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Editorial e 53 Die Vita von Ernst Wilhelm Gustav (genannt Jonny) Kiphard e 54 Von den Wurzeln zur Entwicklung, Weiter- entwicklung und zu aktuellen Perspektiven der Psychomotorik – Kiphard und sein Werk Ingrid Schäfer e 58 Wie Wegbegleiter Jonny Kiphard erlebt haben – Teil 1 e 69 Jonny Kiphard - Gedichte e 73 Spuren und Horizonte – Ernst Jonny Kiphard und die Psychomotorik Holger Jessel e 78 Wie Wegbegleiter Jonny Kiphard erlebt haben – Teil 2 e 86 Eine persönliche Seite ... e 88 Wie Wegbegleiter Jonny Kiphard erlebt haben – Teil 3 e 89 Die Bedeutung von Motivation, Bewegungs- und Lebensfreude für die Förderung behinderter Kinder (unveröffentl. Vortrag Hamburg 1999) Ernst Jonny Kiphard e 90 Ausschnitte von Weg und Wirken des Jonny Kiphard – eine fachliche und persönliche Ansicht Horst Göbel e 93 Wie Wegbegleiter Jonny Kiphard erlebt haben – Teil 4 e 95 Meilensteine und Erkenntnisfortschritte des psychomotorischen Paradigmas Klaus Fischer e 97 moto.logisch – Neues aus dem BVDM e 103 Informationen e 104 Summaries + Résumés e 106 Inhalt Titelbild: Alfred Leger Zeichnung: Manfred Höhne Die Zeitschrift MOTORIK wird auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Bei dieser chlorfreien Bleiche des Zellstoffs entstehen keine chlorierten organischen Verbindungen, die die Abwässer belasten könnten. Zeitschrift für Motopädagogik und Mototherapie Offizielles Organ des Aktionskreises Psychomotorik e. V. mit Mitteilungen des Berufsverbandes der Motologen – Diplom/Master e. V. Herausgeber: Aktionskreis Psychomotorik e. V. Geschäftsstelle: Kleiner Schratweg 32, 32657 Lemgo Tel. (0 52 61) 97 09 70, Fax (0 52 61) 97 09 72 Geschäftsführender Redakteur: Prof. Dr. phil. Klaus Fischer Redaktion: Dipl.-Motologin Dorothee Beckmann-Neuhaus Wiss. Mitarb. Dr. Melanie Behrens Prof. Dr. phil. Ruth Haas Dipl.-Motologe Dr. Holger Jessel Prof. Dr. Astrid Krus Prof. Dr. phil. Heinz Mechling Prof. Dr. phil. Renate Zimmer Anschrift der Redaktion: Prof. Dr. Klaus Fischer Haselhecke 50, 35041 Marburg Tel. (0 64 21) 2 33 32 (p), Tel. (02 21) 4 70 46 73 (d) Fax (0 64 21) 2 56 92 (p), Fax (02 21) 4 70 50 85 (d) E-Mail: [email protected] Erscheinungsweise: Vierteljährlich Bezugsbedingungen: Jahresabonnement (4 Ausgaben inkl. Versandkosten) e 47,60; Vorzugspreis für Studierende e 43,40; Einzelheft e 12,– (zuzügl. Versandkosten). Für die Mitglieder des Aktionskreises ist der Bezugspreis der Zeitschrift im Mitgliedsbeitrag enthalten. Die Abonnement-Rechnung ist sofort zahlbar rein netto nach Erhalt. Der Abonnement-Vertrag ist auf unbestimmte Zeit geschlossen, falls nicht ausdrücklich anders vereinbart. Abbestellungen sind nur zum Jahresende möglich und müssen spätestens 3 Monate vor dem 31. Dezember beim Verlag eintreffen. Unregel- mäßigkeiten in der Belieferung bitte umgehend dem Verlag mitteilen. Der Versand und die Abonnement-Bearbeitung erfolgen über EDV. Für diesen Zweck sind die dafür notwendigen Daten gespeichert. Die Post sendet Zeitschriften auch bei Vorliegen eines Nachsendeantrags nicht nach! Deshalb bei Umzug bitte Nachricht an den Verlag mit alter und neuer Anschrift. Vertrieb: Anschrift siehe Verlag Telefon (0 71 81) 402-124 E-Mail: [email protected] Anzeigen: Anschrift siehe Verlag Telefon (0 71 81) 402-126, Fax (0 71 81) 402-111 [email protected] Zurzeit gilt die Anzeigenpreisliste vom Januar 2011 Gesamtherstellung: Druckerei Djurcic, D-73614 Schorndorf International Standard Serial Number: E 7518 ISSN 0170-5792 Copyright: © by Aktionskreis Psychomotorik e. V. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch in Über- setzungen, nur mit Genehmigung der Redaktion. Die namentlich gekennzeichneten Beiträge geben nicht in jedem Falle die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktions behält sich vor, Leser- briefe gekürzt zu veröffentlichen und Manu- skripte redaktionell zu bearbeiten. Verlag: Hofmann-Verlag GmbH & Co. KG Postfach 1360, D-73603 Schorndorf Tel. (0 71 81) 402-0, Fax (0 71 81) 402-111 E-Mail: [email protected]

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Editorial e 53

Die Vita von Ernst Wilhelm Gustav (genannt Jonny) Kiphard e 54

Von den Wurzeln zur Entwicklung, Weiter- entwicklung und zu aktuellen Perspektiven der Psychomotorik – Kiphard und sein Werk Ingrid Schäfer e 58

Wie Wegbegleiter Jonny Kiphard erlebt haben – Teil 1 e 69

Jonny Kiphard - Gedichte e 73

Spuren und Horizonte – Ernst Jonny Kiphard und die Psychomotorik Holger Jessel e 78

Wie Wegbegleiter Jonny Kiphard erlebt haben – Teil 2 e 86

Eine persönliche Seite ... e 88

Wie Wegbegleiter Jonny Kiphard erlebt haben – Teil 3 e 89

Die Bedeutung von Motivation, Bewegungs- und Lebensfreude für die Förderung behinderter Kinder (unveröffentl. Vortrag Hamburg 1999) Ernst Jonny Kiphard e 90

Ausschnitte von Weg und Wirken des Jonny Kiphard – eine fachliche und persönliche Ansicht Horst Göbel e 93

Wie Wegbegleiter Jonny Kiphard erlebt haben – Teil 4 e 95

Meilensteine und Erkenntnisfortschritte des psychomotorischen Paradigmas Klaus Fischer e 97

moto.logisch – Neues aus dem BVDM e 103

Informationen e 104

Summaries + Résumés e 106

Inhalt

Titelbild: Alfred Leger Zeichnung: Manfred Höhne

Die Zeitschrift MOTORIK wird auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Bei dieser chlorfreien Bleiche des Zellstoffs entstehen keine chlorierten organischen Verbindungen, die die Abwässer belasten könnten.

Zeitschrift für Motopädagogik und Mototherapie Offizielles Organ des Aktionskreises Psychomotorik e. V. mit Mitteilungen des Berufsverbandes der Motologen – Diplom/Master e. V.Herausgeber: Aktionskreis Psychomotorik e. V. Geschäftsstelle: Kleiner Schratweg 32, 32657 Lemgo Tel. (0 52 61) 97 09 70, Fax (0 52 61) 97 09 72Geschäftsführender Redakteur: Prof. Dr. phil. Klaus FischerRedaktion: Dipl.-Motologin Dorothee Beckmann-Neuhaus Wiss. Mitarb. Dr. Melanie Behrens Prof. Dr. phil. Ruth Haas Dipl.-Motologe Dr. Holger Jessel Prof. Dr. Astrid Krus Prof. Dr. phil. Heinz Mechling Prof. Dr. phil. Renate ZimmerAnschrift der Redaktion: Prof. Dr. Klaus Fischer Haselhecke 50, 35041 Marburg Tel. (0 64 21) 2 33 32 (p), Tel. (02 21) 4 70 46 73 (d) Fax (0 64 21) 2 56 92 (p), Fax (02 21) 4 70 50 85 (d) E-Mail: [email protected]: VierteljährlichBezugsbedingungen: Jahresabonnement (4 Ausgaben inkl. Versandkos ten) e 47,60; Vorzugspreis für Studierende e 43,40; Einzelheft e 12,– (zuzügl. Versandkosten). Für die Mitglieder des Aktionskreises ist der Bezugspreis der Zeitschrift im Mitgliedsbeitrag enthalten. Die Abonnement-Rechnung ist sofort zahlbar rein netto nach Erhalt. Der Abonnement-Vertrag ist auf unbestimmte Zeit geschlossen, falls nicht ausdrücklich anders vereinbart. Abbestellungen sind nur zum Jahresende möglich und müssen spätestens 3 Monate vor dem 31. Dezember beim Verlag eintreffen. Unregel- mäßigkeiten in der Belieferung bitte umgehend dem Verlag mitteilen. Der Versand und die Abonnement-Bearbeitung erfolgen über EDV. Für diesen Zweck sind die dafür notwendigen Daten gespeichert. Die Post sendet Zeitschriften auch bei Vorliegen eines Nachsendeantrags nicht nach! Deshalb bei Umzug bitte Nachricht an den Verlag mit alter und neuer Anschrift.Vertrieb: Anschrift siehe Verlag Telefon (0 71 81) 402-124 E-Mail: [email protected]: Anschrift siehe Verlag Telefon (0 71 81) 402-126, Fax (0 71 81) 402-111 [email protected] Zurzeit gilt die Anzeigenpreisliste vom Januar 2011Gesamtherstellung: Druckerei Djurcic, D-73614 SchorndorfInternational Standard Serial Number: E 7518 ISSN 0170-5792Copyright: © by Aktionskreis Psychomotorik e. V. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch in Über- setzungen, nur mit Genehmigung der Redaktion. Die namentlich gekennzeichneten Beiträge geben nicht in jedem Falle die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktions behält sich vor, Leser- briefe gekürzt zu veröffentlichen und Manu- skripte redaktionell zu bearbeiten.Verlag: Hofmann-Verlag GmbH & Co. KG Postfach 1360, D-73603 Schorndorf Tel. (0 71 81) 402-0, Fax (0 71 81) 402-111 E-Mail: [email protected]

53motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

Am 27. Juli 2010 ist Ernst Jonny Kiphard im Alter von 86 Jahren in Rosbach gestorben. Als Begründer der Psycho­motorik hat er über ein halbes Jahr­hundert mit seinem Charisma, seiner freundlichen und zugewandten Art viele Menschen motiviert, „seine“ Psycho­motorik weiter zu entwickeln. Er war Ideengeber und zugleich die „inhaltliche Achse“ der deutschen Psychomotorik. Im In­ und Ausland gleichermaßen wurde er, oft auch in der Rolle des „Clowns“, der den Spiegel auf das Wesentliche lenken konnte und dabei die Psychomotorik spürbar machte, als fachliche Instanz jenseits inhalt­licher Diskurse innerhalb der in­ zwischen unterschiedlichen Ausprä­ gungen der Psychomotorik hoch geschätzt.Auf Initiative von Jonny Kiphard, Fried­ helm Schilling und Helmut Hünnekens wurde 1976 der Aktionskreis Psycho­motorik e. V. gegründet, dessen Ver­einszeitschrift Sie nun in den Händen halten.Im Andenken und als Erinnerung an unseren Gründungsvater und sein praktisches und wissenschaftliches Wirken ist diese Ausgabe der „motorik“ entstanden. Sie beabsichtigt und bietet Impulse und Gelegenheiten, sich auf den Menschen Jonny Kiphard einzu­lassen, ihn vielleicht sogar neu kennen zu lernen. Viele unserer Mitglieder haben ihn nicht aktiv erleben können. Es war ihnen somit nicht gegönnt, einen Menschen zu erleben, der seine Zuhörerinnen und Zuhörer sofort und unmittelbar am psychomotorischen Dialog teilhaben ließ. In strahlenden und lachenden Augen­Blicken wurde – wie „nebenbei“ – das Zusammenspiel von Wahrnehmung und Bewegung sowohl Gegenstand als auch Auslöser für Persönlichkeitsent­wicklung: Bei Jung und Alt! Es ist eine „motorik“­Ausgabe entstan­den, die informieren und erinnern soll,

