen und auch
zeitlich ineinander übergehen. Die Homogenität der politischen Entwicklungen in den
ersten beiden Phasen ist sicher unstrittig, wogegen die dritte Phase eher durch ihre
Heterogenität der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen besticht. Diesem
Zeitraum ist der Mauerbau und am Ende die Herstellung der deutschen Einheit
zuzuordnen; sie umfasst auch die Spätphase der Regierung Adenauer, die Zeit der
Großen Koalition, die sozialdemokratischen Bundeskanzler Brandt und Schmidt und
die Regierungszeit von Helmut Kohl. In diese Zeit fallen auch die Revolten der
Außerparlamentarischen Opposition, der linke Terrorismus, der Historikerstreit, die
Ausstrahlung des „Holocaust“ - Films und die Rede Richard von Weizsäckers zum
vierzigsten Jahrestag des 8. Mai 1985, in der die Mehrheit der Jüngeren den
Eindruck gewinnen konnte, dass endlich die offizielle Rhetorik zwischen nationaler
Niederlager und politischer Freiheit durchbrochen wurde.38
Bei aller politischer Inhomogenität und allen Spannungsbögen dieser Phase,
erscheint diese aber im Blick auf den Nationalsozialismus als eine große Einheit.
„So zentral wie in dieser langen 30jährigen Welle nach 1960 ist die NS-Vergangenheit nie zuvor im politischen Bewusstsein der Bundesrepublik gewesen.“39
38 Vgl. Jeismann, M.: Auf Wiedersehen Gestern, Stuttgart/München, 2001, S.67.39 König, H.: Zukunft der Vergangenheit, 2003, S.18.
26
Typologien des Gedenkens
Die NS-Vergangenheit wurde zudem zum zentralen Konflikt zwischen den
Generationen, und der Elterngeneration wurde nicht nur die Ungeheuerlichkeit der
NS-Verbrechen, sondern auch die Apologie des Vergessens und Verdrängens zur
Last gelegt.
Gibt es seit den achtziger Jahren ein kontinuierliches Interesse der
Geschichtsdidaktik und der politischen Bildung am Holocaust, so ist das eine
Entwicklung, die aus der „langen Welle“ resultiert. Der Bezug auf die NS-
Vergangenheit und den Holocaust wurde in diesen 30 Jahren zum konfliktträchtigen
Zentralthema, das konkurrenzlos das Feld der politischen Kultur in der
Bundesrepublik beherrschte, zum Kernpunkt des politischen Bewusstseins in der
Bundesrepublik. Mit dem Ende der sozialistischen Systeme in Osteuropa und der
Herstellung der deutschen Einheit wurde die vierte Phase der Auseinandersetzung
mit der nationalsozialistischen Vergangenheit angebrochen.
Der Zusammenbruch der realsozialistischen Systeme und das dadurch bewirkte
Hinzutreten einer zweiten diktatorischen Vergangenheit, die es zu verarbeiten galt,
waren nicht die einzigen Ursachen hierfür. Andere Faktoren kamen hinzu: so fand
die Auseinandersetzung nicht mehr in den „Koordinaten eines familiären oder
intergenerationellen Dramas“40 statt. Zugleich wurde die Verdrängungstheorie, die
besonders die 68er Generation kritisierte, als vorherrschendes Narrativ in der
politischen Selbstdarstellung der Bundesrepublik abgelöst. An ihre Stelle trat zu
Beginn der 90er Jahre die funktionale Gedächtnistheorie, die auf den Soziologen
Halbwachs zurückgeht. Die Unterscheidung zwischen kommunikativem
„Kurzzeitgedächtnis“ und kulturellem Langzeitgedächtnis deutete auf ein erstes
Motiv für die aktuellen Veränderungen im Umgang der Deutschen mit dem
Nationalsozialismus und dem Holocaust.41
2.1.2 Die Erinnerungskultur in der DDR
Anfangs in Kriegsverbrecherprozessen gemeinsam begonnen, trennten sich die
40 König, H.: Zukunft der Vergangenheit, 2003, S.19.41 Bergem, Wolfgang: Barberei als Sinnstiftung? Das NS-Regime in Vergangenheitspolitik und Erinnerungskultur der Bundesrepublik, S. 82, in: Bergem Wolfgang (Hg.): Die NS-Diktatur im deutschen Erinnerungsdiskurs, Opladen, 2003.
27
Typologien des Gedenkens
Wege der Siegermächte schnell, wenn es um die Aufarbeitung der Geschichte ging.
Während in der amerikanischen Zone mit einem „re-education“ - Programm in
kürzester Zeit versucht wurde, liberal- demokratische Werte zu manifestieren,
etablierten die Sowjets im Osten eine Diktatur nach sowjetischem Muster, die sich
als offiziell „antifaschistisch“ begriff.42 So blieb die DDR lange auf ihrem Ritus des
heroisierten kommunistischen Widerstands fixiert. Im übrigen legitimierte diese
Antifaschismus - Ideologie ein Vorbeimogeln an der Geschichte und eine
Distanzierung der fatalen Verbrechen an der Menschheit. Kurz gesagt: der
verordnete Antifaschismus untergrub jegliche Motivation einer aktiven Kontroverse;
per se konnte man sich als Bürger in der Sowjetzone und späteren DDR als
Antifaschist und darum als „gereinigt“ betrachten.
Die Errichtung von Gedenkstätten an den Orten früherer Konzentrationslager ging
zuerst und anfangs vor allem von aktiven Bürgergruppen und ehemaligen Häftlingen
aus. Die „Aktion Sühnezeichen“ übte mit der Unterstützung von zahlreichen
Häftlingsverbänden- und Komitees in den fünfziger und sechziger Jahren
erheblichen Druck auf die Öffentlichkeit aus. Diese Entwicklung geschah
gleichermaßen in den beiden Teilen Deutschlands.43
Die DDR-Staatsführung integrierte die Gedenkstätten in das Herrschaftssystem und
etablierte eine verordnete Erinnerung an den Orten des antifaschistischen Kampfes
und millionenfachen Todes. Dort sollte gezeigt werden,
„…dass es einen heroischen und schließlich siegreichen Widerstand gegeben habe, den der Kommunisten.“44
Diese Selektierung von Erinnerung, im Sinne eines kommunistisch- dominierten
Antifaschismus war bezeichnend für die Erinnerungskultur in der DDR. Einzig der
kommunistische Widerstand wurde als Widerstand anerkannt und nicht nur
mythisiert, sondern vor allem heroisiert, aus ihm bezog man die Legitimation des
Systems. Cora Stephan meint dazu: der Antifaschismus wurde Staatsräson, da nach
dieser Doktrin Faschismus nicht auf dem Boden der Delegitimation der Weimarer
Republik gediehen sei, nicht aus mangelnder Verankerung der demokratischen
Werte im politischen Bewusstsein der Deutschen entstanden ist, sondern sich
42 Vgl. Dittberner, J.: Schwierigkeiten mit dem Gedenken,1999, S. 14.43 Dittberner, J.: Schwierigkeiten mit dem Gedenken, 1999, S. 15.44 Ebd.
28
Typologien des Gedenkens
naturgesetzlich aus der kapitalistischen Gesellschaft ergebe, somit totalitäre Regime
wie die DDR über den Faschismus- Verdacht erhaben seien.45 Der
nationalsozialistische Völkermord hatte keinen Platz in der Faschismustheorie,
wonach vor allem eine kleine Gruppe von Monopolkapitalisten46 für den Aufstieg der
Nationalsozialisten verantwortlich war. Moralisch, aber auch politisch rangierten die
jüdischen Opfer hinter den politischen Gegnern, den Kommunisten und Kämpfern
gegen den Faschismus.
Der Beginn des Kalten Krieges 1948/49 und die Stalinisierung der Sozialistischen
Einheitspartei (SED) führten zu einer zunehmenden Einengung, Vereinheitlichung
und Ritualisierung der offiziellen Erinnerungskultur. Der rote Winkel wurde zum
zentralen und staatsästhetischen Symbol und musste auf allen Denkmalen vertreten
sein.
Den Helden des kommunistischen Widerstandes wurde bei feierlichen Anlässen wie
der Jugendweihe oder der Vereidigung der Nationalen Volksarmee gedacht. Der
DDR-Staatsführung lag es fern, die Gedenkstätten als historische und demzufolge
authentische Orte zu belassen, für getragene Massenveranstaltungen mussten sie
„neukonzipiert“ werden und Systemkonformität erhalten. Mit der Auflösung der
bereits im Februar 1947 gegründeten VVN- Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes47- die unter Druck der SED-Führung als getarnte Selbstauflösung galt,
fielen die Gedenkstätten gänzlich in die Hände staatlicher Organe. Entsprechend
wurden große Aufmarschalleen gebaut, gewaltige Plätze konzipiert, und
überdimensionale Statuen als zentraler Gedenkorte überragten erhaben das
Gelände. Darüber hinaus bekamen die ehemaligen Gedenkstätten Buchenwald und
Mittelbau- Dora einen bezeichnenden Zusatz im Namen, welcher auch pädagogisch
umgesetzt wurde; die korrekte Bezeichnung für diese Orte war nun: „Mahn- und
Gedenkstätte“. Diese kommunistischen Gedenkstätten sprachen eine eigene
Sprache, sie waren der Spiegel für die Erinnerungskultur in der DDR: übergroß und
überformt wollte man ein Zeichen setzen, ein totalitäres System zerschlagen zu
haben. Die authentischen Bauten mussten weichen, um Symbolen und Ritualen
45 Stephan, Cora: Der Betroffenheitskult - Eine politische Sittengeschichte, Berlin, 1993, S. 19f.46 Puvogel, U.: Gedenkstätten, 1998, S. 17.47 Anm.: Die von der VVN errichteten Mahnmale und Gedenksteine, bereits kurz nach Kriegsende, waren ein Zeichen von künstlerisch und individuell getragener Trauer, die gemeinsam, aber überparteilich die Opfergeschichten repräsentieren sollten.
29
Typologien des Gedenkens
einer neuen Diktatur Platz zu schaffen; mithin reichte es aus, den kommunistischen
Märtyrern zu gedenken, eine aktive Auseinandersetzung mit dem Phänomen des
Faschismus wurde nicht zugelassen. Kerngedanke dieser Philosophie war der Sieg
des Sozialismus über den Faschismus. In Ausstellungen, Filmen und
Dokumentationen ging es vorwiegend um die Genauigkeit der Lehre, nicht die der
eigenen Geschichte. Durch diese politische Instrumentalisierung wurde das Erinnern
deformiert- ein verordnetes, gar zwanghaftes Erinnern. Aus einem ehedem
authentischen und glaubwürdigen Antifaschismus wurde ein ideologisches
Herrschaftsinstrument zur moralischen Legitimation der SED-Diktatur.
2.2 Ein vorläufiges Fazit
Der Umgang mit der NS-Erblast war zwischen beiden deutschen Staaten
konfliktreich und innerhalb dieser widersprüchlich. Umstritten ist die Erinnerung an
die Zeit des Dritten Reichs gerade deshalb, weil sie jahrzehntelang eingebunden war
in den innerdeutschen Systemkonflikt. Beide deutschen Staaten haben sich mit Hilfe
ihrer Interpretation voneinander abgegrenzt. DDR und BRD haben sich mit der
symbolischen Vergegenwärtigung der nationalsozialistischen Reminiszenz in
Gedenkstätten und Gedenkfeiern gegeneinander zu profilieren gesucht und um ein
vorteilhaftes Geschichtsbild bemüht. Das ging natürlich nicht ohne Legenden- und
Mythenbildung. Die DDR stilisierte sich im Zeichen des antifaschistischen
Widerstandsmythos an der Seite der Sowjetunion zum Sieger der Geschichte und
zum besseren, neuen Deutschland. Aber auch in der Bundesrepublik Deutschland,
die sich als erklärter Nachfolger des Deutschen Reiches in einer weitaus
schwierigeren Lage befand, hatte Legendenbildung Konjunktur. Letztendlich sind
jedoch alle Versuche der erfolgreichen Mythisierung gescheitert, jedenfalls in ihrem
Bestreben um dominante Geltung.
Die problematischen Erfahrungen aus der DDR, in der Gedenken zum
verordneten und zwanghaften Erinnern wurde und der Antifaschismus zum
Legitimationsinstrument der SED-Diktatur, haben schlussendlich dazu geführt, dass
Gedenken und Erinnern an den Nationalsozialismus von vielen als „autoritär und
30
Typologien des Gedenkens
formelhaft“48 empfunden wurde. Die Folgen dessen, Ressentiments gegen eine
lebendige Gedenkkultur und die gerade in den ostdeutschen Ländern verbreitete
Affinität zu rechtsextremistischen Gruppierungen, können als Resultate einer
unfreien und unstreitbaren Erinnerungskultur betrachtet werden und belasten bis
heute die Ausgestaltung einer lebhaften Gedenkkultur.
2.3 Zur Semantik der Erinnerungskultur
Die hier im Blickfeld stehenden beiden deutschen Nachfolgestaaten des Dritten
Reiches begannen die eigene Geschichte nach 1945 nicht voraussetzungslos. Sie
konnten die Zeit der Hitler-Diktatur nicht überspringen, so sehr sie sich auch
bemühten, an die Weimarer Jahre oder an weiter zurückliegende Epochen und
Traditionen anzuknüpfen. Die einzelnen Entwicklungslinien der Erinnerungskultur
nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben gezeigt, wie unterschiedlich motiviert
eine Gesellschaft mit ihrer eigenen Vergangenheit umgeht. Trotz dem sich die
ersten beiden Phasen durch Verleugnung und Relativitätsbemühungen
ausgezeichnet haben, darf nicht vergessen werden, dass parallel dazu
grundsätzliche Tendenzen innerhalb der Gemeinschaft vorhanden waren, die eine
authentische und nachhaltige Aufklärung der Vergangenheit forderten, auch wenn
diese marginalisiert worden sind. Die Pfleger des kollektiven Gedächtnisses haben
gegen Verleugnen und Vergessen (auch wenn diese ebenfalls Facetten der
Erinnerungskultur sind) nachhaltig zur Entstehung einer Erinnerungskultur
beigetragen haben, die sich im Kern der authentischen Erinnerung stellt. Peter
Reichel beschreibt dies wie folgt:
„Dem Verleugnen und Vergessen der NS-Vergangenheit haben (…) die Zeithistoriker, Denkmalschützer (…), die Schriftsteller und Filmemacher nach Kräften entgegengearbeitet, und dabei (…) Formen und Verfahren der Erinnerung hervorgebracht, ausprobiert und in einer eigenen Kultur der (…) Erinnerungskultur organisiert, ritualisiert und verdichtet…“49
Die von Reichel vorgenommene Begriffswahl ist konsequent und logisch, wenn sie
auch zufällige zu sein scheint. Im Folgenden soll der Begriff der Erinnerungskultur
48 Thierse, Wolfgang: Rede am 24. Oktober 1999 in Buchenwald, S.9, in: Puvogel, U.: Gedenkstätten, 1998.
49 Reichel, P.: Politik mit der Erinnerung, 1995, S.15.
31
Typologien des Gedenkens
näher bestimmt und seiner Logik gefolgt werden. Ferner soll die Mehrdimensionalität
des Terminus aufgezeigt werden und drittens eine Ableitung gefunden, die einer
adäquaten Definition einer Gedenkkultur entspricht. Dabei wird sich stark an die
Vorgehensweise von Peter Reichel angelehnt, da er eine Teilung des Terminus
vornimmt, die als sinnvoll erachtet wird.
2.3.1 Annäherung an den Begriff der modernen Erinnerungskultur
In den letzten Jahre kam es zu einer Ausweitung und Intensivierung sowohl der
neurobiologischen als auch psychologischen Gedächtnisforschung, und die
gleichfalls intensivierte Beschäftigung mit dem Geschichtsbewusstsein und der
Geschichtskultur führten dazu, dass man verstärkt von der Verwendung des
Gedächtnisbegriffs nach Halbwachs abrückte. Selbst die Kulturhistoriker, die der
Theorie des kollektiven Gedächtnisses von Halbwachs zu neuer Aktualität verholfen
haben, sprachen nach der Systematisierung des Gedächtnisbegriffs von
Erinnerungskultur, vor allem auch deshalb, weil die anderen Termini die
charakteristischen Strukturmerkmale einer Erinnerungskultur vernachlässigen, zu
denen die Öffentlichkeit, die Materialisierung und Demokratisierung gehören ebenso
wie die Gebäude und Denkmäler und die speziellen Kommunikations- und
Reflexionsformen an besonderen Gedächtnisorten, den Gedenkstätten und
Denkmälern und den Gedenktagen.
Für die Erinnerungskultur im allgemeinen und jene in Deutschland nach 1945 sind
nicht nur die Zeitverhältnisse relevant, sondern vor allem die politischen
Rahmenbedingungen ausschlaggebend, insofern dass sich das kulturelle an das
politische Teilsystem anschließt. Wenn man nun die Definition der Erinnerungskultur
nach Reichel betrachtet, dann heißt es dort:
„Er [der Terminus der Erinnerungskultur] (…) verweist (.) viel präziser (…) auf das (..) kulturelle Teilsystem,…“50
An dieser Stelle ist ein Exkurs zum Kulturbegriff notwendig. In einer relative weiten
Fassung des Kulturbegriffs, nach Kroeber und Kluckhohn, werden Werte,
Sinndeutungen, ebenso typische Verhaltensweisen und Artefakte darunter
50 Reichel, P.: Politik mit der Erinnerung, 1995, S.331.
32
Typologien des Gedenkens
subsumiert.51 Wenn man allerdings einen charakteristischen Weg einer kulturellen
Gruppe, die ihre gesellschaftliche Umgebung zu erfassen sucht, beschreiben
möchte und als Bestandteile dieser subjektiven Kultur Einstellungen, Glauben,
Meinungen, Werte und Konzepte sowie Erinnerungen aufführt, dann nähert man
sich dem Kulturbegriff von Triandis52. Diese Beschreibung des Kulturbegriffs
rechtfertigt meines Erachtens eindeutig Reichels Verwendung des Kulturbegriffs in
Verbindung mit der Erinnerung. Die Gesellschaft nach 1945, ob Opfer oder Täter,
entsprechen einer kulturellen Gruppe, die auf ihrem charakteristischen Weg die
gesellschaftlichen Einordnung und politische Neuordnung anstrebte. Im Hinblick auf
die Vergangenheit sind spezifische Meinungen, Äußerungen und Konzepte zu einer
Kultur verdichtet worden, deren Träger zwar wiederum nur einen Teil der
Gesamtgesellschaft vertraten, jedoch von dieser mitgetragen worden ist.
Um die Erinnerungskultur als ein kulturelles Teilsystem zu betrachten, ist der
Kulturbegriff von Triandis der geeignetste. Sinnvoll ist jedoch, zwischen der
„gesamtgesellschaftlichen Kultur“, welche die Gesellschaft umfasst und sich in
Mentalprogrammen und Orientierung ausdrückt und Kulturen, die nur „Subsysteme“
umfassen, zu unterscheiden. In diesem Sinne differenziert man die Systemkultur und
Subsystemkultur.53 Daraus kann man ableiten, dass die politische Kultur
beispielsweise nur einen Teilbereich unserer Gesellschaft umschreibt und als solche
zur Subsystemkultur wird. Wenn man nun die Erinnerungskultur per definitionem
betrachtet, dann beschreibt auch diese einen spezifischen Teilbereich. Das heißt,
politische Kultur und Erinnerungskultur sind spezifische Subsystemkulturen. Sie
stellen eine Teilmenge der allgemeinen Kultur dar. Beide repräsentieren nur einen
Bereich des kulturellen Gesamtsystems, aus dem sie herausgelöst nicht existieren
könnten, aber dennoch einen spezifischen Bereich für sich beanspruchen. Die
systematische Einordnung der Erinnerungskultur wird deshalb ostentativ
herausgestellt, weil aufgezeigt werden soll, dass es nicht nur eine temporäre und
51 Dieses angelsächsisch geprägte Konzept des Kulturbegriffs basiert auf den Ansätzen von Kroeber und Kluckhohn, die über 170 verschiedene Kulturbegriffe prägten. Ihre Kulturdefinitionen gehören zu den meist zitierten. Vgl. Wallerath, M.: Reformmanagement als verwaltungskultureller Änderungsprozess, S. 9-37,in: Kluth, Winfried (Hrsg.):Verwaltungskultur, Baden-Baden, 2001.52 Wallerath, M.: Reformmanagement als verwaltungskultureller Änderungsprozess, S. 9-37,in: Kluth, Winfried (Hrsg.):Verwaltungskultur, Baden-Baden, 2001.53 Vgl .Jann, Werner: Staatliche Programme und „Verwaltungskultur“- Bekämpfung des Drogenmißbrauchs und der Jugendarbeitslosigkeit in Schweden, Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich, Opladen, 1983, S.20 f.
33
Typologien des Gedenkens
kulturell integrierte Erscheinung des politischen oder öffentlichen Lebens ist- keine
kurzfristige Angelegenheit einer elitären Gesellschaftsschicht- sondern bereits zum
Bestandteil unseres gesamten politischen Systems der Bundesrepublik avancierte.
Belegen kann man das anhand eines Zitats von König, der meinte, dass bereits in
den 80er Jahren
„…die großen Kontroversen über Vorteile und Gefahren einer ständigen Erinnerung an den Nationalsozialismus (…) zugunsten derjenigen [ausgehen], die in dieser
Erinnerung das zentrale Element der politischen Kultur der Bundesrepublik sahen.“54
Widmet man sich nun dem „gesellschaftlichen Prozesscharakter“ der
Erinnerungskultur nach Reichel, dann gewinnt sie diesen durch ihre verschiedenen
Entwicklungslinien nach Ende des zweiten Weltkriegs bis hin zur Gegenwart.
Der politische Gebrauch der Erinnerung ist zumeist ein wichtiger Teil der
Selbstverständigung pluralistisch verfasster Gesellschaften. Das Gewicht, dass die
historische Argumentation gerade in der deutschen politischen Debatte hat, ist
bekanntlich kaum zu überschätzen, jedoch ist das eine Folge eines langen
Prozesses, so wie es Reichel mit seinem kulturellen Prozesscharakter meint.
Inhärent ist dem kulturellen Prozesscharakter ebenfalls die Kollektivität im
normativen Sinn, denn die Erinnerungskultur als Teilsystem eines Ganzen umfasst
wiederum eine Vielzahl von Akteuren, die eine „kollektive Vergegenwärtigung“
fordern und fördern. Was Anfang der 60er Jahre mit den Aktivitäten von wenigen
begonnen hatte, war nun zum wichtigen Element in der politischen
Auseinandersetzung geworden und mit der Rede des Bundespräsidenten Richard
von Weizsäcker am 8. Mai 1985 im Bundestag wurde das kollektive und wahrhaftige
Engagement mit den höchsten institutionellen Weihen versehen.
Zusammenfassend kann hier konstatiert werden, dass Peter Reichel mit dem
Terminus der modernen Erinnerungskultur sich klar von der Diskussion um die
adäquaten (Erinnerungs-) Begriffe abhebt und auch an den einzelnen
Teilsegmenten der Definition eine Logik erkennbar ist. So wird dem Begriff eine
Vielschichtigkeit zugewiesen, deren funktionelle Wirkung nicht streitbar ist. Ferner
wird die Auffassung vertreten, dass Reichel den Terminus primär verwendet, weil er,
wie Reichel selbst sagt, wesentlich „unpathetischer“ sei, als der in der Literatur
häufig 54 König, H.: Zukunft der Vergangenheit, 2003, S.37.
34
Typologien des Gedenkens
bevorzugte Begriff der Vergangenheitsbewältigung. Allerdings darf nicht übersehen
werden, dass nach Reichels Definition die Erinnerungskultur lediglich einen
deskriptiven, denn analytischen Charakter annimmt.
2.3.2 Ein facettenreicher Terminus
In den letzten Jahre konnte die Erinnerungskultur als Prinzip zunehmend in der
Geschichtswissenschaft sowie in der Politikwissenschaft Verfechter55 finden, die
dazu beigetragen haben, den Terminus „salonfähig“ zu machen. Auch deshalb, weil
es möglich ist, anhand der Erinnerungskultur diverse Richtungen zu beschreiben,
wenn man sich dabei unterschiedlicher Attribute bedient und der Begriff positiv wie
negativ besetzt werden kann. Beispielsweise arbeitet Hockerts vornehmlich mit der
„öffentlichen Erinnerungskultur“ und meint damit die institutionell gestützte Form der
Erinnerung, die sich vom lebendigen Gruppengedächtnis ablöst und von einer
Institution getragen wird.56 Exemplarisch sei hier die 1995 eröffnete Ausstellung über
„Vernichtungskrieg- Verbrechen der Wehrmacht 1941-45“ genannt, die primär vom
Hamburger Institut für Sozialforschung getragen wurde. Der Autor Michael Jeismann
hingegen benutzte in seinem Buch „Auf Wiedersehen Gestern“ gezielt die „politische
Erinnerungskultur“57, um die diskursiven Scharniere der politischen Kultur in der
Bundesrepublik sichtbar zu machen. Angefangen von der bereits erwähnten
Schuldfrage, die Karl Jaspers 1946 von der metaphysischen über die politische bis
zur kriminellen Schuld abgestuft hatte, über den Historikerstreit 1986/7, zur
Wehrmachtsausstellung und den streitbaren Thesen von Daniel J. Goldhagen in
seinem Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ bis zur virulenten Debatte von Walser und
Bubis 1998, zeichnet er den Weg einer politischen Erinnerungskultur, die
ausschließlich reaktiv bleibt und von verschiedenen Kommunikationsformen und
ihrem Echo in der Bevölkerung lebt.
55 Anm.: zu den Vertretern gehören Erik Meyer (Erinnerungskultur als Politikfeld); Michael Jeismann und auch Hans Günther Hockerts.56 Vgl.: Hockerts, H. G.: Zugänge zur Zeitgeschichte, 2001.57 Jeismann, M.: Auf Wiedersehen Gestern, 2001, S.23.
35
Typologien des Gedenkens
2.4 Von der Erinnerungskultur zur Gedenkkultur - Ein Gedankenspiel?
Die Bundesrepublik ist das einzige Land, in dem sich im vergangenen Jahrhundert
nach dem Ende von zwei sehr unterschiedlichen Diktaturen die nachfolgenden
demokratischen Systeme die Aufgabe einer Auseinandersetzung mit der Geschichte
gestellt haben.
Die eingangs aufgestellte These behauptet, dass es durch das Aufeinandertreffen
zweier disparater Erinnerungskulturen, angesichts der notwendigen Korrektur
defizitärer Geschichtsdarstellung und aufgrund des veränderten Zeithorizonts bereits
einen Paradigmenwechsel in der Gedenkkultur gegeben hat. Im Folgenden wird es
anhand verschiedener Veränderungen sichtbar gemacht und verstärkt auf den
veränderten Zeithorizont und seine Konsequenzen eingegangen.
Der Beitritt der früheren DDR zur Bundesrepublik ist geschichtspolitisch ein
Ereignis von großer Tragweite. Die Aufhebung der Teilung Deutschlands hat die
Perspektive auf die deutsche Geschichte im allgemeinen und auf die NS-
Vergangenheit im besonderen verschoben. Einem höchst konfliktträchtigen
Politikfeld wurde die bisherige Grundlage entzogen. Die Bewertung des Hitler-
Regimes wird- vermutlich- auch weiterhin noch kontrovers bleiben, aber sie ist nun
nicht mehr eingebettet in die systempolitische Konfrontation der beiden deutschen
Staaten. In der Konkurrenz der Mythen wurden die Schwächen der geschönten
Geschichtserinnerung aufgedeckt. Das wiederum erleichterte die Korrektur der
einseitigen Geschichtsbilder und normative und wissenschaftstheoretische Fragen
kehrten zurück und hinterfragten das Verhältnis von Mythos und Tatsache.58
Das Zusammenwachsen dieser beiden Erinnerungskulturen erzeugte Spannungen
in der Politik und der Gesellschaft, wie kaum ein anderes Konfliktfeld nach der
Einheit der beiden deutschen Staaten. Denn hier entstand eine neue Form der
Erinnerungskultur, die nicht mehr getragen werden wollte von unterschiedlichen NS-
Diskursen, unterschiedlichen thematischen Akzenten, unterschiedlicher
Emotionalität und auch von unterschiedlich politischen und moralischen Prämissen.
Darüber
58 Brumlik, Micha: Individuelle Erinnerung- kollektive Erinnerung – Psychosoziale Konstitutionsbedingungen des erinnernden Subjekts, S.32, in: Loewy/ Moltmann (Hg.): Erlebnis-Gedächtnis-Sinn: authentische und konstruierte Erinnerung, Frankfurt a.M., 1996.
36
Typologien des Gedenkens
hinaus brachte der veränderte Zeithorizont zwei weitere ihm inhärente Kontrastlinien
mit sich: Die natürliche Generationenabfolge und der stete Verlust der Zeitzeugen
konvergieren mit dem Übergang vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis
und der Historisierung59 der Vergangenheit.
Konzentriert man sich nun auf die Nomenklatur und nicht auf die Faktoren, die
politisch wie gesellschaftlich durch die Konfrontation zweier antagonistischer
Systeme losgelöst werden, dann kann man konstatieren, dass die Bezeichnung
Erinnerungskultur mit der „neuen“ Generation ihre Gültigkeit verliert. Nicht im Bezug
auf das kulturelle Teilsystem, auch nicht- hoffentlich- im Bezug auf die kollektive
Vergegenwärtigung oder den gesellschaftlichen Prozesscharakter, jedoch im Bezug
auf die Erinnerung; das Erinnern ist per definitionem nicht mehr möglich.
