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Sonderdruck ý I aus I ZEITSCHRIFT FUR OSTFORSCHUNG r i Länder und Völker im östlichen Mitteleuropa 35. Jahrgang 1986, Heft 1/2 Nicht im Buchhandel

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Page 1: I ZEITSCHRIFT FUR OSTFORSCHUNG · Orden um die Herrschaft über Riga, in: Mitteilungen aus der livländischen Ge- schichte 24 (1930) S. 147-280, sowie Urban (wie Anm. 3), S. 309 ff

Sonderdruck ý I aus

I ZEITSCHRIFT FUR OSTFORSCHUNG

r

i

Länder und Völker im östlichen Mitteleuropa

35. Jahrgang 1986, Heft 1/2 Nicht im Buchhandel

Page 2: I ZEITSCHRIFT FUR OSTFORSCHUNG · Orden um die Herrschaft über Riga, in: Mitteilungen aus der livländischen Ge- schichte 24 (1930) S. 147-280, sowie Urban (wie Anm. 3), S. 309 ff
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Aufsätze und Forschungsberichte

Der Einzug des Erzbischofs Sylvester Stodewescher

von Riga in sein Erzbistum im Jahre 1449 von

Hartmut Boockmann

Zu den großen Themen der mittelalterlichen Geschichte der baltischen Länder gehören die heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem Deut-

schen Orden und dem Erzbistum Riga. Das Erzbistum stellte sich den Be-

mühungen des Ordens um eine Landesherrschaft von ähnlicher Geschlos-

senheit, wie er sie in Preußen besaß', als das stärkste Hindernis entge- gen.

Letztlich gehen die Probleme, die hier immer wieder aufbrachen, auf die Anfänge der Mission und der deutschen Besiedlung Livlands zurück, also darauf, daß der Deutsche Orden hier nicht der erste gewesen war, sondern sich als Nachfolger des Schwertbrüderordens' etablierte und von diesem das heikle Verhältnis zum Erzbischof von Riga gewissermaßen erbte. Der Erzbischof hatte in Gestalt des Schwertbrüderordens einen eigenen Ritter-

orden zur Verfügung haben wollen - ganz ähnlich, wie das im Heiligen Land der Patriarch von Jerusalem mit den Templern und mit den Johan-

nitern zeitweilig versucht hatte. Ebenso wie dort mußte auch in Livland die Nähe eines mächtigen Kirchenfürsten zu einem an kirchliche Grenzen

nicht gebundenen, exemten Ritterorden zu Konflikten führen, die sich im Verlaufe der Zeit dadurch komplizierten, daß die Städte und die Rit- terschaft als weitere politische Kräfte in Erscheinung traten. Inbesondere die Existenz einer starken Stiftsritterschaft im Erzbistum Riga markiert, daß sich die Kräfteverhältnisse in Livland von denen in Preußen unter- schieden.

Die Konflikte zwischen dem Orden und dem Erzstift sind im 14. Jahr- hundert wiederholt mit Waffen ausgetragen worden, und so tauchten auch in diesem Zusammenhang die gewissermaßen regional-spezifischen Mög- lichkeiten bzw. Argumente auf. Beide Seiten warfen sich vor, die jeweils

andere im Bunde mit Heiden zu bekämpfen, also das extreme Gegenteil

1) Obwohl der Orden in Preußen nicht alleiniger Landesherr war - auch die vier Bischöfe und die vier Domkapitel hatten eigene Territorien - kam seine politische Position - insbesondere im Verhältnis nach außen - doch einer Herrschaft über das ganze Land nahe, zumal drei der Domkapitel dem Orden inkorporiert waren und der ermländische Bischof in der hier interessierenden Zeit dem Orden eng verbunden war. Vgl. Brigitte Poschmann: Bistümer und Deutscher Orden in Preußen 1242-1525. Untersuchung zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte des Ordenslandes, in: Zs. für die Geschichte und Alter- tumskunde Ermlands 30 (1962) S. 227-356; H. Boockmann: Der Deutsche Orden, 2. Aufl. München 1982, S. 183 ff.

2) F. Benninghoven: Der Orden der Schwertbrüder (Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwert, Bd. 9), Köln, Graz 1965.

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dessen zu tun, wozu ein Erzbischof und vor allem ein Kreuzzugsorden ver- pflichtet waren s

Obwohl gegen den Orden an der römischen Kurie in einer ähnlichen Weise prozessiert wurde, wie das auch nach der Okkupation Danzigs und Pommerellens geschehen ist, hat er sich am Ende doch behaupten kön- nen. Der Papst hat im Jahre 1393 den Rigaer Erzbischof Johannes von Sin- ten zum Patriarchen von Alexandria ernannt, ihn also fallen lassen, an dessen Stelle den Neffen des Hochmeisters Konrad von Wallenrod, Jo- hann von Wallenrod, zum Erzbischof von Riga eingesetzt und das rigische Domkapitel in den Deutschen Orden inkorporiert. '

Doch mochte sich der Hochmeister-Nepot mit der ihm zugedachten subalternen Rolle offensichtlich nicht abfinden. Nachdem er das Erzbistum

zunächst gegen eine Rente an den Orden selbst abgetreten hatte, gelang es ihm, der insbesondere während des Konstanzer Konzils als Vertrauter des römischen Königs zu einer politisch führenden Gestalt geworden war, sein Erzbistum gegen das finanziell ergiebigere Bistum Lüttich zu tau-

sehen. ' Schon die Versetzung des bisherigen Bischofs von Chur, Johannes Am-

bundii, auf den Rigaer Erzstuhl' ließ erkennen, daß der Papst die Inkor-

poration des Rigaer Domkapitels in den Deutschen Orden nicht mehr als gegeben ansah, und die energische, um Selbständigkeit bemühte Politik des neuen Kirchenfürsten ließ die früheren Erfolge des Ordens vollends dahinschwinden. Seit 1436 gehörte das rigische Kapitel definitiv nicht mehr dem Deutschen Orden an. 7

Gewissermaßen wieder in die Ausgangssituation, wie sie bis zum Ende des 14. Jahrhunderts bestanden hatte, zurückversetzt, bemühte sich der Orden um eine Wiederholung des damaligen Erfolgs. Unter dem Einsatz diplomatischer wie vor allem finanzieller Anstrengungen verhandelte er an der römischen Kurie, um einen Erzbischof seiner eigenen Wahl in Riga durchzusetzen. Als am 5. April 1448 der damalige Erzbischof, Henning Scharpenberg, starb, war der Deutsche Orden zwar nicht unvorbereitet, aber doch längst nicht am Ziel, so daß er auf einigermaßen überstürzte Weise versuchen mußte, dem Papst einen Nachfolger zu präsentieren. Doch kam der Orden trotzdem zum Erfolg. Schon am 9. Oktober, also we- nig mehr als ein halbes Jahr nach dem Tod des Erzbischofs, ernannte der

3) Ein Überblick über die Auseinandersetzungen zwischen dem Erzstift Riga und dem Orden bei H. Boockmann: Johannes Falkenberg, der Deutsche Orden und die polnische Politik (Veröff. des Max-Planck-Instituts für Ge- schichte, 45), Göttingen 1975, S. 62 ff., sowie auch bei W. Urban: The Livonian Crusade, Washington 1981.

4) Vgl. B. Jähnig: Johann von Wallenrode O. T. (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens, Bd. 24), Bonn-Godesberg 1970, S. 10 ff., sowie H. Boockmann: Die Rechtsstudenten des Deutschen Ordens, in: Festschrift für Hermann Heimpel, Ed. 2 (Veröff. des Max-Planck-Instituts für Geschichte zur Geschichtswissenschaft, 36/2), Göttingen 1972, S. 342 f.

