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Indische Musik file:///Users/.../Documents/Studium/VO Musik der Welt im Überblick II/04 - Indische Musik/Indische Musik.html[19.04.10 09:16:17] INDISCHE MUSIK Die indische Musikkultur kann aufgrund guter Quellenlage weit in die Geschichte zurück verfolgt werden. Von Indien ging stets eine große Ausstrahlung aus, nicht erst ab den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts. Indien strahlte bereits auf die alten Griechen, Perser, Araber und Chinesen aus, später insbesondere auch auf Indonesien. Die Quellen bezeugen aber auch, dass die indische Musik Einflüsse von außen aufgenommen und assimiliert hat. Umriss der Geschichte Indiens Induskultur (2500-1800 v. Chr.) Eindringen der Arier (um 1500 v. Chr.) Feldzug Alexander d. Großen (325 v. Chr.) - griechisch beeinflusste Königreiche im Nordwesten Die Skythen dringen im Nordwesten ein - Einflüsse aus Zentralasien in Nordindien Islamisierung Nordindiens - Gründung des Sultanats von Delhi (1206), Ausbreitung des Islam bis nach Südindien, wo er sich aber nicht lange halten konnte Um 1400 Einfall der Mongolen in Nordindien (Mogulreich umfasste Nordindien und Bengalen; islamisch; im 17. Jh. auch Zentralindien und Teile des Südens) 1498 Entdeckung des Seeweges nach Indien durch Vasco da Gama Englische Oberherrschaft über ganz Indien Anfang des 19. Jh. Zur Geschichte der indischen Musik Die autochton-schivaitische Tradition und die arisch-wedische Tradition (die Arier, ein indogermanisches Volk, brachten die Veden - religiöse Hymnen, heilige Schriften des Hinduismus - mit und führten die Kastenordnung ein) bestimmen die heutige Musik Indiens, die sich in zwei Musiksysteme teilt: das des Südens (karnatische Musik) und das des Nordens (Hindustani-Musik). Es gibt zahlreiche musiktheoretische Werke ab dem 3. Jh. vor Chr. Bedeutende Texte im Sanskrit liegen bis ins 15. Jh. vor, danach in anderen Sprachen, besonders Persisch, das die Sprache des Mogulreiches von Delhi war, aber auch in Hindi und Bengali. In Südindien sind die alten Werke in Tamil und anderen Sprachen abgefasst. Inhalte von Werken in Sanskrit: die metaphysischen und physikalischen Eigenschaften des Klanges, Semantik, Symbolismus, Geschichte und Theorie der Musik, magische und therapeutische Anwendungen. Zunächst ist in den Werken von vier unterschiedlichen Musiksystemen die Rede, aus denen sich letztlich zwei, die Musik des Nordens und die Musik des Südens herausbildeten. Griechische Einflüsse gab es durch die griechischen Reiche in Nordwestindien (im heutigen Afghanistan), die vom 2. Jh. v. Chr. bis zum 6. Jh. n. Chr. bestanden. In der Zeit, als der Hof in Delhi persisch wurde, wurden iranische und türkische Künstler herbeigeholt. Zeitweilig war die Musikausübung, da sie mit den Geboten des Islam im Widerspruch stand, verboten. Insgesamt war der Einfluss der orientalischen Musik auf die indische jedoch nicht sehr groß. Die klassische indische Musik, sei es im Norden oder im Süden, ist heute, ähnlich wie in Europa, die Kultur einer Bildungselite und vielfach Statussymbol. Sie wird primär von Angehörigen der höheren Kasten konsumiert. Neben der klassischen Hindu-Musik des Nordens und Südens finden sich in Indien zahlreiche regionale Volksmusikstile und auch noch völlig andersgeartete Traditionen von Völkern wie den Toda in den südindischen Bergen, die mit den Malayen verwandt sind. Ebenfalls abweichend ist die Musik von Volksgruppen im Himalayagebiet, die zur tibetischen Musikregion gehört. Sehr präsent ist jedoch die urbane Popularmusik, die sich ab den 30er Jahren des 20. Jh. zuerst im Bereiche der Filmindustrie entwickelt hat und ganz Indien wie auch die Diaspora erfasste. Genres der Popularmusik: ghazal (Liebeslieder, auf alten persischen Texten basierend), quawwal (islamische Gesänge mit Harmonium). Europäische Einflüsse besonders von der britischen Diaspora. Raga (rag, ragam)