So, wie Peter Reichel die Erinnerungskultur definiert, bezieht sie sich ausnahmslos
auf das historische Exemplum der Nazi-Diktatur. In den beschriebenen
Entwicklungslinien wird die Erinnerungskultur auch immer von einer Gesellschaft
getragen, die sich noch aktiv an die Vergangenheit, also die Jahre zwischen 1933
und 1945 erinnern kann. Gemeint wird, dass die Gesellschaft aus Individuen
bestand, die die Fähigkeit hatten, Ereignisse und Prozesse, die zeitlich vorausgingen
gegenwärtig zu repräsentieren- sich zu erinnern- weil sie Teil dieser Ereignisse oder
Prozesse waren. Demgemäß darf nicht übersehen werden, dass mit dem Übergang
zu einem kulturellem Gedächtnis grundsätzlich der Verlust von Zeitzeugen, die sich
als Opfer verstanden, gemeint ist, sondern ebenso der Verlust von Zeitzeugen, die
kategorisch Täter- oder Opfer, vielleicht auch Täter und Opfer waren. Die
Entscheidung für die Ausgestaltung der Sphäre öffentlicher sowie offizieller
Kommemoration wird schon längst von „neuen“ Generationen getragen, deren
erinnerungskulturelle Rückbezüge nicht annähernd in die Zeit der Nazi-Diktatur
reichen. Hinzu kommt der gewichtige Fakt, dass sich für die jüngere Generation,
also die seit 1970 Geborenen, die Frage nach dem Nationalsozialismus vollständig
von der Frage der Schuld ablöst. Der Rückgriff in die Erinnerung und die mögliche
Verflechtung in das Nazi-Regime ist nun immer weniger eine Frage, die mit einem
anklagenden Vorwurf an die Eltern verbunden ist. Nur für die Tätergeneration und
ihre Nachkommen hatte die Frage der Schuld im Blick auf den Nationalsozialismus
59 Vgl. Jeismann, M.: Auf Wiedersehen Gestern, 2001, S.13.
37
Typologien des Gedenkens
eine unmittelbare Bedeutung. Auch in dieser Dimension verwandelt sich die NS-
Vergangenheit aus einem Thema der Erinnerung in ein Feld der Geschichte. Wenn
die lebensgeschichtlichen Erinnerungen an die Zeit zwischen 1933 und 1945
abnehmen, wird dies zu einem Phänomen von künstlich erarbeitetem Wissen und es
ist offenbar: wer wertend erinnert und nicht Teil dieser Erinnerung sein kann, der
gedenkt. Wer den Opfern des nationalsozialistischen Regimes gedenkt, der hat die
Opfer nicht gekannt und ist nicht Teil dieser Reminiszenz. 60
An diesem Punkt stellt sich nun die Frage, ob das Gedenken nicht die Erinnerung als
solche voraussetzt. Durch die Verbindung des kommunikativen Gedächtnisses mit
den kulturellen Rückbezügen wurden immer wieder Formen geschaffen, die die
Vergangenheit reflektieren. Durch die Materialisierung (Fotografien, Zeitdokumente)
und die geschichtsdidaktische Bearbeitung der Geschichte, durch den Einfluss von
neuen Informations- und Kommunikationstechniken ist der Verlust der gespeicherten
Vergangenheit nahezu unmöglich. Es setzt demzufolge nicht die persönlichen
Erinnerungen voraus, sondern hebt sich durch das Fehlen dieser ab. Die fehlende
persönliche Erfahrung ist eine zentrale Voraussetzung der Gedenkkultur und die
Gedenkkultur wiederum ist eine spezifisch moderne Form des kollektiven
Rückbezugs.
Insofern kann zusammenfassend gesagt werden, dass es keineswegs ein
Gedankenspiel ist, sondern mit der Einheit der beiden deutschen Staaten eine Form
der Kommemoration entstand, die sich in den normativen Bezügen zur
Erinnerungskultur zwar nur marginal abhebt, vor veränderten politischen sowie
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen jedoch eine Metamorphose durchlaufen hat
und in der Gestalt einer Gedenkkultur einen eigenständigen definitorischen Raum für
sich beansprucht.
Nachfolgend wird die Spezifik der Gedenkkultur näher beleuchtet und versucht, die
Charakteristika einer Gedenkkultur herauszustellen. Es soll abschließend möglich
sein, die Unterschiede zur Erinnerungskultur prägnant zu nennen.
Kritisch wäre an dieser Stelle anzumerken, dass die Literatur im allgemeinen keine
solche Unterscheidung zwischen dem „Erinnern“ und „Gedenken“ vornimmt, jedoch
beide Begriffe abwechselnd benutzt. Die Mehrzahl der Autoren beschränkt sich auf
60 Vgl. Brumlik, M.: Individuelle Erinnerung, 1996.
38
Typologien des Gedenkens
die zweifelsohne komplizierte Auseinandersetzung mit dem kollektiven Gedächtnis.
Es ist davon auszugehen, dass hier zwei Grundsätzlichkeiten miteinander vermischt
werden. Das kollektive Gedächtnis ist nur ein Erinnerungskonzept, neben dem viele
andere Formen der Erinnerung bestehen, wie beispielsweise die zur Religion
gesteigerte jüdische Mnemotechnik der Gegenerinnerung.61
Ausgenommen von der Kritik seien die Schrift von Micha Brumlik, der eine ernsthafte
Differenzierung zwischen Gedenken und Erinnern vornimmt und die Aussagen von
Dr. Jens- Christian Wagner, der die Erinnerung noch um das Phänomen der
individuellen Trauer62 bereichert und damit belegt, dass:
„(…) die individuelle Trauer von unserer Generation nicht geleistet werden kann. (…) Was ich tun kann, (…) ist eine Art historisches Trauern. (…), um den Verlust von Werten und um den Verlust von Zivilisation, der sich 1933 bis 1945 gezeigt hat, aber ich kann nicht um die individuellen Opfer trauern.“63
Insofern kann die erste These verifiziert werden, dass zwei disparate
Erinnerungskulturen und der veränderte Zeithorizont bereits den ersten
Paradigmenwechsel in der Erinnerungskultur mit sich bringen und der Wechsel sich
nicht nur an der veränderten Begrifflichkeit „Gedenkkultur“ festmacht, sondern auch
eine neue Form des Umgangs mit der Vergangenheit und des Gedenkens
entstanden ist. Das Jahrzehnt nach der deutschen Vereinigung von 1990 markiert
einen Wandel in der Erinnerungskultur der Bundesrepublik, in deren öffentlichem
Diskurs sich der NS-Diktatur mehr erinnert wurde als nie zuvor. Dass sich die
intensive Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit vornehmlich im öffentlichen
Diskurs abspielt, kann hier als symptomatisch für die Entstehung einer Gedenkkultur
erachtet werden. Die öffentliche Kommemoration ist ein elementarer Bestandteil der
Gedenkkultur. Insofern kann durchaus die Vereinigung der beiden deutschen
61 Assmann, Jan: Kollektives und kulturelles Gedächtnis – Zur Phänomenologie und Funktion von Gegen- Erinnerung, S. 29f., in: Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor (Hg.): Orte der Erinnerung – Denkmal, Gedenkstätte, Museum, Frankfurt/ New York, 1999.Anmerkung: Als Urform der Erinnerungskultur gilt die Religion und im Besonderen der jüdische Glaube. Man spricht hierbei von der Lehre des Deuteronomiums im Alten Testament. Es geht um die Befreiung der Hebräer aus der ägyptischen Knechtschaft und die 40 Jahre dauernde Wüstenwanderung, an deren verheißungsvollem Ende der sterbende Moses eine Abschiedsrede hält, in der er dem Volk Israel eine Erinnerungspflicht und ein Vergessensverbot auferlegt. Die kulturelle Formung geschieht durch Riten, Inschriften und mittels der Pädagogik und konnte so lange bewahrt sein. Das Mosaische Erinnerungsimperativ gilt noch heute im Sabbath beispielsweise fort.62 Anm.: Dieser künstlich anmutende Begriff geht auf ein Konzept von Jörn Rüsen zurück; vgl. dazu: Rüsen, Jörn: Trauer als historische Kategorie- Überlegungen zur Erinnerung an den Holocaust in der Geschichtskultur der Gegenwart, in: Loewy/ Moltmann (Hg.): Erlebnis-Gedächtnis-Sinn, Frankfurt a.M., 1996.63 Interview in Nordhausen am 13. April 2004 mit dem Gedenkstättenleiter Dr. Jens-Christian Wagner.
39
Typologien des Gedenkens
Staaten als erinnerungskulturelle Zäsur betrachtet werden, die neben anderen
Faktoren die Entstehung einer Gedenkkultur evoziert.
40
Typologien des Gedenkens
„…nur was nicht auf-
hört, wehzutun,
bleibt im Gedächtnis.“
(Friedrich Nietzsche)
3. Ansätze zur Genese einer Gedenkkultur
Es gibt in unserer Kultur und in dem dieser zugrunde liegenden Wissensschatz, dem
kulturellen Gedächtnis keine Muster mehr, die uns helfen könnten, im Ernstfall das
Richtige zu tun. Nach dem zivilisatorischem Bruch, dem Holocaust, gibt es in
unserer Gesellschaft keine allgemein verbindliche Art mehr, mit dem Tod und der
Trauer umzugehen. An dieser Stelle mag nun ein wiederholtes Mal eingewandt
werden, dass die Trauer- und Versöhnungskonzeptionen der kulturellen
Gesellschaften und dem individualisierten Töten und Sterben auf Schlachtfeldern auf
das, was wir mit „Auschwitz“ umschreiben, in keiner Weise zutreffen. Arbeitsteilige,
kollektive Täter und anonymisierte, zur bloßen Zahl gerichtete Opfer, übersteigen
jedes Maß von Gerechtigkeit und Gnade, und jede Form des tradierten Gedenkens
wird obsolet.64 Hinzu kommt der Fakt, dass die große Mehrheit der Deutschen, so
nämlich Margarete und Alexander Mitscherlich bereits 1967, sich nach 1945 nicht als
betroffen erklärte und so ein Zustand von kollektiver Infantilität zementiert wurde, der
der Gesellschaft nachhaltig die Fähigkeit raubte, zu trauern.65 Es existieren zwar
vage Vorstellungen von Würde und Pietät, aber konkrete Verhaltensmuster fehlen.66
Mit dem Begriff der modernen Erinnerungskultur wird in der Retrospektive eine
gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland beschrieben, die sich in mehr oder
weniger öffentlichen Symbolen, Riten und Gedenktagen verdichtet.
Die Gedenkkultur ist hingegen eine Erscheinung, die sich nach der Vereinigung der
beiden disparaten Erinnerungskulturen und dem Zusammenwachsen der beiden
64 Vgl. Brumlik, Micha: Gedenken in Deutschland, S. 115f., in: Platt, Kristin/ Heil, Susanne. (Hg.): Generation und Gedächtnis- Erinnerung und kollektive Identitäten, Opladen, 1995.65 Vgl. Weiss, Matthias: Sinnliche Erinnerung- Die Filme „Holocaust“ und „Schindlers Liste“ in der Zeit der bundesdeutschen Vergegenwärtigung der NS-Zeit, S.72, in: Frei, Norbert/Steinbacher, Sybille (Hg.): Beschweigen und Bekennen- Die deutsche Nachkriegsgesellschaft und der Holocaust, Göttingen, 2001, Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, Band 1.66 Vgl. Wossidlo, Joachim: Das endliche Fleisch und das unendliche Leben - Von der Tötung des Todes im kollektiven Gedächtnis- Gedanken eines Ethnologen zum Umgang mit Leichen in Berlin, in: Siggelkow, Ingeborg (Hg.): Gedächtnisarchitektur: Formen privaten und öffentlichen Gedenkens, Frankfurt a. M., 2001, Kulturwissenschaften, Band 1.
41
Typologien des Gedenkens
deutschen Staaten herausgebildet hat. Sie ist eine Erscheinungsform, die nicht mehr
im Respekt politischer Instrumentalisierung steht und sich den neuen
Rahmenbedingungen, sowohl politisch, als auch ästhetisch-gesellschaftlich
anpassen musste. Die Zeit, in der die zuständigen Regierungen versuchten,
authentische Orte wie Auschwitz oder Buchenwald mit einer eindeutigen politischen
Botschaft zu verquicken, scheinen vorbei zu sein. Diese Gedenkkultur ist der fiktive
Rahmen in dem die “komparative Analyse der beiden deutschen Diktaturen“67
stattfindet. Für diese beiden Diktaturen gilt nun, nach dem Zusammenbruch der
DDR, die „doppelte oder zweifache Vergangenheitsbewältigung“. Ferner rückt die
DDR-Vergangenheit perspektivisch in die Nähe der NS-Vergangenheit, was
wiederum eine breit geführte Diskussion über die Zulässigkeit des
Diktaturenvergleich loslöst. Letztendlich hat die intensive Betrachtung der Art und
Weise, in der die DDR ihre eigenen Vergangenheit aufarbeitete, das Interesse am
bundesdeutschen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit nicht nur
revitalisiert, sondern auch neu akzentuiert. Auch dafür steht die Gedenkkultur.
Es wäre vermessen anzunehmen, dass die Gedenkkultur in Abgrenzung zur
Erinnerungskultur ein adäquates Verhaltensmuster zur ästhetischen Form des
Gedenkens vorweisen könne. Es ist allerdings zu beobachten, dass nach dem
Oktroyier einer vorgeformten Erinnerung die Erinnerung zunehmend ihren
Zwangscharakter verlor. Sie rückte stärker in das Bewusstsein der Menschen als
notwendiger Bestandteil von Identität und Selbstreflexion. Eine Vielzahl von
gesellschaftlichen Gruppen und unterschiedlichen Trägern von Gedenkideen führte
zu einer stärkeren Ausdifferenzierung des Gedenkens und Erinnerns. Alte Muster
und Riten wurden aufgebrochen und symbolische Akte und Trauerrituale
verschmolzen zu einer individuellen Zeremonie von Angehörigen und Überlebenden
einer Opfergruppe. Immer wieder wurde nach der Wiedervereinigung der Wunsch
von Überlebenden und Häftlingsorganisationen deutlich, dass eine Vereinheitlichung
in öffentlichen Akten nicht den Vorstellungen adäquaten Erinnerns entspricht. Dies
formulierte im Interview der Gedenkstättenleiter Dr. Thomas Rahe der Gedenkstätte
Bergen-Belsen wie folgt:
„(…)- ich finde, es muss auch immer die Individualität des Erinnerns auch gewahrt 67 Bergem, W. : Barberei als Sinnstiftung? S. 93, in: Bergem (Hg.): Die NS-Diktatur im deutschen Erinnerungsdiskurs, Opladen, 2003.
42
Typologien des Gedenkens
bleiben. (…) Es gibt also auch Juden die sagen mit guten Gründen: ‚Warum müssen wir immer zusammen mit den Sinti und Roma und den politisch Verfolgten gemeinsam gedenken? Warum dürfen wir nicht unsere eigenen individuellen, das heißt jüdischen Erinnerungsformen haben? Das meint ja nicht, dass wir die anderen missachten oder ausschließen vom erinnern, aber wir möchten doch auch nicht unter dem kleinsten gemeinsamen Nenner zusammengefasst werden, sondern wir möchten unsere
eigene Erinnerungsform eben auch haben.’ Das eine schließt das andere wahrlich nicht aus (…).“68
Den Verlust der Identität und Individualität erfuhren sie als Inhaftierte in den
Konzentrationslagern, auch nach Kriegsende mussten sich die ehemaligen Häftlinge
den erinnerungskulturellen Dogmen der jeweiligen politischen Systeme beugen.
Eine „Gleichschaltung“ im gegenwärtigen Gedenken erscheint deshalb nahezu
grotesk und den Forderungen nach individuellen Ritualen und Formen, die nicht nur
der eigenen Kultur entsprechen, sondern auch den emotionalen Bedingungen
gerecht werden, wurde nach der Wiedervereinigung zunehmend nachgegangen.
Eine moderne und funktional differenzierte Gesellschaft benötigt ein Gedenken,
welches eine große Zahl an Möglichkeiten des Vergessens und Erinnerns
verarbeiten und zugleich reflektieren kann. Die Liberalisierung und Öffnung der
Gedenkplattform, nach der Einheit der beiden deutschen Staaten, konnte parallel die
Ausbildung neuer Gedenkformen fördern und etablierten und anerkannte Rituale
stärken. Dazu beigetragen haben vor allem die beiden Enquête-Kommissionen des
Deutschen Bundestages und die stets virulente Mahnmal-Debatte. Beiden Formen
und Foren der Diskussion um und über eine Vergangenheit war gemein, dass sie
erstmals öffentlich und transparent als parlamentarisch-politische Debatte geführt
worden sind.
In einer pluralistischen Demokratie scheint ein „Pluralismus im Gedenken“ eine
logische Folgerung des Umgangs mit der Vergangenheit zu sein. Dass sich die
angemessene Form des Umgangs mit den Opfern in pathetischen Trauermärschen
erschöpfte und der Holocaust, mit allem was mit ihm zusammenhängt, nicht
künstlerisch darstellbar sei, war allerdings bereits zur herrschenden Lehre
geworden. Zwar sind die vorgelagerten Besorgnisse, dass die künstlerische
Auseinandersetzung
68 Zitat aus dem Interview vom 4. März 2004 mit dem Gedenkstättenleiter Dr. Thomas Rahe, KZ- Gedenkstätte Bergen-Belsen.
43
Typologien des Gedenkens
verharmlosend wirken könne, durchaus berechtigt. Doch dürfen diese Besorgnisse
nicht verhindern, dass sich mannigfaltige Formen der Auseinandersetzung mit der
Vergangenheit ausprägen. Die politisch-öffentliche Form der Kommemoration kann
und darf nicht die einzig angemessene Form des Gedenkens sein.
Dementsprechend fanden zuerst unterschiedliche Häftlingsverbände und
Vereinigungen verschiedene Wege, ihre Trauer zu präsentieren. Fahnenappelle mit
fast militärischem Charakter oder bedrückende Gedenkriten dienten nicht nur der
Abgrenzung von anderen Opfergruppen, sondern auch der Individualisierung im
Trauern und Erinnern. Verstärkt wurden künstlerische Instrumente eingesetzt und
gezielt andere Ausdruckskanäle gesucht, um den starren Mustern (der
Gleichförmigkeit), beispielsweise einer Kranzniederlegung, etwas individuelles
entgegenzusetzen. Neben der kognitiven Dimension der Gedenkkultur, bereichern
zunehmend die ästhetisch-künstlerische und die emotional-affektive Dimension den
formellen Trauer- und Gedenkakt, insbesondere am authentischen Ort.
Ausstellungen, Plastiken oder sog. Performances (Lesungen und
Theaterstücke) sind Ausdruck der ebenenübergreifenden Aktualität zum Thema NS-
Vergangenheit und ihrer Verbrechen. Auch dort, wo es um verschiedene
Gedenkformen und- Riten geht, wird um Gedenksymbole gekämpft. Das liegt meiner
Auffassung folgend in der Logik der Gedenkkultur. Denn es geht in ihr ja nicht mehr
einfach und hauptsächlich um die Vergangenheit, sondern vor allem um die
Gegenwart. Es ist das Bestreben der Mitglieder unseres kollektiven Gedächtnisses
in ihrer stilistischen persönlichen Art einen Weg zu der Auseinandersetzung mit der
Vergangenheit in der Gegenwart zu finden und ggf. auch Formen für zukünftiges
Gedenken zu konstruieren; es bildlich, architektonisch und museografisch
darzustellen.
Die Gedenkkultur als solche zeichnet sich nicht zuletzt durch den
Generationenwechsel aus, der unweigerlich von einem kommunikativen, von
Zeitzeugen getragenem Gedächtnis hin zu einem kulturellen Gedächtnis führt. Der
Verlust der kommunikativen Authentizität führt innerhalb der Neukonzeptionen der
Gedenkstätten zu diversen Schwierigkeiten. Hauptaufgabe der Gedenkstätte wird
nun zunehmend die Vermittlung von Geschichtsbewusstsein und die wertfreie
Vermittlung von Fakten. Im Vordergrund steht nicht mehr die Gedenkstätte als
44
Typologien des Gedenkens
Grabmal. Die Generationen, die folgen, können nicht mehr betrauern und erinnern,
denn anonyme Opfer zu betrauern, stellt einen unleistbaren Akt dar. Für uns, und
die nachfolgenden Generationen, ist der Weg einer authentischen Trauer, wenn es
um die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen geht, verstellt.
„Angesichts des Holocaust trauern wir über den Verlust (..) einer mehrtausend-jährigen Kultur der Humanisierung des Menschen.“69
Notwendigerweise müssen wir uns nun eine andere Form des Trauerns suchen -
eine Form, die losgelöst vom persönlichen Verlust existiert. Rüsen stellt dafür das
„historische Trauern“ zur Diskussion und beschreibt die Trauer als Kategorie der
historischen Sinnbildung.70 Dem einen nachvollziehbaren Sinn anzubringen, ist nicht
eben leicht. Die Frage des richtigen Gedenkens sollte einer normativ angemessenen
Konzeption entspringen, das heißt vor allem einer Konzeption, die nicht mehr von
lebendigen Zeitzeugenaussagen und dem direkten Gespräch bestimmt ist und einer
ausdifferenzierten und individualisierten Gesellschaft gerecht werden kann. Es muss
auch eine Konzeption sein, die zukünftig in ihrer Gestaltung nicht mehr von
Häftlingsverbänden, in denen tatsächlich Überlebende des Holocaust vertreten sind,
getragen werden, sondern von ihren mehr oder minder legitimierten Nachfolgern.
Da der bedingte Generationenwechsel und das historische Verhältnis der
Generationen, insbesondere der zukünftigen, zum Holocaust ein zentrales Element
der Gedenkkultur sei, wird für den Terminus des Gedenkens plädiert. Er ist sehr viel
präziser und zugleich facettenreicher, dabei allerdings weniger an der
psychoanalytischen Leistung des Erinnerns angelehnt. Das Gedenken - das
respektvolle, würdigende und historische Erinnern an die Opfer des Holocaust - ist
zentrales, konstitutives und notwendiges Element der Gedenkkultur. Die
Gedenkkultur selbst ist wiederum eine Subkultur, die ein Bestandteil unserer
politischen Kultur ist und evidenter Bestandteil der erneuerten Demokratie in
Deutschland.
69 Rüsen, Jörn: Trauer als historische Kategorie- Überlegungen zur Erinnerung an den Holocaust in der Geschichtskultur der Gegenwart, S. 75, in: Loewy/ Moltmann (Hg.): Erlebnis-Gedächtnis-Sinn: authentische und konstruierte Erinnerung, Frankfurt a.M., 1996.70 Ebd.
45
Typologien des Gedenkens
3.1 Abgrenzung zum Terminus der modernen Erinnerungskultur
Zur Abgrenzung der Gedenkkultur zum Begriff der modernen Erinnerungskultur sind
zwei Bedingungen konstruiert worden, die eine Abgrenzung der beiden Termini
voneinander plausibel machen. Die Faktoren werden stichpunktartig entweder den
notwendigen Bedingungen zugeordnet oder für die hinreichenden Bedingungen
unentbehrlich.
Die notwendigen Bedingungen können wie folgt zusammengefasst werden:
die Einheit Deutschlands durch den Beitritt der Deutschen Demokratischen
Republik Deutschlands zur Bundesrepublik Deutschland (3.10.1990),
das Aufeinandertreffen zweier disparater Erinnerungskulturen und das
Herauslösen der authentischen Orte aus der Instrumentalisierung,
die Notwendigkeit zur Auseinandersetzung mit der DDR- Geschichte und den
Folgen der SED-Diktatur,
die Einsetzung von aufeinander folgenden Enquete-Kommissionen des
Deutschen Bundestages und der damit verbundene öffentliche Diskurs,
die neue Rolle des Bundes in der Kulturpolitik – die finanzielle Unterstützung
der Gedenkstätten,
die Neukonzeption der KZ-Gedenkstätten und ihr Umbau (wissenschaftliche
und pädagogische Aufarbeitung der Geschichte der Konzentrationslager),
der Generationenwechsel und der damit verbundene Übergang vom
kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis und
die internationale Wahrnehmung des Umgangs mit unseren historischen
Stätten, besonders den KZ-Gedenkstätten.
Hier sei zunächst konstatiert, dass mit den Beschlüssen zur Gedenkstättenförderung
und der damit angenommenen Verantwortung des Bundes, die Gedenkkultur sich
als konventionelles Politikfeld etablieren konnte. Sowohl der forcierte Übergang zum
kulturellen Gedächtnis als auch die staatliche Einigung rücken die Bedeutung von
kollektiv verbindlichen Entscheidungen innerhalb der Gedenkkultur in den
Vordergrund. Folglich steht die Gedenkkultur sinnbildlich zuerst für einen politisch-
instrumentellen Umgang mit der Geschichte und der Wissenschaft zur Beeinflussung
von gegenwärtigen Debatten. Demgegenüber soll jedoch akzentuiert werden, dass
46
Typologien des Gedenkens
sich die Diskurse nicht in symbolischer Politik erschöpfen, sondern die Gedenkkultur
als aktives Politikfeld seitens des politisch-administrativen Systems auch
Entscheidungen im Sinne von Verwaltungshandeln und in Gesetzgebung fordert. Die
Gedenkkultur in Abgrenzung zur Erinnerungskultur, ist zum konventionellen
Politikfeld gereift und aktiver Bestandteil der politischen Kultur.
„Das Gedenken an die NS-Zeit ist fester Bestandteil der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland.“71
Fügt man nun noch die hinreichenden Bedingungen an, dann sind das folgende:
die Pluralisierung und Differenzierung des Gedenkens;
Verlust der persönlichen Trauer als tragendes Element der Gedenkriten
die Ausbildung von verschiedenen Gedenktypologien und
die Institutionalisierung des Gedenkens.
Neben den Veränderungen, die sich nach 1990 vorwiegend in der politischen
Sphäre zeigten und damit eine weiterentwickelte Erinnerungskultur, nämlich eine
Gedenkkultur, hervorbrachten, haben sich parallel dazu auch innerhalb der
gesellschaftlichen Sphäre Veränderungen ergeben. Zum Teil sind sie ein Resultat
der politischen Entscheidungen, zum Teil auch Ergebnisse einer Entwicklung, die
auf die Liberalisierung und Institutionalisierung des Gedenkens zurückzuführen sind.
Unter dem Deckmantel der offiziellen Sinnstiftung, was mithin als institutionalisierte
Form des Gedenkens bezeichnet wird, kommt indes immer mehr die Vielstimmigkeit
und damit auch die Unvereinbarkeit von Erinnerung zum Vorschein. Mit der
Erweiterung des Wirkungsradius innerhalb der gesellschaftlichen Segmente
entstehen in der Gedenkkultur auch eine Vielzahl von miteinander konkurrierenden
Handlungs- und Gedenkmustern. Diese verschiedenen Ausprägungen des
kulturellen Umgangs mit der Vergangenheit können nach unterschiedlichen
Merkmalen in Gruppen eingeordnet werden. In Bezug auf die Gedenkkultur können
so unterschiedliche Typologien gebildet werden, die inhärenter Bestandteil und
signifikantes Merkmal der Gedenkkultur sind. Anschließend wird noch auf diese
Typologien des Gedenkens eingegangen werden.
Letztlich wird sich diese mögliche Form der Gedenkkultur auch an ihrer
71 Kölsch, Julia: Politik und Gedächtnis: Die Gegenwart der NS-Vergangenheit als politisches Sinnstiftungspotenzial, S.138, in: Bergem, W. (Hg.): Die NS-Diktatur im deutschen Erinnerungsdiskurs, Opladen, 2003.
47
Typologien des Gedenkens
Resistenz gegen Instrumentalisierung und innerer Konsensfähigkeit messen lassen.
Sie wird ebenso ein Parameter dafür sein, inwiefern es möglich ist, einen
gesellschaftlichen und politischen Grundkonsens im Umgang mit unserer rezenten
Vergangenheit in unserem politischen und sozialen Umfeld zu verankern. Die
Gedenkkultur beansprucht aber auch die Einsicht für sich, dass die Erinnerung und
das zukünftige Gedenken an die NS- Vergangenheit eine für die politische Kultur in
Deutschland konstitutive Rolle72 spielt und nicht mehr allein ex negativo geschieht.
Ein vergangenheitspolitischer Auftakt für diese Identifikation ist dem
Einigungsvertrag vom August 1990 zu entnehmen:
„…der Vertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR über die Herstellung der Einheit Deutschlands werde geschlossen ‚im Bewußtsein der Kontinuität deutscher Geschichte und eingedenk der sich aus unserer Vergangenheit ergebenden besonderen Verantwortung für eine demokratische Entwicklung in Deutschland, die der Achtung der Menschenrechte und dem Frieden verpflichtet bleibt’.“73
Angesichts der Befunde, soll hier ein Definitionsvorschlag für den Begriff der
Gedenkkultur unterbreitet werden:
Die Gedenkkultur ist eine historiografische Subsystemkultur, die miteinander konkurrierende Gedenktypologien in sich vereint und eine Gedenkskizze für eine ausdifferenzierte und individualisierte Lebenswelt anbietet.
Diese Definition bezieht sich ausschließlich auf den gesellschaftspolitischen Umgang
mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik Deutschland. Damit ist diese
Definition auch auf unser politisches System und die sich auf deutschem
Staatsgebiet liegenden KZ-Gedenkstätten, respektive Gedenkorte und Mahnmale,
die in Zusammenhang mit der NS-Vergangenheit stehen, festgelegt.