5) Jähnig (wie Anm. 4), S. 127. 6) Vgl. K. E. Murawski: Zwischen Tannenberg und Thorn (Göttinger

Bausteine zur Geschichtswissenschaft, 10/11), Göttingen 1953, S. 156 f. 7) Vgl. ebenda, S. 157 L

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Der Einzug des Erzbischofs S. Stodewescher von Riga 1449 3

Papst dessen Nachfolger: diesmal nicht den Neffen des Hochmeisters, son- dern seinen Hofkaplan und obersten Schreiber, Sylvester Stodewescher. ' Das Domkapitel, zu einem ebenso überstürzten Handeln genötigt, wählte den damaligen Bischof von Lübeck, Nikolas Sachow, zum neuen Erz- bischof, doch hatte es damit einen schlechten Griff getan, weil der Er- wählte keine Neigung zeigte, seine sichere, wenn freilich auch beschei- dene' Position in Lübeck zugunsten einer so unsicheren und gefährlichen Chance aufzugeben. Habe er auch nicht vele kuh, so habe her ouch nicht vele muh, soll er erklärt haben. »

Sy1vesterStodewescher entstammte einer Thorner stadtbür- gerlichen Familie. Er hatte seit 1427 in Leipzig studiert. 1433 war er zum Ma- gister artium promoviert worden. Ob er danach Jurisprudenz oder Theologie

studiert hat, ist nicht gewiß. Ganz offensichtlich hat der Hochmeister das Stu- dium des Thorner Bürgersohns finanziell unterstützt - ebenso wie das Studium einer ganzen Reihe von damaligen Scholaren seitens des Ordens finanziert wurde `l, und ebenso wie wahrscheinlich auch schon das Stu- dium des früheren Rigaer Erzbischofs aus dem Deutschen Orden von diesem unterstützt worden war. ' Seit 1441 ist Stodewescher als Kaplan

und Kanzler des Hochmeisters in der Marienburg bezeugt. Nun gehörte er auch dem Deutschen Orden als Priesterbruder an. l'

Der Erfolg des Ordens von 1448 konnte als größer erscheinen denn der

von 1393. Statt eines Hochmeister-Nepoten entsandte der Orden diesmal eine Kreatur" auf den rigischen Erzstuhl. Obwohl die Inkorporation des Kapitels in den Orden weiterhin aufgehoben sein sollte, obwohl der neue Erzbischof gegenüber dem Kapitel die entsprechenden Bindungen einge- gangen war's, konnte der Orden doch darauf vertrauen, daß der Bür- gersohn und fürstliche

�Schreiber" seinen Auftrag zuverlässiger erfüllen würde als der vor einem halben Jahrhundert nach Riga entsandte Hoch-

meister-Neffe aus adliger Familie. Überdies führte der neue Erzbischof die präzisen Aufträge des Ordens nicht nur in seinem Kopfe nach Riga

mit. Gegenüber seinem bisherigen und - mit Rücksicht auf seine Zuge- hörigkeit zum Deutschen Orden - ja auch nunmehrigen Vorgesetzten hatte sich Sylvester Stodewescher vielmehr ausdrücklich und schriftlich

8) K. Mi1itzer: Die Finanzierung der Erhebung Sylvester Stodeweschers zum Erzbischof von Riga, in: ZfO 28 (1979), S. 239 ff.

9) Das servitium commune des Erzbistums Riga betrug 800 Gulden, das von Lübeck 300: C. Eube1: Hierarchia catholica 2,2. Aufl. Münster 1914, S. 223 u. S. 180.

10) Liv-, est- und kurländisches Urkundenbuch (weiterhin zit.: Urkunden- buch), Bd. 10, Riga, Moskau 1896, Nr. 495, S. 346.

11) Dazu der in Anm. 4 zit. Aufsatz. 12) Vgl. ebenda, S. 342 f. 13) Vgl. ebenda, S. 358 ff., sowie die Tübinger phil. Dissertation von G.

Kroeger: Erzbischof Silvester Stodewescher und sein Kampf mit dem Orden um die Herrschaft über Riga, in: Mitteilungen aus der livländischen Ge- schichte 24 (1930) S. 147-280, sowie Urban (wie Anm. 3), S. 309 ff.

14) Vgl. das Zitat unten S. 16. 15) Vgl. Murawski (wie Anm. 6), S. 168 ff.

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verpflichten müssen, in Riga die Politik des Ordens zu führen. Vor allem hatte er einen Schuldschein hinterlassen. Am 19. Mai 1449 hatte er zusagen müssen, dem Hochmeister die bisher für seine Ernennung zum Erzbischof vor allem an der römischen Kurie bezahlten Gelder, 4156 Rheinische Gulden, ebenso zu erstatten wie eventuelle weitere Kosten sowie die Zinsen. Insge- samt sollte die Kostenrechnung später 6240 Gulden betragen. " Daß der Erz- bischof diese Kosten selber tragen, daß, anders gesagt, die rigische Kirche für die Kosten ihrer Eroberung durch den Orden selber aufkommen sollte, braucht nicht weiter aufzufallen. Der Orden hat dieses Verfahren schon früher angewandt" Doch war das keineswegs etwa seine Spezialität. Die- ses Verfahren war im Umgang mit Pfründen geläufig.

So sind die anderen Verpflichtungen, welche der Erzbischof auf sich genommen hatte, interessanter, auch wenn schriftlich nur das am selben Tage

wie die zitierte Schuldanerkenntnis ausgefertigte Gelöbnis überliefert ist, den Ordenshabit niemals abzulegen, also den Deutschen Orden niemals zu verlassen, und dafür zu sorgen, daß auch die rigischen Domherren Ordens- mitglieder werden würden 18

Stodewescher verpflichtete sich also ausdrücklich dazu, die so kritische Habitfrage, und das heißt den Kern des zwischen dem Erzstift und dem Orden strittigen Komplexes, im Sinne des Ordens zu lösen, und er fügte hinzu, daß er dem Hochmeister, dem Meister in Livland und dem ganzen Orden in allen Angelegenheiten mit Rat und Hilfe beistehen wolle.

Der Wortlaut dieser Verpflichtung erinnert an Lehnsverträge. Er gleicht Versprechungen, wie sie fürstliche Räte in dieser Zeit bei ihrer Bestallung

abzugeben genötigt waren. Dennoch ist eine solche Verpflichtungser- klärung nicht ungewöhnlich. Der Kirchenfürst als Rat eines mächtigeren Fürsten ist in dieser Zeit keine seltene Erscheinung. 1° Der Erzbischof von Riga hatte eine solche Position aber bisher nicht eingenommen. Würde er das nun tun? Dafür sprachen die Urkunden, mit denen der Hochmeister

sich gegenüber seinem Schützling abgesichert hatte und die er zu größerer Sicherheit auch dem Ordensmeister in Livland zukommen ließ. -" Aber diesen Urkunden widersprachen jene Dokumente, in denen die Einigung

zwischen dem neuen Erzbischof und dem Domkapitel niedergelegt worden war. Woran würde sich Sylvester Stodewescher künftig halten? Würde er überhaupt die Gelegenheit haben, sich für die eine oder andere Seite zu entscheiden? Das mußte er sich fragen. Hatte er, der dem Erzstift nicht nur von außen aufgezwungene Erzbischof, sondern überdies der Agent von dessen größtem Gegner, nicht allen Anlaß, auf der Hut zu sein und darü-

16) Vgl. M11itzer (wie Anm. 8), S. 249 f. 17) Vgl. Boockmann, Johannes Falkenberg (wie Anm. 3), S. 65, Anm. 61. 18) Vgl. Kroeger (wie Anm. 13), S. 161 f. 19) Der wenige Jahre später aufbrechende Konflikt zwischen dem Bischof von

Brixen, Nikolaus von Cues, und dem Grafen von Tirol und Herzog von Öster- reich, Siegmund, hatte seine Ursache letztlich darin, daß Nikolaus von Cues sich weigerte, eine solche Stellung, wie seine Vorgänger sie eingenommen hatten, zu akzeptieren. Vgl. W. Baum: Nikolaus Cusanus in Tirol, Bozen 1983, S. 291 ff.

20) Vgl. Kroeger (wie Anm. 13), S. 162.

