industrie 4.0: revolution oder evolution

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Competence Book - Industrie 4.0 GRUNDLAGEN - INDUSTRIE 4.0: REVOLUTION ODER EVOLUTION? 25 Industrie 4.0: Revolution oder Evolution? H ierarchische Informationswege prägten bislang häufig die Fertigungsprozes- se produzierender Unternehmen. Eine bahnbrechende Trendwende zeichnet sich unter dem Stichwort Industrie 4.0 ab: Stehen wir damit vor der nächsten industrielle Revolution? Antworten gibt Markus Honold, geschäftsführender Gesell- schafter bei SALT Solutions, dessen Unternehmen sich intensiv an der Entwicklung von Anwendungsszenarien für dieses zukunftsweisende Themenfeld beteiligt. Industrie 4.0 Hype oder Evolution? Viele sprechen von einer vierten in- dustriellen Revolution. Das geht mir ein Stück zu weit, denn die Fertigungs- prozesse von heute sind bereits in ho- hem Maße miteinander vernetzt. Meines Erachtens handelt es sich viel- mehr um eine Evolution, die auf den bestehenden Fertigungsprozessen auf- setzt. Neu dabei ist, dass IT-gestützte Lösungen den Prozess nicht mehr aus- schließlich zentral steuern, sondern zusätzlich die dezentrale Intelligenz nutzen, beispielsweise auf Werkstück- trägern und Maschinenkomponenten. Was genau ist dann der Fortschritt ge- genüber den aktuellen Fertigungspro- zessen? Informationen werden nicht mehr von oben nach unten – also von einem über- geordneten System an die Fertigungs-, Montage- und Transporteinheiten – ge- sendet. Bestimmen diese Einheiten ei- genständig ihren Bedarf und stellen diese Informationen automatisch für vor- und nachgelagerte Prozesse bereit, entspricht das flachen Hierarchien, wie man sie bis- weilen nur aus der zwischenmenschlichen Arbeitsorganisation kannte. Dieses Prin- zip wird auf die innerhalb eines Produk- tionsprozesses eingesetzten Maschinen übertragen. Es fällt häufig der Begriff „Intelligen- te Lösungen“ im Zusammenhang mit Industrie 4.0. Wie können Maschinen intelligent werden? Der Begriff „Intelligente Lösungen“ ist weit gefasst: Gemeint sind IT-gestütz- te Lösungen, die den Fertigungsprozess nicht wie bislang üblich ausschließlich zentral steuern, sondern die Speicherme- dien beispielsweise von Werkstückträgern und Maschinen, nutzen. Somit können zu bearbeitende Materialien oder Halb- fertigprodukte etwa über einzusetzende Fertigungseinrichtungen, Werkzeuge, NC-Programme oder Prüfmethoden au- tonom entscheiden. Was zunächst einmal nach Science-Fic- tion klingt, überträgt Prinzipien der Schwarmintelligenz auf Materialien und Fertigungseinheiten, die sich automatisch organisieren und konfigurieren - eine in- telligente Produktion, in der einzelne Fertigungs- und Montageeinheiten ihren Bedarf eigenständig übermitteln und an- fordern. Die Intelligenz zukünftiger Ferti- gungsprozesse liegt also in hybriden Steu- erungsarchitekturen. Was sind Ihrer Meinung nach die ent- scheidenden Merkmale intelligenter Fertigungsprozesse? In der Praxis beobachten wir seit lan- gem eine Aufgabenverlagerung zu den IT-Systemen an der Front des Produkti- onsflusses. Neu ist dabei die Möglichkeit, mehr und komplexere Informationen zu verarbeiten, zu analysieren und als Ent- scheidungsgrundlage für aktuelle Ent- scheidungen und zukünftige Prozesse heranzuziehen. Das bildet die Basis für eine Dezentrali- sierung der Kommunikation zwischen allen am Fertigungsprozess Beteiligten. Menschen, Maschinen und IT-Systeme tauschen untereinander Informationen aus und organisieren ihre Arbeitsschritte zunehmend eigenständiger. Das bedeutet allerdings nicht einen Be- deutungsverlust zentraler Systeme. Diese sind weiterhin für eine ordnende Funkti- on zwingend erforderlich. Im Ergebnis steigert dieser Wandel zur Koexistenz dezentraler und zentraler Sys- teme die Effizienz im operativen Geschäft und erhöht gleichzeitig den Spielraum für taktische und strategische Entscheidun- gen. Welche Bedeutung messen Sie der For- schung in diesem Bereich bei? Das ist immens wichtig, ein Standortfak- tor! Am Standort Deutschland lässt sich das hervorragend verdeutlichen. Waren im Wert von etwa 1,1 Billionen Euro expor- tierte Deutschland im vergangenen Jahr. AUTOR: Markus Honold (SALT Solutions GmbH)

