hexis ritual und haltung bei dionysius areopagita

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Hexis Ritual Und Haltung Bei Dionysius Areopagita

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  • Ritual und Trance

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  • Paragrana 18 (2009) 2 Akademie Verlag

    Wiebke-Marie Stock Hexis: Ritual und Haltung bei Dionysius Areopagita Der sptantike Philosoph und Theologe Dionysius Areopagita (~ 500), der neuplatonisches und christliches Denken wirkmchtig zusammenfhrte, vertritt eine ethische Theorie, in der das Konzept der hexis (Haltung, Verfassung, Charakter, Habitus) eine zentrale Rolle spielt. Der Kampf gegen Bilder und Phantasien, die die Ausbildung der hexis hindern, ist ver-knpft mit der Ausbildung des Menschen als Bild Gottes. Ohne eigene aktive Bemhung ist die erstrebte gottfrmige hexis ebensowenig zu erreichen wie ohne die passive Formung durch Riten, die die hexis gestalten, strken und zu einer gottfrmigen ausbilden. Die hexis ist ein komplexes ethisches Konzept, bei dessen Entwicklung Verstand, Krper und Seele interagieren, Rituale und sinnliche Erfahrungen sich als haltungsprgend erweisen. Keywords: Dionysius Areopagita, Neuplatonismus, Habitus, Ritus/Ritual, Bildung Vorweg Aristoteles, Nikomachische Ethik:

    Wenn es in der Seele drei Dinge gibt, die Leidenschaften (), Fhigkeiten () und Eigenschaften (), so wird die Tu-gend () eins von diesen dreien sein. [] Die Eigenschaften [] sind es, auf Grund derer wir uns zu den Leidenschaften richtig oder falsch verhalten. [] Wenn also die Tugenden weder Leidenschaften noch Fhigkeiten sind, so bleibt nur, da sie Eigenschaften () sind. (Aristoteles, EN II,4, 1105b-1106a. Vgl. auch Platon, Rep. 591b)

    Dionysius Areopagita, ber die kirchliche Hierarchie: Dies [die notwendige Abkehr vom frheren Leben in der Taufe] deu-tet die Tradition der Symbole in geheiligter Weise an, wenn sie dem Kandidaten das frhere Leben gleichsam wie ein Gewand auszieht und ihn von diesem bis zu den letzten Beziehungen zu demselben be-freit, wenn sie ihn nackt und barfu hinstellt mit dem Gesicht nach Westen und mit den abgekehrten Handflchen die Gemeinschaft mit der finsteren Verdorbenheit zurckweisend und die in ihn eingedrun-gene Verfassung der Entfremdung/die hexis der Unhnlichkeit (

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    ) gleichsam ausatmend (EH 76,9-16 (401AB) (Heil))1.

    Das Verhltnis von hexis und entsprechenden tugendhaften Handlungen, wie es sich aus Aristoteles Definition der Tugend ergibt, ist ein wechselseitiges: Wie ich handele, prgt meine hexis, meinen Habitus, gestaltet ihn erst aus, formt ihn erst, lsst solches Verhalten zur zweiten Natur werden; und diese hexis, dieser Habitus, dieser Charakter wiederum prgt, wie ich in bestimmten Situationen handele. Dass Gewhnung, richtiges Handeln, aber auch die Einsicht in die Richtigkeit, ferner vielleicht auch geistige bungen, wie die Stoiker sie kannten, bei der Ausbildung eines solchen habitus eine Rolle spielen knnen, bzw. mssen, leuchtet ein.

    Welche Rolle das Ritual hierbei spielen kann und wie man eine schlechte hexis, wie Dionysius schreibt, ausatmen kann, ist weniger offensichtlich. Ethische Tugenden, moralische Reinheit sind gemeinhin Voraussetzungen fr die Teilnahme am Ritual. Wer am Ritual teilnehmen mchte, muss sich im alltglichen Leben auerhalb des Rituals um ein reines Leben bemhen, muss seine hexis, sei-nen habitus gestalten, so dass er gereinigt am Ritual teilnehmen kann; tut er dies nicht, wird er von den Riten ausgeschlossen. Dass dies jedoch nicht alles sein muss, dass sich vielmehr auch eine direkte Einwirkung der rituellen Vollzge auf die hexis des Teilnehmers denken lsst, zeigt der sptantike Philosoph und Theolo-ge Pseudo-Dionysius Areopagita, der um 500 mehrere Schriften verfasste, in denen er neuplatonisches und christliches Denken wirkmchtig zusammenfhrt, darunter die Schrift ber die kirchliche Hierarchie, in der er die Ordnungen der Kirche und die Liturgie prsentiert.2 Sein Verstndnis der Ethik und die Rolle, die hierbei die rituelle Praxis spielt, werde ich im Folgenden in drei Schritten vorstellen.