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Der Einzug des Erzbischofs S. Stodewescher von Riga 1449 5

ber hinaus um sein Leben zu fürchten, sobald er die Grenzen des Erz-

stifts übertreten hatte?

Das alles war Sylvester Stodewescher vollkommen bewußt. Wir wissen das, weil der Erzbischof seinem Auftraggeber am 5. Juli 1449, kurze Zeit

nach seiner Ankunft in Riga, einen ausführlichen Brief geschrieben hat. Dieser fast fünf der großformatigen Seiten des livländischen Urkunden- buches füllende Text=' ist ein erstaunliches und einzigartiges Dokument. Es war wirklich die Frage, ob der Erzbischof in Riga ehrenvoll aufgenom- men oder totgeschlagen werden würde, und er selber, der seinen Auftrag kannte, mußte das zweite für den wahrscheinlicheren Ausgang des Aben- teuers halten, auf das er sich eingelassen hatte und wohl hatte einlassen müs- sen. Das bezeugt dieser Brief. Doch ist der Text noch aus zwei anderen Grün- den interessant.

Der Brief des Erzbischofs Sylvester Stodewescher von Riga ist auch ein sozialgeschichtliches Dokument. Er repräsentiert nicht nur den Einzug einer Kreatur des Ordens auf den rigischen Erzstuhl, sondern auch den Höhepunkt einer jener Karrieren, die im Mittelalter nur die Kirche zu bieten hatte. Hier, im Sommer 1449, wurde aus einem Thorner Bürger- sohn, einem einstigen Leipziger Studenten, fürstlichen Hofgeistlichen und Kanzleivorsteher, aus einem gewiß hochgestellten, aber eben doch einem Mann, der den Rahmen dessen, was einem Bürgersohn offenstand, bisher nicht verlassen hatte, ein Fürst.

Sodann ist dieser Brief ein Dokument, aus dem die condition humaine zu uns spricht, ein Text, in welchem uns ein Mensch in seiner Furcht und in seinen Hoffnungen ganz unmittelbar anrührt - über den Abstand von mehr als einem halben Jahrtausend hinweg. Allzu oft geschieht das nicht.

Wie schon gesagt, hatte der neue Erzbischof von Riga allen Anlaß, sei- ner ersten Begegnung mit den Repräsentanten seines Fürstentums sor- genvoll entgegenzusehen und zu befürchten, daß dieser erste Kontakt zwi- schen ihm und seinen Untertanen nicht nur der letzte, sondern darüber hinaus auch sein Ende sein würde. Die Zeremonien, welche mit der Etablierung eines neuen Erzbischofs von Riga verbunden waren, hätten

ohne weiteres die Gelegenheit geboten, die Inthronisation des neuen Für-

sten mit seiner Ermordung zu verbinden. Dabei bestand keine Notwendigkeit, etwa Sprengstoff unter einem Al-

tar zu deponieren oder ähnlich komplizierte Machinationen vorzunehmen, welche die Beseitigung von modernen Tyrannen so schwer machen. Damals

wurden bei repräsentativen Feierlichkeiten blanke Waffen gezückt, die tatsächlich in Aktion hätten treten können. Die bei den Festlichkeiten

verwendeten Waffen waren keine Zeremonial-Geräte, sondern sie wurden nur als solche verwandt. Die besondere Situation Sylvester Stodeweschers konnte jedoch die Befürchtung nahelegen, daß die Zeremonialwaffen Waf- fen bleiben würden und daß die Ehrung des Erzbischofs in seine Ermor- dung übergehen würde. Der Erzbischof hat das befürchtet, und er mußte es wohl befürchten, wenn er sich angesichts des blanken Schwertes, das

21) Urkundenbude (wie Anm. 10), Nr. 628, S. 46570.

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zu-seiner Ehre so gefährlich dicht neben seinem Kopf geschwungen wurde, daran erinnerte, wozu ihn der Hochmeister eigentlich nach Riga geschickt hatte.

Zunächst aber scheint sich Sylvester Stodewescher über den Ernst sei- ner Situation hinweggetäuscht zu haben. Von einer Station seiner Reise nach Riga, aus Brandenburg am Frischen Haff, schrieb er dem Hochmeister am 30. Mai 1449 einen Brief, demzufolge der Schreiber hoffte, die Auf- träge des Hochmeisters erfüllen zu können. zz

Der Hochmeister hatte dem Erzbischof noch einige Urkunden, aber auch kirchliche Ausstattungsstücke, um welche dieser gebeten hatte, nachge- sandt, darunter ein vergoldetes, mit Edelsteinen und kostbaren Reliquien ausgestattetes Kreuz. Sylvester Stodewescher hat sich für diese in geist- licher wie in materieller Hinsicht so kostbare Gabe offensichtlich in ange- messener Weise bedanken wollen, und so formulierte er nicht nur rhe- torisch geformte Worte, sondern versuchte er auch, in einer prägnanten Formulierung zusammenzufassen, was der Hochmeister bisher für ihn ge- tan hatte.

Auch zweifle er nicht, so schreibt der einstige Kanzleivorsteher und Hofgeistliche des Ordenshochmeisters, Gott der Allmächtige, den er hierum

auch immer bitten wolle, werde dem Hochmeister auf Erden und im Him-

mel für das belohnen, was dieser an seyne unde euwer creature Beleget habe. Gott und der Ordenshochmeister erscheinen hier also in einer Art

von Kollegialitätsverhältnis. Der eine hat den Menschen und der andere, nämlich der Hochmeister, hat den Erzbischof Sylvester Stodewescher ge- schaffen, und dieser ist infolgedessen sowohl Gottes wie auch des Hoch-

meisters Geschöpf. Doch eigentlich ist er nur des Hochmeisters Geschöpf,

und Gott ist in diesem Zusammenhang deshalb zu nennen, weil es eine Sünde gegen ihn wäre, wenn der Erzbischof verkennen würde, eine Krea- tur des Hochmeisters zu sein. Ihm scheine, so fährt Sylvester Stodewescher fort, daß er, des Hochmeisters Kreatur, unbillig auch gegen Gott und seinen, also den Deutschen Orden handeln würde, falls er nicht nach al- len Kräften die Gnade und die Gunst, die er empfangen habe, vergelten wolle. Er werde, so schreibt Sylvester Stodewescher weiter, in seinem Sinne nicht eher zur Ruhe kommen, bevor er nicht des Hochmeisters und seines Ordens Ehre und Ziele nach allen Kräften durchgesetzt habe.

Man täuscht sich wohl nicht, wenn man in diesem Brief einen einiger- maßen direkten Ausdruck dessen zu erkennen glaubt, was den eben zum Erzbischof ernannten Obersten Schreiber des Hochmeisters während sei- ner Reise nach Riga bewegte. Wie aber sollte es weitergehen? Darauf gibt der schon erwähnte Brief vom 5. Juli eine Antwort.

Dieser Brief ist das Zeugnis einer Art von Überraschungssieg. Der Erz- bischof war nicht nur am Leben geblieben, sondern am Ende geradezu freundlich aufgenommen worden. Ganz ohne Schwierigkeiten war die Be- gegnung des neu eingesetzten Kirchenfürsten mit seinem Volk jedoch nicht abgegangen, und ohne Angstschweiß hatte er die ersten Tage eben-

22) Ebenda, Nr. 619.

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falls nicht verbringen können. So mischen sich in seinem Brief Erleich-

terung und nachträglich formulierte Sorge, ja Angst auf eigentümliche Weise. Und es kommt hinzu, daß der einstige Schreiber und Hofgeistliche

nun zum ersten Mal im Zentrum feierlicher weltlich-geistlicher Zeremo-

nien stand. Daran konnte er sich nicht so schnell gewöhnen, und so spricht er nicht nur von dem, was ja eigentlich selbstverständlich gewesen wäre, sondern auch von seinen Gefühlen. Er schäme sich fast, so sagt er, zu schreiben, in welcher Weise die Deutschordensgebietiger, das heißt die führenden Ordensritter, die bisher die Vorgesetzten des Ordenspriesters Sylvester Stodewescher gewesen waren, und die preußischen Prälaten ihn

persönlich auf seinem Wege nach Riga geehrt hätten. Ebenso sei es ihm in

Livland ergangen, wo der Komtur von Goldingen mit vielen Ordensvög-

ten und anderen Amtsinhabern des Ordens ihm entgegengekommen sei. Der Komtur selber habe sich acht Tage lang persönlich um seine Bewir-

tung bemüht.