Nach dieser vornehmlich theoretischen Außenansicht sollte nun durch die
Experteninterviews erfahren werden, inwiefern sich eine Gedenkkultur tatsächlich
nachweisen lässt, sozusagen als „praktische Innenansicht“. In den geführten
Interviews konnte die Existenz einer Gedenkkultur bestätigt werden. Die
Ausgangsvermutung, man könne in den Aussagen der KZ-Gedenkstättenleiter eine
umfassendere Definition von Gedenkkultur entnehmen, die sich weit mehr von dem
72 Vgl. Weiss,. Matthias: Sinnliche Erinnerung, S. 71-102, in: Frei/ Steinbacher (Hg.): Beschweigen und Bekennen, Göttingen, 2001.73 Bergem, W.: Barberei als Sinnstiftung? S. 97, in: Bergem (Hg.): Die NS-Diktatur im deutschen Erinnerungskurs, 2003.
48
Typologien des Gedenkens
offiziellen Teil der Gedenkkultur abhebt, die sich fast ausschließlich in ritualisierten
Gedenkveranstaltungen widerspiegelt, wurde nicht bestätigt. So meint Dr. Rahe
(Gedenkstätte Bergen-Belsen) dazu:
„Es hat sich längst etwas eingespielt, (.) diese Gedenkveranstaltungen, (…) diehaben so ein bestimmtes Muster nach dem sie ablaufen, dass ist in Buchenwald
sicher auch nicht anders. Insofern gibt es so etwas wie ein eingespieltes kulturelles Phänomen, wenn man so will. Eigentlich würde ich die Frage tendenziell mit ja beantworten,…“.74
Der Gedenkstättenleiter Dr. Wagner (Mittelbau-Dora) spricht sogar von einer
„umfassenden Gedenkkultur“ und definiert diese wie folgt:
„… die [Gedenkkultur] beinhaltet verschiedene Weisen der Auseinandersetzung, auch verschiedene Weisen, sich der Geschichte anzunähern, mal auf emotionaler, affektiver, mal auf kognitiver, mal auf wissenschaftlicher Ebene.“75
Jedoch bezieht auch er sich grundsätzlich nur auf die Herangehensweise innerhalb
einer Form des Gedenkens und zwar der des Gedenkens am authentischen Ort.
Alle drei Befragten konstatierten, dass die Gedenkkultur sich durch stark ritualisierte
Elemente in Form von Gedenkveranstaltungen und Gedenkzeremonien auszeichnet,
und dass sie überzeugt sind, dies sei in unserer Gesellschaft die gewünschte
Umgangsweise. Günter Morsch, der Direktor der Stiftung Brandenburgische
Gedenkstätten sagt eindeutig:
„…zum Gedenken gehört natürlich das Ritual per definitionem dazu… Wenn Sie sich die Geschichte des Gedenkens und Erinnerns anschauen, nicht nur was den Nationalsozialismus anbetrifft, (…) dann werden Sie merken, dass dazu immer eine gewisse Regelmäßigkeit gehört, das ist, glaube ich, gar nicht zu vermeiden.“76
Da der Begriff der Gedenkkultur in der Frage bereits vorgegeben war, konnte sich
einer Diskussion um die adäquaten Begriffe entzogen werden. Die implizierte
Abgrenzung zum Terminus der Erinnerungskultur konnte allerdings nur von einem
Befragten erkannt werden. Den gezielten Gebrauch der Gedenkkultur unterstrich der
Gedenkstättenleiter Dr. Wagner mit der Aussage, dass:
„(…) jemand der nicht Zeitzeuge gewesen ist, sich auch nicht erinnern kann.“77
Damit wird auch in seiner Betrachtung der Gebrauch des Terminus
Erinnerungskultur hinfällig, wodurch Beurteilung, den Terminus des Gedenkens zu 74 Interview, Bergen-Belsen, März 2004.75 Zitat aus dem Interview vom 13. April 2004 mit dem Gedenkstättenleiter Dr. Jens-Christian Wagner, KZ- Gedenkstätte Mittelbau-Dora.76 Zitat aus dem Interview vom 9. März 2004 mit dem Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Herrn Prof. Dr. Günter Morsch.77 Interview, Mittelbau-Dora, 2004.
49
Typologien des Gedenkens
präferieren bestätigt wird.
3.2 Die Konstituanten der Gedenkkultur
Nachdem die Bedingungen für die Eingrenzung einer Gedenkkultur nach der
Wiedervereinigung genannt worden sind, sollen nun die Konstituanten dieser
bestimmt und nachfolgend gezielt auf die Gedenktypologien eingegangen werden.
In den geführten Interviews ist bei der Frage nach den Konstituanten der
Gedenkkultur aufgefallen, dass sie für die Befragten keine herausragende Rolle zu
spielen scheinen. Ein differenzierte Betrachtung der Gedenkkultur und die
Hervorhebung von verschiedenen Gedenktypologie konnte den Aussagen
keineswegs entnommen werden. Vielmehr sehen die Befragten die Konstituanten
der Gedenkkultur beinahe ausschließlich in der Verdichtung von Ritus und Symbolik
und reduzieren die Konstituanten der Gedenkkultur auf die Gedenktypologie der
öffentlichen Kommemoration, also die öffentliche und stark ritualisierte zum Teil
politisch getragene Gedenkveranstaltungen, wie die Tage der Befreiung der
einzelnen Gedenkstätten respektive den bundesweiten Gedenktag am 27. Januar.
So wie die Gedenkkultur vorgestellt und definiert wurde, ergibt sich jedoch eine
Vielzahl von Möglichkeiten des Umgangs mit der rezenten Vergangenheit, die sich
nicht ausschließlich auf die öffentliche Kommemoration beschränken. Es wurde
deshalb der Versuch gewagt, die unterschiedlichen Ausdrucksformen in einer
größeren spezifischen Gruppe zu verdichten und einer Gedenktypologie
zuzuordnen. So ergeben sich die unterschiedlichen Gedenktypologien als
elementare Bestandteile der Gedenkkultur, die über die Foren des öffentlichen
Gedenkritus hinausgehen. Die verschiedenen Gedenktypologien, die nachfolgend
kurz vorgestellt werden, sind inhärenter Bestandteil der Gedenkkultur, die sich nach
der Einheit der beiden deutschen Staaten herausgebildet hat.
50
Typologien des Gedenkens
3.2.1 Typologien des Gedenkens
Die Gedenktypologien sind nicht nur ein Resultat von einer Pluralisierung und
Liberalisierung des Gedenkens, sondern auch logisches Resultat einer
Verschiebung des gesellschaftlichen Verständnisses von Gedenkformen und
Gedenkästhetik. Die Gedenktypologien sind außerdem allesamt Ausdruck objektiver
Gültigkeit, partikularer Befindlichkeit und einer Weiterentwicklung unseres kollektiven
Gedächtnisses, das sich verstärkt einer modernen und differenzierten Umgebung
anpasst. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse bestätigt meine Aussage und
beendet -unbewusst oder bewusst- die Debatte, um die „angemessene Form des
Gedenkens“ mit folgender Prognose:
„Auch wenn die uns Nachkommenden ihre eigenen Formen des Gedenkens entwickeln werden, die womöglich unseren Kategorien nicht immer entsprechen: haben wir Grund zu der Annahme, daß sie weniger verletzbar wären, weniger Gefühle hätten als wir oder daß wir begabter wären für Trauer und Empathie?“78
Die einzelnen Typologien sind der Ausdruck der individuellen Auseinandersetzung
mit der Vergangenheit und auch Resultat des Übergangs in ein „Zeitalter ohne
Zeitzeugen“. Die Gruppenzuordnung basiert auf einer Gesamtheit von Merkmalen,
die sich im engeren Sinn mit der Nationalsozialistischen Diktatur und deren
Verbrechen beschäftigt und im weiteren Sinn die Folgen dessen zu verarbeiten
sucht.
Eine gezielte Abgrenzung der einzelnen Typologien ist nicht sinnvoll, da sich die
Typologien gegenseitig bedingen und meiner Auffassung folgend, einer Typologie,
der Urform des Ganzen entspringen: dem Gedenken am authentischen Ort. Das
Gedenken an authentischen Orten- an den KZ-Gedenkstätten- ist eine eigene
Gedenktypologie; sie ist der Urtyp des umfassenden Gedenkkonzepts.
Das Gedächtnis der Orte verbürgt die Präsenz des Toten und die „steinernen
Zeugen“, die historischen Relikte am Ort, dokumentieren, dass sich die Geschichte
tatsächlich ereignet hat. Neben den kognitiven Prozessen sind an den authentischen
Orten durch ihre Ultrapräsenz auch auratische Empfindungen möglich. Insofern wird
ein vitaler Bezug zu den authentischen Orten mit zunehmendem zeitlichen Abstand
78 Thierse, Wolfgang: Statt eines Geleitwortes, S.9, in: Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus- Eine Dokumentation, Einleitung, Berlin, 1999, Bundeszentrale für politische Bildung, Band II.
51
Typologien des Gedenkens
elementarer Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses.
Die KZ-Gedenkstätten visualisieren den Prozess der Erinnerung und des
Vergessens oder Verdrängens, auch der kulturellen Umformung und
Instrumentalisierung. Sie sind die Bedingung für das Entstehen einer öffentlichen
Kommemoration und sie sind die Ursache dafür, dass Probleme über die
Kommunikation und Konstruktion von Erinnerung sowie der Imagination von
Verlorenem und der Repräsentation des Abwesenden thematisiert werden.
Pathetisch bezeichnet, sind die Gedenkstätten das Spiegelbild der rezenten
Erinnerungskultur und momentanen Gedenkkultur. Damit bekommt diese Typologie
eine herausragende Stellung zugewiesen, die sich aus ihrer Multifunktionalität
einerseits und dem normativen Anspruch an diese begründet.
Sie sind Orte, die für die nachfolgenden Generationen einen räumlichen und
sinnlichen Bezug zu dieser Vergangenheit herstellen und durch ihre monumentale
Authentizität die Verbrechen veranschaulichen und das über einen greifbaren
Zeithorizont hinaus79. Sie sind konkret und doch vielfältig in den unterschiedlichen
Perspektiven; die KZ-Gedenkstätten stehen gegen jegliche Form von
Relativitätsbemühen. Überdies ist die Form der Monumentalisierung des Gedenkens
für uns von besonderer Bedeutung, weil man auf diese Weise der „Abstraktion des
Erinnerns ein verkörperlichtes Monument“80 entgegensetzen kann. Die
Konservierung der authentischen Orte ist zudem geleitet, die Massenverbrechen
dauerhaft im kollektiven Gedächtnis zu verankern. Zudem erhofft man sich von den
Erinnerungsorten, so der normative Ansatz, über den Informationswert hinaus, dass
diese ein aktives und ortsunabhängiges Geschichtsbewusstsein vermitteln.
Historisch und pädagogisch begründet, nehmen die KZ-Gedenkstätten die primäre
Stellung innerhalb des Gedenkzyklus ein. Als Ursprungstypologie leiten sich alle
nachfolgenden Gedenkformen vom Gedenken am authentischen Ort ab.
Daneben existiert die bereits erwähnte Gedenktypologie der „öffentlichen
Kommemoration“, zu der die öffentlichen und zum Teil politischen Gedenktage
79 Vgl. Endlich, Stefanie: Ein authentischer Ort, ein konkretes Ereignis- Die „Passagen“ für Walter Benjamin im Kontext der aktuellen Denkmals-Diskussion, S. 73-110, in: Ingeborg Siggelkow (Hg.): Gedächtnisarchitektur: Formen privaten und öffentlichen Gedenkens, Frankfurt am Main, 2001.80 Benz, Wolfgang: Zukünftiges Gedenken, S.42-43, in: Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg (Hg.): Erinnerung und Begegnung: Gedenken im Land Brandenburg zum 50. Jahrestag der Befreiung, Potsdam, 1996.
52
Typologien des Gedenkens
zählen sowie die inhaltliche Ausrichtung und Institutionalisierung dieser
Schlüsselereignisse. Das sind die Tage der Befreiung der einzelnen
Konzentrationslager an denen öffentliche und medienwirksame Zeremonien
stattfinden, der Tag der Befreiung- das Kriegsende- am 8. Mai; das ist auch der
bundesweit sicherlich symbolträchtigste Gedenktag im Januar an die Opfer des
Nationalsozialismus. Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrations- und
Vernichtungslager Auschwitz von sowjetischen Truppen befreit. Im Jahr 1996 wurde
der 27. Januar vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog zum Tag des
Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus erklärt. Seitdem erinnert der
Bundestag jährlich in einer Gedenkstunde an diese Opfer. Aber auch der 20. Juli
gehört zu den Gedenktagen, der Teil der öffentlichen Reminiszenz ist. Schließlich
der 9. November, der ein mehrfaches Gedenken bündelt: Die Erinnerung an die
Maueröffnung, die Reichsprogromnacht, das Elser- Attentat, den Hitler-Putsch und
die Novemberrevolution von 1918. Das weitläufige Feld der öffentlichen
Kommemoration an die Zeit der NS-Diktatur ist von erheblicher Bedeutung. Die
Frage, wie eine Gesellschaft wie die der Bundesrepublik Deutschland den Opfern
der industriellen Massenvernichtung gedenken kann, beantwortet sich in der
„politischen Liturgie.“81
In der politischen Liturgie werden jene gesellschaftlichen Rituale verdichtet, die
konsensual, als wichtige Ereignisse für das kollektive Gedächtnis erachtet werden.
Dabei werden die Rituale als kollektive und symbolischen Handlungen und
Verhaltensweisen verstanden. Die charakteristische Regelmäßigkeit wirkt darüber
hinaus stabilisierend und hilft rituale Handlungen gesellschaftlich zu verankern. Die
nationalen Gedenktage sind entsprechende Verhaltensdispositionen innerhalb der
öffentlichen Gedenkkultur und sie sind gewünschte Formen der Auseinandersetzung
mit der belasteten Vergangenheit. Sie sind transparent und notwendig zur
öffentlichen Sinnstiftung, da das öffentliche Gedenken zumeist aus einem von der
Gesellschaft getragenen Wertekanon entspringt und dadurch seine Legitimität
erhält.
In modernen wissenschaftlich geprägten Gesellschaften sind sowohl die kognitiven,
als auch die liturgischen Bezüge zur Vergangenheit relevant. Auf die 81 Brumlik, M: Gedenken in Deutschland, S.115f., in: Platt/Heil (Hg.): Generation und Gedächtnis, 1995.
53
Typologien des Gedenkens
Gedenktypologien angewendet, würde das bedeuten, dass die kognitive
Herangehensweise am authentischen Ort und die liturgische Herangehensweise, die
öffentliche Kommemoration, gleichermaßen notwendig sind und sich sogar einander
ergänzen. Hier wird besonders deutlich, dass diese beiden Typologien sich weder
aufeinander reduzieren noch durcheinander ersetzen lassen. Mit anderen Worten:
durch die öffentliche Kommemoration in Form von Gedenkveranstaltungen u.ä.
wurde der ursprünglichen Funktion der KZ-Gedenkstätten als Friedhöfe zuerst
Rechnung getragen. Im Zyklus des Gedenkens wird der öffentlichen
Kommemoration auch der Platz direkt nach den KZ-Gedenkstätten eingeräumt, um
die Bedeutung des öffentlichen Gedenkens sichtbar zu machen, aber auch um
aufzuzeigen, welche Auswirkungen eine politischen Instrumentalisierung bei diesem
hohen Stellenwert auf die Gedenkstätten und die Gedenkkultur hätte.
In der über zehnjährigen Debatte um das zentrale Holocaust-Mahnmal für die
Hauptstadt, in der nicht wenige forderten, die Debatte möge das Denkmal sein,
zumal Berlin und im ganzen Land an den „traumatischen Orten“82 zahlreiche
Gedenkstätten an die Ausgrenzung, Deportation und Ermordung der jüdischen
Bevölkerung erinnern. Die Debatte, die mit der Forderung nach einem zentralen
Denkmal der Bürgerinitiative PERSPEKTIVE BERLIN e.V. um Lea Rosh im Jahr
1988 begann und mit der Entscheidung im Bundestag am 25. Juni 1999 endete. Das
Richtfest wird am 12. Juli 2004 stattfinden und bis dahin sind bereits die Hälfte der
2751 Betonstelen aufgestellt.
Diese langjährige Debatte, die es wie kaum ein Ereignis zuvor schaffte politische
und gesellschaftliche Sphären zu einem öffentlichen Diskurs über einen so langen
Zeitraum hinweg zu mobilisieren, wird deshalb als evidenter Bestandteil der
Gedenkkultur betrachtet und aufgrund der Spezifität einer eigenen Gedenktypologie
untergeordnet.
Während das Gedächtnis der Orte die Präsenz der Toten verbirgt und zum Teil noch
aktiver, greifbarer Lebensbestandteil der Überlebenden Opfer ist, lenkt das
Monument dagegen die Aufmerksamkeit vom Ort auf sich selbst, als
82 Assmann, Aleida: Erinnerungsräume - Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München, 2003, Sonderausgabe, S. 328.
54
Typologien des Gedenkens
repräsentierendes Symbol. Das Monument oder Denkmal ist ein abstraktes
Kunstwerk, mithin ein politisches Symbol; von Menschenhand geschaffen ist es
immer Ausdruck einer kulturellen und interpretierten Formung der Erinnerung. Das
charakteristische an einem Monument ist, dass es ein gewollt künstlich geschaffenes
und abstraktes Symbol ist, das in sich eine Botschaft mit einem bestimmten
Erinnerungsgehalt für die Nachwelt trägt.
Das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin zeichnet sich ebenfalls
durch seine abstrakte, künstliche Form aus und enthält eben diese Botschaft für die
Nachwelt, niemals zu vergessen und dieser einen Opfergruppe exemplarisch ein
Monument zu errichten. Die Intensität, mit der diese Debatte geführt wurde, bestätigt
die Position in unmittelbarer Folge zur öffentlichen Kommemoration. In der
konkurrierenden Stellung der einzelnen Typologien zueinander erhält die Mahnmal-
Typologie eine herausragende Stellung, da in ihr eine ernstzunehmende Konkurrenz
für die primäre Position der KZ-Gedenkstätten innerhalb der Gedenkkultur liegt. So
kann Aleida Assmann zugestimmt werden, die die Auffassung vertritt:
„Die Aura, die dem Gedächtnisort seine Weihe gibt, ist in keine noch so kunstfertigen Monumente übersetzbar.“83
Des weiteren gehört zur Gedenkkultur auch das Feld der ästhetischen Kultur: Die
Typologie des Gedenkens in der Medienlandschaft. Wie man der Grafik entnehmen
kann, bekommt diese keinen so gewichtigen Platz innerhalb der Gedenkkultur. Die
Anordnung resultiert schlicht aus der gewichtigen Bedeutung der ersten drei
genannten Typologien, obwohl die Produzenten literarischer, filmischer,
fotografischer und dramatischer Werke immer wieder auch politisch anstößige
Akteure gewesen sind. Es ist davon auszugehen, dass literarische Werke wie
Celans „Todesfuge“ oder Hochhuts „Stellvertreter“ ebenso filmische Epen wie die
US-amerikanischen „Holocaust“ und „Schindlers Liste“ nicht nur das kollektive
Gedächtnis mitstrukturiert haben, sondern vor allem der Film von Steven Spielberg
die Diskussion um die Erinnerungs- und Gedenkkultur zur Revitalisierung und
Emotionalisierung verholfen haben. Auch diverse Fernseh- und
Dokumentationsreihen über die nationalsozialistische Diktatur, exemplarisch seien
83 Assmann, A.: Erinnerungsräume, 2003, S. 326.
55
Typologien des Gedenkens
hier die G. Knopp- Reihen genannt, sind Teil dieser Gedenktypologie. Als mediales
Produkt sind sie die Antwort auf eine gestiegene Nachfrage in unserer Gesellschaft
nach der Vermittlung von Geschichtsbewusstsein via Television.
Insgesamt darf der Einfluss dieser Gedenktypologie nicht unterschätzt werden, denn
besonders über die TV- und Videogeräte wird ein potenzielles Millionenpublikum
erreicht. Kritisch ist die Typologie samt ihrer verschieden Formen zu betrachten, weil
sie auch Werke, ob literarisch oder filmisch, enthält, die sich mit der Zeit des
Nationalsozialismus auseinandersetzen, jedoch keinen Anspruch auf Plausibilität
erheben, sondern künstliches, plastisches und unterhaltsames miteinander
verbinden, dass der Adressat letztendlich alles für eine wahre Begebenheit zu halten
vermag. Vortrefflich bezeichnet Peter Reichel das als das
„(…) unauflösliche Dilemma aller erfundenen Erinnerung.“84
Schließlich beansprucht das Feld der Gedenktypologie „Orte der Latenz“ seine
Position innerhalb des Gedenkzyklus’. Neben den offenen und durchlässigen, auch
streitbaren Typologien, beansprucht die Gedenkkultur einen Bereich, in dem sich
bewusst oder unbewusst eine Erinnerung an das offiziell Verschwiegene oder
Abwesende erhalten kann. In Anlehnung an das Moses- Buch von Sigmund Freud,
in dem er sich mit den individualspychologischen Begriffen der Gedächtnisdynamik
wie Erinnerung, Verdrängung und Latenz als Elementen einer Kulturtheorie
auseinandersetzt und diese auf die Religionsgeschichte anwendet, wird in der
Gedenkkultur der Begriff der Latenz, als die „Verschweigung im offiziellen Diskurs“85
benutzt. Im offiziellen und nationalen Gedächtnis der Deutschen gibt es solche
Latenzen, ganz im Sinne von Freud, die unmittelbar mit den traumtischen
Erschütterungen zusammenhängen. Solange es Zeitzeugen gibt, ob auf der Opfer-
oder der Täterseite, wird es dieses Verschweigen geben. Auch auf der unmittelbar
bevorstehendem Schwelle zum kulturellen Gedächtnis wird es diese Orte der Latenz
in unserem Gedächtnis geben, aufgrund des zielgerichteten Verschweigens auch
nachfolgender Generationen, sei es aus Schamgefühl oder einer willentlichen
84 Reichel; Peter: Erfundene Erinnerung- Weltkrieg und Judenmord in Film und Theater, München/ Wien, 2004, S. 13.85 Assman, J.: Kollektives und kollektives Gedächtnis, S.31, in: Borsdorf/ Grütter (Hg.): Orte der Erinnerung, 1999.
56
Typologien des Gedenkens
Abwehrhaltung.
Da die Reihenfolge der einzelnen Typologien eine Rangfolge darstellt, ist ersichtlich,
dass der Typologie ‚Orte der Latenz’ keine vorrangige Rolle innerhalb der
Gedenkkultur zugesprochen wird. Allerdings ist auch sie, wie die anderen,
elementarer Bestandteil der Gedenkkultur und sollte zukünftig nicht unterschätzt
werden.
Sämtliche Gedenktypologien basieren auf der Gedenktypologie ‚Die KZ-
Gedenkstätten’. Sie sind interdependent und beziehen sich spezifisch auf die
Gedenkkultur der deutschen Gesellschaft. Damit können die getroffenen Aussagen
keine allgemeine Gültigkeit für sich beanspruchen.
Wie anhand der Grafik versucht wurde, bildhaft zu machen, ist der kleinste
gemeinsame Nenner aller Gedenktypologien die Gedenkkultur. In ihr verdichten sich
die normativen und notwendigen Merkmale der einzelnen Gedenktypologien. Die
Kreise spiegeln die Handlungsfelder der einzelnen Typologien wider und in der
Reihenfolge besteht eine Rangfolge. Im Uhrzeigersinn betrachtet kann von den KZ-
Gedenkstätten ausgehend eine Abstufung der einzelnen Felder vorgenommen
werden. Zwar können die Typologien nicht wahlweise herausgelöst werden, jedoch
kann beispielsweise die Anordnung der einzelnen Felder geändert werden, so dass
sich die Aktualitätsbezüge abzeichnen und eine andere Gewichtung der Typologien
sichtbar wird. Den Prognosen folgend, kann die Grafik in wenigen Jahren so
verändert werden, dass sich die Gedenkstätten nicht mehr an primärer Stelle
befinden, sondern die öffentliche Kommemoration diesen Platz eingenommen hat.
57
Typologien des Gedenkens
3.2.2 Grafische Darstellung der Typologien des Gedenkens
Abb. Zyklus der Gedenktypologien86
86 Anm.: eigene Darstellung.
58
Typologien des Gedenkens
3.3 Zur Transformation der Gedenkkultur im vereinten Deutschland - Herausforderungen und Ansprüche
Die Errichtung von Gedenkstätten schien in Deutschland nach der Befreiung der
Konzentrationslager 1945 ein allenfalls sekundäres Problem zu sein. Viele der
ehemaligen Konzentrationslager, insbesondere die großen Hauptlager, wurden nach
Kriegsende provisorisch genutzt, beispielsweise als Krankenhäuser, als Basis für
Repatriierungsversuche, als Unterkünfte für sogenannte „displaced persons“ und
auch als Internierungs- und als Flüchtlingslager; später wurden sie auch als
Gewerberäume, Gefängnisse und geschlossene Krankenhäuser benutzt.
Die Mehrzahl der einstigen Konzentrationslager aber, vor allem die kleineren Lager,
wurden in der Nachkriegszeit demontiert, viele überbaut und viele verwandelten sich
in verwilderte Brachen. Dem mit dem Verschwinden der KZ-Überreste verbundenen
Auslöschen von Erinnerung widersetzte sich allerdings schon seit der frühen
Nachkriegszeit eine Tendenz, welche auf das Gedenken und Erinnern abzielte.
Neben den auf religiöse Transzendenz verweisenden Grabmalen entstanden kurz
nach der Befreiung auch erste provisorische Denkmale, die entweder die Tatorte
kennzeichneten oder punktgenau auf die NS-Verbrechen verwiesen, wie etwa ein
Sowjetstern über einem Massengrab in Ravensbrück. 87 Was erinnert werden soll, ist
aber oft interessengeleitet und deshalb nicht selten strittig. Erreichen Gesellschaften
und Nationen bisweilen jedoch einen Konsens darüber, was in ihrer Geschichte
erinnert werden soll, dann formiert sich daraus allgemeingültig ein „Gedächtnis, das
Gemeinschaft stiftet“88. Ein generell in der Gesellschaft akzeptierter Symbolvorrat
wird genutzt, um die Geschichte adäquat zu kommunizieren. Im konkreten Umgang
damit formiert sich daraus, wie bereits erwähnt, die Erinnerungskultur, in der Riten,
Symbole, Metaphern und bedeutungsgeladene Monumente und besonders
Gedenkstätten ihren Platz haben.
Aus dem Bedürfnis heraus, die Erinnerung an die NS-Verbrechen präsent zu halten,
87 Vgl. dazu: Mußmann, Olaf: Die Gestaltung von Gedenkstätten im historischen Wandel, in: KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hg.):Museale und mediale Präsentation in KZ-Gedenkstätten-Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Heft 6, Bremen, 2001, S. 14-30.88 Ebd.
59
Typologien des Gedenkens
bemühten sich verschiedene Kräfte um die Einrichtung von Gedenkstätten. Es gab
aktive Bürgergruppen und überlebende ehemalige Häftlinge, die sich später in
Vereinen und Verbänden organisierten, die sich stark für den Erhalt bzw. für die
Errichtung von Gedenkstätten einsetzten. Die Aktivitäten waren in der Regel von
dem Bemühen begleitet, die Art der Erinnerung zu beeinflussen oder gar zu
bestimmen und entsprechend verliefen die Gestaltungen und Konzeptionen nicht
nach einem einheitlichen Muster. Im Spannungsfeld zweier disparater
Erinnerungskulturen bildeten sich deshalb divergente Strukturen und Effekte heraus,
die von der Vernachlässigung der Areale bis zur vollständigen Umnutzung oder der
Überbauung monumentaler Gedenkstätten in staatlicher Trägerschaft reichten.
Dabei prägten die Interessenlagen, Instrumentalisierungen, Interpretationen und
Reduktionen der Geschichtsbilder, gemäß den politischen Erinnerungskulturen der
beiden deutschen Staaten, die jeweiligen Gestaltungsprinzipien der Gedenkstätten.
So sind die Folgen der verschiedenen Auf- und Abspaltungen im Gedächtnis der
Nation an den auf die NS-Vergangenheit bezogenen Orte bis heute ablesbar. In
unserer in Jahrzehnten gewachsenen Erinnerungskultur nehmen die authentischen
Orte einen prominenten Platz ein, gemeint sind die KZ-Gedenkstätten. Prominent
auch deshalb, weil an kaum einem anderen Beispielkomplex der Gegensatz im
Umgang mit dem NS-Erbe zwischen den beiden deutschen Staaten so präzise
nachzuvollziehen ist, wie auch Reichel meint:
„Konversion und spätere Revision dieser Gedächtnisorte haben in der ost- und westdeutschen Erinnerungskultur ihr je eigenes Profil herausgebildet.“89
Letztlich stehen gerade die Gedenkstätten als monumentales Sinnbild für den
Umgang mit diesen Orten in den beiden Erinnerungskulturen. Während die
Bundesrepublik Deutschland die Gedenkstätten „im Rahmen ihrer
Wiedergutmachungspolitik“90 einführte, waren sie als zentrale und authentische Orte
nicht stark in der politischen Kultur verankert. Außer an zentralen Gedenktagen oder
bei öffentlichen Staatsbesuchen, waren die Gedenkstätten offiziell keine stark
besuchten Gedächtnisorte. Ihre Position im politisch-öffentlichen Raum in der
Bundesrepublik verdeutlicht sich besonders an der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen
89 Reichel, P.: Politik mit der Erinnerung, 1995, S.128.90 Dittberner, J.: Schwierigkeiten mit dem Gedenken, 1999, S. 15.