aber auch Raum für aktive Teilhabe und Gestaltung bietet. Zahlreiche Fotos und die Ausführungen in diesem Heft sind vielleicht Anlass, sich erneut mit dem eigenen Weg innerhalb der Psycho­motorik zu beschäftigen. Eine Seite ist „offen“ geblieben für Ihren persön­lichen Beitrag für diese Ihre „motorik“: „Interaktiv von Hand“.Ingrid Schäfer schafft mit ihren Ausfüh­rungen zu den Spuren, Entwicklungen und Perspektiven der Psychomotorik als ehemalige Mitarbeiterin, Kollegin und Freundin den Einstieg in ein Themenheft, das auch den Lyriker Jonny Kiphard bekannter machen wird. Zukünftige Perspektiven der Psycho­motorik, hier neu aufgezeigt durch Holger Jessel und Klaus Fischer, bilden eine theoretische Betrachtung aktueller Fragestellungen. Die Traueransprache von Horst Göbel, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychomotorik (DGfPM) e. V., zeigt die tiefe Verbundenheit der Deutschen Psychomotorik zu ihrem praxeologischen und akademischen Lehrer.Einige Wegbegleiter und engste Vertraute sind bereit gewesen, ihre Erlebnisse und Begegnungen mit und ihre Erinnerungen an Jonny Kiphard per Interview mitzuteilen. Entstanden ist eine Aufzeichnung, die an Stellen bruchstückhaft sein muss – jedoch gleichsam aus der Außendarstellung die Vertiefung, die Intensivierung oder Essenz dessen enthält, wofür Jonny Kiphard als Gründer der Psychomotorik stand und wie er dafür eintrat. In den zur Verfügung gestellten Ausführungen der Zeitzeugen sind auch Bewertungen und Stellungnahmen enthalten, die den Menschen, den Wissenschaftler und den Freund Jonny Kiphard – in teilweise sehr persönlichen Darstellungen – be­schreiben. Es wird deutlich, was dem jeweiligen Autor aus der gemeinsamen Zeit mit Jonny Kiphard wichtig war und

was in dieser „motorik“­Ausgabe weitergegeben werden soll.Georg Kesselmann ist seit der gemein­samen Studienzeit in Köln freund­schaftlich und kollegial mit Jonny Kiphard eng verbunden gewesen. Er ist einer der (Mit­)Entwickler der Psycho­motorik und hat seinen Ansatz der bewegungstherapeutischen und ­pädagogischen Unterstützung in der Kinder­ und Jugendpsychiatrie in Neuenkirchen (jetzt: Neuenkirchen­Vörden) mit hoher Akzeptanz bis zum heutigen Tag sehr erfolgreich umge­setzt. Herr Kesselmann hat für diese Ausgabe der „motorik“ wertvolle Impulse gegeben.Liebe Weggefährten und Zeitzeugen: Ihnen für Ihre Beiträge und Ihre Offen­ heit herzlichen Dank!Nicht alle Antworten aller Interview­partner können gedruckt werden; die Seitenzahl in einer „motorik“ ist begrenzt. Auf der Homepage des AKP finden Sie alle Interviews in ungekürz­ter Form.Es konnten auch leider nicht mehr alle Mitstreiter gefragt werden. Wie wertvoll und wunderbar wäre es doch gewesen, auch Tilo Irmischer oder Klaus Miedzinski noch zu fragen, welchen Einfluss Jonny Kiphard auf sie gehabt hat. Wie gut erinnere ich mich noch an den ersten Fortbildungskurs durch den Aktionskreis in Hamm, den wir gemein­sam mit Jonny durchgeführt haben. Er war – wie auch später so oft erlebt – nur kurz anwesend. Diese Momente allerdings haben Impulse gegeben, Entwicklungen in Gang gesetzt!Meine Hoffnung ist es, dass mit dieser „motorik“ ein weiterer Beitrag für ein Kompendium geschaffen wurde: Erinnerungen, Inhalte, Entwicklungen und Begegnungen über das Vermächtnis eines eindrucksvollen Mannes.

Manfred Höhne

Editorial

54 motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

Die Vita von Ernst Wilhelm Gustav (genannt Jonny) Kiphard

Die Vita von Ernst Wilhelm Gustav (genannt Jonny) Kiphard01.12.1923 Ernst Jonny Kiphard wird in Eisenach geboren.

1923 ­ 1940 Kindheit und Schulzeit in Eisenach.Der Vater (preußischer Marineoffizier) unterstützt die motorische Begabung seiner beiden Kinder Fritz und Ernst. Im Garten wird ein Reck gebaut, ein Meisterturner unterrichtet die beiden. Als großer Zirkusanhänger („Wenn ein Zirkus in die Stadt kam, war ich nicht mehr zu halten.“) möchte Jonny Kiphard es den Akrobaten im Zirkus nachtun: Er probiert Salti, Handlaufen, schwierige Hängefiguren und Waagen am Trapez. Von seiner Mutter (Engländerin, Pianistin) erbt er die musische Begabung. Er besucht das Real­Reform­Gymnasium Ernst­Abbe­Schule in Eisenach, überspringt eine Klasse, zeigt auf Schulfesten und Feiern seine Akrobatik­, Trapez­ und Verkleidungskünste, trainiert im Turnverein.

1940 Abitur am Real­Reform­Gymnasium Eisenach.

1940 – 1945 Nach dem Abitur zieht Kiphard als Freiwilliger bei der Marine in den Krieg; er fährt auf U­Booten und Marineräumbooten, ist Erster Wachoffizier auf einem Schnellboot­Begleitschiff und Kommandant auf einem Vorpostenboot in Nord­Norwegen. „Doch der Traum vom Circus blieb fünf lange Kriegsjahre lebendig. (…) Ich lernte, als ich im Lazarett per Zufall mit dem Berufsmagier Harry Hohndorf auf einem Zimmer lag, zaubern und organisierte bald Artisten­Shows für die sogenannte Wehrbetreuung der Soldaten.“ (Die Circus­Zeitung, Nr. 11/1988, 34. Jahrgang, Brief von E. J. Kiphard)

1945 ­ 1946 Nach der Entlassung aus britischer Gefangenschaft zieht Kiphard mit dem Akkordeonisten Teddy Boldt konferierend, parodierend, zaubernd und mit komischen Akrobatik­Einlagen über die Dörfer Schleswig­Holsteins. Es folgen erste feste Engagements.

1947 ­ 1950 Kiphard macht sich mit seiner ersten Ehefrau und Partnerin mit einer komischen Luftakrobatik­ Nummer selbstständig: „Ramona and Jonny ­ Das ungekrönte Königspaar der Luft“. Das Paar wird im Circus Carl Althoff prolongiert; Kiphard arbeitet als Trapez­Akrobat und Clown, als Mittel­ und Obermann mit den „Swiss Stars“, weitere Engagements in der damaligen DDR folgen.

1954 Eine Knieoperation setzt einen Schlussstrich unter seine Artistenlaufbahn.

1954­1957 Studium an der Deutschen Sporthochschule in Köln, Abschluss mit dem Examen zum Diplom­Sport­lehrer. In dieser Zeit lernt er Georg (Auki) Kesselmann kennen, eine weitere wichtige Person für die Entwicklung der Psychomotorik.

1955 Kiphard absolviert ein Praktikum an der Westfälischen Klinik für Jugendpsychiatrie in Gütersloh (Direktorin Frau Dr. med. Elisabeth Hecker, Oberarzt Dr. med. Helmut Hünnekens). Eine wegweisende Zusammenarbeit bahnt sich an.

1957 ­ 1958 Diplom­Sportlehrer an der Eliteschule Schloss Salem.

1960 ­ 1980 Diplom­Sportlehrer in der Kinder­ und Jugendpsychiatrie in Gütersloh, später im Westfälischen Institut für Jugendpsychiatrie und Heilpädagogik in Hamm. Entwicklung der „Psychomotorischen Übungsbehandlung“.

1973 Der berühmte „Waldspaziergang“ von Kiphard, Schilling und Hünnekens festigt das Vorhaben, einen Arbeitskreis Psychomotorik zu gründen.

1975 Der Arbeitskreis Psychomotorik wird gegründet.

1976 Gründung des Aktionskreises Psychomotorik e. V. Hamm (Gründungsmitglieder: Hünnekens, Kiphard, Schilling, Brinkmann, Güttinger, von Renteln, Sinnhuber).

1976 Promotion zum Dr. phil. an der Universität Bremen („summa cum laude“) zum Thema „Motorik und Behinderung“.

1980 ­ 1989 Ordentlicher Professor für Motopädagogik als Prävention und Rehabilitation am Institut für Sportwissenschaften der Universität Frankfurt am Main

1990 Kiphard erhält in Frankfurt das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.

1990 ­ 2002 Zahlreiche weltweite Vortragsreisen.

2010 Kiphard stirbt am 27.07.2010 in Rosbach.

55motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

r Ernst Jonny Kiphard 1957 –eine Laufbahn beginnt

r Trampolinspringen im alten Ölkeller der Kinder- und Jugend-psychiatrie 1965 – die neue Turnhalle war noch nicht fertig!

r Jugendklinik Gütersloh 1963 r Jugendklinik Gütersloh 1964

56 motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

„Manege frei“ Hamm 1966

r Erster Wochenlehrgang „Psychomotorik“ in Hamm 1965/ 66

Hamm 1969

57motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

r Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundes-republik Deutschland in Frankfurt 1990

r Jonny Kiphard 1989

r … Moment ´mal, da fehlt was! r ohne Worte

Kiphard und sein Werk

58 motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

seinem Turm aus Käse, stellte seine zwei Assistenten vor, Kinder, die in der Klinik in Gießen an Leukämie behandelt und gesund geworden sind.“ Kiphard selbst erläuterte mir seinen Turm aus Käse wie folgt: „Bei meinem Clown-Auftritt schleppte ich 22 große Schaumstoffplatten von je 10 cm Höhe und 30 cm Länge in die Manege. Ich stellte sie als neusten ‚Schweizer Leichtkäse’ vor. Die Löcher würde ich später bohren! (in meiner eigenen Käsefabrik). Daraus baute ich ‚den größten Käseturm der Welt’, der mir allerdings immer wieder umfiel, wenn ich mit dem Hintern dran stieß oder die Käsestücke nicht genau aufeinander-gestapelt waren (…). Am Ende balan-cierte ich den mit Hilfe der Kinder vollendeten Turm auf einer Hand und ließ ihn jäh ins Publikum fallen. Lachen, Applaus, Schluss, aus!“ Über viele Jahre pflegte Kiphard inter- nationale Kontakte in der Zirkuswelt und besuchte verschiedene Zirkusschu-len, so z. B. in Russland und Georgien. Bis zu seinem Lebensende war ihm die rote Clownnase wichtig.Kiphard hatte ein feines Gehör und ein besonderes Gefühl für Musik. Seine Begabung für das Klavier- und Akkorde-onspielen hat er wohl von seiner Mutter geerbt. Ob in der Arbeit mit Kindern oder im privaten Bereich (bei Festen oder Ähnlichem) setzte er diese Fähigkeit häufig ein; vielen Menschen wird er als begeisternder Musiker in Erinnerung bleiben. Sein hohes Maß an Geschicklichkeit und seine außerordent-liche Körperbeherrschung basierten auf einem sicheren Körpergefühl und auf guter Körperwahrnehmung.Seine Persönlichkeit lässt sich wohl am ehesten als empathisch, zugewandt, herzlich, jedem ein offenes Ohr leihend und wertschätzend beschreiben. Er

Viel ist über die Entwicklung und Weiterentwicklung der Psychomotorischen Übungs-behandlung von Kiphard und seinem Zugang dazu geschrieben worden. Macht es Sinn, alles nochmals zu wiederholen? Für mich nach einigem Zögern „Ja“! Die zahlreichen – veröffentlichten und unveröffentlichten – Unterlagen von Kiphard, die im Schrank liegen, erneut hervorzukramen und darin zu stöbern, hat mich an Vieles wieder erinnert. Die große Schaffenszeit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Gütersloh, später Hamm von 1963 bis 1975 habe ich an seiner Seite als Kollegin miterlebt. Darüber hinaus sind wir immer im Kontakt geblieben und er hat mich an vielen Weiterentwicklungen seiner Arbeit teilhaben lassen.

Ingrid Schäfer

Von den Wurzeln zur Entwicklung, Weiterentwicklung und zu aktuellen Perspektiven der Psychomotorik – Kiphard und sein Werk

Die Wurzeln des Vaters der Psychomotorik in DeutschlandDie Wurzeln der Psychomotorik in Deutschland liegen wohl in der Person Jonny Kiphards begründet. Als bereits in seiner Kindheit motorisch begabter Junge übte er unter Anleitung und Förderung durch seinen Vater u. a. akrobatische Kunststücke. Fasziniert und begeistert vom Zirkus ließ er als Kind keine Vorstellung aus. Diese Begeisterung für den Zirkus zog sich wie ein magischer Faden durch sein

Leben; sei es beruflich durch Auftritte als Akrobat und Artist, durch die vorübergehende Gründung eines Kinderzirkus, durch Zirkusveranstal-tungen während seiner Anstellung als Diplom-Sportlehrer in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Gütersloh/Hamm ab 1960 oder durch Clownaktivitäten u. a. in Kinderkliniken im Raum Frankfurt. Zu Kiphards Zirkus-Abschied mit Benefiz-Gala am 29.08.1988 schrieb die Frankfurter Rundschau: „Der Professor Kiphard, jeder Zoll ein Clown mit

r Jonny Kiphard beim Zirkus Sarrasani (1988)

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konnte Kinder wie Erwachsene gleicher-maßen begeistern. All dies schien aus seinem Inneren zu entspringen, immer selbstkongruent und offen. Kiphard war infiziert von Clownereien und Zaube-reien, er identifizierte sich mit dem Clownsein in all seinen Facetten und schenkte damit Freude, Aufmunterung, aber auch Mut zur Lebensbewältigung. Dies strahlte er aus und lebte es in nahezu allen Situationen, als ganzer Mensch mit Blicken, Gesten und mit seiner Körpersprache. Seine intellektuelle Begabung ließ ihn bereits in der Volksschule eine Klasse überspringen. Sprachlich gewandt und wortschöpfend drückte er sich aus. Als Psychomotoriker griff er Neues aus Literatur, wissenschaftlichen Vorträgen und Kongressen auf und suchte dabei immer den Kontakt zu und den Aus-tausch mit anderen Wissenschaftlern und Autoren, seine vielfältigen Ver-öffentlichungen zeugen davon. Insge-samt lässt sich sagen, dass Kiphard seine Form der Psychomotorik als ganzer Mensch lebte; dabei verschmol-zen motorische, sensorische, emotionale und soziale Aspekte auf das Engste miteinander, für andere miterlebbar und spürbar ansteckend in zahlreichen persönlichen Begegnungen.