    I. Hexis3 Dionysius prsentiert die kirchliche Hierarchie als politeia, als Gemeinwesen, des-sen Gesetze derjenige anerkennen muss, der in ihr als ihr Brger leben will (poli- 1 Die Werke des Dionysius zitiere ich nach der kritischen Ausgabe von Heil/Ritter DIO-

    NYSIUS AREOPAGITA: Corpus Dionysiacum II. De coelestis hierarchia (CH), De ecclesi-astica hierarchie (EH), De mystica theologia (MT), Epistulae (Ep), hrsg. v. G. Heil u. A. M. Ritter, Patristische Texte und Studien 36, Berlin/New York 1991, mit den folgenden Abkrzungen ber die himmlische Hierarchie (CH), ber die kirchliche Hierarchie (EH) entweder nach der bersetzung von Heil (DIONYSIUS AREOPAGITA: ber die himmlische Hierarchie. ber die kirchliche Hierarchie, eingeleitet, bers. von G. Heil (Bibliothek der griechischen Literatur, Bd. 22), Stuttgart: Hiersemann 1986) oder in der eigenen bersetzung.

    2 Zu Dionysius und zur Schrift ber die kirchliche Hierarchie vgl. STOCK 2008. 3 Die folgenden berlegungen knpfen eng an das Kapitel hexis in STOCK 2008, S. 132-

    152 an. Dort finden sich ebenfalls die Zitate im griechischen Original, die hier nicht nachgewiesen werden knnen, sowie zahlreichere weitere Belege und die Hinweise auf die Sekundrliteratur.

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    teusaito). (Vgl. EH 71,15f (396A)) Die hierarchia stellt eine eine heilige Ordnung dar, die dynamisch, auf Emporfhrung und Aufstieg angelegt und nicht starr und abgeschlossen ist. Die Aufnahme in dieses Gemeinwesen geschieht durch die Tau-fe, in der der Tufling vom Leben in der Reinigung in die Verfassung (hexis) der Schau und der Erleuchtung (EH 118,13-15 (536B) (Heil, leicht verndert)) empor-gefhrt wird. Eine gottgeme Verfassung ist Bedingung fr die Teilnahme an den verschiedenen heiligen Handlungen, die die Hierarchie vorsieht; erst sie ermglicht die notwendige Empfnglichkeit fr deren Wirkkraft. Vom Tufling wird ein rei-nes Leben verlangt, sonst wird er gar nicht zur Taufe zugelassen. Die Taufe ist aber nicht einfach das ffentliche Zeichen, dass der Tufling nun diese Voraussetzungen fr die Teilnahme erfllt.

    Was ist nun der Anfang des geheiligten Vollzugs der hochehrwrdi-gen Gebote, der unsere seelische Verfassung (hexis) zu hchster Emp-fnglichkeit fr die anderen heiligen Worte und Handlungen formt []? (EH 68,22-69,2 (392A) (Heil))

    Das Sakrament der Taufe selbst formt die hexis. Dass sich der Tufling dieser ritu-ellen Handlung unterzieht, verwandelt ihn, gestaltet ihn um, gibt ihm einen Habi-tus, der ihm ohne die Taufe unzugnglich bleiben msste. Auch weitere rituelle Handlungen innerhalb der Weihen knnen diese gestaltende Wirkkraft haben, sie wirken gleichsam als Handreichung (cheiraggia) fr den Aufstieg. (Vgl. EH 88,24f (437B) (Heil))4 Eine besonders bedeutsame Wirkkraft auf die hexis kommt den Psalmengesngen und Schriftlesungen zu, sie

    nehmen die Angst und Verlockung von den von Feigheit Befallenen, indem sie ihnen ihrem Fassungsvermgen entsprechend den Gipfel gotthnlichen Verhaltens (hexis) und gotthnlicher Kraft vorfhren [] Denen, die zu geheiligtem Sinn aus schlechteren Einstellungen bergetreten sind, flen Psalmen und Lesungen eine geheiligte Ver-fassung (hexis) ein, damit sie nicht noch einmal von Schlechtigkeit berwltigt werden. (EH 98, 2-9 (477A) (Heil, leicht verndert))