Der Erzbischof vermerkt noch eine Reihe von ähnlichen Empfangszere-

monien. Wer ihm bis zu welcher Stelle entgegenkam und was ihm bei

solcher Gelegenheit dargereicht wurde, teilt er dem Hochmeister genau- estens mit.

Man möchte geneigt sein, hier sozialpsychologisch zu argumentieren und dem Erzbischof vorzurechnen, daß er selbstverständliche Ehrenbezeugun-

gen für etwas Besonderes hielt. Das wäre jedoch ein Mißverständnis. Denn

so selbstverständlich die Ehrungen und Zeremonien, die dem Erzbischof bei seiner Inbesitznahme des Stifts Riga nun zuteil wurden, auch waren, so hatte doch jeder dieser Akte eine rechtliche Bedeutung, wie gerade der einstige Kanzleivorsteher des Deutschordenshochmeisters genau wußte. Ob es ihm gelingen würde, die Aufträge, welche ihm sein Förderer nach Riga mitgegeben hatte, zu erfüllen, das mußte sich zunächst einmal an den Ehrungen erweisen, die man ihm zuteil werden ließ oder verweigerte. Infol-

gedessen hat sein diese Ehrungen im Detail aufzählender Bericht durchaus den Charakter eines Rechenschaftsberichts.

Auf der anderen Seite kennen wir solche Feierlichkeiten nicht so genau, daß uns eine so detaillierte Schilderung wie der Brief des Erzbischofs von Riga nicht willkommen wäre. Wie empfängt man im ausgehenden Mittel-

alter einen Erzbischof? Ähnlich wie den König, d. h. in festlicher Ein- holung in der Tradition jenes Zeremoniells, das auf die Einholung des Kyrios in hellenistischer Zeit zurückgeht. Auf die Frage, wie man sich einen Herrscher-Adventus im 15. Jahrhundert vorzustellen hat, gibt es in- dessen eine so ins Einzelne gehende Antwort wie in unserem Brief nicht allzu oft oder nur ganz selten'

23) Vgl. nur Th. Kö1zer: Adventus regis, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, München, Zürich 1980, Sp. 170 f. Für das 15. Jh. siehe Anna Maria Drabek: Reisen und Reisezeremoniell der römisch-deutschen Könige im Spätmittelalter, Wien 1984, sowie die in Frankfurt am Main überlieferte Ordnung �De recep- tione prima archiepiscopi 1%Ioguntini" aus dem Jahre 1485 (Quellen zur Frank- furter Geschichte, 1), Frankfurt am Main 1884, S. 37 ff. Hier auch S. 9 ff. ein modus regem Romanorum electum Franc{furdiae introducendi. Vgl. auch den

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Im übrigen ist dieser Bericht aber eben doch von den subjektiven Empfindungen des so jäh aufgestiegenen Gelehrten stadtbürgerlicher Her- kunft geprägt, und das macht ihn noch interessanter. So ist es nicht nur von einem sachlichen Interesse, wenn -, vir hören, in welcher Weise nach der Zusammenkunft zwischen dem Erzbischof und Vertretern des Deut- schen Ordens die ersten Begegnungen zwischen ihm und Repräsentanten seines Stifts verliefen, wenn wir lesen, daß Dompropst, Domherren und Ritterschaft ihm einen Kaplan mit Silbergerät, wertvollen Büchern und anderen Kleinodien entgegensandten, daß eine besondere Feierlichkeit un- mittelbar vor Riga auf einem Schiff stattfand, das mit kostbaren Tex- tilien bekleidet und innen reichhaltig ausgestattet war, sondern es fällt

auch auf, daß der Autor dieses Briefes dem Hochmeister mitteilt, daß in

einem solchen Schiff auch Papst und Kaiser hätten fahren können. Das klingt wie ein Märchen. Der einstige Schreiber sieht sich plötzlich auf die Höhe von Papst und Kaiser erhoben. Aber das ist eben kein Märchen, son- dern nur die Geschichte des Erzbischofs Sylvester Stodewescher, oder wie ein Standeskollege zur selben Zeit ausdrücklich feststellte, ein Stück so- zialer Mobilität, wie sie nur die Kirche gewährleisten konnte.

Der berühmte Niko1ausvonCues, der bedeutendste Philosoph zwischen Thomas von Aquin und Leibniz, ist nicht nur eine prominente Figur der Geistesgeschichte, sondern auch ein Kleriker und Gelehrter ge- wesen, der sich unserem Sylvester Stodewescher durchaus an die Seite stellen läßt' Im Jahre 1449 war er zwar noch nicht Bischof bzw. Erz- bischof, aber er war doch zum Kardinal ernannt worden, und so hatte er ebenso wie unser rigischer Erzbischof allen Anlaß, den jähen Wandel sei- ner Lebensumstände zu bedenken. Während der Erzbischof, wie wir ge- sehen haben, in hyperbolischer Weise von seiner Erhöhung in papst- und kaiserähnliche Sphären spricht, drückt sich Nikolaus von Cues sachlicher aus. Er hat in diesem uns hier interessierenden Jahre 1449 einen Text nie- derschreiben und publizieren lassen, in dem nicht nur die wichtigsten Sta- tionen seines Lebens genannt werden, sondern auch der generalisierende Satz enthalten ist, daß nur die Römische Kirche einen solchen Aufstieg ermögliche. �Und

damit alle wissen, daß die Heilige Römische Kirche nicht auf Ort oder Art der Geburt sieht, sondern in freigiebigster Weise Anlagen und Leistungen belohnt, darum hat der Kardinal diese Geschichte zum Lob Gottes am 21. Oktober 1449 niederschreiben lassen. "

Bericht der �Gesta archiepiscoporum Magdeburgensium" über den Einzug des Kardinals und päpstlichen Legaten Nikolaus von Cues im Jahre 1451 in Magde- burg (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores, 14), Hannover 1883, S. 469 f. Am nächsten kommen dem hier untersuchten Brief die Materialien, welche K. Militzer soeben ausgewertet hat: Die feierlichen Einritte der Kölner Erz- bischöfe in die Stadt Köln im Spätmittelalter, in: Jb. des Kölnischen Geschichts- vereins 55 (1984).

24) E. Meuthen: Nikolaus von Kues. 1401-1464. Skizze einer Biographie, 3. Aufl. Münster 1976.

25) Et ut sciant cuncti sanctam Romanam ecclesiam non respicere ed locum vel genus nativitatis, sed esse largissimam remuneratricem virtutum, hinc hanc historiam in dei laudem iussit scribi ipse cardinalis anno 1449 die 21. octobris ... :

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Der Einzug des Erzbischofs S. Stodewescher von Riga 1449 9

Im Falle des Erzbischofs von Riga kam freilich noch etwas anderes hin-

zu. Er verfügte nun über ein Territorium. Und so schließt er an die Be-

schreibung des erwähnten Schiffes die Mitteilung an, daß er in diesem Schiff die Düna aufwärts gefahren sei, und daß man eine halbe Meile vor Riga Station auf einem Werder gemacht habe, der ihm selbst gehöre.