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Indische Musik

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INDISCHE MUSIK

Die indische Musikkultur kann aufgrund guter Quellenlage weit in die Geschichte zurück verfolgt werden.Von Indien ging stets eine große Ausstrahlung aus, nicht erst ab den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts.Indien strahlte bereits auf die alten Griechen, Perser, Araber und Chinesen aus, später insbesondereauch auf Indonesien. Die Quellen bezeugen aber auch, dass die indische Musik Einflüsse von außenaufgenommen und assimiliert hat.

Umriss der Geschichte Indiens

Induskultur (2500-1800 v. Chr.)Eindringen der Arier (um 1500 v. Chr.)Feldzug Alexander d. Großen (325 v. Chr.) - griechisch beeinflusste Königreiche im NordwestenDie Skythen dringen im Nordwesten ein - Einflüsse aus Zentralasien in NordindienIslamisierung Nordindiens - Gründung des Sultanats von Delhi (1206), Ausbreitung des Islam bisnach Südindien, wo er sich aber nicht lange halten konnteUm 1400 Einfall der Mongolen in Nordindien (Mogulreich umfasste Nordindien und Bengalen;islamisch; im 17. Jh. auch Zentralindien und Teile des Südens)1498 Entdeckung des Seeweges nach Indien durch Vasco da GamaEnglische Oberherrschaft über ganz Indien Anfang des 19. Jh.

Zur Geschichte der indischen Musik

Die autochton-schivaitische Tradition und die arisch-wedische Tradition (die Arier, einindogermanisches Volk, brachten die Veden - religiöse Hymnen, heilige Schriften des Hinduismus - mitund führten die Kastenordnung ein) bestimmen die heutige Musik Indiens, die sich in zwei Musiksystemeteilt: das des Südens (karnatische Musik) und das des Nordens (Hindustani-Musik). Es gibtzahlreiche musiktheoretische Werke ab dem 3. Jh. vor Chr. Bedeutende Texte im Sanskrit liegen bis ins15. Jh. vor, danach in anderen Sprachen, besonders Persisch, das die Sprache des Mogulreiches vonDelhi war, aber auch in Hindi und Bengali. In Südindien sind die alten Werke in Tamil und anderenSprachen abgefasst. Inhalte von Werken in Sanskrit: die metaphysischen und physikalischenEigenschaften des Klanges, Semantik, Symbolismus, Geschichte und Theorie der Musik, magische undtherapeutische Anwendungen. Zunächst ist in den Werken von vier unterschiedlichen Musiksystemen dieRede, aus denen sich letztlich zwei, die Musik des Nordens und die Musik des Südens herausbildeten.

Griechische Einflüsse gab es durch die griechischen Reiche in Nordwestindien (im heutigen Afghanistan),die vom 2. Jh. v. Chr. bis zum 6. Jh. n. Chr. bestanden. In der Zeit, als der Hof in Delhi persisch wurde,wurden iranische und türkische Künstler herbeigeholt. Zeitweilig war die Musikausübung, da sie mit denGeboten des Islam im Widerspruch stand, verboten. Insgesamt war der Einfluss der orientalischen Musikauf die indische jedoch nicht sehr groß.

Die klassische indische Musik, sei es im Norden oder im Süden, ist heute, ähnlich wie in Europa, dieKultur einer Bildungselite und vielfach Statussymbol. Sie wird primär von Angehörigen der höherenKasten konsumiert. Neben der klassischen Hindu-Musik des Nordens und Südens finden sich in Indienzahlreiche regionale Volksmusikstile und auch noch völlig andersgeartete Traditionen von Völkern wieden Toda in den südindischen Bergen, die mit den Malayen verwandt sind. Ebenfalls abweichend ist dieMusik von Volksgruppen im Himalayagebiet, die zur tibetischen Musikregion gehört.

