herausforderung offshoring · tet [allweyer u.a. 2004] und russland gilt gerade für die...

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Andreas Boes Michael Schwemmle 120 edition der Hans Böckler Stiftung Fakten für eine faire Arbeitswelt. Herausforderung Offshoring Internationalisierung und Auslagerung von IT-Dienstleistungen

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Page 1: Herausforderung Offshoring · tet [Allweyer u.a. 2004] und Russland gilt gerade für die Software-Entwicklung als Standort mit Zukunft [silicon.de v.23.04.2004] Im Zentrum der öffentlichen

Andreas BoesMichael Schwemmle

120

ISBN 3-935145-97-7e 15,00

Boes

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era

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Off

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rin

g

Wenn Siemens oder SAP, IBM oder T-Systems Software in Indien ent-

wickeln lassen, dann ist das ein Beispiel für Offshoring. Vor allem um

die Folgen für die Beschäftigung in Deutschland gibt es eine lebhafte

Kontroverse, die von Unternehmen und Unternehmensberatungen

offensiv geführt wird. Zur Debatte stehen die Verlagerung von mehre-

ren zehntausend hochqualifizierten IT-Arbeitsplätzen und die Zukunft

des IT-Standorts Deutschland insgesamt.

Diese Studie zeigt, dass Offshoring Ausdruck eines tiefer liegenden

Trends ist: Ein neuer Industrialisierungs- und Internationalisierungs-

schub erfasst nunmehr auch komplexe Dienstleistungen im IT-Be-

reich. Boes und Schwemmle bieten handfestes aktuelles Material zu

den Strategien der IT-Unternehmen, zum Stand der Offshoring-Ent-

wicklung und zu den Reaktionen der Gewerkschaften. Und sie wagen

eine erste, empirisch begründete Einschätzung, was von den düsteren

Prognosen zu halten ist, wohin die Reise gehen könnte und worin die

Herausforderungen für die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen

bestehen.

Wer Offshoring als Drohgebärde zur Disziplinierung der Belegschaf-

ten nutzt und die Verlagerung von Jobs allein zur Senkung der Kosten

betreibt, so ihre Botschaft, manövriert sich in eine Sackgasse. Erfolg-

reiche Internationalisierungsstrategien bauen auf die aktive Unter-

stützung der IT-Beschäftigten. Verlagerungsdrohungen sind dafür eine

schlechte Basis.

120

edition der Hans BöcklerStiftungFakten für eine faire Arbeitswelt.

HerausforderungOffshoring

Internationalisierung und Auslagerungvon IT-Dienstleistungen

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Andreas Boes

Michael Schwemmle

unter Mitarbeit von Ellen Becker

Herausforderung

Offshoring

Internationalisierung

und Auslagerung von

IT-Dienstleistungen

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edition der Hans-Böckler-Stiftung 120

Dr. Andreas Boes ist Soziologe am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) München.Er befasst sich mit Fragen der Zukunft der Arbeit und der Informatisierung der Gesellschaft. Die Entwicklung der IT-Industrie begleitet er seit Ende der 80er-Jahre in diversen Forschungsprojekten.

Veröffentlichungen u.a.:Software als Arbeit gestalten, Wiesbaden 1994 (mit Andrea Baukrowitz und Bernd Eckhardt)Veränderungstendenzen der Arbeit im Übergang zur Informationsgesellschaft – Befunde und Defizite derForschung. In: Enquete-Kommission »Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft – DeutschlandsWeg in die Informationsgesellschaft«: Arbeitswelt in Bewegung, Bonn 1998, S. 13-170 (mit Andrea Baukrowitz und Michael Schwemmle).Arbeitsbeziehungen in der IT-Industrie, Berlin 2002 (mit Andrea Baukrowitz).

Michael Schwemmle (M.A.) ist Geschäftsführer der Input Consulting GmbH in Stuttgart. Sein Interessen-schwerpunkt ist die Entwicklung der »Netzwerkgesellschaft« (Castells) und deren Implikationen für Politik, Arbeit und Gewerkschaften.

Veröffentlichungen u.a.:Anytime, anyplace … Befunde zur elektronischen Internationalisierung von Arbeit, Frankfurt 2000 (mit Claus Zanker)Wettlauf Informationsgesellschaft. Regierungsprogramme im internationalen Überblick, Bonn 2000 (mit Dieter Klumpp);Neu denken – neu handeln. Arbeit und Gewerkschaften im digitalen Kapitalismus, Hamburg 2001 (mit Michael Sommer und Lothar Schröder).

© Copyright 2004 by Hans-Böckler-Stiftung

Hans-Böckler-Straße 39, 40476 Düsseldorf

Buchgestaltung: Horst F. Neumann Kommunikationsdesign, Wuppertal

Produktion: Der Setzkasten GmbH, Düsseldorf

Printed in Germany 2004

ISBN 3-935145-97-7

Bestellnummer: 13120

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die des öffentlichen Vortrages,

der Rundfunksendung, der Fernsehausstrahlung,

der fotomechanischen Wiedergabe, auch einzelner Teile.

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V O R W O R T

Offshoring – ein Begriff, der noch vor kurzem kaum jemandem geläufig war – ist

heute in aller Munde, nicht nur, aber vor allem im IT-Sektor. Zur Debatte steht die

Verlagerung von mehreren zehntausend hochqualifizierten IT-Arbeitsplätzen, für

manche sogar die Zukunft des IT-Standorts Deutschland insgesamt. Offshoring ist

zudem zum tragenden Element einer Drohkulisse geworden, vor der die Forde-

rung nach drastischer Senkung des Lohn- und Sozialniveaus und entsprechenden

Zugeständnissen der hiesigen ArbeitnehmerInnen in zunehmend schrillerer Ton-

lage erhoben wird.

Die vorliegende Studie will zeigen, dass Offshoring mehr als nur Modetrend

und Drohgebärde, sondern Ausdruck einer tiefer liegenden Entwicklung ist: Ein

Industrialisierungs- und Internationalisierungsschub erfasst nunmehr auch kom-

plexe Dienstleistungen im IT-Bereich und stellt Management, Beschäftigte,

Betriebsräte und Gewerkschaften vor neue Herausforderungen. Offshoring wird,

ob man dies bedauern oder begrüßen mag, wohl noch auf längere Sicht auf der

ökonomischen, politischen und gewerkschaftlichen Agenda verbleiben.

Wir möchten mit dieser Arbeit Materialien und Argumente für die aktuelle

Debatte um Offshoring bereitstellen und einen Beitrag zur notwendigen Präzisie-

rung von Begriffen und Analysen leisten. Dabei verstehen wir diese Untersuchung

als Vorstudie für die Begründung weitergehender Forschungen. Mit einem ver-

gleichsweise begrenzten empirischen Zugriff dient sie der Prüfung der Bedeu-

tung des Themas, der Erkundung der relevanten Problemstellungen sowie der

Überprüfung und Präzisierung von Hypothesen und Fragestellungen für weitere

Untersuchungen. Angesichts der Rasanz der Entwicklung kann sicherlich nicht

jede Feststellung, die wir getroffen haben, Ewigkeitswert für sich reklamieren.

Auch konnten aufgrund der knappen Produktionszeit längst nicht alle Aspekte

des Themas in der gebotenen Gründlichkeit beleuchtet werden. Aber ein Anfang

ist gemacht. Und weitere Forschungsprojekte werden folgen.

Diese Arbeit wäre ohne die Auskunftsbereitschaft der ExpertInnen aus IT-

Unternehmen (Beschäftigte, Betriebsräte und Manager) sowie aus Gewerkschaf-

ten und Verbänden, mit denen wir ausführliche Gespräche führen konnten, nicht

zustande gekommen. Ihnen gilt unser herzlicher Dank. Die finanzielle Basis der

Studie bilden Mittel der Hans-Böckler-Stiftung und des Sonderforschungsbe-

reichs »Reflexive Modernisierung« (SFB 536) der Deutschen Forschungsgemein-

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schaft. Besonders gefreut hat uns das Interesse und die gemeinsam getragene

Unterstützung von IG Metall und ver.di.

Im Juli 2004

Andreas Boes, Michael Schwemmle

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I N H A LT S V E R Z E I C H N I S

V O R W O R T 3

I N H A LT S V E R Z E I C H N I S 5

O F F S H O R I N G I N D E R I T - I N D U S T R I ES T R AT E G I E N D E R I N T E R N AT I O N A L I S I E R U N G

U N D A U S L A G E R U N G I M B E R E I C H S O F T WA R E

U N D I T - D I E N S T L E I S T U N G E N 9

Andreas Boes unter Mitarbeit von Ellen Becker

E I N L E I T U N G :

O F F S H O R I N G – E I N T H E M A M I T G R O S S E R B R I S A N Z . . . 11

B E G R I F F S D E F I N I T I O N E N , E M P I R I S C H E S F E L D

U N D M E T H O D I S C H E S V O R G E H E N 17

Begriffe 17

Abgrenzung des Feldes 21

Methodisches Konzept 22

V O R A U S S E T Z U N G E N U N D T R E I B E R D E R A K T U E L L E N

O F F S H O R I N G - E N T W I C K L U N G 25

Gibt es überhaupt einen Offshoring-Boom? 25

Die Kosten allein sind es nicht! 30

Grundlegende Voraussetzungen des Offshoring-Booms 36

International verfügbarer Informationsraum 36

»Weltarbeitsmarkt« für IT-Fachkräfte 38

Qualitativer Wandel der Produkte und Leistungen

als Basis der Internationalisierung des Marktes und der Produktions-

strukturen für IT-Dienstleistungen 45

Krise als »Geburtshelfer« der Offshoring-Entwicklung 49

Zusammenfassung: Offshoring als Ausdruck einer neuen Phase

der Internationalisierung der IT-Dienstleistungsproduktion 52

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E N T W I C K L U N G S S TA N D U N D W I R K U N G E N V O N

O F F S H O R E - S T R AT E G I E N I N S O F T WA R E -

U N D I T - D I E N S T L E I S T U N G S - U N T E R N E H M E N 57

Unternehmensstrategien grosser IT-Unternehmen

im Bereich Offshoring 57

Vom situativ-inkrementellen zum strategisch fokussierten Vorgehen 57

Versuche zur Strategiebestimmung bei weltweit agierenden

IT-Unternehmen 59

Unterschiede und Gemeinsamkeiten des Entwicklungsstands

und der Orientierungen der Offshore-Strategien 70

Detailanalyse von Off- und Nearshore-Aktivitäten 75

Zum Stand der Offshore-Aktivitäten 75

Differenzierte Analyse von Offshoring-Aktivitäten

nach Tätigkeitsbereichen 83

»Bisher sind die Auswirkungen noch moderat« –

Auswirkungen der Offshoring-Aktivitäten in den Unternehmen 106

V E R S U C H E I N E R A B S C H Ä T Z U N G

D E R F O L G E N F Ü R D I E B E S C H Ä F T I G T E N 109

Die Beschäftigungsbilanz der Offshoring-Entwicklung 109

Beschäftigungsentwicklung in den USA 110

Beschäftigungsentwicklung in der BRD 113

Kritische Reformulierung der Beschäftigungsbilanzen 115

Zusammenfassung 125

Standardisierung der Arbeitsprozesse und Abläufe 126

Veränderte Qualifikationsanforderungen 129

Verunsicherung und wachsender Anpassungsdruck 130

Z U R Z U K U N F T D E R O F F S H O R I N G - E N T W I C K L U N G

B E I S O F T WA R E U N D I T - D I E N S T L E I S T U N G E N 133

Offshoring als Ausdruck eines tiefgreifenden Strukturwandels 133

Offshoring als Sackgasse der Internationalisierung? 134

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O F S H O R I N G U N D G E W E R K S C H A F T E NR E A K T I O N E N A U F D I E I N T E R N AT I O N A L I S I E R U N G

V O N D I E N S T L E I S T U N G S A R B E I T 141

Michael Schwemmle (Input Consulting GmbH)

O F F S H O R I N G A L S H E R A U S F O R D E R U N G F Ü R

G E W E R K S C H A F T E N 143

P O S I T I O N E N I N T E R N AT I O N A L E R

U N D N AT I O N A L E R G E W E R K S C H A F T E N 147

»Engagiert an beiden Enden«: Die Perspektive

von Union Network International 148

»Pragmatisch und nicht-protektionistisch«:

Die Haltung britischer Gewerkschaften 150

Gegen »Outsourcing America«:

Der Widerstand der US-Gewerkschaften 155

K E R N P U N K T E G E W E R K S C H A F T L I C H E R R E A K T I O N E N

A U F O F F S H O R I N G 159

L I T E R AT U R V E R Z E I C H N I S 161

S E L B S T D A R S T E L L U N G D E R H A N S - B Ö C K L E R - S T I F T U N G 173

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Andreas Boes

unter Mitarbeit von Ellen Becker

Offshoring in der

IT-Industrie

Strategien der

Internationalisierung

und Auslagerung im Bereich

Software und

IT-Dienstleistungen

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E I N L E I T U N G :O F F S H O R I N G – E I N T H E M AM I T G R O S S E R B R I S A N Z . . .

Seit dem Jahr 2003 wird »Offshoring«, also die Nutzung von Produktionskapazitä-

ten in Niedriglohnländern, in Deutschland verstärkt in der Öffentlichkeit disku-

tiert. Insbesondere die Gefahr der Verlagerung von Dienstleistungstätigkeiten,

welche bisher aufgrund ihrer Spezifik als weitgehend ortsgebunden galten, ver-

schafft der Entwicklung eine hohe Aufmerksamkeit. In kürzester Zeit ist Offsho-

ring daher zu einem brisanten Thema geworden.

Mit der Debatte werden Internationalisierungsentwicklungen der Wirtschaft

thematisiert, die schon seit einigen Jahrzehnten beobachtet werden [vgl. Flecker

u.a. 2002; Schwemmle, Zanker 2000]. Deren Thematisierung und insbesondere

deren Relevanz in der Öffentlichkeit erhalten durch die aktuelle Offshoring-Dis-

kussion eine neue Qualität [Rohde 2003]. Ihren Ursprung hat die Auseinanderset-

zung mit dem Thema Offshoring in den USA, wo die Verlagerung von Dienstleis-

tungstätigkeiten in Niedriglohnländer, insbesondere Indien, unter Unternehmens-

vertretern und Beratern schon seit ein paar Jahren als wichtiger Trend gilt. Den

Sprung in die breite Öffentlichkeit schaffte das Thema durch eine Publikation der

Unternehmensberatung Forrester Research, welche im November 2002 mit der

Prognose an die Öffentlichkeit trat, allein aus den USA könnten bis zum Jahr 2015

insgesamt 3,3 Mio. Dienstleistungsjobs in Niedriglohnländer verlagert werden

[McCarthy 2002]. Seitdem existiert in der US-amerikanischen Öffentlichkeit eine

vehemente Diskussion zum Thema Offshoring, es wurde sogar zum Gegenstand

des laufenden Präsidentenwahlkampfs [Schwemmle in diesem Band]. In Deutsch-

land wurde das Thema mit einer gewissen Verzögerung in die Öffentlichkeit

getragen. Auch hier hatten diverse Unternehmensberaterstudien [A.T. Kearney

2003; Deloitte&Touche 2003], welche die Verlagerung von Arbeitsplätzen aus dem

Dienstleistungsbereich prognostizierten, großen Anteil am gestiegenen allgemei-

nen Interesse.

Das öffentliche Interesse wurde noch forciert durch die Bekanntgabe der Pla-

nungen diverser Unternehmen, dass diese in den nächsten Jahren einen erhebli-

chen Anteil an Arbeitsplätzen nach Indien, China oder Osteuropa verlagern wol-

len. So wurden beispielsweise im Juli 2003 Pläne der IBM publik, wonach bis 2015

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zahlreiche Arbeitsplätze des Unternehmens in die genannten Niedriglohnregio-

nen verlagert würden [Deloitte&Touche 2003]. Das Wall Street Journal berichtete

unter Berufung auf interne Papiere, allein im Jahr 2004 stehe die Auslagerung von

4.730 Arbeitsplätzen an [Ernst 2004]. Planungen von Siemens, das bereits seit

1992 ein Entwicklungszentrum in Indien unterhält, wiesen eine deutliche Auswei-

tung der Off- und Nearshore-Aktivitäten als Ziel aus. Bei der Software-Entwicklung

will das Unternehmen nach eigenen Angaben in Zukunft auf die Wachstums-

märkte in China, Russland, Indien und Osteuropa setzen und die dortigen Kapa-

zitäten zügig ausbauen. Im Dezember 2003 erklärte Zentralvorstandsmitglied

Johannes Feldmayer, er halte es für realistisch, dass in einigen Jahren etwa ein

Drittel der Entwicklungsarbeiten für Siemens an Niedriglohnstandorten geleistet

werde [Heise.de v. 15.12.2003]. Die Betriebsräte des Unternehmens und die IG

Metall befürchten daher den Verlust von mehreren tausend Arbeitsplätzen in der

Entwicklung in Deutschland [silicon.de v. 26.04.2004]. Vergleichbare Planungen

gelangten für viele große IT-Unternehmen an die Öffentlichkeit.

Mittlerweile gilt das Offshoring als »strategischer Trend« für den Dienstleis-

tungsbereich und als Moment eines Strukturbruchs [Dück 2004]. Deloitte Consul-

ting spricht gar von einer »Revolution«: »It’s another revolution – this one is for

real« [Deloitte&Touche 2003]. Marktforschungsinstitute prognostizieren ein

schnelles Wachstum des Marktes für Offshore-Dienstleistungen. So wurde für das

Jahr 2003 prognostiziert, dass der Markt für Offshore-IT-Services um weitere 25 %

in den USA (Forrester) und 40 % in Europa (Gartner) wachsen solle [ebd.]. Der

Umsatz der indischen IT-Dienstleistungsunternehmen beträgt gegenwärtig laut

Gartner zwar nur 1,4 % des Weltgesamtumsatzes. Er befindet sich allerdings seit

Jahren schon in einer dynamischen Wachstumsentwicklung [Deloitte&Touche

2003] und sei im Jahre 2003 um 29 % gestiegen [Handelsblatt v. 22.06.2004].1

Im Zentrum der Offshoring-Entwicklung stehen die Finanzdienstleistungsbran-

che [A.T. Kearney 2003] und die IT-Industrie [Buchta u.a. 2004; Allweyer u.a. 2004].

Sie bilden offensichtlich die Vorreiter der Entwicklung. Entsprechende Aktivitäten

werden aber mittlerweile auch aus der Automobilindustrie [Computerwoche v.

19.09.2003] oder von Telekommunikationsunternehmen [Deloitte&Touche 2004]

gemeldet. Betrachtet man beispielsweise die großen IT-Dienstleistungszentren in

Indien, so finden sich dort nahezu alle bekannten, international tätigen Firmen. Sie

unterhalten dort Tochterfirmen oder Joint-Venture-Unternehmen, um Software-

12

1 Zum Vergleich: Beispielsweise hatten US-amerikanische IT-Firmen im gleichen Jahr lediglich vier Pro-zent Umsatzanstieg zu verzeichnen [Handelsblatt v. 22.06.2004].

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Entwicklungstätigkeiten oder Call-Center-Dienstleistungen durchführen zu las-

sen. Mit dem Beitritt der neuen EU-Länder wird auch in Osteuropa der schnelle

Ausbau von Dienstleistungszentren und Software-Entwicklungsstandorten erwar-

tet [Allweyer u.a. 2004] und Russland gilt gerade für die Software-Entwicklung als

Standort mit Zukunft [silicon.de v. 23.04.2004]

Im Zentrum der öffentlichen Diskussion um das Offshoring stehen zwei

Begriffe: Kosteneinsparungen und Arbeitsplatzverlagerungen.

Verschiedene Beratungsunternehmen stellen den Unternehmen Kosteneins-

parungen durch eine Vergabe der Arbeiten in Off- und Nearshore-Regionen in

Aussicht, die sich auf 30-50 % belaufen sollen [Buchta u.a. 2004]. Andere Quellen

nennen gar noch höhere Einsparpotenziale [vgl. Behnde u.a. 2003]. Diese

Kosteneinsparungen scheinen möglich, weil insbesondere die Arbeitskosten in

den Off- und Nearshore-Regionen deutlich niedriger liegen. In verschiedenen

Quellen wird darauf verwiesen, dass beispielsweise die Lohnkosten je nach Land

bei weniger als 20 % des Lohnniveaus in den Hochlohnregionen lägen. Hinzu

kommen steuerliche Vergünstigungen, die gerade in den osteuropäischen EU-Bei-

trittsländern, aber auch in Indien eine wichtige Rolle spielen [DIHK 2003]. Ange-

sichts der Aussicht auf solche Kostensenkungen erscheint Offshoring geradezu als

betriebswirtschaftliche Notwendigkeit. Entsprechende Strategien, so die Verant-

wortlichen vieler großer Unternehmen, seien geradezu unumgänglich. Arbeits-

plätze, welche in Deutschland »zu teuer« seien, müssten verlagert werden, um den

Unternehmenswert und die Wettbewerbsfähigkeit insgesamt nicht zu gefährden.

Die damit in Aussicht gestellte Verlagerung von Arbeitsplätzen in Nied-

riglohnländer ist der zweite zentrale Punkt in der öffentlichen Diskussion. Hier-

bei geht es vor allem um die Verlagerung von Arbeitsplätzen in den Dienstleis-

tungsbereichen. Betroffen sind insbesondere Beschäftigte im Finanzsektor, in

der IT-Branche oder auch der Telekommunikationswirtschaft. Allein für die IT-

Dienstleister in den USA steht laut einer Studie der Forrester Group bis zum Jahr

2015 die Verlagerung von insgesamt 472.000 IT-Arbeitsplätze auf der Agenda

[Deloitte&Touche 2003].

Für den Dienstleistungsbereich insgesamt hat Forrester Research die oben

erwähnte Prognose aus dem Jahre 2002, die die neue Offshoring-Debatte einläu-

tete, kürzlich sogar leicht nach oben korrigiert. Im Gegensatz zu der älteren Pro-

gnose gehen sie allerdings davon aus, dass – nicht zuletzt aufgrund der gestiege-

nen öffentlichen Aufmerksamkeit für das Thema – das Tempo der Verlagerungen

in den USA in den nächsten Jahren sehr viel höher sein wird als ursprünglich

erwartet [McCarthy 2004].

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Verglichen mit den USA, so wird allgemein angenommen, habe die Offshoring-

Entwicklung in Deutschland mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung begon-

nen. Für die nächsten Jahre sei allerdings mit relevanten Verlagerungsaktivitäten

in verschiedenen Branchen zu rechnen. Dabei geraten, so der Deutsche Industrie

und Handelskammertag in einer Befragung zu den Produktionsverlagerungsbe-

strebungen deutscher Unternehmen, erstmals auch die hochqualifizierten

Arbeitsplätze in den Fokus. Dadurch erhielten die Verlagerungsaktivitäten

gegenüber ihren historischen Vorläufern in den 70er- bis 90er-Jahren eine neue

Qualität:

»Während noch in den 90er-Jahren fast ausschließlich lohnintensive Unter-

nehmensteile mit vorwiegend gering qualifizierten Tätigkeiten im Mittelpunkt

von Verlagerungen standen, kommen inzwischen zunehmend auch andere,

kapital- und wissensintensive Unternehmensteile wie zum Beispiel die Verwal-

tung, die Forschung und die Entwicklung sowie die Unternehmensführung auf

den Prüfstand. Die Verlagerung erhält damit eine neue Qualität« [DIHK 2003].

Für den deutschsprachigen Raum prognostiziert eine Studie von A.T. Kearney

noch in den nächsten fünf Jahren eine Verlagerung von 100.000 Arbeitsplätzen

aus der Finanzbranche in Niedriglohnländer [zit. n. Deloitte&Touche 2003]. Das

gleiche Institut sagt für den Bereich der IT-Dienstleistungen eine Vervierfachung

des Anteils von Offshore-Aktivitäten in deutschen Unternehmen und den Wegfall

von bis zu 130.000 Arbeitsplätzen in den nächsten drei Jahren voraus [Buchta u.a.

2004]. Demgegenüber erwartet das Forschungsinstitut der Deutschen Bank eine

weit geringere Verlagerungsdynamik. Dieses Institut geht davon aus, dass bis zum

Jahre 2008 insgesamt 50.000 Arbeitsplätze im Bereich IT-Dienstleistungen verla-

gert zu werden drohen [Allweyer u.a. 2004]. Hierbei handelt es sich nicht nur um

Arbeitsplätze in Call-Centern und im Bereich der Administration, sondern ver-

stärkt auch um hochqualifizierte Tätigkeiten in der Software-Entwicklung.

Mögliche Kosteneinsparungen auf der einen Seite und drohende Verlagerun-

gen von Arbeitsplätzen auf der anderen Seite haben zu einer Intensivierung der

politischen Debatte über das Offshoring auch in Deutschland geführt, ohne dass

hier bereits eine ähnliche Vehemenz zu verzeichnen wäre wie in den USA. Für Auf-

sehen sorgte der Ausspruch des Bundeskanzlers Gerhard Schröder, der ausla-

gernde Unternehmen als »unpatriotisch« bezeichnete [n-tv.de v. 23.03.2004]. Ver-

treter großer Unternehmen konterten diesen Vorwurf mit der Forderung nach

einer umfassenden Senkung des Lohn- und Regulierungsniveaus in Deutschland

[Kagermann in der FAZ v. 05.05.2004; von Pierer in der FAZ v. 20.04.2004]. Die For-

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derung nach einer Einführung der 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich wurde

in bisher tarifgebundenen Unternehmen wie Siemens als notwendiger Schritt zur

Senkung der Kosten in den Raum gestellt. Die Formel »Weniger Lohn, länger

arbeiten« [Spiegel 48/2003] wurde als Losung zur Vermeidung anstehender Verla-

gerungen in Niedriglohnländer ausgegeben. Diese Forderungen provozieren in

verschiedenen Unternehmen Gegenwehr bei betrieblichen Interessenvertretern

und den Widerstand von Gewerkschaften [Scheitor u.a. 2004]. Es ist daher nicht

verwunderlich, dass Offshoring für die europäischen Gewerkschaften zum wich-

tigsten Thema in der Debatte um die Zukunft der Dienstleistungsarbeit geworden

ist [vgl. Metcalfe u.a. 2004].

In einer komplexen Gemengelage von wirtschaftlichen, technologischen,

sozialen und politischen Aspekten entwickelte sich um dieses Thema eine Diskus-

sion, welche im Schnittpunkt zentraler gesellschaftlicher Diskurse in Deutschland

liegt und daraus eine große Dynamik erhält.

Die Offshoring-Debatte dockt an einen allgemeinen Diskurs über die Zukunfts-

fähigkeit des deutschen Wirtschaftsstandorts an und forciert die Forderung nach

einer umfassenden Senkung des Lohn- und Sozialniveaus sowie einer Aufwei-

chung der spezifischen Formen der Regulierung von Arbeit und Sozialstandards.

Dabei geraten Beschäftigtengruppen unter Druck, welche die »Reformen« der

letzten 30 Jahre vergleichsweise unbeschadet überstanden haben. Waren in der

Vergangenheit insbesondere gering qualifizierte Beschäftigte und Menschen am

Rande des Erwerbssystems betroffen, werden nun auch die hochqualifizierten

Beschäftigtengruppen mit ihren vergleichsweise hohen Lohn- und Sozialstan-

dards zu Adressaten entsprechender Forderungen. Ging es in den 70er- und 80er-

Jahren vorwiegend um die Verlagerung von einfachen lohnintensiven Tätigkeiten

der klassischen Industrie, so geraten nun verstärkt Dienstleistungstätigkeiten und

»Kopfarbeiter« – und damit gerade die Beschäftigtengruppen, welche sich in der

Vergangenheit trotz aller wirtschaftlichen Verwerfungen vergleichsweise sicher

fühlen konnten – ins Visier von Verlagerungsaktivitäten und werden damit in

einer neuen Weise dem Druck des Weltarbeitsmarktes ausgesetzt. Das ist das

eigentlich Neue an der aktuellen Offshore-Debatte und -Entwicklung, mit der sich

eine qualitative Veränderung im internationalen Wirtschaftssystem abzeichnet.

Zugleich deutet sich mit dieser Entwicklung eine weit reichende Veränderung

für das deutsche Produktionsmodell insgesamt an. Das Thema »Offshoring von IT-

Dienstleistungen« stellt nämlich die bisher dominante »high-road-Strategie« der

deutschen Wirtschaft in Frage. Intelligente Produkte und Dienstleistungen sowie

hochqualifizierte Beschäftigte waren bisher die Kernelemente einer erfolgver-

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sprechenden »Vorwärtsstrategie« in der BRD, um Beschäftigungsverluste im Seg-

ment einfacher Tätigkeiten zumindest teilweise zu kompensieren. Diese Strategie

steht nunmehr zur Disposition, wenn der Kompensationsmechanismus Höher-

qualifizierung außer Kraft gesetzt werden sollte. Das macht die (bisher kaum

beachtete) Brisanz an der gegenwärtigen Diskussion zum Thema Offshoring von

IT-Dienstleistungen aus.

Diese Studie analysiert die Offshoring-Entwicklung in der deutschen Wirt-

schaft. Sie konzentriert sich auf den Bereich »Software und Service« der IT-In-

dustrie, welchem dabei eine zentrale Rolle zukommt. Im Wesentlichen folgt sie

zwei Zielstellungen:

Erstens ist die Offshoring-Entwicklung in den jeweiligen IT-Unternehmen zu

klären. Nachgezeichnet werden der Entwicklungsstand in insgesamt elf mittle-

ren und großen Unternehmen dieser Branche sowie die strategischen Planun-

gen wichtiger IT-Konzerne. Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammen-

hang die Klärung der Frage, ob es sich beim Offshoring lediglich um eine

Modeerscheinung handelt oder um einen strategischen Trend. Zu analysieren

ist weiterhin, welche Strategien die Unternehmen verfolgen, welche Entwick-

lungsdynamik diese aufweisen und welche Beschäftigtengruppen vorrangig

von dieser Entwicklung betroffen sind bzw. sein werden.

Zweitens ist der Frage nach den Auswirkungen nachzugehen, die Offshoring-

Aktivitäten auf die Beschäftigten haben. Dabei wird insbesondere auf die

Beschäftigungswirkungen, die Veränderungen der Arbeitsbedingungen und

Qualifikationsanforderungen sowie die Kräfteverhältnisse in den Unternehmen

fokussiert.

Die Studie gliedert sich in insgesamt fünf Kapitel. Zunächst werden notwendige

Begriffsklärungen vorgelegt, es wird das empirische Feld abgegrenzt und

das methodische Vorgehen erläutert. Das nächste Kapitel befasst sich mit den Vor-

aussetzungen und Triebkräften der Offshoring-Entwicklung. Das daran an-

schließende empirische Hauptkapitel gliedert sich in zwei Teile. Zunächst werden

die strategischen Planungen einflussreicher Unternehmen in der deutschen IT-

Branche nachgezeichnet. Danach folgt eine differenzierte Analyse des aktuellen

Entwicklungsstands in den Unternehmen. Im folgenden Kapitel werden die quan-

titativen und qualitativen Folgen für die Beschäftigten zu diskutieren sein. Das

Abschlusskapitel fragt nach der Zukunft der Offshoring-Entwicklung in der deut-

schen IT-Industrie.

16

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B E G R I F F S D E F I N I T I O N E N ,E M P I R I S C H E S F E L D U N D M E T H O D I S C H E S V O R G E H E N

B E G R I F F E

Offshoring ist kein wissenschaftlich definierter Begriff. Er enthält unterschiedliche

Konnotationen und bezeichnet verschiedene Tatbestände. Sein Gebrauch sowie

die gängigen Verwendungsweisen variieren. Für eine wissenschaftliche Analyse

bedarf es daher einer näheren Klärung des zur Debatte stehenden Tatbestands

und seiner Implikationen. Dabei wird deutlich werden, dass der Begriff zwei unter-

schiedliche Bedeutungsinhalte umfasst, sodass sein unspezifischer Gebrauch

zwangsläufig zu Verwirrungen führt.

Ursprünglich bezeichnete der Begriff »offshore« Orte wie die karibischen

Inseln, wohin in den 70er- und 80er-Jahren US-amerikanische Unternehmen ein-

fache Datenerfassungsdienste outsourcten [UNI 2003, 5]. Hierin sind bereits die

beiden erwähnten Bedeutungsinhalte angelegt: eine funktional bestimmte

Bedeutung, welche das Phänomen im Zuge der Outsourcing-Entwicklung als eine

Form der Auslagerung von Aufgaben aus Unternehmen in Hochlohnregionen in

solche in Niedriglohnregionen begreift, und eine ortsbezogene Bedeutung, bei

der es um die Nutzung von Ressourcen aus bestimmten Regionen, nämlich den

Offshore-Ländern geht. Während damit zunächst die Niedriglohnländer in der

Nähe der USA gemeint waren, findet später eine Übertragung auf alle Länder

statt, die verglichen mit dem Standard in den hochindustrialisierten Ländern ein

deutlich niedrigeres Lohnkostengefüge aufweisen.

Diese Gruppe von Ländern mit vergleichsweise niedrigen Lohnkosten wird in

einem weiteren Schritt differenziert. Wenn es sich um entfernte Niedriglohnregio-

nen handelt, wird von »Offshoring« gesprochen, wenn es sich um nahe gelegene

Niedriglohnländer handelt, von »Nearshoring«. Aus der bundesdeutschen Per-

spektive gelten beispielsweise die osteuropäischen Länder als »Nearshore-

Region«, während Indien, China oder die Philippinen als »Offshore-Regionen«

bezeichnet werden. Im Gegensatz zur Situation in den USA, wo laut A.T. Kearney

der größte Teil der Offshore-Aufträge nach Indien geht (90 % aller Unternehmen,

die Offshore-Aufträge vergeben oder zu vergeben planen, bevorzugen Indien als

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Offshore-Region), stehen in Zentraleuropa neben Indien auch die osteuropäi-

schen Länder im Blickpunkt. Hier setzen 45 % der Unternehmen auf Indien, aber

immerhin jeweils 18 % auf Ungarn, die Slowakei und Rumänien [A.T. Kearney

2003; zit. n. Allweyer u.a. 2004, 9].2

Die oben angerissene Doppeldeutigkeit des Begriffs »Offshoring« macht sich

auch in aktuellen Definitionen bemerkbar: Unter den Begriff werden unterschied-

liche Sachverhalte subsummiert, welche ihrerseits je unterschiedlichen Kontexten

zuzurechnen sind. Häufig wird Offshoring wird als eine spezifische Form des Out-

sourcings verstanden. In dieser Diktion gilt es als logische Fortsetzung des Trends

zur Fremdvergabe ehemals im Unternehmen erstellter Aufgaben. Diese Begriffs-

definition wird beispielsweise von diversen Unternehmensberatungen favorisiert

und findet sich beispielsweise in den Studien der Deutsche Bank Research oder

von Deloitte&Touche. Die Studie der Deutschen Bank fasst »Outsourcing« so: Es

»ist ein Kunstwort aus ‚Outside’, ‚Ressource’ und ‚Using’, das allgemein die lang-

fristige bzw. endgültige Vergabe von Leistungen an externe Anbieter

beschreibt, die bisher selbst erstellt wurden« [Allweyer u.a. 2004, 3].3

Darauf aufbauend definiert die Studie von Deloitte&Touche:

»Offshoring ist eine besondere Form des Outsourcing, die Verlagerung von

bestimmten IT-Aufgaben in ein Niedriglohnland, wie z.B. Indien.«

Ein ähnliches Begriffsverständnis wird auch den übrigen vorliegenden Studien

sowie den Ausarbeitungen von Union Network International (UNI) zugrunde

gelegt [vgl. Rohde 2003; UNI 2003].

Wesentlich für diese Begriffsbestimmung ist, dass a) eine Vergabe von Aufga-

ben an einen Dritten erfolgt, welcher diese Aufgabe nun als Dienstleistung für

den Auftraggeber erbringt, und dass b) dieser Dienstleister in einer Offshore-

Region ansässig ist oder die Dienstleistung zumindest in nennenswertem Umfang

dort erbringt. Wenn von Offshoring im Finanzsektor oder der Automobilindustrie

die Rede ist, handelt es sich i.d.R. um diese Form des Offshorings. Statt die outge-

sourcten Aufgaben von einem Unternehmen in der BRD erbringen zu lassen,

beauftragt man einen Dienstleister in einer Niedriglohnregion bzw. einen Dienst-

18

2 In dieser Befragung waren Mehrfachnennungen möglich. Die hier aufgezählten Länder sind sehrwillkürlich zusammengestellt. Für Zentraleuropa werden beispielsweise die Schweiz, Österreich oderdie Niederlande als »Offshoring-Standort« aufgezählt.

3 Zur Begriffsvielfalt um den Ausdruck des Outsourcings siehe auch Pößneck [2004a].

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leister, der in einer Offshore-Region sourct.4 Diese Form des Offshorings wird tref-

fend als »Offshore-Outsourcing« [Allweyer u.a. 2004; Deloitte&Touche 2003]

bezeichnet.

Einen anderen Sachverhalt bezeichnet der Begriff des Offshorings, wenn IT-

Unternehmen selbst Entwicklungskapazitäten in Offshore-Regionen aufbauen

und die dortigen Produktionskapazitäten innerhalb des Konzerns nutzen. Dies

geschieht häufig durch die Gründung von Tochterunternehmen oder die Bildung

von Joint-Venture-Unternehmen unter Beteiligung ortsansässiger IT-Unterneh-

men. In diesem Fall findet kein Outsourcing im eigentlichen Sinne statt, denn das

Unternehmen lagert die Aufgaben nicht an einen Dritten aus, sondern lässt sie

von Tochtergesellschaften in Niedriglohnregionen erbringen. Diese Form des

Offshorings entspringt also nicht dem Bestreben nach Verlagerung von bisher

intern bewältigten Aufgaben an Dritte, sondern ist vor allem als Ausdruck der

Internationalisierung von Produktionskapazitäten zu verstehen. Sie ist für den IT-

Bereich aus noch zu erläuternden Gründen von besonderer Bedeutung. Dennoch

wird sie in der aktuellen Diskussion nicht als zu unterscheidende Form des Offs-

horings in ihrer Spezifik zur Kenntnis genommen. Sämtliche vorliegenden Studien

reflektieren das Offshoring lediglich in seiner Bedeutung als besondere Form des

Outsourcings.

Die beiden Formen der Nutzung von Produktionskapazitäten haben in den

verschiedenen Branchen je unterschiedliche Bedeutung. In den untersuchten IT-

Unternehmen hat das Outsourcing an Dritte bisher eine untergeordnete Bedeu-

tung. Viel wichtiger ist hier die Nutzung der Produktionskapazitäten eigener Orga-

nisationseinheiten in Offshore-Regionen. Für die IT-Dienstleister bedeutet Offsho-

ring daher vor allem, dass sie eigene Produktionskapazitäten in Offshore-Regio-

nen aufbauen. In Anwenderunternehmen überwiegen demgegenüber die For-

men des Offshorings, die mit einem Outsourcing von IT-Dienstleistungen verbun-

den sind. Zwar haben auch die großen Industrie- und Dienstleistungsunterneh-

men durchaus eigene Entwicklerzentren in Indien oder anderen Offshore-Regio-

nen, aber der Hauptanteil der Offshoring-Aktivitäten in diesen Unternehmen

besteht in der Vergabe von outgesourcten Aufträgen an Fremdfirmen, welche zur

Erbringung der Aufträge Produktionskapazitäten in Offshore-Regionen nutzen.

19

4 »Unternehmen wie IBM, Accenture, EDS oder CGEY haben bereits eigene Standorte in Offshore-Regionen aufgebaut. Diese Unternehmen nutzen ihre globale Präsenz und erbringen IT-Leistungenam jeweils geeigneten, kostengünstigsten Standort. Eine große Zahl an Arbeitsplätzen für reine Soft-ware-Entwicklung und -Betreuung/-Betrieb wird in Zukunft immer stärker in klassische Offshore-Regionen abwandern. Diese Unternehmen haben sich bereits strategisch gut positioniert undattackieren die Offshore-Dienstleister in deren Heimatregionen« [A.T. Kearney 2003].

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Hinter den beiden Formen des Offshorings stehen je unterschiedliche Motiv-

strukturen mit z.T. verschiedenen Wirkungen. Das reine Offshore-Outsourcing

folgt den gleichen Erwägungen, wie sie für Outsourcing generell maßgeblich sind.

Ein Unternehmen lagert die Aufgabenerbringung aus, um die »Leistungstiefe« zu

reduzieren. Die Motivstrukturen für den Aufbau von eigenen Produktionskapa-

zitäten in Off- oder Nearshore-Regionen sind demgegenüber häufig viel komple-

xer und vielgestaltiger und in ihrer Wirkung auf die Beschäftigung nicht von vor-

neherein eindeutig. Diese Form ist aber auf jeden Fall, im Gegensatz zum Off-

shore-Outsourcing, nicht mit einer Reduzierung der »Leistungstiefe« verbunden.

Der Aufbau eines Entwicklungszentrums in einem Niedriglohnland kann vor-

nehmlich aus Kostengründen vorgenommen werden, meist sind aber weitere

Gründe von Bedeutung, so z.B. die Erschließung von Märkten oder die Nutzung

der Arbeitskräftereserven in anderen Regionen der Welt. Im Kern geht es bei die-

ser Form des Offshorings um die Internationalisierung der Produktionskapazitä-

ten und um die Nutzung der Ressourcen des Weltarbeitsmarkts zur Verfolgung

einer multiplen Zielstellung innerhalb einer Internationalisierungsstrategie eines

Unternehmens.

Entsprechend dieser Unterscheidung muss auch nicht jede Offshoringaktivität

mit einer Verlagerung von Tätigkeitsbereichen einhergehen. Im Falle des Off-

shore-Outsourcing geht es natürlich geradezu zwingend um eine Verlagerung

von bisher intern erbrachten Leistungen an Dritte, sodass hier bei betriebswirt-

schaftlicher Betrachtungsweise Arbeitsplätze im outsourcenden Unternehmen

wegfallen. Da diese auf das Offshore-Outsourcing reduzierte Perspektive die aktu-

elle öffentliche Diskussion um Offshoring dominiert, wird der Begriff verkürzt als

»Verlagerung von Aufgaben in Niedriglohnländer« verstanden. In diesem Fall ist in

Anlehnung an Schwemmle von einer Form des »substitutiven Offshoring« zu

sprechen [Schwemmle in diesem Band]. Im Falle der Nutzung von Produktionska-

pazitäten kann der Aufbau von Entwicklerzentren in Off- oder Nearshore-Regio-

nen stattfinden, ohne dass damit bisher im Inland erbrachte Aufgaben nunmehr

ins Ausland verlagert werden. In diesem Fall kann es sich mit Blick auf die betrieb-

lichen Beschäftigungseffekte um eine »substitutive« oder auch um eine »additive«

Form [ebd.] des Offshorings handeln. Diese Entwicklung kann also bei betriebli-

cher Betrachtung negative Beschäftigungswirkung haben, wenn die geschaffe-

nen Produktionskapazitäten in Offshore-Regionen genutzt werden, um bisher im

Inland erbrachte Leistungen zu erbringen – das muss aber nicht zwingend der Fall

sein. Es können sogar, selbst bei betrieblicher Betrachtung, positive Beschäfti-

gungseffekte erreicht werden.

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In der gebräuchlichen Verwendung ist also der Begriff des Offshoring zweideu-

tig bestimmt. Dies macht eine differenzierte Verwendung notwendig. Beide

Bestimmungen einbeziehend wird im Folgenden unter diesem Begriff nicht nur

die Verlagerung von Arbeitsplätzen. Er bezeichnet vielmehr allgemein die Nut-

zung von Ressourcen in Niedriglohnländern zur Erbringung von Leistungen unter

der Kontrolle eines Unternehmens in einer Hochlohnregion. Dies kann in Form

des »Offshore-Outsourcings« oder aber in Form der Nutzung der Produktionska-

pazitäten von Standorten in Niedriglohnländern geschehen. Da die beiden For-

men des Offshorings je unterschiedlichen Entwicklungen entspringen und i.d.R.

mit verschiedenen strategischen Zielen verbunden sind, sind sie in der weiteren

Analyse zu unterscheiden. Ferner wird – entsprechend der gebräuchlichen Diffe-

renzierung – von Offshoring gesprochen, wenn die Leistung in weit entfernten

Ländern erbracht wird, während der analoge Begriff des Nearshorings die Nut-

zung von Produktionskapazitäten in vergleichsweise nahe gelegenen Ländern

bezeichnet.

A B G R E N Z U N G D E S F E L D E S

Der Gegenstand dieser Arbeit sind Prozesse der Internationalisierung, welche in

der öffentlichen Diskussion unter dem Begriff des »Offshoring« zusammengefasst

werden. Analysiert werden diese Entwicklungen am Beispiel der IT-Industrie. Die

Informations- und Telekommunikations-Branche (ITK) besteht grob aus vier Seg-

menten: den Bereichen Telekommunikationsdienstleistungen, Telekommunikati-

ons-Hardware, Informationstechnik-Hardware sowie Software und IT-Service. Von

diesen erfährt im Folgenden lediglich das letzte Segment, Software und IT-Dienst-

leistungen, Beachtung. Ausgegrenzt bleiben die Entwicklungen in den übrigen

Branchen sowie auch die Formen der international verteilten Produktion von

Hardware-Komponenten oder im Telekommunikationssegment.

Das Segment »Software und IT-Service« ist – gemessen an der Beschäftigten-

zahl – mit 363.000 Beschäftigten im Jahre 2003 der mit Abstand größte Bereich

innerhalb der IT-Industrie in Deutschland. Es gilt als Wachstumsmotor der IT-Bran-

che, hat in den letzten Jahrzehnten ein dynamisches Beschäftigungswachstum

generiert und wurde im Laufe der 90er-Jahre zum zahlenmäßig größten und

wichtigsten Segment der Branche.

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Tabelle 1: Beschäftigte in der IT-Industrie 1998 – 2003

1998 1999 2000 2001 2002 2003

Informationstechnik 396.000 418.000 490.000 492.000 479.000 458.000

- Büromasch. und DV-Geräte 128.000 117.000 108.000 104.000 99.000 95.000

- Software und IT-Service 268.000 301.000 382.000 388.000 380.000 363.000

Telekommunikation 314.000 327.000 330.000 327.000 307.000 293.000

- Nachrichtentechn. Geräte 77.000 76.000 83.000 80.000 72.000 68.000

- Fernmeldedienste 237.000 251.000 247.000 247.000 235.000 225.000

Insgesamt 710.000 745.000 820.000 819.000 786.000 751.000

Quelle: BITKOM [2001; 2004]

Die Tabelle zeigt, dass das für die zurückliegende Boomphase der Branche konsta-

tierte dynamische Wachstum allein vom Segment Software und IT-Service getragen

wurde. Seit dem Jahre 2001 befindet sich allerdings auch dieses im Abwärtstrend.

Das Produkt- und Leistungsspektrum der Unternehmen in diesem Bereich

umfasst im Wesentlichen die Sparten Standard- und Individualsoftware, IT-Bera-

tung und Systemintegration sowie das IT-Outsourcinggeschäft und den Produkt-

service. Das formale Qualifikationsniveau der hier Beschäftigten ist sehr hoch. Die

Unternehmen haben je nach Produkt- und Leistungsspektrum einen Akademike-

ranteil von 40 bis 90 % [Boes, Baukrowitz 2002].

Die Struktur dieses Segments ist auf den ersten Blick von Kleinstunternehmen

bestimmt. Eine zahlenmäßig große Rolle spielen tatsächlich einige tausend kleine

Unternehmen. Von prägender Bedeutung sind allerdings große Firmen. Zu nennen

sind Unternehmen, die Standardsoftware herstellen und – in enger Beziehung zu die-

sen – die Systemintegrations- und IT-Beratungsunternehmen.Wichtige Unternehmen

sind bei den Software-Herstellern SAP mit 13.000, Oracle mit gut 1.700 und Microsoft

mit 1.600 Beschäftigten in der BRD. Zu den Unternehmen, die hauptsächlich Syste-

mintegration und IT-Beratung betreiben, gehören beispielsweise CSC Ploenzke mit

4.800, Lufthansa Systems mit 3.700 und Accenture mit 3.000 Mitarbeitern in Deutsch-

land. Überragende Bedeutung haben die großen IT-Dienstleister. Sie bedienen meist

das gesamte Produkt- und Leistungsspektrum. Die größten sind hier T-Systems mit

31.500, IBM mit 26.000 und SBS mit 16.200 Beschäftigten in der BRD.

M E T H O D I S C H E S KO N Z E P T

Diese Untersuchung ist als Vorstudie für die Begründung eines Forschungs-

schwerpunkts konzipiert. Mit einem vergleichsweise begrenzten empirischen

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Zugriff dient sie der Prüfung der Bedeutung des Themas, der Erkundung der rele-

vanten Problemstellungen sowie der Überprüfung und Präzisierung von Hypo-

thesen und Fragestellungen für weitere Untersuchungen. Die empirische Basis

dieser Vorstudie bilden insgesamt zwölf Interviews mit Arbeitnehmervertretern

sowie mit Managern verschiedener Unternehmen, die Sekundäranalyse von ca. 60

Interviews mit Unternehmensvertretern, Betriebsräten und Beschäftigten aus par-

allel durchgeführten Forschungsprojekten zur IT-Industrie, eine Analyse verfügba-

rer Dokumente aus Unternehmen sowie die Aufarbeitung der verfügbaren Litera-

tur. Insgesamt liegt für elf Unternehmen eine ausreichende Datenbasis vor. Dabei

handelt es sich um acht große, international tätige IT-Unternehmen sowie um

zwei mittelgroße Unternehmen mit europäischem Zuschnitt und ein kleines

Unternehmen ohne nennenswerte internationale Aktivitäten.

Die Interviews mit den Arbeitnehmervertretern wurden als leitfadengestützte

Explorativinterviews geführt. Sie dienten einer genauen Bestandsaufnahme lau-

fender oder projektierter Offshoring-Aktivitäten in den jeweiligen Unternehmen.

Bei den Gesprächspartnern handelt es sich i.d.R. um Gesamtbetriebsräte, Konzern-

betriebsräte oder Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten, die über die Entwick-

lung in größeren Unternehmenseinheiten Auskunft geben konnten. Die Ergeb-

nisse dieser Gespräche werden stets in anonymisierter Form dargestellt. Ebenso

wird mit den Expertengesprächen mit Managementvertretern verfahren.

Die Sekundäranalyse von Interviews aus anderen Forschungsprojekten zur IT-

Industrie erwies sich als sehr ergiebige Informationsquelle, um strategische Über-

legungen des Managements zu verstehen und die Reaktionen von Beschäftigten

in den Blick zu nehmen. Auch die Ergebnisse dieser Interviews werden nur in ano-

nymisierter Form verwandt.

Von zentraler Bedeutung für das Verständnis der Strategien und Konzepte

wichtiger Unternehmen in der Branche war die Analyse von Dokumenten dieser

Unternehmen, die Auswertung von Newsgroups sowie die Aufarbeitung der Fach-

presse. Insgesamt konnte ausreichend Material zusammengetragen werden, um

die Aktivitäten der »Key-Player« in der Branche, nämlich EDS, IBM, T-Systems, SAP

und Siemens zu analysieren. Dabei handelt es sich um weltweit agierende IT-Kon-

zerne mit weitreichenden Ambitionen bezüglich der Internationalisierung und

vielfältigen Erfahrungen im Bereich des Offshorings. Da für diese Analyse aussch-

ließlich öffentlich zugängliche Dokumente verwandt wurden, werden die Ergeb-

nisse nicht anonymisiert.

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V O R A U S S E T Z U N G E N U N D T R E I B E R D E R A K T U E L L E NO F F S H O R I N G - E N T W I C K L U N G

An der aktuellen Diskussion zum Thema Offshoring überrascht die ungeheure

Dynamik, mit der diese Entwicklung in öffentlichen Diskursen Bahn gebrochen

hat. Konnten zu Anfang des Jahres 2003 selbst Insider wenig mit dem Begriff

anfangen, hat es das Thema mittlerweile bis in die Tagesschau geschafft. In sämtli-

chen Fachorganen hat es einen prominenten Platz und auch Massenpublikations-

organe berichten mittlerweile regelmäßig über diese Entwicklung. Die Frage ist,

ob die Vehemenz des öffentlichen Diskurses Ausdruck der realen Entwicklung ist

oder ob hier in der Öffentlichkeit etwas als neu erscheint, weil es jetzt erst zur

Kenntnis genommen wird. Mit anderen Worten: Handelt es sich überhaupt um

einen Offshoring-Boom?

G I B T E S Ü B E R H A U P T E I N E N O F F S H O R I N G - B O O M ?

Betrachtet man die reale Entwicklung, so wird deutlich, dass die Entwicklung, wel-

che heute mit dem Begriff des Offshoring bezeichnet wird, in anderen Branchen

bereits eine längere Geschichte hat. Die internationale Verlagerung von Produkti-

onsstandorten beispielsweise ist keineswegs ein neues Phänomen. Insbesondere

für die klassischen Industrien wurde bereits in den 70er- und 80er-Jahren ein

Schub der Internationalisierung der Produktionsstrukturen diagnostiziert [Rohde

2003]. Die IT-Industrie selbst verfügt bei den Hardware-Segmenten bereits seit

Jahrzehnten über international verteilte Produktionskapazitäten. Die großen

Computerhersteller wie IBM bauten bereits in den 50er-Jahren Produktionswerke

außerhalb der USA auf. Diese international verteilten Produktionskapazitäten wur-

den im Laufe der 80er- und 90er-Jahre in ein neues Organisationsmodell inte-

griert, das allgemein mit dem unspezifischen Begriff des Netzwerks charakterisiert

wird. Die IT-Industrie wurde mit diesem Modell geradezu zum Musterbeispiel

einer neuen international verteilten Netzwerkproduktion [vgl. Angel 1994; Fergu-

son, Morris 1993; Castells 1996].

An die Stelle einer Industriestruktur, die als »vertikale Computerindustrie«

bezeichnet werden kann, weil sie durch vertikal integrierte EDV-Großhersteller

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wie IBM oder Siemens geprägt wurde, die alle für die Entwicklung und Herstel-

lung von Computersystemen notwendigen Produktionsprozesse unter einem

Dach vereinten, tritt unter dem Druck des Vordringens unabhängiger Unterneh-

men im Halbleiter-, PC- und Datenkommunikationsbereich [Drüke 1997] eine

»horizontale Computerindustrie« [Grove 1996]. Für diese neue Form industrieller

Netzwerke hat sich in den USA der Begriff des »Wintelism« [Borrus, Zysman 1997]

eingebürgert.5

Ein vergleichbarer Internationalisierungsgrad konnte bisher für die Produkti-

onsstrukturen der Segmente Software und IT-Dienstleistungen nicht erreicht wer-

den. In einigen Teilsegmenten – insbesondere im Bereich Standardsoftware – ist

zwar der Absatz hochgradig internationalisiert, keineswegs aber die Produktions-

kapazitäten. Selbst große Standardsoftware-Hersteller wie Microsoft oder SAP

konzentrierten ihre Entwicklungskapazitäten bis in die 90er-Jahre auf sehr wenige

Standorte mit einer starken örtlichen Bindung an die jeweilige Heimatbasis und

begannen erst allmählich mit dem Aufbau internationaler Entwicklungszentren

und Entwicklernetzwerke. Dabei wurden aber zunächst die Produktionskapazitä-

ten in hochindustrialisierten Ländern genutzt. Erst gegen Ende der 90er-Jahre

wandelt sich das Bild grundlegend. Seitdem werden beispielsweise in Ländern

wie Indien systematisch eigene Produktionskapazitäten aufgebaut.

Deutlich höher als bei den »reinen« Software- und IT-Dienstleistungsunterneh-

men ist der Internationalisierungsgrad naturgemäß bei den großen Computer-

konzernen (z.B. IBM oder HP). In diesem Fall folgte der Aufbau internationaler Pro-

duktionskapazitäten im Dienstleistungsbereich den Internationalisierungsbestre-

bungen der Konzerne im Hardware-Bereich. Weil die Unternehmen Dienstlei-

stungskapazitäten vor Ort vorhalten mussten, um ihre Hardware verkaufen zu

können, waren deren Dienstleistungsabteilungen schon verhältnismäßig früh

international aufgestellt. Sie verfügen bis heute auch im Dienstleistungsbereich

über einen Entwicklungsvorsprung bei der systematischen Nutzung weltweit ver-

teilter örtlicher Produktionskapazitäten im Dienstleistungsbereich.

26

5 Der Begriff hebt auf jenes von Intel und Microsoft geschaffene Modell industrieller Organisation ab,»das auf einer straffen Beherrschung der technologischen Schlüsselstandards in einer zunehmendvertikal desintegrierten Branche aufbaut« [Lüthje 1998, 560]. Dieses Modell hat das alte fordistischeKonzept der Kontrolle von Märkten, Technologiezyklen und Produktionsprozessen, welches auf pro-prietären Standards, der weitgehenden Integration von Anwendungsprogrammen und -systemen indie so definierten unternehmensspezifischen Produkte und einer hochentwickelten Massenferti-gung in vertikal integrierten Großkonzernen aufbaute, abgelöst. Der Prozess geht einher mit einerweitgehenden Entkopplung der unternehmerischen Kontrolle über die einzelnen Teilschritte derProduktionskette [ebd.].

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Resümiert man die Entwicklung der Internationalisierungsbestrebungen in der

IT-Industrie, so zeigt sich also, dass es im Hardware-Bereich schon seit Jahrzehnten

international verteilte Produktionskapazitäten, auch in Niedriglohnländern, gibt.