    Je nach Grad der Reinheit ben die Gesnge und vorgetragenen Texte unterschied-liche Funktionen aus. Auf einer ersten Ebene stellen sie den Umgetriebenen vor Augen, wie eine gottgeme Verfassung in hchster Vollkommenheit auszusehen hat; die Schriften zeigen diese hexis, fhren sie exemplarisch vor, prsentieren sie den Zuhrern. Auf einer hheren Ebene haben sie nicht nur paradigmatische Vor-fhrfunktion; sie wirken vielmehr direkt auf die Zuhrer, flen ihnen die hexis ein und verankern sie in ihnen. Es scheint, als knnten Lesungen und Gesnge in den Menschen eindringen und in ihm die entsprechende Verfassung strken, formen 4 Zur Handreichung, vgl. insbesondere STOCK 2008, Kap. Bilder und Symbole (S. 178-

    186).

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    oder ausbilden, so dass er in diesem liturgischen Akt eine Strkung oder Ausgestal-tung seines Habitus erfhrt. Nicht nur das Hren, sondern auch das Singen der Psalmen wirkt auf die hexis:

    Der geheiligte Text der gttlichen Gesnge jedoch [] bildet einen zusammenfassenden Gesang und Erzhlung der Wirkungen Gottes und bewirkt in denen, die ihn von Gott erfllt singen, die angemessene Einstellung zu Empfang und Weitergabe jeder Weihe, die die Hierar-chie vermittelt. Wenn also der die hochheiligen Inhalte umfassende Gesang unsere seelische Verfassung (hexis) eingestimmt hat auf die gleich folgenden heiligen Handlungen []. (EH 84,1-8 (429D-32A) (Heil, leicht verndert))

    Das Singen der Psalmen wirkt auf die seelische Verfassung aller Teilnehmer, die hierdurch vorbereitet werden, die Weihe zu vollziehen, sei es als Bischof, Priester oder Laie. ber die Sinneswahrnehmungen, ber den Krper wird die hexis in den Menschen, genauer in seine Seele eingepflanzt.

    Was bei Erwachsenen nur ein Moment im Erwerb der hexis sein kann, domi-niert bei den Kindern, die zu einem Zeitpunkt getauft werden, an dem sie noch keine hexis haben erwerben knnen und auch noch nicht fhig sind, dieses bewusst zu tun. Geleitet von seinem Paten soll das Kind vor einem Abfall in ein gottabge-wandtes Leben bewahrt werden, es soll ihm die Verfassung des Gttlichen einge-pflanzt werden (EH 131,23-25 (568C) (Heil, leicht verndert)). So geleitet soll es einen stabilen Habitus erlangen, der es gegen Versuchungen wappnet. (Vgl. EH 131,8-10 (568B) (Heil)) Hierzu dient aber eben nicht nur die leitende Funktion des Paten; vielmehr ist die rein krperliche Teilnahme an den Sakramenten Brot und Wein und der Salbung mit dem wohlriechenden Myron, die zur Taufliturgie hinzu-gehrt, unabdingbar:

    Anteil gibt aber der Hierarch dem Kind an den geheiligten Symbolen zu dem Zweck, da es in ihnen aufwachse und nicht ein anderes Le-ben als ein solches der stndigen Anschauung der gttlichen Gegens-tnde annehme, durch geheiligte Fortschritte in Gemeinschaft mit ih-nen tritt, durch das Verweilen in ihnen einen geheiligten Charakter (hexis) erwirbt und dabei auf dem Weg nach oben in heiligmiger Weise von dem Gott abbildenden Brgen geleitet wird. (EH 131,25-29 (568C) (Heil))

    Indem das Kind Anteil an den Symbolen, d.h. Brot, Wein und Myron, erhlt, soll es in ihnen aufwachsen und durch diese Nhe in der Ausbildung einer geheiligten Verfassung gestrkt werden.