Sehr präsent ist jedoch die urbane Popularmusik, die sich ab den 30er Jahren des 20. Jh. zuerst imBereiche der Filmindustrie entwickelt hat und ganz Indien wie auch die Diaspora erfasste. Genres derPopularmusik: ghazal (Liebeslieder, auf alten persischen Texten basierend), quawwal (islamischeGesänge mit Harmonium). Europäische Einflüsse besonders von der britischen Diaspora.

Raga (rag, ragam)

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Ähnlich der klassischen arabischen Musik ist die klassische indische Musik eine Kunst der solistischenImprovisation. Die Bildung von Orchestern geht auf westliche Einflüsse zurück.

Von zentraler Bedeutung ist der raga. Raga ist ein Überbegriff für die Modi der indischen Musik,bestehend in der Regel aus sieben Tonstufen (auch pentatonische und hexatonische Skalen kommenvor), die von einem festen und permanent gespielten Grundton oder Bordun ausgehen, bestimmtemelodische und ornamentale Elemente enthalten, die für jeden Raga typisch sind, sowie zweicharakteristische Haupttöne (vadi und samvadi). Die einzelnen raga unterscheiden sich also

in der Intervallabfolge der einzelnen Töne (also in der Anordnung des Tonmaterials innerhalb desTonraumes),in der Position der zwei Haupttöne,in den für jeden raga typischen melodischen und ornamentalen Floskeln (bestimmteMelodiephrasen und charakteristische Verzierungen einzelner Töne),in der Stimmung, die jeder raga ausdrückt,in der Assoziierung der einzelnen raga mit bestimmten Tages- und Nachtstunden.

Bordun

Charakteristisch für die klassische indische Musik ist ein dem musikalischen Geschehenzugrundeliegender Referenzton oder -klang, der die exakte Wahrnehmung der Intervalle und geringerIntervallunterschiede ermöglicht. Dieser Bordun ist die Basis, auf dem das gesamte musikalischeBauwerk ruht. Der Hörer folgt nicht nur der melodischen Linie, sondern hört gleichzeitig immer auchvertikal, d.h. das Verhältnis des jeweiligen Tones zum Grundton.

Wie in der arabischen Musik sprechen wir auch hier von Melodiezügen, die die Aufgabe haben, dasmusikalische Material zu entfalten, den Modus in seinen Einzeltönen, dem Verhältnis der Töneuntereinander und zum Grundton langsam zu entwickeln. Das Bewusstsein des Musikers ist auf dasGebäude als Ganzes gerichtet, auf seine vertikale Struktur. Der Begriff raga bezieht sich auf diesesGebäude. Ziel einer Aufführung ist es, den jeweiligen raga zu entfalten und seinen Stimmungsgehaltdarzustellen. Ähnlich wie beim maqam geht es weniger um melodische Verläufe, d.h. um denhorizontalen Ablauf, sondern um die Darstellung des raga, der aus jeweils bestimmten wichtigen undweniger wichtigen Tönen besteht und durch diese eine bestimmte Gefühlsstimmung ausdrückt. Durchwelche melodischen Verläufe dies vonstatten geht, ist dem Improvisationsvermögen des Musikersüberlassen. Einige charakteristische melodische Themen spielen jedoch bei der Ausgestaltung des ragaschon eine Rolle. Jedoch handelt es sich um sehr kurze Motive, die jeweils für einen bestimmten ragatypisch sind.

Tanpura

Die tanpura (auch tambura) ist eine Langhalslaute mit 4 Metallsaiten. Das Instrument hat keine Bündeund so werden nur die leeren Saiten angespielt. Die Funktion der tanpura ist das Spiel des Borduns.Man findet sie daher in ganz Indien als Begleitinstrument der klassischen indischen Musik. Die Stimmungder Saiten besteht in der Regel aus Grundton und Quint, mitunter ergänzt durch die Oktave; in seltenenFällen Grundton und Terz (je nach raga). Charakteristisch ist der obertonreiche Klang. Dieser entstehtdadurch, dass Seidenfäden zwischen die Stegfläche und die Saiten geschlungen werden. Die Saitenwerden weich angespielt, um das Anschlagsgeräusch möglichst unhörbar zu machen und einenkontinuierlichen Ton zu erzeugen. Häufig spielt ein Schüler des Meisters (Solisten) die tanpura.