Die Idee zur Psychomotorischen ÜbungsbehandlungDurch ein Zeitungsinterview aufmerk-sam geworden, nahm Kiphard 1955 Kontakt zu der Direktorin der Jugend-klinik in Gütersloh, Frau Dr. Elisabeth Hecker, auf. Gegenstand des Interviews war die Entwicklung eines holistischen, klinisch-heilpädagogischen Konzepts in einem interdisziplinären Team. Kiphards Kommentar war: „Dazu fehlt ein Bewegungsfachmann“ und das war der Auftakt zu einer langjährigen tragenden Zusammenarbeit mit der Direktorin und dem damaligen Oberarzt Dr. Helmut Hünnekens. Der Wunsch war, „eine kindgemäße therapeutische Methode“ zu entwickeln, „besonders für Kinder, die aus neurotischer oder organischer Ursache heraus entwick-lungsgestört sind“ (Vorwort von E. Hecker, in: Hünnekens/Kiphard, 1985; im Orig. 1960). Kiphard hatte während seines Studiums zum Diplom-Sportlehrer an der Deut- schen Sporthochschule in Köln Erfah-rungen mit Körperbehinderten gesam-melt und kam zu der Überzeugung, dass bei motorischen Störungen keineswegs ein Funktionstraining das Wesentliche sei, sondern vielmehr kleine Erfolgs-erlebnisse, die den Aufbau eines stabilen Selbstwertgefühls unterstüt-zen. Kiphard schrieb hierzu: „Mich faszinierte die Idee und die praktische Lösung der Aufgabe, wie man unge-schickten, entmutigten und sozial isolierten Kindern über kleine und kleinste Erfolge im Bewegungsbereich allmählich wieder zu Selbstvertrauen und zu selbstbestimmtem Handeln innerhalb der Gruppengemeinschaft verhelfen kann. So entstand zwischen 1955 und 1960 die Psychomotorische Übungsbehandlung“ (Hünnekens/Kiphard, 1990, 28). Hünnekens sprach von den „hässlichen Entlein“ oder von den Kindern, die in der „Hühnerhack-ordnung die meisten Federn lassen müssen“, und wie man ihnen am besten helfen kann.Wie kam es nun zum Begriff der Psycho- motorischen Übungsbehandlung (PMÜ)? Im Jahr 1958 nahm Kiphard Kontakt zu Charlotte Pfeffer auf, die über psycho-motorische Heilerziehung in „Bewegung aller Erziehung Anfang“ geschrieben hatte. Kiphard verwendete für seine Übungen den Begriff der Psychomotorik:

„weil durch Übungen im leiblichen Bereich ein besonders guter und kindgemäßer Zugang zum Psychi-schen gelingt. (…) Im Mittelpunkt unseres Tuns stand die Anregung der Selbsttätigkeit des Kindes ohne Dressur, Drill oder von außen diktierter Disziplin. Unser Bestreben war, die Eigenreaktionen des ent- wicklungsgestörten Kindes mit seinen Verhaltensabweichungen und die Gegenreaktionen der Erwachsenen abzuschwächen, die Isolierung und das frühe Unbehagen des Kindes zu lindern, die Ego zentrik und Selbstunsicherheit des entwick-lungsgestörten und vor allem des neurotischen Kindes aufzulockern und es dadurch einer echten Selbstheilung zuzuführen“ (Vorwort von E. Hecker, in: Hünnekens/Kiphard, 1985; im Orig. 1960, 4).

Die mittlerweile klassische Veröffent-lichung „Bewegung heilt. Psychomoto-rische Übungsbehandlung bei entwick-lungsrückständigen Kindern“ aus dem Jahre 1960 verfolgte das übergeordnete Ziel, Übungen zusammenzustellen, die ohne großen materialen Aufwand und ohne spezifische Ausbildung in Heimen, Horten, Kindergärten und Kinderkliniken angewandt werden können (vgl. ebd.). Nicht zuletzt sollten die Übungen aber auch ein Mittel an die Hand geben, psychomotorische Auffälligkeiten bzw. bedeutungsvolle Entwicklungsstörun-gen frühzeitig zu erkennen.

Erste Erfolge mit der Psychomotorischen ÜbungsbehandlungEin Forschungsauftrag des Arbeits- und Sozialministers von Nordrhein-West-falen ermöglichte es in den Jahren 1958–59, eine Effektivitätsüberprüfung psychomotorischer Fördermaßnahmen vorzunehmen und damit die Grundlagen für die psychomotorischen Übungen auf breiter Basis zu erarbeiten. Um die Effektivität dieser psychomotorischen Förderung nachzuweisen, wurden vor und nach einer sechswöchigen tägli-chen Übungsbehandlung 72 Kinder im Alter von 10–12 Jahren in der Jugend-klinik Gütersloh mit dem Oseretzky-Test der motorischen Entwicklung, der mimischen Funktionsprüfung von Kwint, psychologischen und neurologi-

Ingrid SchäferSport- und Heilpädagogin, seit 1963 „Psychomotorikerin“, Mitbegründerin und Dozentin der Fachschule für Motopädie, Dortmund und einer Lehranstalt für Physio-therapie, Münster, Dozentin der DAKP

Anschrift der Verfasserin:Kleiner Schratweg 3232657 Lemgo

Kiphard und sein Werk

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schen Tests sowie Beobachtungen auf den Stationen untersucht.Für die Praxisstunden wurden exakte psychomotorische Aufgaben und Übungssituationen von Kiphard, der sich damals noch im Studium befand, und der Gymnastiklehrerin zusammen-gestellt. Diese führte sie durch und Kiphard wertete sie an den Wochen-enden aus. Es zeigte sich, dass sich in dieser kurzen Zeit der motorische Entwicklungsstand der Kinder signifi-kant verbesserte. „Das Wesentliche aber war die unerwartete Verhaltensbesse-rung im Sinne einer Stärkung und Stabilisierung innerseelischer Kräfte bei gleichzeitiger Abnahme der psychischen Desintegration. Während die Anstren-gungsbereitschaft und Konzentrations-fähigkeit bei Bewegungsaufgaben anstieg, gingen andererseits die Intensität der psychomotorischen Enthemmung und das Störverhalten im Verlaufe dieser 6 Wochen zurück“ (Kiphard, 1998, 89).1 Mit der Einführung des Trampolin-springens (1961) in der Jugendklinik in Gütersloh war zu beobachten, dass Kinder dieses Gerät begeistert aufnah-men. Kinder, die bisher kaum mit beiden Beinen am Boden hüpfen konnten und ein Sprungerlebnis damit bisher noch nie erfahren hatten, riefen beim Springen auf dem „Trampeltier“ freudig: „Ich fliege!“ Die Fortschritte in der Koordination, die Kinder bei sich selbst wahrnehmen konnten, stärkten ihr Selbstbewusstsein. Ein 10-jähriger Junge aus dem Jahr 1963 ist mir noch besonders in Erinnerung: Von Kinder-lähmung gekennzeichnet, ein Bein atrophiert, heruntergekommen, verdreckt, mit einer alten Gehhilfe wurde er in die Jugendklinik Gütersloh eingeliefert. Als „Krüppel-Hansi“ wurde er von anderen Stationskindern ver- schrien und herumgeschubst. Kiphard nahm ihn in die Einzelbehandlung, brachte ihm über einen längeren Zeitraum „das Gehen auf Händen“ und Trampolinspringen bei. Ich ging mit ihm u. a. zum Schwimmen und bald konnte er sich allein sicher über Wasser halten bis hin zum Kraulschwimmen. Seine

1 Weitere Angaben zu Effektivitätsuntersuchun-gen aus dem Jahr 1957 sind nachzulesen in: Hünnekens, H./Kiphard, E. J. (1960): Übung der Motorik als Methode bei entwicklungsrück-ständigen Kindern. In: Jahrbuch für Jugend-psychiatrie Band II. Stuttgart: Huber.

Behinderung blieb, seine Koordination verbesserte sich im Rahmen seiner Möglichkeiten jedoch so sehr, dass er große Anerkennung und Bewunderung von anderen Kindern erhielt. Natürlich waren wir als Wegbegleiter ähnlich stolz wie er selbst. Er blühte auf, strotzte vor Selbstbewusstsein, war Meister der Selbstbeherrschung, integrierte sich und beteiligte sich an allen Aktivitäten in der Therapiegruppe.

Grundlegende Orientierungen für die Psychomotorische ÜbungsbehandlungDie Psychomotorische Übungsbehand-lung orientierte sich in ihren Inhalten und Theorien an:•der rhythmisch-musikalischen Erzie-

hung/psychomotorischen Heilerzie-hung (vgl. u. a. Charlotte Pfeffer, Mimi Schreiblauer, Elfriede Feudel), der rhythmisch-psychomotorischen Gymnastik und Heilerziehung (vgl. Gerhard Göllnitz, Gertrud Schulz-Wulf), z. B. mit Alltagsmaterialien wie Papier, Kochlöffel, mit Flöte und anderen Musik- und Rhythmusinstru-menten,

•der musikalischen Früherziehung, dem Orff-Schulwerk, der Musik-therapie (durch Fortbildungen z. B. bei Wilhelm Keller): z. B. standen Trommeln, Pauken, Becken, Triangeln, Xylophone und Klanghölzer zur Verfügung,

•der Montessori-Pädagogik mit ihren Sinnesmaterialien (z. B. braune Treppe, rot-blaue Stangen, Geräusch-dosen, Tastmaterial),

•der Gymnastik (Bundesschule für Körperbildung und rhythmische Erziehung, Dore Jacobs), z. B. mit Bällen, Reifen, Baumwollseilchen, Gymnastikstäben,

•dem Sport, dem Kinder-Turnen (vgl. u. a. Liselott Diem, Hermann Ohnesor-ge – Deutsche Sporthochschule Köln),

•der Ausdruckstherapie (vgl. Ausdrucks-übungen für gehemmte Kinder von Henriette Schwung),

•dem Biodrama (vgl. O. Plätzer).Die Materialausstattung in einem ehemaligen Gruppen-Schlafraum der Klinik in Gütersloh bestand darüber hinaus aus einfachen Bodenmatten, einem Lüneburger Stegel und Stühlen. Heilpädagogische Orientierungen suchte Kiphard in frühen Gesprächen mit Dr. Falt und Dr. Klenner aus dem heilpäd-

agogischen Institut, das damals noch in Bielefeld-Bethel angesiedelt war. Grundlegendes zur Heilpädagogik ent- nahm er u. a. den Arbeiten von Hansel-mann, Moor und Löwnau.Medizinische und psychologische Grundlagen vermittelten uns Ärzte (insesondere Dr. Hünnekens) und Psychologen der Klinik. Ohne diese differenzierten Kenntnisse z. B. über Entwicklung, familiäre Hintergründe und Krankheitsbilder wären ein einfühlsames Verstehen der kindlichen Sorgen und eine gezielte Förderung nicht möglich gewesen. Elementar waren außerdem Fallgespräche und Ärztekonferenzen, die uns einen interdisziplinären Blick ermöglichten. Für die Diagnostik standen die moto-metrische Skala von Oseretzky sowie die mimische Funktionsprüfung von Kwint zur Verfügung, die durch Beob- achtungen alltäglicher Bewegungs-anforderungen ergänzt wurden. 1963 kam der in der Klinik in Gütersloh (später Hamm) von Kiphard und Schäfer entwickelte Trampolin-Körperkoordina-tionstest (TKT) dazu. Das Trampolin war nicht nur Therapiegerät, es ermöglichte außerdem viele Beobachtungen, die wir sammelten und nach motorisch-koordi-nativen und medizinischen Kriterien ordneten. Beim Trampolinspringen wurden Charakteristika im Bewegungs-verhalten deutlich, die wir bei üblichen Anforderungen nicht registrierten, so beispielsweise feinste, wiederkehrende Bewegungsphänomene im Zeitlupen-bild. Diese ersten Orientierungen können als Grundlagen oder Wurzeln der psychomotorischen Übungsbehand-lung bezeichnet werden.