    Im Erwerb der hexis wirken somit verschiedene Momente zusammen, betroffen sind Krper und Seele, aber auch der Verstand, dem dieser Zustand als erstrebens-werter vor Augen gestellt wird.

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    Eine Ethik, in deren Mittelpunkt die Vorstellung einer hexis steht, betrachtet und beurteilt nicht zuerst einzelne Taten eines Menschen; vielmehr interessiert sein Habitus, d.h. die Verfassung und Haltung, die ihn zu bestimmten (guten) Handlun-gen befhigt (vgl. Schmitt 2001, S. 45, 48). Dionysius Interesse beschrnkt sich in dieser Schrift ganz auf den Habitus, von den Handlungen wird kaum gesprochen. Der Habitus ist dynamisch angelegt, er kann bei nachlassender Anstrengung immer wieder verloren gehen und soll vervollkommnet werden. Ziel ist es, diesen dynami-schen Habitus zu stabilisieren und fest und sicher als gottfrmig zu etablieren.

    Die anzustrebende hexis wird nun bestimmt als ein gottgeme[r], unverdor-bene[r] Zustand der geheiligten Sndlosigkeit (EH93,8f (444B) (Heil)). Worin diese Sndlosigkeit besteht, lsst sich hauptschlich e negativo erschlieen. Ab-gesetzt wird die gottgeme hexis von Werke[n] des Fleisches (EH 86,9 (433C) (Heil)), dem Drang zur Materie (vgl. CH 13,16 (141B). Vgl. auch 16,11f (145B)), Verlockungen und Verwirrungen (EH 86,5 (433C) (Heil)). Gegen diese hat sich der Mensch zur Wehr zu setzen. Gefragt werden muss also nach dem Zusammen-hang von hexis und agn.

    II. Agn In seinen berlegungen zu Taufe und Bestattung, d.h. zu Anfang und Ende des (christlichen) Lebens, lsst Dionysius erkennen, dass er das menschliche Leben, angelehnt an paulinische Vorstellungen (Vgl. z.B. 1 Kor 9,24; Eph 6,11-17; Hebr 12,1), grundlegend als Kampfgeschehen begreift (vgl. EH 77,11-19 (401D-404A) (Heil)); jedoch nicht als Kampf der Seele gegen den Krper, denn er schreibt in seinen berlegungen zum Bestattungsritus, die Krper htten sich mit den gttli-chen Seelen [] zusammen gemht und man drfe sie daher nicht nach ihrer Ankunft am Ziel der gttlichen Rennen unheilig um ihre geheiligten Belohnungen bringen. (EH 121,15-17 (553C) (Heil). Vgl. EH 121,1-4 (553AB))

    Hauptgegner in diesen Kmpfen sind vielmehr Bilder, Bilder, die der Entwick-lung der hexis und des reinen Lebens entgegenstehen. Von Bildern bedrngt zu werden, kennzeichnet vor allem die unteren Stnde, die Stnde der Reinigung. Von Bildern bedrngt sind diejenigen, die aus Feigheit fr Schrecknisse und Erschei-nungen der Gegenkrfte Empfnglichen (EH 87,14-17 (436B)). Schreckbilder (deimata) und Erscheinungen (phasmata) von all dem, was der Angleichung an das Eine und Gttliche entgegensteht, wirken auf den ein, der noch nicht den notwen-digen Mut hat, sich gegen sie zu wehren. Phantasien (vgl. EH 87,17-19 (436B)) stellen demjenigen, der sich von einer bestimmten Lebensform ab- und einer neuen zugewandt hat, Bilder seines alten Lebens vor Augen, es ist die imaginre Rck-kehr der Vergangenheit. All die Phantasien oder sonstigen Bilder, die die verschie-denen Stnde der Hierarchie heimsuchen, stellen dem Versuchten die Zerstreuun-gen, Vielfltigkeiten, materiellen und sinnlichen Schnheiten der Welt vor Augen, verlocken seinen Drang zum Materiellen (proshylon, vgl. CH 13,16 (141B). Vgl. auch 16,11f (145B)).