Der Erzbischof hat hier seine erste Nacht als Fürst auf eigenem Terri- torium verbracht. Am nächsten Morgen ging die Reise dann dünaaufwärts

weiter. Der Erzbischof passierte eine Burg, die dem Dompropst gehörte, und verbrachte hier zwei Nächte. Wir haben es hier also nicht einfach mit einer Reise zu tun, deren Sinn in dem möglichst schnellen Erreichen

eines bestimmten Zieles bestand. Der Sinn dieser Reise lag ebenso in ihren Stationen. Jede Mahlzeit und jede Übernachtung waren ein Rechts-

akt und hatten politische Folgen, und das Ganze glich dem Umritt, mit dem die hochmittelalterlichen Könige nach ihrer Wahl das Reich in Besitz nah- men.

Am Sonntag, dem 22. Juni, erreicht der Erzbischof endlich die Stadt Riga,

und auch hier geschah, was in einem solchen Falle geschehen mußte, das heißt, der geistliche Würdenträger wurde in einer feierlichen Prozession

eingeholt. Er schreibt, daß ihm erst seine Diener in zwei Gruppen entge- gengekommen seien, danach seine Mannschaft, das heißt die Ritterschaft, kostbar gekleidet und begleitet von einem großen Haufen von Pfeifern

und Posaunern. Die Bläser produzieren in dieser Zeit nicht so sehr Unter- haltung wie vielmehr staatsrechtliche Demonstrationen. Wenn zum Bei-

spiel eine Stadt eigene Bläser haben durfte, dann war das ein Zeugnis für ihre relative Selbständigkeit=6; wenn der Herrscher mit Blasmusik einge- holt -wurde, dann war das ein Teil des traditionellen Empfangszeremo- niells", und so war der Empfang des Sylvester Stodewescher durch Pfei- fer und Posauner ein Signal dafür, daß man ihn anerkennen würde, und für die 2000 Pferde, welche von den zu seiner Begrüßung Aufgebotenen bewegt wurden, galt dasselbe. Sylvester Stodewescher hatte freilich nicht die Muße gehabt, diese Zahl selber abzuschätzen, und so relativiert er die,

ebenfalls rechtlich bedeutungsvolle Nachricht, daß so viele Pferde zu seiner Begrüßung benutzt worden seien, mit dem Zusatz: wie man mir sagte.

Die nächste Gruppe, die den Erzbischof begrüßte, waren die �Herren

von dem Hause", nämlich Mariens in Jerusalem, also die Deutschordensrit- ter, von denen der wichtigste, der Meister in Livland, freilich fehlte. Er

war schwer krank, so hieß es, und Sylvester Stodewescher mußte sich fragen, was das zu bedeuten habe - zumal der livländische Meister in der Vergangenheit im Vergleich mit dem Hochmeister in den Auseinander-

setzungen mit dem Erzstift kompromißbereit gewesen war.! 8 Würde der

Acta Cusana, hrsg. von E. Meuthen und H. Ha 11 auer, 1,2, Hamburg 1983, Nr. 849, S. 603.

26) Vgl. Sabine Zak: Musik als Ehr und Zier' im mittelalterlichen Reich. Studien zur Musik im höfischen Leben, Recht und Zeremoniell, Neuß 1979, S. 149 ff .

27) Vgl. oben Anm. 23. 28) Vgl. Murawski (wie Anm. 6), S. 157 u. S. 168.

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livländische Meister ihn stützen? So mußte sich Sylvester Stodewescher fragen - soweit angesichts des aufwendigen Empfangs überhaupt Zeit zu solchen Zweifeln blieb. Als nächste Gruppe empfingen den Erzbischof die Bürger - insgesamt war der Begrüßungszug, an dem der Erzbischof ent- langreiten mußte, so schreibt er, über eine Meile lang.

Am Ende des Zuges war vor der Stadtmauer ein Baldachin aufgestellt und unter dem Baldachin wurde der Erzbischof nach dem Empfang durch Schüler, d. h. künftige Weltgeistliche, und Mönche mit der Gruppe konfron- tiert, in der er den härtesten Widerstand vermuten mußte und auf die

sein Auftrag vor allem zielte, mit den Mitgliedern des rigischen Domka- pitels, also den Männern, die den Widerstand gegen den Deutschen Orden getragen hatten und die in diesen Orden zu zwingen Sylvester Stode- wescher beauftragt war. Aber auch ohne diese besondere Situation wäre die Begegnung heikel genug gewesen. Domherren waren damals ja längst nicht mehr die Helfer eines Bischofs, sondern seine nächsten Konkurren- ten. Ihr Verhältnis zu ihm konnte dem der Landstände zu einem Fürsten gleichen und in Wahlkapitulationen gefaßt werdenSO

So bedurfte es einer Art Herrschaftsvertrages. Die Domherren präsen- tierten dem Erzbischof ein Eidformular. Sie beschworen, und zwar jeder persönlich, daß auch des Erzbischofs Vorgänger diesen Eid, den Stode- wescher vor der Kirche, also vor seiner feierlichen Inthronisierung, schwö- ren sollte, ebenfalls geschworen hatten, und der Erzbischof schwor diesen Eid am Ende auch: abgesichert durch einen Notar, durch �Schreiber" des livländischen Meisters, also des bisherigen Hochmeisterschreibers nächsten Kollegen, durch neutrale Zeugen sowie durch einen Rechtsvorbehalt. Der Eid sollte dann gelten, wenn seine Vorgänger ihn tatsächlich wörtlich so wie er jetzt geschworen hätten.

Dann Kostümwechsel: Der Erzbischof zieht geistliche Gewänder - einen seidenen Chorrock und eine Almutie - über sein Reisegewand, hängt sich das erwähnte Kreuz, das ihm der Hochmeister geschenkt hatte, vor die Brust, folgt der Prozession bis an die Domtür und spricht hier seinen Eid, dessen Wortlaut wir nun endlich lesen. Man möchte enttäuscht sein, denn der Text, der da so hartnäckig abgesichert wurde, scheint banal zu sein, und das schreibt der Erzbischof beinahe auch. Der Eid sei ganz unschäd- lich gewesen, so teilt er dem Hochmeister mit, denn er garantiere dem Domkapitel nur seine Rechte und Freiheiten.

29) Vgl. Elisabeth Vavra, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, München, Zürich 1980, Sp. 1362, und Drabek (wie Anm. 23), S. 27 f. Ein etwas späteres Beispiel bieten die Chroniken der deutschen Städte (weiterhin zit.: Städtechro- niken), 11, Leipzig 1874, S. 514 ff.: Friedrich III. findet bei seinem Besuch Nürn- bergs im Jahre 1471 vor dem Stadttor einen Baldachin vor, unter dem er in die Stadt einreitet.

30) Vgl. nur W. Reinhardt, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, hrsg. von K. G. A. Jeserichu. a., Bd. 1, Stuttgart 1983, S. 154 f., sowie für die fränkischen Bistümer A. Ger 11 c h, in: Handbuch der bayerischen Geschichte, hrsg. von M. Spind 1er, Bd. 3,1, München 1979, S. 278 f.

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Doch war der einstige Kanzler des Hochmeisters ja gerade mit dem

Auftrag nach Riga gekommen, diese Rechte und Freiheiten nicht nur zu schützen, sondern sie im Kern zu beseitigen. Noch bevor er die Schwelle

seines Domes überquerte, wurde er mit der Fatalität seiner Lage konfron- tiert. Einen Eid würde er wohl brechen müssen, den eben oder den dem Hochmeister geschworenen.

Doch das zu bedenken, war jetzt keine Zeit. Die Prozession rückte bis

zur Mitte des Domes vor. Der Erzbischof bestieg einen hier errichteten Thron: Das Te Deum laudamus erfüllte den Raum. Danach ließ sich der Erzbischof neben dem Hochaltar nieder. Die Messe begann.

Was sich daran anschloß, muß wohl eine Huldigung der Ritterschaft,

wenn freilich auch noch nicht die Erneuerung der Lehnseide, gewesen sein

- genau erfährt man das nicht, denn der Bericht Stodeweschers konzen- triert sich auf einen einzigen Punkt, und das war in seinen Augen der kritischste Moment der ganzen Inthronisation.