60
Typologien des Gedenkens
im Land Niedersachsen. Dort war und ist bis einschließlich Mitte 2004 die
Gedenkstätte
„(…) eine Unterabteilung einer Landeszentrale für politische Bildung, die wiederum dem Kultusministerium untersteht…“91
In der DDR hingegen wurden die Gedenkstätten funktionalisiert und
instrumentalisiert. Eingebettet in das politische System- als zentralstaatlich
nachgeordnete Behörde des Ministeriums für Volksbildung- wurden die
authentischen Relikte überbaut und kulturell überformt. Sie wurden zu Orten für
Massenveranstaltungen, in denen mittels überdimensionaler Aufmarschalleen und
übergroßer Denkmäler der Sieg über den Faschismus gefeiert wurde. Neben
öffentlichen Gedenktagen waren besonders die Jugendweihen und die
Vereidigungen der Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA) als Anlässe geeignet,
um zugleich den Heroismus des kommunistischen Widerstands in der folgenden
Generation zu verankern. Dass sich die Einverleibung eines konstruierten
geschichtlichen Erbes in Widersprüchen und Ungereimtheiten wiederfand, zeigte
sich schlussendlich auch im Umgang mit den Gedenkstätten.
Eine solch gezielte Deformierung der authentischen Orte ist in den Gedenkstätten
des westlichen Teils der Republik nicht nachzuweisen. Trotzdem machen auch 45
Jahre nach dem Holocaust das soziale Gedächtnis und sein Kern, die
Erinnerungskultur zu einem konfliktreichen Politikfeld. Seit der deutschen
Wiedervereinigung und dem Prozess des schwierigen Zusammenwachsens,
erscheinen auch die Gedenkstätten in einem anderen Licht und diese stehen vor
neuen Herausforderungen. Im folgenden soll auf diese Anforderungen eingegangen
werden:
1. Jahrzehntelang waren die Gedenkstätten über die NS-Vergangenheit in einen
innerdeutschen Systemkonflikt eingebaut und das Aufeinandertreffen zweier
disparater Erinnerungskulturen entfachte nicht nur die Diskussionen über die
angemessene Aufarbeitung der Wissens- und Materiallücken in der Geschichte der
Gedenkstätten, sondern löste zugleich noch einen Streit über die angemessene
Form des Gedenkens aus, der sich bis in die einzelnen Opfergruppen des NS-
Regimes ausdifferenzierte.
91 Interview, Bergen-Belsen, 2004.
61
Typologien des Gedenkens
Besonders an einem Gedenkort kristallisierten sich Konflikträume heraus, die sich
der Vorstellungskraft mancher entzogen. In der Gedenkstätte Buchenwald
entbrannte der Streit zwischen den Verbänden der Stalinopfer und der NS-Opfer
über die Frage, ob die Toten des sowjetischen Speziallagers den Toten des
Konzentrationslagers räumlich und denkmalkünstlerisch gleich ,- nach- oder
untergeordnet werden sollten. Neben einer Neukonzeptionierung, die sich den
veränderten Rahmenbedingungen anpassen musste, standen nun einige
Gedenkstätten (auch Sachsenhausen) vor dem Dilemma der „doppelten oder
zweifachen Vergangenheit“, welche theoretisch, wie pädagogisch gelöst werden
muss.
2. Die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands wurde nicht von allen
Staaten oder internationalen Organisationen als positives und überfälliges Politikum
betrachtet und kennzeichnenderweise wurden die Entwicklungen in der
Gedenkkultur und der Umgang mit den authentischen Orten nach 1990 mit mehr
Interesse verfolgt als dies bisher der Fall war: Die Gedenkkultur wurde zum
Parameter für die Wahrhaftigkeit eines neu gewachsenen Rechtsstaates.92
3. Daraus resultierte auch die Frage nach den Beiträgen des politischen Systems zu
Form und Inhalt des Gedenkens. Nachdem die Länder Brandenburg und Thüringen
bereits im Juni bzw. September 1991 Expertenkommissionen einberufen hatten,
denen Geschichtswissenschaftler und Gedenkstättenspezialisten angehörten und
die sich mit der Neukonzeption der Gedenkstätten beschäftigten, wurden die
historischen Makel in Angriff genommen. Auch der Bund wurde sich seiner
politischen Verantwortung bewusst und beteiligte sich an der Finanzierung der
ehemaligen „Nationalen Mahn- und Gedenkstätten“ der DDR.93 Diese Entscheidung
wurde zur „Gretchenfrage“ und löste die Diskussion über die finanzielle Förderung
von Gedenkstätten in ganz Deutschland aus. Nachfolgend werden noch en detail auf
die beiden Enquête- Kommissionen und ihre Resultate eingehen.
4. Mit der umfassenden Umgestaltung insbesondere der Nationalen Mahn- und
Gedenkstätten94 und deren thematischer Erweiterung stellte sich nun zunehmend die 92 Vgl. Dittberner, J.: Schwierigkeiten mit dem Gedenken, 1999, S. 16.93 Puvogel, U.: Gedenkstätten, 1998, S. 17.94 Dies betrifft neben den großen Nationalen Mahn- und Gedenkstätten Buchenwald (Mittelbau-Dora), Sachsenhausen und Ravensbrück auch viele kleinere Gedenkstätten an Orten von NS-Verbrechen, an denen die Sicherung zum Teil erst ab 1990 begann oder nach Abzug der sowjet. Truppen erst zugänglich wurden.
62
Typologien des Gedenkens
Frage nach der Funktion der Gedenkstätten innerhalb der Gesellschaft. Durch das
Wegbrechen des Legitimationsgrundsatzes und die Befreiung vom „Geist des
Antifaschismus“95 bestand die Notwendigkeit zur Korrektur von historisch defizitären
Darstellungen in den Gedenkstätten der ehemaligen DDR. Sie sind nicht länger
Instrument, sondern Orte der Erinnerung, sind Friedhöfe und zeithistorische
Museen. Doch dieser Zuwachs an Funktionen und pädagogischer Verantwortung
steht diametral den organisatorischen und finanziellen Ausstattungen der
Gedenkstätten entgegen. Anhand der Fallbeispiele kann näher bestimmt werden,
welche Auswirkungen diese Umgestaltung und Neudefinierung auf die
Gedenkstätten hatte.
5. In der letzten Herausforderung, der sich die „neuen“ Gedenkstätten stellen
müssen, vereinen sich eine Vielzahl von Faktoren, die insgesamt zu einer
bedenkenswerten Situation innerhalb unserer Gesellschaft im weitesten Sinn und in
unserer Gedenkkultur im engeren Sinn führen. Zum einen spürt man die Tendenz
einer „weit verbreiteten Reserve gegen Gedenkstätten“96 und das sowohl im Osten,
wie auch im Westen, zum anderen entwickeln sich zunehmend rechtsradikale
Strukturen, die sich in auffallend gewaltträchtigen Aktionen direkt gegen die
authentischen Orte richten. Hier sind besonders die neuen Bundesländer und ihre
Gedenkorte betroffen.
Hinzu kommt ein Faktor, der momentan noch keine gravierende Wirkung auf die
Gedenkkultur hat, jedoch zukünftig haben wird. Dieser Prozess konvergiert mit der
Vermutung um eine „neue“ Typologie des Gedenkens. Eingangs wurde bereits die
Typologie „Gedenken in der Medienlandschaft“ vorgestellt und darunter auch die
Formen des Umgangs im Gedenken innerhalb des künstlerischen vom
authentischen Ort losgelösten und professionellen subsumiert. Hier stellt sich die
Frage, inwiefern sich die Herausbildung einer sog. „Gedenkelite“ mit dem
implizierten intellektuellen Anspruch auf die richtige Form des Gedenkens
herausbilden kann und sich letztendlich auf die Gedenkkultur auswirken kann.
6. Mit der neuen Rolle Berlins als Hauptstadt des wiedervereinten Deutschlands
wurde die Stadt zum Zentrum der Gedenkkultur und verinnerlicht nicht nur eine 95 Meyer, E.: Erinnerungskultur als Politikfeld, S. 123, in: Bergem, Wolfgang (Hg.): Die NS-Diktatur im deutschen Erinnerungsdiskurs, Opladen, 2003.96 Vgl. Dittberner, J.: Schwierigkeiten mit dem Gedenken, 1999, S. 16.
63
Typologien des Gedenkens
Vielzahl von Gedenkstätten und – orten, sondern auch die meist beachteten und
diskutierten: die „Topografie des Terrors“, die „Neue Wache“ und das „Denkmal für
die ermordeten Juden Europas“97. Quantitativ wird Berlin zur „Gedenkhauptstadt“
stilisiert, ob sich das auch qualitativ messen lässt, wird sich vermutlich am
Streitpunkt „Holocaust-Mahnmal“ entscheiden.
Diese Bestandsaufnahme dient dem Überblick und nicht der sachgerechten
Aufzählung aller Faktoren, die die Gedenkstätten besonders nach der Einheit der
beiden deutschen Staaten maßgeblich beeinflussten. Zudem unterschieden sich die
Anforderungen im Einzelnen auch voneinander, so dass man sagen kann, dass die
Gedenkstätten im westlichen Teil durch die fehlende Instrumentalisierung oder der
„doppelten Vergangenheit“ durchaus ein günstigere Ausgangssituation hatten.
Bei aller Unterschiedlichkeit haben die heutigen KZ-Gedenkstätten im vereinten
Deutschland doch auch vieles gemeinsam. Sei bestehen aus Einzel- und
Massengräbern, aus mehr oder weniger gut erhaltenen historischen Überresten, aus
Denkmalen und Museen oder aus anderen pädagogisch-didaktischen
Bildungsangeboten und geplanten oder aus pragmatisch entstandenen
Landschaftsgestaltungen. Diese Elemente sind nicht immer in gleichen Anteilen
vorhanden und manche Gestaltung ist zufällig entstanden, manche gezielt. Die
Notwendigkeit einer generellen Umgestaltung und thematischen Erweiterung der
erinnerungskulturellen Funktion der Gedenkstätten ist augenscheinlich. Die
authentischen Orte sollen nicht nur gegen jegliche Art von Relativitätsbemühung
stehen, sondern mit ihrer Plastizität tiefer in die Gesellschaft hineinwirken können,
nicht als moralische Instanz, sondern als pädagogisch liberale Einrichtung, in der es
möglich wird, ein wahrhaftiges Geschichtsbewusstsein zu vermitteln.
Das sind innenpolitisch die Herausforderungen, denen sich die Gedenkstätten am
politischen Wendepunkt der Deutschen Wiedervereinigung stellen mussten. Das
Gedenken und die authentischen Orte sind zunehmend zu einem öffentlichen
Thema geworden und nicht länger ein historisches Spezialthema. Außenpolitisch
mussten wir hingegen erkennen, dass in anderen Nationen der Umgang mit dem
Nationalsozialismus stärker in der politischen Kultur verankert war, als es bei uns zu
Beginn der 90er Jahre der Fall war. Auch in der Diskussion um die
97 Rosh, L.: „Die Juden, das sind doch die anderen“, Berlin/ Wien, 1999, S. 11.
64
Typologien des Gedenkens
wissenschaftstheoretische Frage, ob und warum der Holocaust zu einem Problem
der Moderne wurde, haben die Gedenkstätten wissenschaftlichen Nachholbedarf.
Eine Beteiligung an der internationalen Diskussion um Werteverluste in hoch
entwickelten Gesellschaften kann nur geleistet werden, wenn wir die:
„Blutzufuhr aus den Universitäten, Schulen und Bildungsstätten [fördern]. Sie [die Gedenkstätten] müssen geöffnet werden für berufliche Mobilität.“98
Die funktionale Veränderung für die Gedenkstätten, sowie die föderale Verschiebung
der Verantwortlichkeit stellte für die KZ-Gedenkstätten, insbesondere in den neuen
Ländern, eine vielschichtige und komplexe Herausforderung dar. Dennoch konnte
das von den Interessengruppen (beispielsweise Häftlingsverbände) adressierte
politische System keine originären Kompetenzen zur Beurteilung von historischen
Fragen vorweisen. Folglich delegierten die betroffenen Bundesländer die
grundsätzlichen Entscheidungen an sogenannten Expertenkommissionen und
Sachverständigengremien, die mittels einer wissenschaftlichen Expertise die
weiteren Vorgehensweisen klären sollten.
Nachfolgend stehen die Expertenkommissionen im Focus, um dann intensiver auf
die Ergebnisse der Enquête- Kommissionen des Deutschen Bundestages
einzugehen.
3.3.1 Die Neukonzeption der Gedenkstätten und die Enquête-Kommissionen
Die funktionale und föderale Verschiebung der Verantwortlichkeit brachten für die
Interessenvertreter, Vertreter der Opfer der Konzentrationslager, eine
Beeinträchtigung ihrer Erinnerungsinteressen mit sich. Es entstand eine
Konfliktsituation, die sich in Erinnerungskonkurrenz zwischen zwei Opfergruppen
äußerte, nämlich in der:
„(…) Bewahrung antifaschistischer Traditionen einerseits und der Durchsetzung vereinfachender totalitarismustheoretischer Deutungen andererseits.“99
98 Dittberner, J.: Schwierigkeiten mit dem Gedenken, 1999, S.20 f.99 Meyer, E.: Erinnerungskultur als Politikfeld, 2003, S. 123.
65
Typologien des Gedenkens
Hinzu kam nach dem politischen Umbruch vielfach ein würdeloser Streit um die
Frage der Finanzierung von Restaurierungen und den Erhalt von
Geschichtsdenkmälern und Gräbern, denen Verfall oder sogar Verlagerung in
abgelegenere Winkel drohte. Bei der Umgestaltung gab es sogar Ungeduld und
Empörung darüber, dass beispielsweise die Veränderungen von Formen und
Inhalten bei Ausstellungen nicht schnell genug voran getrieben würden, so als würde
es sich um eine ausschließliche Modifikation der Bilder handeln.100
Die neuen Länder Brandenburg und Thüringen beriefen für die Streitpunkte
deshalb bereits Mitte 1991 sog. Expertenkommissionen, denen
Geschichtswissenschaftler und Gedenkstättenspezialisten und Vertreter aus
Verfolgten- und Häftlingsverbänden angehörten. Sie sollten sich mit den Spezifika
der Nationalen Mahn- und Gedenkstätten und deren historiografischen Defiziten
auseinandersetzen. Die Kommission sollte aber auch Stellung zu den stalinistischen
„Speziallagern“ der Nachkriegszeit im Verhältnis zu den Konzentrationslagern in der
Zeit des NS-Regimes nehmen, zumal wenn diese auf den vormaligen KZ-Geländen
eingerichtet worden sind. Im Kern richtete sich die Arbeit der Experten an die Frage
nach dem Gegenwartsbezug der NS-Vergangenheit sowie den früheren Funktionen
der Gedenkstätten und an ihre Aufgaben im vereinigten Deutschland. Die
erarbeiteten Vorschläge sollten als Eckpunkte eines Umgestaltungsfeldes
verstanden sein, innerhalb dessen der Prozess der Neugestaltung stattfinden sollte.
Die beiden Expertenkommissionen kommen formal zu den gleichen Ergebnissen:
Erinnerungsräume für beide Verfolgungskomplexe einzurichten, aber räumlich zu
trennen, mit dem Schwerpunkt auf den nationalsozialistischen Konzentrationslagern.
Natürlich löste diese Entscheidung bei den konträr zueinander stehenden
Opferverbänden beider Vergangenheiten heftige Streitigkeiten aus. Zwar wurden die
Vorschläge, mit dem Verweis, dass nicht das eine Unrecht das andere relativiert
oder bagatellisiert- akzeptiert, ein Nachgeschmack aber blieb. Zumal nun das
Problem der Repräsentation in Bezug auf die Zusammensetzung der Kommission
virulent wurde. Diese Forderung nach repräsentativer Besetzung respektive der
Einsetzung „kritischer Experten“ ist ein typisches Problem bei der politischen
Auseinandersetzung um Verfahrensgerechtigkeit. Problematisch ist dies vor allem,
100 Vgl. Puvogel, U.: Gedenkstätten, 1998, S. 12.
66
Typologien des Gedenkens
da das auch künftig so sein wird. Beim Übergang zum kulturellen Gedächtnis
werden die Opfer- und Häftlingsverbände zunehmend von der Nachfolgergeneration
getragen werden. Zum Streitpunkt wird das besonders bei der Empfehlung der
Kommissionen zur Rechtsform. Die Expertenkommissionen empfehlen bei der
Organisation der Gedenkstätten die Rechtsform Stiftung. Diese sollte neben der
politischen Administration von sachverständigen Gremien getragen werden. Die
tatsächlich Betroffenen sind hier nur in beratender Funktion vorgesehen und ihre
Zahl dezimiert sich stetig. Zukünftig, nach dem Ableben der Zeitzeugengeneration,
wird sich die Frage nach einer legitimen Nachfolge stellen, wenn man nicht
ausschließlich auf der Basis von Expertenwissen arbeiten möchte. Durch die
Zustimmung der jeweiligen Landtage zu den Konzeptionen der Kommissionen wurde
die Umgestaltung der Gedenkstätten schließlich auch demokratisch legitimiert.
Hilfe bei der Neuorientierung der großen Gedenkstätten in Ostdeutschland kam
auch von den beiden aufeinanderfolgenden Enquête-Kommissionen des Deutschen
Bundestages101, denen Vertreter der Parteien und Sachverständige aus Ost und
West angehörten. Bereits 1992, also kurz nach dem Ende der DDR, wurde die
Kommission eingerichtet, die ihre Arbeit sofort aufnahm, diese in der folgenden
Wahlperiode 1995 fortsetzte und nach sechs Jahren, 1998, ihre Ergebnisse
vorstellte. Die Kommissionen beschäftigten sich mit der „Aufarbeitung von
Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ bzw. mit der „Überwindung
der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit“102 und es wurde
besonders in der Arbeitsphase der Enquête-Kommissionen deutlich, dass es eine
solche Expertenforen für die Aufarbeitung der Vergangenheit des
Nationalsozialismus und seiner Verbrechen seit dem Ende des NS-Regimes nicht
gegeben hat.
Die Errichtung und Unterstützung von Gedenkstätten wird nach dem föderalen
Staatsverständnis der Bundesrepublik grundsätzlich als Aufgabe der Länder als-
Kulturhoheit der Länder- angesehen. In der Frage zur Finanzierung der
Einrichtungen formulierte der Einigungsvertrag vom 31. August 1990 nur eine
101 Enquête- Kommissionen kann der Bundestag nach § 56 seiner Geschäftsordnung einsetzen, wenn es um umfangreiche und komplexe Sachverhalte geht, die auch externer Berater bedürfen. Vgl. hierzu: Weidenfeld, W./Korte, K.R. (Hg.): Handbuch zur deutschen Einheit- 1949-1989-1999, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, 1999, Neuausgabe, S.330-342.102 Vgl. Puvogel, U.: Gedenkstätten, 1998.
67
Typologien des Gedenkens
Übergangslösung, gemäß Art. 35 Abs. 4 und 7, insofern die
„Föderalisierung der kulturellen Einrichtungen die neuen Bundesländer finanziell überforderte, wurde die Möglichkeit der Mitfinanzierung durch den Bund beschlossen.“103
Allerdings blieb diese Lösung aus haushalts- und kulturpolitischer Perspektive
umstritten.
Zu Beginn der 90er Jahre häuften sich die rechtsextremen Übergriffe, die nun
zunehmend auch die Gedenkstätten selbst betrafen. Die inzwischen von der
Bundesregierung vorgelegte Konzeption wurde im Haushaltsausschuss gebilligt und
Anfang 1994 im Bundestag diskutiert. Die vorliegenden Anträge der Fraktionen
wurden für Beschlussempfehlungen dem Innenausschuss übergeben, welcher im
März 1994 zur Diskussion der „Beteiligung des Bundes an Mahn- und
Gedenkstätten“ eine öffentliche Anhörung organisierte. Das Expertengremium zur
Bewertung der DDR-Vergangenheit war übrigens die 1992 eingesetzte Enquête-
Kommission. Diese Diskussion, unter Teilnahme von Vertretern aus Gedenkstätten,
Museen und der Geschichtswissenschaft, sollte die Umgestaltung der
Gedenkstätten nochmals erörtern und entsprechende Richtlinien entwerfen, nach
denen bestimmte Einrichtungen mit gesamtstaatlicher Präsenz der
Förderungswürdigkeit durch den Bund entsprechen. Allerdings war das Ergebnis
mehr als defizitär und unzureichend. Die vom Bundestag 1994 verabschiedete
Vorlage enthielt nicht die erhoffte Auswahl der Institutionen, auch nicht die
notwendigen Bewertungsmaßstäbe. Als einziges Kriterium für die Verpflichtung des
Bundes wird die 50%-ige Finanzierung entsprechender Einrichtungen durch das
jeweilige Land vorgeschrieben. Doch die vielfach geforderte Einsicht zur
gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundes für die Gedenkstätten blieb vage und
vorläufig bis auf 2003 befristet, außerdem ausschließlich für die neuen Länder und
Berlin begrenzt.
Die Enquête- Kommission kommt in ihrem Abschlussbericht jedoch auch zu dem
Ergebnis, dass die Gedenkstätten von gesamtstaatlicher Bedeutung durch den Bund
gefördert werden sollten und weist somit auf die Notwendigkeit einer staatlichen
Regelung hin.104
103 Meyer, E.: Erinnerungskultur als Politikfeld, 2003, S. 125.104 Vgl. Meyer, E.: Erinnerungskultur als Politikfeld, 2003.
68
Typologien des Gedenkens
Vor dem Hintergrund dieses unvollständigen Ergebnisses beauftragte der 13.
Deutsche Bundestag die zweite Enquête-Kommission. Die Nachfolgerin ab 1995
trug die Bezeichnung „Überwindung der Folgen der SED- Diktatur im Prozeß der
deutschen Einheit“ und hatte zudem den Auftrag, Vorschläge für eine umfassende
Gedenkstättenkonzeption zu erarbeiten.105 Dementsprechend werden Empfehlungen
zu „gesamtdeutschen Formen der Erinnerung an die beiden deutschen Diktaturen
und an ihre Opfer“ erarbeitet und im Schlussbericht im Juni 1998 festgehalten. Das
Papier enthält eine kritische Bestandsaufnahme der historischen Entwicklung und
Vorschläge für die zukünftige Arbeit der Gedenkstätten. Insgesamt wird erstmals
deutlich, dass es sich hier nicht um ein herkömmliches Kulturfeld handelt, sondern
dass die Gedenkstätten an den authentischen Orten zur Erinnerung an beide
Diktaturen und zum Gedenken an ihre Opfer als Stützpunkte von zentraler und damit
gesamtgesellschaftlicher Bedeutung seien. Hinzu kommt, dass das Papier auch
Richtlinien enthält, nach denen klar definiert werden kann, welche Gedenkstätten
und welche authentischen Orte förderungswürdig sind und es zukünftig sein werden.
Abgesehen von den diversen Sondervoten zu einzelnen Sachverhalten -
hauptsächlich von der PDS - aufgrund verschiedener geschichtspolitischer
Bewertungen gibt das Papier Auskunft über die eindeutige Bereitschaft des
Parlaments, die Erinnerungskultur als gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche
Aufgabe anzusehen.
3.3.2 Ein vorläufiges Fazit
Wenn man die Schlussberichte beider Kommissionen betrachtet, dann ist
festzustellen, dass der Bundestag das gewünschte Ziel erreichen konnte und zwar
ein Aufbau- und Ergänzungsverhältnis beider Foren. Dass die Innovationen zum
Umgang mit den KZ-Gedenkstätten in Ostdeutschland und dann auch in
Gesamtdeutschland erst im Zuge der Auseinandersetzung und der Diskussion über
die Folgen der SED-Diktatur entstanden ist, zeigt nur sehr deutlich, wie nötig dieser
offene Diskurs über die Folgen des NS-Regimes war.
105 Jansen, Marlies: Enquete-Kommission, S. 330 f., in: Weidenfeld, W./Korte, K.R. (Hg.): Handbuch zur deutschen Einheit, 1999.
69
Typologien des Gedenkens
„Die Erinnerung an die beiden Diktaturen, die die Feindschaft gegen Demokratie und Rechtsstaat verbunden hat, schärft das Bewusstsein für den Wert von Freiheit, Recht und Demokratie. Dies, wie die notwendige Aufklärung über die Geschichte der beiden Diktaturen, ist der Kern des antitotalitären Konsenses und der demokratischen Erinnerungskultur der Deutschen.“106
In Bezug auf die von der Kommission angestrebte unmittelbare Wirkung in der
Öffentlichkeit kann keine allgemein gültige Einschätzung getroffen werden. Vorläufig
wäre angebracht zu sagen, dass eine positive Resonanz über den transparenten
Diskurs in der Gesellschaft zu verspüren war, jedoch auch die Kommission mit der
Zeit das Erlahmen der öffentlichen Aufmerksamkeit verspüren musste.
3.4 Gedenken am authentischen Ort - Die KZ-Gedenkstätten
Die Denkmäler zur Erinnerung an den Nationalsozialismus wurden zwar nicht
ausschließlich an den Orten der ehemaligen Konzentrationslager errichtet, aber in
den meisten Fällen jedoch am authentischen Ort. Die Eingrenzung der
authentischen Orte fiel bereits eingangs auf den spezifischen Gedächtnisort - die
KZ- Gedenkstätten, begründet vor allem in der herausragenden Stellung der KZ-
Gedenkstätten im erinnerungskulturellen Prozess und in der Gedenkkultur. Als
sogenannte Urform der Gedenktypologien und Schwerpunkt dieser Arbeit kann hier
allerdings die Betrachtung wiederum nur an ausgewählten Beispielen geschehen. Im
Mittelpunkt stehen zwei bekannte KZ-Gedenkstätten in Ostdeutschland:
Sachsenhausen und Mittelbau-Dora - und eine in Westdeutschland: Bergen-Belsen.
Die authentischen Orte haben selbst kein immanentes Gedächtnis, aber sie sind
doch notwendig zur Konstruktion kultureller Erinnerungsräume. Nicht nur, dass sie
die Erinnerung festigen, in dem sie sie lokal im Boden verankert, sie verkörpern auch
eine Beständigkeit der Dauer, der die kurzweilige Dauer der individuellen und
menschlichen Erinnerung nichts entgegensetzen kann. Die Kulturwissenschaftlerin
Aleida Assmann meint dazu:
„Die Aura, die dem Gedächtnisort seine Weihe gibt, ist in keine noch so kunstfertigen Monumente übersetzbar.“107
106 Beleg unvollständig; siehe dazu: Jansen, Marlies: Enquete-Kommission, S.331-341, in: Weidenfeld, W./Korte, K.R. (Hg.): Handbuch zur deutschen Einheit, 1999.107 Assmann, A.: Erinnerungsräume, 2003, S.326.
70
Typologien des Gedenkens
Die während des Nazi-Regimes durchgeführte Vernichtung des jüdischen Volkes hat
in ganz Europa weiße Flecken auf der Landkarte hinterlassen; ganze jüdische
Zentren wurden ausgerottet und so kann hier nicht mehr von einem Gedächtnis der
Orte gesprochen werden, sie sind de facto nicht mehr vorhanden. Ein Ort hält die
Erinnerungen nur fest, wenn die Menschen dafür Sorge tragen und diese Sorge in
der Spurensicherung und der Markierung der Gedächtnisorte ausdrücken. Wenn
allerdings die Wohnstätten, die Gräber nicht mehr besucht werden können, weil die
Familien deportiert und ermordet worden sind, dann löst sich mit ihnen auch das
Gedächtnis der Orte auf und was bleibt, sind Relikte: Relikte, die selbst oder in
Monumenten verarbeitet ein neues Gedächtnis des Ortes prägen und sie werden zu
sog. Gedenkorten. Für Aleida Assmann sind diese Gedenkorte per se positiv
bestimmt, sie sind die Zeugen dafür, dass hier etwas Beispielhaftes geleistet wurde
oder exemplarisch gelitten wurde; sie sind auch ein Instrument zur kollektiven
Sinnstiftung.108 A. Assmann unterscheidet notwendigerweise auch nochmals
zwischen Gedenkorten und „traumatischen Orten“ und begründet das wie folgt:
„Traumatische Orte unterscheiden sich von Gedenkorten dadurch, dass sie sich einer affirmativen Sinnbildung versperren.“109
So liegt die zweifelhafte Faszination im traumatischen Ort auch darin, die Virulenz
des Geschehenen dauerhaft präsent zu halten. Die KZ-Gedenkstätten sind diese
konkreten traumatischen Orte des Geschehens, Orte der Erinnerung und des
Gedenkens der Opfer im ganz persönlichen Sinn. Demzufolge wird die Arbeit der
Gedenkstätten auch in erster Linie bestimmt durch den historischen Ort.
Die Musealisierung und Abgrenzung der traumatischen Orte wie die KZ-
Gedenkstätten ist davon geleitet, dass die nationalsozialistischen
Massenverbrechen, für die es keine Verjährung oder Historisierung geben wird, im
Gedächtnis der Gesellschaft und der einzelnen Menschen verankert werden kann.
Von diesen Erinnerungsorten erhofft man sich über den Informationswert hinaus
eine nachhaltige Sinnstiftung, begründet durch die sinnliche Anschauung.
