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Informed Consent und Arzt-Patient-Beziehung: Wie soll die Interaktion zwischen Ärzten und
Patienten erfolgen?
Georg Marckmann Ludwig-Maximilians-Universität München
Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin
Fortbildungsreihe / Pflichtwahlseminar „Klinische Ethik“ Klinikum Großhadern, 24.05.11
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Gliederung n Wiederholung: Prinzipienorientierte Falldiskussion n Ethische Begründung der informierten Einwilligung
(„informed consent“) n Elemente der informierten Einwilligung n Einwände & Ethische Grenzen n Modelle der Arzt-Patient-Beziehung n Partizipative Entscheidungsfindung n Stellvertretende Entscheidung für nicht
einwilligungsfähige Patienten (Patientenverfügung) n Fragen & Diskussion
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Medizinethische Prinzipien n Prinzip des Wohltuns/Nutzens
n Wohlergehen des Patienten fördern: Lebenszeit & -qualität
n Prinzip des Nichtschadens n Dem Patienten keinen Schaden zufügen
n Respekt der Autonomie n Selbstbestimmung des Patienten respektieren und fördern n „informed consent“ (Aufklärung + Einwilligung)
n Gerechtigkeit n Verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen
n Ethische Probleme n Interpretation der Prinzipien: z.B. Wille bei eingeschränkter
Entscheidungsfähigkeit; Wohltun bei PVS („Wachkoma“) n Gewichtung bei Prinzipien-Konflikten: z.B. Wohl ó Wille
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Prinzipienorientierte Falldiskussion
1. Analyse: Medizinische Aufarbeitung des Falles n Information über Patient (Diagnose etc.) n Behandlungsstrategien, Chancen und Risiken
2. Bewertung 1: Ethische Verpflichtungen gegenüber dem Patienten
n Wohl des Patienten/Nichtschaden (Fürsorge) n Autonomie des Patienten
3. Bewertung 2: Ethische Verpflichtungen gegenüber Dritten (Gerechtigkeit)
n Familienmitglieder, andere Patienten, Gesellschaft
4. Synthese: Konflikt? → Begründete Abwägung
5. Kritische Reflexion des Falls n Stärkster Einwand? n Vermeidung möglich?
Inter-preta-tion
Gewich-tung
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Informierte Einwilligung: Begründung
Autonomie-Prinzip
Selbstbestimmung über medizinische Maßnahmen
Information + Einwilligung
= informierte Einwilligung Arzt Patient
Deontologische Begründung
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Informierte Einwilligung: Begründung
n Wohl des Patienten fördern: à Wertungen des Patienten berücksichtigen n Vertrauen ↑, Angst ↓ n Fördert Arzt-Patient-Beziehung n Patient: Gefühl der Selbstkontrolle n Compliance ↑ → Therapieerfolg besser! = Konsequentialistische Begründung
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Informierte Einwilligung
Ethisches Prinzip Rechtlicher Standard
Selbstbestimmte Auswahl einer medizinischen
Maßnahme
Formal-juristische Legitimation einer
medizinischen Maßnahme
Gemeinsame Entscheidungsfindung
Aufklärungsbogen + Unterschrift
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Informierte Einwilligung: Elemente
n Voraussetzungen (1) Fähigkeit zu verstehen und zu entscheiden (2) Freiwilligkeit
n Aufklärung (3) Erläuterung der relevanten Information (4) Empfehlung einer Vorgehensweise (5) Verständnis von (3) und (4)
n Einwilligung (6) Entscheidung für eine Vorgehensweise (7) Erteilung des Behandlungsauftrags
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Aufklärung (1) n Angemessene Informationsmenge
n Diagnose, Behandlungsmöglichkeiten, Chancen & Risiken n Empfehlung einer Maßnahme n Standard? Individuelle Unterschiede! à Kriterium: Informierte Entscheidung ermöglichen
n Verständliche, anschauliche Information n Darstellung von Chancen und Risiken
n Ziel: Patient kontrolliert selbst Informationsfluss n Begrenzte Menge korrekter und relevanter Information
mitteilen n Weitere Informationsquellen anbieten
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Aufklärung (2) n Kein einmaliges Ereignis, sondern gemeinsamer
Entscheidungsprozess! n Erfordert tragfähige Arzt-Patient-Beziehung
à Vertrauensverhältnis + Empathie à Zeit für mehrere Arzt-Patient-Gespräche! à Verständnis überprüfen
n Ausnahmen von der Aufklärungspflicht: n Notfall n fehlende Einwilligungsfähigkeit n Verzicht durch Patienten
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Informierte Einwilligung: Einwände n Patienten verstehen Information nicht
à Herausforderung an verständliche Aufklärung! n Entscheidungsfähigkeit krankheitsbedingt eingeschränkt
à Fällen Ärzte bessere Entscheidungen? à Arzt: medizinische Expertise, Patient: Wertüberzeugungen
n Patienten wollen nicht entscheiden à Patienten nicht zwingen, dennoch informieren à Cave: unterschiedliche Wertüberzeugungen Arzt vs. Patient!