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Hierarchische Informationswege prägten bislang häufig die Fertigungsprozesse produzierender Unternehmen. Eine bahnbrechende Trendwende zeichnet sich unter dem Stichwort Industrie 4.0 ab: Stehen wir damit vor der nächsten industrielle Revolution? Antworten gibt Markus Honold, geschäftsführender Gesellschafter bei SALT Solutions, dessen Unternehmen sich intensiv an der Entwicklung von Anwendungsszenarien für dieses zukunftsweisende Themenfeld beteiligt. Dies ist ein Auszug aus dem Competence Book "Industrie 4.0 kompakt": http://www.competence-site.de/Industrie-4-0-kompakt

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Page 1: Industrie 4.0: Revolution oder Evolution

Competence Book - Industrie 4.0

GRUNDLAGEN - INDUSTRIE 4.0: REVOLUTION ODER EVOLUTION?

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Industrie 4.0: Revolution oder Evolution?

Hierarchische Informationswege prägten bislang häufig die Fertigungsprozes-se produzierender Unternehmen. Eine bahnbrechende Trendwende zeichnet sich unter dem Stichwort Industrie 4.0 ab: Stehen wir damit vor der nächsten

industrielle Revolution? Antworten gibt Markus Honold, geschäftsführender Gesell-schafter bei SALT Solutions, dessen Unternehmen sich intensiv an der Entwicklung von Anwendungsszenarien für dieses zukunftsweisende Themenfeld beteiligt.

Industrie 4.0 Hype oder Evolution?

Viele sprechen von einer vierten in-dustriellen Revolution. Das geht mir ein Stück zu weit, denn die Fertigungs-prozesse von heute sind bereits in ho-hem Maße miteinander vernetzt.

Meines Erachtens handelt es sich viel-mehr um eine Evolution, die auf den bestehenden Fertigungsprozessen auf-setzt. Neu dabei ist, dass IT-gestützte Lösungen den Prozess nicht mehr aus-schließlich zentral steuern, sondern zusätzlich die dezentrale Intelligenz nutzen, beispielsweise auf Werkstück-trägern und Maschinenkomponenten.

Was genau ist dann der Fortschritt ge-genüber den aktuellen Fertigungspro-zessen?

Informationen werden nicht mehr von oben nach unten – also von einem über-geordneten System an die Fertigungs-, Montage- und Transporteinheiten – ge-sendet. Bestimmen diese Einheiten ei-genständig ihren Bedarf und stellen diese Informationen automatisch für vor- und nachgelagerte Prozesse bereit, entspricht das flachen Hierarchien, wie man sie bis-weilen nur aus der zwischenmenschlichen Arbeitsorganisation kannte. Dieses Prin-zip wird auf die innerhalb eines Produk-tionsprozesses eingesetzten Maschinen übertragen.

Es fällt häufig der Begriff „Intelligen-te Lösungen“ im Zusammenhang mit Industrie 4.0. Wie können Maschinen intelligent werden?

Der Begriff „Intelligente Lösungen“ ist weit gefasst: Gemeint sind IT-gestütz-te Lösungen, die den Fertigungsprozess nicht wie bislang üblich ausschließlich zentral steuern, sondern die Speicherme-dien beispielsweise von Werkstückträgern und Maschinen, nutzen. Somit können zu bearbeitende Materialien oder Halb-fertigprodukte etwa über einzusetzende Fertigungseinrichtungen, Werkzeuge, NC-Programme oder Prüfmethoden au-tonom entscheiden.

Was zunächst einmal nach Science-Fic-tion klingt, überträgt Prinzipien der Schwarmintelligenz auf Materialien und Fertigungseinheiten, die sich automatisch organisieren und konfigurieren - eine in-telligente Produktion, in der einzelne Fertigungs- und Montageeinheiten ihren Bedarf eigenständig übermitteln und an-fordern. Die Intelligenz zukünftiger Ferti-gungsprozesse liegt also in hybriden Steu-erungsarchitekturen.

Was sind Ihrer Meinung nach die ent-scheidenden Merkmale intelligenter Fertigungsprozesse?