Zentraltöne vadi und samvadi

In jedem raga gibt es außer dem Grundton noch zwei Zentraltöne, wobei (bei den heptatonischenSkalen) zumeist einer im unteren und der andere im oberen Tetrachord liegt. Einer der Zentraltöne kannauch mit dem Grundton zusammenfallen. Die Zentraltöne heißen vadi - sprechend, tönend und samvadi- mitsprechend, mittönend.

Töne (svara)

Eine Skala besteht aus sieben, seltener 5 Tönen (bei pentatonischen Skalen). Da jedoch eine Skala in

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deszendenten Verläufen (wenn abwärts gespielt) an zwei Stellen eine andere Intonation aufweisen kann(d.h. zwei Töne können in abwärtsverlaufenden Tongestalten leicht abweichend intoniert werden),sprechen wir im Falle der 7-stufigen Skalen von 7 Haupttönen und zwei Nebentönen, wobei dieNebentöne zwischen dem 3. und 4, und zwischen dem 7. und 8. Skalenton liegen.

Die Haupttöne heißen: shadja - sa (Vater der sechs anderen; auch Name des Borduns), rishaba - ri(Stier), gandhara - ga (parfümiert), madhyama - ma (mittlerer Ton), panchama - pa (fünfter Ton),dhaivata - dha (subtil) und nishada - ni (sitzend).

An den Notennamen orientiert sich die Notation, welche die jeweils erste Silbe verwendet (also sa-ri-ga-ma-pa-dha-ni). Diese heute gebräuchliche syllabische Notation war bereits im 6. Jh. vor Chr. vollentwickelt.

Ragagattungen (that)

Ähnlich dem maqam haben wir auch beim raga Gattungen, in der nordindischen (Hindustani-) Musikinsgesamt 10, in welchen die verschiedenen raga (an die 300, aber allgemein in Verwendung sind ca.80) zusammengefasst werden. Jede dieser Gattungen kann durch eine Skala in europäischer Notationwiedergegeben werden. Die einzelnen raga innerhalb einer Gattung unterscheiden sich u.a. durch dieIntonation der einzelnen Töne.

Die zehn Ragagattungen der Hindustani-Musik (Quelle: Danielou 1975: 49-50):

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In der südindischen (karnatischen) Musik sind z.T. andere raga in Verwendung als in der nordindischen,z.T. auch sind dieselben raga in Verwendung, aber mit leichten Unterschieden, etwa indem nicht nurzwei Zentraltöne existieren, sondern weitere Töne, die als "lebensspendende Töne" bezeichnet werden,hervorgehoben werden. Die raga der südindischen Musik werden in die 72 melakarta (Ragagattungen)eingeteilt.

Shruti

Außer dem Grundton und der Quinte können alle Töne der Skala in ihrer Höhe geringfügigeAbweichungen erfahren. So kennt die indische Musik z.Bsp. drei verschiedene kleine Terzen und zweigroße Terzen. Die großen Terzen sind die 386 Cent-Terz und die 408 Cent-Terz. Die kleinere, weichereder beiden Terzen (Schwingungsverhältnis 4:5) wird in bestimmten raga (etwa Nachtraga) verwendetund drückt Sanftheit und Friede aus, die größere (pythagoräische Terz; entsteht durch Quintenfolge)hingegen in kriegerischen raga, und hat einen agressiven bzw. brillanten Charakter. Beide haben alsoganz unterschiedlichen Ausdrucksgehalt. Die beiden Terzen liegen um ein shruti auseinander; das sindhier 22 Cent. In der Ausführung wird in der Regel auf Präzision geachtet, aber es kann auchvorkommen, dass bestimmte Töne der Skala bewusst unscharf intoniert werden.

Hörbeispiel: Die kleinere große Terz (386 Cent) und die größere große Terz (408 Cent) im Vergleich.

Insgesamt wird die Oktave in 22 Töne mit ungleichen Intervallen geteilt. Diese 22 Töne werden shrutigenannt. (Das zur Verfügung stehende Material besteht somit aus 22 Tönen). Alle shruti haben einenNamen.