Allerdings wird in der Kulturwissenschaft und zunehmend in der Historikerlandschaft
die „Aura des authentischen Ortes“ als äußert kritisch betrachtet. Gerade durch das
bewusste Bewahren der Relikte geht unweigerlich etwas von der Authentizität 108 Assmann, A.: Erinnerungsräume, 2003, S. 328.109 Ebd.
71
Typologien des Gedenkens
verloren, auch dann, wenn die baufällige Substanz erneuert oder „rückgebaut“
werden muss, um den ursprünglichen Charakter wiederherzustellen. Hinzu kommt
72
Typologien des Gedenkens
auch die eingangs gegebene Warnung, dass es keine authentische Erinnerung
geben kann. So läuft die Gedächtniskraft dieser authentischen Orte Gefahr, seine
von Besuchern implizierte Wirkung zu verlieren. Es verlangt den Besuchern und
Besucherinnen eine Menge Phantasie ab, wenn sie um die Tatsachenberichte
wissen, sich ihnen jedoch die Aura des Ortes als elysische Landschaft darbietet. So
kann durchaus Dietmar Sedlaczek zugestimmt werden, der meint:
„Doch die Aura eines Ortes ist ein zweifelhafter Informant.“110
Die Neukonzeptionierungen der Gedenkstätten griff auch dieses Defizit auf, dass
neben der Mahn- und Erinnerungsfunktion immer auch die elementare
Dokumentations- und Informationsfunktion notwendig sei, denn ohne die kognitive
Dimension des geschichtlichen Zusammenhangs wird die ästhetische Qualität des
Authentischen, der Relikte, nackt und ohne Bedeutung. Diese Gedenkstätten,
verstanden auch als Räume der Erfahrung, sollen durch die Konkretisierung des
historischen Geschehens rational und emotional Hilfestellung leisten beim Erkennen
und Verstehen von den Ursachen und Bedingungen nationalsozialistischer
Herrschaft, Verfolgung, Vernichtung und Widerstand. Das Zusammenspiel von
monumentalen Zeichen und faktischen Zeichen der historischen Erinnerung kann
keine museale Einrichtung leisten, die losgelöst ist vom authentischen Ort.
„Erinnerung braucht Orte mit der Aura des Geschehenen als Kristallisationskerne des Verstehens, braucht Gedenkstätten, die darüber hinaus Erklärungen anbieten und über das rationale Verstehen persönliche Aneignung ermöglichen.“111
Die KZ-Gedenkstätte wird zunehmend als multifunktionale Einrichtung verstanden,
die sich als aktiver Lernort zukünftig auch unter dem Einsatz von neuen
Informations- und Kommunikationstechniken als zeitgenössisches Museum
darstellen soll.
110 Sedlaczek, Dietmar: Zum Einsatz von Neuen Medien in Gedenkstätten, in: KZ-Gedenkstätte Neuengamme, 2001, S.99.111 Benz, Wolfgang: Zukünftiges Gedenken, S.43, in: MWFK (Hg.): Erinnerung und Begegnung, 1996.
73
Typologien des Gedenkens
„Wenn die Menschen schweigen,
so werden die Steine schreien.“
(J.G. Herder)
4. Die Gedenkstätten Bergen-Belsen, Sachsenhausen und Mittelbau-Dora
Es ist zu erwähnen, dass die Auswahl, respektive die Begrenzung auf drei
Gedenkstätten nicht leicht fiel, denn so wenig die Verbrechen während der Nazi-
Diktatur auf das deutsche Gebiet zu begrenzen sind, so kann sich ebenso wenig die
Betrachtung auf die Gedenkformen in den Gedenkstätten in Deutschland beziehen.
Schließlich konnten erst die Verfolgung und Ermordung von Millionen Menschen
durch die Eroberung Europas durch das Nazi-Deutschland möglich werden. Die Orte
der Verbrechen und die heutigen Gedenkorte haben viele Namen und die Orte, an
denen die unvorstellbarsten und grausamsten Verbrechen gegen die Menschheit
begangen worden sind, liegen nicht auf deutschem Boden. Die Rede ist von den
Vernichtungslagern112. Dies waren Einrichtungen des nationalsozialistischen Staates
im deutsch besetzten Polen und in Weißrussland zur Durchführung der so
genannten „Endlösung der Judenfrage“. Sie dienten einzig dem Zweck der
massenhaften Ermordung von Menschen, vor allem von Juden, mit Hilfe von Gasen.
Neben den explizit für die Vernichtung erbauten Lager auf besetztem polnischen
Gebiet nutzte die SS zunehmend auch Lager in Deutschland für systematische
Tötungsaktion, insbesondere zum Ende des Krieges 1944/45.113
Die präferierten Untersuchungsobjekte gehören zu der Kategorie Lager, die als
Konzentrationslager bezeichnet werden. Ein Konzentrationslager ist eine
Einrichtung, um politische Gegner oder missliebige Menschen aus ethnischen,
religiösen oder sozialen Gruppen festzuhalten und zu isolieren. Dies geschah 112 Die bekanntesten Vernichtungslager in chronologischer Folge: Chelmno (dt. Kulmhof, im Landkreis Warthbrücken (Koło) im Reichsgau Wartheland) - ab 8. Dezember 1941), Auschwitz-Birkenau (im Landkreis Bielitz (Bielsko) in Ost-Oberschlesien) - wahrscheinlich ab 30. April 1942, Belzec (in der Kreishauptmannschaft Zamość im Distrikt Lublin, Generalgouvernement) - ab 17. März 1942, Sobibor - Mai 1942, ebenso Treblinka und Majdanek - ab 1942.113 Rinsche, Cordula: Orte des Gedenkens, S.26, in: Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg (Hg.): Erinnerung und Begegnung: Gedenken im Land Brandenburg zum 50. Jahrestag der Befreiung, Potsdam, 1996.
74
Typologien des Gedenkens
meistens auf unbestimmte Zeit durch bürokratische, administrative
Verwaltungsakte, ohne Gerichtsurteil, ohne die Möglichkeit einer Rechtsvertretung,
Verteidigung oder gar des Widerspruches und der Haftprüfung. Wenngleich die
Insassen in den Konzentrationslagern nicht gezielt ermordet wurden, so sind sie
häufig der programmatischen Bestimmung „Arbeit macht frei“ zum Opfer gefallen
oder an den menschenunwürdigen Haftbedingungen und an den Folgen von Folter
und psychischer Qual verendet.
4.1 Die Auswahl der Untersuchungsobjekte
Da bei der Untersuchung annähernd die Bedingungskonstanz gewahrt werden sollte
und außerdem der Paradigmenwechsel anhand der Gedenkkultur in Deutschland
nach der Wiedervereinigung nachgewiesen werden sollte, ist die Wahl auf die
folgenden Konzentrationslager und heutigen KZ-Gedenkstätten Bergen-Belsen
(Niedersachsen), Mittelbau-Dora (Thüringen) und Sachsenhausen (Brandenburg)
gefallen.
4.2 Vorgehensweise und Methode
Ursprünglich sollten vier KZ-Gedenkstätten untersucht werden und es war als
weitere Gedenkstätte die KZ-Gedenkstätte Dachau auserwählt, so dass die
Vergleichbarkeit hinsichtlich der Aufteilung nicht nur in ungefährer Größe und
Bedeutung, sondern auch der Einteilung und Gegenüberstellung in „Ost und West“
gerecht geworden wäre. Leider war es nicht möglich, ein persönliches Gespräch mit
der Gedenkstättenleitung der Gedenkstätte Dachau zu vereinbaren. Sicherlich wäre
eine schriftliche Befragung auch informativ gewesen, aber da ausschließlich
persönliche Gespräche geführt worden sind, hätte es sicher letztlich die
zusammenfassende Auswertung verzerrt.
4.3. Geschichtlicher Exkurs
Von 1936 bis Kriegsbeginn wurden fünf Konzentrationslager errichtet, nämlich
Sachsenhausen, Buchenwald, Flossenbürg, Mauthausen und Ravensbrück; Dachau
wurde erheblich erweitert. Alle Konzentrationslager waren nach dem Dachauer
Modell strukturiert. Sie wiesen eine gleichartige innere Verwaltungs- und
75
Typologien des Gedenkens
Organisationsstruktur auf, die Teilung der Lager SS in einen Kommandanturstab und
andererseits in eine Wachtruppe.114 In allen Lagern waren die Häftlinge der gleichen
Lagerordnung unterworfen - Terror durch Normierung - und alle Konzentrationslager
wurden eigens dafür gebaut und zwar nach ähnlichen architektonischen Plänen.115
Das Konzentrationslager Bergen-Belsen muss in korrekter Bezeichnung als
Konzentrations- und Kriegsgefangenenlager bezeichnet werden. Es wurde 1940
unter der Zuständigkeit der Wehrmacht nach dem Überfall auf die Sowjetunion
eingerichtet und war nur für die Unterbringung von russischen Kriegsgefangenen
vorgesehen. Erst 1943 wurde ein Teil des Lagers an die SS übergeben, die diesen
Teil als „Aufenthaltslager Bergen-Belsen“ für Juden nutzte.
Auch das Konzentrationslager Mittelbau-Dora fällt aus dem ursprünglichen
Entstehungsmuster. Nach der Bombardierung der Heeresversuchsanstalt in
Peenemünde im August 1943 wurden gezielt die bereits vorhandenen
Stollensysteme des Kohnsteins in Nordhausen im Südharz genutzt, um dort die
Rüstungsvorhaben weiter zu verfolgen und die V2-Produktion zu gewährleisten.
Oftmals zum reinen Außenlager von Buchenwald degradiert, war Mittelbau-Dora das
einzige KZ diesen Typs, das in den Rang eines selbständigen Stammlagers erhoben
wurde und die Unterstellung zum Hauptlager Buchenwald war rein formaler Natur.
Auch hier wird bereits sichtbar, dass die geschichtlichen Ausgangssituationen der
Untersuchungsobjekte sehr verschieden waren und eine Bedingungskonstanz nicht
erreicht werden konnte.
Für die homogene Auswahl der drei Gedenkstätten sprechen nun die folgenden
objektiven Kriterien:
formale Bezeichnung als Konzentrationslager,
Gedenkstätten, die in Größe und Bedeutung repräsentativ sind,
Gedenkstätten auf bundesdeutschem Gebiet,
Gedenkstätten mit eigener Organisations- und Verwaltungsstruktur,
Gedenkstätten mit ähnlichem hierarchischen Aufbau,
114 Orth, Karin: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager, S. 30f., in: Reif-Spirek, Peter/ Ritscher Bodo (Hg.): Speziallager in der SBZ- Gedenkstätten mit „doppelter Vergangenheit“, Berlin, 1999, 1. Auflage.115 Anm.: Das Grundprinzip war die Einheit von Architektur und Funktion und deshalb die architektonische Wahl der Dreiecksform für die Lager. Von einer Spitze aus konnte der Terror mit wenig Aufwand auf das gesamte Gelände ausgeübt werden.
76
Typologien des Gedenkens
Gedenkstätten, die infolge der Bestimmungen der Enquête-Kommission einen
strukturellen Wandel erfahren haben (zwei Untersuchungsobjekte sind
Stiftungen des öffentlichen Rechts, Bergen-Belsen übernimmt diese
Rechtsform in Kürze).
Neben den objektiven Kriterien müssen ebenso die subjektiven erwähnt werden. Es
ist natürlich weniger kompliziert, die Gedenkstätten zu untersuchen, deren
Geschichte bekannt ist. Sowohl in Sachenhausen als auch in Mittelbau-Dora habe
ich durch regelmäßige Besuche (auch mit Führungen) die Entwicklungen und neuen
Ausstellungen verfolgt. Zugegebenermaßen steht die Gedenkstätte Mittelbau-Dora
grundsätzlich im Schatten der bedeutungsvollen und medienwirksamen
Gedenkstätte Buchenwald. Bei der Gedenkstätte Mittelbau-Dora kommt noch ein
persönlicher Bezug dazu. Durch meine langjährige Mitgliedschaft in dem dort an der
Gedenkstätte angegliederten Jugendverein konnte ich die Wahrnehmung von
Veränderungen etwas intensiver verfolgen.
Die Gedenkstätte Bergen-Belsen kannte ich bisher nicht und deshalb war das
Interesse an einer Besichtigung und einem Gespräch immens, auch weil diese seit
Jahrzehnten - wie Auschwitz - einen international bekannten Namen trägt.
Nach intensiverer Beschäftigung mit der Thematik musste ich erkennen, dass es
sehr schwierig werden würde, eine Untersuchung anzustreben, die repräsentativ
und allgemeingültig sein würde. Die Entwicklung eines standardisierten
Fragebogens entsprach nicht den Untersuchungsansätzen, da die Antworten, die ich
suchte, Ergebnis von persönlichen Einstellungen und Antworten auf Thesen oder
Aussagen und Zitate sind. Diese können zum einen keinesfalls in einem
standardisierten Fragebogen beantwortet werden, noch können die Ergebnisse als
solche angemessen operationalisiert werden. Anhand eines nicht standardisierten
Leitfadeninterviews oder Experteninterviews wollte ich eine Projektionsfläche
schaffen, auf der sich verschiedene Einstellungen und Haltungen zur Gedenkkultur
und zur Einordnung der Gedenkstätten in den gesellschaftlichen und politischen
Prozess widerspiegeln. Demzufolge waren meine Thesen, die ich eingangs
vorgestellt habe, das Grundgerüst bei der Entwicklung des Interviews und die dazu
entworfenen Frageleitfäden strukturierten den Ablauf der Befragung nur im Hinblick
auf die interessierenden Aspekte vor. Die Einstellungen und Wertungen, die aus
77
Typologien des Gedenkens
meinen Befragungen hervorgehen, sollen meine Thesen verifizieren oder
falsifizieren, deshalb ist meine methodische Vorgehensweise induktiv, da ich anhand
der Interviews meine Thesen belegen oder widerlegen werde. Nochmals sei hier
betont, dass die geführten Interviews zwar eine Bedingungskonstanz hinsichtlich der
Rahmenbedingungen und Vorgehensweise und anschließenden Auswertung
aufweisen können, die Resultate jedoch keine Allgemeingültigkeit beanspruchen
können, da bei drei Befragungen die Ergebnisse nicht apodiktisch sind.
Mit allen Gedenkstätten wurde per Email der Kontakt gesucht und gezielt nach
einem Interview gefragt, welches im Rahmen einer Diplomarbeit stattfinden sollte.
Als Anhaltspunkte habe ich die Thematik und die Fragestellung mitgeteilt, unter der
die Diplomarbeit bearbeitet werden soll. Es wurde in keinem der Fälle das
Leitfadeninterview vorab per Mail oder Post zugeschickt.
Die Befragungen fanden in allen drei Fällen in der jeweiligen Gedenkstätte als face-
to-face-Interview statt. Alle Gespräche wurden innerhalb der normalen Arbeitszeit
geführt und es waren grundsätzlich keine weiteren Zuhörer anwesend. Die
Gespräche wurden nach einer vorhergehenden Vereinbarung auf einem
Tonbandgerät aufgezeichnet, um diese anschließend zu transkribieren. In der
Anlage befindet sich ein Dokument, in dem festgehalten wird, dass die Verwendung
der Befragungen nur für die Diplomarbeit gilt und der verschriftlichte Teil nicht als
Anlage der Arbeit beigefügt wird. Ferner besagt es, dass die Aussagen, die vom
Interviewpartner getroffen werden, freigegeben werden müssen, bevor sie
Verwendung innerhalb der Arbeit finden. In zwei von den drei Gesprächen konnte
das Interview tatsächlich nur auf Grundlage dieses Dokuments geführt werden, das
nachfolgend kopiert wurde, aber als Original in der Gedenkstättenleitung verblieb.
Nach allen Befragungen wurde das aufgezeichnete Gespräch verschriftlicht und per
Email an den Interviewpartner zur etwaigen Korrektur vorgelegt.
Die Kontaktaufnahme zur Gedenkstätte Bergen-Belsen stellte sich als recht
umkompliziert heraus. Auch die Mitarbeiter der Verwaltung dort waren kooperativ
und freundlich und so war es möglich, nach wenigen Emailkontakten bereits einen
Kontakt zum Gedenkstättenleiter Dr. Thomas Rahe herzustellen. Nach einer kurzen
Terminvereinbarung schickte Dr. Rahe in Vorbereitung auf das Interview zwei Texte
78
Typologien des Gedenkens
zur Gedenkstättenpädagogik und -konzeption der Gedenkstätte Bergen-Belsen per
Post, um eine adäquate Vorbereitung zu gewährleisten. Auch das nachfolgende
Interview war sehr informativ und die Atmosphäre, in der es geführt wurde, sehr
angenehm. Nach einer kurzen Vorstellung meiner Person konnte das Gespräch
sofort geführt werden und wurde nebenbei aufgezeichnet. Das Interview in der
Gedenkstätte Bergen-Belsen dauerte ca. zwei Stunden.
Ich habe den Interviewtext wiederum per Email an den Gedenkstättenleiter Dr. Rahe
geschickt, der auch hier unkompliziert und schnell den Text bearbeitete und kleinere
Korrekturen vornahm, eine weitere Durchsicht seinerseits war nicht nötig.
Parallel zur Planung des Interviews in Bergen-Belsen hatte ich eine Anfrage in der
Gedenkstätte Sachsenhausen aktiviert. Da ich in Bergen-Belsen bereits mit dem
Gedenkstättenleiter gesprochen hatte, also der formal hierarchischen Spitze, musste
ich auch hier versuchen, einen Kontakt zur Leitung herzustellen, was sich erst nach
mehrfachen Anfragen ermöglichte. In einer kurzen Email sagte mir der Direktor der
Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten - Prof. Dr. Günter Morsch - einen Termin
zu, jedoch nur unter dem Vorbehalt, ihm vorher eine Konzeption meiner
Diplomarbeit zu schicken, einen Literaturnachweis über adäquate Fachliteratur
beizulegen und zum anschließenden Umgang mit dem Interview eine schriftliche
Aussage zu treffen. Nach Erledigung all dieser Formalien konnte allerdings
verhältnismäßig schnell ein Termin vereinbart werden. Auch dieses Interview fand
am authentischen Ort statt, diesmal allerdings in den Räumen der Stiftung, in der
auch das Büro des Direktors Prof. Morsch ist. Das Gespräch fand in einer
angespannten und meinerseits nervösen Atmosphäre statt. Das Papier über den
Umgang mit den Interviews fand bei Prof. Morsch nur partiell Zustimmung und
wurde handschriftlich von ihm geändert und erst hernach abgezeichnet. Ferner
stellte er sich als äußerst schwieriger Interviewpartner heraus, der die
Fragestellungen mehrfach hinterfragte und beispielsweise Aussagen meinerseits als
gezielt falsch darstellte. Das Interview dauerte genau eine Stunde. Die nachfolgende
Bearbeitung war hier äußerst kompliziert und langwierig. Das verschriftlichte
Gespräch wurde Prof. Morsch vorgelegt und von ihm redigiert. Per Post erhielt ich
das Dokument, in dem Änderungen in einem Ausmaß vorgenommen wurden, die
nicht mehr auf das ursprünglich geführte Gespräch verwiesen. Nach erneuter und
79
Typologien des Gedenkens
aufwendiger Bearbeitung musste das Dokument nun wieder per Post an die Stiftung
geschickt werden, da einige handschriftliche Hinweise nicht lesbar waren und
demzufolge nicht eingearbeitet werden konnten. Nach wenigen Tagen erhielt ich
eine weitere Korrekturfassung, die auch wiederum nur unter Vorbehalt verwendet
werden durfte, wenn größere Abschnitte, die ich innerhalb der Arbeit zitieren
werden, Prof. Morsch vorab vorgelegt würden. Insgesamt war es eine sehr
zeitintensive Befragung.
Auch hier habe ich parallel zur Bearbeitung des zweiten Gesprächs die
Kontaktaufnahme zur Gedenkstätte Mittelbau-Dora aufgenommen. Da diese
Gedenkstätte sich in unmittelbarer Nähe zu meinem Heimatort befindet, konnte ich
hierbei flexibler auf Termine reagieren und wollte die Möglichkeit wahrnehmen, mit
einer Mitarbeiterin der Pädagogik in der Gedenkstätte zu sprechen. Da die
Bedingungskonstanz gewahrt werden sollte, wollte ich die Resultate keineswegs in
die abschließende Bewertung einfließen lassen, sondern grundsätzlich nur
subjektive Einstellungen als persönlichen Informationszuwachs ermitteln. Ich teilte
der Mitarbeiterin in einem Vorgespräch mit, dass ich schon Gespräche mit den
Gedenkstättenleitern von Bergen-Belsen und Sachsenhausen geführt hatte und sie
zog ihre Bereitschaft prompt zurück. Sie teilte mir mit, dass es nicht möglich wäre,
mit mir in einem offiziellen Rahmen über die Gedenkkultur zu sprechen, wenn ich
nicht vorher mit dem Gedenkstättenleiter Dr. Wagner gesprochen hätte und
außerdem müsste sie dort auch erst eine Dispens einholen. Ich wiederum müsste
genau den Fragenkatalog abgrenzen, denn da die Mitarbeiterin der Pädagogik der
Gedenkstätte unterstellt sei, müsste ich auch zuerst, hierarchisch genau, mit dem
direkten Vorgesetzten der Pädagogik in Buchenwald reden bzw. mit diesem und in
Rücksprache mit Dr. Wagner ein Gespräch mit der Pädagogik in Mittelbau-Dora
freistellen. In Anbetracht der Tatsache, dass diese Befragung nicht offizieller Teil
dieser Arbeit sein sollte, stand der Aufwand letztlich in keinem Verhältnis zum
Nutzen, und ich habe nur das Gespräch mit dem Gedenkstättenleiter Dr. Jens-
Christian Wagner in Mittelbau-Dora geführt. Hier konnten die Kontaktaufnahme und
auch die Terminvereinbarung unkompliziert und schnell vereinbart werden. Das
Gespräch fand in einer angespannten Atmosphäre statt, was meines Erachtens auf
80
Typologien des Gedenkens
die äußeren Umstände - die Gedenktage in Mittelbau-Dora waren kurz zuvor116-
zurückzuführen war. Insgesamt jedoch verlief das Gespräch gut und konnte bereits
nach ca. einer Stunde beendet werden. Auch hier war die nachfolgende Bearbeitung
eher unkompliziert und konnte per Email abgewickelt werden.
4.4 Aufbau und Struktur der einzelnen Untersuchungsobjekte: Bergen-Belsen, Sachsenhausen und Mittelbau-Dora
Die Gedenkstätten werden in der Reihenfolge behandelt, in der auch die Gespräche
geführt worden sind. Die Reihenfolge stellt dabei keine Rangfolge dar.
Es wird versucht, die einzelnen Untersuchungskategorien möglichst primär mit den
Zitaten aus den Interviews zu beantworten oder zu belegen. Diese Vorgehensweise
wird als ein Sinn auslegendes Auswertungsverfahren betrachtet, weil dadurch die
authentische und sinnvollste Auswertung der Gespräche und die zweckmäßigste
Widergabe der Eindrücke und Aussagen gewährleistet werden kann.
Bereits recht frühzeitig griff die Enquête-Kommission der 12. Wahlperiode das
Stichwort „Stiftung“ auf. Da die Zeit gerade im Hinblick auf das Überleben dieser
Initiative drängte, hat die Kommission ihren Stiftungsvorschlag in Form eines
Zwischenberichts an den Deutschen Bundestag vor dem regulären Ende ihrer
Tätigkeit vorgelegt, so dass das Gesetzgebungsverfahren bis zum Ende der 13.
Legislaturperiode zum Abschluss gebracht werden konnte. Die Kommission hatte für
die Organisation der Gedenkstätten die Rechtsform der Stiftungen vorgeschlagen,
die vom politischen System getragen werden solle und durch die Einsetzung von
sachverständigen Gremien unter Wahrung der inhaltlichen Autonomie der
Einrichtungen agiert. Tatsächlich sind die Betroffenen, die überlebenden Häftlinge
dieser Lager, „nur“ in beratender Funktion einbezogen worden.
In den Ländern Brandenburg und Thüringen wurden, wie von der
Expertenkommission empfohlen, 1993 die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätte
mit Sitz in Oranienburg als Dachorganisation für die Gedenkstätten Sachsenhausen
(mit der Außenstelle „Museum Todesmarsch“ im Belower Wald), Ravensbrück und
116 Wie in allen anderen Gedenkstätten findet in Mittelbau-Dora jährlich ein Gedenkakt anlässlich der Befreiung des Lagers am 10., 11. und 12. April 1945 mit Überlebenden statt.
81
Typologien des Gedenkens
die Dokumentationsstelle Zuchthaus Brandenburg sowie die Stiftung Gedenkstätten
Buchenwald und Mittelbau-Dora mit Sitz in Buchenwald eingerichtet, jeweils zu
gleichen Teilen getragen vom jeweiligen Bundesland und vom Bund.
4.4.1 KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen
Die Gedenkstätte Bergen-Belsen ist, als der Umwandlungsprozess in den beiden
großen ostdeutschen Gedenkstätten vollführt wurde, noch in eine:
„…eigenartige Konstruktion, die sich von anderen Gedenkstätten etwas unterscheidet, (…), wir sind seit Beginn (…) mit diesem Arbeitsbereich ein Teil, ein Referat innerhalb der Landeszentrale für politische Bildung…“ 117
Als das Interview geführt wurde, war sie noch immer in diesem Zustand, mehr als
zehn Jahre nach den Vorschlägen und Umsetzungen der Expertenkommission für
die ostdeutschen Gedenkstätten. Herr Dr. Rahe teilte mir mit, dass die Änderung der
Rechtsform in eine selbständige Stiftung voraussichtlich bis Ende 2004 vollführt
werden wird. Das heißt allerdings auch, dass, solange die Änderung nicht wirksam
ist, de facto der Leiter des Referats für Gedenkstättenarbeit innerhalb der
Landeszentrale für politische Bildung Niedersachsens, der formale Leiter der
Gedenkstätte Bergen-Belsen ist - somit ist Herr Dr. Rahe nur Stellvertreter und nur
dann Leiter, wenn der Referatsleiter nicht vor Ort ist.
Für die Gedenkstätte Bergen-Belsen kann bereits an diesem Punkt konstatiert
werden, dass durch die Einheit der beiden deutschen Staaten und die dadurch
entstandenen Neuorientierungen hinsichtlich der Gedenkstätten ein positiver Effekt
von den ostdeutschen Gedenkstätten zu den westdeutschen Gedenkstätten strahlte
oder wie Dr. Rahe meinte: „Da stimmt wirklich mal die Formel ‚ex oriente lux’…“.
Dass dieser Neuorientierungsprozess so lange dauerte, führte letztlich auch dazu,
dass Bergen-Belsen praktisch die letzte große Gedenkstätte nach Dachau (Bayern)
und Neuengamme (Hamburg) ist, die noch nicht als selbständige Stiftung des
öffentlichen Rechts organisiert ist. Dieser Prozess ist außerdem längst überfällig,
insbesondere hinsichtlich der Qualität der Gedenkstättenarbeit.
„Wir haben einfach große Probleme mit einem hierarchischen Apparat gehabt, dadurch dass wir eine Unterabteilung einer Landeszentrale für politische Bildung sind, die wiederum dem Kultusministerium untersteht (…). Es hat doch mehr
117 Interview, Bergen-Belsen, 2004.
82
Typologien des Gedenkens
Reibungsverluste gegeben als Unterstützung unserer Arbeit mit dieser Anbindung. Auch die Neigung gegen bestimmte Arbeitsfelder [innerhalb der Landeszentrale], die wir als Gedenkstätte haben, (…) sind immer unterbelichtet wurden.“118
Es ist erstaunlich, dass dieser Reorganisationsprozess so lange andauert. Wenn
man davon absieht, dass eine Stiftung einfacher Drittmittel einwerben kann, um
damit weitere Projekte zu finanzieren, die für ihre Existenz notwendig sind, dann wird
die Arbeit der Gedenkstätte nicht nur strukturell und personell behindert, sondern
wie es in Bergen-Belsen der Fall ist, die Gedenkstätte durch ihre Anbindung zur
Landeszentrale auf diesen einen Aspekt der politischen Bildung reduziert und nur die
pädagogische Arbeit der Gedenkstätte in den Blick genommen. Die Forderungen an
die Gedenkstätten, sich zunehmend als zeitgenössische Museen mit breiten
Bildungsangebot und vielfältigen Projekten zu präsentieren, kann jedoch nur
realisiert werden, wenn die politischen Grundsatzentscheidungen, beispielsweise für
eine andere Organisationsform, als solche getroffen werden. So konnte der Ausbau
der Gedenkstätte Bergen-Belsen und die neue Dauerausstellung nur verwirklicht
werden, weil die Gedenkstätte seit dem Jahr 2000 in die Bundesförderung
aufgenommen ist.
„Das ist ein ganz wichtiger Einschnitt in unserer Arbeit gewesen, weil über all die Projekte, mit denen wir aktuell zu tun haben [gefördert werden], (…) darüber bräuchten wir überhaupt nicht zu reden, wenn der Zustand so geblieben wäre.“119
Zwar ist der Bund momentan juristisch nicht in der Gedenkstätte vertreten, was erst
dann der Fall sein wird, wenn auch Bergen-Belsen als Stiftung organisiert ist, aber
de facto übt er schon jetzt Einfluss auf die Arbeit der Gedenkstätte aus, weil er
neben dem Land Niedersachen praktisch in gleichem Umfang der Finanzgeber der
Gedenkstätte ist.