In der Praxis beobachten wir seit lan-gem eine Aufgabenverlagerung zu den

IT-Systemen an der Front des Produkti-onsflusses. Neu ist dabei die Möglichkeit, mehr und komplexere Informationen zu verarbeiten, zu analysieren und als Ent-scheidungsgrundlage für aktuelle Ent-scheidungen und zukünftige Prozesse heranzuziehen.

Das bildet die Basis für eine Dezentrali-sierung der Kommunikation zwischen allen am Fertigungsprozess Beteiligten. Menschen, Maschinen und IT-Systeme tauschen untereinander Informationen aus und organisieren ihre Arbeitsschritte zunehmend eigenständiger.

Das bedeutet allerdings nicht einen Be-deutungsverlust zentraler Systeme. Diese sind weiterhin für eine ordnende Funkti-on zwingend erforderlich.

Im Ergebnis steigert dieser Wandel zur Koexistenz dezentraler und zentraler Sys-teme die Effizienz im operativen Geschäft und erhöht gleichzeitig den Spielraum für taktische und strategische Entscheidun-gen.

Welche Bedeutung messen Sie der For-schung in diesem Bereich bei?

Das ist immens wichtig, ein Standortfak-tor! Am Standort Deutschland lässt sich das hervorragend verdeutlichen. Waren im Wert von etwa 1,1 Billionen Euro expor-tierte Deutschland im vergangenen Jahr.

AUTOR: Markus Honold (SALT Solutions GmbH)

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Zum einen werden die Technologien in deutschen Fertigungsstätten eingesetzt und halten das Qualitätsmerkmal „Made in Germany“ aufrecht. Zum anderen wer-den die entwickelten Technologien und Maschinen exportiert und tragen maß-geblich zum Florieren unserer Wirtschaft bei.

Diese Exportbilanz bildet die Grundla-ge für den Status der Bundesrepublik als weltweit viertgrößte Volkswirtschaft hin-ter deutlich bevölkerungsreicheren Natio-nen wie den USA, China und Japan. Da-bei profitiert die deutsche Wirtschaft vor allem von ihrer Technologieführerschaft – und zwar in zweierlei Hinsicht:

Zu Markus Honold:

Jahrgang 1967, ist seit 2002 geschäftsführender Gesellschafter und verantwort-lich für den Unternehmensbereich Produktion bei der SALT Solutions GmbH. Der Diplom-Ingenieur Nachrichtentechnik mit Schwerpunkt Informatik ist mit seiner langjährigen Erfahrung spezialisiert auf die Implementierung von fertigungsnahen IT-Sys-temen in der diskreten Fertigung und industriellen Qualitätssicherung. Den Schwer-punkt bilden dabei maßgeschneiderte Lösungen für die Automobil- und Zulieferindustrie.

Um den Status als viertgrößte Volkswirt-schaft der Welt in den kommenden Jahren zu festigen, bedarf es Anstrengungen in der Forschung und Entwicklung neuar-tiger Produktionssysteme – mit intelli-genten Systemen, die Fertigungsschritte eigenständig ermitteln und benötigtes Material an die entsprechenden Einrich-tungen transportieren.

Ihr Unternehmen engagiert sich im Rahmen des Forschungsprojektes CyProS. Beschreiben Sie die Zielset-zung dieses Projekts.

Die Produktion der Zukunft wird intel-ligenter. Auf dem Weg dorthin müssen die richtigen Antworten darauf gefunden werden, wie autonom Maschinen sich selbst organisieren können und wo die Grenzen einer dezentralen Produktions-steuerung liegen. Dies abzuwägen und auch in der Praxis zu evaluieren sichert den Reifegrad hybrider Steuerungsarchi-tekturen für produzierende Unterneh-men ab. Daher besteht die Forschung und Entwicklung in diesem Bereich vor der Herkulesaufgabe, den Spagat zwischen zentralen und dezentralen Elementen im Produktionsprozess zu beschreiben.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat die Notwendigkeit erkannt und fördert die Entwicklung dieser intel-ligenten Produktionssysteme im Rahmen des Forschungsprojektes CyProS unter dem Dach des Projektträgers Karlsruhe (PTKA). Ziel ist es, cyberphysische Syste-me in die industrielle Produktion zu in-tegrieren und der Technologie damit zur Marktreife zu verhelfen.