Diese wurden im Laufe der 90er-Jahre entsprechend dem Paradigma des Netz-

werks reorganisiert und können heute geradezu als Idealtypen »polyzentrischer

Netzwerke« [Hack 1998] gelten, in denen die Ressourcen international verteilter

Produktionskapazitäten variabel genutzt werden können. Demgegenüber ist die

Internationalisierung der Produktionskapazitäten im Software- und Dienstleis-

tungsbereich und insbesondere die konsequente Einbeziehung der Off- bzw.

Nearshore-Standorte eine vergleichsweise junge Entwicklung. Man kann daher

von einer neuen Phase, einem Internationalisierungsschub im IT-Dienstleistungs-

bereich ausgehen, der in der »Offshore-Debatte« Ausdruck findet.

Diese Internationalisierungsentwicklung vermischt sich mit einem zweiten

»Mega-Trend«, dem des Outsourcings. Auch Outsourcing ist kein neues Thema.

Gerade die IT-Industrie gilt als Vorreiter dieser Entwicklung. Einer der ersten doku-

mentierten Outsourcingfälle war die Auslagerung von Aufgaben im Bereich

Halbleiterproduktion der dritten Computergeneration von IBM [vgl. Sydow 1993,

55; Hendrix u.a. 2003, 23]. Gerhard Rohde [2003] begreift die aktuelle Entwicklung

als »dritte Welle globalen Outsourcings«. Er verweist auf zwei historische Vorläu-

fer: die Verlagerungen in der Textil- und Schuhindustrie sowie in der Fertigung

von Spielzeug und einfachen Elektroartikeln einerseits und das Outsourcing von

personalintensiven und routinisierten Datenerfassungsdiensten im Bürobereich,

wie z.B. die Ticketverarbeitung von Fluggesellschaften oder die Bearbeitung von

Kreditkartenanträgen und -belegen, andererseits [UNI 2003]. Was der Outsourcing-

entwicklung derzeit »Flügel verleiht«, sind die enormen Wachstumserwartungen

in diesem Dienstleistungsfeld.

Gegenwärtig deutet sich eine neue Welle des Outsourcings in Industrie- und

Dienstleistungsunternehmen an. Standen in den 80er- und 90er-Jahren die klassi-

schen Fertigungsbereiche im Fokus von Auslagerungsbestrebungen, so treten

nun die Bürotätigkeiten in den Blickpunkt. Das Ziel dieser Bestrebungen ist die

Senkung der »Leistungstiefe« analog zur Senkung der »Fertigungstiefe« in den

industriellen Kernsektoren. So rechnet beispielsweise eine Studie der Deutsche

Bank Research vor, dass der Anteil der Eigenerstellung in der Automobilindustrie

gegenwärtig bei 25 % und in der Elektronikindustrie bei 20 % liege, der entspre-

chende Anteil bei Banken aber bei 80 %. Zur Reduzierung der Kosten und der

Kapitalbindung sowie aus Gründen der Konzentration auf die Kernkompetenzen

sei es geboten, die Leistungstiefe drastisch zu reduzieren. Diese Outsourcingbe-

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strebungen, die bei Banken und Finanzdienstleistern besonders vehement ver-

folgt werden, werden als Teil der »Industrialisierung des Finanzgewerbes« [All-

weyer u.a. 2004, 3] verstanden.6 Eine Befragung von Deloitte und Touche gibt an,

dass für 71 % der befragten Unternehmen Outsourcing ein aktuelles Thema sei.

Lediglich 6 % der befragten Unternehmen befassen sich überhaupt nicht damit

[Deloitte&Touche 2003, 21 f.].

Mit dem Outsourcing-Trend sind große Wachstumserwartungen verbunden,

die insbesondere den IT-Outsourcing-Unternehmen zugute kommen sollen.

Dabei handelt es sich beispielsweise um folgende Leistungsarten:

Information Technology Outsourcing (Outsourcing von Großteilen der IT, bis

hin zur kompletten IT, an einen externen Dienstleister),

Selektives/partielles Outsourcing (nur klar definierte Teilbereiche werden aus-

gelagert),

Platform IT Outsourcing (Auslagerung des Betriebs eines kompletten Rechen-

zentrums),

Application Outsourcing (Übernahme von selektierten Applikationen, wie z.B.

SAP-Hosting),

Systems Outsourcing (Auslagerung von Teilbereichen eines Rechenzentrums,

so z.B. Netzwerke oder Speicherung),

Business Process Outsourcing (»BPO«; Auslagerung von einfachen, standardi-

sierten Geschäftsprozessen). Dies ist wiederum zu unterscheiden in:

– transaction-based (einfache Abwicklungsaufgaben, wie z.B. Lohnabrech-

nung oder Kreditkartenabrechnung),

– business-based (individuelle Geschäftsaufgaben, wie z.B. Entgegennahme

von Reklamationen),

– vertically focused (standardisierte Geschäftsprozesse, die in hohem Maße

an die individuellen Bedürfnisse des einzelnen Kunden angepasst werden

müssen) [Deloitte&Touche 2003, 9 f.].

Deutsche Bank Research schätzt den Wert der IT-Dienstleistungen, welche im Jahr

2003 outgesourct wurden, auf e 10 Mrd. Das Institut erwartet bis 2008 eine Stei-

gerung auf e 17 Mrd. Dies entspricht einem jährlichen Wachstum von 11 % [All-

weyer u.a. 2004, 7; vgl. Meta Group 2002]. Ähnliche Wachstumserwartungen wer-

den gegenwärtig auch von anderen Beratungsunternehmen vorgelegt. Ein

wesentliches Moment der Wachstumserwartungen ist das zuletzt genannte

28

6 Im Zeitraum zwischen 1990 und 2003 expandierten die Jahresvolumina der Outsourcingverträge,welche von Finanzdienstleistern abgeschlossen wurden, um 45 % p.a. [E-Finance Lab 2003, zit.n. All-weyer u.a. 2004, 4].

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Business Process Outsourcing (BPO), die Auslagerung ganzer Geschäftsprozesse

an einen Dienstleister. Gerade für diesen Bereich werden besonders hohe Anteile

der Verlagerung in Offshore-Regionen erwartet.7

In den letzten Jahren hat der IT-Sektor in hohem Maße von der zunehmenden

Fremdvergabe klassischer Industrie- und Dienstleistungsunternehmen profitiert.

Insbesondere große Anwenderunternehmen in der Industrie und im Dienstleis-

tungsbereich lagerten wesentliche Anteile ihrer IT-Aktivitäten (z.B. Rechenzen-

trumsbetrieb) in rechtlich selbstständige Tochterunternehmen aus oder ließen sie

von spezialisierten Outsourcing-Anbietern erbringen. Diese Outsourcing-Leistun-

gen werden in einem hohen Maße von IT-Unternehmen erbracht. Dabei ist der IT-

Outsourcing-Markt in Deutschland von einigen großen Unternehmen bestimmt.

DB Research referiert diverse Studien. Danach decken die vier größten Anbieter in

Deutschland (T-Systems, SBS, IBM und EDS) gut 80 % des Marktes ab. Diese Kon-

zentration ergibt sich wesentlich aus den Besonderheiten dieses Geschäftsbe-

reichs. Ähnlich wie in der klassischen Industrie sind hier Skaleneffekte von großer

Bedeutung, sodass die Kostenstrukturen positiv von der Größe des Outsourcing-

Anbieters beeinflusst werden. Ein weiterer Grund für den hohen Konzentrations-

grad ist die erforderliche Reputation des IT-Dienstleisters, die angesichts des spe-

zifischen Abhängigkeitsverhältnisses des Kunden vom IT-Dienstleister von großer

Bedeutung ist [Allweyer u.a. 2004, 7].

Gleichzeitig wurden die Systementwicklungsabteilungen in Anwenderunter-

nehmen verkleinert und die entsprechenden Leistungen an IT-Beratungsunter-

nehmen und Standardsoftware-Anbieter vergeben. Hierbei handelt es sich um

Aufträge, welche fallweise erteilt und in Form von Projekten erbracht werden.8 Die

Fremdvergabe (und zwar sowohl in Form der dauerhaften Vergabe im Sinne des

Outsourcings als auch in Form von fallweise vergebenen Projekten) beginnt in

den 80er-Jahren zu einem relevanten Wirtschaftsfaktor zu werden und gewinnt in

den 90er-Jahren deutlich an Gewicht. Sie ist ein wesentliches Moment des enor-

men Beschäftigungswachstums des Segments »Software und IT-Service« im Ver-

29

7 Die Marktforscher von Gartner prognostizieren, dass in Europa in diesem Jahr (2004) 25 MilliardenDollar für die Auslagerung von Geschäftsprozessen (BPO) ausgegeben werden. Das entsprächeeinem Plus von 4,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. BPO sei mittlerweile das am schnellsten wach-sende Service-Segment, so die Auguren, und werde bis zum Jahr 2007 mit einer gemittelten jährli-chen Rate von 6,7 Prozent auf dann 33 Milliarden Dollar anwachsen [Handelsblatt v. 4.03.2004]. Wiedie deutlichen Unterschiede zu der Wachstumsprognose von Deutsche Bank Research und MetaGroup zustande kommen, kann anhand des vorliegenden Materials nicht geprüft werden.

8 Diese Formen von IT-Dienstleistungen werden in den IT-Unternehmen nicht als Outsourcingge-schäft verbucht. Dieser Begriff wird nur im Falle einer dauerhaften Übernahme eines Aufgabenbe-reichs verwendet.

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lauf des vergangenen Jahrzehnts. Die erwartete neue Welle des IT-Outsourcings

bildet eine Grundlage für gegenwärtig vorgelegte Prognosen, wonach ein Ende

der Stagnations- und Krisenphase in der IT-Industrie zu erwarten ist.

Diese Wachstumserwartungen verleihen dem Thema IT-Outsourcing generell

gegenwärtig große öffentliche Resonanz. Zeitgleich mit dem Wachstum des

Geschäftsvolumens in diesem Segment entsteht mit dieser Entwicklung ein großes

Potenzial zur Nutzung von Produktionskapazitäten in Off- und Nearshore-Regionen.

Im Gegensatz zu vielen anderen IT-Dienstleistungen sind zahlreiche Aufgaben im

Bereich des IT-Outsourcings geradezu für ein Offshore-Outsourcing prädestiniert.

Denn im Kern handelt es sich um Abläufe, welche in einem oft jahrzehntelangen Pro-

zess so umgestaltet wurden, dass sie sich für die Vergabe an externe Dienstleister eig-

nen und von diesen über große Entfernungen erbracht werden können. Insofern hat

die neue Phase des IT-Outsourcings zwei Charakteristika: einmal das des schnellen

Wachstums, weil in den Dienstleistungsunternehmen und den Büros der Industrieun-

ternehmen ein neuer Bereich verlagerbarer Aufgaben in den Blickpunkt rückt; und

zum anderen das der systematischen Nutzung von Produktionskapazitäten in Off-

und Nearshore-Regionen zur kostengünstigen Erbringung dieser Dienstleistungen.

Von dieser Entwicklung profitieren insbesondere die großen IT-Dienst-

leistungsunternehmen: einmal aufgrund der besseren Möglichkeiten zur Realisie-

rung von Skaleneffekten bei der Erbringung von IT-Outsourcingdienstleistungen,

zum anderen aufgrund ihrer Vorteile bei der systematischen Nutzung von interna-

tional verteilten Produktionskapazitäten. Ihnen muss daran gelegen sein, die

Bereitschaft der Kunden zu steigern, Outsourcingaufträge zu vergeben, und

zugleich haben sie großes Interesse daran, die Akzeptanz für ein verstärktes Enga-

gement in Off- und Nearshore-Ländern zu steigern und dort systematisch nutz-

bare Kapazitäten aufzubauen. Es ist daher kein Zufall, dass gerade die »Key Player«

im IT-Outsourcingmarkt nicht nur das Thema Outsourcing, sondern auch das

Thema »global sourcing« bzw. Offshore-Outsourcing in der Öffentlichkeit vehe-

ment bekannt machen und ihre Aktivitäten in den Off- und Nearshore-Regionen

intensivieren. Auf diese Weise wird die reale Offshoring-Entwicklung vorangetrie-

ben und gleichzeitig das öffentliche Interesse daran gesteigert.

D I E KO S T E N A L L E I N S I N D E S N I C H T !

Bezüglich der Frage nach den Gründen für die aktuelle Offshoring-Entwicklung in

der IT-Industrie wird unisono auf die günstigere Kostenstruktur von Offshore-Pro-

30

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jekten verwiesen. Weil die Lohnkosten in den Off- und Nearshore-Regionen um

ein Vielfaches niedriger sind, heißt es, lasse sich eine Reduzierung der Kosten um

40–60 % erzielen [Behnde u.a. 2003]. Vor diesem Hintergrund erscheint es gera-

dezu als betriebswirtschaftliche Notwendigkeit, dass IT-Unternehmen die Res-

sourcen in den Niedriglohnregionen nutzen.

Diese Erwartungen weitgehender Kostensenkungen basieren i.d.R. auf den z.T.

immensen Lohnkosten- und Steuervorteilen verschiedener Offshore-Regionen.

Der Chef von Siemens Business Services (SBS) beziffert die Arbeitskosten seiner

Software-Ingenieure pro Stunde in unterschiedlichen Ländern wie folgt: In

Deutschland werden sie (vermutlich für das Jahr 2001) mit e 56,50 ausgewiesen.

Für Ungarn werden Arbeitskosten in Höhe von e 29,90 (52 % der Kosten in

Deutschland), für die Tschechische Republik e 16,80 (30 %), für die Slowakei

e 13,00 (23 %), für Rumänien e 9,20 (16 %) und für Indien e 6,80 (12 %) in

Anschlag gebracht [Stodden 2003, Folien]. Die Studie von Deutsche Bank Rese-

arch quantifiziert die Tagessätze indischer Programmierer einschließlich Infra-

struktur vor Ort, Anbietermarge und sonstiger Bezugskosten auf e 140 bis 200

und ermittelt zum Vergleich die Tagessätze in Deutschland mit e 600 bis 1000

[Allweyer u.a. 2004, 8]. Demnach liegen die Tagessätze in Indien bei ca. 25 % der

Kosten in Deutschland. Für die osteuropäischen Nearshore-Länder quantifiziert

Roland Berger die durchschnittlichen Personalkosten in Ungarn, der Slowakei und

Rumänien für System-Architekten und Programmierer auf ca. 25 % der Kosten in

Deutschland (mit gewissen Unterschieden je Land) [vgl. Allweyer u.a. 2004, 8]. Der

Leiter des Entwicklerzentrums von SAP in Indien beziffert die Einstiegsgehälter

von indischen Software-Entwicklern mit e 8.000, während die der Kollegen in

Walldorf bei durchschnittlich e 40.000 liegen [Müller, O. 2004].

Auch wenn es sich hier nur um »Daumengrößen« handelt, lässt sich bei aller

darin angelegten Ungenauigkeit schließen: Die Lohnkosten der IT-Fachkräfte in

den Near- und Offshore-Regionen liegen deutlich unter denen deutscher Mitar-

beiter; insbesondere die Kosten für indische Mitarbeiter sind um ein Vielfaches

geringer.9

31

9 Wie lange diese großen Lohnkostenunterschiede Bestand haben werden, ist eine andere Sache.Unternehmensberater gehen davon aus, dass sich sowohl die Lohnkosten der osteuropäischen»Nearshoring-Standorte« als auch die in Indien in einer Aufwärtsentwicklung befinden, sodass keinemittelfristig beständige Empfehlung für bestimmte Länder gegeben werden kann [AK Outsourcing].Henning Kagermann, der Vorstandsvorsitzende von SAP, meint, dass das Wohlstandsgefälle gegen-über den osteuropäischen Betrittsländern der EU bestimmt noch zehn Jahre andauern werde.Danach könne man immer noch überlegen, ob man dort bleibe oder woanders hin gehe [FAZ v. 05.05.2004].

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Es verwundert daher nicht, dass das Kostenargument in diversen Befragungen

von Unternehmen, die Offshoring betreiben, ganz oben auf der Liste der Gründe

für Offshoring steht. So gaben in einer Befragung der FH Pforzheim 92 % der Off-

shoring betreibenden Unternehmen die Lohnkostenersparnisse als wichtigen

oder sehr wichtigen Grund an [Moszadlo 2003, 4]. Ähnliche Ergebnisse lassen sich

aus Studien von Unternehmensberatungsfirmen herauslesen [Buchta u.a. 2004;

Allweyer u.a. 2004; Deloitte&Touche 2003].10

So eingängig dieses Argument ist, so wenig gehaltvoll ist es zur Erklärung des

aktuellen Offshore-Booms.

Zunächst einmal ist darauf zu verweisen, dass die allenthalben in Aussicht

gestellten hohen Kosteneinsparungen bis dato äußerst umstritten sind. Die Befra-

gung der FH Pforzheim lässt darauf schließen, dass die Unternehmen tatsächlich

enorm hohe Kosteneinsparungen realisieren können. Hier gaben 57,3 % der

Unternehmen, welche Erfahrung mit Offshoring haben, an, dass die Kostenerspar-

nisse bei Rechnung aller Kosten mehr als 30 % betragen. Gut 25 % der Unterneh-

men glauben sogar Kosteneinsparungen von mehr als 50 % realisiert zu haben

[Moszadlo 2003, 11]. In der Fachpresse finden sich darüber hinaus eine Reihe von

Beispielen für z.T. erhebliche Kosteneinsparungen, andererseits aber auch eine

Reihe von Erfahrungsberichten und Studien, welche dieser Annahme vehement

widersprechen [IHK Regensburg 2004]. Zugespitzt formuliert beispielsweise der

Chef der Deutschen Leasing AG, Philippe de Geyter:

»Wer behauptet, dass man mit Offshore-Outsourcing 50 Prozent sparen

könne, der lügt« [Ellermann 2004].

Nach einer ersten Phase der Euphorie kursieren mittlerweile moderatere Schät-

zungen. Entsprechend einer McKinsey-Studie können beispielsweise Finanz-

dienstleister bei Offshoring-Projekten insgesamt 3 % bis 5 % sparen, in einzelnen

Bereichen sogar 15 % bis 20 % [Handelsblatt v. 10.02.2004].11 Selbst indische IT-

Dienstleister, die sich gegenwärtig als Dienstleistungsunternehmen für IT-Out-

32

10 Diese Studien referieren i.d.R. aber die Kostenersparnis beim Offshore-Outsourcing und nicht bezüg-lich der Nutzung eigener Produktionskapazitäten. Dabei kommen also zwei unterschiedliche Eins-parmöglichkeiten zusammen: die aus dem Outsourcing und die aus dem Offshore-Outsourcing.Kostenanalysen für das Offshoring innerhalb des Unternehmens sind m.W. nicht öffentlich verfüg-bar. Das favorisierte Argument der Kostensenkungen bei Offshoring ist nicht weiter verwunderlich.Eine vergleichbare Situation wird auch bei Befragungen zum Ziel von Outsourcing allgemein ermit-telt. So gaben in einer Befragung von Deloitte und Touche nach den Gründen für Outsourcing 82 %der Unternehmen Kostensenkung als vorrangiges Ziel an [Deloitte&Touche 2003, 22].

11 In der Studie haben die Berater die Erfahrungen aus weltweit mehr als 250 Offshoring-Projekten inden letzten beiden Jahren zusammengefasst [Handelsblatt v. 10.02.2004]

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sourcingprojekte auf dem deutschen Markt zu etablieren versuchen, haben die

oben genannten Zahlen längst revidiert. Infosys, eines der größten indischen IT-

Unternehmen, quantifiziert die Einspareffekte mittlerweile mit durchschnittlich

20–25 %. Und selbst diese Kostenersparnis wird erst nach einer gewissen Anlauf-

zeit und einer Etablierung der Zusammenarbeit mit indischen Dienstleistern in

Aussicht gestellt.

Die stark variierenden Angaben hinsichtlich der zu realisierenden Kostenein-

sparungen erklären sich aus unterschiedlichen Gründen: einmal aus der Unter-

schiedlichkeit der jeweiligen Offshore-Projekte. Handelt es sich um vergleichs-

weise hoch standardisierte arbeitsintensive Abläufe und Prozesse, wie etwa die

Erfassung von Belegen, so schlagen die Lohnkostenunterschiede sehr deutlich zu

Buche. Demgegenüber haben sie eine geringere Bedeutung, wenn es sich um Vor-

gänge handelt, die einen intensiven Abstimmungsprozess erforderlich machen,

weil sie sich nicht routinisiert bewältigen lassen. Dies ist sehr häufig im Bereich

der Software-Entwicklung der Fall, gilt aber auch für viele Tätigkeiten des admi-

nistrativen Bereichs.12 In diesem Fall entstehen weitaus höhere Kosten für not-

wendige Abstimmungsprozesse und die Kontrolle der Vorgänge, sodass der Lohn-

kostenvorteil weit weniger ins Gewicht fällt.

Ein weiterer Grund für die große Varianz bezüglich realisierbarer Kosteneins-

parungen liegt in den unterschiedlichen Berechnungsarten. Auch wenn in Unter-

nehmensberaterstudien immer wieder darauf verwiesen wird, dass die Kosten-

einsparungen keineswegs proportionalzu den Lohnkostenvorteilen zu rechnen

sind, ist dennoch unklar, welche Kostenarten insgesamt in Anschlag gebracht wer-

den müssen, um die vermeintlichen Kosteneinsparungen bei Offshore-Projekten

realistisch berechnen zu können.

Eine Zusammenstellung der »hidden costs« von Offshoring-Projekten in der

Internetzeitschrift CIO (USA) bringt folgende versteckte Kostenarten bei Offshore-

Outsourcing in Anschlag:

Kosten für die Auswahl eines Zulieferers: Diese Auswahlkosten beinhalten die

Dokumentation der Bedürfnisse, das Aussenden von Ausschreibungen sowie

die Auswertung der Antworten, die Vertragsverhandlungen, gesetzliche

Gebühren, Reisekosten und Mitarbeiterkosten; da dieser Auswahlprozess sehr

langwierig ist, muss hier mit Ausgaben zwischen 1 und 10 % gerechnet werden.

33

12 So verwies beispielsweise eine Angestellte aus der kaufmännischen Abwicklung von Projekten dar-auf, dass bei der Rechnungsstellung komplexe Abstimmungsprozesse mit den verantwortlichen Pro-jektleitern und den Kunden erforderlich sind, sodass allein schon eine Zentralisierung dieser Tätig-keiten in Deutschland zu großen Problemen geführt habe.

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Überleitungskosten: Die Überleitung ist vielleicht die teuerste Phase eines Off-

shore-Vorhabens und kann sehr lange (3 Monate bis 1 Jahr) dauern. Sie ist des-

halb so kostenintensiv, weil in ihr die neuen (Offshore-)Mitarbeiter angelernt

werden müssen, was zum einen bedeutet, dass in dieser Phase doppelte Kosten

entstehen, und zum anderen, dass weder der Ausbilder noch der Auszubil-

dende produktiv tätig ist. Darüber hinaus müssen in dieser Phase weitere Reise-

und Visakosten einkalkuliert werden. Für die reinen Überleitungskosten ist mit

Ausgaben zwischen 2 und 3 % zu rechnen.

Kosten für Entlassungen: Diese Kosten entstehen v.a. durch Abfindungen und

mögliche weitere Prämien. Zusätzlich ist es aber auch wichtig, in Entlassungs-

phasen die Moral und Motivation (durch möglichst hohe Transparenz, Stärkung

der Unternehmensvision) der verbleibenden Mitarbeiter zu festigen. Hier sind

Ausgaben zwischen 3 und 5 % zu veranschlagen.

Kulturelle Kosten: Die Produktivität wird eingeschränkt durch:

- kulturelle Probleme (amerikanische Entwickler äußern sich klar und vertre-

ten ihren Standpunkt, dagegen ordnen sich z.B. indische Entwickler Kun-

denwünschen unter, unabhängig davon, ob diese realisierbar sind),

- mangelnde Erfahrung (die Erfahrung von Offshore-Entwicklern beträgt im

Durchschnitt sechs Jahre; dadurch kommt es in Unternehmen, die Off-

shoring betreiben, im Durchschnitt zu einem zwanzigprozentigen Effizienz-

abfall in der Anwendungsentwicklung während der ersten zwei Jahre des

Vertrages),

- hohe Fluktuation und damit einhergehende, immer wiederkehrende Kosten

für die Ausbildung neuer Mitarbeiter (laut Nasscom betragen die Kündi-

gungsraten in Indien bis zu 35 %)

- Kommunikationsprobleme (diese können oft nur durch Face-to-Face-Inter-

aktion gelöst werden, was zusätzliche Reise-/Visakosten mit sich bringt).

Für die »kulturellen Kosten« muss insgesamt mit Ausgaben zwischen 3 und

27 % gerechnet werden.

Kosten für den Produktionsanlauf: Hier sind folgende Aspekte zu berücksichti-

gen:

– Kosten für klar definierte interne Software-Entwicklungs- und Wartungs-

prozesse (wenn eine Firma nicht solide interne Prozesse schafft, müssen die

Dienstleister mehr Menschen onsite platzieren, um die Unzulänglichkeiten

zu kompensieren; dies verringert gleichzeitig die Einsparungen),

– Kosten für Spezifikation (ein großes Spezifikationspaket zu schaffen ist

teuer und zeitaufwändig; bei einem 1000-Mannstunden-Projekt muss mit

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100 Stunden gerechnet werden, um ein solches Spezifikationspaket zu ent-

werfen),

– Kosten für die Qualitätssicherheitsprüfung (Überprüfung der Arbeit, die off-

shore erledigt wird).

Es muss insgesamt mit 1-10 % Kosten für die Überprüfung und Verbesserung

der Software-Entwicklungsprozesse gerechnet werden.

Verwaltungs-/Managementkosten eines Offshore-Vertrags: Die gegenwärtige

Offshore-Beziehung zu verwalten beinhaltet zunächst Kosten bei der Überprü-

fung der Arbeitszeiterfassungsbögen des Zulieferers sowie deren Übertragung

in die Rechungserstellung. Weiter muss dies im Rahmen des Gesamtprojekts

geprüft und abgeglichen werden. Erst dann können die Informationen an die

Finanzabteilung weitergegeben und in den Lohn umgesetzt werden. Hier ist

mit zusätzlichen Kosten in Höhe von 6–10 % zu rechnen [Overby 2003].

Diese Zusammenstellung von versteckten Kosten bei Offshoring-Projekten

lässt ahnen, wie groß die Unterschiede bei Verlagerungsprojekten letztendlich

sein können. Wie berechnet man beispielsweise die »Kosten für Entlassungen«?

Welche Wirkungen hat eine Entlassungsankündigung in Unternehmen, deren

Beschäftigte bisher den Begriff überhaupt nicht mit sich in Zusammenhang brin-

gen konnten, weil sie in ihrem Berufsleben ausschließlich wirtschaftliche Prospe-

rität erfahren haben?

Ein dritter Erklärungsfaktor für die große Spannbreite vermeintlich erreichba-

rer Kosteneinsparungen resultiert aus der Validität der jeweiligen Quellen. Alle mir

bekannten Berechnungen werden von Unternehmensberaterinstituten vorgelegt.

Diese sind häufig selbst als Berater bei der Anbahnung von Offshoring-Projekten

tätig und liefern dieses Know-how nicht zuletzt, weil sie selbst Beratungsleistun-

gen für Kunden verkaufen wollen, die sich für Offshoring-Projekte interessieren

[vgl. UNI 2003]. Gerhard Rohde argumentiert:

»Prognosen der Unternehmensberater sind nicht unbedingt zuverlässig. Als

Berater sind sie zugleich Partei; sie verdienen an dem Outsourcing-Geschäft

und versuchen mit ihren Prognosen Fakten zu behaupten, die Unternehmens-

entscheidungen beeinflussen sollen« [Rohde 2003].

Aber selbst wenn man unterstellt, dass sich bei vielen Offshore-Projekten nen-

nenswerte Kostenvorteile erzielen lassen, erklärt dieser Umstand nicht den

gegenwärtigen Offshore-Boom. Das Lohnkostengefälle bestand schließlich auch

schon zu Zeiten, als Offshoring für die IT-Industrie noch kein Thema war. Eine

genauere Analyse ist daher erforderlich.

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G R U N D L E G E N D E V O R A U S S E T Z U N G E N

D E S O F F S H O R I N G - B O O M S

In den 90er-Jahren haben sich die Voraussetzungen für die Realisierung von Off-

shoring-Strategien grundlegend gewandelt. Die entscheidenden Veränderungen

bestehen in der Schaffung eines international verfügbaren »Informationsraums«,

dem Entstehen eines »Weltarbeitsmarkts« für IT-Fachkräfte und einem tiefgreifen-

den Wandel der Produkte und Leistungen, welcher die Basis für eine Umwälzung

der Produktionsstrukturen und Absatzmärkte darstellt.

I n t e r n a t i o n a l v e r f ü g b a r e r I n f o r m a t i o n s r a u m

Eine wesentliche Voraussetzung für die Intensivierung der Offshoring-Bestrebun-

gen bilden internationale Informations- und Kommunikationsstrukturen. Insbe-

sondere auf der Basis des Internets wurde ein weltweit verfügbarer »Informations-

raum« [Baukrowitz, Boes 1996] geschaffen, über den sich Arbeitsprozesse in einer

neuen Raum-Zeit-Struktur bewältigen lassen. Hier sind gerade in den letzten Jah-

ren große Fortschritte gemacht worden, welche die Internationalisierung auf eine

neue Grundlage stellen [Boes 2004a].

Der Aufbau international verfügbarer Informations- und Kommunikationssys-

teme erhielt in den 80er-Jahren im Zuge der Schaffung eines weltweiten Finanz-

marktes eine zunehmende Dynamik [Baukrowitz u.a. 2001]. Im gleichen Zeitraum

wurden in den großen Unternehmen internationale Informations- und Kommuni-

kationssysteme aufgebaut. Der Siegeszug des Internets in den 90er-Jahren ver-

leiht dieser Entwicklung eine neue Qualität, weil damit erstmals eine nicht-pro-

prietäre, offene Informationsinfrastruktur Verbreitung findet, die der Wirtschaft

insgesamt zur Verfügung steht und darüber hinaus sämtliche Sphären der Gesell-

schaft bis hin zum Privatbereich in einer neuen Qualität »anschlussfähig« macht

[Boes 2004a].

In historischer Perspektive markiert die Durchsetzung des Internets eine Zäsur.

Die neue Qualität besteht darin, dass unterschiedlichste Formen des Informati-

onsgebrauchs in einem einheitlichen Medium aufeinander bezogen werden kön-

nen. Aufgrund dieser Spezifika stellt das Internet die Basisinfrastruktur für das Ent-

stehen eines »Informationsraums«, eines neuartigen sozialen Handlungsraums

dar. Damit werden wesentliche Parameter der wirtschaftlichen Entwicklung neu

bestimmt. Dies betrifft vor allem die veränderten Optionen der raum-zeitlichen

(Re-)Organisation der Leistungserstellungsprozesse im internationalen Maßstab.

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Das Internet eignet sich mehr als alle bisher bekannten Medien als Mittler einer

neuen Qualität der Internationalisierung [Boes 2004a].

Die Bedeutung des Internets für die Schaffung dieses globalen »Informations-

raums« ist eine zweifache. Es fungiert einerseits als »Impulsgeber« für den Ausbau

der Telekommunikationsinfrastruktur. Seine schnelle Ausbreitung seit der Mitte

der 90er-Jahre hat die Dynamik des Ausbaus öffentlicher und privater Kommuni-

kationsnetze enorm bescheunigt [Boes 2004a].13 Und andererseits wirkt es als

Medium der Vereinheitlichung und Homogenisierung der bis dato heterogenen,

von proprietären Standards bestimmten Informations- und Kommunikationssys-

teme [Baukrowitz 1996; Boes 2004a]. In den 90er-Jahren werden diese in den

hochindustrialisierten Ländern unter Einsatz großer öffentlicher Mittel in kürze-

ster Zeit auf einen neuen technischen Stand gebracht. Die Länder, die heute als

Off- bzw. Nearshore-Regionen gelten, haben diese Entwicklung mit geringem

zeitlichem Verzug adaptiert. So haben Länder wie China oder Indien große öffent-

liche Investitionsprogramme gestartet, um die Telekommunikationsinfrastruktur

auszubauen [Behnde u.a. 2003, 23f.]. Mittlerweile reicht in vielen Off- und Nears-

hore-Regionen die Infrastruktur aus, um die dortigen Beschäftigten in verteilte

Arbeitsprozesse integrieren zu können.14

Für die Internationalisierung der Produktionsprozesse im IT-Dienstleistungsbe-

reich ist die Entstehung eines weltweit verfügbaren Informationsraums wiederum

in zweierlei Hinsicht von zentraler Bedeutung. Einmal verbessern sich dadurch die

Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten. Im Arbeitsprozess erforderli-

che Abstimmungen sowie die Steuerung der Projekte lassen sich so leichter über

große Entfernungen bewerkstelligen. Zum anderen bildet der Informationsraum

für die IT-Dienstleister einen neuartigen Raum der Produktion. Eine wichtige Vor-

aussetzung für eine erfolgreiche Internationalisierung liegt in der Beschaffenheit

der hier erbrachten Produkte und Leistungen selbst: IT-Dienstleistungen werden

wesentlich in Ergänzung bzw. als notwendiger Bestandteil digitalisierbarer Pro-

dukte erbracht. Digitalisierbare Produkte wiederum können leichter als stofflich-

materielle Produkte im »Informationsraum« bearbeitet werden und eignen sich

daher besser für eine international verteilte Produktion [vgl. Flecker u.a. 2002;

37

13 Auf Grund technischer Entwicklungen (Digitalisierung der Übertragungstechnik, Satellitenleitungen)und politisch-ökonomischer Entwicklungen (Deregulierung im Telekommunikationssektor) ist es inden letzten zehn Jahren zu einem dramatischen Preisverfall der Telekommunikationskosten gekom-men.

14 Dennoch können im Alltag immer wieder Probleme auftreten. Dabei geht es oft nicht allein um dieBeschaffenheit der Informations- und Kommunikationsnetze, sondern um sonstige Infrastrukturlei-stungen wie Strom [Mühlmann 2004].

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Schwemmle, Zanker 2000]. Der Informationsraum ist insofern also sowohl

Medium der Steuerung und Koordination von international verteilten Produk-

tionsprozessen als auch »Ort« der Produktion digitalisierbarer Güter und Leistun-

gen. Auch wenn das Entstehen des Informationsraums das Spannungsfeld zwi-

schen dem physisch bestimmten Ort und dem sozial bestimmten Raum nicht

generell auflöst, entstehen so doch neue Möglichkeiten zur Organisation von Pro-

duktionsprozessen über große Entfernungen hinweg [Boes 2004a; Sahay u.a.

2003].

Diese Möglichkeit zum örtlich verteilten Arbeiten kann im Übrigen ein zusätzli-

ches Argument für Offshoring sein. Insbesondere die Nutzung unterschiedlicher

Zeitzonen und die Produktion »rund um die Uhr« sind wichtige Verkaufsargu-

mente von IT-Outsourcingunternehmen [Schwemmle, Zanker 2000]. Umgekehrt

können die Zeitunterschiede aber auch zum restringierenden Faktor für Offshore-

Aktivitäten werden. In Projekten beispielsweise, in denen Software-Entwickler

zeitlich integriert an einer gemeinsamen Entwicklungsaufgabe arbeiten, hat die

Dauer des Zeitfensters, innerhalb dessen örtlich verteilt arbeitende Teams die

Möglichkeit zur direkten Kommunikation haben, große Bedeutung. Auch aus die-

sem Grund sind Standorte in Osteuropa für die deutschen Unternehmen von

großem Interesse. Im asiatischen Raum, so ein Manager eines international tätigen

IT-Dienstleisters, ist Indien mit einem Zeitfenster von ca. vier Stunden akzeptabel,

während China mit einem viel kleineren Zeitfenster für eine integrierte oder gar

simultane Entwicklung große Probleme aufweist. In Projekten, in denen gut spezi-

fizierte Teilaufgaben ohne großen Abstimmungsbedarf zwischen den Entwicklern

quasi im Batch-Verfahren bearbeitet werden, fällt dieser restringierende Faktor

aber kaum ins Gewicht.

» We l t a r b e i t s m a r k t « f ü r I T - F a c h k r ä f t e

Eine weitere wichtige Voraussetzung für den Offshoring-Boom liegt darin, dass

die Arbeitskräfte in Indien, China, Russland und Osteuropa nicht nur preisgünsti-

ger, sondern v.a. auch hoch qualifiziert sind. Durch die weltweite Standardisierung

der Technologien, Werkzeuge und Verfahren im IT-Bereich, welche nicht zuletzt

durch die schnelle Verbreitung des Internets einen enormen Push erfahren hat,

erfolgt eine weltweite Homogenisierung nachgefragter Kompetenzen. Das Ange-

bot an hoch qualifizierten IT-Fachkräften in Indien oder China beträgt ein Vielfa-

ches gegenüber dem deutschen Arbeitsmarkt. Die Ausbildungszahlen der Hoch-

schulen und Fachschulen in diesen Ländern lassen auf absehbare Zeit ein rapides

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Wachstum erwarten. Aufgrund der Ausbildungsanstrengungen in diversen Off-

bzw. Nearshore-Regionen ist im Laufe des letzten Jahrzehnts ein »Weltarbeits-

markt« für hoch qualifizierte IT-Fachkräfte entstanden. Diese neuen Arbeitskraf-

tressourcen werden seit Ende der 90er-Jahre verstärkt von den großen IT-Unter-

nehmen der Welt zu nutzen gesucht.

Im Jahre 2002 arbeiteten in der indischen IT-Industrie über 4 Mio. Beschäftigte

(während in Deutschland die Zahl der Beschäftigten in der IT-Industrie gegenwär-

tig ca. 750.000 beträgt).15 Von diesen 4 Millionen haben über 600.000 IT-Fach-

kräfte einen Hochschulabschluss, weitere 500.000 Software-Entwickler und Syste-

madministratoren verfügen über Zertifikate von Microsoft, Cisco u.a. In China sind

im IT-Bereich ca. 400.000 Ingenieure tätig [Behnde u.a. 2003, 14f.]. Dieser Fachkräf-

tebestand wird in den nächsten Jahren schnell zunehmen. Länder wie Indien oder

China bilden jeweils ebenso viele Ingenieure aus wie die USA. In der Russischen

Föderation gehen jährlich 12.000 und in China 35.000 Software-Ingenieure von

den Hochschulen ab. In Indien liegt die Absolventenzahl vermutlich sogar noch

um ein Vielfaches höher [ebd., 15].

Diese hohen Absolventenzahlen sowie auch die Rückkehr von Fachkräften,

welche im Ausland ausgebildet wurden, führen dazu, dass die Arbeitskosten trotz

einer schnell steigenden Nachfrage nach Arbeitskräften in diesen Ländern bisher

nur vergleichsweise moderat zunehmen. So hat die politische Entwicklung in den

USA nach dem 11. September 2001 dazu geführt, dass viele IT-Fachkräfte wieder

zurück in ihre Herkunftsländer gegangen sind, weshalb beispielsweise die Gehäl-

ter in Bangalore (Indien) trotz einer boomenden Nachfrage in den letzten zwei

Jahren nicht wesentlich gestiegen sind. Eine langjähriger Kenner der Situation in

Indien erläutert diese Effekte wie folgt:

»(...) wir haben halt bestimmte globale Trends, die dann immer wieder zu einer

Mäßigung führen. Also nach dem 11. September, zum Beispiel, hat sich ja auch

das Klima in den USA stark verändert. Daraufhin wurden dort diese Einreise-

visa sehr viel restriktiver gehandhabt. Daraufhin wiederum sind viele Inder

zurückgekommen von Amerika nach Indien. Und die fangen natürlich nicht

mit einem amerikanischen Gehalt an, sondern mit einem indischen Gehalt.

Dieser Trend hat natürlich dazu geführt, dass gerade so im mittleren Manage-

ment plötzlich ein Riesen-Überangebot da war von erfahrenen Leuten. Und

entsprechend regulieren sich dann automatisch wieder die Gehälter. Gleich-

39

15 Die Zahl der IT-Fachkräfte in Deutschland ist allerdings höher, wenn man auch die Anwenderbran-chen mit einbezieht. Ihre Gesamtzahl dürfte ca. 1,4 Mio. betragen [vgl. Allweyer u.a. 2004].

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zeitig ist es natürlich auch so, dass immer mehr Institute entstehen, die IT-

Fachkräfte ausbilden, weil es eben der Weg zur Green Card ist, weil es der Weg

zu Wohlstand ist, und weil immer mehr versuchen, diesen Weg einzuschlagen.

(...) Und von daher wird der Arbeitsmarkt von sehr vielen Faktoren beeinflusst

in Indien« [Experte G.].

In den Jahren 1999 bis 2001, so berichtet uns ein Experte, seien die Gehälter in

Indien sehr schnell gestiegen. Jährliche Zuwächse von 20 % seien die Regel gewe-

sen. Seitdem habe sich die jährliche Lohnsteigerung auf 5 bis 8 % eingependelt.

Das sei bei einer Inflation von 5 % und einem Wirtschaftswachstum von 8 % aus

Unternehmenssicht ein durchaus akzeptabler Wert. Gegenwärtig wird der

Arbeitsmarkt daher von Unternehmensvertretern auch in den IT-Hochburgen

Südindiens, wo die Nachfrage nach qualifizierten IT-Fachkräften in den letzten

fünf Jahren stark zugenommen hat,16 als »gesund« eingestuft:

»Ich denke, es ist ein sehr gesunder Arbeitsmarkt. Wenn man gut qualifiziert

ist, findet man leicht einen Job. Andererseits finden auch Unternehmen noch

relativ leicht gute Mitarbeiter« [Experte G.].

Die IT-Fachkräfte in vielen Off- und Nearshore-Regionen gelten als gut qualifiziert.

Indien und die Russische Föderation erhalten hinsichtlich der Dimensionen

Arbeitskräfte und Ausbildungssystem Bestnoten in einem Ländervergleich von

McKinsey [vgl. Behnde u.a. 2003, 12]. Einer Befragung von Deloitte&Touche

zufolge werden beispielsweise die indischen IT-Dienstleister von deutschen Auf-

traggebern insbesondere wegen ihrer fachlichen Kompetenz geschätzt [Deloitte&

Touche 2003, 26].

Gerade indische IT-Fachkräfte verfügen nach Auskunft eines in Asien seit Jah-

ren tätigen Managers i.d.R. über ausgesprochen hohe Qualifikationen im Bereich

der mathematischen Grundlagenbildung sowie hinsichtlich der technischen

Kernqualifikationen im Bereich Programmiersprachen, Datenbankkenntnisse etc.

Insbesondere im Umgang mit neuen webbasierten Technologien und Tools wei-

sen sie häufig einen sehr hohen Qualifikationsstand auf. Gewisse Schwächen zei-

40

16 Die daraus resultierende Konkurrenzsituation der IT-Unternehmen in Bangalore beschreibt einExperte eindrücklich: »In Bangalore habe ich z.Zt. 1500 IT-Arbeitgeber. Da sind alle Big Names dabei.Und jeder, der bei uns aus der Tür geht, der wird mit offenen Armen in mindestens 50 anderen Türenwieder empfangen, und da muss er noch nicht mal mehr als einen Kilometer dafür laufen. Ja, wir sindin so einem High Tech-Gürtel. Ich habe im Umkreis von 1000 Metern mindestens 50 andere Firmen,IT-Firmen« [Experte G.].

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gen sie bei der Geschäftsprozesskompetenz sowie bezüglich der »soft skills«

[Experte G.].

So verdeutlichte uns ein Verantwortlicher eines IT-Unternehmens, dass auf-

grund der ausgeprägten klassen- und schichtspezifischen Unterschiede in Indien

ein Hochschulabsolvent keine unmittelbare Erfahrung im Umgang mit konkreten

Arbeitsprozessen auf der Shop-Floor-Ebene aufweise. Für ein Mitglied der Mittel-

oder Oberschicht (woraus sich die Hochschulabsolventen größtenteils rekrutie-

ren) sei es undenkbar, in eine Werkhalle zu gehen und so konkrete Erfahrungen zu

sammeln. In der Konsequenz wiesen indische Software-Entwickler häufig dann

Schwächen auf, wenn es darum gehe, einen konkreten Geschäftsprozess zu ver-

stehen, um ihn angemessen programmieren zu können.

Diese Problematik greift Hirschfeld [2003a] in einer anderen Perspektive auf.

Sie begründet das fehlende Wissen indischer Software-Entwickler bezüglich der

Abläufe von Geschäftsprozessen mit einem Alters- und einem daraus resultieren-

den Erfahrungsunterschied im Vergleich zu deutschen Entwicklern. Nach ihrer

Argumentation treffen in deutsch-indischen Projekten IT-Experten zusammen, die

zwar mit den gleichen Technologien und Tools arbeiten, allerdings

»vor einem sehr unterschiedlichen kulturellen und biografischen Background.

Mit dem rapiden Wachstum der indischen Software-Industrie sind viele junge

Entwickler auf den Arbeitsmarkt geströmt – viele sind Mitte zwanzig, während

ihre deutschen Kollegen einige Jahre älter sind und bereits ein entsprechendes

Maß an Berufserfahrung und innerbetrieblichen Kontakten mitbringen. Dieses

Know-how-Gefälle erzeugt Asymmetrien. Die indischen Entwickler, die Soft-

ware für geografisch und kulturell weit entfernte Kunden entwickeln, verste-

hen nicht immer im Detail, in welchem geschäftlichen Umfeld das Produkt

schließlich zum Einsatz kommt. Dementsprechend gering ist oft deren Fähig-

keit, eigenständige Entscheidungen zu treffen« [Hirschfeld 2003a].

Des Weiteren sei das indische Schulsystem, so die von uns befragten Experten, mit

seiner extremen Auslese durch Tests etc. zwar funktional, wenn es um technisch-

fachliche Qualifikationen gehe, bringe aber gewisse Schwierigkeiten mit sich, weil

die Fachkräfte von klein auf zu »Einzelkämpfern« erzogen würden. Gerade die für

die Teamarbeit erforderlichen sozialen Kompetenzen müssten daher mit viel Auf-

wand geschult werden [Experte G.]. In eine ähnliche Richtung geht auch die Pro-

blemanalyse eines anderen Experten. Dieser leitete die Schulungsmaßnahmen

nach der Eröffnung eines Entwicklungslabors in Indien. Er verwies darauf, dass

indische Software-Entwickler gewisse Schwierigkeiten hätten, wenn Vorgaben bei

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der Programmierung nicht eindeutig geklärt seien. Während in Deutschland Soft-

ware-Entwickler sich häufig gegen sehr detaillierte Spezifikationen wehrten und

auf große arbeitsinhaltliche und methodische Freiheiten pochen, verlangten indi-

sche Programmierer umgekehrt genau nach solchen klaren Festlegungen. In

gemischten Entwicklungsprojekten sind aus diesem Grund Konflikte geradezu

vorprogrammiert [Experte A.; Hirschfeld 2003a, b]. Karin Hirschfeld formuliert vor

dem Hintergrund eines Forschungsprojekts in Indien:

»Während die deutschen Entwickler vergleichsweise wenig formalen Vorga-

ben zu folgen haben, spielen standardisierte Prozeduren in den indischen Soft-

ware-Unternehmen eine zentrale Rolle – zum einen, weil viele indische Soft-

ware-Produzenten formalen Qualitätszertifizierungen folgen, weil eine hohe

Formalisierung auch bei einer hohen Personalfluktuation kontinuierliche Pro-

zesse sicherstellt. Diese kulturellen Unterschiede sind zwar verständlich, aber

sie führen vor allem auf Seiten der Deutschen bisweilen zu erheblichem Un-

mut über die »Hierarchiegläubigkeit«, die geringe Eigeninitiative und Selbst-

ständigkeit der indischen Kollegen« [Hirschfeld 2003a, 13].

Als weiterer Vorteil indischer IT-Fachkräfte wird häufig die hohe Qualität der

Arbeitsergebnisse und die hohe Produktivität ins Feld geführt. Nach Angaben des

Leiters des indischen Entwicklerzentrums von SAP in Indien sei die Produktivität

hier ebenso hoch wie im Stammhaus in Walldorf [Welt v. 08.05.2004] und bezüg-

lich der Qualität überträfen die indischen Mitarbeiter die deutschen sogar oft

[Behnde u.a., 20]. Ein verantwortlicher Manager von DaimlerChrysler schätzt

sogar, dass die Ergebnisse indischer Entwickler eine um 20 bis 30 % höhere Güte

hätten [ebd.].

Die IT-Dienstleistungsunternehmen aus Indien und die Entwicklungszentren

der Konzerne dort genügen bei der Projektabwicklung höchsten Qualitätsstan-

dards und sind diesbezüglich oft höher zertifiziert als deutsche Unternehmen.17

Insofern spricht gerade die Qualifikation der Beschäftigten und die Qualität der

Arbeit für das Offshoring.

42

17 Für die Qualitätssicherung von Software-Produkten sowie die einheitliche Festlegung von Gütekrite-rien beim Entwicklungsprozess von Software haben sich in den letzten Jahren zunehmend Zertifizie-rungsverfahren durchgesetzt. Dies sind einerseits Standards, die auf der ISO 9001 aufbauen, anderer-seits das in den USA gebräuchlichere Verfahren CMM (Capability Maturity Model) und davon abge-leitete Weiterentwicklungen. CMM unterscheidet insgesamt fünf Levels [vgl. Behnde u.a. 2003, 12f.].Gemessen daran sind die indischen Tochterunternehmen von internationalen Konzernen sowie diegroßen indischen IT-Dienstleistungsunternehmen häufig höher zertifiziert als beispielsweise deut-sche Anbieter. Laut Angaben von A.T. Kearney kommen allein sechs der weltweit 14 Unternehmen,welche auf dem höchsten CMM-Level 5 zertifiziert sind, aus Indien.

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Zum Ende der 90er Jahre erhält das Fachkräftepotenzial in den Off- und Nears-

hore-Regionen eine neue Bedeutung in der Weltwirtschaft. Bis dahin wurde es v.a.

durch Migration wirksam. Diese Form des »body leasing« hat insbesondere für

den Arbeitsmarkt der USA große Bedeutung [UNI 2003; Schwemmle, Zanker

2000]. Und auch in Deutschland unternahm man im Jahre 2000 einen Versuch,

Fachkräfte aus Indien etc. durch die Vergabe einer Green Card ins Land zu brin-

gen. Im gleichen Zeitraum wurden aber in diesen Ländern eigene Produktionska-

pazitäten formiert. Dabei haben die großen IT-Konzerne eine wesentliche Bedeu-

tung.

Innerhalb dieser Entwicklung nehmen die osteuropäischen EU-Beitrittsländer

sowie Indien eine hervorgehobene Position ein. Und gerade bei in Deutschland

ansässigen IT-Unternehmen werden den osteuropäischen Ländern gute Entwick-

lungschancen eingeräumt. Aus der Sicht eines für Indien zuständigen Managers

stellt sich dies wie folgt dar:

»Ich denke, dass in der Zukunft diese osteuropäischen Staaten ihren Vorteil,

Teil der EU zu sein, Teil eines, sagen wir mal, sicheren politischen Umfelds zu

sein, stark ausspielen werden. Und die Nähe zu Deutschland, also teilweise

eben auch die Deutschkenntnisse, ich meine, die mögen natürlich auf Kosten

der Englischkenntnisse gehen, aber wie auch immer, es gibt schon Vorteile da.

Und das sage ich natürlich meinen Kollegen in Indien auch immer: ‚Ruht euch

mal nicht aus!’« [Experte G.].

Hingegen kann China zwar mit Blick auf die Erschließung eines großen Binnen-

marktes von großem Interesse sein, ist aber weniger als klassische Offshoring-

Region geeignet ist. Den Unterschied zwischen Indien und China bezüglich Off-

shoring im IT-Bereich erläutert ein Manager, der beide Länder gut kennt:

»Nein, China ist eine ganz andere Baustelle [als Indien, A.B.]. Erstens ist in

China nach wie vor das Englisch ein Problem. (...) Und das heißt, die Kommuni-

kation nach China ist sehr schwierig. Des Weiteren ist es auch noch mal die

doppelte Zeitzonenentfernung. Statt dreieinhalb eben sieben Stunden. Das

macht eben auch die Zusammenarbeit in der Art, so wie wir arbeiten, sehr

schwierig. Das heißt, da haben wir natürlich schon in Indien bestimmte Stand-

ortvorteile; einfach von den Rahmenbedingungen. Außerdem ist natürlich der

IT-Markt in China nicht so konzentriert auf ein oder zwei Standorte, sondern

weiter fragmentiert. Und die Topleute sitzen leider auch in den teuersten Städ-

ten, sodass man auch von den Kosten her das nicht mit Indien vergleichen

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kann. China ist deutlich teurer als Indien. Und das hängt auch wieder damit

zusammen (...) zum Beispiel in Indien gibt es auch Städte wie Bombay, die

ungefähr im Preisniveau liegen wie Tokio, was so Infrastruktur und so anbe-

langt. Aber da ist eben nicht die IT-Industrie. Die IT-Industrie ist in Bangalore,

was kostenmäßig ein Bruchteil von Bombay ist. Und das ist ein Vorteil natür-

lich, ein echter Standortvorteil. Wenn die IT-Industrie auch in diesem Moloch

Bombay wäre, dann würde das schon mal ganz anders aussehen« [Experte G.].

Der Prozess der Formierung eines lokalen Arbeitsmarkts in einer Offshore-Region

zu einem Teil eines »Weltarbeitsmarkts« ist für Indien gut dokumentiert. Eine zen-

trale Rolle in dieser Entwicklung spielen die Internationalisierungsbestrebungen

großer IT-Konzerne. Bereits in den 80er-Jahren wurden von internationalen Kon-

zernen (darunter Siemens, Lufthansa, AEG) erste (aufgrund der politischen Situa-

tion erfolglose) Versuche unternommen, in Indien eigene Standorte aufzubauen.

Nach der Veränderung der politischen Verhältnisse im Land orientierten sich US-

amerikanische und britische Konzerne zu Anfang der 90er-Jahre verstärkt nach

Indien und begannen dort mit der Software-Entwicklung oder der Ausführung

von arbeitsintensiven Datenerfassungstätigkeiten. Dynamik erhält diese Entwick-

lung seit der zweiten Hälfte der 90er-Jahre.

Einer Studie von IBM zufolge vollzieht sich die Ansiedlung seitdem in drei Pha-

sen: In der Zeit zwischen 1996 und 2000 eröffneten die »early adopters« Depen-

dancen. Hierzu gehören beispielsweise neben den US-amerikanischen Konzernen

auch Siemens und SAP. In der zweiten Phase zwischen 2000 und 2002 werden die

Aktivitäten in Indien stabilisiert. Das Risiko eigener Produktionsstätten scheint

beherrschbar und weitere Unternehmen bauen Entwicklungskapazitäten in

Indien auf. Zugleich werden die indischen IT-Dienstleistungsunternehmen zu

international agierenden Großunternehmen. Spätestens seit dem Jahr 2003 hält

man die Situation in Indien für ausreichend konsolidiert, um diesen Standort im

großen Stil als wichtige Basis nutzen zu können [Behnde u.a. 2003, 19f.].

Mit diesem Formierungsprozess internationaler Konzerne und indischer

Großunternehmen wird aus einem seit Jahren vorhandenen Arbeitskräfte-Poten-

zial ein wichtiger Faktor in der Weltwirtschaft. Verglichen mit der Phase der Migra-

tion gewinnen die Arbeitskräfte in den Off- und Nearshore-Regionen eine neue

Bedeutung. Das Ziel der Nutzung dieses Arbeitkräftepotenzials ist für die weltweit

agierenden IT-Unternehmen zu einem strategischen Ziel geworden. Insofern sind

die Offshoring-Strategien immer auch Versuche, den »Weltarbeitsmarkt« für IT-

Fachkräfte, und hier insbesondere den in den Niedriglohnregionen, in Zukunft

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systematisch zu nutzen. Diese Zielperspektive umreißt Volker Müller vom Bran-

chenverband BITKOM sehr deutlich:

»Die Unternehmen müssen daher mitunter Jobs auslagern. Nicht nur, um ein-

fache Tätigkeiten billiger ausführen zu lassen, sondern auch, um sich intellek-

tuelles Potenzial zu sichern. Beispiel Russland: Es gibt dort eine Vielzahl hoch

qualifizierter Wissenschaftler, die jahrelang in der Forschung tätig waren und

in den Umbruchzeiten in die Software-Industrie gewechselt sind. Nach Berech-

nung der Weltbank verfügen rund eine Million Menschen über eine technische

Ausbildung und könnten für die Software-Industrie oder die sich daran ansch-

ließenden Sektoren arbeiten. Dieses Potenzial gilt es zu nutzen. Nationale

Beschränkungen, die die Firmen verpflichten, dieses intellektuelle Potenzial

ausschließlich im Heimatland zu suchen, verschaffen konkurrierenden Unter-

nehmen, die an keine nationalen Beschränkungen gebunden sind, einen Wett-

bewerbsvorteil« [tagesschau.de v. 24.02.2004].

Damit entsteht auch für die hoch qualifizierten Arbeitskräfte in den hoch indu-

strialisierten Ländern eine neue Situation. Während ihre Qualifikationen noch bis

vor kurzem als weitgehend konkurrenzlos galten, stehen sie nun in einer sehr viel

intensiveren Wettbewerbssituation mit gleichermaßen hoch qualifizierten, preis-

günstigen Arbeitskräften in den Off- und Nearshore-Regionen, als dies jemals

zuvor in der Geschichte der Fall war. Der so entstandene »Weltarbeitsmarkt« wird

zu einem deutlich spürbaren Einflussfaktor für die Arbeitskräfte und zu einer

wichtigen Voraussetzung für die Internationalisierungsbestrebungen der IT-Un-

ternehmen.