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    Damit stehen sie der Reinheit und Einfrmigkeit des gottgemen Lebens entge-gen, das nicht von ueren Einflssen bewegt und damit passiv sein darf. Wer die-ses Leben fhren will, wird zu einer aktiven Haltung aufgerufen, zur wachsamen Gegenwehr gegen die Anfechtungen. Die Abwendung lsst sich nicht in einem Schritt vollziehen; sie verlangt vielmehr eine andauernde Anstrengung, eine immer wieder neue Zurckweisung der verlockenden Imaginationen des alten Lebens. Eine passive Haltung und Empfnglichkeit fr derlei verderbliche Einflsse sollen deshalb umgewandelt werden in einen Zustand, der sich, wie der gttliche, durch standfeste Unbewegtheit und Aktivitt auszeichnet.

    Der wrdige Teilnehmer an der Zeremonien nimmt daher keine passive Rolle gegenber den Phantasien ein, die ihn und andere bedrngen; vielmehr geht er aktiv und agressiv gegen sie vor. Er zeigt sich als Ringkmpfer oder Verfolger, der seine Gegner verspottet, oder auch, anderen gegenber, als helfender Therapeut. (EH 86,12-15 (433CD))

    Die christliche Literatur kennt zahlreiche Berichte, in denen geistliche Men-schen, Mnche vor allem, von Phantasien und Schreckbilder heimgesucht werden, die sie verlocken und peinigen. Von solcherart existentiellen ngsten und Kmp-fen ist bei Dionysius nicht die Rede; auf welche Art sich die Reinigung der Seele oder die Absage an die Phantasien konkret und im einzelnen gestaltet, bleibt offen. Eine Bemerkung in der theria, der Betrachtung zur Taufe lsst jedoch ahnen, dass es sich um mehr als um einen sportlichen Wettkampf handelt, wie es die meisten der zitierten Passagen anzudeuten scheinen (vgl. EH 76,22-77,3 (401BC)). Das Widrige/Gegenteilige, wie hier all das heit, was den Menschen von seiner Ausbil-dung und Bewahrung des gottfrmigen Zustandes abhalten kann, muss, wie Diony-sius mit groer Schrfe sagt, gettet und vernichtet und nicht blo berwunden oder berstiegen werden. Von einem Wettkampf kann da nicht mehr gesprochen werden, dieser Kampf zielt auf die Vernichtung seines Gegners, nmlich all jener Einflsse, die die Ausgestaltung der gottfrmigen hexis hindern. Die gottgeme hexis erweist sich als Zustand der Unempfnglichkeit gegenber den sogenannten gegenteiligen Einflssen; gefordert ist eine aktive kmpferische Haltung; ohne Kampf ist diese hexis nicht zu erlangen.

    Da das hier vorgestellte Ethos als lebenslanges Kampfgeschehen verstanden wird, ist der primre Kampfplatz der der inneren Imaginationen. Es geht nicht zu-erst darum, bestimmte einzelne Handlungen zu vermeiden oder zu verbieten (Du sollst/Du sollst nicht), sondern die Welt der Phantasie, die den Menschen passiv umtreibt, bedrngt und ngstigt zu bewltigen und zu lutern, um damit die innere Disposition fr gutes Handeln zu schaffen. Die hexis wird sozusagen in der Rein-heit der inneren aisthesis begrndet.

    Die Ausbildung der hexis und der Kampf gegen die falschen Bilder sind Diony-sius zufolge untereinander verknpft. Dieser negativen Bestimmung der Entbil-dung, d.h. der Vertreibung der falschen phantasiai entspricht positiv die Ausbil-dung als Bild Gottes.

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    III. Bildung In der theria, der Betrachtung der Weihe des wohlriechenden ls, des Myron fin-det sich ein Gleichnis, das diese Seelenbildung darstellt. Zwei Stufen der Seelen-bildung nennt Dionysius: auf die Ausbildung der Tugend, die Dionysius zwar als ersten Schritt nennt, auf die er aber nicht genauer eingeht, folgt die Schau auf jene geistige und wohlriechende Schnheit und die Ausbildung hin auf die schnste Nachahmung (EH 95,23-96,11 (473BC) (WMS)).