Nun, nach der Messe, trat dem Erzbischof ein Vertreter der Ritterschaft

mit einem kostbaren Zeremonialschwert gegenüber, mit jenem Schwert, das dem Erzbischof später, wie wir lesen, bei feierlichen Gelegenheiten

vorangetragen zu werden pflegte: wie weltlichen Herrschern, wie dem Kö-

nig. Jetzt freilich sollte das Schwert in der unmittelbaren Nähe des Erz- bischofs aus der vergoldeten Scheide gezogen und neben ihm getragen werden, am Altar und überall in der Kirche. Der Erzbischof mußte sich also einer Art Rundgang durch die Kirche unterziehen, und ein Mitglied der Ritterschaft begleitete ihn mit dem gezückten Schwert: durch die Kir-

che bis zum Altar. An einen Altar hatte sich schon mancher Geistliche in Todesnot - ver-

geblich - geflüchtet. Vielleicht dachte Sylvester Stodewescher an den Tod des Thomas Becket. Vielleicht entsann er sich auch der Vertreter des rigi- schen Domkapitels und der anderen livländischen Geistlichen, die der Vogt

von Durben im Jahre 1428 hatte ertränken lassen, als sie auf dem Wege

nach Rom waren, um sich über den Deutschen Orden zu beklagen" Ein Jahr später hatte der römische Vertreter des Deutschen Ordens dem Hoch-

meister mit Rücksicht auf diese Gewalttat und deren Folgen, die ihm in

Rom Mühe machten, geschrieben, daß es doch schließlich unauffälligere Methoden gäbe, sich seiner Gegner zu entledigen: man sulde solchen lüthen

essen adir trynken geben, das sy nemmermne dornoch hungerte adir dorste x

Immerhin wurde der Erzbischof jetzt nicht überrumpelt. Er schreibt nämlich, daß er sich beim Ordensmeister, der ja, wie wir gesehen haben, bei dem feierlichen Akt gar nicht zugegen sein konnte, vergewissert hatte,

ob er auch diesen Teil der Zeremonien dulden sollte. Der Meister fand

31) Die Berichte der Generalprokuratoren des Deutschen Ordens an der Kurie, Bd. 3,2, bearb. von H. Koeppen (Veröff. der Niedersächsischen Archivver- waltung, 29), Göttingen 1971, S. 620, Anm. 2.

32) Ebenda, jedoch Bd. 4,1, bearb. von K. Fors treu ter (Veröff. der Nie- dersächsischen Archivverwaltung, 32), Göttingen 1973, Nr. 45.

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nichts dabei. Er habe nichts dagegen, ließ er Stodewescher bestellen, aber ihm war der Umgang mit blanken Waffen ja auch vertraut.

Anders dem Erzbischof. Nachdem die Ritterschaft beteuert hatte, eher sterben als auf diesen Teil der Feierlichkeit verzichten zu wollen, mußten die Dinge ihren Gang gehen, so schwer es dem Erzbischof auch fiel. Denn, so schreibt er, bevor er - die Aufregung klingt noch nach - die Absi- cherung durch den Meister noch einmal berichtet: Ich byn nicht gewonet, blose swerte veel czu seheen, dorumbe was mir grawsam dorczu, ouch was ich trawen forchtig unde nicht ee in meynem gemute rugsam, wen do das swert in die scheide gestoszen wart.

Danach endlich - nach wie vielen Stunden ohne Essen, ohne Trinken? - das Festmahl, das die Domherren dem Erzbischof ausrichteten. Aber auch das war kein Anlaß, die Angst zu vergessen. Die Schwerter blieben zwar jetzt in der Scheide, aber das Messer, mit dem ein Ritter dem Erzbischof als Vorschneider den Braten tranchierte, war lang und scharf genug, um den fürstlichen Esser zu verwunden, und ob die drei anderen Ritter, die dem Erzbischof als Schenken und als Truchseß dienten, ihr Amt nicht zur Vergiftung einer Speise nützen wvürden, stand dahin. Auf Gift sollte der Erzbischof bald selbst noch angesprochen werden.

Auch diesmal waren die Zeremonien vorher ausgehandelt worden. Die Ritter beriefen sich auf das Herkommen. Sie hätten dem Erzbischof auch sagen können, daß der neugewählte König sich die gleichen Tischsitten von den Kurfürsten gefallen lassen mußte. " Doch das dürfte keinem der Beteiligten bekannt gewesen sein.

Die Ritter argumentierten schlichter. Er brauche von ihren Tischdiensten

nichts zu befürchten, sagten sie dem Erzbischof. Reagierten sie auf die

sichtbare Angst des Stubengelehrten? Ober übertönten sie ihre eigenen, bösen Absichten?

Der Erzbischof immerhin faßte Mut - vielleicht auch dank den Stär- kungen durch Speisen und Getränke, die ihm die Ritter darreichten. So gelang es ihm endlich, sich aus dem bösen in den guten Traum zu retten, den er zu Anfang dieser Feierlichkeiten empfunden hatte. War es denn kein Traum, was der Thorner Bürgersohn da an sich geschehen sah? Wer ihn da bediente? Die dieneten mir alle mit czu tische mit groszer demut

unde fleisze und woren alle kastlich gecleidet in sammet unde seydene stucke unde hatten urnbe sich veele grosz gesmeide von ketten unde halsz- bande etc.

Die Feste in der alten Welt dauern länger als unsere Staatsakte. Sie brauchen Tage, und sie beruhen - wie unsere Staatsakte auch - auf dem Prinzip der Wechselseitigkeit. So bewirtete der Erzbischof am nächsten Tage die Ritterschaft und die Ordens-Ritter. Der Tischdienst ist ihm jetzt nur noch einen Satz wert, und für den nächsten Tag, an dem er die Damen der Ritterschaft bewirtete, gilt das gleiche. Sylvester Stode- wescher ist nun beruhigt genug, den Tanz nach Tisch 1 zu beobachten und

33) Vgl. das 4. Kapitel der Goldenen Bulle Kaiser Karls IV. vom Jahre 1356, hrsg. von W. D. Fritz (Aionumenta Germaniae Historica, Fontes iuris Ger-

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die Stimmung als czachtiglich frolich zu empfinden. Am- folgenden Tage

aber wurde die Sache wieder ernst. Denn nun schworen, nachdem der Erzbischof schon an der Domtür den

Eid geleistet hatte, die Domherren, auch sie den hergebrachten Eid, aber vielleicht nicht nur diesen. Sie hätten �noch höher" als ihre Vorfahren ge- schworen, schreibt der Erzbischof, ohne doch genauer zu werden, und er fährt mit dem Bericht derartiger Erfolge fort. Er spricht von den Tränen

einzelner Domherren, und wir haben keinen Anlaß, das für eine Über-

treibung zu halten. Im Mittelalter dürfen auch Männer weinen. Und der Erzbischof spricht von der Zufriedenheit mit seiner Person, die ihm aus- drücklich versichert worden sei, aber das möchte man weniger glauben, obwohl die Begründung nicht unplausibel klingt. Das Kapitel war unge- achtet seines Widerstandes gegen den Deutschen Orden doch kein mo- nolithischer Block. Wie in anderen geistlichen Gemeinschaften gab es auch hier Parteiungen, und so scheint es nicht unglaubhaft, wenn der Erzbischof die Meinung gehört haben will, daß ein Erzbischof aus dem Kapitel selber noch schlimmer gewesen wäre als er, der von außen kommende Stode-

wescher, der den internen Gruppierungen des Kapitels gegenüber ja je- denfalls zu Anfang neutral sein konnte.