Q u a l i t a t i v e r Wa n d e l d e r P r o d u k t e u n d L e i s t u n g e n

a l s B a s i s d e r I n t e r n a t i o n a l i s i e r u n g d e s M a r k t e s u n d d e r

P r o d u k t i o n s s t r u k t u r e n f ü r I T - D i e n s t l e i s t u n g e n

Neben dem Entstehen eines weltweit verfügbaren »Informationsraums« und der

Herausbildung eines »Weltarbeitsmarkts« für hoch qualifizierte IT-Fachkräfte ist

eine dritte wesentliche Voraussetzung für den aktuellen Offshoring-Boom zu

reflektieren: der Wandel der Produkte und Leistungen und die darauf aufbauende

Veränderung der Produktionsstrukturen im Bereich Software und IT-Dienstleis-

tungen. Der Offshoring-Boom ist Ausdruck einer neuen Phase der Internationali-

sierung, welche ihrerseits auf einem neuen Typ der Industrialisierung in diesem

Bereich basiert. Insofern ist dem Vice President von Gartner, Peter Dück, zuzustim-

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men, welcher den Offshoring-Boom als »Vorboten eines tief greifenden Struktur-

wandels im IT-Servicemarkt« interpretiert [Computerwoche v. 02.03.2004].

Dass IT-Dienstleistungen überhaupt ein selbstständiges Geschäft sind und im

Kontext der IT-Branche geradezu den strategischen Kern bilden, ist selbst Ergeb-

nis eines längeren historischen Prozesses. Dieser vollzieht sich in einer vergröber-

ten Darstellung in drei Phasen:

In der ersten Phase stand die Hardware im Zentrum. Dienstleistungen waren

nur ein unbedeutendes Anhängsel.

Die zweite Phase war vom schnellen Wachstum des IT-Dienstleistungsgeschäfts

geprägt. Dienstleistungen werden zum Wachstumsmotor einer expandieren-

den Branche.

In der nun absehbaren dritten Phase werden die IT-Dienstleistungen selbst

zum Gegenstand eines neuen Typs der Industrialisierung.

Die Entwicklung der Branche war über viele Jahrzehnte von der Dynamik des

Hardware-Bereichs dominiert. In der ersten Phase der Entwicklung der IT-Branche

standen Produktion und Vertrieb von Großcomputern im Zentrum. IT-Dienstleis-

tungen wurden von den Großcomputerherstellern mitvertrieben. Dabei handelte

es sich um Betriebssystemsoftware und einige Standardsoftware-Produkte, Ver-

triebs-, Schulungs- und Produktserviceleistungen etc. Sie waren für die dominie-

renden Hersteller eine Art Zugabe zum eigentlichen Produkt. Der größte Teil der

Leistungen, die heute als IT-Dienstleistungen bezeichnet werden, wurde aber

nicht verkauft, sondern von den Anwenderunternehmen selbst erbracht. Diese

hatten DV-Abteilungen, welche die Rechenzentren betrieben und Individualsoft-

ware für das Unternehmen erstellten.

Ende der 60er-Jahre beginnt eine zweite Phase der Entwicklung, die wesentlich

geprägt ist vom dynamischen Wachstum der IT-Dienstleistungen. Zu diesem Zeit-

punkt entstanden die ersten selbstständigen IT-Dienstleistungsunternehmen in

Deutschland. Hierbei handelte es sich um Standardsoftware-Hersteller in den

Bereichen Datenbanken, betriebswirtschaftliche Software oder Produktionspla-

nungs- und -steuerungssysteme sowie um erste Vorläufer des Bereichs Systemin-

tegration und IT-Beratung. Zu nennen sind hier die Software AG, PSI, SAP oder

Ploenzke. Neben diesen auf den Großrechner orientierten Unternehmen ent-

wickelte sich mit der Verbreitung der Personal Computer (PC) eine zweite Gruppe

von IT-Dienstleistern, deren prominentester Vertreter Microsoft ist. Weil diese

Techniklinie höher standardisiert war als der Großcomputerbereich, konnte Stan-

dardsoftware hier vergleichsweise früh in großen Stückzahlen vertrieben werden.

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Ein wichtiger Schritt der Expansion der IT-Dienstleistungen wird von klassi-

schen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen vollzogen. Seit Mitte der 80er-

Jahre gründen diese ihre DV-Abteilungen aus den Konzernen aus, um neben der

Betreuung der IT in den Mutterkonzernen zusätzliches Geschäft bei anderen Kun-

den zu generieren. Zu nennen sind hier EDS, Gedas, debis usw. Mit diesen Ausla-

gerungen beginnt sich ein neuer Geschäftsbereich für die IT-Branche zu ent-

wickeln, das sogenannte IT-Outsourcing-Geschäft. Hierbei erbringen Auftragneh-

mer die Aufgaben des Rechenzentrumsbetriebs und der Betreuung der IT-Infra-

struktur als Dienstleistung für ihre Kunden.

Den wirtschaftlichen Durchbruch in der IT-Industrie erreicht der Dienstleis-

tungsbereich durch die strategische Wende, welche die Großcomputerhersteller

Anfang der 90er-Jahre vollziehen. Leistungen werden nun nicht mehr vom Com-

puter her gedacht, sondern von der beim Kunden zu erbringenden Lösung. Dem-

entsprechend werden die Konzerne umgruppiert, die Dienstleistungsbereiche

treten in den Vordergrund. Zu nennen sind hier insbesondere IBM und HP.

Als sich dann mit dem Internet eine neue Leittechnologie Bahn brach, dräng-

ten viele Start-ups in den Markt. Sie prägten in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre

die Wahrnehmung der IT-Branche. Die Durchsetzung des Internets bildet die Basis

für die Verbreitung technischer Standards in bisher nicht bekanntem Umfang.

Neue Dienstleistungen entstehen und bereits bekannte können schnell ausge-

weitet werden. Dieser Schritt ist der vorläufige Höhepunkt der Wachstumsphase

der IT-Dienstleistungen. Was ehemals als unbedeutender Wurmfortsatz großer

Hardware-Hersteller entstand, wird zunächst zu einem eigenständigen Geschäft

und schließlich sowohl quantitativ als auch qualitativ zum dominierenden Bereich

der IT-Branche.

Das Wachstum des IT-Dienstleistungsbereichs basiert wesentlich auf der

Durchsetzung herstellerunabhängiger Technikstandards [Boes 2002] und in

engem Zusammenhang damit auf der Standardisierung seiner Produkte und Leis-

tungen selbst. Dies ist der zentrale Erfolgsfaktor. Eine besondere Bedeutung inner-

halb der Standardisierungsentwicklung im IT-Dienstleistungsbereich kommt der

mit den 70er-Jahren beginnenden Durchsetzung des Paradigmas der Standard-

software anstelle des bis dahin dominierenden der Individualsoftware zu. Anfang

der 90er-Jahre hat das neue Leitkonzept der Standardsoftware das der Individual-

software abgelöst. Diese Entwicklung steht in engem Zusammenhang mit der

Ablösung der bis dahin maßgeblichen proprietären Standards im Bereich der

Computertechnologie und der Durchsetzung eines neuen technologischen Leit-

konzepts, der »offenen Netzarchitektur« [Boes 2002].

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Die Dominanz der Standardsoftware begründet eine fundamentale Verände-

rung des Produktionsprozesses der Software-Entwicklung selbst und bildet

zugleich die Grundlage für das Entstehen einer neuartigen Wertschöpfungskette

bei den IT-Dienstleistungen. Den Ausgangspunkt dieser Kette bildet eine Stan-

dardsoftware, welche stets ein universales Konzept für die Lösung eines verallge-

meinerbaren Problems enthält. Dieses Standardprodukt wird in mehreren Anpas-

sungsschritten in eine Lösung für den Kunden überführt. Dafür sind die Systemin-

tegrations- und IT-Beratungsunternehmen zuständig. In dem Maße, wie die Kun-

denunternehmen Standardsoftware einsetzen, vereinheitlichen sie wiederum ihre

eigenen IT-Prozesse und schaffen so die Voraussetzungen dafür, dass sie den lau-

fenden Betrieb ihrer IT-Systeme an IT-Dienstleister outsourcen können.

Die Standardisierung der Produkte und Leistungen, welche die Basis des

Erfolgs der IT-Branche bildet, liefert auf Seiten der IT-Unternehmen die Grundlage

für die Rationalisierung ihrer eigenen Prozesse und Abläufe. Das gilt in besonde-

rem Maße für die Standardsoftware-Hersteller, zunehmend auch für die Out-

sourcing-Anbieter sowie für bestimmte IT-Beratungshäuser. Standardisierung ist

demnach nicht nur eine Voraussetzung für das Wachstum der IT-Dienstleistungen,

sie ist zugleich auch die Basis für eine fortschreitende Rationalisierung der Pro-

zesse und Abläufe bei den IT-Dienstleistern selbst.

Dieser neue Typ der Industrialisierung begründet eine neue Qualität der Interna-

tionalisierung des IT-Dienstleistungsmarktes mit zwei unterschiedlichen Konse-

quenzen. Einerseits gewinnt der globale Markt für IT-Dienstleistungen zunehmend

Kontur. Nicht nur Standardsoftware-Hersteller und große IT-Dienstleistungskon-

zerne, sondern auch mittelständische Systemintegrations- und IT-Beratungshäuser

bewegen sich nun unter den Prämissen internationaler Märkte. Ausdruck dieser Ent-

wicklung sind der konstant hohe Exportanteil von Standardsoftware-Herstellern

und der sprunghafte Anstieg der Auslandsumsätze mittelgroßer Beratungs- und

Dienstleistungsunternehmen seit der Jahrtausendwende.18 Andererseits werden

mit der »Industrialisierung« der Produktionsprozesse die Grundlagen für internatio-

nale Produktionsstrukturen von IT-Dienstleistungen geschaffen – es entsteht auch

in diesem Bereich eine Basis für internationale Produktionsnetzwerke, die eine fle-

xible Verlagerung von Produktionskapazitäten in einem internationalen Bezugs-

system ermöglichen. Dies verändert die Parameter für Standortentscheidungen.

48

18 So liegt beispielsweise der Anteil des im Ausland realisierten Umsatzes bei der SAP AG seit dem Jahr2000 konstant bei über 75 % und die IDS Scheer AG konnte ihren Auslandsumsatz von 28 % im Jahre2000 auf mittlerweile über 60 % steigern. Im ersten Quartal 2004 konnte IDS Scheer im Vergleichzum Vorjahresquartal den internationalen Umsatz mehr als verdoppeln [Boes u.a. 2004].

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Insofern ist Offshoring (bei allen Rückschlägen, welche in den nächsten Jahren

zu erwarten sind) mehr als ein kurzfristiges Kostensparmodell. Hierin deutet sich

ein Strukturwandel an, der im Kern die »Globalisierung der IT-Dienstleistungen«

[Dück 2004] beinhaltet und seinerseits als Ausdruck eines »Reifeprozesses« der

Branche [ebd.]19 verstanden werden kann. Unter dem Eindruck eines internationa-

len Marktes für IT-Dienstleistungen sowie internationaler Produktionskapazitäten

in diesem Bereich entstehen neue strategische Optionen für Standortentschei-

dungen, aber auch eine veränderte Markt- und Konkurrenzsituation [vgl. Buchta

u.a. 2004].

Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Rationalisierungsbe-

strebungen bei IT-Dienstleistungsunternehmen in Zukunft an Dynamik gewinnen

werden. Offshoring ist insofern Ausdruck einer neuen Entwicklungsphase der IT-

Industrie, welche durch eine neue Qualität der Industrialisierung und der Interna-

tionalisierung der IT-Dienstleistungen gekennzeichnet ist. Zugleich fungiert Off-

shoring als ein wichtiger Hebel zur Durchsetzung beider Entwicklungstrends. So

empfiehlt A.T. Kearney den deutschen IT-Dienstleistungsunternehmen beispiels-

weise Offshoring als zentrale Maßnahme zur Durchsetzung eines neuen, auf die

Reduzierung der »Fertigungstiefe« zielenden Rationalisierungskonzepts [Buchta

u.a. 2004]. Dabei ist davon auszugehen, dass mit der Intensivierung der Off-

shoring-Aktivitäten eine neue Standardisierungsspirale und aufbauend darauf

eine Intensivierung der Rationalisierungsbestrebungen in Gang gesetzt wird (vgl.

dazu auch den Abschnitt »Standardisierung der Arbeitsprozesse und Arbeitsab-

läufe« im Kapitel »Versuch einer Abschätzung der Folgen für die Beschäftigten«).

K R I S E A L S » G E B U R T S H E L F E R «

D E R O F F S H O R I N G - E N T W I C K L U N G

Die Entwicklung eines internationalen Informationsraums, das Entstehen eines

»Weltarbeitsmarkts« und der Wandel der Produktionsstrukturen im Bereich der IT-

Dienstleistungen stellen die zentralen Voraussetzungen für den aktuellen Off-

49

19 Bei Peter Dück von Gartner heißt es: »Die Verlagerung von IT-Dienstleistungen in Niedriglohnländerist ein Zeichen für die Reife des Marktes. Den Prozess, die Arbeit dorthin zu verlagern, wo sie unterdem Vollkostenansatz am günstigsten erbracht wird, haben die Textilindustrie und der Maschinen-bau bereits durchlebt. Der aktuelle Offshore-Trend in der IT-Branche bringt die etablierten IT-Dienst-leister in Zugzwang, ihre Kosten zu reduzieren, und wird Spuren auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen.Zwischenzeitliche Kritik und schwierig verlaufende Auslagerungsprojekte werden diesen Trend nichtaufhalten können. (...) Die Herausforderung des globalen Sourcing als Chance zur Reife zu verstehenwird die Gewinner auszeichnen« [Dück 2004].

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shoring-Boom dar. Die aktuellen Krisen- und Stagnationserscheinungen in der IT-

Branche bilden einen wichtigen Treibsatz zur Dynamisierung der Entwicklung. Vor

diesem Hintergrund gewinnen verschiedene Antriebsmomente an Gewicht und

verleihen der Offshoring-Entwicklung an Fahrt.

Der Sturz der Börsenkurse signalisierte das Ende einer beispiellosen Boom-

phase der IT-Industrie. Unternehmen, die in den Jahren zuvor noch ein enormes

Beschäftigungswachstum verzeichneten, stagnieren in ihrer Beschäftigungsent-

wicklung oder bauen sogar Personal im großen Stil ab. Dieser Krisenprozess hat

mittlerweile auch das Wachstumssegment der IT-Industrie, den Bereich Software

und IT-Service erreicht. Konnte hier im Gegensatz zu den drei übrigen Segmenten

bis ins Jahr 2001 noch ein deutlicher Beschäftigungszuwachs erreicht werden, so

ist die Entwicklung seitdem auch hier rückläufig.

Mit der Krise wächst der Preis- und Margendruck für die IT-Unternehmen. Die

Tagessätze für Entwickler und Berater sind in den letzten Jahren deutlich

gefallen.20 Manche Unternehmen, so übereinstimmend unsere Gesprächspartner

im Management, verkaufen ihre Leistungen gegenwärtig unter Selbstkostenpreis.

Die Suche nach Einsparpotenzialen und einer Minimierung von finanziellen Risi-

ken bestimmt die Entscheidungen zunehmend. Die Ausweitung des Offshore-

Anteils in den Projekten und die Verlagerung von Aufgabenbereichen erscheinen

in dieser Situation als probate Mittel der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit.

Dieser allgemeine Druck »des Marktes« wird oft verstärkt durch den konkreten

Druck der Kunden. Auch wenn nicht alle Kunden gleich reagieren: Manche von

ihnen – so versichern uns unsere Gesprächspartner – halten einen ausgewiese-

nen Offshore-Anteil in Projekten geradezu für ein Muss, um sicher sein zu können,

dass wirklich alle Einsparungspotenziale ausgeschöpft wurden. Wer diesen Posten

nicht vorweisen kann, dem kann offenbar unterstellt werden, dass er noch Luft in

der Kalkulation hat.

Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Forderung der

Großkunden nach einer Ausweitung der Offshore-Aktivitäten zu. Insbesondere

große Industrie- oder Dienstleistungsunternehmen, die selbst über Entwicklungs-

kapazitäten in Offshore-Regionen verfügen, verlangen von den IT-Dienstleistern,

50

20 In den Jahren 2002 und 2003 hat der Fall der Tagessätze für verschiedene IT-Dienstleistungen z.T.dramatische Ausmaße angenommen [Computerwoche v. 16.05.2003] und zu einem regelrechten»Preiskrieg« geführt. Auch wenn mittlerweile die Kostensätze für hoch qualifizierte Tätigkeiten nacheiner Umfrage von Berlecon angeblich wieder im leichten Aufwärtstrend sind [Computerwoche v.16.01.2004], ist mit einer grundlegenden Entspannung oder gar einem Zurück zur Situation vor derKrisenphase nicht zu rechnen.

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dass wesentliche Teile von Projekten in den Niedriglohnregionen angesiedelt wer-

den [Experten S. und L.].

Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Gesamtsituation wird die Börsenori-

entierung der großen Unternehmen zu einem wichtigen Treiber. Gerade weil das

Thema Offshoring gegenwärtig bei den Analysten als der »strategische Trend«

gilt, stehen die börsennotierten Unternehmen verstärkt unter Druck, eine »Indien-

Story« vorzuweisen. Offshoring wird so zu einem unternehmenspolitischen

Thema von erstrangiger Bedeutung – und zwar unabhängig davon, ob hier

tatsächlich Kosten eingespart werden oder nicht [Experte A.].

Die Unternehmen erwarten für die mittelfristige Zukunft zwar ein gewisses

Wachstum, wissen aber, dass die Umsatzsteigerungen aus der Phase des New-Eco-

nomy-Booms auf absehbare Sicht nicht wieder zu erreichen sein werden. Um den

Unternehmenswert an der Börse weiterhin hoch zu halten, gewinnt nun die Ori-

entierung auf die Profitabilität der Unternehmen eine zentrale Bedeutung. Man

rechnet allgemein mit einem zunehmenden Verdrängungswettbewerb und sieht

in der Steigerung der Profitabilität ein probates Mittel gegen »feindliche Übernah-

men«. Innerhalb der Strategie zur Steigerung der Profitabilität hat die Ausweitung

der Aktivitäten in Off- und Nearshore-Regionen hervorgehobene Bedeutung.21

Zusammen mit einer grundlegenden Umgestaltung der sozialen Standards in

Deutschland fungiert das Offshoring geradezu als »Königsweg« der Sicherung der

Wettbewerbsfähigkeit. Ein Auszug aus einem Interview des Vorstandsvorsitzen-

den der SAP, Henning Kagermann, mit dem Spiegel bringt diese Sicht idealtypisch

zum Ausdruck:

»SPIEGEL: Sie verdienen doch prächtig: 28 Prozent Rendite streben Sie an. Fast

23 Prozent waren es schon vergangenes Jahr. Kagermann: Aber das reicht

nicht. SPIEGEL: Andere deutsche Firmen können von solchen Gewinnen nur

träumen. Kagermann: Unsere Hauptkonkurrenten haben sogar noch weit

höhere Renditen: Oracle liegt bei 36, Microsoft bei 41 Prozent. Daran müssen

wir uns messen. SPIEGEL: Denken Ihre Mitarbeiter in Deutschland auch so?

Kagermann: Natürlich gibt es heftige Diskussionen. Und es ist verständlich,

wenn Mitarbeiter sagen, mit 20 Prozent Rendite würden wir auch noch gut

leben und könnten hier so weitermachen wie bisher. Aber das stimmt eben

51

21 In der IT-Industrie kursieren verschiedene Berechnungen hinsichtlich des Profitabilitätseffekts derProduktion in Indien oder Osteuropa. Dabei handelt es sich um »Daumengrößen«, deren realerGehalt nur schwer nachvollziehbar ist. Ein Vorstand wird beispielsweise mit der Formel zitiert,wonach pro eintausend indische Entwickler die Profitabilität des Unternehmens um einen Prozent-punkt steige.

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nicht. Dann fiele sofort unser Börsenwert. Heute hat SAP drei Viertel des Werts

von Oracle. Irgendwann sind wir vielleicht weniger als 50 Prozent wert. Und

dann werden Sie fragen, wann Oracle SAP frisst. SPIEGEL: Das heißt, Sie sind

ein Getriebener des Kapitalmarkts? Kagermann: Ja, wir alle sind Getriebene.

SPIEGEL: Erst hat der Kapitalmarkt Sie in die New Economy getrieben, und

jetzt treibt er Sie ins Ausland? Kagermann: Nicht nur uns. Der Kapitalmarkt

treibt die ganze Wirtschaft dazu, wettbewerbsfähiger zu werden. Es ist ein glo-

baler Markt, und der globale Markt entscheidet. Davor können wir doch nicht

die Augen verschließen. SPIEGEL: Was steht am Ende der Treibjagd? Indien

wird das Dienstleistungszentrum, China die Werkbank der Welt sein? Kager-

mann: Das könnte passieren. SPIEGEL: Was bleibt für Deutschland dann noch

übrig? Kagermann: Ich hoffe, dass wir uns hier zu Lande dem Druck stellen

werden. Das heißt, dass wir uns zusammenreißen und quälen, um wieder nach

oben zu kommen. SPIEGEL: Weniger Lohn, länger arbeiten? Kagermann: Ja,

dann wird sich vieles wieder einpendeln« [Spiegel 48/2003].

Z U S A M M E N FA S S U N G : O F F S H O R I N G A L S A U S D R U C K

E I N E R N E U E N P H A S E D E R I N T E R N AT I O N A L I S I E R U N G D E R

I T - D I E N S T L E I S T U N G S P R O D U K T I O N

Die IT-Industrie hat früher als andere Branchen eine hochgradige Internationali-

sierung ihrer Produktions- und Absatzstrukturen erfahren. Große Computerkon-

zerne wie IBM bemühten sich seit den 50er-Jahren nicht nur um eine Ausweitung

ihrer Vertriebsstrukturen, sondern schon früh um den Aufbau von Produktions-

strukturen in der Welt. Spätenstens mit dem Umbruch in der Branche zum Ende

der 80er- und zu Beginn der 90er-Jahre und der Durchsetzung nicht-proprietärer

Technologiestandards und netzwerkartiger Produktionsstrukturen ist die Basis für

eine per se internationale Produktionsstruktur gelegt. Auf dieser Grundlage bildet

sich ein neuartiger Produktionsmodus heraus, welcher eine weltweite Homogeni-

sierung der bestimmenden Produktions- und Tauschnormen der IT-Industrie

bewirkt.

Die Internationalisierung der IT-Dienstleistungsproduktion sowie der Soft-

ware-Industrie folgt dieser Entwicklung mit zeitlicher Verzögerung. Zwar waren

auch hier die Absatz- und Vertriebsstrukturen bereits in den 80er-Jahren hochgra-

dig international, die entsprechenden Produktionskapazitäten aber in wenigen

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hoch industrialisierten Ländern konzentriert. Lediglich die großen Computerkon-

zerne verfügten zu diesem Zeitpunkt – den Vertriebswegen ihrer Hardware fol-

gend – bereits über nennenswerte international verteilte Produktionskapazitäten

im Dienstleistungsbereich.

Erst im Laufe der 90er-Jahre vollzieht sich ein spürbarer Entwicklungsschub

der Internationalisierung von Software- und IT-Dienstleistungsproduktion. Drei

Entwicklungszüge kommen hier zusammen: einmal der Ausbau der Dienstleis-

tungsabteilungen der großen Computerkonzerne. Diese vollziehen zum Anfang

der 90er-Jahre mit dem Wegfall der proprietären Technologiestandards eine stra-

tegische Wende, stellen die Dienstleistungsbereiche ins Zentrum der Konzern-

strukturen und bauen sie systematisch aus. Zum zweiten realisieren die großen

Outsourcing-IT-Dienstleister im Umfeld der klassischen Industrie bzw. des Dienst-

leistungssektors einen Internationalisierungsschub. Diese sind oft in den 80er

oder 90er Jahren aus traditionellen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen

ausgegliedert worden, um als eigenständige Dienstleistungsanbieter Leistungen

für ihre Mutterkonzerne sowie für weitere Kunden zu erbringen. Diese IT-Dienst-

leister stärken ihre internationalen Produktionskapazitäten in dem Maße, wie ihre

Hauptkunden Produktionsstandorte in der Welt aufbauen. Den dritten Entwick-

lungszug bilden die großen Standardsoftware-Hersteller, welche in den 90er-Jah-

ren verstärkt Produktionsstandorte außerhalb ihrer Heimatbastionen gründeten.

Basierend auf einheitlichen Technologiestandards, hatten sie bereits zuvor inter-

nationale Vertriebswege aufgebaut. Aber erst im Laufe des letzten Jahrzehnts

gründeten sie eigenständige Produktionsstandorte und gliederten diese in welt-

weit verteilte Entwicklernetzwerke ein. Das Internationalisierungsmuster aller drei

Teilgruppen steht in engem Zusammenhang mit den Möglichkeiten eines welt-

weiten Absatzes im Zuge der Homogenisierung der Produktions- und Tauschnor-

men. Die Verteilung der Produktionskapazitäten folgt in dieser Phase in erster

Linie den Absatz- und Vertriebsstrukturen. Angesiedelt werden die Produktions-

kapazitäten nach dem Muster der Markterschließung bzw. der Stabilisierung von

Absatzmöglichkeiten.

Diese Internationalisierungsentwicklung erfährt nun eine Dynamisierung und

eine neue Färbung. Steht bis zum Ende der 90er-Jahre die Internationalisierung

vorwiegend im Zeichen der Verteilung von Produktionskapazitäten in hoch indu-

strialisierten Ländern, so werden nun Standorte in Niedriglohnregionen verstärkt

ins Kalkül gezogen. Manche IT-Konzerne hatten dort zwar bereits in den 90er-Jah-

ren Produktionskapazitäten in geringerem Umfang, diesen wurde aber keine stra-

tegische Bedeutung zugemessen. Der zielgerichtete Aufbau entsprechender Pro-

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duktionskapazitäten erfolgt erst seit Beginn dieses Jahrtausends. Damit erhält die

Internationalisierungsstrategie der Software- und IT-Dienstleistungsunternehmen

eine andere Charakteristik. Bis dahin findet Internationalisierung nach dem

Muster statt, dass die Produktionskapazitäten dem Vertrieb folgen – sie werden

dort aufgebaut, wo die großen Kunden sitzen und wo entsprechende Absatz-

chancen bestehen. Dieses Muster wird nun durch ein zweites ergänzt: Die Dislo-

zierung von Produktionskapazitäten folgt dem Ziel der Erreichung komparativer

Kostenvorteile, wenn andere strategische Erwägungen (z.B. ein spezifisches Quali-

fikations- oder Technologiepotenzial, das erschlossen werden soll, oder die Nähe

zu einem bestimmten Markt) dem nicht widersprechen. Internationalisierung

geschieht demnach in einem doppelt bestimmten Zielkorridor.

Der seit Beginn des Jahrtausends zu konstatierende Offshoring-Boom kann als

manifester Ausdruck eines Schubs bei der Internationalisierung von Software-

und IT-Dienstleistungsproduktion verstanden werden. Er trägt die bereits ange-

legten Entwicklungstendenzen in sich und bringt sie auf eine vermeintlich griffige

neue strategische Formel. (Dass es sich dabei aber vermutlich um die falsche For-

mel handelt, wird an anderer Stelle gezeigt, vgl. das Kapitel »Offshoring als Sack-

gasse der Internationalisierung?«.) Offshoring ist insofern eine Zuspitzung der

Internationalisierung der Produktionsstrukturen im Dienstleistungsbereich und

vermutlich sichtbarer Ausdruck einer neuen Phase der IT-Industrie insgesamt.

Wenn heute in den Unternehmen die Offshoring-Entwicklung strategische

Bedeutung erhält, dann ist dies im Wesentlichen grundlegenden Verschiebungen

der Produktionsvoraussetzungen im Bereich Software und IT-Dienstleistungen

geschuldet. Auch wenn die Kosten im einzelwirtschaftlichen Kalkül durchaus den

Ausschlag geben, erklären die (vermeintlich, siehe z.B. den Abschnitt »Die Kosten

allein sind es nicht!«) geringeren Produktionskosten in den Off- und Nearshore-

Regionen den augenblicklichen Offshoring-Boom nicht. Es ist sogar davon auszu-

gehen, dass das Thema auch dann weiter auf der strategischen Agenda der Unter-

nehmen bleibt, wenn die möglichen Kosteneinsparungen weit geringer ausfallen

als ursprünglich erhofft. (Möglicherweise wird diese Entwicklung dann aber nicht

mehr unter dem Label »Offshoring« betrieben.)

Entscheidend für den Offshoring-Boom ist vielmehr eine grundlegende Verän-

derung der Produktivkräfte – insbesondere die Durchsetzung eines weltweit ver-

fügbaren Informationsraums und die Formierung eines hoch qualifizierten

Arbeitskräfteangebots in den Niedriglohnregionen sind hier von zentraler Bedeu-

tung – sowie der Produktions- und Tauschnormen, welche zusammen genommen

die Basis für einen neuen internationalen Produktionsmodus legen. Das darin lie-

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gende Potenzial entfaltet sich unter den Bedingungen eines zunehmenden

Kostendrucks in der Branche sowie hochgesteckter Outsourcing-Pläne der

Anwenderunternehmen gegenwärtig sehr schnell. Die Krise der IT-Industrie und

der sich abzeichnende Verdrängungswettbewerb in den nächsten Jahren bilden

den Treibsatz der Forcierung des Offshorings. In diesem Entwicklungsszenario hat

die zunehmende Börsenabhängigkeit der großen IT-Unternehmen eine formie-

rende Wirkung. Selbst wenn ein Unternehmen die radikale Orientierung auf Off-

shoring aus strategischen Erwägungen nicht präferiert, muss dem Götzen »Börse«

dennoch Genüge getan und eine »Indien-Story« produziert werden.

Wenn der Druck der Kunden in Richtung Offshoring in den nächsten Jahren

nachlässt, weil die Kosteneinsparungen nicht im erhofften Maße erreicht werden

können, wird dies den Prozess des Ausbaus internationaler Produktionsnetzwerke

unter verstärkter Nutzung der Produktionskapazitäten in Off- und Nearshore-

Regionen vielleicht auf ein für die IT-Unternehmen verträglicheres Tempo ver-

langsamen. Dabei ist durchaus denkbar, dass die Unternehmen die in dem Begriff

des Offshorings angelegte Verlagerungskonnotation in Zukunft umgehen und die

Internationalisierung ihrer Produktionsstrukturen wieder mehr unter dem

Gesichtspunkt des Ausbaus von Kapazitäten in Niedriglohnländern und deren

Einbindung in internationale Netzwerke betreiben. Von einer grundlegenden

Trendumkehr ist allerdings nicht auszugehen.

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E N T W I C K L U N G S S TA N D U N DW I R K U N G E N V O N O F F S H O R E -S T R AT E G I E N I N S O F T WA R E - U N D I T - D I E N S T L E I S T U N G S -U N T E R N E H M E N

In diesem Kapitel werden die Strategien und Konzepte großer IT-Unternehmen in

Deutschland analysiert und mit den Ergebnissen einer eigenen Erhebung in ins-

gesamt elf Fallunternehmen kontrastiert. Einmal kommt es darauf an, die Rich-

tung und Dynamik der Offshore-Entwicklung einschätzen zu können. Und ande-

rerseits gilt es, den realen Umsetzungsstand dieser Konzepte und deren bisherige

Auswirkungen in den Unternehmen zu prüfen.

U N T E R N E H M E N S S T R AT E G I E N G R O S S E R I T - U N T E R N E H M E N

I M B E R E I C H O F F S H O R I N G

Die folgende Analyse hat zum Ziel, den Konzepten großer IT-Unternehmen hin-

sichtlich des Offshorings auf die Spur zu kommen. Sie verfolgt die Fragestellung,

welche Ziele die Unternehmen mit ihren Offshoring-Aktivitäten anstreben und

welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sich zwischen den einzelnen Unter-

nehmen hinsichtlich ihres Vorgehens finden lassen. Sie stützt sich ausschließlich

auf öffentlich zugängliche Dokumente. Im Mittelpunkt der folgenden Ausführun-

gen stehen die großen, international tätigen Unternehmen der Branche in

Deutschland. Beispielhaft werden die Vorgehensweisen von Siemens, SAP, Soft-

ware AG,T-Systems, IBM und EDS referiert.

Vo m s i t u a t i v - i n k r e m e n t e l l e n z u m s t r a t e g i s c h

f o k u s s i e r t e n Vo r g e h e n

Was heute als Offshoring bezeichnet wird, ist für die hier zur Debatte stehenden

IT-Unternehmen im Grunde ein »alter Hut«. Alle diese Unternehmen sourcen

schon seit vielen Jahren in Off- und Nearshore-Regionen. So hat Siemens bereits

in den 80er-Jahren Erfahrungen in Indien gesammelt [Behnde u.a. 2003] und

unterhält dort seit 1992 ein Tochterunternehmen, die Siemens Information

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Systems Ltd. (SISL), welche als Entwicklungszentrum des gesamten Konzerns fun-

giert und Aufträge für einzelne Geschäftsbereiche, aber auch für andere Kunden

(IBM, SAP, CA) durchführt. Nach Firmenangaben arbeiten dort gegenwärtig 1.300

hoch qualifizierte Software-Entwickler. Das Unternehmen ist z.T. auf dem höchs-

ten CMM-Level 5 zertifiziert. Die Erfahrungen von IBM in Indien reichen sogar

noch weiter zurück. Das Unternehmen ist aufs engste mit der Entwicklung der

indischen Computerindustrie verwoben. In den 90er-Jahren wurden die Produkti-

onskapazitäten im Bereich der Dienstleistungen ausgeweitet. Zur Zeit unterhält

das Unternehmen allein in Indien zwei große Entwicklungszentren: in Bangalore

und in Kalkutta. Die SAP betreibt seit 1998 ein Entwicklungszentrum in Bangalore

mit gegenwärtig knapp 1.000 Software-Entwicklern, das schon aufgrund seiner

Größe eine zentrale Bedeutung im Kontext eines weltweiten Entwicklernetzwerks

des Konzerns besitzt. Die drei hier genannten Unternehmen gehören nach der

oben zitierten IBM-Studie zu den »early adopters«, die bereits vor dem Jahr 2000

eigene Entwicklungskapazitäten in Indien aufgebaut haben. Die Liste ließe sich

für andere Unternehmen und die verschiedenen Off- und Nearshore-Regionen

fortsetzen.

Insofern erscheint die gegenwärtige »Offshoring-Euphorie« eher als verspäte-

ter Reflex der öffentlichen Meinung auf eine längst laufende Entwicklung. Eine

genauere Analyse der Situation in den IT-Unternehmen zeigt aber, dass der aktu-

elle Offshoring-Boom sich nicht allein als inkrementelle Fortentwicklung einer

bereits seit Jahren betriebenen Politik verstehen lässt. Dass aus dem Prozess des

kontinuierlichen Wachstums der Produktionskapazitäten in Off- und Nearshore-

Regionen ein regelrechter Offshoring-Boom wird, ist v.a. eine Folge einer strategi-

schen Fokussierung des Themas, welche von den großen IT-Unternehmen erst im

Laufe des Jahres 2003 vorgenommen wurde.

So stellt, was auf den ersten Blick als inkrementelle Entwicklung erscheint, in

Wirklichkeit einen qualitativen Bruch dar. Dieser manifestiert sich in entscheiden-

den Vorstandsbeschlüssen großer IT-Unternehmen, in welchen Offshoring (oder

wie auch immer der Tatbestand in den Unternehmen jeweils bezeichnet wird) als

zentrales Moment der Geschäftsstrategie der Unternehmen definiert und so zum

strategischen Thema wird.

Die neue Phase beginnt beispielsweise für Siemens vermutlich im Sommer

2003 mit einem Beschluss des Zentralvorstands zum verstärkten Ausbau von Ent-

wicklerkapazitäten in Indien und Osteuropa [Müller, W. 2004]. Der Wendepunkt bei

SAP muss im vierten Quartal des gleichen Jahres angenommen werden. Im

November 2003 tritt der Vorstandsvorsitzende Henning Kagermann erstmals mit

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Plänen zur systematischen Ausweitung der Produktionskapazitäten in Off- und

Nearshore-Regionen vor die Presse [Spiegel 48/2003]. Für IBM markieren Mitte

bzw. Ende des Jahres 2003 bekannt gewordene interne Pläne der Konzernzentrale

in den USA eine deutliche Veränderung.22 Das »Wall Street Journal« berichtet im

Dezember 2003 unter Berufung auf vorliegende interne Planungen, dass IBM im

Rahmen seiner Strategie des »Global Sourcing« anstrebe, insgesamt 4.730 Arbeits-

plätze nach Indien, China und in andere Offshore-Länder zu verlagern. Allein in

Indien seien 500 Beschäftigte eingestellt worden. Diese Planungen seien im Okto-

ber auf einem Managementtreffen vorgestellt worden. Das Unternehmen demen-

tierte die genannte Zahl und bestätigte lediglich Verlagerungsplanungen für ins-

gesamt 3.000 Beschäftigte aus den USA. Zugleich kündigte man im Januar 2004

die Schaffung von 15.000 zusätzlichen Stellen (4.500 davon in den USA) an – dop-

pelt so viel wie ursprünglich geplant [Ernst 2004].

Ve r s u c h e z u r S t r a t e g i e b e s t i m m u n g

b e i w e l t w e i t a g i e r e n d e n I T - U n t e r n e h m e n

Seit der zweiten Hälfte des letzten Jahres bemühen sich die großen Unternehmen

um eine Präzisierung der Unternehmensplanungen. Liefen die Offshoring-Akti-

vitäten bis dahin weitgehend jenseits des öffentlichen Interesses, so vollzieht sich

die Strategiefindung seitdem im Lichte der Öffentlichkeit. Zum Teil nutzen die Vor-

stände das gestiegene öffentliche Interesse sogar als Medium zur Durchsetzung

ihrer Ziele. Zeichnet man die kurze Phase seit der zweiten Hälfte des letzten Jahres

nach, so wird deutlich, dass die Vorreiterunternehmen dem Offshoring zwar stra-

tegische Bedeutung zumessen, aber offensichtlich noch keine kohärente Vorge-

hensweise haben.

Deutsche IT-Unternehmen

Siemens AG

Seit dem Sommer 2003 fokussiert der Zentralvorstand von Siemens offensicht-

lich in neuer Weise auf die Nutzung von Produktionskapazitäten in Off- und

Nearshore-Regionen [Müller, W. 2004]. Es wird ein Beschluss gefasst, wonach kon-

zernweit die Entwicklerkapazitäten insbesondere in Indien und anderen Nied-

59

22 Wie lange vorher die Vorbereitungen für diese Unternehmensplanungen liefen, lässt sich anhand dervorliegenden Dokumente nicht nachvollziehen. Im Internet finden sich Dokumente, die daraufschließen lassen, dass die Offshoring-Strategie in Führungskreisen bereits im März 2003 vorbereitetwurde.

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riglohnregionen deutlich wachsen sollen und die Kapazitäten des Konzerns lang-

fristig verstärkt in Niedriglohnregionen angesiedelt werden sollen [Heise.de v.

15.12.2003]. Im Dezember 2003 wird darauf verwiesen, dass dem Ausbau von

Kapazitäten in Osteuropa in den Bereichen Entwicklung, Fertigung und zentrale

Verwaltung besondere Bedeutung zukomme. Es ist auch zu erfahren, dass das

Unternehmen einen Teil der Buchhaltung nach Prag verlagert habe [Spiegel

Online v. 12.12.2003].

Diese Maßnahmen entsprechen der Linie, die der Konzernchef von Pierer auf

der Bilanzpressekonferenz im November 2003 vorgegeben hatte. Demnach

müsse sich Siemens bei neuen Standorten an Regionen mit Kostenvorteilen ori-

entieren [ebd.]. Ein Sprecher des Unternehmens erläutert, dass »im Rahmen des

Programms für globale Wettbewerbsfähigkeit« entsprechende Pläne für den Auf-

bau zusätzlicher Produktionskapazitäten im Bereich der Software-Entwicklung im

Konzern bestünden. Dabei handele es sich aber um den »gezielten Aufbau der

Ressourcen für Forschung und Entwicklung«. Bei der Software-Entwicklung setzt

Siemens nach eigenen Angaben auf die Wachstumsmärkte in China, Russland,

Indien und Osteuropa. Im Dezember 2003 erklärt Zentralvorstandsmitglied

Johannes Feldmayer, er halte es für realistisch, dass in einigen Jahren etwa ein

Drittel der Entwicklungsarbeiten für Siemens an Niedriglohnstandorten geleistet

werde. Dabei betont ein Unternehmenssprecher: »Es handelt sich dabei allerdings

um eine langfristige Entwicklung. Wir verfallen nicht in kurzfristigen Aktionismus«

[Heise.de v. 15.12.2003]. Mit dem Beschluss zur Ansiedlung der Entwicklerkapa-

zitäten in den Wirtschaftsregionen der Welt entsprechend dem jeweiligen Anteil

am Umsatz legt das Unternehmen einen weit reichenden Plan zur Umschichtung

von Personal vor, ohne diesen in der Öffentlichkeit zu explizieren. Angesichts der

Tatsache, dass bisher ein weit größerer Anteil von Entwicklern in Deutschland

arbeitet, als es dem Umsatzanteil entspräche, befürchten Betriebsräte und die IG

Metall bis Ende 2007 den Verlust von bis zu 15.000 Arbeitsplätzen in der Entwick-

lung [silicon.de v. 26.04.2004]. Peter Gottal, der Sprecher des Unternehmens,

betont demgegenüber im Dezember 2003, dass keiner der etwa 30.000 Arbeits-

plätze bei Siemens Forschung und Entwicklung in Deutschland gefährdet sei. »Wir

lagern nicht aus und lassen den Standort auch nicht ausbluten. Langfristig wer-

den aber neue Stellen dort geschaffen, wo wir strategische Vorteile haben und

nahe an den Wachstumsmärkten sind« [Heise.de v. 15.12.2003].

Diese Zielrichtung wird aber von verschiedenen Führungskräften in Frage

gestellt. Die vorher vorgetragene Strategie eines asymmetrischen Wachstums, bei

dem der Beschäftigungsaufbau im Entwicklungsbereich vornehmlich in den

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Niedriglohnländern erfolge, zugleich aber kein Beschäftigungsabbau für die deut-

schen Beschäftigten in diesem Bereich zu befürchten sei, wird seit Ende 2003

durch eine zweite, auf die Veränderung der Standortbedingungen gerichtete poli-

tische Komponente ergänzt.

So erklärt der Zentralvorstand Feldmayer bereits im Dezember 2003 gegenü-

ber Financial Times Deutschland: »Wir sind mit den Rahmenbedingungen in

Deutschland, wenn wir sie mit denjenigen in den wachstumsstärksten Ländern

vergleichen, überhaupt nicht zufrieden« [zit. n. Heise.de v. 15.12.2003]. Ende März

2004 wird im Rahmen einer Sitzung des Wirtschaftsausschusses des Konzerns

eine Kostenanalyse des Vorstandes vorgestellt, in der für jede Produktionseinheit

in Deutschland errechnet wurde, um wieviel günstiger produziert werden könne,

wenn die Arbeitskosten auf einem niedrigeren Niveau, z.B. dem ungarischen,

lägen. Die Berechnung ergibt, dass die um durchschnittlich 25 % günstigeren

Arbeitskosten ungefähr 10.000 Arbeitsplätzen am »Standort Deutschland« ent-

sprächen. Laut Spiegel fordert der Vorstandsvorsitzende von Siemens, von Pierer,

dass diese Kosten ausgeglichen werden müssten, um die Arbeitsplätze in

Deutschland halten zu können. Die erforderlichen Kosteneinsparungen ließen

sich durch eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden ohne Lohn-

ausgleich, eine Reduzierung des Urlaubs- und Weihnachtsgelds sowie weiterer

Sonderzahlungen erreichen [Spiegel 14/2004]. Und ein knappes halbes Jahr nach

der zitierten Feststellung des Unternehmenssprechers, Auslagerungen seien nicht

geplant, revidiert der Vorstand seine Position und kündigt an, dass in sieben von

vierzehn Geschäftsbereichen Verlagerungen stattfinden würden, wenn sich die

Kosten nicht anderweitig senken ließen [Handelsblatt v. 01.04.2004; Netzeitung v.

01.04.2004].

Durch die Verknüpfung der Offshoring-Strategie mit der Forderung nach einer

umfassenden Senkung der Arbeitskosten und des tariflichen Niveaus in Deutsch-

land hat sich der Charakter der Debatte grundlegend verändert. Stand zu Beginn

die gezielte Nutzung von Produktionskapazitäten in Off- und Nearshore-Ländern,

insbesondere im Bereich der Software-Entwicklung, im Vordergrund, so geht es

jetzt um die Absenkung tariflicher Ansprüche und zwischenzeitlich sogar um die

Frage der generellen Rückkehr zur 40-Stunden-Woche [FAZ vom 20.04.2004]. Statt

die ursprünglich anvisierte Internationalisierung der Konzernstrukturen weiter

voranzutreiben, steht Siemens nunmehr – gewollt oder ungewollt – im Zentrum

einer öffentlichen Debatte um das »Anspruchsniveau« und die Kostenstrukturen

am »Standort Deutschland«. Das Thema wird öffentlich nicht mehr im Sinne einer

Internationalisierungsstrategie bzw. einer international abgestimmten Wachs-

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tumsstrategie zur Markterschließung, sondern im Sinne einer angedrohten Verla-

gerung reflektiert, welche sich durch entsprechende Kostensenkungen in

Deutschland verhindern lasse.

Des Weiteren werden Offshoring-Bestrebungen in sehr unterschiedlichen

Tätigkeitsbereichen in den öffentlichen Stellungnahmen des Konzerns miteinan-

der vermischt. Anfangs wurde Offshoring für die ca. 30.000 Entwickler von Sie-

mens diskutiert. Dabei wurde Wert darauf gelegt, dass es sich nicht um eine Verla-

gerung handele, sondern um den Aufbau zusätzlicher Kapazitäten in Niedriglohn-

regionen. Dann wurden Bestrebungen zur Auslagerung von Tätigkeiten im

Bereich der Administration damit verbunden, welche aus Gründen der Kostener-

sparnis nach Osteuropa zu verlagern seien. Und schließlich wurden diese beiden

Diskurse mit einem Diskurs zur Verlagerung vermeintlich nicht mehr wettbe-

werbsfähiger Werke in der klassischen Industrieproduktion verquickt.

Mehrere Ziele stehen nun unverbunden nebeneinander: erstens das Ziel der

strategischen Ausweitung von Produktionskapazitäten entsprechend den

Umsatzanteilen der jeweiligen Weltregionen. Dieses Ziel beinhaltet im Kern eine

Markterschließungsstrategie. Zweitens das Ziel des asymmetrischen Wachstums

im Bereich der Entwicklung und des Ingenieurwesens, speziell der Ausweitung

von Entwicklerkapazitäten in Off- und Nearshore-Regionen, um die dortigen Res-

sourcen besser nutzen zu können, ohne die Belegschaft in Deutschland zu gefähr-

den. Drittens das Ziel der Nutzung von Produktionskapazitäten in Niedriglohnlän-

dern für alle Tätigkeitsbereiche (und nicht nur für die Entwicklung) zur allgemei-

nen Senkung der Kosten und zur Erhöhung der Profitabilität des Unternehmens.

Viertens das Ziel, eine Trendwende bei den Arbeits- und Tarifstandards in

Deutschland zu erreichen, um so die Kosten zu senken und die Profitabilität des

Unternehmens zu erhöhen, mit der Begründung, das sei erforderlich, damit man

möglichst wenig Arbeitsplätze verlagern müsse. Diese Ziele verhalten sich unter-

einander nicht kongruent. Sie weisen vielmehr ein inneres Spannungsverhältnis

und einen latenten Zielkonflikt auf. Dem wird an anderer Stelle noch nachzuge-

hen sein.

SAP AG

Für die Strategie der SAP AG hinsichtlich des Offshorings scheint das vierte

Quartal des Jahres 2003 eine Wende einzuleiten. Das Unternehmen hatte bereits

viele Jahre Erfahrung mit der Produktion an Niedriglohnstandorten. Drei Soft-

ware-Entwicklungsstandorte in Off- bzw. Nearshore-Regionen, nämlich in Banga-

lore (Indien, mit ca. 1.000 Mitarbeitern im Jahr 2004), Shanghai (China, mit ca. 120

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Mitarbeitern Ende 2003) und Sofia (Bulgarien), welche die sechs Entwicklungszen-

tren in den Hochlohnregionen (Walldorf, Palo Alto etc.) ergänzen sollten, bestan-

den zu diesem Zeitpunkt. Im November 2003 formuliert der Vorstandsvorsitzende,

Henning Kagermann, den schnellen Ausbau der Produktionskapazitäten in den

Niedriglohnregionen auf bis zu 25 % der Gesamtentwicklungskapazität des Kon-

zerns als strategisches Ziel. Allein der Standort in Indien solle innerhalb des Jahres

2004 seine Belegschaft verdoppeln.

Zur Realisierung dieses Ziel umreißt er eine Personalstrategie des asymmetri-

schen Wachstums:

»Indien, China und andere Länder bieten einen enormen Preisvorteil und jetzt

auch gut ausgebildete junge Leute. Daher gehen wir davon aus, dass ein signi-

fikanter Teil des künftigen Wachstums und der daraus resultierenden Arbeits-

plätze nicht mehr in Deutschland entsteht, sondern in Niedriglohnländern. (...)

Neueinstellungen [in Deutschland; A.B.] wird es schon noch geben, aber nicht

mehr in dem Maß wie früher. Wir werden genau überlegen, wo es sinnvoll ist,

in Deutschland noch einzustellen« [Spiegel 48/2003].

Dabei werde aber, so der SAP-Chef, auch in Zukunft nicht an der hervorgehobe-

nen Bedeutung der deutschen Standorte gerührt. Programmatisch erklärt er:

»Deutschland ist und bleibt ein Kernstandort für SAP. Wir kommen von hier,

wir haben hier unsere Leute, und die haben den Erfolg gemacht. Die halten wir

auch. Aber wenn es um Wachstumschancen geht, müssen wir andere Märkte

stärker berücksichtigen und unsere Kostenstruktur optimieren« [ebd.].

Zugleich macht er aber auch deutlich, dass er mit der »Leistungsbereitschaft« und

den politischen Standortbedingungen in Deutschland insgesamt nicht zufrieden

ist. Er hält fest, dass die Rendite von SAP deutlich unter der der Hauptkonkurren-

ten liege und dies angesichts des Börsendrucks nicht so bleiben dürfe. Seine Per-

spektive erläutert er so:

»Der Kapitalmarkt treibt die ganze Wirtschaft dazu, wettbewerbsfähiger zu

werden. Es ist ein globaler Markt, und der globale Markt entscheidet. Davor

können wir doch nicht die Augen verschließen. (...) Ich hoffe, dass wir uns hier

zu Lande dem Druck stellen werden. Das heißt, dass wir uns zusammenreißen

und quälen, um wieder nach oben zu kommen« [ebd.]

Innerhalb dieser Strategie des asymmetrischen Wachstums sind die Software-Ent-

wicklungsstandorte von SAP in Indien, China und Sofia laut Konzerndarstellung

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systematisch in das weltweite Entwicklernetzwerk eingebunden. Sie sollen keines-

wegs nur einfache arbeitsintensive Programmiertätigkeiten erfüllen, sondern sind

auf neueste Technologien ausgerichtet – wie das Entwicklungszentrum in Sofia,

welches als JAVA2-Zentrum innerhalb des Netzwerks gilt. Strategisch setzt man

mit diesem internationalen Entwicklernetzwerk darauf, das »intellektuelle Kapital«

des Weltarbeitmarktes zielgerichtet zu nutzen, und lagert daher in den Off- und

Nearshore-Regionen eigene Produktionsintelligenz an. Hierzu heißt es auf der

Homepage:

»Durch die globale Ansiedlung hat die SAP nicht nur die Möglichkeit, die

besten Mitarbeiter aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen für sich zu

gewinnen, sondern auch Synergien in den internationalen High-Tech-Zentren

zu erschließen. Eine der Hauptaufgaben der SAP Labs ist es, neue Technologie-

trends zu entdecken und den Wissenstransfer zurück nach Walldorf zu

gewährleisten, um so das Software-Angebot für Kunden in aller Welt weiter zu

verbessern. Für die SAP sind die Entwicklungszentren daher bedeutende Quel-

len der Innovation« [www.sap.com].

In einem späteren Interview im Februar 2004 wird diese Marschrichtung weiter

präzisiert. Für das Jahr 2004, so die damaligen Unternehmensplanungen, solle die

Zahl der Mitarbeiter des Konzerns weltweit um 5 % oder 1.500 Stellen erhöht wer-

den. Der Großteil dieser Stellenaufstockungen solle in Niedriglohnländern erfol-

gen. Aber auch im Bereich von Forschung und Entwicklung in Deutschland sei mit

einem gewissen Personalwachstum zu rechnen. Dabei komme es darauf an,

»die Einstellungen koordinierter als bisher vornehmen. Vor allem wird es dar-

auf ankommen, den richtigen Mix zwischen unseren Aktivitäten in Deutsch-

land, den USA sowie in Indien und China hinzubekommen« [Handelsblatt v.

10.02.2004].

Für diese Strategie des abgestimmten Wachstums in den Weltregionen sieht

Kagermann angesichts der Wachstumserwartungen des Konzerns gute Chancen,

sodass die strategisch gewünschte Ausweitung der Produktionskapazitäten in

den Off- und Nearshore-Regionen nicht zu Lasten der deutschen Belegschaft und

insbesondere des Entwicklungszentrums in Walldorf (wo mit 5.500 Entwicklern

weiterhin das Zentrum der Software-Entwicklung liege) gehe:

»Wir sind in der komfortablen Lage, die notwendige Aufstockung in Billiglohn-

ländern über Personalwachstum und nicht über einen Abbau an anderen

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Standorten, zum Beispiel in Deutschland, vornehmen zu können. Anfang 2003

hatte ich große Sorgen, dass wir durch den Wettbewerb gezwungen würden,

verstärkt in Billiglohnländer zu gehen. Das hätte Arbeitsplatzabbau in

Deutschland bedeutet. Davon gehe ich derzeit nicht mehr aus. Wir haben auch

Glück gehabt« [ebd.].

In einem Interview im Mai 2004 wird dieser Internationalisierungsstrategie des

asymmetrischen Beschäftigungswachstums eine zweite Komponente hinzuge-

fügt. Erstmals werden »Verlagerungen« in Off- und Nearshore-Regionen angekün-

digt. Dabei geht es offensichtlich um Aufgaben aus der administrativen Verwal-

tung. Diese werden aber in einen direkten Zusammenhang zu dem Aufbau von

Personalkapazitäten in den Entwicklerzentren in den Off- und Nearshore-Regio-

nen gestellt. In dem Artikel heißt es:

Ȇberall sind derzeit interne Berater im Software-Konzern unterwegs, um nach

verlagerungsfähigen Prozessen zu suchen. Seit längerem schon gehört bei-

spielsweise der telefonische Kundendienst dazu. Demnächst wird es

bestimmte einheitliche Reports im Controlling geben, eine sehr personalinten-

sive Arbeit, die sich gut verlagern lasse, sagt Kagermann. In der bisher weitge-

hend am Heimatstandort Walldorf konzentrierten Software-Entwicklung sei

das ähnlich, wenn es darum geht, in die Programme für Personalverwaltung

gesetzliche Anforderungen verschiedener kleinerer Länder einzuarbeiten. ‚Da

wird es ein Team in Indien geben, das brauchen wir nicht hier zu machen.’ Die

Zahl der SAP-Software-Entwickler in Indien werde von 1.000 auf 1.500 zuneh-

men, kündigt Kagermann an. Zwar werde Deutschland der größte Entwick-

lungsstandort für SAP bleiben, aber Indien, China und Osteuropa wachsen.

Schließlich, und hier wird es bald konkret, werden Verwaltungsfunktionen von

der Konzernzentrale in Walldorf nach Osteuropa, nach Angaben von Kager-

mann also ‚irgendwo in die EU-Beitrittsländer’ verlagert. Ende des Jahres soll

es so weit sein. Zuvor muss im Vorstand noch über die Umfänge entschieden

werden. Es geht um Aufgabenbereiche in der Gehaltsabrechnung und in der

Kreditoren- und Debitorenbuchhaltung« [FAZ vom 05.05.2004].

Diese Verlagerungspläne sind für Kagermann zwangsläufige Folge des Gesche-

hens auf dem Weltmarkt. Da alle Wettbewerber dazu übergingen, das Offshoring

als Strategie zur Kostensenkung zu betreiben, sei auch die SAP gezwungen, mitzu-

ziehen, denn »wer nicht mitziehe, kalkuliere sich aus dem Markt« [ebd.]. Er ver-

wahrt sich gegen Vorwürfe aus der Politik, wonach die Verlagerung von Arbeits-

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plätzen als »unpatriotisch« bezeichnet wurde. Zugespitzt formuliert er, dass

Arbeitsplätze, die in Deutschland zu teuer seien, nach »draußen« verlagert werden

müssten.