Die Neuorganisation der Gedenkstätte als selbständige Stiftung des öffentlichen
Rechts birgt aber nicht nur eine finanzielle Absicherung, sondern den weitaus
entscheidenderen Aspekt der Dezentralisierung und Souveränität:
„[Ein Prozess], wo es gerade darum geht, gewissermaßen eine Staatsferne, eine gewisse Unabhängigkeit von staatlichen und politischem Einfluss zu erreichen. Das ist neben dem Finanzargument auch immer, (…), ein zentrales Argument gewesen, das man, wenn man als Stiftung organisiert ist, sich eher auch öffnet zur Gesellschaft hin.“120
118 Interview, Bergen-Belsen, 2004.119 Interview, Bergen-Belsen, 2004.120 Ebd.
83
Typologien des Gedenkens
Bis zur finalen Änderung der Rechtsform in eine selbständige Stiftung des
öffentlichen Rechts bleibt die Gedenkstätte eine vom Staat finanzierte und vom Staat
verantwortete Einrichtung, in der es keinerlei institutionelle Regelungen zur
Zusammenarbeit mit Opfer- und Häftlingsverbänden gibt, respektive eine
Zusammenarbeit mit anderen gesellschaftlichen Gruppen, die von der Thematik
tangiert sind.
„Das wäre in einer Stiftung dann natürlich anders, weil es dann nicht nur einen Stiftungsrat, sondern i.d.R. auch einen Stiftungsbeirat gibt, in dem diese Gruppen, Häftlingsverbände und verschiedene gesellschaftliche Gruppierungen mit organisiert sind und mit Einfluss nehmen können auf die Arbeit der Gedenkstätte.“121
Wie in anderen Gedenkstätten bisher auch kann Bergen-Belsen auf ein langjährige
und gute Zusammenarbeit mit den Häftlingsverbänden und anderen Arbeitsgruppen
zurückblicken. Aber hier eröffnet sich ein spezifisches Problem, denn in Bergen-
Belsen gibt es keinen Zentralverband von ehemaligen Häftlingen wie beispielsweise
in Buchenwald. Die große Mehrzahl der Häftlinge, die schließlich in Bergen-Belsen
befreit worden sind, waren nur wenige Wochen in Bergen-Belsen. Bergen-Belsen
war in praktisch fast keinem Fall ein Ersteinlieferungslager und die Menschen dort
sind unter Umständen vorher zwei bis drei Jahre in Auschwitz, Buchenwald oder
Mittelbau-Dora gewesen. Das bedeutet, dass:
„…wenn sie sich organisieren, dann organisieren sie sich eher in einem Buchenwald-Verband, (…). Von daher hat dies eine andere Struktur, es gibt sozusagen keine ganz normalen Häftlingsverbände. (…) Insofern ist das ein bisschen eine Schwierigkeit bei uns, wo man auch sehen muss, wie organisiert man es dann mit der Vertretung im Stiftungsbeirat.“122
Bereits in den achtziger Jahren gab es in der Gedenkstätte Bergen-Belsen
interessierte Einzelpersonen, die sich gezielt in Bürgerinitiativen und
Arbeitsgemeinschaften organisiert haben. Diesem Engagement ist der Staat nur
sehr widerstrebend gefolgt. Trotz der internationalen Bedeutung war die
Gedenkstätte schlechter ausgestattet als jedes kleine Stadtmuseum im Umkreis und
es gab weder eine Ausstellung noch historische Informationen zum ehemaligen
Gelände.
121 Interview, Bergen-Belsen, 2004.122 Ebd.
85
Typologien des Gedenkens
4.4.2 KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen
Als nachgeordnete Einrichtungen hatte das neue Bundesland Brandenburg mit
seiner Regierung die Gedenkstätten übernommen und im Dezember 1992 wurde
der Gründungsbeauftragte der Stiftung vom Kulturminister des Landes Brandenburg
eingesetzt. Wie bereits erwähnt, ist die Gedenkstätte Teil der Stiftung
Brandenburgische Gedenkstätten. Die Landesregierung beschloss Ende Januar
1993 die Gründung der Stiftung rückwirkend zum 1. Januar 1993.123 Als eine
gemeinnützige und selbständige Stiftung untersteht auch diese wie die zukünftige
Form der Gedenkstätte Bergen-Belsen nur der Rechts-, nicht aber der Fachaufsicht
des Landes. Ein Effekt der Stiftung ist somit eine gewisse Unabhängigkeit von der
Politik im administrativen Sinn. Natürlich werden die Handlungsspielräume auch
dadurch beeinflusst, dass der Großteil des Stiftungsrates von Vertretern aus der
Politik gestellt wird.
„Die Gedenkstättenstiftung ist gegründet worden, um zu versuchen, die Öffentlichkeit möglichst breit in den Prozess des Findens von Inhalten und Formen
des Gedenkens einzubinden. (…) die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten vertritt ein dezidiertes Konzept, sich möglichst breit in der Gesellschaft zu integrieren, um zu
verhindern, dass Gedenken und Erinnern das Anliegen von Wenigen wird, seien es Wissenschaftler oder seien es Politiker, sei es, dass es zum Ritual erstarrt…“124
Deshalb versteht sich die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten nach Aussagen
von Prof. Morsch auch als „pluralistisch angelegte Organisation“, die sich
insbesondere durch ihre beiden polymorphen Beratungsgremien auszeichnet. Zum
einen ist das der internationale Beirat, in dem die Vertreter unterschiedlichen
(nationaler und internationaler) Häftlingsverbände aus Sachsenhausen und
Ravensbrück vertreten sind, und zum anderen ist das die Fachkommission, die in
sich die Experten der Fachwissenschaft, hauptsächlich Historiker, vereint.
„Das ist die Struktur der Stiftung, darüber hinaus haben wir weiterhin versucht, auch andere Gruppen und Institutionen an uns zu binden…, die mehr oder weniger
fördernd für uns tätig sind: Das eine ist der Förderverein der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen (…). Das andere ist der Initiativkreis zum Aufbau einer
Jugendbegegnungsstätte in der Gedenkstätte Sachsenhausen.125
In der Gedenkstätte Ravensbrück konnte im Jahr 2002 eine internationale
123 Vgl. Dittberner, J.: Schwierigkeiten mit dem Gedenken, 1999.124 Interview mit Prof. Morsch in der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, 9. März, 2004.125 Interview, Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, 2004.
86
Typologien des Gedenkens
Jugendbegegnungsstätte eröffnet werden. Zu den abschließenden
Handlungsempfehlungen im Schlussbericht der Kommission gehörte auch die
Förderung der Einrichtung von internationalen Jugendbegegnungszentren in den
Gedenkstätten.
Obwohl die Gedenkstättenstiftung immer wieder um die institutionelle Förderung und
die wechselnden Gesamtvolumina bangen musste, konnte im Herbst des Jahres
2002 ein von der Bundesregierung finanziertes Sonderinvestitionsprogramm in der
Gedenkstätte Sachsenhausen realisiert werden und die Umgestaltung und
Neugestaltung der Sanierung der „KZ-Gedenkstätte der Bundeshauptstadt“
weitgehend vollzogen werden.126
Der hohe Anteil von Politikprominenz im Stiftungsrat muss nicht zwangsläufig als
Negativeffekt oder Instrumentalisierungsversuch betrachtet werden. Die Vermutung
liegt nahe, dass bestimmte Vorhaben durchaus einfacher in die politischen Sphären
gelenkt werden können, wenn im Stiftungsrat, dem Legislativorgan mit seinen
klassischen Aufgaben der Beschlussfassung über Vorhaben mit grundsätzlicher
Natur, eine Reihe prominenter z.T. öffentlicher Personen konstruktiv die
Stiftungszwecke, die Erinnerung an die Gewaltherrschaft und würdiges Gedenken
der Opfer, verfolgen.
4.4.3 KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora
Wie auch die Gedenkstätte Sachsenhausen ist die Gedenkstätte Mittelbau-Dora mit
dem Errichtungserlass des Thüringer Ministers für Wissenschaft und Kunst vom 25.
März 1994 Teil einer Stiftung des öffentlichen Rechts geworden.127 Die Stiftung trägt
den Namen „Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora“ und
unterschied sich bis Ende 2003 hinsichtlich ihrer Anbindung an das zuständige
Fachministerium. Während die Brandenburgische Stiftung nur der Rechts- jedoch
nicht Fachaufsicht unterlag, war das im Fall Buchenwald und Mittelbau-Dora nicht
von Beginn an. Die Stiftung unterlag zunächst der Fach- und Rechtsaufsicht des
zuständigen Kultusministeriums und war erheblich in ihrem Handlungsspielraum
126 Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten (Hg.): Jahresbericht der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten für das Jahr 2002, Vorwort, Oranienburg, 2003, S. 4f.127 Geschäftsordnung der unselbständigen Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, 2002.
87
Typologien des Gedenkens
eingeschränkt.
„Seit einem halben Jahr sind wir eine Stiftung des öffentlichen Rechts, die selbständig agieren kann. Vorher waren wir eine unselbständige Stiftung, die de facto ein ‚Papiertiger’ gewesen ist.“128
Die Stiftung wird institutionell gefördert, und zwar zur Hälfte vom Bund und zur Hälfte
vom Freistaat Thüringen. Die unselbständige Stiftung ist ein rechtlich-
organisatorisches Konstrukt, welches wesentlich darauf ausgerichtet ist, seine
Aufgaben aus Spenden zu finanzieren, weil nicht auf ein Grundvermögen oder
angemessene Erträge aus Leistungen zurückgegriffen werden kann. Es ist eine
Stiftung mit geringer Kapitalausstattung. Als selbständige Stiftung kann wie in der
Brandenburgischen Gedenkstättenstiftung auch zukünftig verstärkt der Weg der
Drittmittelwerbung gegangen werden.
4.4.4 Kurze Bewertung der Ergebnisse
Auch wenn die thüringische Stiftung erst jetzt formal zu einer selbständigen Stiftung
gereift ist, werden doch die beiden Stiftungsprojekte in Brandenburg und Thüringen
als Erfolgsmodelle bezeichnet und der Erfolg ist sicherlich daran beteiligt, andere
Gedenkstätten auch in diese Rechtsform einzubinden. Die relative Unabhängigkeit
und die Stiftung als die preiswerteste Organisationshülse sprechen für die
Entscheidung, Gedenkstätten in eine öffentliche rechtliche Stiftung zu überführen,
zumal damit auch die relativ schwerfällige Vereinsstruktur umgangen werden kann.
Klaus von Dohnanyi hat einmal formuliert, dass die Stiftungen ein „Korrektiv zum
immer allmächtiger werdenden Staat“ 129 sind. Stiftungen sollen frei von äußeren
Einflüssen agieren und selbständigen Einsichten folgen, als kreativer Sinn bildender
Motor mit gemeinnützigen Zielen innerhalb der Gesellschaft. Wichtiger ist jedoch,
dass gerade die Gedenkstättenstiftungen nicht für kurzfristige politische Ziele zu
instrumentalisieren sind und zum parteipolitischen Erfüllungsgehilfen des
Tagesgeschäfts missbraucht werden; die Konflikte um die sächsische
Gedenkstättenstiftung sind symptomatisch dafür.
128 Interview, Mittelbau-Dora, 2004.129 Zitiert nach Strachwitz, Ruppert Graf: Stiftungen – nutzen, führen und errichten- Ein Handbuch, Frankfurt/New York, 1994, S. 183.
88
Typologien des Gedenkens
Grundsätzlich sind sich alle drei Befragten darüber einig, dass die Wahl der
Rechtsform, wenn es eine selbständige Stiftung des öffentlichen Rechts ist, eine
adäquate Organisationshülse für die Gedenkstätten ist, denn eine andere
Rechtsform würde keine funktionale Alternative darstellen.
Die Problematik der legitimen Vertretung in den Beiräten oder Kuratorien stellte sich
in Bergen-Belsen aufgrund der differenzierten Häftlingsstruktur schon zu Beginn der
Bildung einer Stiftung. Für die Thüringische und die Brandenburgische Stiftung,
ebenso für die anderen Gedenkstättenstiftungen, wird sich diese Problematik in den
nächsten Jahre auch verstärken, denn wir stehen vor dem Übergang vom
kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis und dem Verlust von Zeitzeugen, den
legitimen Vertretern in den Beisitzorganen der Stiftungen.
4.5 Die funktionale Gedenkstätte
Die Gedenkstätte als institutionelle Einrichtung direkt vom authentischen Ort
losgelöst zu betrachten, ist in den drei Untersuchungsobjekten nicht möglich. Als
organisatorische Einheit stellt jede durch Personal, Betreuung, Wissenschaft und
Forschung und Pädagogik zielgerichtet den Zugang zu den historischen Relikten
sicher. Die Gedenkstätte ist der kulturell formende Schnittpunkt zwischen dem
Besucher und den Relikten und Fakten. Dass der kulturell formende Charakter leicht
missbraucht werden kann, hat vor allem die Erinnerungskultur in der DDR gut
veranschaulicht. Jan Assmann ist deshalb der Überzeugung:
„Die beste Erinnerung ist die kulturell ungeformte, denn alles Geformte kann verformt, missbraucht und zerstört werden.“130
Jedoch ist keine kulturelle Formung nicht möglich, da die Gedenkstätten immer
noch, wenngleich immer weniger, an erster Stelle Friedhöfe für eine Vielzahl von
Menschen sind. Dieser kulturell formende Aspekt der Friedhofsfunktion wird
bestehen bleiben, das liegt in der Natur der Sache und in unserem genuinen
Totengedenken.
Die Gedenkstätten an den Orten ehemaliger Verbrechen erinnern an die NS-
130 Assmann, J.: Kollektives und kulturelles Gedächtnis, S. 32, in: Borsdorf/ Grütter: Orte der Erinnerung, 1999.
89
Typologien des Gedenkens
Verbrechen. Mit Hilfe des Aufzeigens der politischen wie gesellschaftlichen
Entwicklungsstadien, die zum Errichten von diesen Konzentrations- und
Vernichtungslagern geführt haben, wollen die Gedenkstätte die Motive für ihre
eigene Entstehungsgeschichte und deren Konsequenzen sichtbar machen. Die
Gedenkstätten versuchen durch gezielte Informationsvermittlung und Markierung
von besonderen historischen Plätzen eine authentische Wahrnehmung und
Einordnung über den zeitlichen Rahmen hinaus beim Betrachter zu erreichen.
Weniger pathetisch können die zentralen Arbeitsfelder der Gedenkstätten genannt
werden, die sich zunehmend Ende der achtziger Jahre, gleichermaßen in Ost und in
West, ausgeprägt haben. Dazu zählen die pädagogische Arbeit, die Dokumentation
und Wissenschaft und Forschung und die intensiven Kontakte zu ehemaligen
Häftlingen und deren Vereinigungen. Während die Pädagogik in den Gedenkstätten
zu didaktisch oder politisch instrumentalisiert war und die wissenschaftliche
Aufbereitung fast überhaupt nicht oder nur „halbherzig“131 betrieben wurde, kann an
dieser Stelle die erste Zäsur in der Gedenkkultur in der Wiedervereinigung gesehen
werden.
„Der Paradigmenwechsel bestand in der Hauptsache darin, dass sich die Gedenkstätten von Friedhöfen, die sie bis dahin in der Hauptsache waren, weiterentwickelt haben zu zeithistorischen Museen.“132
Allerdings ist dies bisher nur in den beiden Gedenkstätten Sachsenhausen und
Mittelbau-Dora geschehen, denn Dr. Rahe schätzt die Lage bisher weniger
optimistisch ein und sagt:
„An den Arbeitsfeldern hat sich noch nichts verändert, was von Beginn an aus meiner Sicht die zentralen Arbeitsfelder für die Gedenkstätte in Bergen-Belsen oder der Gedenkstätte allgemein waren, das sind sie, glaube ich, nach wie vor, also: pädagogische Arbeit, Kontakte zu ehemaligen Häftlingen und das Feld
Dokumentation und Forschung.“133
Zwar bezeichnet auch er die Gedenkstätten als „multifunktionale Einrichtung“ ein
und grenzt diese damit vom historischen Museum ab, in dem er ihnen auch die
Arbeitsfelder Service, Betreuung und Archivwesen zuschreibt, aber qualitativ in
diesen Bereich würden sie wohl erst zukünftig arbeiten.
131 Interview, Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, 2004.132 Ebd.133 Interview, Bergen-Belsen, 2004.
90
Typologien des Gedenkens
In der Gedenkstätte Sachsenhausen wurde sehr schnell erkannt, dass neben dem
Forschungsauftrag auch viel Potenzial im pädagogischen Bildungsauftrag liegt. Um
von den didaktisch orientierten Formen der Vermittlung - so wie es in den
westdeutschen Gedenkstätten weit verbreitet war - Abstand zu nehmen, hat man
sich frühzeitig an der progressiveren Museumspädagogik orientiert und die kreativen
Ansätze in der Museumspädagogik genutzt, um:
„…ausgehend vom authentischen Ort nicht nur die Kognition, sondern Emotion und ebenso auratische Empfindungen anzusprechen, (…).“134
Mit der Wiedervereinigung und den intensiven Neukonzeptionen für die
Gedenkstätten wird nicht nur die Multifunktionalität der Gedenkstätten anerkannt und
respektiert, sondern vor allem mit dem gezielten Versuch, die Gedenkstätten als
zeithistorische Museen zu präsentieren, verwirklicht. Der Begriff des zeithistorischen
Museums ist als moderner Begriff zu verstehen, der unterschiedliche Komplexe
miteinander verbindet135, nämlich neben dem Forschungs- und Bildungsauftrag auch
der Aufbau eines professioneller Sammlung und eines professionellen betreuten
Archivs, moderne Themenausstellungen, die gezielt die neuen Informations- und
Kommunikationstechniken einbeziehen, um auch die „jüngeren“ Generationen
anzusprechen. Die Gedenkstätten verstehen sich als „offene Lernorte“.136
Im weiteren Sinne werden auch Informationszugänge als eine Dienstleistung
angeboten. Zu dieser Dienstleistungsfunktion gehört beispielsweise der
Führungsbetrieb in den Gedenkstätten:
„Wenn sich Gruppen anmelden, insbesondere Schulgruppen, dann übernehmen wir den aktuellen Teil des Schulunterrichts, des Geschichtsunterrichts oder des Gesellschaftskundeunterrichts oder an welchen Fächern er auch immer angesiedelt ist. Und das ist eine Dienstleistung, die wir versuchen, professionell zu bedienen. (…)
Es ist eine pädagogische Dienstleistung.“137
Auch wenn die Voraussetzungen in den Gedenkstätten recht unterschiedlich waren
und sind, so hat sich der Versuch zum Umbau zum zeitgenössischen Museum
gleichermaßen in Ost und in West entwickelt. Mit Nachdruck wurden Bild- und
134 Interview, Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, 2004.135 Ebd.136 von Meer, Antje: Zur Neukonzeption der brandenburgischen Gedenkstätten, S.20, in: Dittberner, Jürgen/ von Meer, Antje (Hg.): Gedenkstätten im vereinten Deutschland - 50 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager, Berlin,1994.137 Interview, Mittelbau-Dora, 2004.
91
Typologien des Gedenkens
Textdokumente aufgearbeitet und verstärkt zu den zentralen Gedenktagen auch
Zeitzeugenbefragungen in die Veranstaltungen eingebaut.
Personell und finanziell kann die Institution Gedenkstätte diesen anspruchsvollen
Aufgabenkatalog nicht erfüllen. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass die
Gedenkstätten nicht zum Selbstzweck existieren. Ihre Hauptfunktion ist die eigene
Geschichte und die Konsequenzen in die Gesellschaft zu tragen, eine Gesellschaft
für Ursachen und Wirkungen eines solchen Werteverfalls zu sensibilisieren.
„Die Konzentrationslager sind Teil der Gesellschaft gewesen und dann muss sich die Gesellschaft auch in ihrer Gänze damit auseinandersetzen und darf das nicht delegieren an einige zentrale Gedenkstätte.“138
Das bedeutet auch, dass die Gedenkstätten auf das bürgerschaftliche Engagement
angewiesen sind. In Bergen-Belsen war es anfangs eine kleine Bürgervereinigung,
die ehrenamtlich Führungen über das ehemalige Lagergelände angeboten hat und
Informationen für die Besucher bereitstellte. Heute deckt diese Bürgervereinigung,
die sich zunehmend als Arbeitsgemeinschaft versteht, gezielt die Aufgabenfelder ab,
die die Gedenkstätte allein nicht betreuen kann. Es ist in vielen Gedenkstätten der
Fall, dass bei der Besucherbetreuung die Gedenkstätten nie so viel Personal
eingestellt werden kann, wie eigentlich benötigt würde. Besonders an den Besucher
starken Feiertagen oder Gedenktagen füllen diese bürgerschaftlichen Vereinigungen
eine wichtige Lücke, in dem sie Kurzführungen anbieten, ehemalige Häftlinge
betreuen und beispielsweise innerhalb diverser Projekte sog.
Zeitzeugenbefragungen durchführen. Neben der Gedenkstätte Bergen-Belsen ist
das auch für Mittelbau-Dora und die Gedenkstätte Buchenwald zu konstatieren.
Einen weiteren Beitrag leisten auch die verschiedenen Jugendzentren und -
einrichtungen, die ursprünglich auf die abschließenden Handlungsempfehlungen der
Kommission zurückgehen. Auch hier kann positiv bewertet werden, dass in allen drei
Gedenkstätten eine aktive und intensive Zusammenarbeit mit Jugendverbänden zu
verzeichnen ist, die bei weitem über Projekttage hinausgeht. In sog. internationalen
Workcamps übernehmen die Jugendlichen Instandsetzungs- und
Restaurierungsarbeiten flankiert von soziokulturellen Projekten im ehemaligen
Lagergelände und haben so die Möglichkeit, sich intensiv mit der Vergangenheit
auseinanderzusetzen, aber auch tagespolitische Bezüge aufzubauen. Mit der 138 Interview, Mittelbau-Dora, 2004.
92
Typologien des Gedenkens
Empfehlung des Aufbaus von Jugendzentren wurde der pädagogische Auftrag
nachhaltig unterstrichen. Zunehmend können die Gedenkstätten aber auch eine
soziale Funktion übernehmen, in dem verstärkt auf die gesellschaftlichen
Entwicklungen reagiert wurde. Systematisch wurden pädagogische Projekte für
sozial benachteiligte Jugendliche entwickelt, um den Jugendlichen eine Möglichkeit
zu geben, sich aktiv einzubringen. Die sozial bezogenen Jugendprojekte sind in
Mittelbau-Dora und auch in Sachsenhausen zu finden und in beiden Einrichtungen
werden sie als erfolgreich und pädagogisch effizient bewertet.
Insgesamt haben die Gedenkstätten verstanden, dass sie sich gezielt an die
Multiplikatoren wenden müssen, um nachhaltig in die Gesellschaft hineinwirken zu
können. Das bedeutet natürlich auch, dass die Gedenkstätten mehr und mehr eine
Dienstleistungsfunktion erfüllen müssen. Sie müssen dem Besucher ein
interessantes Informationsangebot unterbreiten und auch auf gesellschaftliche
Veränderungen kurzfristig reagieren können. So sollte eine Ausstellung
beispielsweise in der Form konzipiert werden, dass diese auf die momentanen
visuellen Fähigkeiten der Besucher abgestimmt ist. Wenn eine Untersuchung139 von
Jugendlichen ergeben hat, dass sie sich kaum mehr als zehn Minuten konzentriert
mit einem Lesetext befassen können müssen die Ausstellungen darauf abgestimmt
werden. Ein Wechsel von Text-Bild- und Videomaterial und Zeitzeugengesprächen
sollten dann im Vordergrund stehen. Es ist eine zentrale Aufgabe der
Gedenkstätten, die Betrachter zu motivieren, an den authentischen Ort zu kommen.
Es müssen Präsentationen sein, die die physische Präsenz vor Ort bedingen, und es
müssen die Informationsangebote so vielfältig sein, dass sie die Betrachter
individuell ansprechen können, das Gedenken stärker nach Gruppen diversifizieren.
Darauf geht meines Erachtens das Konzept der dezentralen Gedenkstätte
besonders gut ein: die Verlegung der Ausstellungen und der Gedenkveranstaltungen
an einzelne authentische Orte.
Deutlich wurde hier, dass die Gedenkstätten sich durch eine Vielzahl von Aufgaben
und Funktionen auszeichnen. Allerdings ist diese Multifunktionalität besonders
hinsichtlich der Dienstleistungsfunktionen äußerst kostenintensiv. Eine
139 Untersuchung der Universität Essen zum Leseverhalten von Kindern: http://www.uni-essen.de/literaturwissenschaft-aktiv/Vorlesungen/lektuere/litsoziali.htm, Stand 16. Mai 2004.
93
Typologien des Gedenkens
kostendeckende Gebührenerhebung für Führungsangebote kollidiert eindeutig und
zweifelsohne gerechtfertigt mit den ethisch-moralischen Ansprüchen, für die eine
solche Einrichtung auch steht. Es ist davon auszugehen, dass der Umbau der
Gedenkstätten in zeithistorische Museen erfolgreich sein wird und langfristig positive
Auswirkungen auf unsere Gedenkkultur haben wird. Doch mit dem gewachsenen
Anspruch an die funktionale Gedenkstätte müssen auch die finanziellen und
personellen Rahmenbedingungen geschaffen werden, sonst laufen der Prozess der
Modernisierung einerseits und der der steten Schröpfung der Stiftungshaushalte
andererseits diametral auseinander.
4.6 Der Übergang vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis am Beispiel der Untersuchungsobjekte
Neben all den Anforderungen, die Wissenschaftshistoriker und Gesellschaft an die
Gedenkstätten stellen, kommt noch ein evidenter Aspekt hinzu, welcher immer
aktuell und unabwendbar war, jedoch jetzt in seiner Tragweite die Gedenkkultur
berührt. Im Laufe dieser Arbeit wurde es bereits mehrfach verwendet und auch die
Problematik aufgezeigt, die der Übergang vom kommunikativen zum kulturellen
Gedächtnis mit sich bringt. Die virulente Debatte um die adäquaten Gedenkformen
und –orte konvergiert scheinbar mit dem Verlust des kommunikativen Gedächtnisses
in Form von Zeitzeugen. Nach der Wiedervereinigung wurden die Häftlingsverbände
und -komitees verstärkt in die Beratungsgremien der Institutionen, die sich mit der
Zeit der NS-Diktatur auseinandersetzen, einbezogen. Es wurden intensiv mündliche
sowie schriftliche Zeugnisse von Überlebenden gesammelt, es wurde recherchiert
und es wurden internationale Häftlingsverbände zu Gedenkveranstaltungen
eingeladen, gemeinsame Veranstaltungen und Trauerrituale inszeniert. Der
bevorstehende Verlust der Zeitzeugen setzte erstaunliche Ressourcen - personell
und finanziell - frei und besonders bei Kontakt mit ehemaligen Überlebenden
konnten sich die Gedenkstätten häufig auf das ehrenamtliche Engagement der
Bürger verlassen. Die Zeitzeugenprojekte sind jedoch nicht nur kosten- sondern
auch zeitintensiv und letztlich konnte die „Aufholjagd“ der letzten Jahre nicht
kompensieren, was in der Zeit vor der Wiedervereinigung vernachlässigt, respektive
94
Typologien des Gedenkens
versäumt wurde. Die bereits vorhandenen Kontakte zu ehemaligen Häftlingen, auch
vor der deutschen Einheit, konnte in den letzten Jahren ausgebaut werden und neue
Kontakte wurden geknüpft. Vor allem in der Kommunikation und Kooperation mit
Häftlingsverbänden in den osteuropäischen Staaten bemühten sich die
Gedenkstätten der neuen Länder. Zu jedem Gedenktag oder gesellschaftlichem
Ereignis konnten ehemalige Überlebende eingeladen wurde. Sie waren und sind
(noch) fester Bestandteil unserer Gedenkkultur. Sie stehen in ihrer Realpräsenz und
ihren Zeitzeugenberichten gegen jegliche Relativitätsbemühung und nicht selten sind
wir selbst wieder Teil jener Erinnerungskultur, die um die Verluste trauern kann. So
selbstverständlich, wie die authentischen Orte mit den ehemaligen Häftlingen
verbunden sind, werden sie es in absehbarer Zeit keineswegs mehr sein. Neben den
gerechtfertigten Diskussionen um eine legitime Nachfolge in den Häftlingsbeiräten,
beispielsweise in den Gedenkstättenstiftungen etc., müssen die Gedenkstätten einer
Herausforderung gerecht werden, die a priori zum Scheitern verurteilt ist: den
Übergang vom Zeitzeugen-bestimmten zum Zeitzeugen-losen Zeitalter der
Gedenkkultur.