Verzierungen

Den Verzierungen kommt in der indischen Musik eine wichtige Bedeutung zu. Man unterscheidet

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Dhrupad-Gesang mit tanpura-Begleitung

Verzierungen einzelner Töne von Verzierungen der Melodie. Es gibt eine große Zahl vonTonverzierungen, wie Triller, Vorschlag usw. In den alten Schriften sind die Tonverzierungen in 15Kategorien eingeteilt: geschüttelt, zittrig, verschwommen, geschleift, usw., ferner 15 Kategorien mitMischformen wie verschmolzen-zittrig usw. Bei den Verzierungen der Melodie handelt es sich um kurzeTongruppen, die gehäuft vorkommen und typisch für einen bestimmten raga sind. An der gekonntenAusführung von Verzierungen erkennt man den guten Musiker.

Tages- und Jahreszeiten

Jeder raga hat seine bestimmte Tageszeit, zu der er zu spielen ist. Für einen traditionsbewusstenMusiker ist ein Abweichen von solchen Vorgaben vergleichbar etwa mit dem Spielen einesTrauermarsches bei einer Hochzeit. Bestimmte Modi sind bei Sonnenaufgang, am Morgen, um dieMittagsstunde, am Nachmittag, bei Sonnenuntergang, in der ersten Nachthälfte und in der zweitenNachthälfte zu spielen. Bestimmte Modi sind im Frühjahr, andere in der Regenzeit zu spielen. Modi, diebei Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang zu spielen sind, verwenden häufig die kleine Sekunde unddie kleine Sexte (vom Grundton aus gesehen). Die kleine Terz und die kleine Septime sind zu Mittagund Mitternacht hervorgehobene Töne, usw. Es gibt ferner Modi, die mit Naturphänomenen wie Regenoder Feuer in Verbindung gebracht werden. So etwa wird noch heute vielfach angenommen, dass einbestimmter Regenzeitmodus schwere Regenfälle verursachen kann, wenn er außerhalb der Regenzeitgespielt wird.

Gedichte und Gemälde

Bestimmte Gedichte und Gemälde können dieselbe Stimmungerzeugen wie ein bestimmter raga. Es gibt daher bildlicheDarstellungen der raga und Gedichte zu einzelnen raga. Schon inden alten Sanskritschriften über Musik findet man zahlreicheGedichte. Zum Beispiel zum raga khammaja: "Kammaja mit denschönen Haaren ist ein bezauberndes Kind in der Blüte der Jugend.In ein gelbes Gewand gehüllt, sucht sie in Begleitung ihrerDienerinnen überall im Wald nach ihrem Freund; denkt sie an ihn,vergießt sie Tränen der Rührung." (Danielou S. 67)

Ferner gibt es Geschlechtszuordnungen. Pentatonische raga werdengenerell dem männlichen Geschlecht zugeordnet (die Zahl 5 ist dieheilige Zahl des Gottes Shiva, des Gottes der Manneskraft und der Weisheit). 7-stufige raga werden inden meisten Fällen hingegen dem weiblichen Geschlecht zugeordnet. Sie haben in sich mehrAbstufungsmöglichkeiten, mehr Unbestimmtheiten, mehr Kontraste. Die Zahl 7 ist die Zahl des GottesVishnu, des Gottes der menschlichen Liebe.

Dhrupad

Der dhrupad ist die strengste und schwierigste Gesangsgattung derindischen Vokalmusik. Die heutige Form erhielt der dhrupad schonim 15. Jh. Berühmte Musiker haben diesen Gesangsstil seither zurVollendung geführt. Die Stimme wird wie ein Instrumentbehandelt, die Worte spielen in der Kunstmusik Nordindiens nureine sekundäre Rolle.

Der dhrupad ist zweiteilig. Der erste Teil ist ein alap ohnefestgelegten Rhythmus und ohne Worte. Den zweiten Teil bildetdas Gedicht, das in seiner rhythmischen, von der Trommelskandierten Form und in einem zunächst langsamen, dann immerschneller werdenden Zeitmaß gesungen wird.

Im dhrupad wird streng auf die Form des Modus geachtet. Von der Stimme wird verlangt, dass sie einHöchstmaß an Präzision aufweist was die Tonhöhe betrifft. Die vokale Technik umfasst das allmählicheAngleiten der Stimme auf die genaue Tonhöhe, sowie fein nuancierte Umspielungsfiguren und Vibrato.Im alap wird der Modus festgelegt, und es soll die Stimmung des Modus zum Ausdruck gebrachtwerden. Die Entfaltung des raga vollzieht sich in einem Raum von über zwei Oktaven. Die Stimme mussdiese Distanz ohne Registerwechsel bewältigen.