Es ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht einzuschätzen, ob dieser Artikel eine

Wende in der Offshoring-Strategie des Konzerns markiert, die mit der von Sie-

mens vergleichbar wäre. Die prononcierte Offenlegung von Plänen zur Auslage-

rung von administrativen Aufgabenbereichen im direkten Zusammenhang mit

dem Ausbau der Entwicklungskapazitäten in den Off- und Nearshore-Regionen

legt diese Vermutung zumindest nahe.

In der Phase bis Februar 2004 war die Strategie von SAP vornehmlich eine

Internationalisierungsstrategie, welche darauf gerichtet war, den besonderen Vor-

teil der Off- und Nearshore-Regionen – eine günstige Verbindung aus einem

hohen »intellektuellen Kapital« und niedrigen Lohnkosten – zielgerichtet zu nut-

zen, ohne die Stabilität des Heimatstandorts in Walldorf anzutasten. Dafür stand

die Strategie des asymmetrischen Wachstums, welche ermöglichte, das gewollte

Wachstum in den Niedriglohnregionen zu bewerkstelligen, ohne Arbeitsplätze

von Deutschland dorthin zu verlagern.

Die konsequente Einbindung der SAP Labs in Indien, China und Bulgarien

sowie der hohe technologische Standard dieser Niederlassungen deuten des Wei-

teren darauf hin, dass diese nicht allein unter Kostengesichtspunkten, sondern

auch mit dem Ziel der strategischen Integration in das Entwicklungsnetzwerk des

Konzerns aufgebaut wurden. Da die Entwicklungsprojekte im Konzern offensicht-

lich weltweit verteilt realisiert werden, schafft sich die SAP mit dem Entwicklungs-

netzwerk eine neuartige Produktionsstruktur. An die Stelle einer hochzentralisier-

ten Software-Produktion tritt nun ein internationales Netzwerk mit einer polyzen-

trischen Struktur. Genau dieser Prozess ist sehr voraussetzungsreich, erfordert er

doch ein aktives Mitgehen der Führungskräfte und Beschäftigten in Walldorf, wo

laut Angaben des Konzerns immer noch ca. 70 % der Entwicklung konzentriert

sind. Da das Unternehmen offensichtlich an den Standorten in Niedriglohnregio-

nen nicht nach dem Prinzip der »Auftragsfertigung« produzieren lässt, sondern

nach dem einer interdependenten, verteilten und zeitsynchronen Kooperation,

lassen sich Probleme an einer Stelle des Entwicklernetzwerks aufgrund der syste-

matischen Interdependenzbeziehungen nur schwer isolieren und betreffen ten-

denziell alle in einem Projekt interagierenden Teilorganisationen.

Insofern ist es durchaus schlüssig, dass das Unternehmen sich einerseits auf

den strategischen Ausbau der Entwicklungskapazitäten in Off- und Nearshore-

Regionen konzentrierte und dies andererseits mit einer Absage an die Verlage-

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rung von Arbeitsplätzen aus Deutschland verband. Das zuletzt angeführte Inter-

view mit Kagermann ist darauf bezogen in mehrfacher Hinsicht überraschend:

einmal, weil er erstmals Verlagerungen in Aussicht stellt, statt – wie bisher – ein

asymmetrisches Wachstum zu propagieren. Die Arbeitsplatzverlagerungen wie-

derum stellt er zweitens nicht – wie bisher – als Moment einer Vorwärtsstrategie

vor, sondern allein als Maßnahmen zur Kostensenkung. Dabei differenziert er drit-

tens nicht zwischen verschiedenen Beschäftigtengruppen, sondern baut das

»Bedrohungsszenario« für alle Beschäftigten gleichermaßen auf. Software-Ent-

wicklung, Kundensupport und administrative Verwaltung stehen offensichtlich

gleichermaßen im Fokus des Verlagerungsinteresses: »Überall sind derzeit interne

Berater im Software-Konzern unterwegs«, heißt es in dem Artikel. Dies ist umso

überraschender, als die Verlagerung von Arbeitsplätzen konkret nur für be-

stimmte Bereiche der administrativen Verwaltung ins Auge gefasst ist. Manifeste

Pläne werden ausschließlich für die Gehaltsabrechnung und die Kreditoren- und

Debitorenbuchhaltung angekündigt.

Software AG und T-Systems

Verglichen mit dem öffentlichen Interesse an den Offshoring-Aktivitäten von

Siemens und SAP ist die Resonanz für die Strategien der übrigen großen deut-

schen IT-Unternehmen vergleichsweise gering. Die Software AG, der nach SAP

zweitgrößte deutsche Software-Hersteller, kündigt erstmals im August 2003 die

Gründung eines Entwicklerzentrums in Pune (Indien) für Oktober des gleichen

Jahres an. Dieses Zentrum solle Aufgaben aus den Bereichen Anwendungsent-

wicklung, Betrieb und Wartung bestehender Anwendungen sowie Projektdienst-

leistungen im Professional Service übernehmen [Pressemitteilung des Unterneh-

mens v. 12.08.2003]. Bereits im Dezember 2003 wird angekündigt, den Bereich

Forschung und Entwicklung in Deutschland zu verkleinern. Betriebsbedingte Kün-

digungen werden nicht ausgeschlossen [Boerse.ard.de v. 05.12.2003]. Und im

Februar 2004 wird präzisiert, dass insgesamt 15 % der Entwicklerstellen in

Deutschland abgebaut würden. Ein Teil der abgebauten Stellen, nämlich der

Bereich technische Unterstützung für Kunden, werde nach Indien verlagert [FTD v.

12.02.2004].

Der größte deutsche IT-Dienstleistungskonzern, T-Systems, hat das Thema Off-

shoring bisher in der Öffentlichkeit weitgehend gemieden. Lediglich in einem

Interview des CEO Konrad Reiss mit der Computerwoche vom Februar 2003 wird

darauf verwiesen, dass das Unternehmen generell in Zukunft die »internationale

Lieferfähigkeit« erhöhen wolle. Dabei wolle man sich »in Zukunft (...) vorrangig an

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den Key Accounts orientieren und mit ihnen gemeinsam grenzüberschreitend

wachsen« [Computerwoche v. 28.03.2003] Geplante Offshoring-Maßnahmen stellt

er in einen direkten inhaltlichen Zusammenhang zum geplanten Kostensparpro-

gramm des Konzerns, mit dem allein in 2003 e 500 Mio. eingespart werden soll-

ten. Hier heißt es:

»Wir haben das Sparprogramm präzisiert. Zudem sind wir dabei, unsere Off-

shore-Strategie zu überdenken, um Kosten zu senken. Details kann ich hierzu

allerdings noch nicht nennen« [ebd.]

Bei den beiden genannten Unternehmen – Software AG und T-Systems – wird das

Thema Offshoring bisher in der öffentlichen Darstellung mit weit weniger Energie

betrieben als bei Siemens und SAP. Während Offshoring bei Siemens und SAP

strategische Bedeutung zu haben scheint und mit einem hohen politischen Auf-

wand in der Öffentlichkeit kommuniziert wird, wird dem Thema bei der Software

AG und T-Systems bisher offenbar eher eine Randbedeutung zugemessen.

US-amerikanische IT-Unternehmen

Eine besondere Situation finden wir in den US-amerikanischen Unternehmen

vor. Beispielhaft wird die Entwicklung bei IBM und EDS referiert. Diese werden als

weltweit tätige IT-Konzerne von den USA aus gesteuert. Die Tochtergesellschaften

in Deutschland sind ihrerseits Teil der Produktionsstrukturen in der Region Europa

und systematisch eingebunden in die Konzernstrukturen.

IBM betreibt seit vielen Jahren eine konsequente Internationalisierungsstrate-

gie und hat sich laut Auskunft des Yankee-Group-Analysten Andrew Efstathiou

seit 2001 auch im Dienstleistungsbereich verstärkt um eine Neueinstellung auf

die geänderten Anforderungen in diesem Bereich gekümmert [Computerwoche

v. 25.11.2002]. So war am 22.07.2003 in der New York Times zu lesen, dass IBM in

einem internen Conference Call die Absicht bekannt gegeben hat, zahlreiche

Arbeitsplätze bis zum Jahr 2015 in Offshore-Regionen, insbesondere Indien, zu

verlagern [Deloitte&Touche 2003].

Die Offshoring-Aktivitäten von IBM wurden in der US-amerikanischen Öffent-

lichkeit lange Zeit wenig beachtet und der Konzern bemühte sich auch nicht um

eine öffentlichkeitswirksame Kommunikation seiner Strategien. Ende 2003 gerät

IBM in den USA verstärkt in die öffentliche Debatte. Im Kontext einer zunehmen-

den öffentlichen Sensibilität für das Thema gelangen im November und Dezem-

ber interne Planungen, wonach der Konzern 3.000 [Pößneck 2004], nach anderen

Quellen sogar 4.730 Programmiererarbeitsplätze [Ernst 2004] nach Indien und

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China verlagern wolle, an die Öffentlichkeit. Im März 2004 wird bekannt, dass der

Konzern beabsichtigt, sein Entwicklungszentrum in Kalkutta von 1.800 Beschäftig-

ten bis Ende des Jahres 2004 auf 4.000 Beschäftigte aufzustocken. Dabei handelt

es sich vorwiegend um Beschäftigte, die dem Bereich Global Services zugeordnet

werden sollen. Mit dieser Aktion avanciert der Standort in Kalkutta nach Banga-

lore zum zweitgrößten in Indien [ebd.; Fiutak 2004]. Anfang April verlautet, dass

IBM den drittgrößten Outsourcinganbieter Indiens, die Firma Daksh e-services Ltd.

übernommen habe. Dieses Unternehmen beschäftigt insgesamt 6.000 Mitarbeiter

und befasst sich primär mit Call-Center-Dienstleistungen [finanznachrichten.de v.

07.04.2004].

Angesichts zunehmender öffentlicher Kritik bemüht sich das Unternehmen um

eine Entschärfung der Situation und kündigt kurz nach dem Bekanntwerden der

Auslagerungsbestrebungen an, im Jahr 2004 weltweit insgesamt 15.000 neue

Stellen zu schaffen. Randy McDonald, der Senior Vice President für Human Resour-

ces, kündigte an, dass

»von diesen 15.000 Stellen (...) 4.500 Stellen in den USA [geschaffen würden],

sodass wir dort mehr Mitarbeiter einstellen, als wir entlassen« [Pößneck 2004;

Ernst 2004].

Auch die deutsche Geschäftsführung hielt sich mit einer offensiven Medienpolitik

in Sachen Offshoring lange zurück. In öffentlichen Veranstaltungen verwiesen

Manager darauf, dass die Verteilung internationaler Produktionskapazitäten nicht

Angelegenheit der Ländergesellschaften, sondern der Zentrale in den USA sei.

Seit März 2004 allerdings gibt die deutsche Geschäftsführung ihre Zurückhaltung

auf und greift wahrnehmbarer in die öffentliche Debatte ein. So erklärt der Chef

von IBM Deutschland, Walter Raizner, in einem Interview mit der WELT auf die

Frage, ob auch die Arbeitsplätze von IBM-Programmierern in Deutschland von

Verlagerungen bedroht seien:

»Es gehört doch zum Wirtschaftsprozess dazu, dass die Produktion für ausge-

reifte Produkte nach einer Weile an kostengünstigere Standorte verlagert wird.

Deshalb besteht die Herausforderung darin, ständig neue Innovationen her-

vorzubringen. Wir sollten es aber nicht nur als Gefahr, sondern auch als

Chance betrachten. Wenn wir damit gute Geschäfte machen, haben wir auch

nichts zu befürchten« [Frühbrodt 2004].

Im gleichen Zeitraum verweist er auf die nach seiner Ansicht »schlechten Rah-

menbedingungen« am »Standort Deutschland«, die dazu geführt hätten, dass die

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IT-Branche im Jahr 2003 insgesamt rund 70.000 Arbeitsplätze verloren habe. Er

bemängelte, dass die Kosten in Deutschland einfach zu hoch seien [Computerwo-

che v. 23.03.2004], und sieht in »inflexiblen Arbeitsmarktgesetzen« eine wesentli-

che Ursache dafür [n-tv.de v. 23.03.2004].

EDS ist als großes IT-Outsourcing-Unternehmen in besonderer Weise mit Off-

shoring-Aktivitäten befasst. Dieses Unternehmen favorisiert eine konsequente

Strategie des weltweiten Sourcings und hat sich den Begriff des »Best Shore« als

Trademark gesichert. Die Best-Shore-Initiative wurde Ende 2002 von dem Konzern

als Moment eines internationalen Konsolidierungskonzepts publik gemacht

[Computerwoche v. 25.11.2002]. Anders als viele andere Unternehmen trägt EDS

diese Strategie seitdem offensiv in die Öffentlichkeit.

Das Best-Shore-Programm von EDS gilt laut Unternehmensangaben als »welt-

weite Einkaufsstrategie« und zielt auf eine systematische Kombination von »On-

shore-«, »Nearshore-« und »Offshore«-Ressourcen, um Kunden »rund um die Uhr«

Zugang zu einem breiten Spektrum weltweiter Ressourcen zu bieten. Weltweit

verfügt das Unternehmen über 25 »Best-Shore-Standorte« mit insgesamt 9.000

Mitarbeitern. Die Unternehmensplanungen sehen vor, dass bis Ende 2005 insge-

samt 20.000 Beschäftigte in diesem Servicenetzwerk beschäftigt sind [Pressemit-

teilung von EDS v. 19.05.2004].

Als eine wichtige »Schaltstelle« des europäischen Business-Process-Outsour-

cing-Geschäfts gilt seit diesem Jahr Ungarn. Das Service Center in Budapest

wurde im Jahr 2004 eröffnet. Damit stieg die Beschäftigtenzahl in Ungarn von 100

auf 300; sie soll bis Ende des Jahres auf 700 bis 1.000 Mitarbeiter ausgebaut wer-

den [Fryba 2004].

U n t e r s c h i e d e u n d G e m e i n s a m k e i t e n d e s E n t w i c k l u n g s -

s t a n d s u n d d e r O r i e n t i e r u n g e n d e r O f f s h o r e - S t r a t e g i e n

Alle hier dargestellten Unternehmen folgen dem oben dargestellten neuen

Muster der Internationalisierung ihrer Produktionskapazitäten. Sie bauen die

Standorte in den Off- und Nearshore-Regionen aus und versuchen sie in ihre

internationalen Produktionsstrukturen zu integrieren. Dabei ist bei allen IT-Kon-

zernen eine multiple Zielsetzung dieser Entwicklung in den Strategien zu bemer-

ken, die zu unterschiedlichen, sich z.T. widersprechenden Orientierungen führt.

Hinsichtlich der weiteren Entwicklung der Unternehmenskonzepte in Fragen der

Internationalisierung und des Offshorings lässt sich aus den veröffentlichten

Unternehmensplanungen kein klares Bild gewinnen. Die Unternehmen changie-

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ren zwischen unterschiedlichen Zielstellungen und strategischen Konzepten. Der

Prozess der Strategiebildung hat offensichtlich noch keinen Abschluss gefunden.

Idealtypisch lassen sich verschiedene Konzepte identifizieren. Diese finden sich

in der Realität der Unternehmen selten in Reinkultur, sondern meist in einem je

spezifischen Mischungsverhältnis:

Im ersten Konzept geht es um den möglichst reibungslosen Ausbau von inter-

nationalen Produktionskapazitäten und die Erschließung internationaler

Märkte. Zu dieser Strategie gehört, dass die Ausweitung der Produktionskapa-

zitäten in den Niedriglohnregionen nicht primär als »Offshoring-Strategie«

kommuniziert wird, sondern als sinnvolle Ergänzung zu den Produktionskapa-

zitäten in den Hochlohnregionen. Im Zentrum steht hier nicht die Verlagerung

von Arbeitsplätzen, sondern die Schaffung funktionierender internationaler

Produktionsstrukturen unter optimaler Nutzung der Ressourcen in den einzel-

nen Standorten. Dieses Konzept ist naturgemäß um eine Minimierung der »Rei-

bungsverluste« bemüht und hebt die Nettowohlfahrteffekte einer solchen Stra-

tegie hervor.

Ein dem entgegengesetztes zweites Konzept interpretiert die Internationalisie-

rungsstrategie in erster Linie als Auslagerungsstrategie. Dieses Vorgehen sieht

im Offshoring vor allem die Verlagerung von Arbeitsplätzen in Niedriglohnre-

gionen zum Zwecke der Kostensenkung bzw. Gewinnsteigerung und einer

damit erhofften Steigerung des Unternehmenswerts. Dieses Konzept wird häu-

fig als zwingend erforderliche Reaktion auf den Druck des Marktes oder der

Börse dargestellt. Arbeitsplatzverluste in den Hochlohnregionen werden offen-

siv in Kauf genommen und als betriebswirtschaftlich zwingend notwendig

interpretiert.

Ein drittes Konzept zielt gar nicht auf die Internationalisierung der Produkti-

onsstrukturen, sondern auf die Verbesserung der Kostenstrukturen am »Wirt-

schaftsstandort Deutschland« selbst. Offshoring ist demnach auch kein strate-

gisches Ziel, sondern erscheint lediglich als ultima ratio für den Fall, dass die

Beschäftigten sowie deren Interessenvertreter und die Gewerkschaften nicht

bereit sind, substanzielle Zugeständnisse bei Lohn- und Arbeitszeitregelungen

zu machen.

Alle genannten IT-Unternehmen changieren bei der Kommunikation ihrer

Strategien zwischen diesen drei Konzepten. Dabei ist auffällig, dass auf Seiten der

deutschen Unternehmen – (vielleicht) mit Ausnahme von SAP – die kommunizier-

ten Strategien eher zwischen den Polen des zweiten (Verlagerung) und dritten

Konzepts (Verbesserung der Kostenstrukturen am Standort) oszillieren, während

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die US-amerikanischen Unternehmen ihre Strategien mehr im Sinne des ersten

Konzepts als additive Erweiterung ihrer Produktionskapazitäten in den Off- und

Nearshore-Regionen kommunizieren.

Dies lässt sich auf Unterschiede im Entwicklungsstand und in den spezifischen

Voraussetzungen der Konzerne zurückführen. Das Thema Offshoring wurde aus

den USA in die deutsche IT-Industrie gebracht. A.T. Kearney nehmen an, dass der

Offshore-Anteil in den USA bereits bei 20 % liege, während sie den gleichen Wert

in Deutschland auf 5 % schätzen. Es ist daher davon auszugehen, dass die US-

amerikanischen Unternehmen bereits einen höheren Anteil an Offshore-Aktivitä-

ten haben und über mehr Erfahrungen im Umgang mit der Nutzung von Produk-

tionskapazitäten in Offshore-Regionen verfügen. Hinzu kommt, dass die US-ame-

rikanischen IT-Unternehmen im IT-Dienstleistungsmarkt in der Welt eine beherr-

schende Stellung haben.23

Die Strategiebildung bei den US-amerikanischen Unternehmen vollzieht sich

darüber hinaus in einem anderen politischen Umfeld als die der deutschen IT-

Unternehmen. In den USA haben der Offshoring-Boom und insbesondere die Pro-

gnosen zur Verlagerung von Arbeitsplätzen in Niedriglohnregionen zu weit inten-

siveren politischen Reaktionen geführt als in Deutschland. Nicht zuletzt im Umfeld

des US-amerikanischen Wahlkampfs wird das Thema kontrovers diskutiert. Dabei

überwiegen in der öffentlichen Meinung deutlich protektionistische Forderungen

[vgl. Schwemmle in diesem Band]. Das Thema ist insgesamt ein heißes Eisen in

den USA. Die Konzerne stehen daher bei geplanten Verlagerungen unter einem

hohen öffentlichen Druck.

Sowohl der Erfahrungsvorsprung US-amerikanischer Konzerne als auch der

höhere politische Druck in der Öffentlichkeit ihrer Heimatbastion mögen mit dazu

geführt haben, dass IBM und EDS den Begriff »Offshoring« meiden. Bei IBM spricht

man stattdessen lieber von »Global Sourcing« und bei EDS von »Best Shore«. In

beiden Fällen handelt es sich um mehr als einen semantischen Unterschied zu

dem in Deutschland gebräuchlichen Begriff der Auslagerung. Die Begriffswahl

scheint im Vergleich zu der in Deutschland gebräuchlichen Begriffsverwendung

72

23 So berichtet Gartner, dass IBM im Jahr 2003 der Spitzenreiter mit IT-Dienstleistungsumsätzen von42,6 Milliarden Dollar war und ein Umsatzplus von 6,2 % verzeichnete. Der IBM-Anteil am globalenIT-Dienstleistungsmarkt blieb unverändert bei 7,5 %. Nach IBM folgten die US-Firma EDS mit 21,1Milliarden Dollar IT-Dienstleistungsumsatz, die japanische Firma Fujitsu mit 16,1 Milliarden Dollar,Computer Sciences mit 12,7 Milliarden Dollar, Hewlett-Packard mit 12,5 Milliarden Dollar, Accenturemit 12,2 Milliarden Dollar, Lockheed Martin mit 7,6 Milliarden Dollar, Northrop Grumman mit 7,4 Mil-liarden Dollar, Automatic Data Processing mit 7,2 Milliarden Dollar und die japanische Firma Hitachimit 7,1 Milliarden Dollar [Handelsblatt v. 22.06.2004].

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auf einen tiefer gehenden Unterschied in der öffentlichen Darstellung der jeweili-

gen Strategien schließen zu lassen. Während deutsche Unternehmen bewusst

oder unbewusst eher die Auslagerung und damit das Bestreben nach einer »Ver-

lagerung von Arbeitsplätzen« aus Kostengründen in den Mittelpunkt stellen,

fokussieren die beiden US-amerikanischen Unternehmen das effiziente Sourcen

in weltweiten Produktionsnetzwerken. Im ersten Fall bestimmt die Drohung von

Auslagerungen die öffentliche Kommunikation, im zweiten eine (vermeintlich)

rationale unternehmerische Strategie im Umgang mit der Internationalisierung

von Produktionsstrukturen im IT-Dienstleistungsbereich. Während deutsche

Unternehmen mit ihren Offshoring-Aktivitäten zugleich immer auch bestrebt

sind, die »Standortbedingungen« in Deutschland in ihrem Sinne mit zu beeinflus-

sen, verzichten die US-amerikanischen Unternehmen weitgehend auf diese Dop-

pelstrategie.

Dies erklärt sich aus den unterschiedlichen Produktionsstrukturen, welche die

Konzerne bisher aufgebaut haben. Die US-amerikanischen Konzerne sind schon

seit Jahren damit befasst, ihre Produktionskapazitäten im internationalen Maß-

stab über Ländergrenzen hinweg zu bündeln und diese je nach strategischen

Erfordernissen und Kostenerwägungen regional zu verteilen. Die deutschen IT-

Unternehmen haben zwar eine weltweite Vertriebsstruktur aufgebaut, verfügen

aber keineswegs über systematisch ausgebaute internationale Produktionsstruk-

turen. Die US-amerikanischen Unternehmen haben ihre Heimatbasis und ihre

wichtigsten Produktionskapazitäten nicht in Deutschland, während die deutschen

IT-Unternehmen weiterhin einen Großteil ihrer Produktionskapazitäten hier vor-

halten. Diese verschiedenen Voraussetzungen begründen Unterschiede in der

strategischen Orientierung.

In den großen US-amerikanischen IT-Unternehmen wird der Weltkonzern in drei

große Regionen (Amerika, Europa, Asien) unterteilt und diese wiederum in Teilregio-

nen. Die Produktionskapazitäten des gesamten Konzerns werden mit einer einheitli-

chen Strategie in enger Anbindung an die Konzernzentrale gesteuert. Aus Sicht der

Konzernspitze gibt es keinen Standort »Deutschland«, sondern lediglich den Pro-

duktionszusammenhang der Region »Europa«. Dieser bildet einen systemisch inte-

grierten Produktionsverbund. Innerhalb dessen werden Produktionskapazitäten

von der Konzernzentrale nach strategischen Erwägungen verteilt. Die Konzerne

haben in den letzten zehn Jahren eine grundlegende Veränderung des Steuerungs-

mechanismus innerhalb des Unternehmens durchgesetzt. Hatten die Ländergesell-

schaften bis Anfang der 90er-Jahre ein vergleichsweise hohes Maß an Selbststän-

digkeit bei der Entscheidung, wurde diese seitdem systematisch zurückgenommen.

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Die großen US-amerikanischen Konzerne werden mittlerweile straff von der Zen-

trale aus gesteuert. Insbesondere Standortentscheidungen werden dort gefällt. Bei

der Vergabe von Aufgabenbereichen in einer Region können sich die jeweiligen

Ländergesellschaften bewerben und die Konzernzentrale fällt die Entscheidung, wo

ein Aufgabenbereich örtlich angesiedelt wird.

Dies hat zwei wesentliche Konsequenzen. Einmal ist das Thema »Produktions-

verlagerungen nach Kostengesichtspunkten« geradezu zwingend in diesen syste-

misch organisierten Produktionsstrukturen angelegt. Die Experten in diesen

Unternehmen beobachten daher schon seit Jahren Prozesse der kostenorientier-

ten Standortfindung. Neu ist lediglich, dass nun verstärkt Produktionskapazitäten

in Osteuropa in den europäischen Produktionsverbund integriert werden. Zum

zweiten setzen in diesen Unternehmen die Standortentscheidungen zwischen

Hoch- und Niedriglohnregionen auf einem anderen Niveau der Ausdifferenzie-

rung der Produktionsstrukturen auf. Im Kontext der systemisch organisierten

regionalen Produktionsverbünde hat im Zuge des konzerninternen permanenten

»Bereinigungsprozesses« längst eine Verteilung nach örtlich gebundenen und

potenziell verlagerbaren Aufgaben und eine diesem Muster entsprechende Kon-

zentration der Aufgabenbereiche stattgefunden. In der Konsequenz wurden Pro-

duktionskapazitäten in den Bereichen Hardware und Software längst aus

Deutschland abgezogen. Übrig blieben die kundennahen Beratungs- und Ent-

wicklungsaufgaben. Daher ist das »Verlagerungspotenzial« in diesen Unterneh-

men insbesondere in den Bereichen Software-Entwicklung und Programmierung

weit geringer als in den übrigen Unternehmen, welche bisher noch keine konse-

quente Internationalisierungsstrategie realisiert und ihre Produktionskapazitäten

zum größten Teil in Deutschland angesiedelt haben.

Das Muster der Offshore-Aktivitäten bei den deutschen IT-Unternehmen stellt

sich demgegenüber anders dar. Hier müssen die systemisch integrierten interna-

tionalen Produktionsstrukturen erst aufgebaut werden, während die Unterneh-

men der ersten Gruppe ihre bestehenden und über Jahre eingespielten Produkti-

onsverbünde lediglich um Standorte in Osteuropa und Asien erweitern müssen.

Darüber hinaus müssen Prozesse der Differenzierung der Aufgaben in Gang

gesetzt werden, um potenziell verlagerbare und örtlich gebundene Aufgabenbe-

reiche unterscheiden zu können. Um diese dann in örtlich verteilten Produktions-

strukturen handhaben zu können, bedarf es umfassender Umstrukturierungen

beim Controlling und bei der Steuerung der Prozesse, welche in den Unterneh-

men der ersten Gruppe bereits über Jahre angelegt sind. Dies hat zur Konse-

quenz, dass in den deutschen Unternehmen im Zuge des neuen Schubs der Inter-

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nationalisierung ein weit größerer Anteil von Arbeitskräften in Deutschland unter

den Druck des »Weltarbeitsmarkts« gesetzt wird als in den US-amerikanischen

Konzernen. Dies betrifft insbesondere die kundenfernen Bereiche in der Software-

Entwicklung.

Insgesamt agieren also die großen US-amerikanischen und deutschen IT-

Unternehmen vor dem Hintergrund unterschiedlicher Ausgangsvoraussetzungen.

Diese verschaffen den Konzernen je verschiedene Möglichkeiten der Internatio-

nalisierung und lassen verschiedene Konzepte des Umgangs mit Offshoring plau-

sibel erscheinen. Die daraus resultierende stärkere Betonung des Aspekts der

Arbeitsplatzverlagerung bei den deutschen IT-Unternehmen und die prononcier-

tere Forderung nach einer Senkung des Tarifniveaus in Deutschland erhält vor

diesem Hintergrund eine gewisse Plausibilität. Zugleich birgt eine so geartete

Interpretation der Internationalisierungsstrategie allerdings sehr hohe Risiken für

die deutschen IT-Unternehmen. Denn solange sie in der BRD ihre Heimatbasis

haben, kann ein Verlust an Akzeptanz seitens der Belegschaft und der zentralen

Akteure in der Gesellschaft zu weit reichenden Konsequenzen führen. Diese

Gefahr ist für die US-amerikanischen Unternehmen, zumindest mit Blick auf den

deutschen Standort, deutlich geringer.

D E TA I L A N A LY S E V O N O F F - U N D N E A R S H O R E - A K T I V I T Ä T E N

In dem nun folgenden zweiten Teil der Analyse wird die Perspektive gewechselt.

Hier ist zu klären, welche Wirkung die Offshoring-Bestrebungen in unterschiedli-

chen IT-Unternehmen real entfalten. Dabei geht es um eine detaillierte Einschät-

zung des Entwicklungsstands sowie der Folgen, welche diese Bestrebungen bis-

her für die Beschäftigten haben. Im Mittelpunkt dieses Teils stehen Expertenge-

spräche mit Arbeitnehmervertretern und Managern aus elf unterschiedlichen

Unternehmen. Anders als im vorherigen Teil, der sich ausschließlich auf öffentlich

zugängliche Dokumente stützte, werden die Ergebnisse dieses Teils anonymisiert

dargestellt.

Z u m S t a n d d e r O f f s h o r e - A k t i v i t ä t e n

Das Thema Offshoring hat in den untersuchten Unternehmen eine deutliche

Resonanz gefunden. Resümiert man die Erfahrungen der befragten Experten, so

wird deutlich, dass allenthalben Initiativen in den IT-Unternehmen gestartet sind,

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die in einigen Unternehmen bereits deutliche Wirkungen entfalten. Deutlich wird

aber auch, dass die Offshoring-Entwicklung sich in den meisten der hier unter-

suchten großen und mittelgroßen Software- und IT-Dienstleistungsunternehmen

erst in den Anfängen befindet.

Ouver türe eines strukturellen Wandels

Alle befragten Experten gehen davon aus, dass die Unternehmen erst am

Beginn einer Veränderung stehen und dass die momentan konstatierbaren kon-

kreten Offshore-Aktivitäten erst der Anfang eines grundlegenden Wandels in der

IT-Industrie sind. Einhellig herrscht die Meinung vor:

»(...) Offshore (...), das ist ein Thema, das strukturell auf uns zukommen wird«

[Experte I.].

Im Gegensatz zu den ersten Versuchen in den 80er-Jahren hält man jetzt die Zeit

für gekommen, das Thema Offshoring nachhaltig umzusetzen. Ein Personalleiter

reflektiert:

»(...) in den 80er-Jahren sind viele gegangen und sind dann mit blutenden

Nasen zurückgekommen, weil die Qualität, die Produktivität, das alles nicht

gepasst hat. Aber die haben jetzt aufgeholt. Ich habe ja auch viele Personallei-

ter-Kollegen, mit denen ich mich unterhalte darüber. Die Qualität hat wirklich

aufgeholt. Insofern können Sie ruhigen Gewissens Themen rübergeben, jetzt

nicht unbedingt nach Polen oder so, aber in den Ländern, wo eben das Niveau

schon erreicht ist, wo Sie die Themen gut hingeben können« [Experte R.].

Die Indizien einer sich anbahnenden strukturellen Veränderung sind eindeutig:

In allen Unternehmen gewinnen die Produktionsstandorte in Osteuropa und

Asien an Gewicht. Sie werden verstärkt ausgebaut und für die Übernahme von

Aufgaben, die bisher in Hochlohnländern erbracht wurden, vorbereitet.

Zugleich werden an den deutschen Standorten Prozesse der Selektion in orts-

gebundene und nicht-ortsgebundene Tätigkeiten in Gang gesetzt und vielfäl-

tige Maßnahmen zur differenzierten Kostenanalyse intensiviert. Diese betreffen

sämtliche relevanten Tätigkeitsbereiche der IT-Unternehmen.

Das Management der Prozesse wird so umstrukturiert, dass kundennah bzw.

ortsgebunden zu erbringende Aufgaben und offshore durchgeführte Aufga-

ben als einheitliche Prozesse gesteuert werden können. Dazu werden verlager-

bare Aufgaben zunächst in Deutschland zentralisiert, um sie dann im nächsten

Schritt in ein Niedriglohnland vergeben zu können.

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Aufbauend auf diesen Entwicklungen finden sich in allen Unternehmen Bestre-

bungen, in Off- und Nearshore-Regionen verfügbare Produktionskapazitäten

zu nutzen. Dabei handelt es sich in der Mehrzahl der Unternehmen noch um

Pilotprojekte, mit denen Erfahrungen gesammelt werden sollen. Einige Unter-

nehmen verfügen aber bereits über genügend Erfahrungen, um die Offshore-

Aktivitäten strategisch integrieren zu können.

Insgesamt, so die Generaleinschätzung der Experten, befinden sich die IT-Unter-

nehmen hinsichtlich der Realisierung ihrer Offshoring-Konzepte (mit gewissen

Unterschieden im Entwicklungsstand) am Beginn eines Take-off-Stadiums. Nach

gescheiterten Versuchen in den 80er- und 90er-Jahren deutet sich nun bei großen

und mittleren Unternehmen eine neue Phase der Internationalisierung und der

gezielten Nutzung der Produktionskapazitäten in Offshore-Regionen an. Im Mit-

telpunkt dieser Bestrebungen steht die systemische Nutzung international verteil-

ter Ressourcen unter konsequenter Ausnutzung der Kapazitäten in den Nied-

riglohnregionen Osteuropas und Asiens.

Dabei verfolgen die IT-Unternehmen allesamt Offshoring-Konzepte, die auf die

Nutzung eigener Produktionskapazitäten in den Niedriglohnregionen setzen. In

keinem der hier untersuchten Unternehmen wurde eine Strategie des Offshore-

Outsourcings unter Nutzung beauftragter fremder Dienstleister gewählt. Mit

anderen Worten: Das in Anwenderunternehmen mit Vorrang betriebene Offshore-

Outsourcing, welches auch die Begriffsverwendung in der Öffentlichkeit bisher

prägt, hat in den IT-Unternehmen keine Bedeutung. Offshoring kommt hier aus-

schließlich in Form der Nutzung eigener Produktionskapazitäten in Off- und

Nearshore-Regionen zum Tragen.

Die großen, international tätigen Konzerne nutzen oft Produktionsstandorte in

Indien oder Osteuropa, die bereits in den 90er Jahren gegründet wurden. Diese

werden z.Zt. schnell ausgebaut und in die Offshoring-Strategien der Unterneh-

men integriert. Unternehmen, die bisher noch kein Entwicklungszentrum in

Indien hatten, haben dies im Verlauf des letzten Jahres gegründet. Dabei handelt

es sich bei den Organisationen in den Niedriglohnregionen durchweg um Unter-

nehmen, die eigentumsrechtlich unter der Kontrolle der jeweiligen Konzerne ste-

hen. Dies sind Tochterunternehmen oder Joint-Venture-Unternehmen mit einhei-

mischen IT-Dienstleistern unter der Dominanz der IT-Unternehmen in den Hoch-

lohnregionen.

Diese in den IT-Unternehmen praktizierte Form des Offshorings unterscheidet

sich fundamental von der in den Anwenderunternehmen praktizierten. Während

diese bestimmte Aufgaben in der Regel auslagern und von spezialisierten Dienst-

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leistern ausführen lassen, sind die IT-Unternehmen bestrebt, die organisationelle

Kontrolle über ihre Offshore-Aktivitäten zu behalten. Sie lagern sie daher nicht

aus, sondern lassen sie von konzerneigenen Tochterunternehmen oder Joint-Ven-

ture-Unternehmen in den Niedriglohnregionen ausführen. Dies ist mit Blick auf

die Stellung der IT-Dienstleistungsunternehmen im System der gesellschaftlichen

Arbeitsteilung verständlich. Denn was für die Anwenderunternehmen außerhalb

ihrer definierten Kernkompetenz liegt, sind für die IT-Dienstleister Aufgaben, die

gerade ihre Kernkompetenz ausmachen. Die Bewältigung von Aufgaben in Nied-

riglohnregionen ist für sie daher ein strategisches Lernfeld, um Kundenaufträge in

diesem Bereich erfolgreich durchführen zu können. Zwar mag es durchaus vor-

kommen, dass IT-Dienstleister den einen oder anderen Auftrag an Fremdunter-

nehmen weitervermitteln oder auch bei der Abwicklung von administrativen Auf-

gaben auf Dienstleister zurückgreifen.24 Doch dabei sind sie – ähnlich wie das

heute bereits bei der Einbindung von Subunternehmen oder Freelancern

geschieht – stets bestrebt, die strategische Kontrolle über die Prozesse nicht aus

der Hand zu geben und sich somit das Lernfeld »Offshoring« zu erhalten.

Ausbau der Produktionsstandor te in Osteuropa und Asien

In allen untersuchten Unternehmen wurden in den letzten Jahren die Produk-

tionskapazitäten in den Off- und Nearshore-Regionen gezielt ausgebaut. Für die

großen Unternehmen liegt ein Schwerpunkt im Ausbau der Standorte in Indien.

Hier werden vornehmlich Software-Entwicklungskapazitäten angesiedelt. Einen

besonderen Stellenwert haben darüber hinaus Standorte in den Nearshore-

Regionen Osteuropas. Dies gilt für große und mittlere Unternehmen gleicher-

maßen. Hierbei handelt es sich ebenfalls um Kapazitäten im Bereich der Software-

Entwicklung, darüber hinaus aber auch um die Abwicklung administrativer Aufga-

ben im kaufmännischen Bereich sowie im Personalwesen (Gehaltsabrechnung,

Belegerfassung, Kreditoren- und Debitorenbuchhaltung) sowie in der Kundenbe-

treuung (First-Level-Service, Auftragssachbearbeitung, Rechnungsstellung etc.).

Das Personal in diesen Standorten wird gegenwärtig verstärkt auf die Über-

nahme von Aufgaben vorbereitet. Software-Entwickler in Indien werden von

deutschen Trainern geschult. Beschäftigte unterschiedlicher Aufgabenbereiche

machen sich in den Mutterunternehmen in Deutschland mit den Prozessen und

Aufgaben vertraut.

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24 Die Fremdvergabe von Aufträgen ist bei IT-Unternehmen, anders als bei Anwenderunternehmen, einRandphänomen. Beispielsweise übernimmt die indische Siemens-Tochter SISL nach eigenen Anga-ben auch Aufträge von IBM oder SAP.

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Diese Entwicklungen werden in einigen Unternehmen mittlerweile von den

Vorständen offen als ein wichtiges Moment einer neuen Internationalisierungs-

strategie kommuniziert. In anderen Unternehmen wird noch offen gelassen, wel-

ches Entwicklungspotenzial hier erschlossen und welche Strategie hier verfolgt

wird, sodass beispielsweise die Arbeitnehmervertreter oft auf Mutmaßungen hin-

sichtlich der weiteren Entwicklung angewiesen sind.

Vergleichsweise offen werden die Wachstumsziele für die Entwicklungsstan-

dorte in Indien kommuniziert. Diese sollen nach Aussagen der Experten beschleu-

nigt ausgebaut werden. Angestrebte Wachstumsraten der Beschäftigtenzahlen

von 50 bis 100 % sind hier keine Seltenheit, sodass in Zukunft ein relevanter Anteil

der Entwicklungskapazitäten von bis zu 30 % in Indien und anderen asiatischen

Regionen angesiedelt sein soll.

Weniger transparent sind die Vorhaben hinsichtlich der osteuropäischen

Nearshore-Regionen. Zwar wird allenthalben berichtet, dass auch diese Standorte

weiter wachsen sollen, genauere Planungen wurden aber in keinem Unterneh-

men vorgelegt.

Zusammengefasst: Ein wichtiger Baustein der Offshoring-Konzepte der IT-

Unternehmen ist der Auf- und Ausbau eigener Produktionskapazitäten in den

Niedriglohnregionen. In allen untersuchten Unternehmen wurden die Aktivitäten

diesbezüglich in den letzten zwei Jahren deutlich gesteigert. Sowohl in Asien (und

hier insbesondere in Indien, aber z.T. auch in China) als auch in Osteuropa und

Russland werden die dortigen Tochterunternehmen und Joint-Ventures ausge-

baut und die Beschäftigten an diesen Standorten qualifiziert. Das Ausmaß dieser

Entwicklung ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt oft noch nicht transparent. Gleich-

wohl gehen alle Gesprächspartner davon aus, dass der beobachtbare Auf- und

Ausbau von Produktionsstandorten in Osteuropa und Asien der Beginn einer tief-

greifenden Veränderung sein wird.

Ausdifferenzierung und Zentralisierung von Tätigkeitsbereichen

Ein zweiter relevanter Prozess im Kontext der Offshore-Aktivitäten der IT-

Unternehmen ist die Ausdifferenzierung der Aufgaben- und Tätigkeitsbereiche

nach der Maßgabe »örtlich gebunden« oder »potenziell verlagerbar« und die Zen-

tralisierung aller verlagerbaren Tätigkeiten. Dieser Prozess der Ausdifferenzierung

und Zentralisierung wird gegenwärtig in allen untersuchten Unternehmen betrie-

ben.

Für die Identifikation verlagerbarer Tätigkeiten wird die Trennung in »back-

office« und »front-office« als Kriterium der Differenzierung genutzt. Als front-

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office-Tätigkeiten gelten alle kundennahen Funktionen, die als vergleichsweise

ortsgebunden eingeschätzt werden. Die back-office-Tätigkeiten stehen demge-

genüber in keinem direkten Kundenkontakt und gelten als potenziell nicht orts-

gebunden. Ein Personalleiter erläutert dieses Konzept:

»Und im Moment ist ja absolut modern, back-office und front-office zu tren-

nen. Also alles, was kundenrelevant ist, bleibt natürlich vor Ort zu hohen Prei-

sen. Und alles, was im Hintergrund passieren kann, wird gebündelt und

irgendwo auf die Welt gestellt« [Experte R.].

Die als verlagerbar klassifizierten Tätigkeiten werden in der Regel nicht sofort ins

Ausland verlagert. Stattdessen verfolgen die Unternehmen insbesondere bei

komplexeren Geschäftsprozessen eine Zwei-Schritt-Strategie. In einem ersten

Schritt werden alle verlagerbaren Tätigkeiten eines bestimmten Aufgabengebiets

an einem deutschen Produktionsstandort zentralisiert, um sie dann im zweiten

Schritt in ein Niedriglohnland verlagern zu können. Ein Personalleiter erläutert

dieses zweischrittige Verlagerungskonzept:

»Also ich will jetzt kein Gerücht entstehen lassen, es ist ja hier anonym, also es

wird in Deutschland erstmal gebündelt, und das ist auch die offizielle Verlaut-

barung, aber alles was back-office ist, kann gebündelt werden und irgendwo

in der Leistungserbringung aufgestellt werden. Und das weiß ich nicht, wie wir

das in Deutschland aufhalten wollen, weil uns einfach die Flexibilität fehlt«

[Experte R.].

Das hier erläuterte zweischrittige Konzept scheint bei der Realisierung von Off-

shoring-Konzepten allgemein angewandt zu werden. Die Ausdifferenzierung der

Tätigkeitsbereiche nach ihrer Ortsgebundenheit und die Zentralisierung von

nicht ortsgebundenen Tätigkeitsbereichen sind demnach zwei untrennbar mit-

einander verbundene Vorbereitungsmaßnahmen im Rahmen der Offshoring-Akti-

vitäten.

Die Ausdifferenzierung in ortsgebundene und nicht-ortsgebundene Tätigkei-

ten wird nicht entlang bestehender Abteilungsgrenzen vorgenommen. Vielmehr

erfolgt in jedem Aufgabenbereich eine entsprechende Selektion. Das Konzept der

Selektion wird gegenwärtig potenziell auf alle Tätigkeitsbereiche angewandt. So

werden beispielsweise kundennahe Beratungs- und Entwicklungsprojekte nicht

umstandslos als ortsgebunden klassifiziert, sondern vielmehr die einzelnen Tätig-

keitsbereiche innerhalb dieser Projekte selektiv analysiert. Auch wenn ein Großteil

der Projekte kundennah und damit ortsgebunden erbracht werden muss, können

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dennoch klar spezifizierbare Programmieraufgaben identifiziert werden, die nicht

zwingend ortsgebunden sind und daher, wenn sie eine bestimmte kritische

Masse erreichen, durchaus an Niedriglohnstandorten durchgeführt werden kön-

nen.

Um ortsgebundene und nicht-ortsgebundene Tätigkeiten differenzieren zu

können, wird in einigen Unternehmen auf das Konzept des »selbstorganisierten«

Agierens der Beschäftigten im Rahmen von Zielvorgaben gesetzt [vgl. Boes, Bau-

krowitz 2002]. Hier macht das Management beispielsweise die Vorgabe, dass 20 %

eines Aufgabenbereichs als verlagerbar identifiziert werden sollen, und überlässt

es den Beschäftigten sowie den unteren Vorgesetzten, diese Tätigkeiten zu identi-

fizieren und für eine Auslagerung vorzubereiten [Experte Z.]. Die Differenzierung

in ortsgebundene und nicht-ortsgebundene Tätigkeiten an den »shop floor« zu

delegieren scheint durchaus sinnvoll, denn häufig ist dies ein sehr vorausset-

zungsreiches Unterfangen, das sich »von außen« nur schwer bewerkstelligen lässt.

Eine solche Vorgabe erzeugt, auch wenn sie von den betroffenen Führungskräften

im Einzelfall für nicht durchführbar gehalten wird, einen perfiden Legitimations-

druck in den einzelnen Abteilungen und bewirkt in aller Regel eine Veränderung

in die vom Vorstand gewünschte Richtung. Der damit verbundene Anpassungs-

druck wirkt sich nicht nur auf die Führungskräfte eines Unternehmens aus. Diese

geben den Druck vielmehr an die IT-Dienstleister weiter. Den Zusammenhang

beschreibt eine Führungskraft aus dem Consultingbereich eines großen IT-Unter-

nehmens wie folgt:

»Also, wir hatten jetzt so einen Fall gehabt bei einem Großkunden. Dieser Kon-

zern hat gesagt: ‚Alles was Entwicklung ist, machen wir offshore, müssen da

Geld sparen, generell 20 %!’ So, und da muss jetzt jedes Werk, jede Außenstelle

muss, wenn sie Entwicklung hat, muss jetzt begründen, warum sie das viel-

leicht nicht offshore macht, also da kommt richtig Druck rein« [Experte S.].

Die mit den Aufgaben befassten Beschäftigten und zuständigen Führungskräfte

sind allerdings häufig skeptisch, ob das vom oberen Management gestellte Ziel

ohne weiteres zu erreichen ist. Dies trifft zuallererst für die Projektleiter und Mitar-

beiter in Software-Entwicklungsprojekten zu. Hier wird darauf verwiesen, dass

schon das örtlich verteilte Arbeiten von Entwicklerteams innerhalb Deutschlands

oft zu großen Schwierigkeiten geführt habe, sodass beispielsweise Standardsoft-

ware-Unternehmen ihre mit einer gemeinsamen Aufgabe betrauten Teams

bewusst wieder an einem Ort zusammengefasst hätten [Experte X.]. Die Arbeit-

nehmervertreter aus verschiedenen Standardsoftware-Unternehmen berichten,

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dass die Experten aus der Software-Entwicklung auf vielfältige Probleme hinwei-

sen [Experte A.].

Die Skepsis hinsichtlich der Differenzierbarkeit verlagerbarer und nicht-verla-

gerbarer Tätigkeiten wird aber auch von den Führungskräften und Mitarbeitern

aus den administrativen Bereichen, deren Aufgaben allgemein als vergleichsweise

leicht verlagerbar gelten, vorgetragen. So erläutert beispielsweise ein Abteilungs-

leiter aus dem kaufmännischen Bereich seine Bedenken wie folgt:

»Theoretisch ist es [die Verlagerung von administrativen Tätigkeiten; A.B.]

machbar, wobei man sich halt die Prozesse ansehen muss. Man muss sich an

der Prozesskette vorbeihangeln und muss sagen ‚Was kann ich da rauslösen,

was kann ich da nicht rauslösen?’ Ich habe immer Probleme, wenn ich einen

Prozess habe und ich baue da noch eine Schnittstelle ein, weil damit wird der

Prozess unterbrochen und immer wenn er unterbrochen wird, muss das Wis-

sen, das einer im Kopf hat, auf einen anderen übertragen werden, der es auch

im Kopf hat. Und wir sind noch nicht so strukturiert wie in der Automobilin-

dustrie, dass man sagen kann: ‚Schnitt – Nächster ist dran’. So einfach ist das

bei uns nicht. (...) Sicherlich gibt es Möglichkeiten, im Ausland gewisse Tätig-

keiten, einfach aufgrund des Lohngefälles, günstiger zu machen. (...) Ob ich

dann immer so flexibel bin, was ja auch eine Stärke von Unternehmen ist, dass

man schnell handlungsfähig ist, das wage ich zu bezweifeln. Weil dann muss

ich jedesmal die Prozesskette wieder ändern. (...) Also, sicherlich kann man

viele Sachen outsourcen. Ob es wirklich unterm Strich letztendlich was bringt?

Ich habe da so meine Bedenken. Dafür bin ich lange genug dabei. Ich verteu-

fele es nicht, ich habe nur meine Bedenken« [Experte U.].

Sowohl Mitarbeiter als auch Führungskräfte wähnen sich in einer Zwickmühle. Sie

wissen um den »Druck des Marktes und der Kunden« und haben auch zur Kennt-

nis genommen, dass das obere Management verstärkten Druck in Sachen Off-

und Nearshoring macht. Sie sehen aber zugleich auch vielfältige Probleme, die in

der Komplexität der Aufgaben und den vielfältigen Kommunikations- und Koope-

rationserfordernissen begründet liegen und von außen betrachtet häufig unter-

schätzt werden.Viele hegen daher Bedenken, dass voraussetzungsreiche Verände-

rungen der Arbeitsorganisation in der augenblicklichen Offshore-Euphorie

sowohl vom oberen Management als auch von den Kunden unterkomplex reflek-

tiert werden. Sie hoffen, dass nach einer Phase übertriebener Erwartungen wieder

eine Ernüchterung eintritt. So beispielsweise ein Manager eines großen IT-Unter-

nehmens:

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»Die Kunden meinen alle, Preise drücken kann man dadurch, dass man sagt

‚Geht doch offshore, dann wird das Ganze billiger!’ Und wenn Sie dann mal

ganz konkret Projekte suchen, wo das machbar ist, dann ist das schwierig. Ich

meine, die Flugscheinabrechung jeder Fluggesellschaft, die läuft schon in

Indien. Da können Sie nichts mehr machen. Aber in unserer Branche bei inten-

siven Kundenberatungsprojekten, wo der Kontakt zum Kunden da ist, das

kann man so schlecht offshore machen. Das müssen aber die meisten noch

verstehen. Auch das wird man noch lernen« [Experte J.].

D i f f e r e n z i e r t e A n a l y s e v o n O f f s h o r i n g - A k t i v i t ä t e n

n a c h T ä t i g k e i t s b e r e i c h e n

Der hier konstatierte Generalbefund, dass die IT-Unternehmen sich hinsichtlich

der Realisierung von Offshoring-Konzepten in einem Take-off-Stadium befinden,

muss mit Blick auf die unterschiedlichen Aufgabenbereiche der Unternehmen dif-

ferenziert werden. Es zeigt sich, dass – obwohl sich die Aktivitäten auf nahezu alle

Aufgabenbereiche beziehen – dennoch spezifische Schwerpunktsetzungen zu

beobachten sind.

Generell wird davon ausgegangen, dass alle Tätigkeiten, die nicht zwingend

ortsgebunden bewältigt werden müssen, sich für Offshoring eignen. Dabei wird

eine Bindung an einen bestimmten Ort insbesondere durch die erforderliche

Nähe zum Kunden oder die Notwendigkeit zur örtlichen Aggregation von

Beschäftigten bestimmt. Demgegenüber bildet die Ortsgebundenheit durch die

Produktionsmittel, anders als beispielsweise in kapitalintensiven Maschinensyste-

men der klassischen Industrie, für die Mehrzahl der Tätigkeiten im Bereich Soft-

ware und IT-Dienstleistungen keinen limitierenden Faktor, auch wenn Tätigkeiten

in der IT-Branche natürlich keineswegs »ortlos« sind, wie oft unterstellt wird [vgl.

auch Flecker 2002a].

Daraus folgt, dass sich ein Großteil der Tätigkeiten im IT-Bereich – nämlich alle,

die über den »Informationsraum«, also »remote«, durchführbar sind – potenziell

offshore bewältigen lässt. Als einschränkende Faktoren gelten die erforderliche

Kundennähe sowie die Notwendigkeit von Face-to-Face-Beziehungen zwischen

den Beschäftigten zur Bewältigung notwendiger Abstimmungsprozesse.

Eine weiteres Kriterium dafür, ob Tätigkeiten in Offshore-Regionen zu bewälti-

gen sind, ist der Komplexitätsgrad der Aufgaben bzw. der »Reifegrad« der Arbeit-

sprozesse. Wenn Aufgaben vergleichsweise gut spezifizierbar sind, weil sie nach

festgelegten Regeln vonstatten gehen, ist eine Verlagerung leichter möglich.

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Wendet man diese Kriterien auf die Aufgabenbereiche in den IT-Unternehmen

an, so ergeben sich insgesamt fünf Tätigkeitsfelder, für die die Offshore-Aktivitä-

ten jeweils gesondert zu analysieren sind:

administrative Tätigkeiten in internen Funktionsbereichen ohne Kundenkon-

takt,

administrative Tätigkeiten an der Kundenschnittstelle,

Abwicklung von IT-Outsourcing-Aufgaben,

Standardsoftware-Entwicklung,

kundennahe Software-Entwicklung und Systemintegration.

Reflektiert man die oben dargestellte Diskussion zum Offshore-Outsourcing in

Anwendungsunternehmen, so kann angenommen werden, dass insbesondere die

administrativen Tätigkeitsbereiche sowie bestimmte Aufgaben in den Tätigkeits-

feldern »Software-Entwicklung« und »IT-Outsourcing« besonders geeignet für

Offshoring-Aktivitäten der IT-Unternehmen sind. Hingegen müssten die komple-

xen und abstimmungsintensiven Tätigkeitsbereiche in der Software-Entwicklung

sowie in der IT-Beratung und Systemintegration vergleichsweise »offshore-resi-

stent« sein. Eine genauere Analyse zeigt allerdings, dass weder die Offshore-Eig-

nung vieler administrativer Tätigkeiten noch die Resistenz komplexer Tätigkeiten

ohne weiteres gegeben sind.

Administrative Aufgaben in internen Funktionsbereichen

Als ein Schwerpunkt für Offshoring-Aktivitäten gilt der Bereich der administra-

tiven Funktionen ohne direkten Kundenkontakt. Hierbei handelt es sich um Auf-

gabenbereiche in den kaufmännischen Abteilungen, der allgemeinen Verwaltung

und dem Personalbereich. Die Qualifikationsanforderungen an die Beschäftigten

liegen hier meist auf einem mittleren Niveau (Berufsausbildung im dualen

System). Es handelt sich oft um Tätigkeiten, die nicht branchenspezifisch sind und

in ähnlicher Form auch in anderen Branchen vorkommen.

Die administrativen Tätigkeiten ohne Kundenkontakt erfüllen in hohem

Maße die Kriterien verlagerbarer Aufgaben. Es handelt sich dabei um »back-

office-Aktivitäten« ohne direkten Kundenkontakt. Viele dieser Tätigkeiten sind

vergleichsweise gut zu spezifizieren und standardisiert zu bewältigen. Diese

Tätigkeitsbereiche stehen daher gegenwärtig generell im Fokus der Outsour-

cingbestrebungen aller Unternehmen. Wenn von einer anzustrebenden Sen-

kung der »Leistungstiefe« in den Büro- und Dienstleistungsbereichen der

Unternehmen gesprochen wird [vgl. Allweyer u.a. 2004; Buchta u.a. 2004], so

sind insbesondere diese Aufgabenbereiche angesprochen. Die Wachstumser-

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wartungen, welche im Bereich des Business Process Outsourcings (BPO)

gehegt werden, beziehen sich speziell auf Möglichkeiten zur Auslagerung in

diesen Tätigkeitsfeldern. Es ist daher nicht verwunderlich, dass beispielsweise

indische IT-Dienstleister gerade hier die höchsten Offshore-Anteile erwarten

[vgl. Deloitte&Touche 2003]. Zu den populärsten Business Process Outsourcing

(BPO)-Services gehören Personalwesen, Finanzwesen und Buchhaltung, so die

Analysten der Gartner Group [2003].

Die Prognosen hinsichtlich des Verlagerungspotenzials für diese Aufgabenbe-

reiche gelten auch für die IT-Unternehmen. Für die hier untersuchten Unterneh-

men wird allgemein davon ausgegangen, dass der Off- und Nearshore-Anteil in

den genannten Tätigkeitsbereichen in Zukunft schnell wachsen wird. Ein Perso-

nalverantwortlicher ist sich daher sicher:

»Wir sind die nächsten, die jetzt dran sind« [Experte R.].