Übungsbereiche der Psychomotorischen ÜbungsbehandlungUm die gesamte Körperlichkeit und Leiblichkeit, das Selbstwertgefühl und das Gemeinschaftsgefühl zu fördern, möchte die Psychomotorische Übungs-behandlung eine Harmonisierung des psychomotorischen Funktionsgefüges und eine tiefgreifende Verbesserung des emotional-sozialen Verhaltens bewirken. Die Übungsbehandlung als ganzheitliche Wirkweise berührt die Bereiche des Funktionellen, des Psychischen, des Pädagogischen und des Sozialen (vgl. Hünnekens/Kiphard, 1985, 20).

61motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

Die aufgeführten „Übungsbeispiele“ sind zur besseren Übersicht schemati-siert dargestellt. Sie beinhalten jedoch eigentlich keine Übungen, sondern Anregungen für die Zusammenstellung von „Menus“. Ein lebendiges Miteinan-der statt farbloses Nachahmen kann nur dann erreicht werden, wenn der Übungsleiter am Kind orientiert und phantasievoll Stundenabläufe „kompo-niert“ und auf Anregungen und Erfindungen des Kindes in der Förde-rung eingeht (vgl. Kiphard, 1966). Die Gliederung beinhaltet (vgl. Hünnekens/Kiphard, 1985):

1. Sinnes- und Körperschemaübungen:– Raumlage- und Gleichgewichts-

empfindung– Sehen, Tasten, Horchen– Körperorientierung– Raumorientierung– Visuell-motorische Übungen zur

Vorbereitung auf die Schule

2. Übungen der Behutsamkeit und Selbstbeherrschung:

– Zusammenstöße vermeiden– Klettern– Sprünge- Selbstbeherrschung (Balancieren,

Bremsübungen, Impulskontrolle, „Leiseübungen“, Behutsamkeit, Reaktion

– Anpassen an die Gemeinsamkeit– Geschicklichkeit

3. Rhythmisch-musikalische Übungen:– rhythmische und dynamische

Bewegungsübungen– Schulung des musikalischen Gehörs– Hören von Musik, Bewegen nach

Musik

4. Übungen des Erfindens und Darstellens:– Erfinderische Selbsttätigkeit– Improvisation und Darstellung– Tierspiele– Tätigkeitspantomimen– Situationsdarstellung– mimischer und lautlicher Ausdruck.

Themen waren u. a. Indianer-, Räuber-, Zirkus-, Fakir- oder Tierspiele, in denen verschiedene Aspekte wie z. B. Behut-samkeit oder Selbstbeherrschung zum Tragen kamen. Spiele wie Busfahrer (Foto), Autounfall, Arztszenen, sowie Treffball- oder Torballspiele und Versteckspiele wurden von den Kindern

eingebracht, gespielt und variiert. Kiphard hatte Yoga-Übungen in seinen eigenen Lebensalltag integriert. Zur Selbstwahrnehmung und Körperkontrolle führte er auch Stellungen aus dem Hatha-Yoga (z. B. Baum, Schildkröte) durch. Geschicklichkeits-Circuits nahm Kiphard interessiert von Georg Kessel-mann auf.

Pädagogisch-therapeutisches Vorgehen in der Psychomotorischen Übungs-behandlungDie Psychomotorik, das individuelle Bewegungsverhalten, wie es in der motorischen Persönlichkeit zum Ausdruck kommt, „wird bestimmt durch die Wesensart und das Selbstbild eines Menschen, durch sein psychisches Befinden, seine Einstellungen und seine Art zu denken und zu fühlen. Anderer-seits nimmt auch die Art und Weise, wie sich ein Mensch hält und bewegt, Einfluss auf seine Psyche – etwas, das wir pädagogisch und therapeutisch bewußt oder unbewußt zu nutzen versuchen“ (vgl. Kiphard, 1990, 174). Dieses Besondere, Einzigartige des Menschen gilt es in allen Förderstunden individuell zu beachten.Die therapeutische Grundhaltung, geduldig, offen, humorvoll, optimistisch und liebevoll zu sein und mit der eigenen Ausstrahlungskraft zu über-zeugen, muss gelebt und in den psychomotorischen Situationen spürbar werden. Zur Verdeutlichung sollen einige Facetten dargestellt werden, die bei Jonny Kiphard in besonderem Maße zu beobachten waren:•Der sprühende, ansteckende Funke,

der durch seine Art des Sprechens und Gestikulierens auf die Kinder übersprang, konnte große Begeiste-rung auslösen.

•Die spannende, neugierig machende, verlockende Aufgabenstellung, zum Beispiel durch Rätsel oder Zeichen-sprache, reizte zur Aufgabenbewälti-gung.

•Die differenzierte Art des Angebots ohne Zwang ermöglichte oft erst Bewegungsantworten der Kinder.

•Die Verständigung ohne Worte, durch Blickkontakt, das Signalisieren des Verstehens in der Not, half den Kindern Mut zu finden.

•Die Art und Weise, wie Kiphard sich in psychomotorische Situationen

einbrachte, sie mitlebte, z. B. als Clown oder auch als Tollpatsch, weckte die Funktionslust der Kinder.

•Das Hineinfühlen in die Interessen und Aktivitäten führte auf eine gemeinsame Ebene.

•Die druckfreie Umgangsart minderte Ängste.

•Die „feste, ordnende Hand“ mobili-sierte innere Ordnungskräfte.

•Die Bereitschaft, sich fesseln oder bewerfen zu lassen, mitzuraufen, half den Kindern, ihre Aggression zu kana- lisieren und Grenzen zu erkennen.

Im Rahmen der Psychomotorischen Übungsbehandlung sieht und sichert der Therapeut kleinste Erfolgserlebnisse und er trägt dazu bei, dass jedes Kind seinen Platz in der Gruppe findet. Die jeweiligen Rollen, die dem Thera-peuten in den verschiedensten Szenen und Situationen zur Verfügung stehen, sind nahezu unerschöpflich, sollten jedoch stets von Echtheit geprägt sein. Das übergeordnete Ziel besteht darin, das Kind zu ermutigen, dass es sein Leben selbst bewältigt (vgl. Schäfer, 1989).Der individualpsychologische Ansatz (vgl. Dreikurs, 1964), dem Kind demo-kratisch-partnerschaftlich zu begegnen, es zu ermutigen statt zu strafen, es zu achten, seine „irrtümlichen“ Nahziele wahrzunehmen, war eine große Hilfe besonders bei enthemmten Kindern. Die Orientierung am spieltherapeuti-schen Ansatz nach Axline (vgl. 1972) und Schmidtchen (vgl. 1999) ermög-lichte es dem Psychomotoriker, insbe-sondere ängstlichen, schüchternen Kindern Zeit zu geben und sie einfühl-sam zu verstehen. Diese Vorgehens-weise nahm Kiphard interessiert auf. 1970 meinte Dr. Hünnekens: „Im Grunde genommen kann mit der so praktizierten psychomotorischen Übungsbehandlung die Entwicklung als abgeschlossen angesehen werden.“ Trotz dieser Einschätzung erfuhr der Ansatz der Psychomotorischen Übungs-behandlung in der Folge eine weite Verbreitung und später auch Ausdiffe-renzierung.

Verbreitung der Psychomoto-rischen Übungsbehandlung

Das zunehmende Interesse an der PMÜ durch Veröffentlichungen und Vorträge

Kiphard und sein Werk

62 motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

von Kiphard und Hünnekens führte dazu, dass mehr und mehr nach Hospitationen, Tagungen, Informations-veranstaltungen gefragt wurde. Dem wurde seit 1961 in Gütersloh, später Hamm entsprochen. Der Landschafts-verband Westfalen-Lippe (Träger des Westfälischen Instituts für Jugend-psychiatrie und Heilpädagogik), das Landesjugendamt und die Klinikleitung in Hamm mit ihrem Direktor Dr. Hünnekens genehmigten Fortbildungs-veranstaltungen zur Psychomotorischen Übungsbehandlung für die Mitarbeiter in Heimen und Einrichtungen des Landschaftsverbandes, an denen auch interessierte Fachkräfte aus dem Bundesgebiet teilnahmen. Kiphard setzte sich in dieser Zeit vermehrt mit der außerschulischen Heilpädagogik und der schulischen Sonderpädagogik und mit verschiedenen Behinderungs-formen auseinander. Ab 1965 fand ein reger Austausch u. a. mit Flosdorf und Rieder vom Heilpädagogischen Seminar der Universität Würzburg statt. Die Psychomotorik etablierte sich damit vermehrt in der Heilpäd-agogik.Mit H. Huppertz entstand 1968 das Buch „Erziehung durch Bewegung“. Die Formulierung ist insofern von Interesse, als im Sport eher von Erziehung zur Bewegung gesprochen wird. Kiphards Bestreben war es, psychomotorisches Gedankengut vermehrt in Schulen für Lernbehinderte zu tragen. Die dem Buch zugrunde liegende Konzeption wurde im Entwurf der Rahmenrichtlinien für den Sportunterricht an Lernbehinder-ten-/Sonderschulen aufgegriffen (vgl. 1976). Für die Unter-, Mittel- und Oberstufe wurden die folgenden Bewegungssituationen aufgeführt:a) Elementarerziehung: Sinnesübungen,

Erfindungsübungen (hierzu zählten z. B. Körper-, Bewegungs- und Materialerfahrungen), rhythmische Übungen

b) Sozialerziehung: Anpassungsübungen, Bewegungsspiele

c) Leistungserziehung: Geschicklich-keitsschulung, Gewandtheitsschulung (für die Mittel-/Oberstufe: Leichtath-letik und Turnen)

Ab 1966/67 entwickelten sich verstärkt Kontakte zur Bundesvereinigung Lebenshilfe. Die Bedeutung der Psychomotorik für die Förderung geistig Behinderter rückte damit vermehrt ins

Blickfeld, so dass die Psychomotorische Übungsbehandlung Einzug in die Geistig- behindertenpädagogik fand. Dies führte u. a. auch zur Durchführung zahlreicher Fortbildungslehrgänge.Die Arbeitsgemeinschaft zur Förderung haltungsgefährdeter Kinder und Jugendlicher in Düren bemühte sich 1966, Kiphard für das Thema Koordina-tionsschwächen und -störungen unter psychomotorischer Sicht zu gewinnen, Lehrgänge waren die Folge. Die Psycho-motorik wurde dadurch zu einem festen Bestandteil im Schulsonderturnen (vgl. Schäfer, 1989).Die Psychomotorische Übungsbehand-lung (teilweise auch als „heilpädagogi-sche Leibesübung“ oder „psychomotori-sche Therapie“ bezeichnet) konnte sich damit in vielen Fachbereichen fest verankern. Im Jahr 1984 wurde die AG Psychomotorik schließlich auch im Zentralverband der Krankengymnasten aufgenommen.

Weiterentwicklung von psycho- und sensomotorischen Verfahren und MaßnahmenKiphard hatte sich im Rahmen seiner klinischen Tätigkeit intensiv mit dem Thema Koordination befasst und war dabei auf eine Lücke gestoßen: Die verfügbaren diagnostischen Verfahren zur Erkennung von Koordinations-schwächen bzw. -störungen waren unzulänglich. Um jedoch neue Verfah-ren zur Überprüfung der Bewegungs-koordination entwickeln zu können, mussten zunächst verschiedene Begriff- lichkeiten geklärt werden. Unter einer altersgemäßen Bewegungskoordination verstand Kiphard „das harmonische und möglichst ökonomische Zusammenwir-ken von Muskeln, Nerven und Sinnen zu zielgenauen, gleichgewichtssicheren Bewegungsaktionen (Willkürmotorik) und schnellen, situationsangepassten Reaktionen (Reflexmotorik)“ (Kiphard, 1977, 11).Unter der Koordinationsschwäche als Zustandsbild einer gesamtmotorischen Instabilität waren für Kiphard „qualita-tive Mängel bei der Bewegungsführung zu verstehen, die auf ein unvollkom-menes Zusammenwirken des sensu-neuro-muskulären Funktionsgefüges zurückzuführen sind“ (ebd., 18). Eine Koordinationsschwäche kann Ausdruck einer leichten Normabweichung in der

koordinativen Leistungsfähigkeit sein, die individuell ohnehin stark variiert, sie kann aber auch auf Hirnreifeverzöge-rungen oder leichtere Hirnstörungen zurückzuführen sein (vgl. ebd.). Nach Kiphard sollten Koordinationsschwä-chen im Rahmen des Schulsonder-turnens verbessert werden. Bei einer Koordinationsstörung handelt es sich hingegen um „eine hochgradige, krankhafte Veränderung der Bewe-gungsqualität, die zu einer schweren Leistungsbeeinträchtigung im Motori-schen führt“ (ebd., 21). Dabei spielt „immer ein krankhaftes Geschehen im Zentralnervensystem eine ursächliche Rolle. Das pathologische Extrem bilden die klassischen Nervenkrankheiten wie Chorea minor, Athetose, Ataxie u. a. m.“ (ebd.). Bei Koordinationsstörungen ist nach einer fachärztlichen oder bewe-gungsdiagnostischen Untersuchung für Kiphard eine Psychomotorische Übungsbehandlung bzw. – bei schweren Bewegungsstörungen – eine gezielte krankengymnastische Spezialbehand-lung angezeigt (vgl. ebd.).Wie lassen sich nun Koordinationsleis-tungen, -schwächen bzw. -störungen diagnostisch adäquat erfassen? Nachdem im Jahr 1961 in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Gütersloh ein Trampolin als Therapiegerät angeschafft wurde, folgten ab 1962 Trampolin-reihenuntersuchungen und in der Folge entstand der Trampolin-Körperkoordi-nations-Test (TKT), zu dem seit 1963 erste Veröffentlichungen vorgelegt wurden (vgl. Hünnekens/Kiphard, 1963a, 1963b). Ziel des TKT war die Bewegungs-kategorisierung anhand einer Beurtei-lungsskala für die Standardsituation des aufrechten Standsprungs auf dem großen Trampolin (vgl. Kiphard, 1977, 53). Dabei lag die Einmaligkeit dieses adaptiven Bewegungsvollzugs „in dem spontanen Appell an das gesamte sensumotorische Koordinationssystem, welches zur Bewältigung dieser neuartigen motorischen Situation auf dem gefederten Sprungtuch aufgeboten wird“ (ebd.). Bei Kindern, die bereits Vorerfahrungen auf dem großen Trampolin haben, ist es demgegenüber schwierig bis unmöglich, anhand des TKT eine Überprüfung der Gesamtkör-perkoordination vorzunehmen. Bei allen anderen werden mit dem Trampolin jedoch „nicht nur grobe Störungen, sondern auch feinere Steuerungs- und

63motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

Anpassungsschwierigkeiten fast wie durch eine Lupe vergrößert gesehen“ (ebd., 53 f.).Die unbefriedigenden motodiagnosti-schen Ergebnisse mit der Oseretzky-Skala führten des Weiteren zur Ent-wicklung der anfangs sogenannten „motometrischen Funktionsprüfung“ (Hünnekens/Kiphard/Kesselmann, 1967). Bereits 1964 begannen Zusammenstel-lungen diagnostischer Aufgaben. 1965 konnte im Rahmen eines Forschungs-auftrages der Deutschen Forschungs-gemeinschaft über Bewegungsdiagnos-tik bei frühkindlich hirngeschädigten Kindern die Arbeit fortgesetzt werden. Ab dem Jahr 1967 konnte durch Kontakte zum Institut für ärztlich-pädagogische Jugendhilfe der Universi-tät Marburg (Prof. Stutte) zur wissen-schaftlichen Unterstützung und für testtheoretische Grundlagen Friedhelm Schilling gewonnen werden. So ent- stand aus der motometrischen Funk-tionsprüfung zunächst der Hamm-Marburger Körperkoordinationstest für Kinder (HMKTK) (vgl. Kiphard/Schilling, 1970) und später dann der Körper-koordinationstest für Kinder (KTK) (vgl. Schilling/Kiphard, 1974; 2007). Der Test fand großen Zuspruch und es kam in den Jahren danach zu einer starken Verbreitung des KTK.Die zahlreichen Kontakte Kiphards ins europäische und außereuropäische Ausland führten zur Verarbeitung und Integration vielfältiger Informationen, Anregungen und Erkenntnisse. Der Jahresbericht der Kinder- und Jugend-psychiatrie Hamm aus dem Jahr 1969 gibt Auskunft über einige von Kiphards Vortragstätigkeiten: „Herr Kiphard hielt vom 05.–06.02.1969 im Institut Pedagogique Luxemburg auf Einladung von Prof. R. Decker einen zweitägigen Einführungskurs über bewegungsdiagnostische und -thera-peutische Probleme für die Studenten und einige Fachseminare für den Lehrkörper des Instituts.Daran anschließend flog Herr Kiphard nach den USA vom 10.02.–23.03.1969, um einen Lehrauftrag als Guest Lecturer an der University of Wisconsin in Madison über Bewegungstherapie und Heilpädagogische Leibeserziehung wahrzunehmen. An Wochenenden hielt er Lehrgänge an den Universitäten in Madison, Milwaukee, Oshkosh, Meno-monie, Stephans Point ab sowie in

Instituten, Schulen, Heimen, Anstalten für geistig Behinderte, Montessori-Kindergärten und für die Fachvereini-gung für Bewegungstherapie (…).Im Anschluss an diese Gastdozentur bereiste Kiphard vom 24.03.–24.04.1969 auf einer Vortragstour eine Reihe von Universitätsstädten, u. a. Columbus (Ohio), Purdue/Lafayette (Indiana), Philadelphia (Pennsylvania), New York, Denver (Colorado), San Francisco und Los Angeles (California). Herr Kiphard hatte dabei weitgehend Gelegenheit, sich über den neuesten Stand diagnos-tischer und therapeutischer Methoden in den USA zu informieren (…).Darüber hinaus nahm Kiphard auf eigene Kosten an einem einwöchigen Intensivtrainingskurs am Doman-Dela-cato-Institut in Philadelphia teil und hospitierte dort eine weitere Woche, um die dortigen Behandlungsmethoden bei schwer hirngeschädigten Kindern in eigener Erfahrung kennen zu lernen (…).Er referierte danach über seine Erfah-rungen z. B. 1969 in Marburg: ‚Neue Methoden der Physiotherapie encepha-lopathischer Kinder in den USA’“.

Dieser erste Aufenthalt in den USA motivierte Kiphard, sich vermehrt mit der Sensomotorik auseinander zu setzen. Bereits 1966 beschrieb Kiphard in seinem Buch „Unser Kind ist unge-schickt“ Beispiele von Kindern, die mit sensomotorischen Problemen auffielen und den Eltern Sorge bereiteten. Er stellte ein Übungsprogramm für 2- bis 10-jährige Kinder als Empfehlung zur Förderung und zur „Entwicklungsein-stufung“ zusammen.Ab dem Jahr 1969 begann Kiphard sich für diese Kinder einzusetzen. Für die entwicklungsgestörten Kinder – insbe-sondere die unter 3-Jährigen Mehrfach-behinderten – fehlte eine „sensumotori-sche Frühdiagnostik und Frühtherapie“ (Vortrag von Kiphard (1971) auf dem Internationalen Motorik-Symposium in Frankfurt). Mit den bisherigen diagnos-tischen Möglichkeiten konnten diese Kinder kaum erfasst werden. Entwick-lungsdiagnostische Angaben aus der Literatur, Recherchen, eigene Erfahrun-gen und besonders Erkenntnisse aus der Arbeit von Doman und Delacato gaben den Anstoß zur Erstellung des Senso-motorischen Entwicklungsgitters (Kiphard, 1975) und einer geeigneten

Sensomotorischen Übungsbehandlung. 1973/74 legte er das Sensomotorische Entwicklungsgitter II – Feinsieb – vor (vgl. ebd.). Es umfasste:•Angaben zum Entwicklungsalter von

0–7 Jahren•Entwicklungs-Prüfaufgaben in den

Bereichen optische Wahrnehmung und Handmotorik, Körpermotorik (Statik/Dynamik), Sprachmotorik und akustische Wahrnehmung. Taktile Wahrnehmungsbeispiele waren nur im Film zu sehen. Später wurde der Bereich Sozialkontakt/psychosoziales Entwicklungsgitter ergänzt.

In dem Buch „Wie weit ist ein Kind ent- wickelt?“, in dem Kiphard das Entwick-lungsalter von 0–4 Jahren abdeckt, schreibt er: „Die folgenden Aufgaben dienen nicht allein der Entwicklungs-überprüfung. Sie stellen außerdem ein gezieltes Übungsprogramm zur systematischen Förderung entwick-lungsrückständiger Kinder dar“ (vgl. Kiphard, 1975, 14). Kiphard führte mit Eltern und ihren behinderten Kindern (die ambulant zum Westfälischen Institut für Jugendpsychiatrie und Heilpädagogik nach Hamm anreisten) die Entwicklungsüberprüfung durch und erstellte für sie ein Haustrainings-programm. Andreas Fröhlich, der sich mit Wahr-nehmungsstörungen und Wahrneh-mungstraining bei Körperbehinderten/ Schwerstbehinderten im Rahmen der Basalen Stimulation befasste, schrieb zusammen mit Kiphard 1981: „Die Bedeutung einer systematischen Sensibilisierung der Lage- und Bewe-gungsempfindung für die Entwicklungs-förderung hirngeschädigter Kinder“ (in: Zschr. Krankengymnastik, 33 (1981) 8, 479 ff.).Kiphard knüpfte darüber hinaus enge Kontakte zu Cratty, Keogh, Kephart, Frostig und Ayres. Immer wieder reiste er für Forschungsaufenthalte in die USA. Kontakte unterhielt er außerdem zu Hochleitner (Linz), Naville (Schweiz), Decker (Luxemburg), Wiegersma (Holland) und vielen anderen. Interna-tionale Motorik-Symposien wurden geplant und durchgeführt. Das Erste fand 1968 in Hamm mit dem Schwer-punktthema „Motodiagnostik“ statt, das 2. Internationale Motorik-Symposi-um lief 1971 in Frankfurt unter dem Thema „Die Bedeutung der Motorik für die Entwicklung normaler und behin-

Kiphard und sein Werk

64 motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

derter Kinder“, das Dritte fand 1973 in Luxemburg unter dem Titel „Motorik im Vorschulalter“ statt.

Vom Arbeitskreis zum Aktionskreis Psychomotorik e.V.

An der Verbreitung der Psychomotori-schen Übungsbehandlung und an der Fortbildung von Multiplikatoren waren in den Jahren zwischen 1960 bis 1973 Hünnekens, Kesselmann, Kiphard, Schäfer und Schilling beteiligt. „Offen-sichtlich fehlte es jedoch an speziell ausgebildeten Bewegungsexperten, denn der Bedarf an präventiven Hilfen für bewegungsauffällige Kinder sowie Therapie für entwicklungsgestörte Kinder war sehr groß“, so meinte Kiphard. Vor diesem Hintergrund fassten Hünnekens, Kiphard und Schilling auf dem mittlerweile histori-schen „Waldspaziergang“, der 1973 im Sauerland stattfand, einen Plan. Zukunftsweisend verfassten sie eine Resolution unter dem Titel „Der psycho- motorische Therapeut – Grund legung einer neuen Fachdisziplin der Motologie.“ Dies war die Geburtsstunde der Moto- logie (vgl. Schäfer, 1998, 83).1974 bildete sich schließlich eine nicht- organisierte interdisziplinäre Interes-sengemeinschaft, ein Arbeitskreis „Aktionskreis spezielle Bewegungs-pädagogik und psychomotorische Therapie“. Unter der Federführung von H.-J. Müller aus dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft (Köln) wurde der erste Arbeitsbericht mit Entwürfen für berufsbegleitende Fortbildungen, Fachschul-, Fachhochschul- und Studiengänge an Universitäten erstellt. In Veröffentlichungen (u. a. TUS 9/1974) und auf Kongressen (z. B. 1975 in Berlin „Die menschliche Bewegung“) appel-lierte Kiphard an die Fachöffentlichkeit und wies auf die Lücke in der Berufs-ausbildung von Bewegungsfachleuten hin. Im Jahr 1975 fand in Hamm eine Arbeitstagung für spezielle Motopäda-gogik und Mototherapie für Schulleiter und Dozenten der Heilpädagogik und Sportpädagogik statt (Referenten: Hünnekens, Kiphard, Schäfer). Die Initiatoren wollten damit den ersten Schritt machen, um diese Lücke zu schließen. Auf der ersten konstituierenden Arbeitssitzung 1975 in Hamm wurde

der erste Schritt zur Vereinsgründung gelegt (außer den Mitarbeitern aus Hamm nahmen Burmeister, Hahn, Jetter, Kesselmann, Kiefer, Klenner, Müller, Plass, Schilling und van der Schoot teil). Und dann war es soweit – am 1. April 1976 wurde mit der Gründungsversammlung die Vereins-gründung unter dem Namen „Aktions-kreis Psychomotorik e.V.“ rechtsgültig vollzogen. Gründungsmitglieder waren: Dr. H. Hünnekens (1. Vorsitzender), Hamm, Dr. F. Schilling (stellvertretender Vorsitzender), Marburg, Dr. E. J. Kiphard (stellvertretender Vorsitzender), Hamm, B. von Renteln (Geschäftsführer), H. Brinkmann, H. Güttinger und H. Sinnhuber (alle aus Hamm).H.-J. Müller hatte eine Satzung vorge- legt, die von der 1. Mitgliederversamm-lung 1976 verabschiedet wurde. Nach dieser Satzung besteht das besondere Anliegen des Vereins in der Entfaltung und Förderung der kindlichen Psycho-motorik als Grundlage einer harmoni-schen Persönlichkeits- und Sozialent-wicklung, verbunden mit Aufgaben der Aufklärung, Information, Fachberatung, Veranstaltung von Fortbildungen, Entwicklung von berufsspezifischen Ausbildungsgängen auf verschiedenen Ebenen u. a. (vgl. ebd.).Vor der Vereinsgründung konnten wir uns bereits nicht vor Anfragen retten, jetzt – nach dem Bekanntwerden des Aktionskreises Psychomotorik e. V. – stieg die Nachfrage noch weiter. Fragen nach Fortbildungen, Literatur, Referen-ten und Hospitationsmöglichkeiten usw. waren an der Tagesordnung. Die Fortbil-dungen, die wir bis dahin durchführten, waren allerdings nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Aus dieser Situation heraus wurden vom Aktionskreis Psychomotorik e. V. Kommissionen gebildet, die Bisheriges aufarbeiten, Grundlagen bilden und Curricula erstellen sollten.Die 1. Zeitschrift „Psychomotorik“ erschien 1976, zunächst mit Jonny Kiphard als kommissarischem Schriftlei-ter, der später dann von Dr. Hünnekens, Prof. Dr. Schilling, Dr. Neuhäuser und ab der zweiten Ausgabe 1977 von H.-J. Müller als verantwortlichem/geschäfts-führendem Redakteur abgelöst wurde. 1978 wurde dann der Verlag gewechselt und seitdem heißt die Zeitschrift „Motorik – Zeitschrift für Motopädago-gik und Mototherapie“.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der Aktionskreis Psycho-motorik e. V. maßgeblich auf den Ideen und Arbeiten zur Psychomotorischen Übungsbehandlung von Kiphard und Hünnekens basiert; sie stellten von Beginn an die zentralen Initiatoren und Motoren dar. Mit der Vereinsgründung war zugleich der Grundstein zur Weiterentwicklung und wissenschaftli-chen Fundierung der Psychomotorik gelegt und gesichert.