„Ich glaube, die Zeitzeugen können nicht kompensiert werden. Das, was an moralischer Ergriffenheit, auch humaner Ergriffenheit durch die Zeitzeugen transportiert wird, kann durch nichts anderes ersetzen.“140
Im Moment kann für die drei Gedenkstätten bestätigt werden, dass alle verfügbaren
Ressourcen eingesetzt werden, um die noch lebenden Zeitzeugen zu mobilisieren,
ob in Form von Zeitzeugenbefragungen oder in Unterstützung bei der
konzeptionellen Gestaltung der authentischen Orte - auch bei
Gedenkveranstaltungen sind sie fester und evidenter Bestandteil. Dabei sind die
Vorgehensweisen recht unterschiedlich: In Bergen-Belsen wird stringent das
Zeitzeugenprojekt verfolgt, mit Hilfe von Videoaufzeichnungen eine authentische
Gesprächssituation simuliert. Die Mitarbeiter der Gedenkstätte Bergen-Belsen leiten
daraus ihre wesentliche „Grundlage für die weitere Arbeit“141 ab und versuchen somit
einen Fundus für die folgenden Generationen zu erhalten. Die neue Ausstellung in
der Gedenkstätte Bergen-Belsen im Jahr 2006 wird zwischen Bild- und
Textdokumenten besonders mit Videosequenzen angereichert, die
140 Interview, Mittelbau-Dora, 2004.141 Interview, Bergen-Belsen, 2004.
95
Typologien des Gedenkens
Zeitzeugengespräche wiedergeben. Der Historiker Dr. Rahe hofft damit:
„Wenn wir in die Ausstellung nun in großem Umfang Zeitzeugen-Interviews mit einbeziehen können, dann ist das etwas, was uns den Übergang vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis erheblich erleichtern wird.“
In ähnlicher Weise wird auch in der Gedenkstätte Sachsenhausen verfahren. Auch
hier wird verstärkt die Zeitzeugenbefragung bemüht, um den Übergang so lange wie
möglich hinauszuschieben, auch unter dem Einsatz von modernen Medien.
Allerdings wird hier parallel der Akzent in Richtung historische Relikte verschoben:
„Die baulichen Relikte rücken in das Zentrum einer auf die Bewahrung und Pflege orientierten Gedenkstättenarbeit.“142
Das Restaurieren und Sichern von historischen Bauten und Funden ist ebenfalls
eine zeitintensive und vor allem kostenintensive Arbeit. Doch solange noch solche
Relikte als Zeugnisse vorhanden und gesichert sind oder für die Öffentlichkeit
zugänglich gemacht werden sollen, wird sicher auch hier der Übergang zum
kulturellen Gedächtnis teilweise verzögert werden. Allerdings muss das von einem
authentischen Ort zum anderen unterschiedlich betrachtet werden, denn in Bergen-
Belsen beispielsweise sind keine historischen Bauten präsent. In der Gedenkstätte
Mittelbau-Dora wiederum werden die Zeitzeugenprojekte äußerst kritisch betrachtet
und die Sicherung der baulichen Relikte in den Vordergrund der konzeptionellen
Neugestaltung gestellt. Die Zeugenbefragung ist strittig, weil:
„…sich in sechzig Jahren [die] Erinnerungen extrem verschieben, weil in sechzig Jahren Erinnerungen konstruiert werden.“143
Hier kann zusammenfassend konstatiert werden, dass alle Befragten sich über den
bevorstehenden Verlust einig sind und auch darüber, dass weder die Form von Aura
und Ergriffenheit, die die Zeitzeugenbefragungen mit sich bringen, keinesfalls
kompensiert werden kann. Auch die Diskussion um den Einsatz neuer Informations-
und Kommunikationsdienste (IuK) hat sich schnell erschöpft. Damit kann weder der
Verlust kompensiert, noch verzögert werden. Die neuen IuK-Mittel können
bestenfalls in Form von Video- und Tonaufnahmen unterstützend in die
Ausstellungen eingebaut werden. Auch hier sind sich alle Interviewpartner einig.
142 Interview, Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, 2004.143 Interview, Mittelbau-Dora, 2004.
96
Typologien des Gedenkens
Der Akzent in der Gedenkstättenarbeit hat sich deutlich auf die historischen Relikte
verschoben, wie in Sachsenhausen die Neugestaltung des zentralen Gedenkortes
„Station Z“ oder die Sicherung der Stollenanlage in Mittelbau-Dora. Das ist in
Bergen-Belsen jedoch kaum in diesem Umfang möglich, aber insgesamt profitieren
auch Gedenkstätten mit verhältnismäßig wenig historischen Bauten von der
Trendwende der „Spurensuche“. Die Geschichte wird rekonstruiert und
Geschehnisse oder Schicksale am zentralen Ort durch Informationstafeln oder
Aufsteller sichtbar gemacht, wenn nicht sogar rekonstruiert. Ferner rückt auch die
Außenlagerproblematik für die zentralen Gedenkstätten wieder verstärkt in das
Bewusstsein, auch müssen diese gepflegt bzw. als solche, nämlich authentischen
Orte, kenntlich gemacht werden.
4.7. Die Gedenkstätten unter Anpassungsdruck - Eine zusammen-fassende Betrachtung der Ergebnisse
Zweifelsohne fand der erste Paradigmenwechsel für die Gedenkstätten und die
damit verbundene Gedenkkultur aufgrund der Vereinigung der beiden deutschen
Staaten statt. Die veränderten politischen und gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen erforderten auch für die Gedenkstätten eine Neujustierung
ihres Platzes innerhalb einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft. Die
Neukonzeption der Gedenkstätten im Zuge der Enquête-Kommissionen, konnte
alsbald eine Zielrichtung für die historischen Orte vorgeben, die weitgehend auf
einem gesellschaftlichen Konsens ruhte. Die Gedenkstätten in Ost und West haben
sich emanzipiert und sind zunehmend Foren gesellschaftlicher Debatten geworden.
Allerdings wurde parallel zur Neuorientierung der Stätten auch der Aufgabenkatalog
der Gedenkstätten um ein Vielfaches erweitert.
Neben der „historischen Aufholjagd“, die sich insbesondere auf die Bereiche
Forschung, Dokumentensammlung und Archivaufbau (Aufbau einer materiellen
Erinnerungskultur) bezieht, muss die Geschichte vor Ort immer wieder in die großen
historischen Zusammenhänge eingeordnet werden. Die Gedenkstätten sollen
zunehmend ein Informationsangebot stellen, das sich den veränderten
Sehgewohnheiten einer Gesellschaft anpasst, sie sollen einen Wertekanon anbieten,
97
Typologien des Gedenkens
der auch dazu beiträgt, autonome und selbstreflektierte Persönlichkeiten, so wie
Adorno einst forderte, hervorzubringen. Die Gedenkstätten sollen sich auch gegen
die landespolitischen Ränkespiele selbstbewusst durchsetzen und jede Form der
politischen Instrumentalisierung ihrer selbst aufdecken. Neben ihrer gewollten
Multifunktionalität erwartet die Öffentlichkeit auch, dass sich die Gedenkstätten in
zeithistorische Museen entwickeln, die ein Geschichtsbewusstsein vermitteln können
und die stets aufzeigen, dass die NS-Verbrechen keine Erscheinung einer längst
vergangenen Vergangenheit, sondern ein Problem der Moderne sind.
Diese potenziellen Verantwortungen stellen die Gedenkstätten zunehmend unter
Anpassungsdruck und das bei immer knapper werdenden finanziellen und
personellen Ressourcen. Die untersuchten Gedenkstätten verfügen im Schnitt nur
über 15 - 20 Mitarbeiter, von denen wiederum nur die Hälfte feste Mitarbeiter sind,
deren Stellen dauerhaft gesichert sind. Die übrigen Mitarbeiter sind temporäre
Arbeitskräfte, wie ABM-Kräfte, SAM-Kräfte und auch Zivildienstleistende.144 Das ist
die personelle Ausstattung der Gedenkstätten, die Besucherzahlen im Unfang von
knapp 300.000 Personen (Gedenkstätte Sachsenhausen im Jahr 2002)145 bis zu
500.000 Personen (Gedenkstätte Bergen-Belsen im Jahr 2000)146 jährlich bewältigen
müssen.
Obwohl die notorische finanzielle Unterversorgung für die Gedenkstätten ein
permanentes Problem darstellt, an dem auch zukünftig die Qualität ihrer Arbeit
hängt, bestätigte keiner der drei Befragten eine Lösung in einer
länderübergreifenden Stiftung. Die Forderung nach einem stringenten
Gesamtkonzept zur Förderung der Gedenkstätten147 entstammt einem
Gesetzesentwurf der CDU/CSU- Fraktion, der auch als „Nooke-Gesetzentwurf“
bekannt ist und im April 2003 in den Bundestag eingebracht wurde148. Zwar kann der
normative Ansatz eines finanziellen Ausgleichs zwischen den Bundesländern nicht
verachtet werden; schließlich haben die Bundesländer Thüringen und Brandenburg
144 Diese Informationen beziehen sich ausschließlich auf die untersuchten drei Gedenkstätten und schließen nicht etwaige Stellen für Außenlager oder Dokumentationszentren mit ein. Die Informationen sind den geführten Interviews entnommen worden. 145 Stiftungsbericht der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten des Jahres 2002.146 Interview, Bergen-Belsen, März 2004.147 Förderung der Gedenkstätten beider Diktaturen, auch der des SED-Unrechts.148 Internetquelle: http://www.bundestag.de/parlament/index.html, Deutscher Bundestag, Drucksache 15/1874, 15. Wahlperiode, Stand 2. Juni 2004.
98
Typologien des Gedenkens
zwei große KZ-Gedenkstätten auf ihrem Landesgebiet - von den zahlreichen
99
Typologien des Gedenkens
Außenlagern einmal abgesehen – und, von den Gedenkstätten gegen das SED-
Unrecht abgesehen, ist nicht einzusehen, warum manche Bundesländer einer
finanziellen Mehrbelastung ausgesetzt sein sollen und andere Länder (Nordrhein-
Westfalen z.B. hat keine große KZ-Gedenkstätte) nicht. Zugegebenermaßen sind
die Gedenkstätten und die damit verbundene Gedenkkultur staatsrechtlich
betrachtet eine Länderaufgabe, aber es ist auch einzusehen, dass das Gedenken an
die Opfer der NS-Vergangenheit eine gesamtgesellschaftliche und damit auch
bundesstaatliche Aufgabe ist. Ein finanzieller Ausgleich, im Sinn einer
Bundesstiftung, an der sich alle Länder zu gleichen Teilen beteiligen, wäre daher
sicher sinnvoll und bei den momentanen finanzielle Belastungen in den
Gedenkstätten sinnvoll, doch bei allen drei Interviewpartner überwogen die
Bedenken gegen ein zu stark staatlich überformendes und zentrales Gebilde. Dazu
haben die beiden Gedenkstättenleiter aus Mittelbau-Dora und Bergen-Belsen klare
Worte gefunden:
„Ich habe Bedenken bei dem Gedanken an eine solche Bundesstiftung (…), weil ich es eigentlich sehr gut finde, was die deutsche Gedenkstättenlandschaft auszeichnet,
nämlich dass sie dezentral ist und eben nicht diesen einheitlichen bundesstaatlichen Überbau hat, der natürlich dann auch sehr stark leicht politischen Einflussnahmen ausgesetzt sein kann, und das kann nicht Ziel von Gedenkstättenarbeit sein.“149
So würde der Weg in eine Bundesstiftung den progressiven Weg in die Autonomie
konterkarieren:
„Er nimmt genau diese Unabhängigkeit von politischer Einflussnahme tendenziell wieder zurück und gleichzeitig droht dann die Gefahr, dass die Gedenkstätten (…) nach ein und demselben Strickmuster betrieben und geleitet werden. Und der wird dann eben nicht mehr Realität der Aufgaben bewusst.150
Schlussendlich werden jedoch weder die finanziellen, personellen oder
pädagogischen Streitpunkte innerhalb der KZ-Gedenkstätten zur Gretchenfrage,
sondern es ist die starke Verknüpfung der Zeitzeugen mit dem authentischen Ort,
die
149 Interview, Mittelbau-Dora, 2004.150 Interview, Bergen-Belsen, 2004.
100
Typologien des Gedenkens
symbiotische Beziehung beider, die den Gedenkstätten nach dem Übergang zu
einem kulturellen Gedächtnis zum Verhängnis werden kann. Selbst wenn der
Umbau in die zeitgenössischen Museen erfolgreich würde und die Gedenkstätten in
zehn bis fünfzehn Jahren effizient und gut ausgestattet arbeiten und eine
Gedenkkultur in der Bundesrepublik aktiv gestalten könnten, dann würde sich noch
immer die Frage nach ihrer Daseinsberechtigung nach dem Ende der
Zeitzeugenschaft stellen. Demzufolge ist es ein Zusammenwirken vieler struktureller
Faktoren, die die Gedenkstätten gleichsam unter Anpassungsdruck stellen und einer
Problematik, der die Gedenkstätten selbst bei Überwindung aller struktureller
Aspekte nicht gerecht werden können, dem Übergang zu einem kulturellen
Gedächtnis und dem Verlust der Aura der authentischen Orte151.
151 Selbst diese Aura wird mit dem Verlust der Zeitzeugen verschwinden, da die KZ-Gedenkstätten als Friedhöfe ihre erste und originäre Funktion verlieren. Mithin zeichnen sich aufgrund unserer Toten-Memoria die Friedhöfe als Trauerorte aus, getragen von Generationen, die zu den Verstorbenen einen persönlichen Bezug hatten.
101
Typologien des Gedenkens
„Ein Geschichtsverständnis
muss weiter zurückreichen,
als in die eigene Biographie.“
(Richard von Weizsäcker)
5. Der Wirkungsgrad der Gedenktypologien - Entzauberung der authentischen Orte?
Wie bereits im vorangestellten Kapitel deutlich dargestellt, sind die einzelnen
Gedenktypologien fester Bestandteil einer Gedenkkultur, die sich in dieser Form
nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten herausgebildet hat. Ebenso wie
die einzelnen Typologien gleichermaßen notwendig sind, sich einander bedingen
und nicht aufeinander reduziert werden können, muss den authentischen Orten per
definitionem eine Sonderrolle innerhalb der Gedenkkultur zugesprochen werden. Die
KZ-Gedenkstätten als authentische Orte sind die ursprüngliche Stätte der Verfolgung
und zugleich unantastbares Symbol für die nationalsozialistischen Verbrechen.
Meine Prognose, dass sich die ortsfeste Gedenkpraxis, also an den KZ-
Gedenkstätten, bereits wieder im Krebsgang befindet, kann anhand folgender
Erscheinungen zwar nicht abschließend belegt, jedoch unterstrichen werden.
Das Großgedenkjahr 1995, in dem die gedenkkulturellen Veranstaltungen unter den
unterschiedlichsten Konzeptionen fast ausschließlich am authentischen Ort
stattfanden, spricht in der Retrospektive vorerst gegen diese Behauptung. Damals
rühmte die in- und ausländische Presse die vorbildliche Erinnerungs- und
Gedenkgemeinschaft, in der sich die Deutschen vielerorts präsentierten.
Im nächsten Jahr wird sich der 60. Jahrestag der Befreiung ebenfalls mit einer
Vielzahl von Veranstaltungen in den Gedenkstätten präsentieren. Vielleicht wird das
die letzte Möglichkeit für uns, am kommunikativen Gedächtnis teil zu haben.
Möglicherweise stehen wir zum letzten Mal der Opfergeneration gegenüber, die
noch einmal gemeinsam mit ranghohen Vertretern aus Politik und Wirtschaft,
Repräsentanten von einflussreichen Organisationen und Häftlingsverbänden Teil
dieser Gedenkveranstaltungen sein werden. Im Sog des medialen Interesses
werden die Gedenkstätten einen weiteren Höhepunkt erleben, der sich nicht nur in
103
Typologien des Gedenkens
hohen Besucherzahlen erschöpft, sondern in zahlreichen Projekten,
Dokumentationen und Ausstellungen seinen Kulminationspunkt durchläuft.
Tatsächlich werden wenige erwarten, dass sich hinter solch einer
interessengeleiteten Gedenkkultur am authentischen Ort bereits die Trendwende
verbirgt. Offensichtlich nehmen die topografischen Gedächtnisorte nach wie vor
einen prominenten Platz innerhalb unserer Gedenkkultur ein. Ein Nachweis darüber
wird schwer zu führen sein, denn dazu können keine statistischen Daten
ausgewertet werden, noch probalistische Aussagen getroffen werden. Diese
Prognose kann sich allein auf Beobachtungen innerhalb der gedenkkulturellen
Entwicklung und auf Aussagen aus den geführten Experteninterviews stützen.
Anhand der aktuellen Mahnmaldebatte und dem Vorwurf der Gedenkroutine soll
nachfolgend die Prognose plausibel gemacht werden.
5.1 Kritische Einordnung der Mahnmaldebatte
Werden Mahnmale zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion, ist das ein Indiz für
gesellschaftliche Polarisierungen, das heißt für zustimmende oder ablehnende
Haltungen, da sich über Konsens schließlich schlecht streiten lässt. Die
umfangreiche Diskussion zur Legitimierung und Gestaltung eines Denkmals für die
ermordeten Juden Europas in Berlin kann und soll hier nicht aufgearbeitet werden.
Die bisherige Diskussion diente vor allem der politischen Darstellung des heutigen
Deutschlands, auch nach außen, weniger den notwendigen Überlegungen zur
praktischen Effektivität eines Denkmals, das heißt zur Erfüllung der Aufgabe des
öffentlichen Gedenkens an die Ermordung der Juden in Europa. Die von Beginn an
umstrittene Einschränkung der Widmung kann als Versuch verstanden werden, die
im „Historikerstreit“ in Frage gestellte Singularitäts-These bezüglich der
nationalsozialistischen Vernichtungspolitik zu bekräftigen. Auch durch die
Standortwahl bekommt das Mahnmal die Bedeutung eines Nationaldenkmals,
welches auch indirekt die Überwindung der deutschen Teilung thematisiert und nur
das historische Selbstverständnis des geeinigten Deutschland repräsentiert.152 Das
152 Vgl. Kirchberg, Volker: Das Holocaust-Mahnmal in Berlin- Zwischen öffentlichem Auftrag und privater Erfüllung, S. 51-72, in: Siggelkow, I. (Hg.): Gedächtnisarchitektur, Frankfurt a. M., 2001.
104
Typologien des Gedenkens
ist eine Wahrnehmung, die durch den Beschluss, Berlin zur Hauptstadt zu machen,
weiter verstärkt wurde. Bereits 1992 einigen sich Vertreter der Bundesregierung, des
Berliner Senats und des privaten Förderkreises auf Verfahrensgänge und die
exklusive Inschrift „den ermordeten Juden Europas“.153 Erst ex post beginnt eine
öffentliche und umfangreiche Debatte, die veranschaulicht, wie unterschiedlich die
Meinungen vertreten sind und mit welchen Defiziten die bisherige
Entscheidungsfindung behaftet war. In mehrstufigen Verfahren wurde nachträglich
versucht, diese Defizite zu beheben - es folgten Colloquien, Wettbewerbe und
Gesprächsrunden.
Die aus den Bundestagswahlen 1998 hervorgegangene rot-grüne Koalition konnte
durch das Einrichten der Funktion eines Beauftragten für Kultur und Medien mit
eigenem Stab im Kanzleramt neue gedenkkulturelle Rahmenbedingungen schaffen.
So wurde im Koalitionsvertrag vereinbart, dass der Deutsche Bundestag über das
Denkmal am vorgesehenen Standort entscheiden und dass im Einvernehmen mit
den Ländern eine Konzeption für die Gedenkstätten erarbeitet werden sollte. Der
gewünschte Erfolg blieb aus, da durch verschiedene Änderungsvorschläge und
Verfahrensfragen eine „Systematisierung der Diskussion“ nicht erreicht werden
konnte.154 Stattdessen gerät das Projekt nicht nur durch die exklusive Widmung in
die befürchtete Konkurrenz mit anderen existierenden Einrichtungen, wie den KZ-
Gedenkstätten und deren Interessenvertretungen, zumindest äußerte die
„Arbeitsgemeinschaft KZ-Gedenkstätten“ entsprechende Bedenken. Die
Mahnmaldebatte wird zum „gordischen Knoten“ der Gedenkkultur:
„Dabei wird das Mahnmal zum Teil als Blitzableiter missbraucht, als Sündenbock, um in der Kritik am Mahnmal Motive zu verstecken, die man schon sehr lange mit sich herumtrug.“155
Die Vertreter der Gedenkstätten vermuten eine Zentralisierung der Gedenkkultur, mit
Recht. Innerhalb kürzester Zeit konnte die Mahnmaldebatte eine Diskussion in allen
gesellschaftlichen Ebenen loslösen, konnte polarisieren, instrumentalisieren und
stand schließlich allein für Aussagen und Weiterentwicklung innerhalb der
Gedenkkultur, die sich eben nicht nur durch die Mahnmaldebatte auszeichnet.
153 Vgl. Meyer, E.: Erinnerungskultur, S. 127 f., in: Bergem, W. (Hg.): Die NS-Diktatur, Opladen, 2003.154 Ebd.155 Interview, Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, 2004.
105
Typologien des Gedenkens
In der Gedenkkultur, wie sie innerhalb dieser Arbeit vorgestellt wurde, konkurrieren
die einzelnen Gedenktypologien im positiven Sinn miteinander und erzielen dadurch
effiziente Ergebnisse. In diesem Fall konnte die Denkmaldebatte eine Eigendynamik
entwickeln, die alle bisherigen erinnerungs- und gedenkkulturellen Konflikte
übersteigt und auch finanziell keine weiteren Vermutungen zulässt.
Im Positiv-Bescheid des Deutschen Bundestage (Juni 1999) konnte sich die Variante
des Eisenmann-Entwurfs (mit Raum der Stille und Raum der Information)
durchsetzen. Der Termin der Fertigstellung musste jedoch mehrfach verschoben
werden, so dass ein Ende der Auseinandersetzungen nicht abzusehen war oder ist.
Vermutlich wird die Eröffnung des Holocaust-Mahnmals jetzt auf den 9. Mai 2005
gelegt werden.
Es wäre vermessen zu verschweigen, dass die Debatte um das zentrale Mahnmal
nicht auch positive Auswirkungen auf die Gedenkkultur gehabt hätte. So mussten
sich die Gedenkstätten ein weiteres Mal politisch emanzipieren und aktiv in die
Diskussion einmischen. Sie wurden zudem aufgefordert, sich durch die entstandene
Singularitätsdebatte verstärkt mit der „doppelten Vergangenheit“
auseinanderzusetzen und auch hier museologische Lösungen zu finden, die den
Opfern beider Diktaturen gerecht werden können.156 Es hat auch dazu geführt, dass
wir uns als Gesellschaft endlich der Frage stellen mussten, ob ein solches Denkmal
adäquater Bestandteil einer Gedenkkultur sein kann oder sogar sein muss oder ob
wir diese Diskussion nicht schon längst hätten führen müssen und ob sie nun
obsolet ist.
Die Motive, unter der die Debatte in den letzten Jahren geführt wurde, erwecken den
Anschein, dass es sich um eine Amerikanisierung der Gedenkkultur handelt, die es
für zwingend erachtet, in einem monumentalen Ereignis einen Kontrapunkt zu den
dezentralen Gedenkstätten zu setzen. Des Weiteren entsteht der Eindruck, es ginge
beim Gedenken um eine „Art Selbstreinigung“ 157 jener, die in irgendeiner Weise dem
Kollektiv der Täter angehören. Das ist ein Missverständnis und das Mahnmal darf
nicht symbolisch zur gedenkkulturellen Katharsis der deutschen Gesellschaft
verkommen.
156 Die Problematik der „doppelten oder zweifachen Vergangenheit“ bezieht sich im Wesentlichen auf zwei Gedenkstätten: Sachsenhausen und Buchenwald.157 Vgl. Brumlik, M.: Gedenken in Deutschland, S. 119, 1995.
106
Typologien des Gedenkens
Schlussendlich wird die Konkurrenz zwischen den einzelnen Opfergruppen neu
thematisiert. Es ist eine Konkurrenz, die sich seit Jahren in den Gedenkstätten
innerhalb von Gedenkveranstaltungen, aber auch in Diskussionen um Informations-
und Gedenktafeln widerspiegelt. Mit der Mahnmaldebatte konnte diese
Opfergruppenkonkurrenz nun die höchsten institutionellen Weihen erfahren.
Die Debatte über das zentrale Mahnmal bildete den Brennpunkt der politisch-
ästhetischen Diskussion über Neuanfang und Kontinuität in Berlin. Die Kontroverse
war nicht nur ein mediales Großereignis, sondern selbst Medium der deutschen
Selbstvergewisserung. Auch darum kann nicht der Auffassung von Micha Brumlik
zugestimmt werden, der sagt:
„Der Trauer über den Verlust, (…) eine zentrale Gedenkstätte zu errichten, wäre der erneuerten Demokratie in Deutschland würdig. (…) Diese Chance ist in Deutschland unwiderruflich verspielt und vertan.“158
Ebenso kann nicht mit den streitbaren Aussagen von Hendrik M. Broder
übereingestimmt werden, der sich an dieser „virtuellen Debatte, die zum
Selbstzweck geronnen ist“, nicht beteiligen will, sondern die „einzig angemessene
Form des Gedenkens“ in materieller Opferentschädigung sieht.159 Die Ausweitung
der Gedenkplattform hat zur Konsequenz, dass sich verschiedene und teilweise
gegensätzliche Auffassungen über die angemessene Form des Gedenkens
herausbilden.
Die begründete Vermutung, es könne das Holocaust-Denkmal in der abstrakten
Form nicht geben, führt nicht notwendigerweise zu dem Schluss, es solle dann
besser keines geben. Die Debatte um das Mahnmal ist symptomatisch dafür, dass
man Erwartungen und Forderungen auch so hoch ansetzen kann oder stetig ändert,
dass es alsbald „immun“160 gegen Realisierung ist. Die originäre Frage, was wir von
einem solchen Denkmal erwarten und was es letztlich leisten kann, ist aus dem
Focus der Debatte geraten. Nunmehr steht die Forderung nach einem „absoluten
Holocaust-Mahnmal“, wie Salomon Korn schreibt, im Interesse der Öffentlichkeit,
denn diese fordert eigentlich dadurch verdeckt nichts anderes als
158 Brumlik, M.: Gedenken in Deutschland, S. 127, 1995.159 Broder, Hendryk, M.: …die einzig angemessene Form des Gedenkens, S.43, in: Die Erinnerung und Begegnung: Gedenken im Land Brandenburg zum 50. Jahrestag der Befreiung, Potsdam 1996.160 Korn, Salomon: Geteilte Erinnerung - Holocaust-Gedenken in Deutschland, S. 234f., in: Borsdorf / Grütter (Hg.): Orte der Erinnerung, 1999.
107
Typologien des Gedenkens
„…die Entlassung des Betrachters aus der Notwendigkeit aktiven Gedenkens.“161
Durch die Abstraktheit eines solchen Denkmals kann ohne sogenannte
„Dekodierungshilfen“162 kein persönliches Erinnern oder Gedenken erzeugt werden.
Bestenfalls führt das Erlebnis zu einem emotionalen Unwohlsein, dessen Ursache
nicht durch das Mahnmal selbst begründet werden und demzufolge auch nicht
kognitiv verarbeitet werden kann. Eine öffentliche Wirkung im Sinne der Stärkung
des kollektiven Gedächtnisses kann man von einem abstrakten Symbol in dieser
Form nicht erwarten.
Eine wesentliche Ursache für die aufgetretene Konfusion lag beispielsweise auch in
der fragwürdigen Vermengung freiwilliger Privatinitiative und staatlichen Handelns im
Bereich des öffentlichen Gedenkens. Zweifellos ist einer privaten Initiative erlaubt,
einer Opfergruppe ein Denkmal zu setzen, dem Staat wiederum nicht.
„Seine Aufgabe wäre es gewesen, (…) im öffentlichen Gedenken die Totalität des nationalsozialistischen Massenmordes zu wahren und daraus die Notwendigkeit eines „ungeteilten“ Mahnmals gegen den nationalsozialistischen Völkermord in seiner Gesamtheit abzuleiten und es zu verwirklichen.“163
Die Diskussion um Denk- und Mahnmäler, um Ausstellungen und ähnliches im
öffentlichen Raum des 21. Jahrhundert machen deutlich, dass eine pluralistische
Gesellschaft einen konsensualen Standort im ideologischen Raum sucht, gleichzeitig
aber einander ausschließende Deutungen unter dem Vorbehalt erträgt, dass eine
Deutung nicht die anderen zunehmend überlagert.
Auch die von mir generierte Gedenkkultur vereint schließlich miteinander
konkurrierende Elemente in sich:
„In dieser Vielfalt besteht ein wesentlicher Unterschied zu weltlichen Meinungsdiktaturen oder zum Gottesstaat religiöser Eiferer.“164
161 Korn, Salomon: Geteilte Erinnerung, S. 235, in: Borsdorf / Grütter (Hg.): Orte der Erinnerung, 1999.162 Kirchberg, Volker: Das Holocaust-Mahnmal in Berlin, S. 68, in: Siggelkow, I. (Hg.): Gedächtnisarchitektur, Frankfurt am Main, 2001.163 Korn, S.: Geteilte Erinnerung, S. 240, in: Borsdorf / Grütter (Hg.): Orte der Erinnerung, 1999.164 Siggelkow, Ingeborg: Das Denkmal im öffentlichen Raum: Kunstwerk und politisches Symbol, S. 111-120, in: Siggelkow, I. (Hg.): Gedächtnisarchitektur, 2001.
108
Typologien des Gedenkens
5.2 Instrumentalisierung der öffentlichen Kommemoration
Während die überlebenden Opfer zu einer verschwindend kleinen Minderheit
gehören, hat das Gedenken an den Holocaust eine Vielzahl von Einrichtungen auf
den Plan gerufen und mittlerweile ein globales Netz von Gedenkvirtuosen
geschaffen. Schon ist kritisch die Rede von einer weltweiten Holocaust-
Gedenkkultur, kommerziell organisiert, verankert in nationalen Gedenktagen und
Bildungssystemen.165
Es besteht durchaus die Gefahr, dass die Beschäftigung einerseits zum
„Allerweltsthema“ verkommt, so die Einschätzung von Volkhard Knigge,
Gedenkstättenleiter in Buchenwald, und dass die Auseinandersetzung über die
Geschichte in vielfältigen Gedenkdiskursen ertrinkt. Andererseits besteht die Gefahr
des routinierten Gedenkens.