Spannend wird dabei zu beobachten sein, wie Produktionsprozesse zukünftig nach-vollzogen werden können. Fehlerhaft produzierte Teile werden heute durch den stringenten Informationsfluss schnell identifiziert. Auf die Frage, wie selbstor-ganisierende Produktionsmittel dieser Anforderung gerecht werden, wird das Forschungsprojekt eine Antwort finden.

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„Was zunächst einmal nach Science-Fiction klingt, überträgt Prinzipien der Schwarmin-telligenz auf Materialien und Fertigungsein-heiten, die sich automatisch organisieren und konfigurieren.“ - Markus Honold

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Wie gehen Sie im Rahmen dieses Pro-jekts vor?

In einem dreistufigen Verfahren soll das Forschungsprojekt Basisarbeit für cy-ber-physische Systeme und Produktions-systeme innerhalb der industriellen Praxis leisten. In einer ersten Stufe ist es das Ziel, eine Referenzarchitektur zu entwickeln sowie ein repräsentatives Spektrum cy-ber-physischer Systemmodule für Pro-duktions- und Logistiksysteme. Darauf aufbauend geht es in der zweiten Stufe um die Bereitstellung universeller Vorgehens-weisen, Hilfsmittel und Plattformen zur Einführung von cyber-physischen Produk-tionssystemen. Abschließend werden in Stufe drei die technische und methodische Basis für den wirtschaftlichen Betrieb cy-ber-physischer Produktionssysteme und deren Umsetzung in realen Produktions-umgebungen einer Schaufensterfabrik ge-schaffen. Die Megatrends, insbesondere cyber-physische Systeme, stellen demnach einen vielversprechenden Ansatz dar, kun-denindividuellen Produkten und kürzeren Lieferzeiten in Kombination mit einem verschärften Wettbewerb auf dem Welt-markt zu begegnen. Mit cyber-physischen Produktionssystemen sollen nicht nur die Komplexität des sich verschärfenden Wett-bewerbs beherrscht, sondern auch eine nachhaltige und signifikante Steigerung

der Produktivität und Flexibilität der pro-duzierenden Unternehmen erreicht wer-den.

Und der Beitrag von SALT Solutions?

Auch SALT Solutions ist an Bord dieser Forschungsinitiative. Im Rahmen des Teilprojekts „Technische Realisierung und Integration“ engagieren wir uns als Spezi-alist für Systemintegration und IT-Lösun-gen in der Produktion. Dabei besteht die Herausforderung darin, die CPS-Produk-tionsinsel in die Produktionsplanung und -steuerung zu integrieren. Konkret geht es um die Abstimmung der Fertigungs- und Montageeinheiten mit den eingesetzten IT-Lösungen zur Steuerung und Planung des Produktionsprozesses. So soll ein rei-bungsloser Ablauf und ein nahtloses In-einandergreifen aller Produktionsschritte gewährleistet werden.

Was bedeutet das für die Praxis?

Die Vorteile liegen auf der Hand. Produ-zierende Unternehmen können zukünftig ihre Produktionskapazitäten wesentlich effizienter planen. Denn die Maschinen senden sich jederzeit Informationen zu, wann die einzelnen Materialien für die Produktionsschritte an den jeweiligen

Maschinen eintreffen. Ruhezeiten kön-nen somit ebenso besser vorausgeplant werden wie Phasen der Vollauslastung. Für Zuliefererbetriebe bedeutet das eine größere Flexibilität. Der Bedarf ihrer Partner, beispielsweise in der Automobil-industrie, kann frühzeitig auf Basis realer Daten ermittelt werden. So wird die eige-ne Produktion zuverlässiger justiert als bei Verwendung überholter Planwerte. Die gewonnen Freiräume bieten zusätz-liche Produktionskapazitäten für weitere Kunden.

Geben Sie einen Ausblick: Wann wird die Industrie 4.0 Einzug halten in die Fertigungsprozesse der deutschen In-dustrie?

Industrie 4.0 hat längst Einzug gehalten. Es ist eine fortschreitende Entwicklung, die nicht mit einem Schlag implementiert wird und die Welt der Produktion auf den Kopf stellt. Mit zahlreichen Kunden integrieren wir schon heute sukzessive intelligente Lösungen in die Fertigungs-prozesse. Es besteht in diesem Bereich seit Jahren eine konstante Nachfrage nach einer wachsenden Automatisierung – un-ter dem Begriff Industrie 4.0 lassen sich viele Lösungen einordnen, die genau die-se Nachfrage bedienen.