Begriffliche Umorientierung und wissenschaftliche Fundierung der Psychomotorik/Motologie 1976/77 nahm das „Kernteam“ – bestehend aus Burmeister, Hünnekens, Irmischer, Kesselmann, Kiphard, Leger, Schäfer, F. Schilling, T. Schilling – in der vom Aktionskreis Psychomotorik e. V. berufenen Experten-Kommission seine Arbeit auf. Die 1977 in Neustadt auf der Mitgliederversammlung gebildete Grundlagenkommission befasste sich weiter mit der wissenschaftlichen Fundierung der Motologie (zum Kern- team kamen 1978 Altherr, Baedke, Bielefeld, Brinkmann, Eckert, Mechling, Poerschke und Zimmer dazu). Die Grundlagenkommission beendete 1979 ihren Auftrag und legte die folgenden Definitionen für ein einheitliches Begriffsverständnis vor:Motorik: „Bewusstes und unbewusstes Haltungs- und Bewegungsgesamt des Menschen in der Funktionseinheit von Wahrnehmen, Erleben und Handeln“ (in Anlehnung an Homburger 1923).Neuromotorik: Neuromotorische Funktionsabläufe. Sensomotorik: Funktionseinheit von Wahrnehmen und Handeln.Psychomotorik: Funktionseinheit von Erleben und Sich-Bewegen.Soziomotorik: Aspekte der Interaktion und Kommunikation.Leistungsmotorik: Auf konkrete Ziele gerichtete mess- und bewertbare Bewegungsvollzüge.Der Oberbegriff Motorik schließt neuro-, senso-, psycho- und soziomoto-rische Aspekte mit ein. In der Förde-rung/Therapie können verschiedene Schwerpunkte, z. B. im Bereich Psycho-motorik oder Sensomotorik gesetzt werden.

65motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

Für den Fachbereich Motologie wurden die folgenden Definitionen erarbeitet (vgl. Schäfer, 1998, 84):Motologie: Lehre von der Motorik als Grundlage der Handlungs- und Kom-munikationsfähigkeit des Menschen, ihrer Entwicklung, ihrer Störungen und deren Behandlung.Motogenese: Aufbau, Differenzierung von Wahrnehmungs- und Bewegungs-mustern als Grundlage von Verhaltens-strategien.Motodiagnostik: Methoden zur qualita-tiven und quantitativen Erfassung menschlicher Motorik.Motopathologie: Lehre von motorischen Auffälligkeiten, Retardierungen und Störungen sowie deren Genese.Motopädagogik: Konzept der Persön-lichkeitsbildung über motorische Lernprozesse.Mototherapie: Bewegungsorientierte Methoden zur Behandlung von Auffäl-ligkeiten, Retardierungen, Störungen im Psychomotorischen Leistungs- und/oder Verhaltensbereich.

Grundlagen der MotopädagogikIn die zuvor genannten Bereiche ist die Motopädagogik eingebettet. Als Richtziel der Motopädagogik wurde von der Grundlagenkommission benannt: „Die Befähigung des Menschen über motorische Lernprozesse sich sinnvoll mit sich selbst, mit seiner dinglichen und personalen Umwelt auseinanderzu-setzen und entsprechend handeln zu können“ (Schäfer, 1998, 84). Aus dieser Formulierung können pragmatisch-motorische, sensorische, affektive, kognitive und soziale Ziele abgeleitet werden. Um eine bestmögliche Hand-lungskompetenz zu erwerben, wurde

diese in drei Kompetenzbereiche und dazugehörige Erfahrungsbereiche gegliedert (s. Tab. 1).

Grundlagen der MototherapieReichen motopädagogische Maßnah-men nicht aus, so ist Mototherapie angezeigt. Hierzu schrieb Hünnekens: „Da im Bereich der pathologischen Motorik, also den motorischen Auffällig-keiten, Retardierungen und Störungen, organische Schäden den normalen und harmonisch abgestimmten Funktionsab-lauf der Motorik stören und behindern, ist eine mehrdimensionale, unter der Verantwortung eines Arztes stehende Diagnose notwendig“ (Hünnekens, 1981, 196). Mototherapie ist somit „eine auf ärztliche Indikation hin getroffene bewegungsorientierte Behandlungs-maßnahme. Sie wird von geschulten Bewegungsfachleuten durchgeführt, die meist diese Therapie in klinischen oder rehabilitativen Einrichtungen kleingrup-penweise oder als Einzeltherapie durchführen“ (ebd.).Die Mototherapie befindet sich im Schnittfeld zwischen Physiotherapie und Psychotherapie. „Behandlungsziel ist es, das pathogene Geschehen so zu verändern, dass weiteren Fehlentwick-lungen vorgebeugt, Defizitäres ausge-glichen wird, Entwicklungen in einzel-nen Funktionsbereichen nachgeholt bzw. Fehlentwicklungen im psycho-sozialen Bereich aufgefangen werden. Dies führt in der Regel auch zu einer Stabilisierung des Patienten, zu mehr Handlungsspielraum, zu mehr Eigen-ständigkeit und zu einer Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit, so dass er zunehmend auf neue Situationen adäquat reagieren kann. Da die

Störproblematik mehrdimensional und entwicklungsorientiert behandelt wird, vermindert dies den Leidensdruck und führt zur Wiederherstellung des Selbstwertgefühls. Damit werden Blockaden abgebaut und die Voraus-setzungen geschaffen, dass der Patient entsprechend seinen Fähigkeiten wieder aktiv die Umweltanforderungen bewäl- tigen kann“ (Mototherapie-Kommission, 1988).Dies ist u. a. das Ergebnis der Moto-therapie-Kommission, die vom Vorstand des Aktionskreises Psychomotorik e. V. zwischen 1983 und 1988 eingesetzt wurde (Mitglieder: Borgmeier, Dörnfeld, Göbel, Kiphard, Knab, Neuhäuser, Schäfer, Schilling, sowie später Schäfer-Bier und Denzer von den Berufsverbän-den der Motologen bzw. der Motopä-den) (vgl. hierzu auch Neuhäuser, 1990, 122; Hünnekens/Kiphard, 1990, 37). 1988 reichte Neuhäuser einen Antrag zur „Verordnung von Mototherapie im Rahmen der kassenärztlichen Versor-gung“ an die kassenärztliche Bundes-vereinigung ein, der jedoch leider ablehnend beschieden wurde.Als Resultat der dargestellten Verwis-senschaftlichung der Psychomotorik wurde etwa seit 1976/77 kaum noch von der Psychomotorischen Übungsbe-handlung (oder auch der psychomotori-schen Erziehung/Förderung/Therapie bzw. der heilpädagogisch-psychomoto-rischen Leibeserziehung, wie Kiphard es einmal genannt hatte) gesprochen. Stattdessen hatten sich die beiden Begriffe Motopädagogik und Moto-therapie fest etabliert.

Theoretische Grundlagen der Motologie Um dem wissenschaftlichen Anspruch zu genügen, wurden viele Modelle und Theorien zur Erklärung und Begründung motologischen Denkens und Handelns herangezogen, hierzu gehörten unter anderem:•Das Funktionskreismodell von

von Uexküll,•die Gestaltkreistheorie von

von Weizsäcker,•das Adaptationsmodell modifiziert

von Schilling,•Handlungstheoretische Konzepte von

Leontjew,•die Entwicklungstheorie von Piaget,•die Theorie der psychosozialen

Entwicklung von Erikson,

Tab. 1: Kompetenz- und Erfahrungsbereiche in der Motopädagogik

Kompetenzbereich Erfahrungsbereich

Ich-Kompetenz Körpererfahrungen: den eigenen Körper wahrnehmen, erleben, seine Bewegungsmöglichkeiten handelnd erproben

Sach-Kompetenz Materialerfahrungen: sich der Umwelt anpassen bzw. sich die Umwelt anpassen, sie verändern, über Wahr-nehmungen, Erleben, Handeln in und mit materialen Umweltgegebenheiten

Sozial-Kompetenz Sozialerfahrungen: sich an andere anpassen bzw. andere sich anpassen über wahrnehmendes, erlebendes, handelndes Kommunizieren und Interagieren

Kiphard und sein Werk

66 motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

•die Theorie der sensomotorischen Entwicklung und materialen Erfah-rung von Scherler,

•Entwicklungspsychologische Theorien von Oerter, Montada, Nickel u. a.,

•Phänomenologie der Wahrnehmung von Merleau-Ponty sowie

•die Spieltheorien von Fröbel, Zulliger, Axline u. a.

Ansätze von Cratty, Keogh, Ayres und Frostig (USA), Naville, Ajuriaguerra, Lapierre, Vayer, Aucouturier (Schweiz und Frankreich), Arbeiten von Montes-sori sowie die Rhythmische Therapie von Scheiblauer u. a. wurden von Kiphard, aber auch von anderen Autoren zunehmend – sowohl in die Praxis als auch in die Theorie – integriert.Die Auseinandersetzung mit „neueren“ Theorien in der Weiterentwicklung der Psychomotorik fand im Rahmen der Ausdifferenzierung der Ansatzlandschaft statt; zu nennen sind hier insbesondere:•der handlungs- und kompetenzorien-

tierte Ansatz (Kiphard, Schilling u. a.),•der kindzentrierte Ansatz (Zimmer,

Volkamer, orientiert an Axline, Schmidtchen u. a.)

•die systemisch-konstruktivistischen Positionen (Balgo, orientiert an Bronfenbrenner, Luhmann, Maturana, Varela, Ludewig u. a.)

•der Verstehende Ansatz (Seewald, orientiert an Erikson, Merleau-Ponty, Cassirer u. a.).

Auf diese Ansätze und Theorien stützt sich das Vorgehen in der Motopädago-gik bzw. Mototherapie maßgeblich. Zugleich fanden diese Theorien und Ansätze Eingang in zahlreiche Aus-, Fort- und Weiterbildungen.

Aus-, Fort- und WeiterbildungenLaut Satzung des Aktionskreises Psycho- motorik e.V. gibt sich der Verein u. a. folgende Aufgabe: „Durchführung von Lehrveranstaltungen und Fortbildungs-kursen für Mitglieder. Entwicklung berufsspezifischer Ausbildungsgänge auf Fachschul-, Fachhochschul- und Universitätsebene.“ Einige ausgewählte Beispiele sollen verdeutlichen, auf welche Vorerfahrungen dabei zurückge-griffen werden konnte: Ab Januar 1969 unterrichtete Kiphard schon an der Berufsfachschule für Gymnastiklehrerinnen (Ehemalige Bundesschule für Körperbildung und rhythmische Erziehung) in Essen „als

ständige Gastlehrkraft“ für einen Nach- mittag pro Monat das Fach Heilpäd-agogik mit dem Schwerpunkt Psycho-motorik. Kiphard entwickelte 1974 Rahmenrichtlinien für die Ausbildung von Gymnastiklehrerinnen, die maß-geblich auf psychomotorischen Grund - gedanken basierten.• In der Schweiz bildete Suzanne Naville

am Heilpädagogischen Seminar Zürich bereits seit 1972 Psycho-motoriktherapeuten im Rahmen eines zweijährigen Ausbildungsgangs aus.

•Dietrich Eggert begegnete Kiphard bereits 1968. Er führte ab 1970 mit Studenten der Sonderpädagogik in Hannover Projekte zum „Psychomoto-rischen Training“ durch und widmete 1975 Kiphard sein Buch mit dem gleichnamigen Titel.