Daß die Situation dessen ungeachtet heikel war, haben die Domherren

auch jetzt gespürt. So versicherten sie oder einige von ihnen ihrem neuen Erzbischof nicht nur, ihn als rechten Vater und Herrn lieben und ehren, sondern sie versprachen auch, ihn nicht vergiften und ihm nicht nach- stellen zu wollen. Gift war im 15. Jahrhundert nicht nur in Italien, son- dern auch in Deutschland ein geläufiges Mittel der Politik oder wurde doch dafür gehalten. Kein unzeitiger Tod eines Mächtigen, welcher nicht das Gerücht des Giftmordes hervorgerufen hätte. So versuchte man sich zu sichern - zum Beispiel durch Tafelaufsätze aus Korallen und mit �Nat- ternzähnen", die giftige Speisen anzeigen sollten. Zufälligerweise ist ge- rade aus dem Besitz des Deutschen Ordens ein solches Gerät erhalten. ' Sylvester Stodeweschers Sicherheit wuchs vielleicht auch daran, daß er nun erlebte, wie schnell zwischen der Ritterschaft und dem Kapitel Un-

stimmigkeiten entstehen konnten. Zeremonien verlaufen im Mittelalter

nicht so glatt wie heutige Staatsakte. Die Feierlichkeiten kommen zum Stehen, so haben wir schon gesehen, weil die Beteiligten während des Ak- tes Einigkeit über Details herstellen müssen, und manchmal kommt es zu lautem Streit.

manici antiqui, 11), Weimar 1972, S. 58 f. 34) Auch zu dem Nürnberger Zeremoniell von 1471 gehörte der Tanz auf dem

Rathaus. Vgl. Städtechroniken (wie Anm. 29), S. 517. 35) Die um 1400 in Deutschland hergestellte Kredenz" (d. h.: Beglaubigungs-

instrument) in der Schatzkammer des Deutschen Ordens aus Wien besteht aus einem Korallenzweig mit daran aufgehängten �Nattern",

d. h. fossilen Haifisch-

zähnen. Vgl. den Katalog der Schatzkammer von H. Fi 11 itz, Wien 1971, Raum 2, Nr. 21. Zwei ähnliche Stücke befinden sich im Grünen Gewölbe in Dresden und im Kunsthistorischen Museum in Wien. Vgl. dessen Katalog der Sammlung für Plastik und Kunstgewerbe, Wien 1964, Nr. 80.

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So geschah es auch jetzt. Denn als die Ritter sich im Remter um den Erzbischof versammelten, um die Lehnseide zu schwören, da mußten sie feststellen, daß die Domherren schon geschworen hatten, während nach Meinung der Ritterschaft beide Eide zusammen geschworen werden muß- ten. Und hatten under enander harte rede.

So schworen die Domherren in Gegenwart der Ritter noch einmal, und dann leisteten die Ritter ihre Lehnseide. Jeder legte Hut, Gürtel und Waffen ab und bat den Erzbischof kniend um sein vom Vater ererbtes Lehen. Der Erzbischof vollzog die Belehnung mit dem Kuß, und der Be- lehnte erhob sich und leistete den Lehnseid, den ein neben dem Erzbischof stehender Ritter ihm vorsprach. Alle Belehnungen wurden schriftlich fest- gehalten.

Obwohl die Zeremonien nun schon einige Tage lang gedauert hatten, war Sylvester Stodewescher doch immer noch kein fertiger Erzbischof, sondern immer noch ein Elekt. Die Krönung des ganzen Verfahrens, die Weihe, stand noch aus, und sie sollte auch erst nach Datum dieses Briefes vollzogen werden. Doch rückte Stodewescher der Weihe jetzt ein Stück näher, weil ihm die Domherren den Schatz aushändigten: Gefäße aus Edel- metall, die Inful und die geistlichen Gewänder sowie Kleinodien. Der Erz- bischof wurde auf diese Weise nicht bloß symbolisch in seine Herrschafts- rechte eingeführt, sondern er bekam zugleich auch praktische Möglichkei- ten, er wurde wenigstens potentiell liquide. Denn die Bestandteile des erz- bischöflichen Schatzes, die ihm nun übereignet wurden, konnten angesichts ihres Wertes versetzt werden. Das wußten die Domherren auch. Sollten sie dem Neuling wirklich alles geben? Der war mißtrauisch und hatte offensicht- lich Listen oder Zeugen. So wurde kontrolliert, und so kam es zu unerquick- lichen Auseinandersetzungen. Dornoch obirantwerten mir die thumhern meynes vorfaren nochgeloszen silberen gerethe, das eyne erbare notdurfft ist an schusselen, kannen, kappe, stotezen unde anderem cleynot. Dornoch die infelen ader bisschoffshuwte, stabe, crewcze, kaszelen unde allerley messegewant. Eyn teyl was be seyte geleget, sunder is muste hervor. Die besten rinck mit den edel en gesteynen seynt vorposchet, dach wil ich dor- noch stellen. Besunder obirantwerten sie mir eyne kastliche infele mit veelen edeleen gesteyne, die was etwan euwer gnoden vorfarn vor czetawsent Ungerische gulden vorsatczt gewest, unde boten mich, das ich dieselbe in der thumkirchen czu trewer hant wolde legen laszen, wen man sie czu meyner weyunge kurtezlichen haben mußte. Also habe ich dieselbe infulle mit anderem veelem gerethe czu Rige geloszen bis uff die weiunge. So die gescheen ist, so will ich all meyn gerethe selbst vorwaren unde czu mir nemen.

Danach mußte sich Sylvester Stodewescher mit der Stadt Riga ausein- andersetzen. Wie üblich hatten ihn bei seinem Einritt gerichtlich aus der Stadt Verwiesene in der Hoffnung begleitet, auf diese Weise begnadigt und wieder in die Stadt zugelassen zu werden S6 Die Stadtverweisung war

36) Die Begnadigung von Verurteilten durch die einreitenden Herrscher ge- hörte zum Zeremoniell des Adventus. Vgl. Drabek (wie Anm. 23), S. 35 ff.

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neben der Geldbuße die wichtigste in der Stadt verhängte Strafe, und so

mußte man damit rechnen, daß der zeremonielle Einritt eines Mächtigen

eine Chance für viele Delinquenten bot. Männer oder Frauen, die wegen

eines geringfügigen Delikts für kurze Zeit aus der Stadt verwiesen waren, konnten nun eher zurückkehren; andere, die sonst eine Buße hätten zah- len müssen, konnten darauf hoffen, gratis eingelassen zu werden, wäh-

rend die Stadt befürchten mußte, daß ihr der Besuch des Königs oder

eines anderen Fürsten auch die Rückkehr von Gewalttätern und profes-

sionellen Kriminellen, deren sie sich ein für allemal hatte entledigen

wollen, bescherte'' So weigerten sich die Stadträte manchmal, den tradi-

tionellen Gnadenakt ohne Einschränkung vorzunehmen 38 Die Rigenser da-

gegen kamen ihrem neuen Erzbischof entgegen. Sie gaben nicht nur alle Geächteten frei, die mit Stodewescher eingezogen waren und deren Strei-

chung im städtischen Achtbuch er gefordert hatte, sondern sie begnadig-

ten auch die in der Stadt Inhaftierten. Mit diesem Entgegenkommen ver- banden sie die Überreichung der ebenfalls zum Herrscher-Advent gehörigen Ehrengaben. Der Erzbischof erhielt ein Scharlachtuch, eine stattliche An-

zahl von Pelzen sowie ein Faß jungen Rheinweins" So etwas war freilich nur eine Sache für Feiertage. Werktags mußte

Sylvester Stodewescher nun sehen, wie er auf dem verminten Gelände

zwischen Orden, Kapitel, Ritterschaft und Stadt zurecht kam. Immerhin: Der Ordensmeister war wirklich krank, hatte also nicht die Teilnahme an Stodeweschers Einzug absichtlich vermieden, und empfing den Erzbischof

nun in seiner Burg Kirchholm. Und mit dem Domkapitel und den Stifts-

37) Vgl. die einschlägigen Darlegungen für Göttingen und Basel bei Andrea Boockmann: Urfehde und ewige Gefangenschaft im mittelalterlichen Göt- tingen (Studien zur Geschichte der Stadt Göttingen, 13), Göttingen 1980, S. 42 ff.,

und H: R. Hagemann: Basler Rechtsleben im Mittelalter, Basel, Frankfurt a. M. 1981, S. 192 ff.