In den Gedenkstätten werden im Ungang mit der Vergangenheit Symbole und
Semantiken entwickelt und diese strahlen über die spezifischen
Gesellschaftsbereiche hinaus. Die Gefahr besteht allerdings, dass die Politik sich
zunehmend dieser Symbole bedient und die Gedenkstätten funktionalisiert, um sie
als Bühne für politischen Denkreden bei offiziellen Anlässen zu missbrauchen, als
die umgangssprachlich bezeichneten „Kranzabwurfstellen.“ Sowohl die
Instrumentalisierung als auch die zunehmende Institutionalisierung sind
kontraproduktive Entwicklungen innerhalb einer Gedenkkultur, die sich als
demokratisch begreift. Eine Gemeinschaft, die ihr politisches Bewusstsein nicht
mehr auch aus der ehrlichen Verurteilung des Nationalsozialismus schöpft, ist
sowohl gesellschaftlich als auch politisch äußerst kritisch zu betrachten. Die
ritualisierte und institutionalisierte Form des Gedenkens an öffentlichen
Gedenktagen mit moralisierenden Appellen zahlreicher prominenter Personen und
Politiker kann auch einem fehlenden Geschichtsverständnis nichts entgegensetzen.
An dieser Stelle kann zum Ausgangspunkt zurückgekehrt werden und sich dabei der
einfachen, aber klaren Worte von Volkhard Knigge bedient werden:
„Wir glauben doch an die Idee, dass Gedenken ohne Wissen (…) eine besondere Form der Dummheit wird, dass Gedenken ohne Wissen sehr wenig mit Aufklärung zu
165 Vgl. Reichel, P.: Politik mit der Erinnerung, S. 9, 1995.
109
Typologien des Gedenkens
tun hat.“166
Diesen kognitiven Prozess, die adäquate Form der Geschichtsvermittlung,
pädagogisch zu flankieren, das können nur die Gedenkstätten erreichen - natürlich
im Einklang mit anderen Bildungsträgern, die noch stärker miteinander verwoben
werden sollten.
Die Gedenkstätten selbst sind die einzigen, die sich gegen die Instrumentalisierung
durch die Politik oder anderer elitärer Gruppierungen wehren können. Das haben die
beiden Stiftungen in Thüringen und Brandenburg bisher eindrucksvoll gezeigt. Sie
sind auch diejenigen, die sich gegen das institutionalisierte Gedenken zur Wehr
setzen können, in dem sie individuelle Formen des Gedenkens anbieten.
166 Interview von Hanno Loewy mit Volkhard Knigge am 18. Januar 2000, S. 6, in: Newsletter zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, Fritz Bauer Institut, Nr. 18, Frühjahr 2000.
110
Typologien des Gedenkens
6. Zusammenfassung und Bewertung der Ergebnisse
Für gesellschaftliche Prozesse, die sich an die Phase der Erinnerungskultur
anschließen und im Zusammenhang mit der bewerteten Einschätzung der
Geschichte einer Gesellschaft stehen, findet der Begriff Gedenkkultur seine
Verwendung. Nicht nur die Gedenkstättenkonzeption, die Enquête-Kommissionen,
die öffentlichen Diskussionen, ob der Walser-Bubis-Streit oder die Homann-Affäre
und nicht zuletzt die Errichtung eines Mahnmals dokumentieren, dass der Terminus
Gedenkkultur vorwiegend für einen politisch-instrumentellen Umgang mit der
Geschichte und der kollektiven Erinnerung steht.
Die gedenkpolitischen Maßnahmen erschöpfen sich nicht in symbolischen Formen
der Politik, sondern verlangen darüber hinaus auch politisches „decision-making“.
Die Gedenkkultur wird so als Teil der politischen Kultur auch als konventionelles
Politikfeld rekonstruierbar, in dem nicht nur die öffentliche Meinung betrachtet wird,
sondern seitens des politischen Systems auch materiale Entscheidungen im Sinne
von Verwaltungshandeln und Gesetzgebung notwendig ist. Die beinahe vollständige
Implementierung in unser politisches System ist erreicht, aber die sinngebende
Verwirklichung dessen werden nur noch wenige zu schätzen wissen.
Bisher konnten sich nur wenige KZ-Gedenkstätten als geschichtspolitische
Bildungseinrichtungen etablieren und den Charakter einer sakralen Mahnstätte
ablegen. Dass sich die Gedenkstätten selbst nicht mehr als Randerscheinung der
Gesellschaft begreifen, sondern eine wichtige Rolle im gedenkkulturellen Prozess
innerhalb unserer Gesellschaft einnehmen, ist auf den Paradigmenwechsel infolge
der Wiedervereinigung zurückzuführen. Obwohl die Gedenkkultur zum Politikfeld
werden konnte und die Gedenkstätten zu Beginn der 90er Jahre eine Aufwertung
erfahren haben, sind durch die Differenzierung und Pluralisierung des Gedenkens
auch dramatische Folgen zu konstatieren. Die Pluralisierung des Gedenkens rief
verschiedene Akteure und andere Herangehensweisen auf den Plan, so dass wir
heute feststellen müssen, dass beispielsweise die Mahnmaldebatte als
Gedenktypologie die Aufmerksamkeit allumfassend auf sich zieht und dabei
111
Typologien des Gedenkens
energisch die anderen Gedenktypologien überlagert. Da sich durch die
Mahnmaldebatte die erwarteten Opfergruppen konkurrierend zueinander stellen,
wird es im Hinblick auf öffentliche Mahnmale in absehbarer Zeit keine Ruhe geben.
Wahrscheinlicher ist indes, dass durch die anderen entstehenden Mahnmale für die
Roma und Sinti und die Homosexuellen der Streit noch lange virulent bleiben wird.
Rund um das Brandenburger Tor in Berlin scheint damit nun ein merkwürdig
umfangreicher Erinnerungsparcour zu entstehen, eine „beeindruckende Schneise
des Gedenkens“.167
Hinzu kommt der Fakt, dass beispielsweise der Umbau der Gedenkstätten in
zeithistorische Museen zu schleppend vorangeht und neue Ausstellungsformen erst
präsentiert werden können, wenn der Übergang zum kulturellen Gedächtnis bereits
stattgefunden hat. Die Gedenkstätten konnten sich bisher nicht aus der
symbiotischen Verbindung der Überlebenden mit den authentischen Orten befreien.
Sie werden deshalb kaum Möglichkeiten haben, diesen Bruch innerhalb der
Gedenkkultur am authentischen Ort abfedern zu können; auch die glaubwürdigste
aller Nachfolgegenerationen der Überlebenden kann das nicht kompensieren und
die neuen Informations- und Kommunikationsmittel werden sich noch nicht
etablieren können.
Die Vergegenständlichung von Erinnerung erfordert in den KZ-Gedenkstätten eine
Reflexion über die unterschiedlichen Bedeutungen des historischen Ortes. Die KZ-
Gedenkstätten müssen über zahlreiche Bildungsangebote der neuen Generation
immer wieder plausibel machen, dass ein Werteverfall, wie der während des Nazi-
Regimes ein Problem der Moderne ist, sie müssen die pädagogisch-historischen
Brücken zur Gegenwart schlagen und aktuelle Bezüge zu Menschenrechtsvergehen
herstellen können. Sie sind die steinernen Zeugen gegen den
Historisierungsvorwurf. Wenn die Gedenkstätten das nicht in absehbarer Zukunft
leisten können, werden sie überflüssig. Diese Prognose bezieht sich auf einen
Zeitraum von immerhin nur zehn bis fünfzehn Jahren.168
Der 60. Jahrestag der Befreiung und die zahlreichen Gedenktage und
Veranstaltungen in den Gedenkstätten stehen am Ende eines 167 Kommentar [anonym] zum Mahnmal in Berlin: http://www3.mdr.de/kulturreport/110104/thema_5.html, Stand: Juli 2004.168 Sowohl das Interview in Mittelbau-Dora als auch in Sachsenhausen hat gezeigt, dass es solche Ängste resp. Prognosen durchaus gibt, diese aber selten so klar formuliert werden.
112
Typologien des Gedenkens
Gedenkstättenjahrzehnts, in dem der Beginn sehr vielversprechend war und die
Hoffnung in einer demokratischen Gedenkkultur lag, die von einer ortsfesten
Gedenkpraxis bestimmt war. Dieses Gedenkstättenjahrzehnt wird ein letztes großes,
allumfassendes und transzendentes Gedenkszenario erleben, bevor die große
Gedenkindifferenz mit dem Verlust der Zeitzeugen konveniert. Eine veränderte
Wahrnehmung der Vergangenheit in der Gesellschaft tut ihr übriges. Erstmals
stagnieren die Besucherzahlen in den großen Gedenkstätten.169 Im Übergang zum
kulturellen Gedächtnis, das gleichermaßen ein Aussterben der Tätergeneration mit
sich führt, werden schon die ersten Versuche genutzt, auch sich selbst in einer
Opferrolle zu beschreiben. Der Paradigmenwechsel in der Gedenkkultur, der zum
Verlust der Vorreiterrolle der Gedenkstätten innerhalb der Gedenkkultur führt,
korreliert auch mit einem Paradigmenwechsel innerhalb der Geschichtspolitik, das
heißt in einem Wechsel der Sicht auf die Geschichte, die von einer Mehrheit
getragen wird und vor allem durch die Politik, vielleicht aber auch der Wissenschaft
determiniert wird. Die große Errungenschaft in den 90er Jahren zur aktiven
Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der aktiven
Auseinandersetzung auch der Post-Täter-Gesellschaft mit den eigenen Taten kann
so umfassend und wahrhaftig nicht gewesen sein. Im Augenblick können wir einen
Rückfall in die Stimmungslage der 50er Jahre in Westdeutschland beobachten und
erleben die Gesellschaft, die sich wieder stark als Opfergesellschaft definiert . Der
Luftkrieg, Heimatvertreibung und Flucht treten verstärkt in das öffentliche
Augenmerk.
Die historischen Erinnerungen und ihre Bedeutungen sind nicht ein für allemal
konstant und unveränderlich. Im individuellen Gedächtnis sowie im kollektiven
Gedächtnis sind die Erinnerungen keine gegebenen Konstanten, sondern bedürfen
einer Neubetrachtung im Rahmen der veränderten Situation.170 Wir werden nicht
umhin kommen, die alten Erfahrungen im Bezug zur Gegenwart stets neu zu lesen.
Darin liegt sicher keine Untreue zur eigenen Vergangenheit, auch keine
Aufforderung zur Anpassung an das gerade Opportune. Es zeigt uns nur, dass es
offenbar allen Menschen genuin ist, im Rückgriff auf die erinnerten Erfahrungen die
169 Aussage aus dem Gespräch mit Dr. Wagner: Interview Mittelbau-Dora, April 2004.170 Vgl. Hölscher, L.: Erinnern und Vergessen. Vom richtigen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, S.114 f, in: Borsdorf / Grütter (Hg.): Orte der Erinnerung, 1999.
113
Typologien des Gedenkens
Zeit- und Sinnhorizonte zu verändern. Umso plausibler ist das Plädoyer für die
ortsfeste Gedenkpraxis in den KZ-Gedenkstätten, die gegen jede Form von
Relativitätsbemühen stehen und uns die Zeithorizonte und die darin bewahrten
Erinnerungen vergegenwärtigen können.
SchlussbetrachtungTrotz dieses Plädoyers für die Gedenkstätten, gleichwohl aller positiven
Bemühungen und Entwicklungen in der Gedenkstättenlandschaft und ihrer
Subkultur, bleibt die dunkle Prognose, dass die Gedenkstätten in absehbarer Zeit
ihre primäre Stellung in der Gedenkkultur trotz ihrer Multifunktionalität und ihres
moralischen Anspruchs in unserer Gesellschaft darauf verlieren werden. Die
Anzeichen, die dafür sprechen, sowohl die Konkurrenz der anderen Typologien als
auch der Übergang in das kollektive Gedächtnis, wurden eingehend aufgezeigt. In
den Befragungen ist neben allem Zweckoptimismus auch ersichtlich geworden, dass
die Gedenkstätten unsicheren Zeiten entgegenblicken und jede von ihnen „um das
Überleben kämpfen muss“171. Wir befinden uns bereits im Paradigmenwechsel in der
Gedenkkultur, der die authentischen Orte zusehends ins Abseits rückt. Der
Kulminationspunkt wird spätestens mit dem 60. Jahrestag der Befreiung durchlaufen
werden.
Zwar ist unsere Gesellschaft weitgehend sensibilisiert für Themen und Aspekte, die
die nationalsozialistische Vergangenheit und die Verbrechen an den Juden
tangieren, dafür steht symptomatisch die Debatte um die Ausstellung der
sogenannten „Flick-Collection“ und die polarisierende Kraft solcher Diskussionen.
Die aber bezieht sich wiederum auf die Gedenkebenen, die sich innerhalb der
öffentlichen Gedenktypologie oder der Typologie um die Mahnmaldebatte drehen.
Damit kann nur oberflächlich der Schein gewahrt werden, dass es in Deutschland
endlich gelungen ist, eine Gedenkkultur hervorzubringen, in der das Ausmaß der
deutschen Verbrechen nicht länger angezweifelt wird.
171 Interview, Mittelbau-Dora, 2004.
114
Typologien des Gedenkens
7. Anhang
Universität PotsdamWirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
Diplomarbeit im Fach Verwaltungswissenschaft SS 04Franziska Schumann
Institution:
Name:
Vorname:
Profession:
Alter:
Erklärung
Das Interview ist Teil einer Diplomarbeit. Der Interviewpartner nimmt freiwillig an diesem Gespräch teil.
Die Interviewfragen und die Antworten werden auf einem Tonbandgerät aufgezeichnet und anschließend verschriftlicht.
Das transkribierte Interview wird dem Interviewpartner vorgelegt und von ihm, wenn keine Mängel vorliegen, abgezeichnet.
Der verschriftlichte Text als solcher wird nicht Bestandteil der Arbeit sein, auch nicht als Dokument beigefügt und nicht Dritten zugänglich gemacht oder veröffentlicht.
Datum und Ort Datum und Ort
Unterschrift ………………………… Unterschrift………………………
115
Typologien des Gedenkens
Interviewleitfaden
Name:Vorname:Titel:Profession:Alter:Institution:
Teil 1 Organisatorischer Teil
1. Wie lange sind Sie in der Gedenkstätte beschäftigt und welche Profession üben Sie hier aus?
2. Wie viele Mitarbeiter sind in der Gedenkstätte beschäftigt? (Unterscheidung Haupt- und Ehrenamt)
3. In welche Rechtsform ist die Gedenkstätte eingebunden und wie wirkt sich das auf die finanzielle und personelle Lage aus?
4. Wäre eine länderübergreifende Stiftung eine Lösung für Sie? Wenn ja, warum? (Eine bundesweite Stiftung, die unter ihrem organisatorischen Dach alle KZ-Gedenkstätten vereint; Stichwort „Nooke-Entwurf“)
5. Sind an die Gedenkstätte Verbände und/oder Vereine angegliedert ? (Opfer-verbände, Jugendgruppen etc. Fördervereine)
6. Welchen Einfluss können sie geltend machen und ist dies wünschenswert?
Teil 2 Wissenschaftlicher Teil (Gedenkstätten und Gedenkkultur)
7. Nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten mussten sich einige KZ-Gedenkstätten (beispielsweise Sachsenhausen) einer besonderen Herausfor-derung, der „doppelten Vergangenheit“ stellen. Kann man sagen, dass durch das öffentliche Interesse und dem gewachsenen Anspruch der Öffentlichkeit die Erinnerungsentwicklung eine Konjunktur erfahren hat? (Zäsur nach dem 50. Jahrestag der Befreiung ?)
8. Welche Funktionen übernehmen die Gedenkstätten in unserer Gesellschaft nach der Vereinigung? (normative Multifunktionalität vs. Dienstleistungsaufga- be?)
116
Typologien des Gedenkens
9. „Es gibt keine menschliche Kultur ohne das Element der gemeinsamen Erinne-rung.“ (Zitat von Jörn Rüsen). Durch die Erinnerung sind wir mit Gegenwart und Zukunft verbunden was notwendig zur nationalen Selbstreflexion ist- ein ge-meinsames Gedächtnis wird gefordert. Kann aus einer gemeinsamen Gedenkmoral eine Gedenkkultur entstehen? Wenn ja, was wären die Konstituanten dieser?
10. Können Gedenkstätten Träger einer Gedenkkultur oder Stifter dieser sein- sind sie es?
11. Wie kompensieren die Gedenkstätten den Übergang vom kommunikativen zum institutionellen Gedenken? Was können neue Iuk- Techniken leisten?
12. Neben Mahnmaldiskussion und öffentlichen Gedenkriten im politischen und gesellschaftlichem Leben und täglich neuen (künstlerischen) Initiativen ´Gegen das Vergessen` geraten die Gedenkstätten etwas ins Abseits. Was ist und wird zur größten Gefahr/ Konkurrenz für die Gedenkstätten als primäre Gedenkorte? (Gedenkroutine, Kommerzialisierung, Mahnmaldebatte)
13. Die KZ- Gedenkstätten als aktive Lernorte zur Entwicklung von Geschichtsbe-wusstsein, pädagogisch flankiert- nehmen für mich eine Schlüsselrolle- und Position ein. Trifft das 14 Jahre nach der Vereinigung zu?
14. Wo sehen Sie die Gedenkstätten in weiteren zehn Jahren? Welche Visionen haben Sie?
117
Typologien des Gedenkens
8. Literaturverzeichnis und Quellennachweis
Alheim, Klaus/ Bardo, Heger
Die unbequeme Vergangenheit- NS-Vergangenheit, Holocaust und die Schwierigkeit des Erinnerns, Studien zu Politik und Wissenschaft, Wochenschau Verlag, Schwalbach, 2003, 2. Auflage
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Assmann, Aleida Das Gedächtnis der Orte, S. 59-77, in: Borsdorf, Ulrich/ Grütter, Heinrich, Theodor (Hg.): Orte der Erinnerung- Denkmal, Gedenkstätte und Museum, Campus Verlag, Frankfurt/ New York, 1999
Assmann, Aleida Erinnerungsräume- Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, Verlag C.H. Beck, München, 2003, Broschierte Sonderausgabe
Assmann, Jan Das kulturelle Gedächtnis- Schrift, Erinnerung und politische Identität in den frühen Hochkulturen, Verlag C.H. Beck, München, 2002, 4. Auflage
Assmann, Jan Kollektives und kulturelles Gedächtnis- Zur Phänomenologie und Funktion von Gegen-Erinnerung, S. 13-32, in: Borsdorf, Ulrich/ Grütter, Heinrich, Theodor (Hg.): Orte der Erinnerung- Denkmal, Gedenkstätte und Museum, Campus Verlag, Frankfurt/ New York, 1999
Assmuss, Burkhard/ Hinz, Hans-Martin
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Bohnsack, Ralf Rekonstruktive Sozialforschung - Einführung in qualitative
118
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Brumlik, Micha Gedenken in Deutschland, S. 115- 130, in: Platt, Kristin/ Heil, Susanne (Hg.): Generation und Gedächtnis - Erinnerungen und kollektive Identitäten, Leske und Budrich, Opladen, 1995
Brumlik, Micha Individuelle Erinnerung - kollektive Erinnerung -
Psychosoziale Konstitutionsbedingungen des erinnerden Subjekts, S. 31-45, in: Loewy, Hanno/ Moltmann, Bernhard (Hg.): Erlebnis-Gedächtnis-Sinn: authentische und konstruierte Erinnerung, Frankfurt a.M., Campus Verlag, 1996.
Bude, Heinz Die Erinnerung der Generation, S. 69-85, in: König, Helmut/ Kohlstruck, Michael/ Wöll, Andreas (Hg.): Vergangenheits-bewältigung am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, Westdeutscher Verlag, Opladen, 1998, Leviathan- Zeitschrift für Sozialwissenschaft, Sonderheft 18
Diner, Dan Kreisläufe - Nationalsozialismus und Gedächtnis, Berlin Verlag, Berlin, 1995, S. 60-111
Diner, Dan Massenvernichtung und Gedächtnis - Zur kulturellen Strukturierung historischer Ereignisse, S. 47-55, in: Loewy, Hanno/ Moltmann, Bernhard (Hg.): Erlebnis-Gedächtnis-Sinn: authentische und konstruierte Erinnerung, Frankfurt a.M., Campus Verlag, 1996.
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Endlich, Stefanie Ein authentischer Ort, ein konkretes Ereignis - Die „Passagen“ für Walter Benjamin im Kontext der aktuellen Denkmals-Diskussion, S. 73-110, in: Ingeborg Siggelkow (Hg.): Gedächtnisarchitektur: Formen privaten und öffentlichen Gedenkens, Peter Lang GmbH, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main, 2001, Kulturwissenschaften, Band 1
Georgi, Viola, B. Jugendliche aus Einwanderfamilien und die Geschichte des
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Hockerts, Hans Günter
Zugänge zur Zeitgeschichte: Primärerfahrungen, Erinnerungskultur, Geschichtswissenschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 28/ 2001, S. 15-30.
Hölscher, Lucian Erinnern und Vergessen - Vom richtigen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, S.111-127, in: Borsdorf, Ulrich/ Grütter, Heinrich, Theodor (Hg.): Orte der Erinnerung- Denkmal, Gedenkstätte und Museum, Campus Verlag, Frankfurt/ New York, 1999
Horkheimer, Max/ Adorno, Theodor, W.
Dialektik der Aufklärung - Philosophische Fragmente, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 2003, limitierte Sonderausgabe
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Jeismann, Michael Auf Wiedersehen Gestern- Die deutsche Vergangenheit und die Politik von morgen, Deutsche Verlags- Anstalt, Stuttgart/ München, 2001
Kirchberg, Volker Das Holocaust-Mahnmal in Berlin - Zwischen öffentlichem Auftrag und privater Erfüllung, S. 51-72, in: Ingeborg Siggelkow (Hg.): Gedächtnisarchitektur: Formen privaten und öffentlichen Gedenkens, Peter Lang GmbH, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main, 2001, Kulturwissenschaften, Band 1
Korn, Salomon Geteilte Erinnerung - Holocaust-Gedenken in Deutschland, S. 231-342, in: Borsdorf, Ulrich/ Grütter, Heinrich, Theodor (Hg.): Orte der Erinnerung- Denkmal, Gedenkstätte und Museum, Campus Verlag, Frankfurt/ New York, 1999
Kölsch, Julia Politik und Gedächtnis: Die Gegenwart der NS-Vergangenheit als politisches Sinnstiftungspotenzial,S. 137- 150, in: Bergem Wolfgang (Hg.): Die NS-Diktatur im deutschen Erinnerungsdis-kurs, Leske und Budrich, Opladen, 2003
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König, Helmut/ Kohlstruck, Michael/ Wöll, Andreas
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König, Helmut: Die Zukunft der Vergangenheit – Der Nationalsozialismus im politischen Bewusstsein der Bundesrepublik, Fischer Taschenbuch Verlags GmbH, Frankfurt am Main, 2003
Lutz, Thomas Gedenken und Dokumentierung an Orten von NS- und NKWD- Lagern in Deutschland, S.249-264, in: Reif-Spirek, Peter/ Ritscher Bodo (Hg.): Speziallager in der SBZ- Gedenkstätten mit „doppelter Vergangenheit“, Ch. Links Verlag, Berlin, 1999, 1. Auflage
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Meyer, Erik Erinnerungskultur als Politikfeld - Geschichtspolitische Deliberation und Dezision in der Berliner Republik, S. 121-137, in: Bergem Wolfgang (Hg.): Die NS-Diktatur im deutschen Erinnerungsdiskurs, Leske und Budrich, Opladen, 2003
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Orth, Karin Die nationalsozialistischen Konzentrationslager, S.28-61, in: Reif-Spirek, Peter/ Ritscher Bodo (Hg.): Speziallager in der SBZ- Gedenkstätten mit „doppelter Vergangenheit“, Ch. Links Verlag, Berlin, 1999, 1. Auflage
Puvogel, Ulrike Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus - Eine Dokumentation, Einleitung, Verlag Edition Hentrich, Berlin, 1999, Bundeszentrale für politische Bildung, Band II
Reichel, Peter Erfundene Erinnerung – Weltkrieg und Judenmord in Film und Theater, Carl Hanser Verlag, München/ Wien, 2004
Reichel, Peter Politik mit der Erinnerung- Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit, Carl Hanser Verlag München/ Wien, 1995
Rinsche, Cordula Orte des Gedenkens, S.25-36, in: Ministerium für
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Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg (Hg.): Erinnerung und Begegnung: Gedenken im Land Brandenburg zum 50. Jahrestag der Befreiung, Verlag für Berlin-Brandenburg, Potsdam, 1996
Rosh, Lea „Die Juden, das sind doch die anderen - Der Streit um ein deutsches Denkmal, Philo Verlagsgesellschaft mbH, Berlin/ Wien, 1999, S.11-150
Rüsen, Jörn Trauer als historische Kategorie- Überlegungen zur Erinnerung an den Holocaust in der Geschichtskultur der Gegenwart, S. 57-77, in: Loewy, Hanno/ Moltmann, Bernhard (Hg.): Erlebnis-Gedächtnis-Sinn: authentische und konstruierte Erinnerung, Frankfurt a.M., Campus Verlag, 1996.
Schwan, Gesine Politik und Schuld - Die zerstörerische Macht des Schweigens, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 1997
Sedlaczek, Dietmar
Zum Einsatz non Neuen Medien in Gedenkstätten, S. 97-104, in: KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hg.): Museale und mediale Präsentation in KZ-Gedenkstätten - Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Edition Temmen, Bremen, 2001
Siggelkow, Ingeborg
Das Denkmal im öffentlichen Raum: Kunstwerk und politisches Symbol, S. 111-120, in: Ingeborg Siggelkow (Hg.): Gedächtnisarchitektur: Formen privaten und öffentlichen Gedenkens, Peter Lang GmbH, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main, 2001, Kulturwissenschaften, Band 1
Stephan, Cora Der Betroffenheitskult - Eine politische Sittengeschichte, Rowohlt Verlag GmbH, Berlin, 1993
von Meer, Antje Zur Neukonzeption der brandenburgischen Gedenkstätten, S.18-26, in: Dittberner, Jürgen/ von Meer, Antje (Hg.): Gedenkstätten im vereinten Deutschland - 50 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager, Edition Hentrich, Berlin, 1994, Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Band Nr. 2, 1. Auflage
von Weizsäcker, Richard
Vier Zeiten - Erinnerungen, Wolf Jobst Siedler Verlag GmbH, Berlin, 1997
Weidenfeld, Werner/ Korte Karl-Rudolf (Hg.)
Handbuch zur deutschen Einheit- 1949-1989-1999, Campus Verlag Frankfurt am Main, Bonn, 1999, Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe, Band 363
122
Typologien des Gedenkens
Weiß, Matthias Sinnliche Erinnerung - Die Filme „Holocaust“ und „Schindlers Liste“ in der bundesdeutschen Vergegenwärtigung der NS-Zeit, S. 71-102, in: Frei, Norbert/ Steinbacher, Sybille (Hg.): Beschweigen und Bekennen- Die deutsche Nachkriegsgesellschaft und der Holocaust, Wallstein Verlag, Göttingen, 2001
Wossidlo, Joachim Das endliche Fleisch und das unendliche Leben - Von der Tötung des Todes im kollektiven Gedächtnis - Gedanken eines Ethnologen zum Umgang mit Leichen in Berlin, S. 1-17, in: Ingeborg Siggelkow (Hg.): Gedächtnisarchitektur: Formen privaten und öffentlichen Gedenkens, Peter Lang GmbH, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main, 2001, Kulturwissenschaften, Band 1
Quellennachweis:
Interview mit dem KZ-Gedenkstättenleiter Herrn Dr. Peter Rahe in der Gedenkstätte Bergen-Belsen am 4. März 2004, 18 Seiten
Interview mit dem Direktor der Brandenburgischen Gedenkstätten Herrn Prof. Dr. Günter Morsch in Oranienburg am 9. März 2004, 15 Seiten
Interview mit dem KZ-Gedenkstättenleiter Herrn Dr. Jens-Christian Wagner in Nordhausen am 13. April 2004, 13 Seiten
Geschäftsordnung der unselbständigen Stiftung der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, 2002
Internetquellen:
Deutscher Bundestag (Hg.): Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion, http://www.bundestag.de/parlament/index.html, Deutscher Bundestag, Drucksache 15/1874, 15. Wahlperiode, Stand 2. Juni 2004.
Mitteldeutscher Rundfunk (Hg.):http://www3.mdr.de/kulturreport/110104/thema/_5.html, Stand: 19. Juni 2004.
Universität Essen, Untersuchung zum Leseverhalten von Kindern, http://www.uni-essen.de/literaturwissenschaft-aktiv/Vorlesungen/lektuere/litsoziali.htm, Stand 16. Mai 2004.
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Ehrenwörtliche Erklärung
Ich versichere, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne unerlaubte Hilfe
Dritter verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel
verwendet habe. Die Passagen, die aus Veröffentlichungen stammen, sind kenntlich
gemacht.
Diese Arbeit lag in gleicher oder ähnlicher Weise noch keiner Prüfungsbehörde vor
und wurde bisher noch nicht veröffentlicht.
…………….
Ort, Datum Unterschrift