•Wolfgang Klenner kam mit Hans Burmeister zur Beratung nach Hamm zu Kiphard, um die Psychomotorik vermehrt im Heilpädagogischen Institut in Senne/Bielefeld in den Lehrplan zu integrieren.

Insgesamt kann rückblickend festgestellt werden, dass die Nachfrage nach konkreten psychomotorischen Aus-, Fort- und Weiterbildungskonzepten sehr groß war. Die Tätigkeit der vom Vorstand des Aktionskreises Psycho-motorik e.V. 1976 einberufenen Curriculum-Kommission resultierte in einem besonderen Interesse an Ausbildungsgängen: •Dr. Friedhelm Schilling beabsichtigte

einen sechssemestrigen Grund- bzw. viersemestrigen Aufbaustudiengang zum Diplom-Motologen zu entwi-ckeln. Er hatte 1976 den Ruf für eine Professur für Sportpsychologie am Sportwissenschaftlichen Institut der Universität Marburg erhalten.

•Hans Adolf Burmeister und Dr. Peter Altherr wünschten an der Gymnastik-schule in Neustadt/Weinstraße eine Ausbildung zum Mototherapeuten bzw. ein Zusatzstudium für Gymnas-tiklehrerinnen.

•Dr. Manfred Poerschke und Johannes Gockel wollten in Dortmund eine Fachschulausbildung für Gymnastik-lehrerinnen zum staatlich geprüften Motopäden gründen.

•Karin Gerhard beabsichtigte eine Zusatzqualifikation für die private Berufsfachschule für Gymnastiklehre-rinnen in Essen.

Der Auftrag an die Curriculum-Kommis-sion (Mitglieder: Baedke, Schulke, Burmeister, Irmischer, Roob, Schäfer, Schilling, Kesselmann, Poerschke, Brink- mann, Leger, später Altherr, Hilden-brandt, Wieland, Ungerer) lautete, eine vorläufige Empfehlung für die Lehrplan-gestaltung in Theorie und Praxis der Psychomotorik auszuarbeiten. Die Arbeit dieser Kommission war auf verschiedenen Ebenen von Erfolg gekrönt: Am 01.08.1977 beginnt der Modellversuch der einjährigen Ausbil-dung zum staatlich geprüften Moto-päden an der Fachschule für Bewe-gungstherapie – Motopädie in Dort- mund, genehmigt vom Kultusministeri-um des Landes Nordrhein-Westfalen. Unter der Leitung von Dr. Poerschke lehrten dort die folgenden Dozenten: Roob, Kiphard, Schäfer, Schilling und Kesselmann.Im Jahr 1983 startet an der Phillips-Universität Marburg der Diplom-Auf-baustudiengang Motologie unter der Leitung von Friedhelm Schilling und seinem Mitarbeiter Tilo Irmischer. Neben anderen erhielten Jonny Kiphard und Georg Kesselmann Lehraufträge. Vorrangiges Anliegen des Aktionskreises Psychomotorik e. V. war es jedoch, eine berufsbegleitende Fortbildungsreihe zu konzipieren. Federführend dafür war Tilo Irmischer. Er wurde Leiter des Referats Fortbildung und ab 1991 Leiter der Akademie für Motopädagogik und Mototherapie. Die Curriculum-Kommis-sion entwarf vier einwöchige aufeinan-der aufbauende Kurse mit der Bezeich-nung „Zusatzqualifikation Motopäd- agogik“. Der erste Kurs „Einführung in die Motopädagogik“ unter der Leitung von Irmischer und Kiphard fand im September 1978 in Hamm statt. 1979 folgten Aufbaukurse. In allen Kursen stand insbesondere die Selbsterfahrung zur Ich-, Sach- und Sozialkompetenz im Vordergrund, gekoppelt mit Reflexi-onen und theoretischen Auseinander-setzungen. Im April 1979 führte der Aktionskreis Psychomotorik e. V. eine Fortbildungs-veranstaltung für Ausbilder durch. Das Lehrteam für die Kursreihe Motopäda-gogik des Aktionskreises Psychomotorik e. V. bestand aus den Mitgliedern der Kommissionen und konnte mit der Zeit erweitert werden z. B. durch Miedzinski, Doll-Tepper, Höhne, Zimmer, Göbel, Bouachba. Das Konzept für die Moto-

67motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

pädagogik-Fortbildung wurde mehrfach aktualisiert und überarbeitet und im Zuge dessen entstanden zahlreiche Lehrbriefe zur Kursreihe.Auch Kiphard bezog sich auf Ergebnisse, die die Grundlagen- und Curriculum-Kommission erarbeitet hatten, und verfasste 1979 das Buch „Motopädago-gik“ und in Fortsetzung 1983 die beiden Bände „Mototherapie – Teil I und Teil II“ zur Psychomotorischen Entwicklungs-förderung. In diesen Veröffentlichungen trägt Kiphard sein Wissen und seine jahrzehntelangen Erfahrungen (ange-fangen von 1955 bis zum Erscheinen der Bücher) noch einmal zusammen. Dr. Hünnekens würde resümierend sicherlich sagen: Wir haben mit diesen Ergebnissen alles erreicht, was wir uns mit der Gründung des Aktionskreises Psychomotorik e.V. vorgestellt haben.

Rückkehr zu den Wurzeln

Kiphard hat all seine Energie in die Psychomotorische Übungsbehandlung sowie in ihre Weiterentwicklung und Verbreitung gesteckt und wurde dabei niemals müde, Neues zu entdecken, eigene Erfahrungen und die anderer aufzugreifen, zu forschen und neue Kontakte zu knüpfen. Er setzte zahlrei-che Impulse und war damit der Initiator für die Psychomotorik in Deutschland. Durch sein Wirken und durch die Spiel- räume, die Hünnekens ihm einräumte, wurde Hamm (ehemals Gütersloh) zur Wiege der Psychomotorik. Seine Publikationen, seine Auftritte sowie seine Filme, die er mit Hünnekens gedreht hatte, haben ihn berühmt gemacht. Beim Ausscheiden aus seinem Beruf äußerte Kiphard den Wunsch, wieder dahin zurückzukehren, wo einst seine Laufbahn begonnen hat: „Als Professor im Clownkostüm und als (Ver-)Zauberer will er die einfachen Wahrheiten und Erfahrungen seines Lebens an Menschen weitergeben und sich damit einen Herzenswunsch erfüllen. Wer könnte es wohl besser als er“ (vgl. Uni-Report der Universität Frankfurt vom 30.11.1988). Seinen Herzenswunsch hat er sich erfüllt, indem er sich wieder vermehrt der Clownerei und Zauberei widmete. Artistische Kunst stücke waren ihm nach Knie- und Herzoperationen nicht mehr möglich.

Als „Weltenbummler“ trug er die Psycho- motorik/Motopädagogik/Mototherapie auch nach seiner Emeritierung in zahlreiche Länder. Im Gepäck hatte er immer ein paar kleine Zauberutensilien, einige Vortragstexte und Videos, die Psychomotorik trug er dabei stets im Herzen. Wichtige Stationen seines Globetrotter-Lebens waren Südkorea, im Jahr 1991 Indonesien, Singapur, Russland und Georgien, im Jahr 1992 USA, Kanada, England, Frankreich, Österreich und Italien und im Jahr 1993 Kalifornien, Hawaii, Japan, Costa Rica u. a. Durch Fortbildungs-veranstaltungen, Vorträge und Ver-öffentlichungen hat Kiphard in der ganzen Welt Spuren der Psychomotorik hinterlassen.Nach seiner Emeritierung engagierte er sich außerdem für europäische Belange der Psychomotorik. Er blieb noch lange im Vorstand des Aktionskreises Psycho-motorik e.V., begleitete die Weiterent-wicklungen und publizierte. Bis 2008 trat er noch in der Öffentlichkeit auf. Die Rückkehr zum Begriff Psychomoto-rik, u. a. durch die Umbenennung der Akademie für Motopädagogik und Mototherapie in Deutsche Akademie für Psychomotorik sowie die Entwicklung der Berufsqualifikation Psychomotorik hätte Kiphard sicher unterstützt.

NachgedankenWas wurde inzwischen nicht alles in die psychomotorische Förderung/Therapie integriert! Die theoretischen Erkennt-nisse wie die praktischen Inhalte aus vielen Bereichen haben einerseits die psychomotorischen Konzepte berei-chert, andererseits vielleicht aber auch den ursprünglichen Rahmen der Psychomotorik gesprengt. Zahlreiche Inhalte und Ideen aus den psychomoto-rischen Arbeiten von Kiphard und der Weiterentwicklung durch den Aktions-kreis Psychomotorik e. V. wurden von anderen Disziplinen, Autoren und Praktikern übernommen, nicht zuletzt viele Übungen. Aber kann in der Psychomotorik nach einem vorgegebe-nen „Strickmuster“ gearbeitet werden? Können Übungen, Spiele und Erfah-rungssituationen eins zu eins übertra-gen werden? Damit verbunden ist nicht zuletzt die Frage, was das Besondere der Psychomotorik und der psychomo-torischen Förderung/Therapie war und

ist. Sind die Intentionen verstanden worden und zum Tragen gekommen? An dieser Stelle tut Rückbesinnung Not!Kiphard hat uns seine persönliche Art der Psychomotorik vorgelebt. Wer ihn gekannt hat, wird sich lebhaft daran erinnern. Die Aufgabe (und Chance!) für jeden Pädagogen, Therapeuten bzw. Psychomotoriker ist es, ebenfalls seine bzw. ihre ganz persönliche Form der Psychomotorik zu entwickeln und zu leben. Erst der Zugang zu und die Auseinandersetzung mit uns selbst sowie mit unserer Biographie eröffnen uns den Weg, Kinder bedingungslos anzunehmen und in ihrer Entwicklung zu begleiten. Die Wahl verschiedener psychomotorischer Methoden, Vorge-hensweisen und Ansätze in der psycho-motorischen Pädagogik bzw. Therapie hängt stets von unserer individuellen Einstellung ab und diese beeinflusst den Dialog mit unseren Klienten auf maßgebliche Art und Weise. Das Pädagogen-/Therapeutenverhalten ist damit ein zentraler Bestandteil in der psychomotorischen Arbeit.Zu Beginn haben wir in der Psychomo-torischen Übungsbehandlung mit den aus Sporthallen bekannten Geräten und Materialien gearbeitet. Daran schloss sich eine Zeit an, in der reizvolle psychomotorische Übungsgeräte in den Vordergrund der psychomotorischen Pädagogik/Therapie rückten (z. B. Rollbretter, Pedalos, Trimm-poline, Schwungtücher). Weichbodenmatten, Großgeräte, Schaukelkonstruktionen, Bewegungslandschaften, Trampoline und vieles mehr sind aus der Psychomo-torik nicht mehr wegzudenken. Aber ist das tatsächlich die Hauptattraktion? Sicher, diese Geräte und Aufbauten lösen einen Kick aus, der kaum zu ersetzen ist, aber macht das wirklich die psychomotorische Förderung/Therapie aus? Erlebnisse mit diesen Geräten und attraktive Konstruktionen helfen zwar unter Umständen Mut zu entwickeln, sie machen Spaß, sie fördern die motorische Entwicklung, aber reicht das – insbesondere, wenn es unüberlegt eingesetzt wird – aus, Kinder individuell und ihrer Entwicklung gemäß zu fördern?Übungen aneinander zu reihen, war niemals das Ziel der Psychomotorik. Es ging und geht immer um die gemeinsa-me Gestaltung von Situationen. Der

Kiphard und sein Werk

68 motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

Phantasiereichtum und die Kreativität der Kinder sind unerschöpflich, sie zeigen uns, was angesagt ist und öffnen sich in ihrem Spiel. Der Verlauf ist nicht vorhersehbar. Kinder offenbaren im Spielen, was für sie wesentlich ist, sie zeigen uns dabei ihre Entwicklungsthe-men und die Aspekte ihres Lebens, mit denen sie sich im Rahmen der Psycho-

motorik auseinandersetzen möchten. Es geht niemals allein um die Verbesse-rung der Wahrnehmung, der Koordina-tion oder des Sozialverhaltens. Kinder wirklich in ihrem So-Sein bestmöglich zu verstehen und die geeigneten Angebote zu initiieren, ist eine Kunst in der psychomotorischen Förderung bzw. Therapie. Dazu braucht es mitunter

Jahre der Erfahrung und die Bereit-schaft, sich immer wieder neu auf Unbekanntes und Unvorhersehbares einzulassen.Die Psychomotorik ist in ihrer Entwick-lung niemals abgeschlossen, die Zeiten ändern sich und wir mit ihnen. Ich wünsche der Psychomotorik alles Gute für ihre zukünftige Weiterentwicklung!