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Der dhrupad ist eine sehr exklusive, elitäre Kunstform, die sich an den Herrscherhöfen entwickelt hatund in den Palästen vor einem kleinen Zuhörerkreis zum Vortrag kam.

Hörbeispiel: Dhrupad-Gesang aus Nordindien. Das Beispiel ist im raga khammaja. Der alap-Teil istvollständig zu hören; zu Beginn des gap-Teils wird ausgeblendet. Quelle: Schallplatte North India: VocalMusic Dhrupad and Khyal, A/1. [SV 426]

Makrostruktur

Alap - Exposition des Modus, freirhythmisch.Gat - die eigentliche Komposition, die mit dem Hinzutreten eines tala beginnt.

Tala

Tala ist neben raga das zweite beherrschende Konzept der indischen Musik. Der Rhythmus setzt sich ausverschiedensten Figuren zusammen, die z.T. sehr komplex sind. Wie die Modi (raga) haben auch sieeinen bestimmten Ausdruckscharakter. Bestimmte Rhythmen und bestimmte Modalformen stehengewöhnlich zueinander in Beziehung. Eine Rhythmusformel (tala) setzt sich aus mehreren Abschnittenzusammen, und diese Abschnitte wiederum umfassen zwei bis sechs Zählzeiten - matra (z.Bsp. alsAchtel aufgezeichnet). Nicht auf jeder Zählzeit muss eine Schlag (auf der Trommel) oder ein Anzupfeneiner Saite erfolgen.

Mit Handzeichen wird der Beginn der Abschnitte angegeben: Senken der Hand und Heben der Hand mitnach oben gerichteter Handfläche (im Unterricht wichtig). Eine Rhythmusformel mit all ihren Abschnittenkann 6, 7, 8, 10, 11, 12, 16, 17, 19 oder sogar 37 Zeiteinheiten (matra) umfassen. Diese Formelnnennt man tala. Sie wiederholen sich durch das Stück hindurch, wobei sie allerdings variiert werden. Andie 360 tala sind heute bekannt. Folgende Abbildung (aus MGG 9, Sp. 211) zeigt drei davon (+ bedeutetBeginn der Formel, O bedeutet das Heben der Hand und die römischen Zahlen bedeuten das Senken derHand; die darunterliegenden Silben sind die Merksilben für die Trommel):

Mit dem Eintreten in den gat (zweiter Teil einer raga-Aufführung) tritt der tala in Erscheinung. DieMelodie, sei es durch die menschliche Stimme oder durch ein Instrument vorgetragen, wird durch dentala strukturiert.

Auch die Schlagfolgen der hinzutretenden Trommel orientieren sich am tala. Wichtig ist der Beginn der

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Ravi Shankar mit dem sitar

Formel, die Eins, denn dort treffen sich der Sänger bzw. Instrumentalist und die Trommel. Wasdazwischen geschieht, ist der Improvisationsfähigkeit überlassen. Die Trommel spielt zuerst dieStandardformel eines tala (theka genannt) und variiert diese in der Folge, wobei sich der Trommler jenach Improvisationsfähigkeit weit von der Standardformel weg bewegen kann.

Tabla

Das wichtigste Rhythmusinstrument ist die tabla; durch sie werdendie einzelnen tala interpretiert und ausgeschmückt. Die tabla dientsowohl der Begleitung diverser Melodieinstrumente und desGesanges als sie auch als Soloinstrument auftritt.

Die tabla setzt sich aus zwei Trommeln (Kesseltrommeln, Pauken)zusammen: Zuerst die eigentliche tabla, aus Holz gefertigt,konusförmig. Zwischen den Spannriemen und dem Trommelkörperstecken acht Holzpflöcke, die der Stimmung der Trommel dienen. Dieses Instrument wird von derrechten Hand des Spielers gespielt. Die linke Hand spielt die bayam, etwas größer als die tabla und ausgetriebenem Messing gefertigt. In der Fellmitte beider Trommeln findet sich eine Paste ausverschiedensten Bestandteilen: Gummi, Mehl, Ruß, Eisenfeilspäne u.a. Je dicker die Paste, umso tieferist die Tonhöhe des Instruments.