n Aufklärung ist für die Patienten schädlich à Nutzen einer vollständigen Aufklärung à Einfühlsame Übermittlung
n Informierte Einwilligung kostet zu viel Zeit à Armutszeugnis für die moderne Medizin!!
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Inf. Einwilligung: Ethische Grenzen
n Informierte Einwilligung: Notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung ärztlichen Handelns!
à Ethische Prinzipien ärztlichen Handelns: n Respekt der Autonomie n Fürsorge (Wohl d. Patienten) n Nichtschaden n Gerechtigkeit
à Einwilligung des Patienten entbindet nicht von Fürsorgeverpflichtungen (Wohl des Patienten & Nichtschaden)!
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Konfliktkonstellationen
n Einwilligungsfähiger Patient verweigert nützliche Maßnahme à Respektvolle Überzeugung à Autonomie >> Patientenwohl à Autonomie = (absolutes) Abwehrrecht
n Einwilligungsfähiger Patient beansprucht nutzlose Maßnahme à Nichtschaden >> Autonomie à Autonomie ≠ uneingeschränktes Anspruchsrecht
n Informierte Einwilligung als Entwicklungsprozess: à Autonomie fördern!
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Modelle der Arzt-Patient-Beziehung
Autonomie-Modell
Paternalistisches Modell
Arzt/Ärztin
Patient/in
Ante
il an
der
Ent
sche
idun
g
Partizipations- Modell
„gemeinsame Entscheidungsfindung“
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Modelle der Arzt-Patient-Beziehung
[nach Ezekiel & Linda Emanuel, JAMA 267, 1992]]
n Paternalistisches Modell n Arzt entscheidet „väterlich“ nach „objektiven“ Werten
n Informations-Modell n Arzt informiert, Patient entscheidet nach eigenen Werten
n Interpretatives Modell n Arzt interpretiert Werte des Patienten, Patient entscheidet
n Deliberatives Modell n Arzt und Patient überlegen („deliberieren“) und entscheiden
gemeinsam Part
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Modell: paternalistisch informationell interpretativ deliberativ
Werte des Patienten
„Objektive“ und geteilte Werte von A + P
Definiert, festgelegt u. bekannt
Unvollständig, konfligierend, → Klärung
Offen für Entwick-lung u. Revision im Gespräch
Rolle des Arztes
Fürsorglicher Vater Kompetenter Experte
Berater, „Hebamme“
Freund oder Lehrer
Zitate des Arztes
„Ich bin mir sicher, dass dies das Beste für Sie ist.“
„Was das Beste für Sie ist, können nur Sie entscheiden.“
„Ich kann Ihnen gerne helfen herauszufinden, was für Sie am besten ist.“
„Wir sollten jetzt zusammen überlegen, was das Beste ist.“
Konzept Patienten- Autonomie
Zustimmung zu „objektiven“ Werten
Alleinige Entscheidung über Behandlung, „Kunde“
Klärung eigener Wünsche und Präferenzen
Vom Arzt geführte Weiter-entwicklung
Zitate des Patienten
„Ich bin ja so erleichtert, dass Sie mir helfen konnten.“
„Ich möchte eine Entspannungs-therapie machen.“
„Also eigentlich weiß ich das schon, aber…“
„Auch wenn ich da heute bestimmt noch einmal darüber nachdenken muss – ich glaube, Sie haben Recht!“
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Partizipative Entscheidung: Bedeutung n Medizinischer Fortschritt
à Mehr Behandlungsoptionen ð Wahlmöglichkeiten ↑ à Eingreifende Behandlungen, Ergebnis oft unsicher ð Nutzen-Risiko-
Abwägungen ð Wertentscheidungen!