Dabei wird aber im Gegensatz zu den Anwenderbranchen schwerpunktmäßig

nicht der Weg des Outsourcings beschritten. Statt dessen gehen die IT-Unterneh-

men dazu über, eigene Kapazitäten in Osteuropa aufzubauen, um die administra-

tiven Aufgaben dort ganz oder in Kooperation mit deutschen Standorten durch-

führen zu lassen.

Die Auslagerung von Tätigkeiten des administrativen Bereichs ohne Kunden-

kontakt wird gegenwärtig insbesondere in den großen, international aufgestell-

ten Unternehmen mit großer Dynamik betrieben. Demgegenüber haben entspre-

chende Konzepte bei den mittleren Unternehmen sowie bei solchen, die sich

selbst nicht als Outsourcing-Anbieter verstehen, bisher keine Bedeutung.

Aber auch innerhalb der großen IT-Unternehmen sind bisher nur Pilotauslage-

rungen nach Osteuropa zu konstatieren. Als eine solche Pilotaktivität kann bei-

spielsweise die Konzentration und Verlagerung des Einkaufs nach Ungarn gelten,

die gegenwärtig in einem großen IT-Dienstleister bevorsteht. Dieser Standort soll

den gesamten Einkauf für die Region Europa durchführen [Experte N.].

In der Hauptsache werden die administrativen Tätigkeiten bisher noch in den

Hochlohnstandorten bewältigt. Dennoch deuten zwei Entwicklungen gegenwär-

tig darauf hin, dass in absehbarer Zeit weit reichende Verlagerungen von Tätigkei-

ten im administrativen Bereich erfolgen sollen. Dies ist einmal die verstärkte Kon-

zentration dieser Tätigkeiten im nationalen Maßstab bzw. innerhalb der europäi-

schen Produktionsverbünde, zum anderen der Aufbau entsprechender Kapazitä-

ten zur Bewältigung dieser Aufgaben vornehmlich in Osteuropa. Beide Entwick-

lungen müssen als komplementäre Momente der Vorbereitung auf die dauer-

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hafte Verlagerung der administrativen Tätigkeiten nach Osteuropa verstanden

werden.

Die Bestrebungen eines großen internationalen IT-Konzerns zum Ausbau der

administrativen Kapazitäten in Osteuropa beschreibt ein Experte:

»Momentan sind die Zuwachsraten in den osteuropäischen Ländern um ein

Vielfaches höher, zwar auf noch niedrigerem Niveau, aber um ein Vielfaches

höher als in etablierten Ländern. Und da wird ein stärkerer Fokus draufgelegt

werden und wenn die Leute dort mal so vom Skill her so qualifiziert sind, dass

sie viele Dinge auch tun können, die (...) der klassische Mitarbeiter hier macht,

dann werden viele administrative Dinge (...) außerhalb unserer Grenzen ge-

managt werden« [Experte I.].

In diesem großen Unternehmen hat der angestrebte Ausbau der Produktionska-

pazitäten in Osteuropa bereits spürbare Auswirkungen, wenngleich auch hier die

Pläne seitens des Unternehmens nicht wirklich transparent sind. Weil kaufmänni-

sche Arbeiten in Zukunft verstärkt an einem Standort in den osteuropäischen EU-

Beitrittsländern erledigt werden sollen, ist in Deutschland von einer Reduzierung

der kaufmännischen Ausbildung die Rede:

»Weiterhin will das Unternehmen in der kaufmännischen Ausbildung auch die-

sen Ausbildungszug im nächsten Jahr nicht mehr fahren, weil man auch auf-

grund internationaler Vorgaben derzeit dabei ist, alles, was einfache Admini-

stration, sogenanntes »Fulfillment« ist, nach Osteuropa zu vergeben, um dort die

Prozesse administrieren zu lassen, weil sie dort offensichtlich kostengünstiger zu

machen sind und es scheinbar auch funktionieren kann« [Experte I.].

In anderen Unternehmen wissen lediglich die Führungskräfte, was in nächster

Zeit auf ihre Bereiche zukommt, während die Arbeitnehmervertreter bisher noch

nicht informiert sind. Diese registrieren zwar, dass offensichtlich Vorbereitungen

zum Ausbau von Standorten ergriffen werden, können diese aber in ihrer Bedeu-

tung noch nicht einschätzen. So z.B. die Arbeitnehmervertreter eines großen IT-

Dienstleisters:

»Jetzt haben wir wieder zwei aus Russland eingestellt. Im kaufmännischen

Bereich haben sie das jetzt gemacht. Die sollen sich hier was angucken. Und

da weiß man auch nicht genau, geht das nun zu Lasten unserer Leute oder

aber, wie argumentiert wird, um dort Fachleute zu haben, die dann für den

dortigen Markt tätig sind. Also es wird so sein, wenn man dort geschäftlich

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erfolgreich ist, dann ist das für den dortigen Markt, und wenn man geschäft-

lich nicht erfolgreich ist und unter Preisdruck ist, dann gibt es aber auch die

Möglichkeit, hier Leute zu entlassen und das dann meinetwegen in Russland

machen zu lassen« [Experte Q.].

Die zweite relevante Entwicklung, welche darauf hindeutet, dass die großen IT-

Unternehmen gegenwärtig dabei sind, sich auf eine großflächig angelegte Verla-

gerung von administrativen Tätigkeiten nach Osteuropa vorzubereiten, ist die

oben angesprochene Zwei-Schritt-Strategie: Konzentration der Tätigkeiten an

nationalen Standorten (bzw. im europäischen Produktionsverbund), um sie dann

in absehbarer Zeit verlagern zu können. Die Führungskräfte auf der lokalen Ebene

sind davon überzeugt, dass diese Zentralisierung von administrativen Aufgaben

im kaufmännischen Bereich und im Personalwesen eine notwendige Vorberei-

tungsmaßnahme für die späteren Verlagerung nach Osteuropa ist. Die Arbeitneh-

mervertreter sind hingegen bisher noch nicht informiert, hegen dennoch aber

Vermutungen:

»Eine Sache, die jetzt gemacht wird, und wo wir auch als Betriebsrat sagen:

‚Oh, oh, wo das wohl am Ende landet!’ ist jetzt, dass man im Personalbetreu-

ungsbereich auch versucht, das zu trennen. Da gibt ja dann meinetwegen

bestimmte Dinge, die man also sozusagen backofficemäßig machen kann und

die man konzentrieren will, dann gibt es Beratertätigkeiten, die wirklich vor

Ort gehalten werden müssen. So, und das versucht man unternehmensweit

also erst mal zu konzentrieren, wie man sagt, in Deutschland. Aber das könnte

man natürlich im zweiten Schritt auch auslagern. Dasselbe meinetwegen mit

kaufmännischen Tätigkeiten, auch dort ist es so, dass die kaufmännischen

Tätigkeiten ... dass man die irgendwie konzentrieren kann, und die könnte

man auch dann ins Ausland verlagern« [Experte Q.].

Die Analyse macht deutlich, dass insbesondere in den international agierenden

IT-Unternehmen in den nächsten Jahren bezüglich der administrativen Bereiche

ohne Kundenkontakt mit forcierten Verlagerungsversuchen zu rechnen ist. Dabei

verfolgen die Unternehmen aber keine Strategie des Outsourcings. Sie versuchen

diese Funktionen vielmehr im Unternehmen zu halten und an Tochterunterneh-

men in Osteuropa zu verlagern. Sie schaffen sich auf diese Art auch Produktions-

kapazitäten, um Outsourcingaufträge von Kunden im Bereich des BPO überneh-

men zu können.

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Der Entwicklungsstand in den Unternehmen sollte allerdings nicht überschätzt

werden. Tatsächlich hat das Offshoring von internen administrativen Funktionsbe-

reichen in den mittelgroßen Unternehmen bisher keine Bedeutung. Und auch die

großen IT-Dienstleister befinden sich in einer Vorbereitungsphase. Zwar werden

vereinzelt Pilotprojekte durchgeführt. Aber im Wesentlichen ist man bestrebt, die

erforderlichen Produktionskapazitäten in Osteuropa überhaupt erst aufzubauen

und die hiesigen administrativen Funktionsbereiche durch Selektion und Konzen-

tration auf eine Verlagerung vorzubereiten. In welchem Umfang diese dann

tatsächlich stattfindet, lässt sich bisher noch nicht absehen.

Administrative Aufgaben an der Kundenschnittstelle

Ein weiteres Tätigkeitsfeld, welches sich nach dem Stand der Literatur beson-

ders für Offshoring eignet, ist der Bereich der administrativen Aufgaben an der

Kundenschnittstelle. Hierbei handelt es sich beispielsweise um den First-Level-

Service oder die Rechnungsstellung gegenüber dem Kunden. Es geht um kun-

dennahe Aufgaben, die häufig in sog. Call-Centern erledigt werden. Das formale

Qualifikationsniveau der Beschäftigten hier bewegt sich auf einem mittleren

Niveau (kaufmännische oder technische Berufsausbildung). Je nach arbeitsorgani-

satorischer Ausgestaltung und fachlich-inhaltlichen Anforderungen ist in man-

chen Call-Centern keine Berufsausbildung erforderlich.

Auch dieses Tätigkeitsfeld gilt den Verfechtern eines konsequenten Offsho-

rings – trotz des hohen Anteils von Kundenbeziehungen – als Bereich mit einem

hohen Verlagerungspotenzial. So heißt es beispielsweise in einer Analyse der

Gartner Group: »Hohe Erwartungen setzen die Provider auch weiterhin in das Call-

Center-Outsourcing« [Gartner Group 2003]. Daher sind auch für diesen Aufgaben-

bereich die Wachstumserwartungen der Off- und Nearshore-Regionen besonders

hoch [vgl. Behnde u.a. 2003; Deloitte&Touche 2004].

In diesem Tätigkeitsfeld verfügen die großen IT-Dienstleister schon seit Jahren

über Erfahrungen beim Offshoring. Aber auch hier wird nicht der Weg des Out-

sourcings gegangen, sondern der des Aufbaus eigener Kapazitäten in Off- und

Nearshore-Regionen. Dabei werden aufgrund der kulturellen und z.T. auch der

sprachlichen Nähe Nearshore-Regionen bevorzugt, um den deutschen Markt zu

beliefern. Als wichtige Zielregion gilt seit den 90er-Jahren Irland. Hier wurde bei-

spielsweise schon vor Jahren das Telefonmarketing für die europäischen Tochter-

gesellschaften eines großen internationalen IT-Unternehmens gebündelt. Die

Bestrebungen für die Zukunft richten sich auf die osteuropäischen EU-Beitrittslän-

der sowie auf die Türkei. Diese bieten insbesondere Unternehmen, die deutsch-

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sprachige Kunden beliefern, aufgrund der weit verbreiteten Deutschkenntnisse

gewisse Vorteile.

Aber auch wenn hier vereinzelt schon Erfahrungen gesammelt wurden, ist

dennoch insgesamt davon auszugehen, dass selbst die großen Unternehmen

sich, ähnlich wie bei der Verlagerung von administrativen Tätigkeiten in internen

Funktionen, auch bei den kundennahen administrativen Aufgabenbereichen

gegenwärtig im Pilotstadium befinden. So wurde im letzten Jahr in einem Pilot-

projekt die Auftragssachbearbeitung eines großen IT-Unternehmens nach Brati-

slava ausgelagert. Hierbei geht es zunächst um die Bearbeitung der Aufträge im

Bereich Hardware. Diese Maßnahme betraf 40 Mitarbeiter, die in Deutschland nun

andere Aufgaben wahrnehmen, sodass es nicht zu Kündigungen kam. Ein Teil die-

ser Beschäftigten, nämlich sechs, fungiert mittlerweile als »Kundenschnittstelle«,

weil sich herausgestellt hat, dass die deutschen Sprachkenntnisse der Mitarbeiter

in Bratislava insbesondere bei fachlichen Fragen oft nicht ausreichen. Dieser Pilot

gilt damit als realisiert. Ob weitere Maßnahmen in diesem Bereich folgen, ist

unklar. Die Geschäftsführung beteuert, dass im Moment keine geplant seien

[Experte H.].

Von einem anderen Pilotprojekt berichten Arbeitnehmervertreter eines ande-

ren großen IT-Unternehmens. Hier geht es um ein Call-Center in der Türkei, das als

erste Anlaufstelle für die Kunden dienen soll.

»Jetzt wird ein Call-Center erstmals in die Türkei verlegt (...). Mit der Begrün-

dung, dort gibt es gut deutsch sprechende Leute, und der Kunde merkt gar

nicht, dass er in der Türkei ist. (...) Da ist die erste Anlaufstelle und teilweise

sogar werden dann eben dort bestimmte Aufgaben sofort erledigt. Ansonsten

ist es so, dass das Ganze im Rahmen eines Projektes eher gemacht wird, wo

eigentlich die wirklichen Fachaufgaben viel stärker hier in Deutschland kon-

zentriert werden. Also es ist noch nicht so richtig« [Experte Q.].

Diese Pilotprojekte werden in den großen Unternehmen durch Maßnahmen zur

Konzentration von Aufgaben des genannten Tätigkeitsspektrums unterfüttert. So

berichtet ein Gesprächspartner, dass die Forderungsbearbeitung aller europäi-

schen Töchter eines großen internationalen IT-Dienstleistungsunternehmens in

Spanien konzentriert wurde [Experte H.].

Weil mit der Verlagerung administrativer Tätigkeiten an der Kundenschnitt-

stelle schon seit einigen Jahren Erfahrungen vorliegen, werden hier bereits

bestimmte Schwierigkeiten des Offshorings sichtbar. So berichtet ein Experte,

dass die Help-Desk-Funktion eines großen IT-Unternehmens vor zweieinhalb Jah-

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ren nach Ungarn verlagert wurde. Sie wurde dort mehrheitlich durch Dolmetscher

übernommen. Diese Maßnahme wurde jetzt wieder rückgängig gemacht. Der

Grund für das Scheitern der Verlagerungsaktion lag nicht in mangelnden Sprach-

kenntnissen oder einer geringen Kundenakzeptanz. Das Problem bestand viel-

mehr in der mangelnden Kenntnis der Call-Center-Agents hinsichtlich der inter-

nen Abläufe und Zuständigkeiten im Unternehmen. Die Call-Center-Agents in

Ungarn brauchten deshalb einfach zu lange, um die Kunden an die richtige Stelle

im Unternehmen weiterzuvermitteln [Experte H.].

Dass es sich bei diesem Beispiel keineswegs um einen Einzelfall handelt,

bestätigen die Analysen von McKinsey. Sie berichten, dass in den USA nach den

ersten Erfahrungen mit der Verlagerung von Call-Centern einige Unternehmen

schon wieder »zurückrudern«. Namentlich werden hier die US-Investmentbank

Lehman Brothers und der Computerhersteller Dell genannt. Beide kündigten

jüngst an, ihren Telefonservice aus Indien zurück in die USA zu verlegen. Der indi-

sche Akzent der telefonischen Helfer kam bei vielen Kunden offenbar nicht an.

McKinsey kommt daher in der Studie zu dem Schluss: »Die Erfahrung der vergan-

genen Jahre zeigt, dass bei der Verlagerung von Bereichen mit direktem Kunden-

kontakt hohe Vorsicht geboten ist" [Kort 2004].

In eine ähnliche Richtung geht auch die Analyse eines Managers im kaufmän-

nischen Bereich:

»Das Offshoring von administrativen Tätigkeiten ist teilweise machbar. Aber immer

dann ist es nur machbar, wenn ich keinen Kundenkontakt habe. Wenn ich einen Kun-

denkontakt haben muss,stelle ich mir das äußerst schwierig vor« [Experte U.].

Zusammenfassend lässt sich sagen: Im Bereich der administrativen Tätigkeiten an

der Kundenschnittstelle liegen in den Unternehmen vielfältige Erfahrungen mit

der Verlagerung und örtlichen Konzentration an bestimmten Standorten vor. Wur-

den diese Funktionen in der Vergangenheit aber vornehmlich im deutschen

Sprachraum aufgebaut, so geht man nun dazu über, sie in osteuropäische Regio-

nen zu verlagern. Dabei befinden sich die großen IT-Unternehmen, die diese Stra-

tegie gegenwärtig forciert betreiben, aber erst im Pilotstadium. An eine flächen-

deckende Reorganisation dieser Tätigkeiten ist bisher nicht zu denken.

Die Erfahrungen mit bereits realisierten Auslagerungen zeigen, dass die imma-

nenten Schwierigkeiten leicht unterschätzt werden können. Zwar handelt es sich oft

um vergleichsweise weitgehend standardisierte Aufgabenbereiche, doch zugleich

erfüllen die Beschäftigten an der Kundenschnittstelle immer auch wichtige Reprä-

sentationsaufgaben für das Unternehmen und müssen über reichhaltiges Kontext-

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wissen verfügen, um Kunden kompetent weiterhelfen zu können. Es ist durchaus

denkbar, dass gerade durch die wirtschaftliche Integration der EU-Beitrittsländer in

Osteuropa ein gut ausgebildetes Arbeitskräftepotenzial mit ausreichenden

Deutschkenntnissen verfügbar ist. Ob und inwieweit sich dieses aber ohne weiteres

für die Verlagerung von administrativen Tätigkeiten an der Kundenschnittstelle nut-

zen lässt, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht wirklich absehbar.

Abwicklung von IT-Outsourcingaufträgen

Die Leistungen im Bereich des IT-Outsourcing-Geschäfts, welche von den IT-

Dienstleistern für Kunden erbracht werden, sind selbst schon Ergebnis eines Verla-

gerungsprozesses. Die IT-Dienstleister profitieren hier von dem Bestreben der

Anwenderunternehmen, die ehemals von eigenen Abteilungen wahrgenomme-

nen Aufgaben im Bereich der Betreuung und des Betriebs der IT-Infrastruktur out-

zusourcen. Zu diesem Zweck schließen die IT-Dienstleister Outsourcing-Verträge

und übernehmen teilweise sogar die ehemaligen DV-Abteilungen des auslagern-

den Unternehmens. Hierbei handelt es sich um Tätigkeiten in den Bereichen Infor-

mation Technology Outsourcing, selektives/partielles Outsourcing, Platform IT

Outsourcing, Application Outsourcing und Systems Outsourcing, die weiter oben

vorgestellt wurden. Neben den genannten Outsourcing-Leistungen gewinnt das

BPO in letzter Zeit besondere Bedeutung [Deloitte&Touche 2003].

Gemeinsam ist diesen Tätigkeiten, dass sie bereits aus integrierten Arbeitspro-

zessen im Anwenderunternehmen herausgelöst wurden. Während also die bisher

diskutierten Tätigkeitsbereiche erst für eine Verlagerung aufbereitet werden müs-

sen, ist die Verlagerbarkeit von Outsourcingtätigkeiten bereits realisiert. Des Wei-

teren sind solche Tätigkeiten von Seiten der insourcenden IT-Unternehmen auf

einen dauerhaften Betrieb mit sich immer wieder wiederholenden Abläufen aus-

gerichtet. Aus diesem Grund haben Skaleneffekte in diesem Geschäftsbereich

eine große Bedeutung und die Konzentration des Geschäfts auf wenige große IT-

Dienstleister ist vergleichsweise hoch [vgl. Allweyer u.a. 2004]. Die dritte Gemein-

samkeit dieser Tätigkeiten besteht darin, dass sie ihrer Gestaltung nach remote

durchführbar sind, also unter Nutzung von Informations- und Kommunikations-

netzen. Alle diese Kriterien prädestinieren das Outsourcinggeschäft in den IT-

Unternehmen geradezu für das Offshoring.25

91

25 Dabei ist zu beachten, dass nicht alle Tätigkeiten in diesem Geschäftsfeld gleichermaßen kunden-fern, im Routinebetrieb und remote erbracht werden. Zu unterscheiden sind Kundenbetreuung,Anwendungsentwickung, First und Second Level Support sowie das Operating im Rechenzentrumselbst [Boes, Baukrowitz 2002].

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Diese Einschätzung wird von allen Experten aus diesem Tätigkeitfeld im

Wesentlichen geteilt. Und dennoch verfolgen die IT-Dienstleister, welche Outsour-

cing als Geschäft betreiben, bisher keine Off- oder Nearshoring-Konzepte in die-

sem Aufgabenbereich. Die Situation ist vielmehr gegenwärtig davon gekenn-

zeichnet, dass die Outsourcing-Kapazitäten und insbesondere die Rechenzentren

innerhalb der Produktionsverbünde, z.T. sogar im europäischen Maßstab, zur Errei-

chung weiterer Skaleneffekte zentralisiert werden. Dabei ist in Einzelfällen auch

angedacht, entsprechende Kapazitäten in Osteuropa verstärkt zu nutzen. Aber die

Strategie geht bis dato in keinem Unternehmen dahin, in Off- oder Nearshore-

Regionen systematisch Produktionskapazitäten aufzubauen, um diese dann

gezielt nutzen zu können. Die einzige Ausnahme bildet der Bereich Business Pro-

cess Outsourcing (BPO). Dort werden gegenwärtig von verschiedenen Unterneh-

men Kapazitäten in den osteuropäischen Beitrittsländern aufgebaut, um das

erwartete Marktwachstum bewältigen zu können. Das Outsourcing an Dritte ist

ohnehin aus den oben bereits erläuterten Gründen nicht angestrebt.

Bestimmend für die Situation bei den großen IT-Dienstleistern ist ein forcierter

Konzentrationsprozess der Rechenzentren im europäischen Maßstab. Diese Verla-

gerungsmaßnahmen sind Ausdruck einer Konzentrationsstrategie der Unterneh-

men in diesem Bereich. So vertritt beispielsweise der Geschäftsführer eines

großen Outsourcing-Anbieters die Ansicht, dass Rechenzentren erst ab einer

Größe von 20.000 MIPS wirtschaftlich zu betreiben seien [Experte N.]. Auch wenn

diese Größe durchaus umstritten ist, wird allgemein von weiteren Konzentrations-

prozessen ausgegangen. So hat ein großer international agierender IT-Dienstlei-

ster die Anzahl der Rechenzentren in Deutschland in den letzten Jahren von zwölf

auf drei reduziert [Experte N.].

Zugleich werden Teilfunktionen konzentriert und systematisch neu angeord-

net. So wird beispielsweise der Bereich »Monitoring« des Hauptrechenzentrums

eines IT-Dienstleisters nach Spanien verlagert. Dies bedeutet den Wegfall von 40

der 61 Arbeitsplätze in dieser Abteilung. Die ursprünglich geplante Verlagerung

eines weiteren Teilbereichs wurde zurückgenommen, weil die Fachabteilung

begründen konnte, dass dies nicht sinnvoll ist [Experte N.].

Selbst wenn die indischen IT-Dienstleistungsunternehmen mit dem Argument,

auch für die sicherheitsintensiven Banken zu arbeiten, deutlich machen, dass die

Einhaltung von Sicherheitsstandards und rechtlichen Normen beim Offshoring

kein Problem mehr darstellt [Deloitte&Touche 2003], versichern unsere Gespräch-

spartner, dass gerade in der Einhaltung rechtlicher Bestimmungen ein wesentli-

ches Hemmnis für eine Ausweitung des Offshore-Anteils im Bereich des Outsour-

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cinggeschäfts liegt.26 Größer angelegte Verlagerungsaktivitäten in Off- und Near-

shore-Regionen scheitern im Outsourcinggeschäft gegenwärtig häufig an den

Vertragsbestimmungen mit den Kunden. So besteht eine große Bank darauf, dass

ihre Aufträge in Deutschland gerechnet werden [Experte H.]. Ob dies mit Blick auf

die Integration der osteuropäischen EU-Beitrittsländer in den einheitlichen

Rechtsraum so bleiben wird, ist allerdings offen.

Soft ware-Ent wicklung und Systemintegration

Im Zentrum der Offshoring-Aktivitäten aller großen IT-Unternehmen stehen

die Bereiche Software-Entwicklung und Programmierung. Dabei geht es um Tätig-

keiten, die in der großen Mehrzahl von Beschäftigten mit einem akademischen

Abschluss ausgeführt werden; lediglich ein kleinerer Teil der Beschäftigten dieser

Bereiche besteht aus Absolventen von Fachschulen, dualen Ausbildungsberufen

sowie Umschulungsmaßnahmen.

Sämtliche global tätigen Unternehmen bemühen sich um den Auf- bzw. Aus-

bau von Entwicklungskapazitäten in Asien und Osteuropa. Die dortigen Entwick-

lungszentren durchlaufen gegenwärtig in vielen Fällen ein rasantes Wachstum

und werden für die Übernahme von Entwicklungsaufträgen vorbereitet. Die mitt-

leren Unternehmen, welche vorwiegend in Europa ihr Tätigkeitsfeld sehen, nutzen

bereits osteuropäische Standorte und weiten ihr Engagement dort aus, nicht

zuletzt aus Gründen des Marktzutritts in den EU-Beitrittsländern. Diesen Standor-

ten wird aber in den mittleren Unternehmen – im Gegensatz zu den großen, inter-

national tätigen IT-Unternehmen – über die Markterschließung hinaus bisher

noch keine strategische Bedeutung in den Planungen der Unternehmen zugewie-

sen.

Insgesamt gelten viele Funktionen im Tätigkeitsbereich der Software-Entwick-

lung als vergleichsweise gut geeignet für Offshoring. Dies gilt in besonderem

Maße für einfache Codieraufgaben, trifft aber auch zunehmend auf komplexere

Entwicklungsaufgaben zu. Was beispielsweise die indischen IT-Dienstleister

angeht, gilt der Tätigkeitsbereich daher als Schwerpunkt für das Offshoring [vgl.

Deloitte&Touche 2003].

93

26 Die rechtlichen Hürden sind u.a. die EU-Datenschutzrichtlinie und die Mitbestimmung des BR nach § 87.1.6 bei EDV-Systemen, ferner scheint es für deutsche bzw. europäische Banken die gesetzlicheVorschrift zu geben, ihre Daten im Herrschaftsbereich der EU zu speichern.

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Gerade im Bereich der Software-Entwicklung setzen die IT-Unternehmen aus-

schließlich auf den Aufbau eigener Kapazitäten. Das dauerhafte Outsourcing an

Fremdunternehmen spielt keine Rolle in ihren Planungen.27

Beim Auf- und Ausbau von Produktionsstandorten in Off- und Nearshore-

Regionen im Bereich der Software-Entwicklung gilt Indien als besonders lukrati-

ves Ziel in Asien. Demgegenüber wird China als Produktionsstandort für weniger

interessant gehalten, auch wenn die Vorstände hinsichtlich der Zukunftspläne

ihrer Unternehmen dieses Land häufig in einem Atemzug mit Indien nennen.

China spielt vor allem dann eine Rolle, wenn der dortige Markt für das Unterneh-

men von Interesse ist und dieses sich über den Aufbau von Produktionskapazitä-

ten den Markt erschließen will. Darüber hinaus ist China auch für solche Unter-

nehmen attraktiv, die in einer engen Partnerschaft zu Großunternehmen der tra-

ditionellen Industrie stehen, wenn diese in China Produktionsstandorte ansiedeln

wollen. In diesem Fall wird von Seiten der Industrieunternehmen geradezu erwar-

tet, dass die Zulieferer und IT-Dienstleister über eigene Produktionskapazitäten in

diesem Land verfügen. Ein Vertriebsstandort reicht ihnen mittlerweile nicht mehr

aus.

Neben Indien bilden die osteuropäischen EU-Beitrittsländer sowie Russland

[silicon.de v. 23.04.2004] den zweiten Schwerpunkt. Die Entwicklung ist hier aber

bisher unübersichtlicher als die Situation in Indien. Als Standorte werden häufig

Ungarn, Bulgarien und Russland genannt. Zwar wurden auch hier schon vor Jah-

ren erste Dependancen gegründet, dennoch findet die Entwicklung gegenüber

94

27 Dies mag sich aber mittelfristig ändern. Da die Entwicklungszentren in Indien von einigen Unterneh-men nicht als hundertprozentige Tochter, sondern als Joint-Venture mit einem indischen IT-Unter-nehmen aufgebaut werden, könnte diese Partnerschaft mittelfristig dazu führen, dass die inDeutschland ansässigen Unternehmen ihren Partnern einen Teil des Geschäfts am »heimischen«Markt überlassen. Konkrete Planungen in diese Richtung sind allerdings gegenwärtig nicht bekannt.Auf jeden Fall sind diese Partnerschaften eine zweischneidige Angelegenheit. Einerseits bietet einJoint-Venture die Gewähr dafür, mit der Unterstützung einheimischer Unternehmen schnell inIndien Fuß zu fassen. Andererseits ist davon auszugehen, dass der Sinn einer solchen Partnerschaftfür die indischen Partner u.a. darin liegt, über diese Beziehung einen besseren Zugang zum deut-schen Markt zu bekommen. Da die indischen Joint-Venture-Unternehmen vornehmlich auf denExport von Leistungen angelegt sind, dienen sie hingegen nicht als Basis für die Erschließung desindischen Markts. (So berichtet ein Experte, dass das dortige Joint-Venture-Unternehmen so langesteuerbegünstigt sei, wie ausschließlich für den Export gearbeitet werde. Demgegenüber falle dieserVorteil weg, wenn auch der indische Markt beliefert werde [Experte A.].) Da es sich bei den indischenIT-Dienstleistern um sehr große, häufig an der internationalen Börse notierte Unternehmen handelt,deren erklärtes Ziel darin besteht, den deutschen Markt als wichtigstes Geschäftsfeld in Europa zuerschließen, liegt in diesen Partnerschaften eine Reihe von Unwägbarkeiten, sodass auf mittlereSicht die bisher betriebene Offshoring-Strategie der IT-Unternehmen in Deutschland verändert wer-den muss.

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der in Indien zeitlich versetzt statt. Während in Indien bereits 2002 alle »big

names« der IT-Industrie mit eigenen Produktionskapazitäten vertreten waren und

der Standort zu diesem Zeitpunkt ausreichend konsolidiert war, um Betriebe mit

mehr als tausend Entwicklern zu realisieren, scheint hinsichtlich der osteuropäi-

schen Länder dieser Punkt erst mit der Erweiterung der EU in diesem Jahr gekom-

men zu sein. Für die mittlere Zukunft wird auch hier ein beschleunigtes Wachstum

vorhergesagt.

Anhand der Entwicklung in Indien lässt sich das Muster des Aufbaus von Pro-

duktionskapazitäten durch die IT-Unternehmen aufgrund des längeren Betrach-

tungszeitraums gut rekonstruieren. Viele der großen IT-Unternehmen haben hier

ihre ersten Erfahrungen bereits in den 80er- und 90er-Jahren gesammelt. Gegen

Ende der Neunziger (IBM beispielsweise markiert in einer bereits oben angeführ-

ten Studie den Wendepunkt im Jahr 1998) begann die erste Wachstumsphase in

den Computerzentren Indiens und hier insbesondere in Bangalore. Seit dem Jahr

2002 folgte dann eine zweite Welle von IT-Unternehmen. Und zum gleichen Zeit-

punkt etwa begannen die Vorstände den Entwicklungsstandorten in Indien stra-

tegische Bedeutung beizumessen und rückten sie in den Fokus ihrer Aktivitäten.

Die indischen Tochterunternehmen, die anfangs trotz eines rapiden Wachstums in

der Unternehmensöffentlichkeit der großen IT-Unternehmen eher am Rand stan-

den, werden nun zu Trumpfkarten der strategischen Planungen.

Die großen IT-Unternehmen haben mittlerweile einen relevanten Anteil ihrer

Entwicklerkapazitäten in Indien aufgebaut. Die Wachstumsplanungen für die

nächsten Jahre lassen auch weiterhin ein rapides Ansteigen erwarten. Indien und

z.T. China sollen für viele Unternehmen zu den wichtigsten Standorten in Asien

werden. Allein in Indien, so Experten aus großen IT-Unternehmen, könnte ein Vier-

tel der Entwicklungskapazitäten großer Software-Hersteller angesiedelt sein. Die

Aussage des Leiters des Entwicklungszentrums von Siemens in Indien, wonach

künftig der Großteil der Software-Entwicklungskapazitäten in Niedriglohnstand-

orten angesiedelt werde, wurde zwar vom Vorstand umgehend dementiert. Von

vielen Experten in den Unternehmen wird dies jedoch als ernst zu nehmender

Hinweis auf die Zielvorstellungen von IT-Unternehmen eingeschätzt. Eine Folge

dieser Strategie ist der verstärkte Aufbau von Personalkapazitäten und Produkti-

onsstandorten in Asien und Osteuropa, während man allgemein erwartet, dass

die Beschäftigung in Deutschland stagniert oder sogar sinken wird.

Von vielen Experten wird die Erwartung geäußert, dass die Tätigkeiten in der

Software-Entwicklung sich nicht alle gleichermaßen gut für Offshoring eignen.

Häufig wird auch hier eine Differenzierung in »front-office-Tätigkeiten« und

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»back-office-Tätigkeiten« vorgenommen. Kundennah zu erbringende Entwick-

lungsarbeiten, so die Annahme, verbleiben am Standort, während kundenfern zu

erbringende Tätigkeiten, und hier insbesondere die einfachen Codierarbeiten, als

besonders verlagerungsanfällig gelten, wenn sie eine bestimmte kritische Masse

erreichen. Des Weiteren gilt der Komplexitätsgrad der Software sowie deren

genaue Spezifizierbarkeit im vorhinein als wichtiges Kriterium für Offshoring. Ein-

fache, exakt definierte Codiertätigkeiten oder routinisierte, aufwändige Tests gel-

ten daher als besonders gut verlagerbar. Demgegenüber ist, folgt man dem Stand

der Literatur, bei den konzeptionellen Aufgaben im Software-Zyklus Vorsicht

geboten [vgl. Schwemmle, Zanker 2000].

Aus diesem Grund gelten die Arbeitsplätze der Software-Entwickler in denjeni-

gen Unternehmen, die über große Programmierkapazitäten in Deutschland verfü-

gen, als stärker gefährdet. Im Gegensatz dazu fühlen sich die Mitarbeiter in denje-

nigen großen IT-Unternehmen, die in Deutschland keine eigene Software-Produk-

tionsstandorte mehr unterhalten, sondern vornehmlich kundennahe Anpas-

sungsprogrammierungen erbringen, vergleichsweise sicher. Ein Arbeitnehmerver-

treter aus einem großen US-amerikanischen Konzern geht daher davon aus, dass

mindestens 70 % der Tätigkeiten an den deutschen Standorten seines Unterneh-

mens unmittelbar kundenbezogene Programmiertätigkeiten seien, die nicht ein-

fach zu verlagern seien. Demgegenüber hält er das Verlagerungspotenzial bei den

deutschen Wettbewerbern aufgrund der hier vorliegenden Produktionskapazitä-

ten im Bereich der kundenfernen Software-Entwicklung für wesentlich größer

[Experte H.].

Der hier angelegten Unterscheidung folgend, werden die Offshoring-Aktivitä-

ten der Unternehmen im Weiteren entlang der Unterscheidung Software-Indu-

strie (Produktion von Standardsoftware) versus kundennahe Software-Entwick-

lung getrennt referiert.

O ffshoring in der Standardsoft ware-Ent wicklung

Alle hier untersuchten Unternehmen mit großen Anteilen im Bereich der Stan-

dardsoftware-Programmierung verfügen schon seit einigen Jahren über Entwick-

lungsstandorte in Osteuropa und Indien. Dabei haben die Entwicklungskapazitä-

ten in Indien mittlerweile eine hervorgehobene Bedeutung in den Planungen.

Hinsichtlich der Nutzung dieser Standorte für die Standardsoftware-Entwick-

lung werden gegenwärtig unterschiedliche Konzepte getestet. Grob zu unter-

scheiden ist zwischen dem Konzept der »Auftragsfertigung« bzw. der »verlänger-

ten Werkbank« einerseits und dem des Aufbaus eigener Produktionsintelligenz

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und deren systematischer Integration in die weltweiten Entwicklernetzwerke

andererseits.

Im ersten Fall geht es meist darum, die Off- und Nearshore-Standorte vorwie-

gend für einfache Programmiertätigkeiten zu nutzen. Hierbei handelt es sich um

gut spezifizierte Aufgabenstellungen auf einem vergleichsweise einfachen Kom-

plexitäts- und Technologieniveau mit geringer strategischer Bedeutung für das

Unternehmen. Die Entwickler in den Off- und Nearshore-Regionen bearbeiten ein

klar definiertes Software-Paket, welches nach Fertigstellung an die Entwicklungs-

zentrale im Mutterunternehmen geschickt und dort in das Gesamtsystem inte-

griert wird. Die Zusammenarbeit mit den Entwicklern im Stammhaus ist asyn-

chron und hierarchisch strukturiert. Der wichtigste Effekt dieses Konzepts liegt in

der Senkung der Kosten für aufwändige und vergleichsweise einfache Program-

miertätigkeiten.

Im Falle des alternativen Konzepts geht die Strategie des Software-Unterneh-

mens dahin, auch komplexere und inhaltlich wie technologisch anspruchsvollere

Software-Entwicklungstätigkeiten an den Niedriglohnstandorten zu bewältigen.

Dieses Konzept baut auf eine Form der kollaborativen verteilten Zusammenarbeit

in internationalen Entwicklernetzwerken: Mittels vorhandener Informations- und

Kommunikationssysteme stehen die Entwickler in Niedriglohnländern während

des gemeinsamen Entwicklungsprozesses sowohl in sachlicher als auch in zeitli-

cher Hinsicht in einer Reziprozitätsbeziehung zu den übrigen an einem Projekt

beteiligten Entwicklern, die an anderen Standorten in der Welt sitzen. Die syn-

chrone und vollständig integrierte Form der Zusammenarbeit der weltweit ver-

teilten Entwicklerteams findet über Datenleitungen, gewissermaßen im »Informa-

tionsraum« statt, auch wenn die physische Basis der Produktion, nämlich die Ent-

wicklungsserver, ausnahmslos im Stammhaus lokalisiert ist, sodass die physische

Kontrolle über die Ergebnisse des Entwicklungsprozesses vollständig in der Zen-

trale verbleibt.

Dieses Konzept setzt darauf, die größtenteils hohen fachlich-technischen Qua-

lifikationen voll auszuschöpfen. Die Mitarbeiter dort sollen nicht zuletzt über reiz-

volle arbeitsinhaltliche Aufgabenstellungen dauerhaft gebunden werden. Lang-

fristig zielt das Konzept darauf, anspruchvolle Projekte in einem weltweiten Netz-

werk von Entwicklern flexibel verteilen zu können. In der Konsequenz halten es

Experten durchaus für realistisch, dass auch die strategischen Funktionen der

Software-Entwicklung, also die Software-Architektur und die Projektleitung für

einzelne Module innerhalb eines Standardsoftware-Pakets an den Standorten in

Indien und Osteuropa angesiedelt werden.

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Entsprechend den unterschiedlichen Konzepten in den Unternehmen haben

die Offshore-Aktivitäten in den untersuchten Unternehmen eine je spezifische

Charakteristik.

Ein Teil der Unternehmen ist z.Zt. konsequent bestrebt, die Entwicklungsstan-

dorte in den Niedriglohnregionen schnell auszubauen und systematisch in ihre

Entwicklernetzwerke zu integrieren. Ihre Politik geht dahin, diese Standorte mit

eigener »Produktionsintelligenz« auszustatten. Da diese Entwicklung in diesen

Unternehmen bisher insgesamt in eine Strategie des weltweiten Beschäftigungs-

wachstums integriert ist, ging das Wachstum in den Off- und Nearshore-Regionen

bisher nicht zu Lasten der Standorte in Deutschland. Ob dies mittel- und langfri-

stig so bleiben wird und insbesondere dann noch gilt, wenn die Entwicklungs-

standorte in den Niedriglohnregionen aufgrund ihrer Größe und des Ausbil-

dungsstands der Beschäftigten tatsächlich auch für strategische Funktionen

genutzt werden können, wird allerdings häufig bezweifelt.

Einen anderen Weg will ein Standardsoftware-Hersteller im Bereich der Auto-

matisierungstechnik gehen. Hier plant man für die nächsten Jahre die Vergabe

von Aufträgen an Tochterunternehmen in den Niedriglohnregionen nach dem

Konzept der »verlängerten Werkbank«. Dies soll mit einem Abbau der Personal-

kapazitäten an den deutschen Standorten verbunden sein. Für die deutschen

Standorte sehen die Pläne des Konzerns den Abbau von Software-Entwicklerka-

pazitäten in einer Größenordnung von 160 Arbeitsplätzen in den nächsten bei-

den Jahren vor. Zielländer der Verlagerung sind Indien, Ungarn u.a. Verlagert

werden sollen einfache Produkte, während die komplexen in den Stammhäu-

sern verbleiben sollen. Darüber hinaus soll an den Niedriglohn-Standorten die

Entwicklung für Nischenproduktsegmente vorangetrieben werden, die nicht in

einer für Massenproduktion erforderlichen Stückzahl produziert werden kön-

nen, weil der Aufwand bei den hohen Stundensätzen im Stammhaus in einem

ungünstigen Verhältnis zu den Ertragsmöglichkeiten stehe. Und ein dritter Typ

verlagerbarer Entwicklungsaufgaben könnte im Bereich von Auslaufprodukten

liegen.

Diese Verlagerungen sollen aber nicht zu Lasten der Stammbelegschaft gehen,

sondern allein zu Lasten der Fremdvergabekapazitäten in Deutschland. Die

Geschäftsleitung argumentiert, dass lediglich Arbeiten, die bisher von Fremdfir-

men oder Freelancern durchgeführt wurden, an Niedriglohnstandorte vergeben

werden sollen. Die Stammbelegschaft habe nichts zu befürchten. Da in dem

Unternehmen weiter mit einem deutlichen Auftragswachstum zu rechnen ist,

könnten die ersten Verlagerungen nach Auffassung der Experten auch in den

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nächsten zwei Jahren tatsächlich ohne Personalabbau bei der Stammbelegschaft

vonstatten gehen.

Wie voraussetzungsreich Aufbau und Nutzung von Entwicklungskapazitäten

in den Off- und Nearshore-Regionen sind, zeigt das Beispiel eines anderen Soft-

ware-Herstellers. Dieser hatte ein Entwicklungszentrum in einer Niedriglohnre-

gion gegründet, um deren Produktionskapazitäten in große Kundenprojekte ein-

bringen zu können. Die Ausbaupläne sahen vor, die Personalkapazität innerhalb

von vier Jahren zu vervierfachen.

Die Entwickler in dem Tochterunternehmen sollten an einem Pilotprojekt

beteiligt werden, in dem das Unternehmen mit einer neuen Technologie eine bis-

her noch nicht realisierte Lösung herstellen wollte. Die Software-Entwickler in

dem neu gegründeten Tochterunternehmen schienen für diese Tätigkeiten

besonders geeignet, weil sie gute Kenntnisse im Bereich hier verwendeter Tech-

nologien haben. Hinzu kam, dass die Kostenstruktur wesentlich günstiger als bei

einer Entwicklung in der BRD zu sein schien. Aufgrund des Margendrucks im

Bereich von Kundenprojekten entschloss man sich, das finanzielle Risiko durch die

Einbindung von Kapazitäten des neu gegründeten Standorts zu minimieren.

Dieser Versuch der Einbindung der Entwicklungskapazitäten gilt mittlerweile

als gescheitert. Die Ausbaupläne für den neuen Standort wurden auf Eis gelegt

und die Belegschaftsstärke stagniert. Gleichzeitig ist man auf ein neues Konzept

der Zusammenarbeit eingeschwenkt. Der Vorstand favorisiert jetzt die Verlage-

rung von Aufgaben im Bereich »reifer« Projekte, im Fokus liegen die Standardsoft-

ware-Entwicklungen für die Kernprodukte. Hierbei ist daran gedacht, die Arbeits-

teilung zwischen dem Stammhaus und der neuen Niederlassung so zu gestalten,

dass die Kernfunktionen im Stammhaus verbleiben, während verschiedene »add-

ons« in Niedriglohnländern produziert werden sollen. Im Kern geht es also um

eine ergänzende Entwicklung klar spezifizierter Programmfunktionen sowie um

bestimmte Aufgaben im Bereich Qualitätssicherung und Test, Funktionen, die

dem Konzept der Auftragsfertigung entsprechen.

Während die Offshore-Aktivitäten im Entwicklungsbereich in den meisten

Unternehmen bisher keine negativen Beschäftigungseffekte auf die Stammbeleg-

schaften in Deutschland hatten bzw. durch den Abbau von Fremdleistungen kom-

pensiert werden konnten, wurden in diesem Unternehmen Personalabbaumaß-

nahmen angekündigt. Demzufolge soll ein großer Teil der Entwickler am wichtig-

sten Standort davon betroffen sein. Diese Maßnahmen stehen zwar nur zu einem

Teil in ursächlichem Zusammenhang zu den Offshore-Aktivitäten des Unterneh-

mens, werden aber aufgrund des zeitlichen Zusammenfallens in einen Kontext

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gestellt. Die Belegschaft erlebt die Offshoring-Bestrebungen des Unternehmens

daher als Bedrohung. Während es bei früheren Entlassungen zu keiner öffentli-

chen Reaktion auf Seiten der Beschäftigten kam, wurde dieses Mal offene Gegen-

wehr sichtbar.

O ffshoring im Bereich der kundennahen Soft ware-Ent wicklung

Im Gegensatz zur Situation in der Standardsoftware-Entwicklung gilt die kun-

dennahe Software-Entwicklung als offshore-resistent. Allgemein herrscht die Mei-

nung vor, dass hier aufgrund der erforderlichen engen Abstimmungsprozesse mit

den Kunden sowie innerhalb der Projektteams eine Verlagerung nur in Ausnah-

mefällen in Betracht kommt. Dementsprechend gehen die hier tätigen Arbeitneh-

mervertreter durchweg davon aus, dass in diesem Bereich keine Offshoring-Akti-

vitäten in nennenswertem Umfang zu erwarten sind. So äußert sich beispiels-

weise der Arbeitnehmervertreter eines IT-Unternehmens mit einem hohen Anteil

von kundennahen Entwicklungsprojekten wie folgt:

»Nein, hier am Standort hat die Verlagerung keine Bedeutung. Ich weiß nicht,

wie es an Standorten ist, wo es echte Entwickler gibt. Da kann das schon sein

(...). Aber wir hier haben keinerlei Entwickler in dem Sinn, oder nur ganz

wenige, die diese Spezialentwicklungen machen. Da lohnt sich das nicht«

[Experte Q.].

Tatsächlich haben Offshore-Aktivitäten im Bereich der kundennahen Software-

Entwicklung eine weit geringere Bedeutung als im Bereich der Standardsoftware-

Entwicklung. Dennoch ist es nicht so, dass dieser Bereich wirklich verlagerungsre-

sistent wäre. Zwei Entwicklungen kommen hier zusammen, die insgesamt darauf

hindeuten, dass auch dieser Bereich in Zukunft von den Offshoring-Aktivitäten

nicht ausgespart bleiben wird.

Zunächst einmal pochen gerade einflussreiche Kundenunternehmen bei

großen Projekten vehement auf Entwicklungsanteile in Off- und Nearshore-

Regionen, wenn sie selbst über entsprechende Produktionskapazitäten in diesen

Ländern verfügen. Gerade vor dem Hintergrund des steigenden wirtschaftlichen

Drucks in der Branche sind die Kostensätze allgemein und insbesondere für einfa-

che Programmieraufgaben in den letzten Jahren sehr deutlich gefallen. Dies führt

dazu, dass die Unternehmen auch bei kundennahen Projekten verstärkt dazu

übergehen, Aufgaben aus dem Bereich der Software-Entwicklung auf ihre Verla-

gerungsfähigkeit hin zu überprüfen. Dabei stoßen sie dann oft auf jene Arbeitsan-

teile, die sie in den letzten Jahren mit dem Ziel der Kostenersparnis an Freelancer

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und kleine Subunternehmen ausgelagert haben. Den inneren Zusammenhang

zwischen einem steigenden Margendruck, seiner Verstärkung durch Kundenan-

forderungen und der Verlagerung einfacher Programmieraufgaben beschreibt ein

Manager im Consulting-Bereich sehr eindringlich:

»Ja gut, aber da [im Bereich der Programmiertätigkeiten großer SAP-Projekte,

A.B.] verfallen die Preise ja noch schlimmer. Also, momentan haben wir ein

Riesenthema so mit Offshore-Programmierung, d.h. wo für große Projekte halt

irgendwelche Offshore-Programmierung eingesetzt wird. Da ist ein

Wahnsinnspreisdruck, und das ist halt das Problem, dass die Mitarbeiter bei

uns und auch in anderen Firmen halt relativ gut bezahlt sind, und für die Pro-

grammierung will halt keiner mehr e 150, sondern nur noch e 70 bezahlen,

nur die Hälfte, und das ist natürlich ein Riesenthema dann. (...) Bei einem

großen Kunden hatten unsere Kompetenzen nicht gepasst für die Program-

mierung, und da haben die gesagt, dann suchen wir uns in einer anderen

deutschen Stadt was, da haben wir so verschiedene Software-Häuser an der

Hand. Und dann kam einer von dem Kundenunternehmen auf die Idee und

sagte: Wir haben ja ein Werk in Indien, und die machen ganz tolle Beratung,

bekommen die von einem indischen Software-Haus, dann nehmen wir doch

die. Und da haben wir dann gesagt: Inder haben wir auch, wir haben so eine

Außenstelle dort. Da haben wir dann unsere Inder da reingebracht, und es ist

so gelaufen. Im Endeffekt sitzen da jetzt zwei, drei Inder vor Ort, zehn Inder in

Indien, die dann wesentlich billiger sind, und von uns Deutschen haben wir

jetzt zwei Teilprojektleiter da installiert, die jetzt die Konzepte machen und

gewissermaßen die Verantwortung für diese ganze Thematik übernehmen.

D.h. man hat wieder zehn normale Arbeitsplätze ersetzt durch zwei, die wieder

höherwertig sind, was wahrscheinlich die zehn Leute, die sonst da program-

miert hätten, nicht ausfüllen können. Das ist so das Grundproblem, dass man

einfach, sagen wir mal, die einfachen Arbeitsplätze immer mehr wegrationali-

siert oder auslagert oder wie auch immer. (...) Also sagen wir mal, man muss

eigentlich diese Entwicklung aufgreifen, dass sie einem nicht ganz entgleitet,

sonst gehen die Inder vielleicht ohne uns an den Markt, und das wäre dann

noch verheerender. (...) Wir nutzen die Dependance [in Indien, A.B.], um viel-

leicht 20 % uns selbst zu kastrieren und die anderen 80 % zu erhalten oder uns

auch den Markt zu erhalten, weil wir sonst dann vielleicht komplett rausfallen

würden« [Experte S.].

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Vor diesem Hintergrund gehen die Unternehmen allgemein dazu über, auch im

Bereich der kundennahen Software-Entwicklung stärker zu selektieren, welche

Aufgaben an Tochterfirmen in Osteuropa oder Indien vergeben werden können.

Dazu werden einerseits ganze Projekte und andererseits innerhalb der Projekte

noch einmal einzelne Tätigkeitsbereiche nach ihrer Eignung kategorisiert. Dabei

greifen die Unternehmen häufig darauf zurück, dass sie schon in den vergange-

nen Jahren mit Blick auf den Einsatz von oft günstigeren Subunternehmern und

Freelancern eine entsprechende Aufteilung der Tätigkeiten vorgenommen haben.

Eine Führungskraft aus dem Bereich des Consultings erläutert dies am Beispiel

von SAP-Projekten, die gegenwärtig ein wichtiges Geschäftsfeld in allen großen

IT-Dienstleistungsunternehmen bilden. Auf die Frage, ob hier nicht generell der

Anteil von unmittelbar ortsgebundenen und kundenbezogenen Tätigkeiten ein

Offshoring unmöglich mache, antwortet er:

»Das kommt darauf an, was Sie da machen. Also, wenn Sie sagen, Sie führen ein

Thema ein, da haben Sie recht. Wenn Sie jetzt eine bestimmte Entwicklungsthe-

matik haben, das können Sie manchmal auslagern, manchmal auch nicht.

Aber wenn Sie so eine Betreuungsthematik haben, dass Sie sagen, so ein Relea-

sewechsel oder eine Hotline, Customer-Helpcenter, das können Sie locker ausla-

gern, das ist egal, wo das sitzt. Das können Sie remote machen. So eine Remote-

betreuung, das ist egal, ob da einer jetzt hier sitzt und remote beim Kunden

reingeht oder in Indien, das ist eigentlich wurscht von der Technik her. Sagen

wir mal so, wenn Sie so eine bestimmte Schnittstellenprogrammierung haben,

eine Schnittstellenanbindung von einer anderen Software und das wären

e 100.000, dann können Sie diesen Block natürlich nehmen und können sagen,

den lass’ ich in Indien programmieren, wenn er definiert ist. (...) Das sind die

Teile, die Sie dann machen können. Aber das setzt dann auch ein vernünftiges,

sagen wir mal, internationales Projektmanagement über Grenzen und kultu-

relle Eigenheiten hinweg voraus. (...) Da müssen Sie dann ein entsprechendes

Controlling aufsetzen oder entsprechende Strukturen, dass man auch diese

interkulturellen Eigenheiten da noch in so einem Projekt mit einfängt. Das darf

man nicht vernachlässigen, ansonsten fahren Sie mit 180 an die Wand. (...) Es

gibt Firmen, die haben (...) tausend Freelancer beschäftigt. Und da sagen die

jetzt, was würde da passieren, wenn ich diese Weiterentwicklung, diese stän-

dige Betreuung und Releasewechsel quasi offshore machen lasse? Wenn Sie da

ein vernünftiges Projekt haben mit Menschen vor Ort in Offshore, dann können

Sie bestimmt ein Drittel sparen. (...) Das sind definierte Themen, Schnittstel-

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lenthemen, Weiterentwicklungsthemen, die man definieren kann. (...) Wenn Sie

jetzt natürlich hier vor Ort mit den Mitarbeitern das entsprechend chronisch

absprechen müssen, dann ist das kein Thema dafür« [Experte S.].

Diese Entwicklung der strikteren Selektion und Fremdvergabe von kundennahen

Entwicklungstätigkeiten nach Indien oder Osteuropa ist nach den Erfahrungen

der hier befragten Experten noch in den Anfängen. Gleichwohl zeigt die bisher

schon praktizierte Fremdvergabe an Freelancer, dass es hier durchaus ein großes

Potenzial gibt. Um dieses auszuschöpfen, müssen allerdings die Projekte in weit

höherem Maße, als dies bisher der Fall ist, für eine Verlagerung aufbereitet wer-

den. Dies setzt, darauf verwies schon der hier zitierte Experte, ein striktes Projekt-

controlling und ein konsequentes Projektmanagement voraus. Genau hier, so der

Gesamteindruck aus den Gesprächen, werden die Unternehmen in Zukunft ihre

Anstrengungen intensivieren. Es ist daher damit zu rechnen, dass eine genauere

Prüfung der Verlagerungsfähigkeit und die Einführung strikterer Methoden des

Projektmanagements zwei notwendige Zwischenmaßnahmen sind, um zukünftig

in weit größerem Umfang, als dies bisher noch denkbar scheint, Aufgaben der

kundennahen Software-Entwicklung an die Entwicklungsstandorte in Indien und

Osteuropa auslagern zu können.

Ein notwendige Bedingung dafür ist allerdings, dass die auszulagernden Auf-

gaben eine bestimmte kritische Masse erreichen, um betriebswirtschaftlich sinn-

voll offshore erledigt werden zu können. Daher wird diese Entwicklung vermut-

lich v.a. in den großen Unternehmen besondere Bedeutung haben. Ein Projektlei-

ter beschreibt das Problem der erforderlichen Projektgröße mit Blick auf die Kom-

munikations- und Kooperationserfordernisse in einem kundennahen Projekt:

»Also ich denke, der Dokumentationsaufwand bei solchen Offshore-Projekten,

der ist, muss dramatisch viel höher sein, als wenn ich das mit zehn Leuten

mache, die in einem Zimmer sitzen. So, jetzt gibt es auf der anderen Seite

sowieso Projekte, die sind so groß, dass ich auch kein tägliches jour fixe mehr

machen kann und auch nicht alle ständig miteinander reden können. Also da

habe ich auch schon diesen Kommunikationsaufwand, selbst wenn die Leute

alle in einem Gebäude sitzen. So, und jetzt würde ich sagen, also dieser Nach-

teil, den ich in solchen Offshore-Projekten sehe, der wird natürlich umso klei-

ner, je größer das Projekt ist. Weil ich dann sowieso Unterstrukturen kriege und

so richtig diese Kommunikationswege formalisieren muss. Und gut, die wer-

den dann auch schwerfällig dann dadurch« [Experte D.].

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Die konsequentere Selektion von Aufgaben nach ihrer Verlagerungsfähigkeit

sowie die Einführung strikter Projektmanagementmethoden hat Auswirkungen

auf die Arbeitssituation der Entwickler und Berater. Diese resultieren beispiels-

weise aus einer Veränderung der Vorgehensmodelle in den Projekten. Die dabei

anzustrebende Methodik muss den Beratern von A.T. Kearney zufolge eine forma-

lere Abwicklung und Trennung von Arbeitsaufgaben ermöglichen (Buchta u.a.

2004).