Die tabla ist auf sa gestimmt, die bayam eine Quinte (ma) oder Oktav tiefer. Bei der bayam kann dieTonhöhe im Rahmen einer Oktav durch Drücken mit dem Handgelenk auf die Fellmitte undgleichzeitigem Anschlagen des Fells mit den Fingern verändert werden.

Tabla und bayam werden mit den Fingern und Handflächen gespielt. Jede Anschlagsart hat einen Namenin der Form einer onomatopoetischen (lautmalerischen) Silbe. Damit kann man sich auch ganz komplexeRhythmen bzw. Schlagfolgen merken.

Hörbeispiel: Verschiedene tabla-Anschlagsarten und die entsprechenden Silben, demonstriert vonGerhard Reiter. Quelle: Aufnahme aus dem Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie derWissenschaften.

Sitar

Der sitar ist das vielleicht populärste Musikinstrument Indiens undtypisch für die Hindustani-Musik. Er hat Ähnlichkeiten mit derschon besprochenen tanpura. Es handelt sich um eineLanghalslaute mit sieben (seltener sechs) Spielsaiten, davon 2Bordunsaiten (außen angebracht), und bis zu 20 Resonanzsaiten,die meisten aus Stahl, einige aus Kupfer. Die beweglichen Bündeaus Bronze sind mit Nylonschnüren am breiten Hals festgebunden.Der Korpus besteht aus einer Kalebassenschale mit Holzdecke. DerHals ist aus einem ausgekerbtem Holzstück gefertigt und trägt eineDeckenplatte aus Holz. Das Instrument hat zwei Stege aus Hornoder Knochen, wobei der untere (der Hauptsteg) den Spielsaitendient, der vordere (der Nebensteg) den Resonanzsaiten. Die Stegesind leicht gewölbt, sodass die Saiten beim Schwingen einensurrenden Ton erzeugen. Die Wirbel sind vorder- und seitenständig(daher als "Mischwirbellaute" bezeichnet). Die Resonanz- oder Aliquotsaiten laufen unter dem Hauptstegdurch, ruhen auf dem Nebensteg, unterqueren die Bünde und gehen durch kleine Löcher in das Inneredes hohlen Halses, wo sie an seitenständigen Wirbeln befestigt sind. Sie haben die Funktion, einenreicheren Klang zu erzeugen, indem sie mitschwingen.

Stimmung: f-c-G-C-(g) (Spielsaiten) c'-c'' (Bordunsaiten), also sa, ma und pa kommen vor. Gezupftwerden die Spielsaiten mit einem Plektrum aus Draht, am Zeigefinger der rechten Hand angesteckt,oder mit Zeigefinger und Daumen gehalten. Es gibt Auf- und Abschläge, wodurch eine großeGeschwindigkeit des Spiels erreicht wird. Die Resonanzsaiten sind in der Skala des jeweiligen ragagestimmt; die Töne liegen in der zwei- und dreigestrichenen Oktav.

Indien und der Westen

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Indische Musiker führten schon Anfang unseres Jahrhunderts Tourneen nach Europa durch. Am meistenzur internationalen Bekanntheit der indischen Musik hat aber zweifellos Ravi Shankar beigetragen,insbesondere durch sein Zusammenwirken mit Musikern im Westen und sodann durch seine Auftritte beiden größten Festivals des 20.Jahrhunderts, dem Monterey Pop Festival 1967 in Kalifornien und vor allemdem Woodstock-Festival (1969), wo es angeblich 500.000 Zuhörer gegeben hat, "the largest audience inmusic history". Der Auftritt von Ravi Shankar fand am Eröffnungstag, dem 15. August 1969 gegenMitternacht statt. Das Interesse an indischer Musik stieg stark an und es wurde sogar der Begriff "Raga-Rock" geprägt, als Bezeichnung für indisch beeinflussten Rock (z.Bsp. The Byrds und Don Ellis).