n Mehr chronische Erkrankungen ð Bedeutung der individuellen Lebensführung
n Pluralisierung von Lebensstilen und Wertüberzeugungen à Grenzen des ärztlichen Paternalismus
n Aufwertung der Patientenautonomie (auch durch das Rechtssystem)
n Spezialisierung in der Medizin (Rothman: „Strangers at the bedside“)
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Partizipative Entscheidungsfindung
1. Mitteilung, dass eine Entscheidung ansteht 2. Angebot der partizipativen Entscheidungsfindung; Rollen klären
und Gleichberechtigung der Partner formulieren 3. Aussage über Vorliegen verschiedener Wahlmöglichkeiten 4. Information über Wahlmöglichkeiten und ihre Vor- und
Nachteile (evtl. mit Entscheidungshilfen) 5. Rückmeldung über Verständnis der Wahlmöglichkeiten und
Erfragen weiterer Optionen aus Sicht des Patienten 6. Ideen, Bedenken und Erwartungen ermitteln, Präferenzen
klären (ÄrztIn und PatientIn) 7. Aushandeln 8. Gemeinsame (partizipative) Entscheidung 9. Plan zur Umsetzung der Entscheidung
www.patient-als-partner.de
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ð Patienten wünschen eine Beteiligung an Behandlungsentscheidungen
ð Erfordert kommunikative Kompetenzen auf Seiten des Arztes
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Partizipative Entscheidungsfindung
n Bedürfnis an Beteiligung variiert von Patient zu Patient n jüngere Patienten (<40J.), Versicherte mit höherer Schuldbildung,
Ledige & Selbständige wünschen mehr Autonomie n Westdeutsche >> Ostdeutsche ð soziokultureller Wertekontext
n Vor allem bei sog. „präferenz-sensitiven Entscheidungen“ n Bspl.: Gutartige Prostatahyperplasie ð Abwägung: Schwierigkeit
beim Wasserlassen vs. sexuelle Funktionsstörung
n Partizipative Entscheidungsfindung auch bei lebensbedrohlichen Erkrankungen (bösartige Tumoren) n Beteiligung an Entscheidungsfindung n Ärztliche Zuwendung & verständliche Information ð Gefühl der
Mitwirkung à Unterstützt Krankheitsverarbeitung, fördert Compliance
n Problem: ökonomische Sachzwänge ð „Neopaternalismus“
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Umsetzung der partizipativen Entscheidungsfindung
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Stellvertretende Entscheidung Ist der Patient
einwilligungsfähig?
Einwilligungsfähigkeit - Kriterien • Patient trifft und kommuniziert eine Entscheidung • Patient versteht die folgende Information
• Medizinische Situation, Prognose • Art der empfohlenen Behandlung • Alternative Behandlungsmöglichkeiten • Nutzen und Risiken der Behandlungen
• Entscheidung ist (relativ) stabil, • entspricht den Werten und Zielen des Patienten und • beruht nicht auf Täuschungen
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Stellvertretende Entscheidung Ist der Patient
einwilligungsfähig?
Patient entscheidet nach Aufklärung Existiert eine
Patientenverfügung?