Ein auf »formalere Abwicklung und Trennung von Arbeitsaufgaben« zielendes

Vorgehensmodell ist nicht nur eine wichtige Voraussetzung für das Offshoring

von Tätigkeiten eines Projekts. Es ist zugleich eine wesentliche Grundlage für ein

effizienteres betriebswirtschaftliches Controlling. Auf Seiten der Beschäftigten

engt dies Handlungsspielräume ein, die für viele von ihnen identitätsstiftende

Bedeutung bei ihrer Berufsausübung haben [Baukrowitz u.a. 1994; Boes, Baukro-

witz 2002]. Dies kann Probleme bei der Einführung entsprechender Management-

methoden hervorrufen, deren Bedeutung bis jetzt noch nicht absehbar ist. Hinzu

kommt, dass die oft in Kundenprojekten erforderliche Flexibilität bei der Verfol-

gung hoch formalisierter Vorgehensmodelle u.U. verloren gehen kann. Ein Pro-

jektleiter eines großen Entwicklungsprojekts erläutert diesen Zusammenhang aus

der Binnenperspektive eines Projekts:

»Also ich kann mir kaum vorstellen, dass es irgendwelche Projekte gibt, die

offshore besser gehen, als wenn man alle Leute zusammen hätte irgendwo.

Also ich habe immer dieses Thema Kommunikation, das ist ein problemati-

sches Thema. Also es ist viel schwieriger, Leute, die über verschiedene Stand-

orte verteilt sind, wirklich bei der Stange zu halten. Also da ... ich habe, sage ich

mal, wirklich dann diesen Aufwand auf der Spezifikationsseite. Also ich muss

es wirklich, denke ich, viel genauer hinschreiben, als ich es müsste, wenn, sage

ich mal, so ein Team so echt zusammensitzt. (...) Es sei denn, ich habe wirklich

eine ganz spezielle Funktionalität oder irgend etwas, wo ich sagen kann: ‚Die

ist losgelöst, die kann ich einmal spezifizieren und dann wird das gemacht.’

Aber normalerweise habe ich immer so Wechselwirkung, dass sich dann im

Design oder irgendwann rausstellt, ich muss halt eine Ecke doch noch

irgendwo drehen, und dann ist es schön, wenn alle Betroffenen sich direkt hin-

setzen können, bevor das Problem hochkommt. (...) Ja, ich denke, man muss

sich über die Konsequenzen im Klaren sein. Und die Konsequenzen aus meiner

Sicht sind einfach eine stärkere Formalisierung der Abläufe und auch der Kom-

munikationsabläufe. (...) Auf der anderen Seite hat es vielleicht den Vorteil,

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dass das eine oder andere planbarer wird. (...) weil ich mehr Aufwand in die

Spezifikation stecken muss, weil ich mehr überprüfen muss. (...) Ich denke, es

ist in Summe schwerfälliger, weil mehr Overhead dabei ist. Und ob sich’s dann

am Ende unterm Strich rechnet, ist ja dann auch wieder die Frage. Wenn die 20

Entwickler in Indien so viel billiger sind, dass ich damit den zusätzlichen

Overhead finanzieren kann, dann ist das vielleicht betriebswirtschaftlich gese-

hen dann doch wieder ... ja ne schwarze Zahl wieder rauskommt und keine

rote. Also das kann man sicherlich unterschiedlich dann auch bewerten«

[Experte D.].

Die hier skizzierten Entwicklungen im Bereich der kundennahen Software-Ent-

wicklung hatten in der Mehrzahl der Fälle bisher keine negativen Beschäftigungs-

effekte. Die Arbeitnehmervertreter hatten daher von diesen Fällen in der Regel

keine Kenntnis. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die Unternehmen in Sachen

Offshoring von kundennahen Entwicklungsaufgaben erst in den Anfängen

stecken. Darüber hinaus wurde in allen Unternehmen die Fremdvergabe von Soft-

ware-Entwicklungstätigkeiten an Subunternehmer im Inland zurückgefahren und

die Vergabe an Freelancer gestoppt, sodass der Abbau von Personalkapazitäten

nicht auf die Stammbelegschaften durchschlug.28 Lediglich in einem Unterneh-

men wurde vom Abbau von Arbeitsplätzen in der kundennahen Software-Ent-

wicklung berichtet. Hier hat ein Großkunde, der selbst ein Entwicklungszentrum

in Indien unterhält und intern die Maßgabe an das mittlere Management ausge-

geben hat, in Zukunft 20 % der Entwicklungskosten nach Indien zu verlagern, ent-

sprechende Anforderungen gestellt. Da dieser Großkunde für den betroffenen IT-

Dienstleister eine überragende wirtschaftliche Bedeutung hat, gab man diesem

Drängen nach. Beschäftigte wurden freigesetzt und sollen nun in andere Aufga-

ben qualifiziert werden. Die Verlagerung selbst hat zu großer Verärgerung bei der

Belegschaft und den örtlichen Interessenvertretern geführt.

105

28 Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung wirkt die Prognose von A.T. Kearney, wonach gerade dieFreelancer zu den Gewinnern der Offshoring-Entwicklung zählen könnten, befremdlich. Hier heißtes: »Ein positiveres Bild ergibt sich für ca. 20 % der IT-Arbeitskräfte in Deutschland, das entspricht ca.75.000 Personen, die als Freelancer und Selbstständige arbeiten. Da Projekte eine gewisse Größeüberschreiten sollten, um sinnvoll an Offshore-Standorte verlagert zu werden, besteht für dieseBerufsgruppe eine Marktnische. Diese Arbeitsgruppe wird häufig von Unternehmen als flexible undkostengünstige Ressource für die Anwendungsentwicklung beauftragt, um kleinere Aufgabenschnell zu übernehmen« [Buchta u.a. 2004]. Das Bestreben der Unternehmen, in der Übergangs-phase, in der sie ihre Strukturen überhaupt erst »offshoringfähig« machen müssen, die Loyalität derStammbelegschaften nicht zu gefährden, wird jedenfalls eher einen gegenteiligen Effekt auf dieBeschäftigungssituation der Freelancer haben.

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» B i s h e r s i n d d i e A u s w i r k u n g e n n o c h m o d e r a t « –

A u s w i r k u n g e n d e r O f f s h o r i n g - A k t i v i t ä t e n i n d e n

U n t e r n e h m e n

Offshoring, das zeigt die Analyse in den Unternehmen, wird in allen großen IT-

Unternehmen realisiert. In mittelgroßen Unternehmen hat das Thema bisher

keine besondere Bedeutung. Die eingehende Untersuchung konkret laufender

Aktivitäten zeigt aber auch, dass sich die Unternehmen gegenwärtig eher in

einem Take-off-Stadium befinden. In einigen Unternehmen haben diese Entwick-

lungen zwar schon zu einem Arbeitsplatzabbau in Deutschland und einer Verla-

gerung von Tätigkeiten in Off- und Nearshore-Regionen geführt. Die Situation

wird aber allenthalben als »moderat« eingeschätzt. Das »dicke Ende«, so vermuten

die Gesprächspartner, komme erst. Sie verweisen dabei auf allgemeine Trends der

Entwicklung des IT-Marktes und die strategischen Planungen der Unternehmen.

Der Schwerpunkt der Offshoring-Aktivitäten in den Unternehmen liegt bisher

auf der Vorbereitung der Produktionsstrukturen. Dies schlägt sich im Ausbau der

Produktionskapazitäten in den Off- und Nearshore-Regionen sowie in der Selek-

tion von Tätigkeitsbereichen nach ihrem Verlagerungspotenzial nieder. Beide Pro-

zesse befinden sich aber noch in einem Übergangsstadium, eine konsolidierte

Nutzung von Produktionskapazitäten in Niedriglohnregionen findet – von Aus-

nahmen abgesehen – bisher nicht statt. Dementsprechend ist die Situation in den

Unternehmen bisher auch eher davon bestimmt, dass sie Pilotprojekte realisieren,

um die Möglichkeiten auszuprobieren und Erfahrungen zu sammeln.

Sowohl die Vorbereitungen auf eine verstärkte Nutzung von Off- und Nears-

hore-Ressourcen als auch die Pilotprojekte finden quer durch alle Tätigkeitsberei-

che statt. Man findet sie sowohl in den administrativen Abteilungen als auch im

Bereich der Software-Entwicklung. Dabei zeigt sich, dass die Trennung der Tätig-

keiten hinsichtlich ihrer Eignung, offshore betrieben zu werden, nicht unbedingt

dem Kriterium der Komplexität bzw. der Standardisierbarkeit der Aufgaben folgt.

Unstrittig ist in den Unternehmen, dass gut spezifizierbare Aufgaben eher zur Dis-

position stehen. Die Strategien der Unternehmen im Bereich der Software-Ent-

wicklung zeigen aber auch, dass hier durchaus ambitionierte Konzepte realisier-

bar sind, dass also auch komplexe und inhaltlich wie technologisch anspruchs-

volle Software-Entwicklungstätigkeiten an den Niedriglohnstandorten bewältigt

werden können. Selbst Offshoring im Bereich der Software-Entwicklung muss kei-

neswegs dem Konzept der »verlängerten Werkbank« entsprechend gestaltet wer-

den, sondern kann auf den Aufbau von Produktionsintelligenz und deren Integra-

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tion in internationale Netzwerke setzen. Sollte sich dieser Weg langfristig als

gangbar erweisen, muss die häufig geäußerte Hoffnung, wonach auch in der Soft-

ware-Entwicklung lediglich damit zu rechnen sei, dass arbeitsaufwändige und

vergleichsweise gut spezifizierbare Aufgaben verlagert würden, ad acta gelegt

werden.

Die meisten Erfahrungen mit Off- und Nearshoring liegen bisher für die Berei-

che der administrativen Tätigkeiten an der Kundenschnittstelle und der Software-

Entwicklung vor. Auf diesen Gebieten gibt es neben erfolgreichen Pilotprojekten

bereits die ersten Misserfolge. So wurde in einem Fall beispielsweise ein Help-

Desk-Center bereits wieder zurückverlagert. Demgegenüber sind die Bestrebun-

gen im Bereich der internen administrativen Funktionen (v.a. Personal- und

Finanzwesen) sowie der beratungsnahen Software-Entwicklung noch nicht so

weit realisiert, dass schon relevante Erfahrungen ausgewertet werden können.

Weil sich die Entwicklung also insgesamt erst in den Anfängen befindet, sind

auch die Auswirkungen auf die Beschäftigten in den meisten Fällen von geringer

Tragweite. Auch wenn sie bisweilen von den Planungen der Vorstände gehört

haben, sind in den meisten Fällen doch nur geringe direkte Effekte für sie erfahr-

bar. Dementsprechend ist die Stimmung in den Belegschaften nach Aussagen der

meisten Arbeitnehmervertreter bisher abwartend. Dazu trägt bei, dass die Unter-

nehmen sich bis dato dort, wo sie Pilotprojekte mit direkten Auswirkungen auf die

Beschäftigten realisieren wollen, meist darauf einlassen, die betroffenen Beschäf-

tigten mit anderen Aufgaben zu betrauen oder sie für solche zu qualifizieren.

Wichtig ist darüber hinaus, dass realisierte Verlagerungen oft nicht zu Lasten der

Stammbelegschaften gehen, sondern Freelancer und kleine Subunternehmer

betreffen. Dort allerdings, wo eine reale Verlagerung von Aufgaben stattfindet, die

dann auch zu betriebsbedingten Kündigungen von Beschäftigten führt, kann die

Stimmung in der Belegschaft sehr schnell kippen und es kommt zu aktiver

Gegenwehr.

Insgesamt deuten der Entwicklungsstand und die Stimmung in den Beleg-

schaften gegenwärtig auf ein Zwischenstadium hin. Die Beschäftigten haben

zwar erfahren, dass von Seiten der Unternehmensleitungen ehrgeizige Offshore-

Pläne verfolgt werden, erleben deren direkte Auswirkungen aber bisher eher als

Randphänomen. Die Interessenvertreter sind sich bewusst, dass die aktuell laufen-

den Maßnahmen lediglich als Ouvertüre für weitergehende Veränderungen zu

werten sind. Ein Teil von ihnen mutmaßt, dass die damit vermutlich einhergehen-

den Folgen für die Beschäftigten eher marginal sein werden, während ein anderer

Teil von gravierenden Auswirkungen für die Mitarbeiter ausgeht. Die Interessen-

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vertreter der zweiten Gruppe befinden sich auf der Suche nach einem interessen-

politischen Konzept zur Verhinderung von Arbeitsplatzverlagerungen und ande-

ren negativen Auswirkungen für die Beschäftigten. Die unteren und mittleren

Führungskräfte sehen die Entwicklung größtenteils mit Skepsis. Sofern ihre beruf-

liche Karriere nicht direkt vom Erfolg der Offshoring-Aktivitäten abhängig ist, sind

sie bisher keineswegs von der Sinnhaftigkeit und von den Erfolgsaussichten des

Offshorings überzeugt. Dabei kommen häufig fachliche Einwände gegen Offsho-

ring zum Tragen. Überzeugte Promotoren des Projekts Offshoring finden die Vor-

stände hier jedenfalls bisher nicht.

Entscheidend für die weitere Entwicklung der Stimmung in den Unternehmen

wird sein, welche Konzepte die Unternehmensleitungen in Zukunft verfolgen

werden. Im Falle einer forcierten Umsetzung von Offshoring-Aktivitäten und einer

starken Betonung des Ziels von Arbeitsplatzverlagerungen, welche in den Betrie-

ben zu realen Arbeitsplatzverlusten führt, kann dies einen schnellen Stimmungs-

umschwung zur Folge haben. Die Beschäftigten sind mittlerweile durch die

öffentlichen Ankündigungen verschiedener Vorstände für das Thema sensibilisiert

und im Falle einer direkten negativen Wirkung zu eruptiven Reaktionen durchaus

in der Lage. Dies kann schnell einen unternehmensöffentlichen Druck entfachen,

dem sich selbst Arbeitnehmervertreter mit einem »unternehmensnahen« Poli-

tikverständnis [vgl. Boes, Baukrowitz 2002] nur schlecht entziehen können.

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V E R S U C H E I N E R A B S C H Ä T Z U N GD E R F O L G E N F Ü R D I E B E S C H Ä F T I G T E N

Angesichts des dargestellten Entwicklungsstands der Offshoring-Entwicklung las-

sen sich gesicherte Aussagen über die Folgen für die Beschäftigten in der BRD

zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht treffen. Daher haben alle bisher vorgelegten

Analysen zu diesem Thema den Charakter von mehr oder weniger gut begründe-

ten Plausibilitätsüberlegungen und Prognosen. Gesicherte Erkenntnisse sind bis-

her nicht zu erwarten. Das folgende Kapitel hat daher vor allem das Ziel, die zu

erwartenden Veränderungen mit Blick auf die Situation der IT-Beschäftigten in

Deutschland zusammenzustellen, entlang zentraler Entwicklungstrends zu bün-

deln und hinsichtlich ihrer Plausibilität zu überprüfen.

Die Folgen für die IT-Beschäftigten lassen sich entlang vier zentraler Themen

diskutieren. Von überragender Bedeutung sind die Beschäftigungseffekte der

Offshoring-Entwicklung. Die Diskussion um Arbeitsplatzverlagerungen aus Hoch-

lohnregionen in Off- und Nearshore-Regionen hat die öffentliche Aufmerksamkeit

in den letzten zwei Jahren bestimmt. Ein zweites relevantes Thema ist der Wandel

der Arbeitsbedingungen und hier vor allem die Auswirkungen der Standardisie-

rung von Prozessen und Abläufen. Als drittes Thema sind die Veränderungen der

Kompetenzanforderungen auf Seiten der Beschäftigten zu identifizieren. Und ein

viertes Thema bilden die indirekten Folgen der Offshoring-Entwicklung für die

Beschäftigten: zunehmender Konkurrenz- und Anpassungsdruck.

D I E B E S C H Ä F T I G U N G S B I L A N Z

D E R O F F S H O R I N G - E N T W I C K L U N G

Die Diskussion um die Beschäftigungswirkungen des Offshorings steht im Zen-

trum der öffentlichen Debatte um diese Entwicklung. Insbesondere die unten

referierte Studie von Forrester Research kann geradezu als Geburtsstunde der

aktuellen Offshoring-Debatte verstanden werden. Mehr noch, diese und weitere

Prognosen von Arbeitsplatzverlagerungen haben offensichtlich nicht nur die

Vehemenz des öffentlichen Diskurses, sondern vor allem auch die Dynamik der

Offshoring-Entwicklung selbst gesteigert, weil sie viele Unternehmen überhaupt

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erst auf die Idee gebracht haben, dass sich auf diesem Weg vielleicht Kosten spa-

ren lassen [McCarthy u.a. 2004; Zeller 2004]. Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache,

dass die vorliegenden Studien zu den Beschäftigungseffekten von Instituten vor-

gelegt werden, denen selbst wiederum Interessen an einer dynamischen Off-

shore-Entwicklung unterstellt werden müssen, sind die Prognosen zu den Be-

schäftigungseffekten mit Vorsicht zu rezipieren.29

B e s c h ä f t i g u n g s e n t w i c k l u n g i n d e n U S A

Die Diskussion um die Beschäftigungseffekte des Offshorings begann, wie gesagt,

im November 2002 mit der erwähnten Prognose der Forrester Research Group,

wonach bis zum Jahre 2015 insgesamt 3,3 Mio. »Service-Jobs« (z.B. Buchhalter,

Back-office-Mitarbeiter oder Software-Entwickler) aus den USA in Offshore-Regio-

nen verlagert würden. In einer aktuellen Prognose hat das Institut die Anzahl der

zu verlagernden Arbeitsplätze im Wesentlichen bestätigt (jetzt wird von 3,4 Mio.

verlagerten Jobs im genannten Zeitraum ausgegangen), sagt aber eine höhere

Dynamik der Entwicklung in den nächsten Jahren voraus. In Auswertung der Zah-

len der offiziellen US-Arbeitsmarktstatistik, wonach bis Ende vergangenen Jahres

rund 315.000 Arbeitsplätze in Billiglohn-Länder verlagert worden seien [Zeller

2004], korrigierte man die Prognose für die nächsten Jahre nach oben. Die Markt-

forscher glauben nun, dass in den USA bereits bis 2005 insgesamt rund 830.000

»White-Collar-Arbeitsplätze« verloren gehen. In der Vorgängerstudie hatten die

Analysten für den gleichen Zeitraum noch mit einem Verlust von 600.000 Jobs

gerechnet [Computerwoche v. 17.05.2004]. Dabei geht das Institut aufgrund der

110

29 Zumindest erklären die Marktforscher von Forrester Research die Tatsache, dass die Offshoring-Ent-wicklung in den USA im letzten Jahr dynamischer verlaufen ist als von ihnen prognostiziert, u.a. ausder gestiegenen Aufmerksamkeit, welche gerade von ihrer und anderen Studien hervorgerufenwurde. In einem Bericht der CIO – IT & Markt zu der Studie wird dieser Zusammenhang wie folgt wie-dergegeben: »Kurzfristig kommt es zu einem deutlichen Boom beim Offshore-Outsourcing von US-Unternehmen. Dieser Trend sei vor allem durch die Diskussion über den Verlust von Arbeitsplätzendurch Auslagerungen entstanden, so Forrester. Durch die stärkere Medienberichterstattung seienviele Firmen erst auf die Idee gekommen, Kosten durch das Outsourcing von eigenen Jobs in Bil-liglohn-Länder zu sparen« [Zeller 2004]. Die Marktforscher legen damit, bewusst oder unbewusst,vermutlich auch ein wesentliches Motiv dieser Studien offen. Die vorgelegten Verlagerungsprogno-sen stammen nämlich i.d.R. von Beratungsinstituten, welche in einer engen Interessenverflechtungzu den »Gewinnern« der Offshoring-Entwicklung stehen. In Deutschland sind beispielsweise zweiStudien zu den Beschäftigungseffekten im IT-Bereich relevant. Eine stammt von A.T. Kearney, einemTochterunternehmen von EDS, welches als IT-Outsourcingunternehmen selbst ein hohes Interessean der Ausweitung des Offshorings hat [tagesschau.de v. 24.02.2004]. Die zweite stammt von derDeutschen Bank Research. Dieser Bank wird im Gegensatz zu Wettbewerbern ein »aggressives« Off-shoring-Konzept nachgesagt [Kort 2004].

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Befragung von 1.800 Managern [ebd.] davon aus, dass bisher nur rund fünf Pro-

zent der größten amerikanischen Firmen Offshoring-Projekte »bedenkenlos« ein-

setzten. Die Mehrheit der Konzerne experimentiere zur Zeit mit kleineren Projek-

ten, um die Partner beim Offshore-Outsourcing zu testen. Aufgrund des Erfolgs

dieser Projekte stünden jetzt die Verlagerungen größerer Unternehmensteile

bevor, so Forrester [Zeller 2004].

Als Vorreiter der Offshoring-Entwicklung gilt der Bereich Banken und Finanz-

dienstleistungen. Deloitte Consulting geht davon aus, dass allein in der Finanz-

branche weltweit zwei Mio. Arbeitsplätze in Niedriglohnländer verlagert werden.

Laut einer Studie von A.T. Kearney sollen im deutschsprachigen Raum in den

nächsten fünf Jahren 100.000 Arbeitsplätze aus diesem Bereich in Niedriglohnlän-

der abwandern [Deloitte&Touche 2003]. Des Weiteren spielen Verlagerungsakti-

vitäten auch bei Telekommunikationsdienstleistern eine erhebliche Rolle. Bis 2008

sollen weltweit voraussichtlich fünf Prozent der 5,5 Millionen Arbeitsplätze in

Niedriglohnländer verlagert werden. Das entspricht 275.000 Stellen [ebd.].30

Die Prognosen zu Arbeitsplatzverlagerungen aus den USA haben zu intensiven

Reaktionen in der Öffentlichkeit geführt. In mehreren Studien wurde daraufhin

nachzuweisen versucht, dass es sich nicht um Netto-Arbeitsplatzverluste handele.

Vielmehr stehe der Verlagerung »einfacher Jobs« in Niedriglohnländer volkswirt-

schaftlich betrachtet ein Plus an Arbeitsplatzgewinnen in anderen Bereichen

gegenüber, welches für die USA insgesamt einen positiven Beschäftigungssaldo

bewirke.

Eine Studie des McKinsey Global Institute (MGI) argumentiert, dass Offshoring

volkswirtschaftlich besonders vorteilhaft sei. Offshoring begünstige nicht nur das

auslagernde Unternehmen und seine ausländischen Partner, sondern auch die

lokale Volkswirtschaft. Primär würden durch Offshoring Mittel frei, mit denen neue

höherwertige Arbeitsplätze geschaffen würden [McKinsey 2003]. Eine im Auftrag

des indischen IT-Industrieverbands National Association of Software and Services

Companies (Nasscom) erstellte Studie des Marktforschungsunternehmens Evalue-

serve präzisiert diese Argumentation. Pro 100 Dollar IT-Auftragsvolumen, das in

andere Länder vergeben wird, kommt es zu Reinvestitionen in die amerikanische

Wirtschaft von 130 bis 145 Dollar. Von niedrigeren Kosten, höherer Flexibilität und

leichterem Zugang zu ausgebildeten Fachkräften profitierten die Auftraggeber

und damit die amerikanische Wirtschaft, argumentieren die Marktforscher [Com-

puterwoche v. 13.10.2003; vgl. auch McKinsey 2003].

111

30 Dieses Ergebnis beruht auf der Befragung von 42 Unternehmen aus den drei Marktsegmenten Fest-netz, Mobilfunk und Kabel [Deloitte&Touche 2003].

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In Wirklichkeit, so die Argumentation einer Studie des Instituts Global Insight

im Auftrag der Information Technology Association of America, gehe es beim Off-

shoring darum, Arbeitsplätze im eigenen Land zu sichern. Outsourcing von

Dienstleistungen im Computerbereich schaffe im eigenen Land neue Arbeits-

plätze. Die Unternehmen könnten das Geld, das sie durch die Beschäftigung billi-

ger Arbeitskräfte im Ausland einsparen, in die eigene Expansion investieren,

wodurch wiederum neue Arbeitsplätze im eigenen Land entstehen würden, heißt

es in der von Global Insight erstellten Studie. Das Institut schätzt, dass auf diese

Art und Weise bis zum Jahr 2008 in der gesamten Volkswirtschaft der USA 317.000

neue Arbeitsplätze entstehen [Global Insight 2004].31 Zusammenfassend heißt es:

»Offshore IT software and services outsourcing has a positive, cumulative

effect on job creation throughout the U.S. economy. In fact, the economic

benefits of offshore ITO creates many more jobs than are displaced. While offs-

hore outsourcing has and will continue to displace workers in the IT software

and services profession, the positive gains to the economy, as a whole, will sti-

mulate job creation throughout the economy. The overall gain is positive: an

estimated 193,900 new jobs were created in 2003 and over 589,000 new jobs

are expected by 2008, if offshore ITO continues. These estimates include both

IT and non-IT jobs. After accounting for the number of displaced IT software

and services jobs, the net number of new jobs in 2003 was estimated to be

over 90,000, and the net number of new jobs in 2008 is expected to be over

317,000« [Global Insight 2004].

Die Auslagerung von IT-Arbeitsplätzen betreffe insbesondere die Branchen

»Publishing, Software and Communications« und »Professional and Business Ser-

vices«. Im Sektor »Publishing, Software and Communications« resultiere daraus

sogar ein negativer Saldo in der Beschäftigungsbilanz, welcher aber vom Beschäf-

tigungswachstum in anderen Branchen überkompensiert werde:

»Most of the displaced IT software and services jobs are expected to occur in

two sectors: Publishing, Software and Communications and Professional and

Business services sectors. In the Publishing, Software and Communications

112

31 Aufgrund der auf den IT-Dienstleistungsbereich zentrierten Sichtweise der Studie werden diesbe-züglich kritische Stimmen laut: »Die Ergebnisse der Studie werden allerdings mit einer gehörigenPortion Skepsis betrachtet. Denn unter anderem bezieht sich die Untersuchung nur auf Dienstlei-stungsjobs im Computerbereich und lässt Arbeitsstellen etwa im Produktionssektor oder bei CallCentern unberücksichtigt« [business-wissen.de v. 04.06.2004]

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sector, the new jobs created – while substantial – do not offset the number of

displaced IT software and services jobs, resulting in a net decrease by 2008.

However, in the Professional and Business Services sector, the number of newly

created jobs exceeds the number of displaced IT software and services wor-

kers, resulting in a net gain by 2008. The job creation in the other sectors helps

absorb the displaced IT software and services jobs throughout the economy«

[Global Insight 2004].

B e s c h ä f t i g u n g s e n t w i c k l u n g i n d e r B R D

Einen ähnlichen Verlauf nehmen auch die für die BRD vorliegenden Studien zur

Beschäftigungsentwicklung durch Offshoring an. Eine Hochrechnung der Studie

von Forrester Research für die BRD kommt zu dem Ergebnis, dass bis 2015 rund

1,1 Mio. Jobs verloren gehen [Die Welt v. 20.01.2004]. Weitere Studien werden

zunächst für den Finanzsektor vorgelegt, der als wichtigstes Zielfeld von Offshore-

Outsourcing-Aktivitäten gilt [A.T.Kearney 2003]. Seit dem Jahr 2004 tritt dann die

Entwicklung im Bereich Software und IT-Service ins Zentrum der Analyse künfti-

ger Beschäftigungswirkungen.

Im Februar 2004 erscheint die erste Studie zu den Beschäftigungseffekten im

IT-Bereich. Die Prognose von A.T. Kearney unterstellt für Deutschland im Vergleich

zu den USA eine nachholende Entwicklung in Sachen Offshoring. Während dort

der Offshore-Anteil der IT-Budgets bereits bei 20 % liege, befänden sich die Unter-

nehmen in der BRD weit dahinter. Aufgrund der zu erwartenden Kostenein-

sparungen sei aber trotz aller Widerstände und Probleme mit einer schnellen Aus-

weitung des Offshore-Anteils an den IT-Budgets zu rechnen, sodass es zu Verlage-

rungen von Arbeitsplätzen im großen Umfang kommen könne. Die Voraussage

kulminiert in der Feststellung:

»Derzeit ist davon auszugehen, dass der Offshore-Anteil an deutschen IT-Bud-

gets und Arbeitsplätzen in den nächsten drei Jahren von unter 5 % auf ameri-

kanisches Niveau [z.Zt. 20 %, A.B.] anwachsen wird. Ohne ein Gegensteuern

bedeutet dies einen Verlust von über 130.000 Arbeitsplätzen allein im Bereich

Software und IT-Services« [Buchta u.a. 2004].

Dabei fallen in der Perspektive von A.T. Kearney die Gewinne und Verluste der Ent-

wicklung je nach Unternehmen sehr unterschiedlich aus. Gewinner der Entwick-

lung sind aus ihrer Sicht die großen, international aufgestellten IT-Dienstleister,

während lokale Anbieter und unternehmensinterne IT-Abteilungen zu den Verlie-

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rern zu rechnen sind, wenn es ihnen nicht gelingt, sich schnellstmöglich auf die

neue Situation einzustellen. Hier heißt es:

»Wachstumsaussichten verspricht dieser Trend [Offshoring; A.B.] vor allem für

international tätige Offshoring-Anbieter, die mit bewährten Modellen und

Methoden in die lokalen Märkte eindringen und die dortige IT-Wirtschaft mas-

siv unter Druck setzen. (...) Während sich die internationalen Offshoring-

Anbieter angesichts eines Gesamteinsparpotenzials von mehr als 2 Mrd. e

p.a. auch auf dem deutschen Markt Wachstumziele von mehr als 20 % stecken,

bedeutet Offshoring auch für die deutsche IT-Wirtschaft eine massive Bedro-

hung der Arbeitsplätze bei lokalen IT-Dienstleistern, aber auch bei unterneh-

mensinternen IT-Abteilungen« [ebd.].

Im April 2004 wird eine zweite Studie zu den Beschäftigungseffekten im IT-

Bereich vorgelegt. Erstellt wurde diese von der Deutsche Bank Research in Zusam-

menarbeit mit SAP und einem Informatik-Professor der FH Kaiserslautern [All-

weyer u.a. 2004]. Diese Studie prognostiziert eine weit geringere Anzahl an verla-

gerungsfähigen IT-Arbeitsplätzen in Deutschland. Standen in der Studie von A.T.

Kearney noch jahresdurchschnittlich mehr als 40.000 Arbeitsplätze zur Disposi-

tion, so rechnet die Untersuchung von Allweyer u.a. nur mit einem durchschnittli-

chen Verlust von 10.000 Arbeitsplätzen pro Jahr. Die Prognose der DB Research

lautet:

»In Deutschland sind bis 2008 fast 50.000 IT-Arbeitsplätze direkt durch Off-

shoring gefährdet. Das sind gut 3,5 % der 1,4 Mio. IT-Arbeitsplätze, die es der-

zeit hier gibt. Allerdings verbleiben Prozesse und Stellen mit hoher Wertschöp-

fung und strategischer Bedeutung i.d.R. im Lande« [Allweyer u.a. 2004].

Auch diese Studie geht von einem unabwendbaren Trend zum Outsourcing aus,

der in immer stärkerem Maße in einem Offshore-Outsourcing kulminiert. In der

Folge würden weniger produktive Arbeitsplätze in Off- und Nearshore-Regionen

ausgelagert. Die Autoren argumentieren, dass Offshoring trotz der Verlagerung

von Arbeitsplätzen in Niedriglohnregionen für hochentwickelte Volkswirtschaften

per Saldo potenziell Nettowohlstandsgewinne bringe. Hier heißt es:

»Eine offene, innovative Volkswirtschaft kann ihre komparativen Vorteile nut-

zen, um ihre Produktion zu veredeln. Den zu befürchtenden direkten Arbeits-

platzverlusten, die mit dem Verlagern von Prozessen einhergehen, stehen eine

Reihe positiver Aspekte gegenüber« [ebd.]

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Die positiven Wohlfahrtseffekte resultierten aus folgenden Faktoren: Erstens werde

durch niedrigere Produktionskosten die Wettbewerbsfähigkeit und Profitabilität

heimischer Unternehmen gesteigert, was deren Unternehmenswert positiv beein-

flusse. Dies habe einen positiven Effekt auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit

der nicht ausgelagerten Arbeitsplätze. Zweitens generierten die Aufträge in Offs-

hore-Regionen dort Einnahmen und Gewinne, welche, je nach Struktur und Inten-

sität der Handelsbeziehungen, in unterschiedlichem Maße als zusätzliche Exporte

wieder zurückflössen. Und drittens könnten die Arbeitskräfte, die durch die Verlage-

rung weniger produktiver Tätigkeiten in Offshore-Regionen freigesetzt werden, in

der Heimat ertragreichere Arbeiten verrichten, wenn sie gut ausgebildet seien, der

Arbeitsmarkt flexibel und der Beschäftigungsstand hoch sei [ebd.].

Allerdings sei zu erwarten, dass die Wohlfahrtsgewinne weltweit nicht einheit-

lich verteilt würden. Vielmehr sei mit »Rochaden auf dem globalen Arbeitsmarkt«

zu rechnen. Während die USA zum Gewinner bei der Neuverteilung der aus dem

verstärkten Offshoring resultierenden Wohlstandsgewinne werden könnten, sei

für die BRD eine weniger günstige Entwicklung zu erwarten. Zugespitzt heißt es:

»Die USA mit dem Löwenanteil am globalen Offshoring werden per saldo

Wohlfahrtsgewinne einstreichen. Ihr flexibler Arbeitsmarkt und die Innovati-

onskraft seiner Unternehmen sichern ihre branchenübergreifende Weltmarkt-

führerschaft. Offshoring ist dabei ein strategisches Instrument. Zwar werden

bis 2015 bis zu 1/2 Mio. Arbeitsplätze aus dem IT-Sektor in Offshore-Regionen

verlagert. Nettowohlfahrtsgewinne in einer Größenordnung von 10 bis 15%

des gesamten Offshoring-Volumens sollten jedoch hinreichend viele neue und

produktivere Arbeitsplätze vor Ort schaffen. Für Europa allgemein (bis auf

Großbritannien) und Deutschland im Besonderen sind diese Effekte nur in

abgeschwächter Form zu erwarten, da Offshoring eine wesentlich geringere

Rolle spielt und der IT-Sektor deutlich kleiner ist. So ist der durchschnittliche

Beitrag der IT-Investitionen zum Wirtschaftswachstum in den USA mehr als

doppelt so hoch wie in Deutschland. Entsprechend werden die Effekte am

Arbeitsmarkt geringer ausfallen« [ebd.].

K r i t i s c h e R e f o r m u l i e r u n g d e r B e s c h ä f t i g u n g s b i l a n z e n

Die Differenz zwischen den bisher vorliegenden Prognosen zu den Arbeitsmarkt-

effekten im IT-Bereich ist sehr groß. Während A.T. Kearney für die nächsten drei

Jahre einen jahresdurchschnittlichen Verlust von bis zu 43.000 Arbeitsplätzen pro-

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gnostiziert, fällt der entsprechende Wert bei DB Research mit 10.000 Stellen weit

geringer aus.32 Wenn man zu der ohnehin großen Differenz noch hinzurechnet,

dass laut Forrester Research die Offshoring-Entwicklung in den nächsten zwei

Jahren vermutlich langsamer zunimmt als in den folgenden,33 ist die Differenz

zwischen beiden Prognosen noch größer. A.T. Kearney betrachtet nämlich ledig-

lich einen Dreijahreszeitraum (müsste also jahresdurchschnittlich betrachtet

eigentlich niedrigere Werte angeben), DB Research dagegen einen Fünfjahreszeit-

raum (und müsste folglich eher ein höheres jahresdurchschnittliches Wachstum

prognostizieren).

Insofern ist die Interpretation von Volker Müller vom Branchenverband BITKOM

durchaus nahe liegend, wonach das kommerzielle Beratungsinteresse wesentli-

chen Einfluss auf die Ergebnisse der Prognose hat. Hier heißt es mit Bezug auf die

Prognose von A.T. Kearney:

»Es lässt sich nicht bestätigen, dass Arbeitsplätze durch Offshoring verloren

gehen. Nach offiziellen Zahlen – beispielsweise vom Statistischen Bundesamt –

waren in Deutschland im Jahr 2003 in den Bereichen Informationswirtschaft und

Telekommunikation 751.000 Menschen beschäftigt. Allein 363.000 davon arbeite-

ten im Bereich Software und IT-Dienstleistungen. Vergleicht man diese Zahlen mit

denen aus dem Boomjahr 1999, hatten wir 2003 20,5 Prozent mehr Arbeitsplätze.

Empirisch lässt sich ein Trend zum Verlust von Arbeitsplätzen also nicht bestäti-

gen. Die Prognose von A.T. Kearney halte ich daher für absolut unrealistisch.

Zudem hat das Unternehmen als Tochter eines Outsourcing-Dienstleisters ein

kommerzielles Beratungsinteresse« [tagesschau.de v. 24.02.2004].

Allein der Verweis auf die Vergangenheit genügt jedoch nicht als Argument, um

die Plausibilität von Prognosen über die Zukunft zu widerlegen. Zumal die im

Raum stehende These nicht lautet, dass die Arbeitsplätze zwingend verlagert wür-

den, sondern dass ein Verlagerungspotenzial in der entsprechenden Größenord-

nung besteht, welches je nach Verlauf der Entwicklung in realen Arbeitsplatzverla-

116

32 Die Prognose von Forrester Research, wonach bis zum Jahr 2015 sogar mit dem Wegfall von jahres-durchschnittlich fast 100.000 Arbeitsplätzen zu rechnen sei, ist mit den beiden vorher genanntenStudien nicht vergleichbar. Im einen Fall geht es um IT-Arbeitsplätze, im anderen um Service-Jobsinsgesamt. Sie wird daher im Folgenden nicht weiter berücksichtigt.

33 Selbst für die USA, denen ein Entwicklungsvorsprung in Sachen Offshoring unterstellt wird, progno-stiziert Forrester Research in der ersten Periode ein weit weniger dynamisches Wachstum hinsicht-lich des Offshorings als in den folgenden Jahren. Der Grund scheint plausibel: Selbst die Unterneh-men in den USA befinden sich erst in einer Art Vorbereitungsstadium, in dem mit Pilotprojekten dieTragfähigkeit der Offshoring-Konzepte und die Verlässlichkeit der Partner geprüft wird. Erst nacheiner erfolgreichen Testphase sind Offshoring-Aktivitäten in großem Stil zu erwarten.

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gerungen seinen Niederschlag finden kann. Die Prognosen zu den Beschäfti-

gungsbilanzen des Offshorings für IT-Arbeitsplätze in Deutschland bedürfen einer

eingehenderen Analyse.34

Gemeinsam ist beiden Prognosen die Annahme einer Ausweitung von Out-

sourcing-Aktivitäten in der Wirtschaft insgesamt und eines wachsenden Anteils

von Offshore-Outsourcing-Maßnahmen daran. Diese Wachstumsprognose bildet

die Basis für die Voraussagen hinsichtlich des Potenzials an verlagerbaren IT-

Arbeitsplätzen. Die unterstellten Wachstumserwartungen beim Offshoring sind

allerdings sehr unterschiedlich.

Bei DB Research fällt die Prognose hinsichtlich der Zunahme des IT-Outsourcings

im Allgemeinen und des IT-Offshorings für Deutschland folgendermaßen aus: Zwi-

schen 2003 und 2008 soll der Wert aller IT-Outsourcing-Aktivitäten der deutschen

Wirtschaft von derzeit e 10 Mrd. auf e 17 Mrd. wachsen. Das entspricht einem jah-

resdurchschnittlichen Wachstum von 11,2 %. Im gleichen Zeitraum wachsen die IT-

Offshoring-Aktivitäten (als Teil der IT-Outsourcing-Aktivitäten) um 14,9 % p.a. Für

das Jahr 2003 wird der Wert mit e 400 Mio., für das Jahr 2008 mit e 800 Mio. ange-

geben. Insgesamt rechnen die Autoren der Studie auch in Deutschland mit einer

Ausweitung der Offshoring-Aktivitäten. Sie konstatieren aber, dass

»auf absehbare Frist (...) nicht die Dynamik des amerikanischen Offshoring-

Trends für Deutschland« [Allweyer u.a. 2004]

zu erwarten ist.

117

34 Dabei sei angemerkt, dass beide Arbeiten den Anforderungen einer wissenschaftlichen Beweis-führung nicht gerecht werden. Keine der beiden legt fundamentale Daten wie Grundgesamtheiten,in Anschlag gebrachte Prognosemodelle und -verfahren, mögliche Alternativberechnungen etc.offen. So gehen beispielsweise die Marktforscher von A.T. Kearney von einer Grundgesamtheit von380.000 Beschäftigten im Bereich Software und IT-Service aus, während die Autoren der DB-Rese-arch-Studie 1.400.000 »IT-Arbeitsplätze« zu Grunde legen. Darüber hinaus steht die empirische Basisin keinem Verhältnis zu der Tragweite der getroffenen Aussagen. Die Studie von DB Research legtihre empirische Basis überhaupt nicht offen. A.T. Kearney verweist in seiner Studie darauf, dass dieAnalyse auf Untersuchungen in insgesamt »mehr als 40 Unternehmen« und begleitenden Experten-gesprächen beruht. In der Studie heißt es: »Im Rahmen dieser Studie wurden sowohl regional wieauch international operierende Unternehmen mit Hauptsitz im angloamerikanischen Sprachraumund in europäischen Ländern aller Größenordnungen betrachtet. Die befragten Unternehmendecken die wichtigsten Branchen in Deutschland ab: Am stärksten vertreten waren der Finanzdienst-leistungsbereich (17%) und die Logistikbranche (10%). Darüber hinaus wurden Unternehmen der IT-Dienstleister-Branche, dem produzierenden Gewerbe, Energiewirtschaft, Konsumgüterhersteller undHandel, Pharmaindustrie und Gesundheitswesen, Telekommunikation, sowie dem öffentlichen Sek-tor befragt. Ergänzt wurden die zur Verfügung stehenden quantitativen Daten durch Interviews/Workshops mit Industrieführern, IT-Dienstleistern und Professoren deutscher Hochschulen« [Buchtau.a. 2004]. Mit welchem Hochrechnungsverfahren sich aus der Analyse von 40 Fällen Rückschlüsseauf die gesamte Wirtschaft ziehen lassen, bleibt seitens der Autoren allerdings offen.

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Auch die Studie von A.T. Kearney erkennt für Deutschland ein verändertes Ent-

wicklungsmuster im Vergleich zu den USA. Ihrer Einschätzung nach sind deutsche

Unternehmen den US-amerikanischen in Sachen Offshoring um ca. drei Jahre hin-

terher. Sie erläutern die Ursachen für diesen Tatbestand wie folgt:

»Viele deutsche Unternehmen sind unsicher, wie sie an das Thema herangehen

sollen. So planen zwar 2/3 der befragten deutschen Unternehmen Offshore-

Initiativen aufzusetzen, dennoch haben über 80 % von diesen Unternehmen

noch keine konkreten Aktivitäten oder Vorbereitungen gestartet. Auch hier

liegt Deutschland hinter USA und UK, das deutlich konkretere Planungen hat.

Gründe in nächster Zeit nicht mit Offshoring zu starten, sind für die Unterneh-

men vor allem die Angst vor den organisatorischen Herausforderungen und

den Managementaufgaben (70 %), die Offshoring mit sich bringt« [Buchta

u.a. 2004].

Angesichts des Drucks des internationalen Marktes und der zu erwartenden

Kosteneinsparungen sind die Marktforscher allerdings optimistisch, dass auch die

deutschen Unternehmen sich nicht dem Offshoring-Trend entziehen können.

Auch wenn gewisse kulturelle, politische oder organisatorische Gründe den

schnellen Erfolg des Offshore-Outsourcings in Deutschland verzögern könnten,

steht der Erfolg des Modells für die Autoren dennoch unwiderruflich fest, weil auf

Dauer kein Unternehmen einer Kostenersparnis von 30 bis 50 % widerstehen

könne:

»Eine Gnadenfrist wird den IT-Dienstleistern in Deutschland nur durch Unter-

nehmen gewährt, die ihre IT-Organisation und -Abläufe erst einmal auf die

durch Offshoring gestellten Anforderungen vorbereiten müssen. Dazu kommt

etwa ein Drittel aller Arbeitgeber, die sich mit Offshoring bisher aus strategi-

schen oder politischen Gründen noch nicht beschäftigt haben. Die enormen

zu erzielenden Kosteneinsparungen von 30-50 % sind für die Unternehmen

jedoch eine große Motivation, den notwendigen Anpassungsprozess zu

beschleunigen oder Hindernisse wie z.B. kulturelle Barrieren oder Know-how-

Transfer in das Ausland zu beseitigen« [ebd.].

Sie erwarten daher in Zukunft ein jährliches »Gesamteinsparpotenzial« von mehr

als e 2 Mrd. auf dem deutschen Markt, was auf Seiten der internationalen IT-

Dienstleister dazu führt, dass diese sich im deutschen Markt Wachstumziele von

mehr als 20 % stecken:

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»Deutsche Unternehmen hinken dem Offshoring-Trend drei Jahre hinterher.

Dauerhaft werden jedoch alle großen, von starkem Wettbewerb umgebenen

Unternehmen Offshoring-Strategien entwickeln und umsetzen. Die Kosten-

einsparpotenziale liegen bei deutschen Unternehmen bei über 2 Mrd. e p.a.«

[ebd.].

A.T. Kearney geht also von einer dynamischen Wachstumserwartung aus und

nimmt an, dass auch die Unternehmen in Deutschland in drei Jahren ein Offsho-

ring-Volumen von insgesamt 20 % ihrer IT-Budgets realisieren werden statt, wie

bisher, von 5 %.35 Mit anderen Worten, man rechnet im Zeitraum von drei Jahren

mit einer Steigerung des Offshore-Anteils deutscher Unternehmen um 300 %,

gemessen am jetzigen Status. Die Prognose von DB Research fällt weit moderater

aus. Sie berechnet für die nächsten fünf Jahre eine Steigerung des IT-Offshoring-

Volumens von e 400 Mio. im Jahre 2003 auf e 800 Mio. im Jahre 2008. Vermutlich

stellen die jeweils zugrunde gelegten Wachstumserwartungen den wichtigsten

Grund für die Unterschiede hinsichtlich des Verlagerungspotenzials an IT-Arbeits-

plätzen dar. Der Tatbestand als solcher kann hier nur konstatiert, aber nicht weiter

überprüft werden. Nur so viel sei gesagt, um die großen Unterschiede hinsichtlich

der Wachstumserwartungen zu verdeutlichen: A.T. Kearney geht davon aus, dass

das »Gesamteinsparungspotenzial«, welches deutsche Unternehmen pro Jahr

durch Offshore-Outsourcing realisieren könnten, bei über e 2 Mrd. liegt. Mit

einem Marktvolumen von e 0,8 Mrd., wie es DB Research für das Jahr 2008 vor-

aussagt, ist dieser Wert sicher nur schwer zu erreichen.

Für den hier zur Diskussion stehenden Bereich Software und IT-Dienstleistun-

gen sind die Beschäftigungsprognosen darüber hinaus komplexer als für Anwen-

derunternehmen. Sie sind nämlich nicht nur Akteur von Auslagerungen und inso-

fern möglicherweise negativ von Beschäftigungsverlagerungen betroffen,36 son-

dern zugleich »Insourcer«, also Profiteur der Outsourcingbestrebungen von Ban-

ken und Industrieunternehmen. Auch wenn ein zunehmendes »Stück des

Kuchens« in Off- und Nearshore-Regionen wandert, ist keineswegs ausgemacht,

dass nicht auch ein Teil des zusätzlichen Geschäfts aus dem zunehmenden Out-

119

35 Wie die Marktforscher auf einen Offshore-Anteil von 20 % der IT-Budgets kommen, lassen sie leideroffen. Wenn die Recherchen von Forrester Research richtig sind, wonach bisher nur rund fünf Prozentder größten amerikanischen Firmen Offshoring-Projekte bedenkenlos einsetzen, ist das immerhinein beachtlicher Wert.

36 Die IT-Branche gilt als ein wichtiger Akteur bei der Verlagerung von Arbeitsplätzen in Off- und Nears-hore-Regionen. Die für die Anwenderunternehmen unterstellten Verlagerungseffekte für diegenannten Beschäftigtengruppen werden allgemein auch für die IT-Unternehmen angenommen.

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sourcing in den Niederlassungen der IT-Unternehmen in den Hochlohnregionen

hängen bleibt. Die IT-Dienstleister gelten daher zu Recht als Nutznießer des Out-

sourcingbooms, welcher den Auslagerungsbestrebungen der Anwenderunter-

nehmen zugrunde liegt. Die Prognosen zur Ausweitung des Outsourcings in die-

sen Unternehmen bilden die Grundlage für weitreichende Wachstumsprognosen

der IT-Dienstleister in diesem Marktsegment. Insofern hat auch die in den Anwen-

derunternehmen angestrebte Verlagerung von Arbeitsplätzen nicht unbedingt

negative Beschäftigungswirkungen für die IT-Industrie.37 Die Gesamtbeschäfti-

gungsbilanz der Auslagerungen ist also mit Blick auf das hier zur Debatte ste-

hende Segment Software und IT-Dienstleistungen komplexer als für die Anwen-

derunternehmen.

Bezüglich dieses zweifachen Wirkungszusammenhangs, welcher bei Beschäfti-

gungsbilanzen für den Bereich Software und IT-Service in Anschlag zu bringen ist,

muss weiterhin beachtet werden, dass generelle Wachstumseffekte für die IT-

Dienstleistungsunternehmen keinesfalls in gleichem Maße in positive Beschäfti-

gungseffekte für die hiesigen Unternehmen bzw. die hier Beschäftigten durch-

schlagen müssen. Vielmehr wird die aktuelle Offshoring-Entwicklung zu einer Ver-

schärfung des internationalen Konkurrenzkampfs führen, einerseits weil mit den

indischen Unternehmen zusätzliche potente Wettbewerber auf den deutschen

Markt kommen,38 andererseits, weil zu erwarten ist, dass die großen US-amerikani-

schen IT-Dienstleister ihre Wettbewerbsvorteile insbesondere im Bereich des IT-

Outsourcing-Geschäfts ausspielen können. In diesem Punkt, dass insbesondere

die großen US-amerikanischen IT-Unternehmen Nutznießer der Entwicklung wer-

den könnten, waren sich die beiden referierten Studien einig.

120

37 Das hier zur Debatte stehende Segment Software und IT-Service hat in der Vergangenheit von denOutsourcing-Bestrebungen der Anwenderunternehmen profitiert. Während in Industrieunterneh-men und Banken die Arbeitsplätze in den IT-Abteilungen abgebaut oder outgesourct wurden, konn-ten die IT-Dienstleistungsunternehmen ein Beschäftigungswachstum verzeichnen, weil sie dieseAufgaben insourcten oder gar ganze DV-Abteilungen übernahmen. Schon in der Vergangenheit warfür die Anwenderunternehmen ein Verlust von Arbeitsplätzen aus den Bereichen Software-Entwick-lung etc. zu verzeichnen, dem aber auf Seiten der IT-Unternehmen ein positiver Saldo gegenüberstand. Ein Großteil der Beschäftigungsgewinne, welche gerade das Segment Software und IT-Dienst-leistungen in den letzten Jahren erreichen konnte, erklärt sich vermutlich daraus.

38 Die Studien von A.T. Kearney und Deloitte&Touche gehen davon aus, dass die großen indischen IT-Dienstleister im nächsten Schritt bemüht sein werden, den deutschen Markt als »Brückenkopf« deseuropäischen Marktes in den Fokus zu rücken. Wenn man bedenkt, dass es sich dabei um Unterneh-men mit Jahresumsätzen von deutlich über US-$ 800 Mio. handelt [Buchta u.a. 2004], liegt alleinschon aus diesem Grund auf der Hand, dass eine Verschiebung der Wettbewerbssituation inDeutschland zu erwarten ist.

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Mit anderen Worten: Die Beschäftigungseffekte im Bereich der deutschen Soft-

ware und IT-Dienstleistungswirtschaft sind Teil einer doppelten Rochade auf dem

IT-Arbeitsmarkt. Diese besteht einerseits in einer Verschiebung von Beschäfti-

gungspotenzialen aus den Anwenderunternehmen in die IT-Unternehmen und

andererseits aus einer Verschiebung des Beschäftigungsstands der IT-Branche in

einen weltweiten Produktionszusammenhang. Die beiden Entwicklungszüge

haben für die hiesige IT-Industrie je gegenläufige Beschäftigungseffekte:

Die Verlagerung von Arbeitsplätzen aus den IT-Abteilungen der Anwenderun-

ternehmen in die IT-Branche müsste auf Seiten der Software- und IT-Dienstlei-

stungsunternehmen einen positiven Beschäftigungseffekt zu Lasten der Arbeits-

plätze in den Anwenderunternehmen haben. Denn mit der Zunahme des IT-Out-

sourcings in Banken und Industrieunternehmen werden Arbeitsplätze in diesen

Anwenderunternehmen abgebaut, welche nach Abzug der Produktivitätseffekte,

welche aus der Durchführung dieser Arbeiten durch darauf spezialisierte IT-

Dienstleister resultieren, zu einem Positivsaldo auf Seiten der IT-Unternehmen

führen müssten.

Das so auf Seiten der IT-Unternehmen generierte zusätzliche Geschäft wie-

derum wird aber unter den neuen Weltwirtschaftsbedingungen in der IT-Industrie

keineswegs eins zu eins in Beschäftigung auf dem hiesigen Binnenmarkt umge-

setzt.39 Die Beschäftigungseffekte vollziehen sich vielmehr im Kontext einer

»Rochade auf dem globalen Arbeitsmarkt« [Allweyer u.a. 2004] und sind daher nur

in internationalen Interdependenzbeziehungen zu analysieren.

Der Bedeutungsgewinn dieser internationalen Interdependenzbeziehung für

die Beschäftigungsentwicklung ist die wesentliche Veränderung, welche sich aus

dem neuen Schub der Internationalisierung im Bereich Software und IT-Dienstlei-

stungen ergibt. Wenn also Volker Müller von BITKOM gegenüber A.T. Kearney

argumentiert, dass es doch in den letzten Jahren einen positiven Beschäftigungs-

saldo in dem genannten Branchensegment gegeben habe und damit implizit

schlussfolgert, dass auch für die Zukunft keine wesentliche Veränderung zu erwar-

ten sei, unterschätzt er die Bedeutung dieses Wirkungszusammenhangs –

genauer gesagt, er argumentiert in einem überkommenen Modell. Die Entwick-

lung zwischen 1999 und 2003, welche er ins Feld führt, war wesentlich geprägt

121

39 Der Chef von Accenture Deutschland, Stephan Scholtissek, stellt folgende Rechnung an: Prozesse, dieausgelagert werden könnten, machen ihm zufolge etwa 25 bis 30 Prozent der Gesamtkosten einesUnternehmens aus. Er schätzt, dass etwa die Hälfte dieses Anteils in Länder wie Indien oder China(offshore) verlagert werden wird, bis zu 35 Prozent nach Osteuropa (nearshore). Der Rest werde inDeutschland bleiben [Borchardt 2003].

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von den Beschäftigungswirkungen, welche sich aus dem ersten Entwicklungszug

der genannten doppelten Rochade ergaben. Zugespitzt formuliert: Die positiven

Beschäftigungseffekte in dieser Phase waren in hohem Maße Ergebnis der

Umschichtung aus den Anwenderunternehmen (und den Hardware-Segmenten

der IT-Industrie sowie den Telekommunikationsunternehmen) in das Dienstleis-

tungssegment. Dieser Wirkungszusammenhang bleibt weiter bestehen, aber er

wird in der nun absehbaren Phase der Entwicklung in weit stärkerem Maße als

bisher durch den zweiten Effekt überformt, die Verschiebung in einen weltweiten

Produktionszusammenhang. In diesem doppelt bestimmten Wirkungszusammen-

hang ist es sehr wahrscheinlich, dass sich die Erfahrungswerte der Vergangenheit

nicht auf die Zukunft hochrechnen lassen. Das Modell, welches es in Anschlag zu

bringen gilt, ist vielmehr komplexer geworden.

Betrachtet man sich die Struktur der in Deutschland ansässigen Software- und

IT-Dienstleistungsunternehmen, so wird deutlich, dass ein Großteil der Unterneh-

men dieser doppelten Rochade und dem daraus resultierenden zunehmenden

Verdrängungswettbewerb mit Sorge entgegensehen muss.

Dies gilt für die noch auf dem Markt befindlichen Standardsoftware-Hersteller.

Außer der SAP AG werden vermutlich alle deutschen Unternehmen durch den mit

der Offshoring-Entwicklung zunehmenden Kostendruck in größere Schwierigkei-

ten kommen. Des Weiteren betrifft dies auch die Systemintegrations- und IT-Bera-

tungshäuser. In dem Maße, wie es den international tätigen Großunternehmen in

diesem Bereich gelingt, ihre Größenvorteile bei der Mobilisierung von Ressourcen

aus international verteilten Entwicklernetzwerken zu nutzen, ist auch hier ein ver-

schärfter Verdrängungswettbewerb zu erwarten. Und insbesondere gilt dies für

die IT-Outsourcing-Anbieter. Schon heute ist dieser Markt aufgrund der Ökonomie

der Skaleneffekte, welche hier eine besondere Bedeutung hat, hochgradig kon-

zentriert. Auch wenn es gerade in Deutschland eine Vielzahl kleinerer Anbieter

gibt [Buchta u.a. 2004], ist der Markt bereits jetzt von großen Anbietern dominiert.

So realisieren die drei Größten (T-Systems, SBS, IBM) gut 75 % des Umsatzes im

Jahre 2001 [Allweyer u.a. 2004]. Die konsequente Umsetzung einer Offshoring-

Strategie erfordert IT-Unternehmen von einer gewissen Größe, um die Kostenvor-

teile eines globalen Sourcings nutzen zu können.40

122

40 Der Chef von Accenture Deutschland geht davon aus, dass sich eine wettbewerbsfähige Umsetzungeiner konsequenten Offshore-Strategie derzeit fast nur für IT-Unternehmen mit einem Umsatz vonmindestens e 1 Mrd. rechnet [Borchardt 2003].