    Und gleichwie bei den sinnlichen Bildern, wenn der Maler auf das Urbild unverwandt hinsieht und sich nichts anderem Sichtbaren zu-wendet oder sich auf irgend etwas hin zerstreut, er das zu malende, was es auch sei, wenn man so sagen darf, verdoppelt und das eine im anderen zeigt abgesehen vom Unterschied im Wesen, so schenkt den das Schne liebenden Malern im Geiste die unverwandte und nicht abgelenkte Schau auf die wohlriechende und verborgene Schnheit das bestndige und gottfrmigste Bild. (EH 95,23-96,11 (473BC) (WMS))

    Zwei Momente der Malerttigkeit hebt Dionysius besonders hervor. Ungeteilte Aufmerksamkeit muss der Maler seinem Gegenstand widmen und darf sich keinen anderen Dingen zuwenden. Was er dann auf der Tafel schafft, ist gewissermaen eine Verdopplung seines Objekts, das ein weiteres Mal zu sehen ist, jedoch nicht in gleicher Weise wie das Urbild. Ein Unterschied der ousia, des Wesens bleibt zwi-schen Bild und Urbild bestehen, da in dem einen Falle der Mensch aus Fleisch und Blut und im anderen aus Farben und Holz besteht.

    Fr den Maler der Seele folgt hieraus, dass er nicht von der Schau auf die wohlriechende geistige Schnheit ablassen und seinen Blick von etwas anderem einfangen lassen darf. Ganz konzentriert unabgelenkt, unverwandt muss er auf das Vorbild seiner nachahmenden Ttigkeit schauen. Ergebnis dieser Schau ist die Bildwerdung, die Anhnlichung an das Vorbild, die Herstellung eines Bildes, das so sehr nach Gottes Gestalt ist, wie dies nur mglich ist.

    Vergleicht man dieses Malergleichnis mit anderen Maler- und Bildhauergleich-nissen aus der platonischen und christlichen Tradition, so ergibt sich neben anderen wichtigen Unterschieden als wichtigstes Unterscheidungsmerkmal des dionysi-schen Malergleichnisses seine Verortung in der Liturgie. Es handelt sich um eine Bildwerdung in der liturgischen Schau, wie sie keiner der anderen Autoren kennt. In der verborgenen Schnheit des wohlriechenden ls sieht der dionysische See-lenmaler sein Vorbild, hier findet er die gttliche Schnheit, nach der er sich ge-stalten soll. Dass die liturgische Schau, die Schau auf das wohlriechende Myron denjenigen verwandeln kann, der in angemessener konzentrierter Aufmerksamkeit teilnimmt, ist bemerkenswert. In konzentrierter Teilnahme an diesem Ritus, schau-end und riechend, kommt er zu einer greren Gotthnlichkeit und zugleich zu einer greren Erkenntnis.

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    Das Menschenbild, das dieser Konzeption zugrunde liegt, ist nicht das Plotins, fr den der Krper ein Hindernis fr die Seele ist, Grund der Verwirrungen und des bels. Bei den spten Neuplatonikern wird der Mensch jedoch verstrkt als Einheit von Seele und Krper begriffen, woraus sich ein gewandeltes Verstndnis von Erkenntnis und Aufstieg ergibt.5 Whrend fr Plotin allein das Denken zur Einung fhren konnte, waren die spten Neuplatoniker der Auffassung, dass theurgische Praktiken, der Vollzug von Riten unabdingbar war. hnliches gilt auch fr Diony-sius: Um aufzusteigen, bedarf der Mensch der Handreichung (cheiraggia), die ihm in den Bildern und Symbolen von Schrift und Liturgie geboten wird. Und dies betrifft dann, wie wir gesehen haben, die Ethik.