Ja Nein
Patientenverfügung
Vorsorgevollmacht
3. BetrRÄG (seit 01.09.09 in Kraft) • Eine schriftliche PV ist zu befolgen, wenn sie auf die
vorliegende medizinische Situation zutrifft (BGB §1901a (1)) • Unabhängig von Art & Stadium der Erkrankung! • Ermittlung des Patientenwillens im Gespräch mit Betreuer /
Bevollmächtigtem, ggf. andere Angehörige (BGB §1901b) • Alternativ: mündliche Behandlungswünsche berücksichtigen • Wichtig: medizinische Beratung bei Abfassung der PV!!
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Stellvertretende Entscheidung Ist der Patient
einwilligungsfähig?
Patient entscheidet nach Aufklärung Existiert eine
Patientenverfügung?
Nach erklärtem Patientenwillen
entscheiden Sind die
Präferenzen des Patienten bekannt?
Nach mutmaßlichem Patientenwillen
entscheiden
Ja Nein
Ja
Ja
Nein Mutmaßlicher Wille (BGB §1901a (2)) • Frühere mündliche/schriftliche Äußerungen • Ethische, religiöse Überzeugungen • Persönliche Wertvorstellungen • Ermittlung im Gespräch (§1901b) • Betreuungsgericht: nur im Konfliktfall!
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Stellvertretende Entscheidung Ist der Patient
einwilligungsfähig?
Patient entscheidet nach Aufklärung Existiert eine
Patientenverfügung?
Nach erklärtem Patientenwillen
entscheiden Sind die
Präferenzen des Patienten bekannt?
Nach mutmaßlichem Patientenwillen
entscheiden Nach „objektivem“ Wohl des Patienten
entscheiden
Ja Nein
Ja
Ja
Nein
im Zweifel
Cave! Irrtumsgefahr! !
„Objektives Wohl“ des Patienten • Sorgfältige Abwägung von Nutzen und Risiken • Prognose: Keine Besserung zu erwarten! • Mehrere Personen in Entscheidung
einbeziehen → verschiedene Perspektiven! • Konsens im Team/ mit Angehörigen anstreben • Evtl. klinisches Ethikkomitee zuziehen
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Zusammenfassung n Medizinische Entscheidungen: Fakten + Wertungen à Patienten müssen Entscheidungsautorität haben! n Informiertes Einverständnis: notwendige, aber nicht hinreichende
Bedingung à Fürsorgepflichten: Wohlergehen, Nichtschaden n Ziel: Patienten kontrollieren Informationsfluss à Begrenzte Menge korrekter und relevanter Information à Weitere Informationsquellen anbieten n Informierte Einwilligung als Prozess der gemeinsamen
Entscheidungsfindung n Autonomie: nicht vorgefunden, sondern zu entwickeln! à Darf nicht zu rechtlicher Formerfüllung verkommen! n Standards der stellvertretenden Entscheidung: (1) Patientenverfügung
– (2) Mutmaßlicher Wille – (3) objektives Wohl
![Page 27: Informed Consent und Arzt- Patient-Beziehung: Wie soll die ... · Informed Consent und Arzt-Patient-Beziehung: Wie soll die Interaktion zwischen Ärzten und Patienten erfolgen? Georg](https://reader030.vdokument.com/reader030/viewer/2022040117/5d5ddb3d88c993a5678b8eb7/html5/thumbnails/27.jpg)
Urban Wiesing (Hg.) Ethik in der Medizin. Ein Studienbuch. (3. überarbeitete und erweiterte Auflage) Philipp Reclam jun., Stuttgart 2008, € 9,60
Kapitel 5: Arzt-Patient-Verhältnis und informiertes Einverständnis (S. 91-122)
Folien: www.egt.med.uni-muenchen.de/marckmann
Joachim Zelter, Die Welt in Weiß. Betrachtungen eines Krankenhausgängers und andere Vorkommnisse. Klöpfer & Meyer, Tübingen 2011
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Ausblick
14.06.11: Therapiebegrenzung am Lebensende 28.06.11: Aktive Sterbehilfe & Beihilfe zum
Suizid 12.07.11: Mittelverteilung in der
Gesundheitsversorgung 26.07.11: Ethikberatung im Krankenhaus (jeweils Di, 18:15 Uhr, HS 1, Großhadern)