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Die Studie von A.T. Kearney reflektiert die Verschlechterung der Wettbewerbs-

bedingungen für die deutschen IT-Unternehmen wie folgt:

»Gerade die lokalen IT-Service-Provider, die das Standbein der deutschen IT-

Industrie darstellen, müssen sich fragen, welche Rolle sie in Zukunft einneh-

men können und ob ihr Geschäftsmodell unter diesen Umständen überhaupt

noch tragbar sein kann. Nachfragen bei betroffenen Unternehmen führen sehr

oft zu dem Schluss, dass noch keine Überlegungen in diese Richtung angestellt

wurden. Allenfalls wird versucht, Offshoring-Leistungen als verlängerte Werk-

bank zuzukaufen und in das eigene Leistungsangebot einzubeziehen. Durch

Verwaltungskosten/Aufschläge können sie aber nicht kostengünstig genug

anbieten. Ihre Personalkapazitäten und ihr Know-how sind nicht auf eine

Offshoring-Strategie (Leistungsbeistellung) eingestellt. Durch eine alleinige

Beimischung von Offshore-Leistungen, ohne eine grundlegende Strategie und

strukturelle Anpassungen, verfügen sie über zu viele eigene Entwickler, die in

direkter Konkurrenz zu Offshore-Entwicklern stehen. Weiterhin haben sie zu

wenig internationale Projekt-Management Erfahrung, um die Projekte formell

sauber abzuwickeln. Außerdem gibt es deutliche Anzeichen, dass für große

Outsourcing-Aufträge Offshore/Nearshore-Komponenten nachgefragt wer-

den und ein wesentlicher Bestandteil der Preisgestaltung sind. Die lokalen IT-

Dienstleister in Deutschland verfügen über keine eigenen Offshore-Standorte

und können ohne strategische Partner mit Offshore-Kapazität kaum noch

wettbewerbsfähige Preise anbieten« [Buchta u.a. 2004].

Ausbleibende oder bestenfalls gering ausgeprägte positive Beschäftigungsef-

fekte auf Seiten der IT-Industrie haben bei volkswirtschaftlicher Betrachtung wie-

derum Folgeeffekte für den Beschäftigungsstand des deutschen Arbeitsmarktes

insgesamt. Die Studie von DB Research verweist darauf, dass positive Effekte in

der IT-Branche in Deutschland ohnehin geringere volkswirtschaftliche Wirkung

haben als in den USA, weil die hiesige IT-Industrie ein weit geringeres Gewicht in

der Wertschöpfung der Volkswirtschaft besitze. Dieses Argument muss vermutlich

weiter zugespitzt werden. Es ist nämlich eher davon auszugehen, dass die dop-

pelte Rochade auf dem IT-Arbeitsmarkt zu einem tiefgreifenden Umstrukturie-

rungsprozess in der deutschen IT-Industrie insgesamt führt. Unter den Bedingun-

gen der zunehmenden ökonomischen Bedeutung von Skaleneffekten sind jene

Unternehmen im Vorteil, die aufgrund ihrer Größe besser in der Lage sind, diese

zu realisieren und darüber hinaus über ein gut ausgebautes Produktionsnetzwerk

mit starken Standorten in den Niedriglohnregionen verfügen. Mit anderen Wor-

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ten, die »Gewinner« der doppelten Rochade sind aufgrund ihrer Größe, ihrer Pro-

duktionsstruktur41 und ihres Entwicklungsvorsprungs in Sachen Offshoring ver-

mutlich jenseits des Atlantiks zu finden.

Aufgrund der unterschiedlichen Strukturen lassen sich also die »Nettowohl-

fahrtsgewinne«, welche viele Studien für die USA durch Offshoring erwarten,

nicht einfach auf die Situation in Deutschland übertragen. Es ist vielmehr davon

auszugehen, dass selbst wenn per Saldo in den USA positive Beschäftigungsef-

fekte zu erreichen sind, dies in Deutschland eher nicht der Fall sein wird. Das

bedeutet, dass Offshoring vermutlich in weit höherem Maße zu Lasten der hiesi-

gen Arbeitsplätze in der IT-Branche geht als in den USA und dadurch insgesamt

geringe oder gar negative Nettowohlfahrtseffekte für die Volkswirtschaft entste-

hen.

Auf diesen Tatbestand verweist auch eine Analyse von McKinsey. Das Bera-

tungsinstitut hatte, ähnlich wie verschiedene andere (oben bereits erwähnte) Stu-

dien, für die USA einen insgesamt positiven Nettowohlfahrtseffekt vorausgesagt.

Diametral anders lautet die Prognose für die BRD. So wird Frank Mattern von

McKinsey wie folgt zitiert:

»Wenn mit Offshoring ein Euro Wertschöpfung aus Deutschland abwandert,

entstehen nach unseren Berechnungen nur 79 Cent neue Wertschöpfung«

[Crolly u.a. 2004].

Deutschland gehöre damit zu den Verlierern der Offshoring-Entwicklung. Ganz

anders die Situation in den USA. Hier hat McKinsey sogar eine Steigerung des

Bruttoinlandsprodukts um 13 Prozent errechnet, wenn Arbeitsplätze in Nied-

riglohnländer abwandern. Auch wenn sich also der reale Arbeitsplatzverlust in

Deutschland aufgrund einer ungenügenden Datenbasis zum gegenwärtigen Zeit-

punkt nicht genau quantifizieren lässt, ist dennoch generell davon auszugehen,

dass die Offshoring-Entwicklung in Deutschland insgesamt zu einem negativen

Beschäftigungseffekt und zu Nettowohlfahrtsverlusten führen wird.

124

41 Wesentlich für US-amerikanische IT-Unternehmen in Deutschland ist, dass sie hier weder im Hard-ware- noch im Standardsoftware-Bereich über nennenswerte Produktionskapazitäten verfügen.Lediglich im IT-Outsourcingbereich werden Produktionskapazitäten in Form von Rechenzentren etc.vorgehalten. D.h. die vergleichsweise verlagerungsresistenten Mitarbeiter in den »front-office«-Berei-chen bilden einen weit höheren Anteil an der Gesamtbelegschaft bei den deutschen Wettbewer-bern, deren Produktionskapazitäten im Wesentlichen in Deutschland angesiedelt sind.

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Z u s a m m e n f a s s u n g

Bei der Berechnung von Beschäftigungseffekten müssen unterschiedliche

Betrachtungsebenen differenziert werden. Volkswirtschaftliche, branchenbezo-

gene, unternehmensbezogene oder tätigkeitsgruppenspezifische Analysen kön-

nen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen.

Während für die USA in verschiedenen Studien mit einer gewissen Plausibilität

konstatiert wird, dass negative Beschäftigungseffekte für einzelne Unternehmen,

Berufsgruppen oder gar Branchen dennoch bei volkswirtschaftlicher Betrachtung

zu einem insgesamt positiven Beschäftigungssaldo führen werden, gilt dies auf-

grund der vorliegenden Informationen für die BRD nicht. Hier ist vielmehr zu

erwarten, dass eine Zunahme beim Offshoring-Anteil per Saldo zu negativen

Beschäftigungseffekten führen wird, auch wenn einzelne Unternehmen (insbe-

sondere große IT-Outsourcinganbieter) davon durchaus profitieren können.

Anders als für die USA sind in der BRD bei volkswirtschaftlicher Betrachtung keine

oder bestenfalls geringe Nettowohlfahrtseffekte bei einer Ausweitung des Off-

shore-Outsourcing in der Wirtschaft zu erwarten.

Für die Beschäftigung im Bereich von Software und IT-Dienstleistungen ist

zu erwarten, dass diese eher ein Opfer der »Rochaden auf dem globalen Arbeits-

markt« werden wird. Auch wenn die vorliegenden Prognosen noch keine gesi-

cherten Aussagen über die Ausmaße des Arbeitsplatzverlustes in diesem Bran-

chensegment zulassen, kann dennoch davon ausgegangen werden, dass die zu

erwartende Intensivierung der Offshoring-Entwicklung insgesamt negative

Effekte auf den IT-Arbeitsmarkt haben wird. Diese werden vermutlich zu größe-

ren Teilen die IT-Beschäftigten in den Anwenderunternehmen betreffen. Es

spricht aber auch einiges dafür, dass das prognostizierte Wachstum im

Geschäftsfeld IT-Outsourcing zu keiner nennenswerten Erweiterung des

Beschäftigungsstands in der IT-Branche führen wird. Nutznießer dieser Entwick-

lung sind vermutlich vielmehr große, internationale IT-Konzerne mit einem gut

ausgebauten Netzwerk an international verteilten Service- und Software-Ent-

wicklungsstandorten.

Die enormen Abweichungen der Prognosen hinsichtlich der Dynamik, mit der

in den nächsten Jahren beim Offshoring zu rechnen ist, sowie hinsichtlich der

Beschäftigungseffekte lassen insgesamt darauf schließen, dass exakte Prognosen

zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine ausreichende Datenbasis haben. Viel-

mehr ist davon auszugehen, dass die Planungen der Unternehmen zum jetzigen

Zeitpunkt noch nicht weit genug konsolidiert sind, dass sich darauf solide

125

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Abschätzungen bauen ließen.42 Insofern ist das Fehlerpotenzial aller gegenwärtig

gestellten Prognosen zu den Beschäftigungseffekten sehr hoch.

S TA N D A R D I S I E R U N G D E R A R B E I T S P R O Z E S S E

U N D A B L Ä U F E

Mit Blick auf die Veränderung der Arbeitsbedingungen ist insbesondere die Stan-

dardisierung von Arbeitsprozessen und Abläufen von besonderer Bedeutung. Der

innere Zusammenhang einer grundlegenden Umgestaltung der Prozesse und

Abläufe einerseits und einer Ausweitung des Offshore-Anteils andererseits wird in

der Studie von A.T. Kearney besonders stark hervorgehoben. Sie verweisen auf

den zentralen Erfolgsfaktor Standardisierung als Bedingung für ein effizientes

Offshoring:

»In Einzelinterviews mit Unternehmen wird deutlich, dass sehr erfolgreiche

Unternehmen ihre internen IT-Prozesse im Laufe der Zeit stark standardisiert

haben, regelmäßig die Qualität der Ergebnisse, aber auch ihrer Prozesse mes-

sen und kontinuierlich verbessern. Dieses Vorgehen wird intern, aber auch im

Zusammenspiel mit dem Offshore-Partner angewandt. Gerade im Bereich der

Anwendungsentwicklung ist eine Anpassung der heutigen Vorgehensweise

notwendig, wenn der Prozess oder Teile daraus an einen Offshore-Dienstleister

verlagert werden soll« [Buchta u.a. 2004].

Eben dieser Standardisierungsprozess ist nach Meinung der genannten Unter-

nehmensberater bisher in den deutschen Unternehmen, und zwar sowohl auf Sei-

ten der Anwenderunternehmen als auch auf Seiten der lokalen Software- und IT-

Dienstleistungsunternehmen, nicht in ausreichendem Maße realisiert worden. Mit

Blick auf die Situation in den Anwenderunternehmen heißt es:

»In den vergangenen Jahren sind die IT-Abteilungen dazu übergegangen, sehr

eng und iterativ mit den Fachbereichen Anwendungssysteme zu definieren, zu

erstellen, zu verfeinern und zu testen« [ebd.].

126

42 Wie wenig konsolidiert die Entwicklung im Bereich des Outsourcings generell ist, zeigt eine Befra-gung der PA Consulting Group. Demnach plant nur jeder dritte Outsourcing-Kunde, den Vertrag mitseinem Provider zu verlängern. Ein Teil der Abkommen wird sogar vor der nominellen Ablaufzeitgelöst [Quak 2004].

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Vergleichbare Standardisierungsrückstände werden auch für die lokalen Soft-

ware-Unternehmen konstatiert:

»Gerade in der Software-Industrie haben wir in Deutschland vor allem bei den

kleineren, national operierenden Unternehmen noch sehr monolithische

Strukturen mit hoher Fertigungstiefe. Es gibt kaum Trennung zwischen Inno-

vation und Produktion. Diese Strukturen werden bald nicht mehr wettbe-

werbsfähig sein« [ebd.].

Die Konzepte zur Erreichung einer neuen Wettbewerbsfähigkeit entlehnen die

Marktforscher bezeichnenderweise einer reifen Industrie, nämlich der Automobi-

lindustrie. Ihre Empfehlung an die Software-Hersteller lautet daher:

»Analog der Automobilbranche müssen die national operierenden IT-Unter-

nehmen versuchen, mit ihren Kernkompetenzen zu punkten, die da wären:

Individualisierbarkeit der Produkte, Qualität, Innovation, Produktdesign,

Management des gesamten Produktionsprozesses und Arbeitsteilung. Die IT-

Fertigungstiefe muss in Deutschland reduziert werden: Arbeitsintensive, gut

spezifizierbare und standardisierbare Prozesse, wie z.B. die Programmierung,

müssen dabei zwangsläufig ins Ausland verlagert werden. Dazu sind Soft-

ware- und Prozessarchitekturen nötig, die in Komponenten zerlegt werden

können« [ebd.].

Und in die gleiche Richtung gehen auch die Empfehlungen zur Durchführung von

kundennahen IT-Projekten:

»Beim Offshoring ändert sich die Form der Zusammenarbeit. Durch die Fremd-

vergabe in eine andere Region sind andere Vorgehensweisen notwendig, die

eine formalere Abwicklung und Trennung von Arbeitsaufgaben ermöglichen«

[ebd.]

Der Zusammenhang zwischen der Standardisierung der Prozesse und dem Off-

shoring ist demnach ein doppelter. Einmal muss die Standardisierung als notwen-

dige Voraussetzung für Offshoring verstanden werden. Die Umsetzung einer Off-

shoring-Strategie setzt daher immer eine entsprechende Umstrukturierung der

Arbeitsprozesse voraus. Zum anderen hat die Realisierung von Offshoring-Projek-

ten umgekehrt wiederum Standardisierungswirkungen auf die verbleibenden

Arbeitsprozesse und ist insofern ein wichtiger Treiber weiterer Standardisierungs-

bestrebungen.

127

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Dieser Prozess einer fortschreitenden Vereinheitlichung der Abläufe basiert

seinerseits wesentlich auf einer Normierung der Produkte und Leistungen. So hat

beispielsweise die schnelle Ausbreitung von Standardsoftware anstelle der lange

Zeit dominierenden Individualsoftware überhaupt erst die Möglichkeiten für

einen Prozess der Standardisierung im Bereich der Arbeitsprozesse geschaffen.

Beides zusammen war eine wesentliche Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg

von Software- und IT-Dienstleistungsunternehmen im letzten Jahrzehnt. Der

innere Zusammenhang der Standardisierung von Produkten und Leistungen

einerseits sowie fortwährender Vereinheitlichung von Arbeitsprozessen und

Abläufen andererseits begründet einen »neuen Typ der Industrialisierung« [Boes

2004]43 im Bereich Software und IT-Service, und die aktuelle Ausweitung der Off-

shoring-Aktivitäten wirkt als zusätzlicher Treibsatz dieser Entwicklung.

In der Konsequenz ist eine grundlegende Restrukturierung der Wertschöpfungs-

ketten, der Produktionsstrukturen und der Arbeitsprozesse im Bereich Software und

IT-Dienstleistungen zu erwarten. Auch hier steht die Automobilindustrie Pate bei der

Entwicklung von Organisationskonzepten.44 Die Offshoring-Entwicklung ist demnach

auf das engste mit einem neuen Schub der Industrialisierung im Bereich Software

und IT-Dienstleistungen verbunden. Industrialisierung und Internationalisierung in

jeweils neuer Qualität sind zwei notwendig miteinander verbundene Entwicklungen,

welche die kommende Phase der IT-Industrie in hohem Maße bestimmen werden

[Boes 2004]. Der durch die Offshoring-Entwicklung forcierte Industrialisierungs- und

Internationalisierungsprozess in der IT-Industrie hat eine doppelte Wirkung auf die

Beschäftigten. Einerseits induziert die Standardisierung von Arbeitsprozessen eine

Einengung von Handlungs- und Entscheidungsspielräumen. Andererseits werden die

hoch qualifizierten Tätigkeitsbereiche in den planenden und organisierenden Funk-

tionen (Software-Architektur,Projektmanagement etc.) ausgeweitet.

128

43 Zwar werden in der IT-Industrie seit neuestem verstärkt Analogien zur Automobilindustrie herge-stellt, um die Vision des weiteren Entwicklungswegs zu skizzieren, doch der hier gewählte Begriffvon Industrialisierung ist allgemeiner zu verstehen. Auch wenn die IT-Industrie für den Bereich derDienstleistungsproduktion in Zukunft immer wieder Anleihen bei den Konzepten der Automobilin-dustrie machen wird, ist dennoch nicht davon auszugehen, dass sie im Bereich Software und IT-Ser-vice deren spezifisches Industrialisierungsmuster übernimmt. In Wirklichkeit gibt es viele Muster derIndustrialisierung. Das des Maschinenbaus beispielsweise unterscheidet sich weitgehend von demder Automobilindustrie. Das zu erwartende Industrialisierungsmuster des Bereichs IT-Dienstleistun-gen wird allein schon aufgrund der Besonderheiten ihrer oft digitalen Arbeitsgegenstände sowieihrer Beschäftigtenstruktur anders aussehen als das der beiden genannten Industrien.

44 Hinsichtlich des angestrebten Organisationsmodells werden oft Parallelen zur Automobilindustriehergestellt. So formuliert beispielsweise der Chef von Accenture Deutschland seine Vision von denProduktionsstrukturen der Zukunft in direkter Anspielung auf die Zulieferstrukturen der Automobli-lindustrie [Borchardt 2003].

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V E R Ä N D E R T E Q U A L I F I K AT I O N S A N F O R D E R U N G E N

Die Kompetenzentwicklung der Beschäftigten zählt zu den zentralen Heraus-

forderungen der aktuellen Offshoring-Entwicklung. Von vielen Autoren wird

sie neben einer allgemeinen Lockerung der Sozialstandards und der Regulati-

onsformen als Königsweg einer erfolgreichen Bewältigung der aus dieser Ent-

wicklung resultierenden Probleme gesehen. Kaum ein Interview mit Verant-

wortlichen aus Unternehmen oder Wirtschaftsverbänden, das nicht angesichts

der Offshoring-Entwicklung die Notwendigkeit einer grundlegenden Verbes-

serung der Kompetenzen der Beschäftigten sowie des Bildungssystems insge-

samt anspricht.

Dabei stehen drei Entwicklungstendenzen im Vordergrund. Einmal wird davon

ausgegangen, dass eine generelle Höherqualifizierung von IT-Beschäftigten erfor-

derlich ist. Beschäftigte unterhalb des Akademikerniveaus, so die allgemein vor-

getragene Annahme, geraten verstärkt unter den Druck des »Weltarbeitsmarktes«.

Daher sei eine allgemeine Steigerung des Qualifikationsniveaus unabdingbar, um

die Arbeitsplatzsicherheit zu erhalten. Die zweite Forderung bezieht sich auf die

Qualifikationsinhalte. Qualifikationen, welche in den strategischen Phasen von

Projekten erforderlich sind, gelten in Zukunft als unabdingbar. Darüber hinaus

wird drittens als erforderlich angesehen, dass die Beschäftigten ihre interkultu-

relle Kompetenz steigern, um in internationalen Zusammenhängen kooperieren

zu können.

Eine Befragung von Unternehmensvertretern durch A.T. Kearney ergab fol-

gendes Bild hinsichtlich der Kompetenzen, die bei einer Ausweitung der Off-

shore-Aktivitäten von den Beschäftigten gefordert sind. Demnach nennen fast

alle Unternehmen das Projektmanagement als »Schlüsselqualifikation« von

Beschäftigten, die mit Offshoring befasst sind. Weiterhin wurden die Geschäfts-

prozesskompetenz und die Fähigkeit zur Analyse in den frühen Phasen des

Software-Entwicklungszyklus besonders hoch gewichtet. Besondere Relevanz

haben auch der Umgang mit IT-Strategien, IT-Architekturen, die Kompetenz

zur Planung der Anwendungssystem- und Hardware-Landschaft sowie allge-

mein zur Kommunikation. An Bedeutung verlieren werden demgegenüber die

reine Software-Entwicklung, Betreuung und Systemadministration [Buchta u.a.

2004].

Gemessen an dem geforderten Kompetenzprofil werden deutsche Hochschul-

absolventen, insbesondere im Fachbereich Informatik, nach Auffassung von A.T.

Kearney grundlegend falsch qualifiziert. Hier heißt es:

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»Sowohl der klassische Diplom-Informatikstudiengang als auch die Informa-

tik-Berufsausbildung beinhalten meist wenig bis gar keine Ausbildungsinhalte

zum Thema Projektmanagement, Management von Gesamtprozessen etc.

Studenten und Auszubildende sind aufgefordert, sich diese Fähigkeiten selbst

anzueignen. Schwerpunkte werden traditionell in technischen und mathema-

tisch orientierten Themen gesetzt. In diesen Domänen ist der Standort

Deutschland nach Aussage von Hochschulprofessoren der Konkurrenz vor

allem aus Asien/Indien nicht gewachsen« [ebd.].

Die aufgezeigten Defizite der Ausbildung seien besonders ausgeprägt bei der rei-

nen Informatikausbildung sowie den entsprechenden Aus- und Weiterbildungs-

programmen, während in den Bindestrich-Informatikfächern (Wirtschaftsinforma-

tik etc.) das geforderte Qualifikationsprofil schon eher vermittelt werde. Da aber

ein Großteil der Absolventen in traditionellen Informatikstudiengängen ausgebil-

det werde, sei davon auszugehen, dass diese erst nach oder neben dem Studium

die erforderlichen Kompetenzen entwickeln könnten, um unter den neuen Bedin-

gungen eine positive Berufsperspektive vorzufinden.

V E R U N S I C H E R U N G U N D WA C H S E N D E R A N PA S S U N G S D R U C K

Die aktuelle Offshoring-Entwicklung zeigt darüber hinaus vielfältige Wirkungen

auf die Lage der Beschäftigten, die nahezu unabhängig vom Ausmaß konkreter

Verlagerungsaktivitäten stattfinden. Gegenwärtig spricht vieles dafür, dass die

nächste Entwicklungsphase der IT-Industrie durch eine stagnierende, vielleicht

sogar rückläufige Beschäftigungsentwicklung, auch im IT-Dienstleistungsbereich,

gekennzeichnet sein wird. Diese Entwicklung verbindet sich mit einem zuneh-

menden Kostendruck, der in allen Bereichen der IT-Dienstleistungen spürbar ist

und sich auch bei einer wirtschaftlichen Belebung nicht wesentlich verringern

wird. Beides zusammen generiert einen hohen Anpassungsdruck auf Seiten der

Beschäftigten und eine Verschiebung der »Kräfteverhältnisse zwischen Kapital

und Arbeit« [Schwemmle, Zanker 2000]. Der Anpassungsdruck betrifft diesmal

auch die hoch qualifizierten Beschäftigtengruppen, die damit größtenteils in eine

bisher nicht gekannte Situation geraten.

Dem Offshoring kommt in diesem Szenario wachsenden Anpassungsdrucks

eine besondere Bedeutung zu. Unabhängig davon, ob die Verlagerungsprojekte

wirklich zu nennenswerten direkten Auswirkungen für die Beschäftigten führen,

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ist davon auszugehen, dass die öffentliche Thematisierung einer Verlagerungsdro-

hung Wirkungen bei Beschäftigten und deren Interessenvertretern zeitigen wird.

Die wichtigste Wirkung wird das Thema »Offshoring« in den nächsten Jahren ver-

mutlich in den Köpfen der Menschen erzielen [Boes 2004].

Diese Wirkung in den Köpfen der Beschäftigten ist ein wesentliches Begleitmo-

ment, wenn nicht sogar Motiv der Offshoring-Bestrebungen in den Unternehmen.

Dabei geht es darum, den Schutz kollektivvertraglicher Vereinbarungen aus-

zuhöhlen, die Tarifstandards insgesamt zu senken, die Ansprüche der Beschäftig-

ten zu verringern und die Leistungsbereitschaft zu fördern. Geradezu program-

matisch für diese Haltung ist der Satz von Henning Kagermann:

»Ich hoffe, dass wir uns hier zu Lande dem Druck stellen werden. Das heißt,

dass wir uns zusammenreißen und quälen, um wieder nach oben zu kommen«

[Spiegel 48/2003].

Dabei geht er davon aus, dass das Konzept »Weniger Lohn, länger arbeiten« ein

probates Mittel sei, um dem wachsenden Wettbewerbsdruck durch die Internatio-

nalisierung der Branche zu begegnen.

Innerhalb dieses Szenarios einer Steigerung der Leistungsbereitschaft bei

gleichzeitiger Reduzierung der Lohn- und Sozialstandards hat Offshoring eine

zweifache Wirkung. Zum einen wird es bewusst eingesetzt, um Lohnhöhe und

Sozialstandards zu senken. Zum anderen entfaltet es eine indirekte Wirkung hin-

sichtlich der Kräfteverhältnisse zwischen Gewerkschaften, Arbeitnehmervertre-

tern und Beschäftigten einerseits und Unternehmen andererseits.

Dass die direkte Wirkung der Senkung der Sozial- und Lohnstandards durch

Offshoring sehr wohl von den auslagernden Unternehmen bewusst ins Kalkül

gezogen wird, erläutern beispielsweise die Autoren der DB Research-Studie:

»Ein in der öffentlichen Diskussion ungern genannter, von einigen outsourcen-

den Unternehmen aber bewusst angestrebter Vorteil des Outsourcing besteht

darin, dass allzu hohen Lohnforderungen der eigenen Belegschaft begegnet

werden kann. So liegen die Löhne bei spezialisierten Call-Center-Betreibern,

mit denen ein ausgelagertes eigenes Call Center nun konkurrieren muss, deut-

lich unter denen der meisten Großunternehmen« [Allweyer u.a. 2004].

Dabei sind sich die Spezialisten für Outsourcing durchaus klar darüber, dass in

Deutschland – verglichen mit anderen Ländern – auch Besonderheiten zu beach-

ten sind, die in den Tarifverträgen und der Stärke der Gewerkschaften begründet

liegen [vgl. Metcalfe u.a. 2004]. Doch dies sei kein grundsätzliches Problem, so bei-

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spielsweise der Chef von Accenture Deutschland. Es gebe diverse Modelle, mit

denen sich Outsourcing und Jobverlagerung den deutschen Verhältnissen anpas-

sen ließen [Borchardt 2003]. Kritischer sehen dies die Berater von Forrester Rese-

arch. Deren kürzlich erschienene Analyse zur Einstellung der europäischen

Gewerkschaften zu diesem Problemkomplex warnt vor dem Einfluss der Gewerk-

schaften und empfiehlt einen pfleglichen Umgang mit diesen:

»Firms intent on pushing through offshore outsourcing should engage with

unions to avoid creating a jobs furore.«

Denn:

»Union resistance will torpedo weak offshore business plans« [Metcalfe u.a.

2004].

Die zweite Wirkung entfaltet das Offshoring, indem durch seine öffentliche The-

matisierung ein allgemeines Bewusstsein geschaffen wird, dass angesichts der

veränderten Konkurrenzsituation Konzessionen seitens der Beschäftigten unab-

dingbar seien. Dieses Bewusstsein wird dann in den Verhandlungen zu Tarifverträ-

gen und Betriebsvereinbarungen sowie in den individuellen Aushandlungen ein-

zelner Beschäftigter über ihre Konditionen aktiviert. So berichten alle in Unterneh-

men mit Tarifbindung tätigen Arbeitnehmervertreter, dass sie befürchten, in den

nächsten Tarifverhandlungen im Zusammenhang mit der Offshoring-Entwicklung

wieder die 40-Stunden-Woche auf den Verhandlungstisch zu bekommen. Und all-

gemein wird davon ausgegangen, dass der Druck auf die Lohn- und Sozialstan-

dards in Deutschland gerade mit Blick auf die drohende Verlagerung von Arbeits-

plätzen weiter zunehmen werde.

Diese Entwicklung verstärkt auf Seiten der IT-Beschäftigten vermutlich den

Verlust an »Primärmachtpotenzial« [Jürgens 2004], welcher seit dem Beginn der

wirtschaftlichen Stagnations- und Krisenphase generell zu konstatieren ist [Boes,

Marrs 2003]. Ihre individuellen Durchsetzungsmöglichkeiten drohen sich durch

die Offshoring-Entwicklung aufgrund des gestiegenen internationalen Konkur-

renzdrucks zu verringern. Welche Wirkung dies insbesondere auf jene Beschäftig-

tengruppen hat, die sich bisher aufgrund ihres hohen individuellen »Primär-

machtpotenzials« weitgehend ohne die Rückendeckung von Kollektivverträgen

gut durchsetzen konnten, bleibt offen.

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Z U R Z U K U N F T D E R O F F S H O R I N G - E N T W I C K L U N GB E I S O F T WA R E U N D I T - D I E N S T L E I S T U N G E N

O F F S H O R I N G A L S A U S D R U C K E I N E S

T I E F G R E I F E N D E N S T R U K T U R WA N D E L S

Die Analyse zeigt: Auch wenn Offshoring in der öffentlichen Debatte vor allem mit

dem Bestreben identifiziert wird, durch die Verlagerung von Arbeitsplätzen in

Niedriglohnregionen die Kosten zu senken und die Gewinnmargen zu erhöhen,

geht es im Kern dennoch um weit mehr als ein neues Konzept zur Kosten-

senkung. Offshoring, so der zweite Befund, ist auch keine bloße Modeerschei-

nung, sondern ein ernst zu nehmender Trend. Auch wenn gegenwärtig viele Pro-

jekte vorwiegend dem Druck der Börse geschuldet sind, die Unternehmen mehr

»Getriebene« denn strategische Akteure sind und oft ein konzeptionsloser Aktio-

nismus in den Unternehmen betrieben wird, ist dennoch davon auszugehen, dass

es sich um eine strategische Entwicklung handelt. Offshoring ist der sichtbare

Ausdruck eines tiefgreifenden Strukturwandels der IT-Branche – also gewisser-

maßen die Spitze des Eisberges. Getragen wird diese Entwicklung von einem

neuen Schub der Industrialisierung und Internationalisierung der Software- und

IT-Dienstleistungsproduktion [Boes 2004]. Mit diesem Industrialisierungs- und

Internationalisierungsschub tritt die IT-Branche – und hier insbesondere der

Bereich Software und IT-Service – in eine neue Phase ihrer historischen Entwick-

lung. Ein neuer Typ der Industrialisierung und Internationalisierung der Software-

und IT-Dienstleistungsproduktion prägt deren Charakteristik. Diese Entwicklung

hat zwei unterschiedliche Konsequenzen:

Einerseits können IT-Dienstleistungen in dem Maße erfolgreich exportiert werden,

wie ihre Produktion standardisierbar ist. Das schafft zusätzliche Geschäftsmöglich-

keiten, erhöht aber auch den Konkurrenzdruck auf dem »heimischen« Markt.

Andererseits können aber auch Aufgabenbereiche verlagert werden, wenn sie

genügend klar spezifiziert sind, sodass sie auch über räumliche Distanzen ver-

teilt erstellt werden können.

So entstehen auch im Bereich der IT-Dienstleistungen internationale Produktions-

netzwerke, die eine flexible Verlagerung von Tätigkeiten ermöglichen. Das welt-

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weite Sourcen wird für viele Unternehmen zu einer strategischen Bedingung kon-

kurrenzfähiger Produktionsstrukturen – auch und gerade bei Software- und IT-

Dienstleistungsunternehmen. Es ist daher kein Zufall, dass beispielsweise SAP, ein

Vorreiter dieser Entwicklung, einen Auslandsumsatzanteil von 78 % aufweist und

zugleich 30 % seiner Software-Entwicklungskapazitäten im Ausland bzw. 10 % in

Indien lokalisiert hat.

Innerhalb dieses Umbruchs könnte das Thema Offshoring eine tragende Rolle

einnehmen. In dem Maße, wie Offshoring in den Unternehmen Realität wird,

gewinnt die beschriebene Entwicklung der Industrialisierung und Internationali-

sierung an Dynamik. Dabei wird die Verlagerungsstrategie selbst wiederum zum

Treiber innerhalb des Industrialisierungsprozesses. Um nämlich Prozesse und

Abläufe verlagerbar zu machen, müssen sie in neuer Qualität vereinheitlicht und

standardisiert werden. Das bedeutet, dass alle Prozesse und Abläufe, die für eine

Verlagerung in Frage kommen, nun intensiv daraufhin analysiert werden, welche

Anteile von ihnen in Offshore-Regionen erbracht werden können. Sind Aufgaben

für die Verlagerung erst einmal definiert, müssen sie viel gründlicher spezifiziert

und standardisiert werden, als das bisher in Projekten der Fall ist. Mit der Auswei-

tung des Offshorings wird also eine neue Standardisierungspirale in Gang gesetzt.

Es ist daher nicht sinnvoll, Offshoring isoliert zu diskutieren. Sich auf Offshoring

einzustellen heißt vielmehr, sich umfassend mit den Herausforderungen einer

neuen Phase der Entwicklung der IT-Industrie auseinander zu setzen. Damit ver-

ändern sich die Parameter der Entwicklung grundlegend.

Die relevante Frage ist nicht, ob die Dienstleistungssektoren der IT-Industrie

von dieser Entwicklung erfasst werden, sondern welchen Entwicklungsweg sie

dabei gehen und welches »Gesicht« die deutsche IT-Industrie dadurch erhalten

wird. Und innerhalb dieses Entwicklungsszenarios ist zu fragen, ob die Orientie-

rung auf das Offshoring, wie wir sie gegenwärtig insbesondere bei großen IT-

Unternehmen erleben, unter strategischen Erwägungen die richtige Fokussierung

bzw. eine zukunftsweisende Leitvorstellung darstellt.

O F F S H O R I N G A L S S A C KG A S S E

D E R I N T E R N AT I O N A L I S I E R U N G ?

Rekapitulieren wir noch einmal die Entwicklung. Der Prozess der Herausbildung

eines auf einem neuen Typ der Industrialisierung und Internationalisierung basie-

renden neuen Produktionsmodus in den Software- und IT-Dienstleistungsberei-

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chen gewann in den 90er-Jahren an Fahrt. Aufbauend auf der Durchsetzung

nicht-proprietärer Technologiestandards wurde das Konzept der Standardsoft-

ware in den Anwenderunternehmen zum Leitkonzept. Die Rationalisierung von

Gütern und Leistungen einerseits sowie daran anschließend von Prozessen und

Abläufen zu deren Erstellung andererseits erhielt damit eine neue Grundlage. Die

darauf aufbauende Industrialisierungs- und Internationalisierungsdynamik

begünstigte die Entstehung internationaler Produktionsstrukturen im Bereich

Software und IT-Dienstleistungen. Während der Absatz schon länger ein interna-

tionales Muster aufwies (was sich an der Anzahl und internationalen Verteilung

von Vertriebsstandorten der großen Software- und IT-Dienstleistungsunterneh-

men ablesen lässt), nahm nun die Internationalisierung der Produktionsstrukturen

im Dienstleistungsbereich Gestalt an. Dieser Prozess war in den großen IT-Unter-

nehmen schon in den 90er-Jahren mit der Gründung und dem Ausbau von Pro-

duktionskapazitäten in Niedriglohnländern, insbesondere in Indien, verbunden,

denen in dieser Zeit aber noch keine unternehmensstrategische Bedeutung bei-

gemessen wurde.

Mit dem Offshoring-Boom und dem gestiegenen öffentlichen Interesse erhielt

dieser Industrialisierungs- und Internationalisierungsprozess eine neue Dynamik

und zugleich eine andere Charakteristik. Was vorher schrittweise entwickelt

wurde, trat nun in den strategischen Fokus der Vorstände in den Unternehmen.

Die Industrialisierungs- und Internationalisierungsentwicklung gewann insge-

samt an Fahrt. Dabei ging es aber zunehmend nicht mehr um den Aufbau interna-

tionaler Produktionsstrukturen im Sinne einer Gesamtstrategie, sondern vorran-

gig um den Auf- und Ausbau von Standorten in Niedriglohnländern. Die Interna-

tionalisierungsstrategien selbst wurden so vorrangig zu Offshoring-Strategien.

Und Offshoring wiederum wurde nicht im Sinne der gezielten Nutzung von Pro-

duktionskapazitäten in Off- und Nearshore-Regionen betrieben, sondern primär

als eine Form der Kostensenkung durch Verlagerung von Aufgaben aus Hoch-

lohnregionen in Niedriglohnregionen. Nicht mehr der schrittweise Ausbau von

weltweiten Produktionskapazitäten bestimmte die strategischen Leitorientierun-

gen, sondern die kostensenkende bzw. gewinnsteigernde Verlagerung von Aufga-

benbereichen in Niedriglohnregionen. In diesem Entwicklungsszenario waren die

Akteure der IT-Industrie im Übrigen häufig weniger Treiber denn zum Jagen

getragene Hunde. »Getrieben« von den großen Kunden aus den Anwenderunter-

nehmen und dem Druck der Börse begann ein Run auf die besten Plätze in den

Off- und Nearshore-Regionen und die größte Aufmerksamkeit bei potenziellen

Kunden.

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Indem die IT-Unternehmen anstelle einer Orientierung auf eine komplexe

Internationalisierungsstrategie auf die schillernde Orientierung des Offshorings

setzten, vollzogen sie eine strategische Wende mit weitreichenden Folgen.

Zunächst einmal wurde das Tempo der Entwicklung enorm beschleunigt. Anstelle

eines inkrementellen Industrialisierungs- und Internationalisierungspfads setzte

man nun auf einen eruptiven Offshoring-Pfad. Zum zweiten veränderte man die

strategische Orientierung. An die Stelle einer komplexen Internationalisierungs-

strategie, die primär auf Markterschließung und die Einbindung des »intellektuel-

len Kapitals« der Off- und Nearshore-Regionen setzte, trat als primäres Ziel die

Verlagerung von Arbeitsplätzen zur Senkung der Kosten. Damit ließen sie sich auf

ein risikoreiches Entwicklungsszenario ein. Dies gilt insbesondere für die IT-Unter-

nehmen in Deutschland, welche hier ihre wichtigsten Produktionskapazitäten

und ihre »Heimatbasis« haben. Unter dem Strich, so die im Folgenden zu erläu-

ternde Vermutung, könnte sich die Offshoring-Euphorie in der IT-Branche als eine

falsche strategische Orientierung und als Sackgasse im Internationalisierungspro-

zess der IT-Dienstleister erweisen.

Der Prozess der Industrialisierung und Internationalisierung ist für die IT-Unter-

nehmen höchst voraussetzungsreich. Unabhängig davon, ob man die Industriali-

sierungs- und Internationalisierungsentwicklung primär als Verlagerungskonzept

betreibt oder nicht, beinhaltet sie die erfolgreiche Bewältigung verschiedener

Spannungsfelder, für die neue Lösungen in den Unternehmen gefunden werden

müssen. Diese sind:

Das Spannungsfeld zwischen Ort und Raum der Produktion: Hier gilt es Lösun-

gen diesbezüglich zu finden, welche Produktionskapazitäten lokal und damit

kundennah aufgebaut werden müssen und welche unabhängig von einer kon-

kreten Ortsbindung international verteilt aufgestellt werden können. Die Ana-

lysen zeigen, dass sich die Unternehmen bezüglich dieser Herausforderung erst

in den Anfängen befinden.

Das Spannungsfeld zwischen Standardisierung und kundenspezifischer Flexibi-

lität: Hier müssen Lösungen gefunden werden, um eine effizienzsteigernde

Standardisierung von Produkten und Leistungen mit einer Erhöhung des Mehr-

werts für die Kunden durch kundenspezifische Lösungen zu verbinden. Gerade

in diesem Punkt wurde bisher kein zufrieden stellender Weg für die erforderli-

che Kundenflexibilität bei Verwendung standardisierter Produkte und Verfah-

ren gefunden.

Das Spannungsfeld zwischen einer Öffnung zu den internationalen Märkten

und der Bewahrung einer eigenständigen IT-Industriestruktur: Hier geht es für

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die IT-Unternehmen in Deutschland darum, die internationalen Geschäftsmög-

lichkeiten auszuweiten, ohne selbst »Opfer« des Wettbewerbsdrucks interna-

tionaler IT-Konzerne zu werden. Von den dominierenden Großunternehmen

der Branche verfügen lediglich SAP und Siemens über große Produktionskapa-

zitäten in Deutschland, während die Mehrzahl der übrigen großen Konzerne

hier vorwiegend kundennahe Dienstleistungsabteilungen vorhält. Die Struktur

der IT-Industrie in Deutschland ist zahlenmäßig hochgradig von mittleren und

kleinen Unternehmen bestimmt. Sie tragen bisher auch einen Großteil zur

Wertschöpfung und zum Beschäftigungsstand bei. Die neue Phase der Interna-

tionalisierung im Bereich Software und IT-Service schafft potenziell auch für sie

neue Möglichkeiten der Ausweitung ihrer Geschäftstätigkeit. Wenn sie unge-

bremst verläuft, könnte sie jedoch stark zu Lasten der mittleren und kleinen IT-

Unternehmen gehen.

Das Spannungsfeld zwischen Rationalisierung und aktiver Unterstützung: Hier

geht es darum, dass in den Industrialisierungs- und Internationalisierungsbe-

strebungen eine Rationalisierungswirkung angelegt ist, welche die erforderli-

che Unterstützung durch Beschäftigte und Führungskräfte bei der Umsetzung

dieser Konzepte untergraben kann. Die Arbeitsprozesse in der IT-Branche sind

hochgradig »subjektabhängig«. Sie bedürfen in weit höherem Maße des Kon-

senses mit den Beschäftigten als traditionelle industrielle Arbeitsprozesse. Der

Ausbau von Produktionskapazitäten im Ausland und die mit der Standardisie-

rung von Produkten und Prozessen einhergehende Rationalisierungswirkung

stellen potenzielle Bedrohungen der Beschäftigteninteressen dar. Dies trifft

auch für untere und mittlere Führungskräfte zu, welche sich häufig durch diese

Entwicklung in ihrer Position gefährdet sehen.

Solange die Industrialisierungs- und Internationalisierungsstrategien im Wesentli-

chen Wachstumsstrategien waren, konnten die genannten Spannungsfelder in

den Unternehmen einigermaßen austariert werden. Das Zusammenfallen von

wirtschaftlicher Stagnation in der Branche und Offshoring-Boom erhöht nun den

Druck auf die IT-Unternehmen. Dies bringt drei wesentliche Risiken:

Erstens besteht die Gefahr des »Overpacens«, d.h. Entwicklungen werden

schneller vollzogen, als es dem Entwicklungsstand, dem Lerntempo der Unter-

nehmen und dem sozialen Klima angemessen ist.

Zweitens besteht die Gefahr, das strategische Ziel aus dem Auge zu verlieren.

Internationalisierungsstrategien sind nicht primär Kostensenkungsstrategien.

Auch wenn dieser Effekt immer relevant ist, sind sie doch vordringlich von dem

Bestreben nach Markterschließung bestimmt. Indem nun an die Stelle der Leit-

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orientierung »Internationalisierung« die Leitorientierung »Offshoring« tritt,

erhalten die Unternehmensstrategien eine andere Charakteristik und die IT-

Unternehmen geraten in einen systematischen Zielkonflikt. Dass die IT-Unter-

nehmen dabei größtenteils das von den Anwenderunternehmen und ihren

Beratungsinstituten geprägte Begriffsverständnis von Offshoring übernahmen

und dieses somit als Offshore-Outsourcing verstanden, verstärkt dieses Risiko.

Denn durch dieses Begriffsverständnis wird die Auslagerung von Arbeitsplät-

zen ins Zentrum ihrer Konzepte gestellt und nicht die Nutzung von Produkti-

onskapazitäten.

Drittens ist eng mit den beiden genannten Risiken eine weitere Gefahr verbun-

den. Beschleunigt man die Prozesse über die lernverträgliche Schwelle hinaus

und bedroht zugleich Teile der Belegschaft oder gar der Führungskräfte mit

Arbeitsplatzverlagerungen, riskiert man soziale Dynamiken in den Unterneh-

men zu entfachen, die aufgrund ihrer Stärke und Richtung zu ernsthaften sozia-

len Verwerfungen führen können. Insbesondere für die Unternehmen, welche

in nennenswertem Umfang über eigene Produktionskapazitäten in Deutsch-

land verfügen, und für diejenigen, welche als Verlierer aus dem Offshoring-

Wettlauf hervorgehen, besteht die Gefahr, dass sie auf diese Weise aus den

Spannungsfeldern der Internationalisierung Entwicklungsdilemmata machen.

Die Analyse des Entwicklungsstands zeigte, dass die Unternehmen sich bisher in

einem Übergangsstadium bei der Industrialisierung und Internationalisierung

befinden. In den großen Unternehmen hat der Offshoring-Boom zwar zu einer

Forcierung dieser Aktivitäten geführt. Über konsolidierte internationale Struktu-

ren unter Einbeziehung der Produktionskapazitäten in den Niedriglohnländern

verfügt bisher jedoch keines der untersuchten Unternehmen.

Die Standardisierungsbestrebungen bei Produkten und Prozessen befinden

sich bisher in den Anfängen. Standardsoftware-Hersteller, die aufgrund ihrer

besonderen Produktionsstrukturen als Vorreiter der Entwicklung angesehen wer-

den können, konzentrieren sich darauf, in Anlehnung an die Automobilindustrie

Plattformstrategien umzusetzen, um gleiche Teile und immer wiederkehrende

Prozeduren in unterschiedlichen Entwicklungsprozessen zu identifizieren und die

Software-Produktion durch die Verwendung von Gleichteilen und Baugruppen zu

rationalisieren. Systemberatungsunternehmen bemühen sich, das Projektmana-

gement und das Qualitätsmanagement durch vereinheitlichte Vorgehensmodelle

und die Ausweitung von Dokumentationen zu systematisieren. Doch auch bei

diesen Entwicklungen ist eine durchgängige Konsolidierung neuer Produktions-

und Vorgehensmodelle bisher keineswegs erreicht. Dementsprechend ist auch

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die erforderliche Selektion von potenziell verlagerbaren und ortsgebundenen

Aufgaben noch nicht sehr weit fortgeschritten.

Auch der Aufbau von Produktionskapazitäten in den Off- und Nearshore-

Regionen ist noch nicht weit gediehen. Viele Unternehmen haben bis dato noch

keine entsprechenden Ressourcen entwickelt oder erst kürzlich Standorte

gegründet. Und selbst die Unternehmen, welche schon einige Jahre Erfahrung

damit aufweisen, befinden sich gegenwärtig eher in einer Phase beschleunigten

Personalwachstums. Insbesondere die Kooperation zwischen den einzelnen inter-

national verteilten Standorten ist noch nicht ausreichend konsolidiert. In den mei-

sten Unternehmen sind bisher lediglich Pilotprojekte gestartet, um Formen der

Zusammenarbeit zu finden oder technisch und organisatorisch wenig anspruchs-

volle Projekte zu realisieren.

Viele der befragten Führungskräfte der unteren und mittleren Ebene stehen

des Weiteren den Verlagerungsbestrebungen in den Unternehmen, welche im

Zuge des Offshoring-Booms in den Fokus der Vorstände gerückt sind, abwartend

und skeptisch gegenüber. Sie begründen ihre Position mit sachlichen Einwänden,

basierend auf den organisatorischen und sozialen Problemen, die die Realisierung

der Offshoring-Konzepte bringen könnte. Eine aktive Unterstützung forcierter

Offshoring-Pläne zeichnet sich hier bisher nicht ab.

Die Arbeitnehmervertreter sehen in der Offshoring-Entwicklung die Vorboten

eines grundlegenden Strukturbruchs in den Unternehmen. Solange die Entwick-

lung die Arbeitsplätze der Stammbelegschaften nicht tangiert, begnügen sie sich

mit der Position des kritischen Beobachters. Dort aber, wo seitens der Vorstände

aus der Internationalisierungsstrategie eine Verlagerungsdrohung gemacht wird,

substanzielle Zugeständnisse bei den tariflichen und sozialen Standards eingefor-

dert werden oder gar Entlassungen drohen, schlägt diese abwartende Haltung

schnell in offene Gegenwehr um.

Dabei erleben die Arbeitnehmervertreter wie schnell die Stimmung bei den

Beschäftigten kippen kann. Immer dort, wo die Offshoring-Entwicklung zu einer

Verlagerung von Arbeitsplätzen mit Wirkung auf die Stammbelegschaften führte,

wo gar betriebsbedingte Kündigungen in zeitlichem oder gar kausalem Zusam-

menhang zu Offshoring-Aktivitäten vorgenommen wurden, war unter den

Beschäftigten schnell eine Stimmung des offenen Widerstands zu spüren. Dies gilt

auch für Belegschaften, die keine engen Beziehungen zu Gewerkschaften unter-

halten.

Zwar ist es durchaus plausibel, dass »geographische Entfernungen als ‚natürli-

che’ Konkurrenzgrenze zwischen Produktionsorten« tendenziell an Bedeutung

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verlieren und »im ‚entfernungslosen’ Raum informationstechnologisch herstellba-

rer Nähe« [Beck 1998] neuartige Konkurrenzverhältnisse entstehen. Doch werden

auch die großen IT-Unternehmen im Zuge dieser Entwicklung nicht zu »footloose

enterprises«, zu transnationalen Konzernen ohne Bindung an national verfasste

Wirtschaftsräume und reales soziales Hinterland. Ihre Internationalisierungsstrate-

gien sind insbesondere dann, wenn sie interdependente Produktionsnetzwerke in

deren Zentrum stellen, extrem fragile und voraussetzungsreiche Gebilde. Ohne

eine starke Stellung in den heimischen Operationsbasen werden auch die großen

Konzerne schnell zu »Papiertigern«. Und insbesondere die Abhängigkeit von den

strategisch wichtigen Beschäftigtengruppen an den zentralen Knotenpunkten

der Unternehmensnetzwerke engt ihren Handlungsspielraum ein [vgl. Dörre u.a.

1997]. Ein Ausdruck dieser Abhängigkeitsbeziehung ist z.B. die Tatsache, dass auch

große internationale Konzerne sehr schnell unter Handlungsdruck kommen,

wenn Widerstand gegen ihre Internationalisierungsstrategien an ihren Heimat-

standorten entsteht. So beeilte sich IBM, die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze

in Aussicht zu stellen, als Ende letzten Jahres die zitierten Unternehmenspläne

öffentlich wurden, wonach einige tausend Arbeitsplätze aus den USA in Offshore-

Regionen verlagert werden sollten.

Angesichts dieses Wirkungszusammenhangs ist insbesondere die Handlungs-

situation der IT-Unternehmen, welche wesentliche Anteile ihrer strategisch wichti-

gen Beschäftigtengruppen weiterhin in der BRD haben, weit komplizierter als die

der großen ausländischen IT-Konzerne, die in Deutschland im Wesentlichen nur

die kundennahen Abteilungen vor Ort haben. Während erstere durch forcierte

Offshoring-Strategien Gefahr laufen, gerade diejenigen Beschäftigtengruppen

»vor den Kopf zu stoßen«, auf deren Unterstützung sie bei der Realisierung dieser

Konzepte angewiesen sind, haben die ausländischen Konzerne dieses Problem

auf dem hiesigen Markt in weit geringerem Maße. Statt wohlfeiles Medium eines

Durchbruchs zu einer neuen Phase der Industrialisierung und Internationalisie-

rung zu sein, könnte sich gerade die Orientierung auf ein forciertes Offshoring im

Sinne einer Auslagerungsstrategie für viele Unternehmen als Sackgasse erweisen.

Denn die Orientierung auf Kostensenkung und Verlagerung von Arbeitsplätzen

droht den Unternehmen genau die sozialen Grundlagen zu entziehen, welche sie

zur erfolgreichen Bewältigung des erforderlichen Restrukturierungsprozesses

eigentlich benötigen.

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Michael Schwemmle

(Input Consulting GmbH)

Offshoring und

Gewerkschaften

Reaktionen auf die Inter-

nationalisierung von

Dienstleistungsarbeit

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O F F S H O R I N G A L S H E R A U S F O R D E R U N G F Ü RG E W E R K S C H A F T E N

Offshoring von IT- und anderen Dienstleistungen ist für die in den betroffenen

Branchen agierenden Gewerkschaften zu einem Problem von höchster Brisanz

geworden – zumindest gilt dies für diejenigen Verbände, »die sich am falschen

Ende des Verlagerungsprozesses befinden« (UNI 2004a, 5). Wie Gewerkschaften

diese vergleichsweise neue Entwicklung analysieren und in welcher Weise sie dar-

auf reagieren, soll Gegenstand dieses Beitrags sein.

Zunächst gilt es jedoch die Frage zu klären, warum und in welcher Form sich

die Arbeitnehmerorganisationen durch Offshoring herausgefordert sehen – und

dies wiederum setzt eine knappe Erläuterung dessen voraus, was im Kontext der

nachfolgenden Darstellung unter Offshoring verstanden wird. Ohne an dieser

Stelle ins Detail45 gehen zu können, sind hier vor allem zwei Aspekte wesentlich:

Offshoring von Dienstleistungen – namentlich in ihrer vorwiegend auf elektro-

nischen Netzen basierenden Variante, wie sie für den IT-Sektor typisch ist –

kann als eine avancierte Erscheinungsform der Internationalisierung von

Arbeit46 und damit als ein zentraler Prozess im Rahmen der Globalisierung gel-

ten. Offshoring ist »Globalisierung konkret« in der Sphäre der Arbeitsmärkte –

und es gibt keinen Grund für die Annahme, dass es sich hier nur um einen kurz-

143

45 Ausführlichere Darstellungen finden sich u.a. bei: Boes 2004; Rohde 2003; Schwemmle, Zanker 2004;Schwemmle, Zanker 2000.

46 In einer früheren Studie zum Thema (Schwemmle, Zanker 2000) haben wir »Internationalisierungvon Arbeit« definiert als sukzessive Entgrenzung nationaler Arbeitsmärkte, die in unterschiedlichenVarianten in Erscheinung tritt:– in der traditionellen Form der Migration, bei der sich Menschen über Grenzen hinweg bewegen,

um ihre Arbeitskraft zeitweilig oder dauerhaft auf ausländischen Arbeitsmärkten anzubieten;– in der Form von Produktionsverlagerungen, bei der Unternehmen den räumlichen Standort von

Fertigungsstätten ins Ausland verlegen bzw. zusätzliche Fertigungsstätten im Ausland errichten;– in der Form einer arbeitsteiligen grenzüberschreitenden Organisation von Wertschöpfungspro-

zessen auf der Basis elektronischer Kommunikationsnetze, bei der einzelne Wertschöpfungsstu-fen von im Ausland ansässigen und dort verbleibenden Arbeitskräften erledigt und Vorproduktebzw. Arbeitsergebnisse in elektronischer Form zwischen den Standorten transferiert werden.

Zwar lässt sich die dritte Variante auch als Unterform der zweitgenannten begreifen; im Unterschiedzu Produktionsverlagerungen herkömmlicher Natur ist die netzgestützte Form der Internationalisie-rung jedoch in der Regel mit einem deutlich geringeren Investitionsaufwand verbunden und vonsowohl flexiblerer wie »flüchtigerer« Natur. Nicht selten – z.B. im Falle von Call Centern – ist jedochauch hier die Errichtung oder Anmietung von »Fertigungsstätten« erforderlich. Insoweit ist dieAbgrenzung zwischen der zweiten und dritten Variante nicht völlig trennscharf.

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lebigen Modetrend handelte. Plausibler dürfte viel eher die gegenteilige Ver-

mutung sein, dass nämlich Offshoring zu einer dauerhaften und zunehmend

relevanten Option im Spektrum unternehmerischer Investitions- und Standor-

tentscheidungen und speziell im IT-Sektor zum Indiz für einen »neuen Schub

der Industrialisierung und Internationalisierung der IT-Dienstleistungsproduk-

tion« (Boes 2004, 5) geworden ist.

Offshoring folgt unterschiedlichen unternehmerischen Motiven und zeitigt

unterschiedliche Konsequenzen für die Beschäftigung. Bei Dominanz des

Kostensenkungsmotivs wirkt es in aller Regel »substitutiv«: Jobs werden von

hier nach dort verlagert, fallen in den Quellländern weg und werden in den

Zielländern aufgebaut. Stehen Motive der Erschließung ausländischer Märkte

oder der Kundennähe im Vordergrund, kann Offshoring jedoch auch »additive«

Beschäftigungseffekte auslösen: Arbeitsplätze im Inland bleiben in diesem Fall

erhalten, in den Offshore-Regionen entstehen darüber hinaus zusätzliche Jobs.