Hörbeispiel: Life-Aufnahme vom Woodstock-Festival: "Raga Puriya-Dhanashri." Ravi Shankar - sitar, AllaRakha - tabla (Ausschnitt)

Der indische sitar wurde bereits von den Beatles eingesetzt, und zwar im Song "Norwegian Wood"(1965). Ravi Shankar berichtet: "Im Juni 1966 traf ich im Haus eines Freundes in London GeorgeHarrison und Paul McCartney von den Beatles... George sprach mit mir über die Sitar und sagte, er seivon dem Instrument, seinem Klang und meinem Spiel darauf sehr beeindruckt, seit er mich zum erstenMal hörte... George erklärte mir, er habe keine wirkliche Übung auf der Sitar, sondern auf eigene Faustmit ihr experimentiert, wobei er seine Gitarrenkenntnisse als Grundlage benutzte. Er gab sehr aufrichtigseinem Wunsch Ausdruck, von mir das Sitarspiel zu lernen. Behutsam erklärte ich ihm, man müssejahrelang die Grundlagen studieren und üben, ehe man auch nur eine einzige Note richtig spielenkönne. Er verstand das völlig und sagte, er sei darauf vorbereitet, diese Jahre der Disziplin zu bestehen.Ich lud ihn ein, mit seiner Frau Pattie nach Indien zu kommen, einige Zeit mit mir zu verbringen und zustudieren." George Harrison verbrachte danach sechs Wochen bei Ravi Shankar.

Hörbeispiel: "Norwegian Wood" (The Beatles). Text

Auch im Bereiche der Rezeption fremden Musikmaterials in der europäischen Kunstmusik des 20. Jh.spielt Indien (neben Indonesien und Afrika) eine herausragende Rolle. Dabei wird besonders auf diekontemplativ-religiöse Ebene von indischer Musik Bezug genommen. Beispiele dafür sind "La Nativité duSeigneur. Neuf Méditations pour l'Orgue" (1936) von Olivier Messiaen, sowie "Mantra" von KarlheinzStockhausen. 1976 kam das Buch "Durch Musik zum Selbst" von Peter Michael Hamel heraus. Inspiriertdavon wurde in Sitzungen von Selbsterfahrungsgruppen und bei Meditationen Musik eingesetzt. Nichtselten handelte es sich dabei um indische Klänge, die als Hintergrundsmusik abgespielt wurden.

Ravi Shankar brachte 1967 die Platte "West meets East" heraus. Darin improvisiert der Meister mitYehudi Menuhin über indische Ragas. Aber nicht nur im Westen war Shankar jedem Musikkenner einBegriff. 1988 ging das Kreml-Projekt über die Bühne. Ravi Shankar gab unter Teilnahme von 140Musikern und Sängern ein Konzert im Kreml. Es war der Abschluss und Höhepunkt eines indischenFestivals in der Sowjetunion, das ein Jahr gedauert hatte. Ravi Shankar hatte die Aufgabe, Musik zukomponieren, möglichst unter Beibehaltung eines indischen Idioms, wobei zur Aufführung das russischeFolk-Ensemble, das Kammerorchester der Moskauer Philharmonie, der Chor des Kulturministeriums derUdSSR und zahlreiche indische Musiker, darunter Ravi Shankar selbst erschienen. Ravi Shankarkomponierte sieben Stücke, mit dem Titel (in Übersetzung): "Musikalische Noten, die sich treffen".Damit wollte er ausdrücken, dass Angehörige unterschiedlichster musikalischer Kulturenzusammenkommen und dabei eine ganz neue Musik schaffen: Weltmusik.

Hörbeispiel: Ravi Shankar: Inside the Kremlin, "Shanti-Mantra".

Literatur

Danielou, Alain: Einführung in die indische Musik. Wilhelmshaven 1975. [A 8596/36]Hamel, Peter Michael: Durch Musik zum Selbst. Wie man Musik neu erleben und erfahren kann. Bernetc. 1976. [A 11965]

Platten und CDs

North India: Vocal Music Dhrupad and Khyal. Unesco Collection Musical Sources. [SV 426]Ravi Shankar at the Woodstock Festival. BGO Records. [SV 2194 CD]Ravi Shankar: Inside the Kremlin. Private Music 1989. [SV 2203CD]The Beatles / 1962-1966. Apple Records 1973. [SV 266-267]

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