38) Als z. B. Kaiser Friedrich III. 1485 in Nürnberg einritt und eine Reihe von durch die Stadt Nürnberg Verurteilten freibat, die sich seinem Zug angeschlos- sen hatten, konzedierte der Nürnberger Rat die Begnadigung nur von 21 Ver-

urteilten und verweigerte seine Gnade den anderen, die sich offensichtlich schwerere Delikte hatten zuschulden kommen lassen. Der Kaiser akzeptierte diese mit Darlegungen über die andernfalls eintretenden Gefahren für die

Rechtsordnung begründete partielle Ablehnung: Städtechroniken (wie Anm. 29), S. 523 u. 525. Auch dem am 12. Juni 1451 in Magdeburg einziehenden päpst- lichen Legaten Nikolaus von Cues hatten sich multi proscripti et bannite ange- schlossen. Der Rat verweigerte sich der Begnadigung zunächst, und so mußte die Prozession umkehren. Nach Verhandlungen konzedierte der Rat die Auf-

nahme derer, die nicht manifeste bannite gewesen seien, und so konnte der Kar- dinal zwei Tage später dann doch feierlich in die Stadt einziehen. Vgl. die in Anm. 23 zit. Chronik.

39) Üblicherweise wurden Goldmünzen in vergoldeten Gefäßen überreicht. Vgl. etwa die Besuche Friedrichs III. in Nürnberg 1471 und 1485 (Städtechro-

niken, wie Anm. 23, S. 516 u. 525). Bei den 12 oder 14 czymmer schone groewek, die der Erzbischof erhielt, handelte es sich um Bündel von je 40 bis 60 Stück.

�Grauwerk" bezeichnete die Farbe der über Novgorod eingeführten Felle. Das

Weinfaß enthielt 1 Ohm, d. h. 150 Liter. Zu den Ehrengeschenken auch Dra- bek (wie Anm. 23), S. 53 ff.

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rittern begann Stodewescher zu verhandeln - und zwar mit umso mehr Vorsicht, als er von der Verbitterung gegenüber dem Deutschen Orden offensichtlich beeindruckt war. Wir lesen von ersten Ansätzen zur Zu-

sammenarbeit und von ein bißchen Taktik. Das Domkapitel riet Stode-

wescher, seine aus der Ritterschaft stammenden Amtleute abzusetzen. Er wollte sich nicht fügen und versprach der Ritterschaft vielmehr, lieber Leute von ihr zu nehmen als �Ausländer", von denen er fünfzig Per- sonen, Märker und Sachsen, entließ. Den Satz, daß ein Regent vor allem am Anfang Härte zu zeigen habe, hätte Stodewescher, falls er nicht über- treibt, nicht erst von einem Machiavelli zu lernen brauchen.

Aber vielleicht übertreibt er auch. Denn sein Brief ist ja ein Rechen-

schaftsbericht an seinen Herrn. Der freilich, so fürchtet Stodewescher, könnte schon längst ermüdet sein, und so entschuldigt er sich wegen der Länge seiner Epistel, eingedenk vielleicht so manchen Fluches, so man- chen Unmutes, den der Hochmeister geäußert haben mochte, wenn ihm, dem adligen Analphabeten, sein bürgerlicher Kanzler aus der einlaufen- den Korrespondenz vorlas. Ich hette euwern gnoden nach veel zu schrei- ben, ich weis wol, euwer herlichkeit horet (! ) nicht gerne lange briffe. Und dann noch ein persönlicher, intimer Satz: Alle tage lesze ich euwer gnoden briffe, denne, so ich den lesze, so beduncket mich, das mir euwer gnode czuspreche. Und noch einmal: Veel weide ich gerne nach euwern gnoden schreiben, ich besurge mich, euwer gnode sey unde werde vordrossen in meyner langen schrifft.

Hier schreibt noch einmal nicht so sehr der erwählte Erzbischof wie vielmehr der Hochmeister-Kaplan und �Sohn" des Deutschen Ordens'' Doch der sollte Sylvester Stodewescher nicht bleiben. Er wurde tatsäch- lich Erzbischof, und so mußte er, wie seine Vorgänger, mit dem Orden zusammenstoßen. Es kam zum Krieg, und der 1449 so furchtsame Erz- bischof sollte sich an bloße Schwerter gewöhnen, selbst den Harnisch tra- gen - und dann doch unterliegen. Im Jahre 1479,30 Jahre nach unserem Brief, ist er als Gefangener des Deutschen Ordens gestorben"

40) Stodewescher unterfertigt den Brief als B. Silvester der heiligen kirchen czu Rige irwelter etc., euwer hachwirdikeit demutiger capplan unde soen Deutsches Ordens etc.

41) Vgl. die in Anm. 13 zit. Dissertation von Kroeger. Der Vf. erklärt sich den Kampf zwischen Stodewescher und dem Orden mit dem Ehrgeiz und der Herrschsucht des Erzbischofs. Ähnlich urteilt Murawski (wie Anm. 6), S. 172. Wenn Stodewescher, Murawski zufolge, in seiner späteren, um Unabhän- gigkeit vom Deutschen Orden bemühten Politik,

�befangen in Vorstellungen der frühen livländischen Geschichte" war, so möchte man wiederum an den Brixener Bischof Nikolaus von Cues denken (vgl. oben bei Anm. 19). Der wollte in der Tat einen früheren Zustand wiederherstellen, während Stodewescher wohl mehr an seine unmittelbaren Vorgänger anknüpfte, und wenn Murawski davon spricht, daß der Orden nun zu den Waffen greifen �mußte", so möchte man dem entgegenhalten, daß sich der Erzbischof wenigstens in demselben Maße wie sein Kontrahent von politischen Notwendigkeiten vorangetrieben fühlen konnte. Der Schreiber war entgegen den Absichten seiner Förderer tat- sächlich ein Kirchenfürst und infolgedessen fast mit Notwendigkeit ein Gegner des Ordens geworden. Hier hat vor dreiviertel Jahrhunderten Johannes Ha 1-

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Der Einzug des Erzbischofs S. Stodewescher von Riga 1449 17

1er: Die Verschwörung von Segewold, in: Mittheilungen aus dem Gebiet der Geschichte Liv-, Est- und Kurlands 20 (1910), S. 150 f., sicherer geurteilt, als er sich dagegen wandte, dem Orden eine Art von objektiv begründeten Anspruch auf einen geschlossenen Staat zuzubilligen und von den Erzbischöfen von Riga zu verlangen, daß sie ihren �unseligen Herrschaftsanspruch" rechtzeitig hätten aufgeben sollen.

Summary

The Entry of Archbishop Sylvester Stodewescher of Riga into His Archbishopric in 1449

In the 14th and 15th centuries the Teutonic Order repeatedly tried to in- corporate the Chapter of the Cathedral of Riga and thereby to overcome the most important obstacle contradictory to an united reign of the Order in Livonia, as it was in Prussia. In this connection the Order succeeded twice in raising a favourite on the archiepiscopal see in Riga: Johann von Wallenrod, nephew of a Grand Master (1393), and Sylvester Stodewescher, chaplain and supreme secre- tary of a Grand Master (1448). When Stodewescher took possession of his archbishopric in the summer of the following year, he had precise instructions of the Order, which we know exactly and which amounted to the request to incorporate the Chapter of the Cathedral into the Order, and to depend on the Order in his politics. On the opposite side, i. e. above all on the side of the Chapter of the Cathedral, the exact text of the records was not known, by which Stode- wescher was bound to the Order, but they could not doubt that the new Archbishop was a representative of the Teutonic Order. Therefore he had to fear opposition, even danger for life and limb. With these fears and his first experiences in Riga deals a comprehensive report Stodewescher wrote to the Order. Above its im- portance for the history of the relations between the Archbishopric of Riga and the Teutonic Order, this report is a secular evidence of the "adventus" of an Archbishop in his duchy, and an unusually personal source as regards the 15th century. This report is placed in the centre of the contribution.