Da die substitutive Variante von Offshoring zumindest in der öffentlichen Wahr-

nehmung die eindeutig vorherrschende ist, vermag es kaum zu verwundern, dass

die bis dato zu verzeichnenden gewerkschaftlichen Reaktionen auf diese Entwick-

lung überwiegend negativ ausfallen. Aus der Perspektive der Arbeitnehmerorga-

nisationen in den Quellländern stellt sich transnationales Offshoring in aller Regel

als interessen- und organisationspolitisches Problem dar: Zum einen gehen

dadurch Jobs und berufliche Exspektanzen von Mitgliedern bzw. von potenziellen

Mitgliedern verloren, zum andern wandert auf diese Weise – und dies macht den

Unterschied zu Arbeitsplatzverlusten innerhalb des nationalen Rahmens aus –

Beschäftigung meist auf Dauer und unwiederbringlich aus dem Organisationsbe-

reich der jeweiligen nationalen Gewerkschaft ab.47

Über diese unmittelbaren Wirkungen hinaus beeinflusst Offshoring die Kon-

kurrenzverhältnisse auf den Arbeitsmärkten und die Kräftekonstellationen zwi-

schen Kapital und Arbeit in einer für die Gewerkschaften in den Quellländern kriti-

schen Weise.48 Das real verfügbare Arbeitskräftepotenzial wird größer und »geo-

graphische Entfernungen als ‚natürliche’ Konkurrenzgrenze zwischen Produkti-

onsorten verlieren an Bedeutung. Im ‚entfernungslosen’ Raum informationstech-

nologisch herstellbarer Nähe konkurrieren ... potenziell alle mit allen Orten der

144

47 Einer von Forrester Research im Frühjahr 2004 durchgeführten empirischen Erhebung bei europäi-schen Gewerkschaften zufolge wird Offshoring von den befragten Organisationen als aktuell wich-tigste Arbeitsplatzbedrohung wahrgenommen: »Compared with other threats to employees, such asInternet innovation, onshore outsourcing, and mergers and acquisitions, Europe’s unions pinpointoffshore outsourcing as the biggest threat« (Metcalfe u.a. 2004, 1).

48 Vgl. hierzu ausführlich Schwemmle, Zanker 2000, 46ff.

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Welt um zugleich knapper werdende Kapitalinvestitionen und entsprechende

Arbeitsplätze.« (Beck 1998, 21) Da dieser Wettbewerb von zum Teil erheblichen

Asymmetrien – insbesondere hinsichtlich der stark differierenden Lohnniveaus –

geprägt ist, werden die in den Quellländern erreichten Standards von den Arbeit-

gebern zunehmend in Frage gestellt und unter Druck gesetzt. Die Offshoring-

Option bewirkt eine Erweiterung des Standortrepertoires und verbessert damit

im »concession bargaining« die Position der Kapitalseite, deren »transnationale

Entzugsmacht ... der Organisationsmacht von Staaten und Gewerkschaften über-

legen (ist), weil sie nicht mehr, wie diese, territorial gebunden ist« (Beck 1998, 18).

Die Konsequenzen von Offshoring – ob »nur« als arbeitgeberseitiges Drohpo-

tenzial oder als tatsächlich vollzogene Auslagerung von Jobs – werden für

Beschäftigte und Gewerkschaften naturgemäß vor allem zu Zeiten krisenbeding-

ter Arbeitsplatzverluste schmerzlich spürbar: »Die Krise erhöht den Kostendruck

und steigert damit den Anreiz, durch Offshoring Kosten zu senken, was dann wie-

derum zu vermehrtem Abbau von Arbeitsplätzen führt. Letztlich ist es dieses

Zusammenfallen von Krise und Offshoring, das die Gewerkschaften weltweit her-

ausfordert« (Rohde 2003, 614) – zumindest prägt diese Koinzidenz die Auseinan-

dersetzung in der gegenwärtigen Phase. Ungeachtet dessen tun Gewerkschaften

– auch und gerade im IT-Sektor – gut daran, Offshoring nicht als nur temporäre

Erscheinung zu bagatellisieren, sondern als strategische Herausforderung dauer-

hafter Natur einzuschätzen, die einer gründlichen Analyse und einer langfristig

tragfähigen Reaktion bedarf. Ohne diese Herausforderung in ihrer Bedeutung zu

überhöhen, kann Offshoring in solcher Perspektive mit Fug und Recht als eine,

wenn nicht die entscheidende Nagelprobe auf die Internationalisierungsfähigkeit

der Gewerkschaften in praxi gelten.

145

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P O S I T I O N E N I N T E R N AT I O N A L E RU N D N AT I O N A L E R G E W E R K S C H A F T E N

Angesichts der Häufung von Offshoring-Maßnahmen und -Ankündigungen der

Unternehmen sehen sich Gewerkschaften zunehmend veranlasst, Positionen zu

diesem für den Dienstleistungssektor vergleichsweise neuen Phänomen zu bezie-

hen und entsprechende Aktionen zu initiieren. Im Weiteren sollen solche gewerk-

schaftlichen Einschätzungen und Handlungsansätze anhand von drei Beispielen

skizziert werden. Da Offshoring als per definitionem grenzüberschreitendes Phä-

nomen mit in den Zuständigkeitsbereich der transnationalen »global unions«49

fällt, wird dabei zum einen die Positionierung von Union Network International

(UNI), des weltweiten Dachverbands der Dienstleistungsgewerkschaften, be-

schrieben. Als größte Gewerkschaftsinternationale hat sich UNI im Spektrum der

»global unions« augenscheinlich am intensivsten mit den Fragen der weltweiten

Verlagerung von Dienstleistungsarbeit befasst und dabei einen besonderen

Schwerpunkt auf den IT-Sektor gelegt. Zum anderen werden Stellungnahmen

und Aktivitäten nationaler Arbeitnehmerorganisationen aus Großbritannien und

den USA zur Offshoring-Problematik wiedergegeben. In beiden Ländern dürfte

das Thema in quantitativer Hinsicht wie auch in der öffentlichen Wahrnehmung

bislang wohl die größten Kreise gezogen haben; von daher lässt sich vermuten,

dass dort auch die gewerkschaftliche Auseinandersetzung mit den einschlägigen

Fragestellungen vergleichsweise weit fortgeschritten sein sollte.50

147

49 »Global Unions« ist die mittlerweile gängige Bezeichnung für die ehemaligen internationalengewerkschaftlichen Branchensekretariate.

50 Gewerkschaftliche Einschätzungen aus Zielländern sind in der Diskussion um Offshoring kaum zuverzeichnen. Zwar wird beispielsweise von Gewerkschaften aus Indien oder den Philippinen berich-tet, dass diese nicht gegen einen offshore-bedingten Beschäftigungsaufbau in ihren Ländern zuFelde ziehen: »On the outsourcing of jobs … by American and European multinationals, the answerof the unions is unanimous: they are not against such a development for labor-surplus. India and Phi-lippines need whatever jobs can be created. … However, unions in both countries hasten to add thatthey do not encourage global outsourcing to India and the Philippines; they are simply not againstit« (Ofreneo 2004, 24). Faktisch spielen jedoch die Positionen dieser Organisationen in der internatio-nalen gewerkschaftlichen Debatte zum Thema keine wahrnehmbare Rolle – ein Umstand, der dieSuche nach gemeinsamen Lösungen und globalen Kooperationen mit Sicherheit nicht eben erleich-tert.

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» E N G A G I E R T A N B E I D E N E N D E N « : D I E P E R S P E K T I V E

V O N U N I O N N E T W O R K I N T E R N AT I O N A L

UNI positioniert sich zum Thema Offshoring dezidiert als internationale Gewerk-

schaftsorganisation, die Mitglieder sowohl in Ländern hat, aus denen Arbeits-

plätze abwandern, als auch in solchen, in die Jobs verlagert werden.51 Diese »inter-

nationalistische Perspektive« mag erklären, dass in Verlautbarungen von UNI,

wenngleich vereinzelt und verhalten, auch positive Effekte von Offshoring in den

Zielländern thematisiert werden – etwa wenn der UNI-Generalsekretär darauf hin-

weist, dass die Gewerkschaften die Entwicklungsländer nicht jahrelang bei ihren

Versuchen, der Armut zu entkommen, unterstützt hätten, um sie nun in ihrem

wirtschaftlichen Fortschritt aufzuhalten (Jennings 2003). Offshoring ist dabei nach

Einschätzung der Dienstleistungsinternationalen weit mehr als ein Modetrend:

Die »globale Mobilitäts-Revolution«, die in der Verstärkung dieses Trends zum

Ausdruck kommen, markiere eine »neue Phase des industriellen Wandels«, der

den Gewerkschaften globale, regionale und sektorale Lösungsansätze abverlange.

Eine rein nationale, allein im Kontext des jeweiligen Quelllandes ansetzende Stra-

tegie erscheint aus Sicht von UNI wenig aussichtsreich: Erfolgreich könnten die

Gewerkschaften nur dann sein, »wenn sie ein internationales Vorgehen wählen,

bei dem sie sich an beiden Enden des Arbeits-Migrationsprozesses engagieren«.

Außer Frage stehe, dass die Arbeitnehmerorganisationen in erster Linie ihren

Mitgliedern gegenüber verpflichtet seien und dass vor der Verteidigung von

deren Arbeitsplätzen und Einkommen nichts anderes Vorrang habe. Allerdings

müssten »entsprechende Taktiken mit einem strategischen Gespür für längerfri-

stige Wirtschaftstrends in Einklang gebracht werden« – eine ausschließlich reak-

tive und ablehnende gewerkschaftliche Haltung gegenüber Offshoring werde

sich, so die etwas verklausulierte Botschaft, kaum auf Dauer durchhalten und

durchsetzen lassen. Fatal wäre es nach der Einschätzung von UNI, wenn Gewerk-

schaften auf unternehmerische Verlagerungsinitiativen mit Argumenten reagier-

ten, die sich als »rassistisch, fremdenfeindlich oder protektionistisch« missdeuten

ließen. Schlimmstenfalls drohe ein »Katastrophen-Szenario«: In die Defensive

gedrängte Gewerkschaften, außerstande, den Verlust von Arbeitsplätzen und Mit-

gliedern zu verhindern, büßen national an Attraktivität und Bündnisfähigkeit ein.

Beschäftigung wird »in Länder mit schlechten Arbeitsbedingungen« ausgelagert,

148

51 Die nachfolgende Wiedergabe von UNI-Positionen stützt sich – falls keine anderen Quellen benanntwerden – auf UNI 2004a und 2004b.

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»in denen die Arbeitskräfte jedoch ausländische Gewerkschaften als Gegner ihrer

Interessen betrachten und nicht motiviert sind, ihre eigenen Gewerkschaftsstruk-

turen zu entwickeln. Jedes Gefühl, Teil einer internationalen Bewegung zu sein,

der Solidarität und gegenseitige Unterstützung zugrunde liegen, verschwindet.

Und einem effektiven ‚Wettlauf nach unten’ ist nunmehr Tür und Tor geöffnet.«

Von diesen Grundeinschätzungen ausgehend und mit dem Ziel, den beschrie-

benen »worst case« zu verhindern, plädiert UNI in der »Charta zu Offshore Out-

sourcing« für eine Position der konditionierten Tolerierung. Dort, wo Verlagerun-

gen anstünden, müssten im Kern drei Bedingungen erfüllt sein:

eine effektive Unterstützung der von Arbeitsplatzverlusten bedrohten Beschäf-

tigten und ihrer Communities;

eine intensive öffentliche Debatte über die menschlichen Konsequenzen von

Offshoring, bei der sicherzustellen ist, dass Gewerkschaften und politische

Instanzen im Besitz sämtlicher Informationen sind und ernsthaft konsultiert

werden;

rechtzeitige Verhandlungen mit den zuständigen Gewerkschaften zum

Abschluss von Globalisierungs- oder Offshoring-Vereinbarungen, die vor Reali-

sierung der geplanten Maßnahmen zu führen seien.

In derartigen Abkommen gelte es u.a. festzulegen, dass Entlassungen der betrof-

fenen Arbeitnehmer unterbleiben, alternative und gleichwertige Beschäftigungs-

möglichkeiten für diese bereitgestellt und offshoring-bedingte Kosteneinsparun-

gen zumindest partiell in Qualifizierungsmaßnahmen reinvestiert werden. In den

Zielländern müsse die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen sowie von globalen

Rahmenvereinbarungen mit nationalen und internationalen Gewerkschaftsorga-

nisationen garantiert sein und die Zahlung »anständiger« Löhne und humane

Arbeitsbedingungen müssten gewährleistet werden.

In modellhafter Umsetzung der programmatischen Grundlinie, »an beiden

Enden« des Offshoring-Prozesses gewerkschaftlich zu agieren, unterstützt UNI seit

dem Jahr 2000 den Aufbau von Interessenvertretungen von Beschäftigten in Zen-

tren der indischen IT-Industrie, u.a. in Bangalore, Hyderabad, Mumbai und Chen-

nai. Diese »IT Professional Foren« (ITPF) bezeichnen und betrachten sich bewusst

nicht als Gewerkschaften klassischer Prägung – und dies nicht nur, um sich von

den bei den IT-Fachkräften Indiens offenbar nicht sonderlich populären traditio-

nellen Arbeitnehmerorganisationen des Landes abzugrenzen, sondern auch, weil

sie ein Konzept verfolgen, das eher den Ansätzen einer Berufsvereinigung ent-

spricht: »Zentrales Ziel ist nicht das Verhandeln von Tarifen oder Regulierungen

gegenüber Staat oder Arbeitgebern (auch wenn das eines Tages eine Rolle spie-

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len könnte). Im Mittelpunkt steht vielmehr die Befähigung der IT-Professionals,

sich in einem turbulenten Markt zu orientieren und dann erfolgreich zu navigie-

ren« (Hirschfeld 2003, 8).

In den netzwerkförmig organisierten ITPF werden Informationen über techni-

sche und ökonomische Entwicklungen des IT-Sektors, über Karriere- und Qualifi-

zierungsmöglichkeiten, Einkommens- und Arbeitsbedingungen ausgetauscht.

Des Weiteren wollen die Foren nach und nach ein Beratungs-, Weiterbildungs-

und Versicherungsangebot für ihre Mitglieder aufbauen, aber auch Unterstützung

bei arbeitsbedingten Gesundheitsproblemen oder Rechtsstreitigkeiten organisie-

ren. Ihre Absicht ist es, »den IT-Professionals eine Stimme zu verleihen, ihr Wissen

zu vergrößern und zu stärken, ihre Interessen zu fördern und zum Wachstum des

ICT Sektors beizutragen« – so die Selbstdarstellung auf der ITPF-Homepage

(www.itpf-india.org). UNI fördert die Entwicklung der Foren – gemeinsam mit Mit-

gliedsgewerkschaften aus Belgien und Skandinavien – finanziell und personell

und hofft, auf diese Weise »einen Nährboden (zu) bereiten, auf dem etwas wach-

sen kann, was den Vorstellungen und Bedürfnissen von IT-Fachkräften am näch-

sten kommt« (Rohde 2003, 615).

» P R A G M AT I S C H U N D N I C H T - P R O T E K T I O N I S T I S C H « :

D I E H A LT U N G B R I T I S C H E R G E W E R K S C H A F T E N

In Großbritannien haben sich sowohl der Dachverband TUC wie auch einige sei-

ner Mitgliedsgewerkschaften sehr intensiv mit dem Thema Offshoring auseinan-

der gesetzt. In einem Kongressbeschluss vom September 2003 mit dem Betreff

»Offshore working« (TUC 2003) macht der TUC insbesondere auf die negativen

Folgen eines Jobexports für die von der Deindustrialisierung der Thatcher-Ära

stark betroffenen Regionen im Norden Englands, in Schottland und in Wales auf-

merksam, welche eben erst von der Ansiedlung von Call Centern und Dienstlei-

stungsunternehmen profitiert hätten und nun erneut von Arbeitsplatzverlusten

bedroht seien. Ungeachtet dessen sei es gefährlich, auf Verlagerungsinitiativen

der Arbeitgeber mit Argumenten nach dem Muster »British jobs for British wor-

kers« zu reagieren. Gewerkschaftliches Ziel müsse es sein, die Interessen der Mit-

glieder im eigenen Land zu schützen und im Ausland adäquate Arbeitsstandards

durchzusetzen. Angesichts der Entstehung eines globalen Arbeitsmarktes stelle

sich die Notwendigkeit globaler gewerkschaftlicher Organisationsstrategien. So

gelte es beispielsweise, durch verstärkte internationale Kooperation das Recht der

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Arbeitnehmer auf gewerkschaftliche Organisierung und Kollektivverhandlungen

entlang der gesamten Wertschöpfungskette eines Unternehmens effektiv zu

gewährleisten. Britische Gewerkschaften wollten eine funktionsfähige Interessen-

vertretung und gute Beschäftigungsbedingungen rund um den Globus sicher-

stellen, unabhängig von dem jeweiligen Land, in dem ein Unternehmen operiere

(TUC 2004).52 Wichtig sei deshalb die Unterstützung von Gewerkschaften in den

Offshore-Regionen. Eine interessante Möglichkeit könne es auch sein, Offshore-

Beschäftigten eines gewerkschaftlich organisierten Unternehmens in den Ziellän-

dern Dienstleistungen und eine assoziierte Mitgliedschaft anzubieten.

Gewerkschaftliche Initiativen alleine reichen nach Einschätzung des TUC

jedoch nicht aus, um mit den Herausforderungen der Internationalisierung fertig

zu werden. Dies unterstreicht eine ausführliche TUC-Eingabe an das britische

Ministerium für Handel und Industrie vom März 2004 mit dem Titel »Global Offs-

horing« (TUC 2004). Darin wird das Ministerium aufgefordert, in Kooperation mit

den betroffenen Stakeholdern eine nicht-protektionistische Offshoring-Strategie

für Großbritannien zur Bewältigung des Wandels zu erarbeiten. Entscheidend sei,

die Prozesse auf nationaler, regionaler und Unternehmensebene in einer Weise zu

beeinflussen, die den ökonomischen Nutzen für das Land maximieren und gleich-

zeitig die Belastungen der direkt Betroffenen minimieren könne. Auf der Grund-

lage einer sorgfältigen Analyse des bisherigen Ausmaßes und der wahrscheinli-

chen Wirkungen von Offshoring und einer möglichst genauen Identifizierung

besonders gefährdeter Branchen, Berufe und Regionen solle eine solche Strategie

darauf abzielen,

die Anfälligkeit des britischen Dienstleistungssektors für Arbeitsplatzverlage-

rungen durch geeignete innovations-, qualifizierungs- und regionalpolitische

Initiativen zu reduzieren und den Aufstieg der durch Offshoring gefährdeten

Arbeitsplätze in höhere Wertschöpfungsstufen zu erleichtern,

die gewerkschaftlichen Bemühungen um weltweite Gültigkeit der ILO-Kernar-

beitsnormen und internationaler »codes of best practice« regierungsseitig

nachdrücklich zu unterstützen und

Unternehmen mit Offshoring-Plänen durch einen Leitfaden mit »best prac-

tices« und Handlungsempfehlungen zu Verhandlungslösungen mit Beschäftig-

ten und Gewerkschaften zu veranlassen.

151

52 Die nachfolgenden Aussagen stammen – falls keine anderen Quellen benannt sind – aus TUC 2004.

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Vor allem der letztgenannte Aspekt, die Orientierung auf Verhandlungen zur Kon-

ditionierung und Begleitung von Verlagerungsprozessen, scheint für den Umgang

der britischen Gewerkschaften mit der Offshoring-Problematik von herausgeho-

bener Bedeutung zu sein. Auf diesem Weg sollen die betreffenden Arbeitgeber

erklärtermaßen auch dazu gebracht werden, das Pro und Contra von Offshoring

vorab und gemeinsam mit den Beschäftigten und ihren Interessenvertretungen

sorgfältig abzuwägen.53 Konsultationen und Vereinbarungen, die Entlassungen

verhindern und Wiederbeschäftigungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten für die

betroffenen Beschäftigten eröffnen müssten, liegen der TUC-Eingabe zufolge

durchaus auch im Interesse der Unternehmen, weil sich auf diese Weise die Wahr-

scheinlichkeit kostenträchtiger Fehlentscheidungen wie auch Ängste und Demo-

ralisierung der Belegschaften reduzieren ließen. Zudem werde der Blick so von

einer defensiven und nachgerade zwanghaften Befassung mit den reinen Lohn-

kosten auf positive Ziele wie die Verbesserung von Effizienz und Produktivität

durch Investitionen in Humanressourcen und den Einstieg in Wertschöpfungsstu-

fen höherer Qualität gelenkt, in denen die britische Dienstleistungsproduktion

international konkurrenzfähig sei.

Zusammenfassend lässt sich die TUC-Position zum Thema Offshoring als

»pragmatisch und nicht-protektionistisch« – so die Selbsteinschätzung des Dach-

verbands – charakterisieren. Die Verlagerung von Jobs gilt dem TUC bis zu einem

gewissen Grad als unvermeidlich, da sich keine Volkswirtschaft in einer verflochte-

nen globalen Ökonomie wie eine Festung verteidigen lasse (Brendan Barber,

Generalsekretär des TUC). Die Financial Times (05.03.2004) zitiert den TUC-Gene-

ralsekretär mit einer Kritik der »engstirnigen Sicht des kleinen Engländers, der die

Jobs hier in Großbritannien um jeden Preis gegen das Wirken der Globalisierung

verteidigen« wolle – eine Polemik, die unverzüglich den geharnischten Protest der

im TUC organisierten Communication Workers Union (CWU) hervorrief, welche

von Barber als besonders kompromisslos in puncto Offshoring geoutet worden

war (CWU 2004).

In der Tat fallen manche Reaktionen britischer Einzelgewerkschaften deutlich

harscher als die abgewogene Position ihres Dachverbands aus. So hat die CWU im

152

53 In einer Presseverlautbarung zur TUC-Eingabe vom 05.03.2004 betont Generalsekretär Brendan Bar-ber die Notwendigkeit, betriebswirtschaftliche Argumente für Offshoring jeweils kritisch zu überprü-fen: »Unions are testing business arguments for offshoring which are often flawed and shortsighted.Corporate fashion should not lead to decisions that not only cost jobs, but harm customer serviceand long-term business success« (www.tuc.org.uk/economy/tuc-7733-f0.cfm).

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Jahr 2003 eine groß angelegte Kampagne (»Pink Elephant Campaign«) gegen

Pläne des Telekommunikationskonzerns BT zur Verlagerung von Call-Center-

Arbeitsplätzen nach Indien gestartet (CWU 2003). Diese will Politik und Öffentlich-

keit – und namentlich die BT-Kunden – über die Absichten des Unternehmens

informieren und Widerstand dagegen mobilisieren. Die Sache sei ganz einfach:

Jeder in Indien geschaffene Job bedeute einen Arbeitsplatz weniger in Großbri-

tannien. BT sei ein britisches Unternehmen, das seine Gewinne mit britischen Kun-

den mache und deshalb die Verpflichtung habe, die britische Wirtschaft durch

Beschäftigung britischer Arbeitnehmer zu unterstützen – so die zentrale Bot-

schaft der CWU-Kampagne. Ähnlich argumentiert und agiert die vor allem im Pro-

duktionssektor verankerte Multibranchengewerkschaft Amicus, die einen Kun-

denboykott gegen Firmen in Erwägung zieht, welche Arbeitsplätze in Nied-

riglohnländer verlagern (Grant 2004). In einem von Amicus mit initiierten Hearing

vor dem Ausschuss für Beschäftigung und Soziales des Europäischen Parlaments

im April 2004 hat die Gewerkschaft den vorgeblich laxen Umgang indischer Fir-

men mit persönlichen Daten europäischer Konsumenten und Kreditkartenbetrü-

gereien in Offshore-Call-Centern beklagt und die – aus den USA bekannte – For-

derung erhoben, dass indische Call-Center-Agenten in Telefonaten mit britischen

Kunden verpflichtet werden müssten, ihren geografischen Standort anzugeben.

Von der Europäischen Kommission verlangt Amicus eine gründliche Untersu-

chung der sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen der grenzüberschreiten-

den Verlagerung von Dienstleistungen (Amicus 2004). Trotz ihrer harten Oppositi-

onshaltung gegen Offshoring sieht aber auch Amicus offensichtlich die Notwen-

digkeit, im konkreten Fall in Verhandlungen mit den Arbeitgebern einzutreten. Zu

diesem Zweck wurde eine Checkliste erarbeitet, die u.a. folgende Fragen an das

Management von Unternehmen mit Offshoring-Absichten umfasst (vgl. UNI

2004a, 12):

Weshalb wird dieser Schritt eingeleitet?

Welche finanziellen Einsparungen wird das Unternehmen erzielen?

Welchen Anteil der finanziellen Einsparungen wird das Unternehmen mit den

Arbeitskräften im Vereinigten Königreich teilen und welche Auswirkungen wird

dies auf unsere Löhne und Bedingungen haben?

Welche Zusicherungen kann das Unternehmen in Bezug auf die Beschäfti-

gungssicherheit für die britische Arbeitnehmerschaft machen?

Welches ist die Vorgeschichte der neuen Organisation in Bezug auf

Löhne/Bedingungen für ihre Beschäftigten, auf die Vereinigungsfreiheit/Orga-

nisierung ... ?

153

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Wurde eine Risikobewertung des Onshore-/Offshore-Modells durchgeführt

und ist eine diesbezügliche Kopie erhältlich?

Andere Gewerkschaften aus dem Vereinigten Königreich setzen den Schwerpunkt

ihrer Aktivitäten eindeutig auf Verhandlungen und Vereinbarungen mit den

Unternehmen. Ein Vorreiter ist hier die vornehmlich im Finanzsektor tätige

Gewerkschaft UNIFI, die in den ersten Monaten des Jahres 2004 Offshoring-

Abkommen mit den großen britischen Finanzdienstleistern Barclays, HSBC und

Lloyds TBS abgeschlossen hat.54 Kernelemente dieser Vereinbarungen sind früh-

zeitige und umfassende Informationen der Belegschaften und Interessenvertre-

tungen über Offshoring-Pläne des Managements, die weitgehende Vermeidung

von Entlassungen, Qualifizierungsprogramme für betroffene Beschäftigte und die

Einhaltung von ILO- und OECD-Normen bei der Arbeit in den Offshore-Regionen.

»Der Leitgedanke ist, dass Unternehmen ihre soziale Verantwortung nicht nur im

Heimatland, sondern entlang der gesamten (globalen) Wertschöpfungskette

wahrnehmen müssen« (Rohde 2004, 45). Als richtungsweisend gilt dabei insbe-

sondere die Pioniervereinbarung zwischen UNIFI und Barclays vom Januar 2004

(UNIFI 2004). Darin verpflichtet sich das Unternehmen u.a., Mitarbeiter spätestens

drei Monate vor Realisierung einer Jobverlagerung zu unterrichten, offshoring-

bedingte Arbeitsplatzverluste nach Möglichkeit durch interne Umsetzungen zu

umgehen, bis Ende 2006 zwei Millionen Pfund für Umschulungszwecke zur Verfü-

gung zu stellen und bei der Auftragsvergabe an IT-Dienstleister in Offshore-

Regionen die Einhaltung der ILO-Konventionen zu überwachen. Falls die Gewerk-

schaft mit dem IT-Dienstleister in der Offshore-Region in Dialog treten will (bei-

spielsweise über Fragen der Arbeitsbedingungen), verpflichtet sich das Unterneh-

men, einen solchen Kontakt zu vermitteln. Nach Einschätzung des UNIFI-General-

sekretärs Ed Sweeney sei »eine Einigung wie diese der einzige konstruktive Weg

vorwärts. Sie wird ein Maßstab für andere Finanzdienstleister sein, die Outsour-

cing betreiben wollen« (Hönighaus 2004).

154

54 Die genannten Abkommen sind jeweils auf der UNIFI-Website (www.unifi.org.uk) zu finden. Erwäh-nung verdient auch das Abkommen, das die Gewerkschaft Connect (www.connectuk.org), die über-wiegend höher qualifizierte Beschäftigte von BT organisiert, im September 2003 mit dem Telekom-munikationskonzern abgeschlossen hat.

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G E G E N » O U T S O U R C I N G A M E R I C A « :

D E R W I D E R S TA N D D E R U S - G E W E R K S C H A F T E N

In den USA schlägt die Auseinandersetzung um Offshoring – verglichen mit ande-

ren Ländern – bisher bei weitem die höchsten Wellen. Im Präsidentschaftswahl-

kampf des Jahres 2004 hat das Thema einen Spitzenplatz auf der politischen

Agenda und hohe mediale Aufmerksamkeitswerte erreicht. Die ausgeprägte und

weitgehend negative Popularität von Offshoring in den Vereinigten Staaten

dürfte dabei in erster Linie der intensiven Öffentlichkeitsarbeit und dem vehe-

menten Widerstand der US-Gewerkschaften gegen eine Entwicklung geschuldet

sein, die von den Arbeitnehmerorganisationen als »Outsourcing America«

gegeißelt wird.

Deren strikte Gegnerschaft gegen Offshoring wird exemplarisch in einem Vor-

standsbeschluss des Dachverbands AFL-CIO vom März 2004 deutlich (AFL-CIO

2004).55 Der gegenwärtige Offshoring-Trend wird darin mit der zwei Dekaden

anhaltenden »Verwüstung« des industriellen Produktionssektors verglichen, der

Millionen gut bezahlter »middle-class jobs« gekostet habe. Heute drohe den USA

eine ähnliche »Aushöhlung« ihres Dienstleistungsbereichs, wobei nunmehr auch

hoch qualifizierte technische Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem Spiel stün-

den. Genauso wie sich die Gewerkschaften gegen eine verfehlte Handels- und

Steuerpolitik gewandt hätten, die in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren die Verlage-

rung von Produktionsarbeit ins Ausland begünstigt habe, stehe man heute ver-

eint gegen den Export »unserer besten Dienstleistungsjobs«. Für amerikanische

Unternehmen sei es eine »moralische Verpflichtung, gute Jobs in Amerika zu

schaffen und zu erhalten«. Zwar unterstützten die US-Gewerkschaften die

Hebung des Lebensstandards in der ganzen Welt – dafür wolle man allerdings

nicht die Arbeitsplätze und den erreichten Lebensstandard amerikanischer Arbei-

ter und ihrer Familien opfern.

Zu den Zeiten, als die Abwanderung industrieller Fertigung in großem Stil

begonnen habe, seien die US-Arbeitnehmer von den »Freihandelsideologen« mit

dem Hinweis auf die komparativen Vorteile der USA bei Dienstleistungen – und

hier vor allem bei High-Tech- und anderen wissensbasierten Wirtschaftszweigen –

besänftigt worden. Im Vertrauen darauf hätten viele Beschäftigte höhere Qualifi-

kationen erworben, nur um jetzt herauszufinden, »dass Wissen und Talent auf

dem neuen globalen Markt bei der Jagd nach immer höheren Profiten und immer

155

55 Die nachfolgenden Aussagen basieren auf AFL-CIO 2004.

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billigerer Arbeitskraft nicht bestehen« könnten. Offshoring gefährde Millionen

bestens ausgebildeter Arbeitnehmer; jeden Monat entließen Unternehmen Zehn-

tausende US-Beschäftigte und verlagerten Arbeitsplätze aller Art in Offshore-

Regionen. Klar sei mittlerweile, dass jedwede digitalisierbare und telekommunika-

tiv zu versendende Arbeit zum potenziellen Ziel solcher Verlagerungsbestrebun-

gen werde. Bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt habe Offshoring einen spürbar

negativen Einfluss auf den US-Arbeitsmarkt und drohe den ökonomischen Auf-

schwung abzuwürgen. Die Arbeitslosenquote bei High-Tech-Arbeitnehmern

belaufe sich mittlerweile auf »erschütternde 9 Prozent«. Das Streben der Unter-

nehmen, sich der Vorzüge von Beschäftigten mit minderen Rechten zu bedienen,

ziehe die Weltwirtschaft in einen Wettlauf nach unten und gefährde deren Gesun-

dung in hohem Maße.

Da sich die Unternehmen nur schwerlich von Offshoring abhalten ließen,

sehen die US-Gewerkschaften den zentralen Ansatzpunkt ihres Kampfes gegen

diese Entwicklung in Appellen an die Politik, die solcherlei Bestrebungen nicht

auch noch gutheißen und unterstützen dürfe, wie dies die Bush-Administration

tue. Die entsprechende Forderungsliste ist lang und umfasst u.a. folgende Punkte:

Steuerliche Vergünstigungen, Subventionen und Forschungshilfen für Unterneh-

men, die Arbeitsplätze aus den USA verlagern, müssten künftig unterbleiben.

Im öffentlichen Beschaffungswesen müsse auf allen staatlichen Ebenen

gewährleistet sein, dass nicht solche Unternehmen von Steuergeldern profi-

tierten, die den »Abflug« von US-Jobs zu verantworten hätten.

Handelsabkommen sollten künftig grundsätzlich durchsetzbare Schutzmecha-

nismen für die Rechte der Arbeitnehmer auf Bildung unabhängiger Gewerk-

schaften und Kollektivverhandlungen sowie das Verbot von Kinder- und

Zwangsarbeit und den Ausschluss von Diskriminierung gewährleisten. Außer-

dem müssten sie den einzelnen Ländern ausreichend Möglichkeiten für Steuer-

und Beschaffungspolitiken zur Unterstützung nationaler Produktion und zum

Schutz gegen unfaire Handelspraktiken einräumen.

Die Visa-Programme zum erleichterten Aufenthalt ausländischer Fachkräfte in

den USA seien in Wirklichkeit »Technologietransferpipelines«, mit deren Hilfe

sich ausländische Professionals Wissen und Kernkompetenzen aneigneten, um

diese dann mitsamt den amerikanischen Arbeitsplätzen wieder in ihre Heimat-

länder mitzunehmen. Die Arbeitgeber nutzten diese Regelungen zur Ausbeu-

tung der ausländischen Arbeitnehmer und zur Erleichterung des Exports von

Arbeitsplätzen. Die Visa-Programme seien wesentlich für die Offshoring-Epide-

mie verantwortlich und bedürften deshalb dringlich einer Reform.

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Auf gesetzlichem Wege sei nötigenfalls sicherzustellen, dass der Export von

Hochtechnologie nicht die Sicherheitsinteressen der USA gefährde; ebenso

müsse der Schutz hoch sensibler persönlicher Daten garantiert sein. Zumindest

sollten Unternehmen, die Offshoring-Projekte unter Einbeziehung solcher

Daten realisieren wollten, verpflichtet werden, zuvor eine schriftliche Einver-

ständniserklärung der Kunden einzuholen.

Konsumenten müssten das Recht erhalten, beim Kontakt mit Helpdesks, Call

Centern und Reservierungsagenturen zu erfahren, mit wem sie kommunizieren

und in welchem Land sich ihr jeweiliger Gesprächspartner aufhält.

Durch eine Ausweitung öffentlich geförderter Forschung müsse das Wissen um

Offshoring systematisch erweitert und eine solide Datenbasis über verlagerte

Jobs aufgebaut werden. Dabei sollten auch die wirtschaftlichen und sozialen

Folgekosten der Entwicklung präzise analysiert werden.

Unternehmen, die mehr als fünfzehn Arbeitskräfte aufgrund von Offshoring-

Plänen zu entlassen planten, sollten verpflichtet werden, diese Absicht minde-

stens drei Monate zuvor an die zuständigen staatlichen Instanzen zu melden.

Diese und andere Aktivitäten gegen die »Offshoring-Flutwelle« seien dringlichst

erforderlich; unterlasse die Regierung entsprechende Maßnahmen, so müssten

Millionen US-amerikanischer Arbeiter und ihre Familien den ultimativen Preis

dafür bezahlen – ihren Job, ihre Würde, ihren »way of life«. In der Konsequenz

drohe die weitere Zerstörung der Mittelklasse und die Gefährdung der Weltwirt-

schaft. Die High-Tech-Beschäftigten hätten enorme persönliche Opfer für ihre

Ausbildung gebracht und substanziell zum Wohlergehen der US-Wirtschaft bei-

getragen. Sie verdienten Besseres, als von den Unternehmen in ihrer globalen

Jagd nach besser auszubeutenden Arbeitskräften nun einfach ausgebootet zu

werden.

Auf ganz ähnlicher Linie wie der AFL-CIO argumentieren und agieren diejeni-

gen Einzelgewerkschaften, die sich aufgrund ihrer Organisationsbemühungen im

IT-Sektor vom Offshoring-Trend in besonderer Weise berührt sehen. Besonders

aktiv sind hier beispielsweise die Communication Workers of America (CWA) und

mit diesen assoziierte Initiativen von IT-Beschäftigten wie »WashTech«

(www.washtech.org), »TechsUnite« (www.techsunite.org) und »Alliance@IBM«

(www.allianceibm.org). Ihr Hauptaugenmerk liegt darauf, kritische Öffentlichkeit

für das Thema herzustellen – z.B. durch Demonstrationen bei Seminaren von Offs-

horing-Consultern, Proteste auf den Hauptversammlungen großer IT-Unterneh-

men, durch Zeitungsanzeigen, die Einrichtung eines »Offshore-Trackers« im Netz

(www.techsunite.org/offshore/), Publikationen von Einzelschicksalen entlassener

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IT-Arbeitnehmer, in einem Fall auch durch Übergabe der Aufzeichnung einer ver-

traulichen Besprechung von IBM-Managern an die New York Times, die dies zur

Grundlage eines ausführlichen Artikels über die Offshoring-Pläne des Konzerns

machte. Zum anderen betreiben die US-Gewerkschaften massives politisches Lob-

bying im Sinne der oben genannten Forderungen. Offensichtlich geschieht beides

mit nicht geringem Erfolg, wenn man den hohen Stellenwert des Themas in den

Medien, die Intensität der politischen Auseinandersetzung und die Vielzahl ent-

sprechender Gesetzgebungsinitiativen auf einzel- und bundesstaatlicher Ebene in

Erwägung zieht [Borchardt, Ottomeier 2004].

In gewisser Weise setzen die im IT-Sektor aktiven Verbände aber auch Hoffnun-

gen in den Offshoring-Trend: Dieser markiert nach Einschätzung des WashTech-

Vorsitzenden Marcus Courtney den zentralen Punkt, der die High-Tech-Industrie

des 21. Jahrhunderts von der des 20. Jahrhunderts unterscheide (Courtney 2003).

Die Globalisierungsstrategie der IT-Konzerne zwinge die kollektiver Aktion tradi-

tionell eher abgeneigten Beschäftigten des Sektors nun geradezu, von ihrem

Recht auf Organisation und gemeinsame Verhandlungen mit den Arbeitgebern

Gebrauch zu machen. Die im IT-Sektor bis dato gängige, vornehmlich individuelle

Interessenwahrnehmung habe ihre Grenzen erreicht. Nur durch Organisierung

könne man die nötige Stärke erreichen, um mit Arbeitgebern und Politikern ernst-

haft über Offshoring zu verhandeln. Mag diese Erwartung eines IT-Gewerk-

schaftsaktivisten auch ein wenig zweckoptimistisch anmuten, so wird sie doch –

ex negativo – offensichtlich auch von Managementvertretern aus IT-Firmen

geteilt. Zumindest äußert in der erwähnten internen IBM-Besprechung Tom

Lynch, Konzerndirektor für »Global Employee Relations«, die Sorge gesteigerter

Aktivitäten und einer erhöhten Attraktivität der Gewerkschaften angesichts der

Offshoring-Bedrohung (Alliance@IBM 2003).

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K E R N P U N K T E G E W E R K -S C H A F T L I C H E R R E A K T I O N E NA U F O F F S H O R I N G

Der notwendigerweise knappe Überblick über die Reaktionen britischer und US-

amerikanischer Arbeitnehmerorganisationen sowie der Gewerkschaftsinternatio-

nalen UNI auf das Ansteigen der Offshoring-Welle lässt den Schluss zu, dass die

betroffenen Verbände Relevanz und Brisanz dieser Herausforderung erkannt und

dem Thema binnen vergleichsweise kurzer Zeit einen prominenten Rang auf der

gewerkschaftlichen Agenda eingeräumt haben. Ein in anderen Zusammenhängen

immer wieder geäußerter – und nicht in jedem einzelnen Fall verfehlter – Vorwurf

an die Gewerkschaften, sie hätten diese oder jene Entwicklung »verschlafen«,

wäre von daher gänzlich unangebracht.

In den USA und in Großbritannien ist es den Arbeitnehmerorganisationen

gelungen, Offshoring zum Gegenstand intensiver öffentlicher Debatten zu

machen und nicht unerhebliche Wirkung in der politischen Sphäre zu erzielen,

wovon u.a. eine Reihe parlamentarischer Hearings in beiden Ländern, ministerielle

Konsultationspapiere (z.B. DTI 2003) und die erwähnten Gesetzgebungsinitiativen

in den USA zeugen. Ungeachtet einer Reihe von Differenzen zielen die hier darge-

stellten gewerkschaftlichen Reaktionen fast durchgängig darauf ab,

die volkswirtschaftlichen Implikationen und die gesellschaftlichen und indivi-

duellen Folgeprobleme von Arbeitsplatzverlagerungen zu thematisieren;

die betriebswirtschaftliche Rationalität von Offshore-Projekten auf den Prüf-

stand zu stellen, deren komplette und langfristige Kosten zu verdeutlichen und

auf spezifische Risiken – z.B. für den Erhalt des Know-hows eines Unternehmens

– aufmerksam zu machen;

den kritischen Blick auch auf die Verhältnisse in den Zielländern zu richten –

nicht nur hinsichtlich von Löhnen, Arbeitsbedingungen und Arbeitnehmer-

rechten, sondern auch bezüglich kundenbezogener Aspekte wie Qualität des

Services oder des Datenschutzes.

Diese Ansätze zu Ende gedacht, wird ein so angelegter gewerkschaftlicher

Umgang mit unternehmerischen Offshoring-Plänen jedoch allenfalls in Einzelfäl-

len zu deren gänzlicher Verhinderung führen – so eine solche überhaupt beab-

sichtigt sein sollte. Wesentlich wahrscheinlicher dürfte vielmehr sein, dass derlei

Interventionen gewerkschaftlicher Interessenvertreter, indem sie den Legitimati-

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onsdruck für entsprechende Unternehmensmaßnahmen steigern, nolens volens

zur Erhöhung der betriebswirtschaftlichen Qualität und der öffentlichen Akzep-

tanz von Offshoring-Projekten beitragen.56 Mit dieser Linie ist die für die briti-

schen Gewerkschaften und UNI charakteristische Verhandlungsorientierung

sicherlich weit eher kompatibel als die kaum anders denn als protektionistisch zu

kennzeichnende Haltung der US-Gewerkschaften.

Damit ist bereits angedeutet, dass von einer international vollständig konsi-

stenten gewerkschaftlichen Reaktion zum Thema Offshoring derzeit nicht ausge-

gangen werden kann. Dies ist für sich betrachtet wenig verwunderlich und auch

noch kein gravierendes Problem für die globale Gewerkschaftsbewegung. Ein sol-

ches entstünde jedoch unweigerlich, wenn es im Zuge einer weiteren Stärkung

protektionistischer Positionen nationaler Gewerkschaften – über deren sachliche

Angemessenheit in einer hochgradig verflochtenen globalen Ökonomie hier

nicht zu urteilen ist – zu einer spiegelbildlichen Schwächung »internationalisti-

scher« Orientierungen kommen sollte. Denn ungeachtet der gebieterischen Not-

wendigkeit für die Gewerkschaften, auf Offshoring betrieblich, lokal, regional und

national zu reagieren, werden diese Reaktionen auf Dauer dann nur von begrenz-

ter Wirkung sein, wenn es nicht gleichzeitig gelingt, die bis dato »territorial

gebundene« gewerkschaftliche Organisationsmacht (Beck 1998, 18) real zu inter-

nationalisieren und insbesondere die gewerkschaftliche Repräsentanz in den

Offshore-Regionen auszubauen. Um es positiv zu wenden: Ein »ausgeprägter Sinn

für Internationalismus (ist) nicht nur ein gutes Gewerkschaftsprinzip, sondern in

zunehmendem Maße auch eine wirksame pragmatische Antwort« (UNI 2004a, 6).

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56 Diese These deckt sich teilweise mit folgender Einschätzung von Forrester Research: »Unions willscrutinize offshore business plans and seek to alter the economics of offshore deals where Europeanfirms simply aim for more profits at the cost of unionized labor. Pressure from unions will force firmsto include the risk of union action in offshore business plans – and sink weaker business cases« (Met-calfe u.a. 2004, 3).

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(www.verdi-it.de/it-fachtagung/schwemmle-zanker-verdi-fachtagung-it-

offshoring-12032004.pdf ).

silicon.de vom 23.04.2004: Die Russen kommen – in Sachen Softwareentwicklung.

silicon.de vom 26.04.2004: Siemens: 15.000 Softwareentwickler sollen abgebaut

werden.

Software-AG (2003): Software AG und iGate Global Solutions gründen gemeinsa-

mes Unternehmen in Indien. Pressemitteilung der Software AG vom

12.08.2003, Darmstadt/Bangalore.

Spiegel Online vom 12.12.2003: Siemens lagert Softwareentwicklung aus.

Stodden, Paul A. (2003): Trends im Markt für IT-Dienstleistungen – Perspektiven

und Konsequenzen. Folienvortrag auf der Konferenz der Hans-Böckler-Stif-

tung am 18.02.2003.

tagesschau.de vom 24.02.2004: Interview Offshoring – Arbeitsplätze in Gefahr?

Interview mit Volker Müller.

TUC (2003): Offshore Working. Beschluss des TUC-Kongresses.

www.tuc.org.uk/congress/tuc-7138-f0.cfm?theme=congress2003

TUC (2004): Global Offshoring. Submission to the DTI.

www.tuc.org.uk/economy/tuc-7732-f0.cfm

UNI (Union Network International) (2003): Strategien in einem zunehmend globa-

len Arbeitsmarkt – die globale Mobilitätsrevolution.

UNI (Hrsg.) (2004a): Die globale Mobilitäts-Revolution, Nyon (Verfasser: Andrew

Bibby).

167

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work.org/uniflashes.nsf/0/cde5c2dd55586f14c1256ea900518dbe/$FILE/U

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ters/globalisationagree.htm.

Zeller, Thomas (2004): Indische IT-Dienstleister bauen Angebot aus – Offshoring

beschleunigt Abbau von IT-Jobs in den USA. In: cio.de vom 18.05.2004.

168

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In der edition der Hans-Böckler-Stiftung sind bisher erschienen:

Nr. Autor/Titel E Bestell-Nr. ISBN-Nr.

50 Peter Kalkowski/Matthias Helmer/Otfried MicklerTelekommunikation im Aufbruch 10,23 13050 3-935145-22-5

51 Dunja M. MohrLost in Space: Die eigene wissen-schaftliche Verortung in undaußerhalb von Institutionen 14,32 13051 3-935145-23-3

53 Wolfhard KohteStörfallrecht und Betriebsverfassung 10,23 13053 3-935145-25-X

54 Manfred Deiß/Eckhard HeidlingInteressenvertretung und Expertenwissen 13,29 13054 3-935145-28-4

55 Herbert Bassarak/Uwe Dieter Steppuhn (Hrsg.)Angewandte Forschung und Entwicklungan Fachhochschulen in Bayern 15,00 13055 3-935145-29-2

56 Herbert Bassarak/Uwe Dieter Steppuhn (Hrsg.)Angewandte Forschung und Entwicklungan Fachhochschulen Sozialer Arbeit 23,00 13056 3-935145-30-6

57 Heide Pfarr (Hrsg.)Ein Gesetz zur Gleichstellung derGeschlechter in der Privatwirtschaft 12,00 13057 3-935145-31-4

58 Stefan EitenmüllerReformoptionen für die gesetzlicheRentenversicherung 15,00 13058 3-935145-32-2

59 Bernd Kriegesmann/Marcus KottmannNeue Wege für Personalanpassungenin der Chemischen Industrie 10,00 13059 3-935145-33-0

60 Hans-Böckler-Stiftung/DGB-BundesvorstandWelthandelsorganisation undSozialstandards 7,00 13060 3-935145-34-9

61 Renate Büttner/Johannes KirschBündnisse für Arbeit im Betrieb 11,00 13061 3-935145-35-7

62 Elke Ahlers/Gudrun Trautwein-KalmsEntwicklung von Arbeit und Leistungin IT-Unternehmen 9,00 13062 3-935145-36-5

63 Thomas Fritz/Christoph ScherrerGATS 2000. Arbeitnehmerinteressenund die Liberalisierung desDienstleistungshandels 12,00 13063 3-935145-37-3

64 Achim Truger/Rudolf WelzmüllerChancen der Währungsunion – koordinierte Politik für Beschäftigungund moderne Infrastruktur 13,00 13064 3-935145-38-1

65 Martin Sacher/Wolfgang RudolphInnovation und Interessenvertretungin kleinen und mittleren Unternehmen 19,00 13065 3-935145-39-X

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Nr. Autor/Titel E Bestell-Nr. ISBN-Nr.

66 Volker Meinhardt/Ellen Kirner/Markus Grabka/Ulrich Lohmann/Erika SchulzFinanzielle Konsequenzen eines universellen Systems der gesetzlichenAlterssicherung 12,00 13066 3-935145-40-3

67 Thomas EbertLangfrist-Arbeitszeitkontenund Sozialversicherung 12,00 13067 3-935145-41-1

68 Jan Priewe unter Mitarbeit vonChristoph Scheuplein und Karsten SchuldtOstdeutschland 2010 – Perspektivender Innovationstätigkeit 23,00 13068 3-935145-42-X

69 Sylke Bartmann/Karin Gille/Sebastian HaunssKollektives Handeln 30,00 13069 3-935145-43-8

70 Bernhard NagelMitbestimmung in öffentlichen Unter-nehmen mit privater Rechtsform undDemokratieprinzip 12,00 13070 3-935145-44-6

72 Eva KocherGesetzentwurf für eine Verbandsklageim Arbeitsrecht 12,00 13072 3-935145-46-2

73 Hans-Böckler-Foundation (ed.)Future Works 10,00 13073 3-935145-47-0

74 Reinhard Schüssler/Claudia FunkeVermögensbildung undVermögensverteilung 16,00 13074 3-935145-48-9

75 Ingrid Ostermann (Hrsg.)Perspektive: GLOBAL! Inter-nationaleWissenschaftlerinnenkooperationenund Forschung 20,00 13075 3-935145-49-7

76 Christine SchönBetriebliche Gleichstellungspolitik 12,00 13076 3-935145-50-0

77 Volker Korthäuer/Marius TritschUS-Cross-Border-Lease 8,00 13077 3-935145-51-9

78 Jörg TowaraTarifvertragliche Regelungenzur Teilzeitarbeit 8,50 13078 3-935145-52-7

79 Anja RiemannAuswertung und Darstellung gesetzlicherBestimmungen zur Teilzeitarbeit 8,00 13079 3-935145-53-5

80 Heide Pfarr/Elisabeth VogelheimZur Chancengleichheit von Frauenund Männern im Bündnis für Arbeit,Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit 12,00 13080 3-935145-56-X

81 Wilfried Kruse/Daniel Tech/Detlev UllenbohmBetriebliche Kompetenzentwicklung.10 Fallstudien zu betrieblichenVereinbarungen 12,00 13081 3-935145-57-8

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Nr. Autor/Titel E Bestell-Nr. ISBN-Nr.

82 Stefan Bach/Bernd BartholmaiPerspektiven der Vermögensbesteuerungin Deutschland 12,00 13082 3-935145-58-6

83 Charlotte Wahler (Hrsg.)Forschen mit Geschlecht? Zwischen Machtund Ohnmacht: Frauen in der Wissenschaft 20,00 13083 3-935145-59-4

84 Henry SchäferSozial-ökologische Ratingsam Kapitalmarkt 16,00 13084 3-935145-60-8

85 Maliszewski/NeumannBündnisse für Arbeit – Best Practiceaus Ländern und Regionen 14,00 13085 3-935145-61-1

86 Matthias MüllerInternational Accounting Standards 9,00 13086 3-935145-62-4

87 Arno PrangenbergGrundzüge der Unternehmens-besteuerung 8,00 13087 3-935145-63-2

88 Klaus Jacobs/Jürgen WasemWeiterentwicklung einer leistungsfähigenund solidarischen Krankenversicherungunter den Rahmenbedingungen dereuropäischen Integration 12,00 13088 3-935145-64-0

89 Thomas SchönwälderBegriffliche Konzeption und empirischeEntwicklung der Lohnnebenkosten in derBundesrepublik Deutschland – einekritische Betrachtung 25,00 13089 3-935145-65-9

90 Helene MayerhoferHandbuch Fusionsmanagement

Personalpolitische Aufgaben im Rahmenvon Fusionen 10,00 13090 3-935145-66-7

91 Helene MayerhoferHandbuch Fusionsmanagement

Fusionsbedingte Integration verschiedenerOrganisationen 10,00 13091 3-935145-67-5

92 Hans-Erich MüllerHandbuch Fusionsmanagement

Übernahme und Restrukturierung: Neu-ausrichtung der Unternehmensstrategie 8,00 13092 3-935145-68-3

93 Christian TimmreckHandbuch Fusionsmanagement

Unternehmensbewertung beiMergers & Acquisitions 10,00 13093 3-935145-69-1

94 Volker Korthäuer, Manuela AldenhoffHandbuch Fusionsmanagement

Steuerliche Triebfedern für Unternehmens-umstrukturierungen 6,00 13094 3-935145-70-5

95 Dieter BehrendtÖkologische Modernisierung: Erneuerbare Energien in Niedersachsen 11,00 13095 3-935145-73-X

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Bestellungen Kreuzbergstraße 56

bitte unter 40489 Düsseldorf

Angabe der Telefax: 02 11 / 408 00 90 40

Bestell-Nr. an: E-Mail: [email protected]

Nr. Autor/Titel E Bestell-Nr. ISBN-Nr.

96 Uwe Wilkesmann/Ingolf RascherWissensmanagement – Analyse und Handlungsempfehlungen 12,00 13096 3-935145-71-3

97 Tanja Klenk/Frank NullmeierPublic Governance als Reformstrategie 12,00 13097 3-935145-72-1

98 Reiner Hoffmann/Otto Jacobi/Berndt Keller/Manfred Weiss (eds.)European Integration as a Social Experiment in a Globalized World 14,00 13098 3-935145-74-8

99 Angelika BuceriusAlterssicherung in der Europäischen Union 25,00 13099 3-935145-75-6

100 Werner Killian/Karsten SchneiderDie Personalvertretung auf dem Prüfstand 12,00 13100 3-935145-76-4

102 Susanne Felger/Angela Paul-KohlhoffHuman Resource Management 15,00 13102 3-935145-78-0

103 Paul ElshofZukunft der Brauwirtschaft 16,00 13103 3-935145-79-9

104 Henry Schäfer/Philipp LindenmayerSozialkriterien im Nachhaltigkeitsrating 19,00 13104 3-935145-80-2

107 Axel Olaf Kern/Ernst Kistler/Florian Mamberer/Ric Rene Unteutsch/Bianka Martolock/Daniela WörnerDie Bestimmung des Leistungskatalogesin der gesetzlichen Krankenversicherung 18,00 13107 3-935145-84-5

108 Dea Niebuhr/Heinz Rothgang/Jürgen Wasem/Stefan GreßDie Bestimmung des Leistungskatalogesin der gesetzlichen Krankenversicherung 28,00 13108 3-935145-85-3

109 Yasmine Chahed/Malte Kaub/Hans-Erich MüllerKonzernsteuerung börsennotierterAktiengesellschaften in Deutschland 14,00 13109 3-935145-86-1

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Hans-Böckler-StiftungDie Hans-Böckler-Stiftung ist das Mitbestimmungs-, Forschungs- und Studienförderungswerk des

Deutschen Gewerkschaftsbundes. Gegründet wurde sie 1977 aus der Stiftung Mitbestimmung und

der Hans-Böckler-Gesellschaft. Die Stiftung wirbt für Mitbestimmung als Gestaltungsprinzip einer

demokratischen Gesellschaft und setzt sich dafür ein, die Möglichkeiten der Mitbestimmung zu

erweitern.

Mitbestimmungsförderung und -beratungDie Stiftung informiert und berät Mitglieder von Betriebs- und Personalräten sowie Vertreterinnen

und Vertreter von Beschäftigten in Aufsichtsräten. Diese können sich mit Fragen zu Wirtschaft und

Recht, Personal- und Sozialwesen, Aus- und Weiterbildung an die Stiftung wenden. Die Expertinnen

und Experten beraten auch, wenn es um neue Techniken oder den betrieblichen Arbeits- und Um-

weltschutz geht.

Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI)Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung forscht

zu Themen, die für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Bedeutung sind. Globalisierung,

Beschäftigung und institutioneller Wandel, Arbeit, Verteilung und soziale Sicherung sowie Arbeits-

beziehungen und Tarifpolitik sind die Schwerpunkte. Das WSI-Tarifarchiv bietet umfangreiche

Dokumentationen und fundierte Auswertungen zu allen Aspekten der Tarifpolitik.

ForschungsförderungDie Stiftung vergibt Forschungsaufträge zu Strukturpolitik, Mitbestimmung, Erwerbsarbeit, Koopera-

tiver Staat und Sozialpolitik. Im Mittelpunkt stehen Themen, die für Beschäftigte von Interesse sind.

StudienförderungAls zweitgrößtes Studienförderungswerk der Bundesrepublik trägt die Stiftung dazu bei, soziale Un-

gleichheit im Bildungswesen zu überwinden. Sie fördert gewerkschaftlich und gesellschaftspolitisch

engagierte Studierende und Promovierende mit Stipendien, Bildungsangeboten und der Vermittlung

von Praktika. Insbesondere unterstützt sie Absolventinnen und Absolventen des zweiten Bildungs-

weges.

ÖffentlichkeitsarbeitIm Magazin »Mitbestimmung« und den »WSI-Mitteilungen« informiert die Stiftung monatlich über

Themen aus Arbeitswelt und Wissenschaft. Mit der homepage www.boeckler.de bietet sie einen

schnellen Zugang zu ihren Veranstaltungen, Publikationen, Beratungsangeboten und Forschungs-

ergebnissen.

Hans-Böckler-Stiftung

Abteilung Öffentlichkeitsarbeit

Hans-Böckler-Straße 39

40476 Düsseldorf

Telefax: 0211/7778 - 225

www.boeckler.de

Hans BöcklerStiftungFakten für eine faire Arbeitswelt.

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