    Die liturgischen Handlungen direkt mit der ethischen Formung des Menschen in Verbindung zu bringen und nicht indirekt ber Reinheitsgebote, ist zentrales Merk-mal der dionysischen Konzeption der Ethik. Diese Ethik ist weder Tugendethik, noch Handlungsethik. Vielmehr stehen Habitus, Bildwerdung und Bilderkampf im Zentrum dieser ethischen Konzeption, was die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Ethik und sthetik erffnet. Zur Ausbildung des Habitus gehren der Kampf gegen die phantasiai, die Bildwerdung, liturgische Akte. Sinneswahrneh-mungen und Krper spielen hierbei ebenso wie der Verstand eine Rolle. Bestimmte rituelle Handlungen zu vollziehen, zu hren, zu singen, zu sehen und zu riechen, gestaltet den Menschen; durch Handlungen allein kann diese hexis nicht gestaltet werden. Und es ist die Schnheit des Ritus, allerdings nicht die uere Schnheit, die den Menschen emporfhrt. Dionysius nimmt Platonisches und Christliches zusammenfhrend eine Mitt-lerkraft des Schnen an, die in der Hierarchie wirksam ist:

    Zugleich schliet er [Jesus] unsere vielen abweichenden Besonder-heiten mittels des auf ihn gerichteten und uns ausrichtenden Liebes-dranges zum Schnen zu einer Einheit zusammen und vervollkomm-net sie zu einem dem Einen gemen, gttlichen Leben (z), Verhal-ten (hexis) und Wirken (energeia) (EH 64,4-6 (372B) (Heil)).

    Ausatmen Die Anstrengung des Mitglieds der hierarchia um ein reines Leben stellt einen Teil der Formung der hexis dar, die Gestaltung durch die rituellen Handlungen, durch die Sinneswahrnehmungen, den anderen. Beides ist unabdingbar, ohne eigene aktive Bemhung ist die gottfrmige hexis ebensowenig zu erreichen, wie sie ohne die passive Formung durch Psalmengesnge oder die Taufe zu erlangen wre.

    In diesem Verstndnis der hexis, indem die Gestaltung nicht nur, aber gerade auch durch die Sinneswahrnehmungen, eine zentrale Rolle spielt, erschliet sich die zu Beginn des Artikels zitierte Aufforderung an den Tufling, die hexis der Un- 5 Vgl. hierzu STOCK 2008, Kap. Krper und Seele (S. 171-178).

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    hnlichkeit auszuatmen. Nicht Zeichen der Abwehr gegen das Bse ist es, wie Heil vermutet6, sondern vielmehr ein tiefes Ausatmen, mit dem der Tufling alle Schlechtigkeit gewissermaen in einem tiefen Atemzug aus sich herausatmet.7

    Literatur Quellen ARISTOTELES, EN: Die Nikomachische Ethik. Griechisch-deutsch. bers. von Olof Gigon,

    neu herausgegeben von Rainer Nickel, Dsseldorf/Zrich: Artemis & Winkler (Tuscu-lum) 2001.

    DIONYSIUS AREOPAGITA, CH und EH: ber die himmlische Hierarchie (CH). ber die kirchliche Hierarchie (EH), eingeleitet, bers. von G. Heil, Stuttgart: Hiersemann (Bib-liothek der griechischen Literatur Bd. 22)1986.

    : Corpus Dionysiacum II. De coelestis hierarchia (CH), De ecclesiastica hierarchie (EH), De mystica theologia, Epistulae, hrsg. v. G. Heil u. A. M. Ritter, Berlin/New York: de Gruyter (Patristische Texte und Studien Bd. 36) 1991.

    PLATON, Rep.: PLATON: Politeia/Der Staat. Deutsche bersetzung von Friedrich Schleier-macher, in: Werke, in acht Bnden, griechisch und deutsch, Vierter Band, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1990

    Sekundrliteratur HEIL, GNTER (1986): Anmerkungen zu ber die kirchliche Hierarchie, in: DIONYSIUS

    AREOPAGITA, ber die himmlische Hierarchie. ber die kirchliche Hierarchie, einge-leitet, bers. von G. Heil (Bibliothek der griechischen Literatur, Bd. 22), Stuttgart: Hier-semann.

    STOCK, WIEBKE-MARIE (2008): Theurgisches Denken. Zur Kirchlichen Hierarchie des Di-onysius Areopagita, Berlin/New York: de Gruyter (Transformationen der Antike Bd. 4).

    6 Vgl. HEIL 1986, Anm. 15, S. 162. 7 Vgl. STOCK: Theurgisches Denken, S. 51.

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