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69motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

Während der Heftvorbereitung entstand die Idee, Wegbegleiter von Jonny Kiphard zu verschiedenen Fragen und Blickwinkeln persönlich zu Wort kommen zu lassen. Von den insgesamt 26 per E-Mail angeschriebenen Persönlichkeiten haben uns dreizehn geantwortet, drei weitere sind in anderer Form in diesem Heft vertreten. Aufgrund der Menge an Antworten haben wir uns in Abstimmung mit den Autoren bemüht, möglichst viele unterschiedliche und prägnante Facetten darzustellen. Entstanden ist so ein sehr bewegendes und farbenfrohes Bild von Jonny Kiphard und seiner Art, Psychomotorik zu leben. Die Erlebnisse und Aussagen finden Sie in vier Abschnitte unterteilt in diesem Heft.

1. Blickwinkel: Was ist das prägnanteste Erlebnis, das Sie mit Jonny Kiphard verbinden?„Meine Erinnerung quillt über von solch überzeugenden Erlebnissen. Vorweg: Ich bewunderte sein Talent, seine Begabung und seine Fähigkeit, sich der

Sache ‚Psychomotorik’ und damit ‚dem Wohl des Kindes’ unterzuordnen. Dieses intuitive Erspüren dessen, was ‚sein Schützling’ oder seine Gruppe gerade in diesem Moment brauchte, hat mich von Anfang an fasziniert. Ich erinnere eine weitere Szene an der Uni Frankfurt: Jonny hat sich einem unzufriedenen, heftig schreienden Jungen – für den die Psychomotorik-Stunde viel zu früh zu Ende war – als Pferd angeboten: ‚Komm Cowboy, steig auf!’ Mit einem Liedchen und einem zufriedenen ‚Reiter’ ging es in langsamem Trab in den Umkleideraum.“ (Alfred Leger)

„In den 80er Jahren besuchte mich Jonny Kiphard einmal in meiner kleinen Wohnung in Marburg. Er kam gerade aus dem Bad, zog sich meinen Bade-mantel über, schlüpfte in meine Pantoffeln und meinte, komm wir gehen in die Lohmühle zum Frühschop-pen. Mir war schon mulmig, aber ich ging dann doch lachend mit – mög-lichst etwas hinter ihm. Wir liefen so durch die Straßen von vielen Blicken verfolgt, was meinem Jonny höllischen Spaß machte, vor allem dann, wenn wir auch noch Bekannte von mir trafen. Im Lokal angekommen, ließ er sich vom Kellner den Bademantel abnehmen und setzte sich mit mir an einen Tisch – völlig ernst, als sei das alles ganz normal. Er ging dann zum Nebentisch, an dem ein junges, mit sich selbst beschäftigtes Paar saß mit den Worten: ‚Darf ich ihre Blumen gegen meine tauschen, die sind nämlich viel schöner.’ Ich hörte den jungen Mann zu seiner Freundin flüstern: ‚Lass’ ihn nur, der ist doch verrückt.’ Nur in den Augen von Jonny konnte ich erkennen, dass er sich diebisch freute, Mimik und Gestik dagegen verrieten nichts. Jonny konnte solche Späße riskieren, weil er ein sehr guter Beobachter und Menschenkenner war und sich auch in heiklen Situatio-nen voll im Griff hatte. In dieser Form haben wir so manchen Spaß zusammen erlebt.“ (Friedhelm Schilling)

„Es ist vielleicht fünf Jahre her, dass ich in einer der Gründerkliniken der Psycho- motorik in Neuenkirchen-Vörden zu einem Festvortrag geladen war und gleichzeitig waren mit Georg Kessel-mann und Jonny Kiphard zwei Gründer-personen der Psychomotorischen Übungsbehandlung und Erziehung anwesend. Jonny hatte z. T. schon mentale Ausfälle und Gedächtnislücken, aber er konnte durchaus aufmerksam einem Vortrag folgen und diverse Ehrungen über sich ergehen lassen. Am Vorabend dieser Veranstaltung war ich zusammen mit Jonny Kiphard und seiner Frau zu einem Abendessen bei Georg Kesselmann eingeladen, das in einem Singlehaushalt recht improvisiert verlief und die beiden älteren Herren tauschten zunächst Studienerinnerun-gen von der Sporthochschule in Köln aus. Nach dem Essen wechselten wir ins Wohnzimmer und dort zeigte Georg Jonny sein Keyboard. Beide waren immer sehr musikalisch gewesen und in kürzester Zeit sangen die beiden Herren mit Keyboardbegleitung alte Schlager, die auch bei mir Jüngerem alte Erinne-rungen weckten, wie z. B. ‚Junge komm bald wieder‘, aber vor allem beeindruck-te mich das Duett dieser beiden, die in ihre psychomotorische Arbeit immer auch Live-Musik hatten einfließen lassen.“ (Gerd Hölter)

„Es muss so 1986/87 gewesen sein. Meine Frau und ich haben auf dem Weg in den Skiurlaub in Friedrichshafen am Bodensee Station gemacht. Wir waren eingeladen zu einer Veranstaltung mit Jonny Kiphard. Ein Saal im Kongress-haus, eine Bühne und Jonny als Clown auf dieser Bühne. Mit ihm fünf geistig behinderte Kinder, v. a. Kinder mit Down-Syndrom. Jonny war als ‚Dummer August’ verkleidet und sein Bestreben war, einen Liegestuhl aufzustellen. Er stellte sich ‚dumm’ an, und es klappte und klappte nicht. Und wie er in dieser Situation Hilfe von den Kindern erbat, wie er mit ihnen in einen Kontakt kam, wie er ‚mit-den-Kindern-war’, wie er sie

Wie Wegbegleiter Jonny Kiphard erlebt haben – Teil 1

Wie Wegbegleiter Jonny Kiphard erlebt haben – Teil 1

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ansprach, und wie sie ihm geholfen haben, das war eine Lehr stunde des Spiels, der Kommunikation, des Dialogs, der Beziehungsgestaltung und der Fürsorglichkeit. Und es wurde eine lebenslange Lehrstunde für uns. Diese Situation auf der Bühne war unglaub-lich berührend, wie er sie zu ‚Lehrern’ machte, wie sie ihm geholfen haben und wie wichtig und kompetent sich die Kinder fühlten. Und wie alle zum Schluss zu Siegern wurden. Welche Atmosphäre konnte er herstellen! Uns wurde damals bis heute prägend klar: Der Erfolg unserer Arbeit genießt den Blick auf die Art der Beziehungsgestal-tung und des Dialogs. Und das Lachen der Kinder und ihr Stolz, zu helfen und geholfen zu haben, das kann man nicht vergessen, wenn man es je gesehen und gespürt hat.“ (Michael Passolt)

„Wir haben Jonny Kiphard lange gekannt, nicht nur beruflich, sondern wir waren mit ihm auch freundschaft-lich verbunden. Beigefügtes Bild zeigt indirekt fast alles, was wir über ihn so ganz Besonderes zu sagen haben, was wir von ihm lernten, was wir an ihm liebten, was wir bei unseren Zusam-menkünften erlebten.Prof. Jonny Kiphard und Prof. Rudolf Ekstein begegnen sich erstmals und reichen sich, begeistert von einander, die Hände! Dahinter Gisela Gerbers Mutter strahlend und lachend. (…) Jonny Kiphard kam in diesem Jahr am 2. Mai 1992 in Wien an. Am 5. Mai waren wir zusammen wieder einmal bei einem Heurigen, am 6. Mai arbeitete er mit den Studierenden unserer Vorlesung „Rehabilitationspädagogik“ praxis-

orientiert an der Universitätsklinik für Neuropsychiatrie des Kindes- und Jugendalters und am Donnerstag, dem 7. Mai hielt er ebenda im großen Hörsaal einen eindrucksvollen Vortrag. Am 8. Mai war dann das ungewöhn-liche Abendessen bei uns zuhause und am nächsten Morgen flog Jonny wieder zurück nach Frankfurt.Rudolf Ekstein war wie jedes Jahr um diese Zeit von Los Angeles nach Wien gekommen. Im Jahre 1938 war er im Bewusstsein der nationalsozialistischen Gefahr in die USA emigriert. Seit Ende der 70er Jahre kehrte er alljährlich nach Wien zurück, um in verschiedenen Institutionen Vorträge zu halten und an der Universitätsklinik für Neuro-psychiatrie des Kindes- und Jugend-alters und anderen Einrichtungen Teambesprechungen, Supervisionen und Fallbesprechungen durchzuführen. Er war einer jener großen Tiefenpsycho-logen, der neben Anna Freud, Melanie Klein, Margret Mahler und anderen die Anwendung der psychoanalytischen Theorie für die Therapie von Kindern und Jugendlichen adaptiert und vorangetrieben hat. Wer Kiphard war, brauchen wir hier wohl nicht näher auszuführen. Basale, sinnesphysiologische Ansätze wurden von ihm weiter entwickelt und die Anregung und Schulung des Bewe-gungs- und Gleichgewichtsinnes gezielt in der Psychomotorik und Motopädago-gik umgesetzt. Dabei hat er schon früh das emotionale Erleben und die sozialen Kompetenzen oder Defizite der Kinder als bedeutende Anteile der Persönlich-keitsentwicklung berücksichtigt.“ (Toni Reinelt und Gisela Gerber)

„Mit dem Ansatz und der Arbeit Jonny Kiphards beschäftigte ich mich intensiv ab 1975 während meines sonderpäd-agogischen Studiums und lernte ihn kurze Zeit später bei einer Jahrestagung in Neustadt persönlich kennen: Am Mittagstisch neben mir sitzend beschuldigte er schmunzelnd in Gegen- wart des Kellners einen Minister aus Luxemburg, sein Besteck entwendet zu haben. Das zog er ihm dann tatsächlich aus der Tasche: Jonny, der Clown! Beim Kongress in Heidelberg saß er vor mir in meinem Vortrag, strahlte mich danach an und sagte ungefähr Folgen-des: ‚Es ist schon toll, was Ihr alle aus meinem Ansatz gemacht habt’. Jonny, der Meister!“ (Ingrid Olbrich)

„Das erste Kennenlernen beim Kongress in Brixen 1980: Professor Kiphard wurde mit seinem Vortrag angekündigt; in den Saal kam gebeugt ein Mann, der mit größter Anstrengung einen offensichtlich sehr schweren Stein auf die Bühne schleppte und der nach ein paar Worten zur Einführung in das Thema ‚Wahrnehmung’ diesen Stein ins Publikum schleuderte – entsetztes Aufspringen in den ersten Reihen – und Jonny konnte in aller Ruhe nachweisen, wie wir uns von unseren Wahrneh-mungsorganen schnell täuschen lassen und auf einen Schaumstoffstein hereinfallen. Aus dieser Begegnung in Brixen entstand eine intensive Freund-schaft, zumal wir dann erst bemerkten, dass wir in Frankfurt fast Nachbarn waren.“ (Wolfgang Kinzinger)

2. Blickwinkel: Welchen Einfluss hatte Kiphard auf die Entwicklung der Psychomotorik? a) In praktischer Hinsicht? b) In wissenschaftlicher Hinsicht? c) Im Hinblick auf deren Verbreitung? d) Im Hinblick auf den interdiszipli-

nären Austausch mit anderen Wissenschaften?

„Eine Initialzündung für die bewegende Sache der ‚Bewegung Psychomotorik’.a) Eine grenzenlose Fülle an Ideen zur praktischen Psychomotorik: (…). Das sichere Erspüren dessen, was die

r (Photo: Gisela Gerber)

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augenblickliche Situation der Gruppe erforderte. Das offene Ohr, der zugewandte Blick, das wertschätzende Lächeln, die anerkennenden Worte oder nonverbale Signale, das Mitgefühl bei Schmerz und Enttäuschung, sein Präsentsein.b) Das Vermitteln der wissenschaftlichen Wurzeln – was an Psychomotorik bereits vorhanden war in angrenzenden Fachbereichen, europäischen Ländern und global. Kiphards großer Verdienst in Sachen Bewegungs-beobachtung und Motodiagnostik ist der Aufbau eines diagnostischen Instrumentariums für die Psychomotorik. Angefangen mit dem Entwicklungsgitter über den KTK – mit Kesselmann entwickelt und von Schilling für die Praxis standardisiert, um Behandlungsfortschritte bei Schülern zu dokumentieren. Damals eine unschätzbare und wertvolle Hilfe, die Bedeutung der Psychomotorik darzustellen. Es folgte der TKT als motoskopisches Verfahren, das Bewegungsauffälligkeiten und -störungen ‚auf einen Blick’ deutlich machte und eine wertvolle Entscheidungshilfe war. (…) Der TKT hat (…) zweifelsfrei den Stellenwert der Psychomotorik für angrenzende Fachbereiche aufgezeigt und interessant gemacht.d) Jonny ist es mit seinem Werk ‚Psychomotorik’ gelungen, Pädagogen, Sport- und andere Bewegungsfachleute, Psychologen, Therapeuten, Mediziner und Neurologen ins Gespräch mitei nander zu bringen. Kiphard war der psychomotorische Brückenbauer in tatsächlichem, praktischem und in übertragenem Sinne.“ (Alfred Leger)

„Jonny Kiphard hat den Anfang gemacht. Er hat nicht nur bestehendes Übungsgut zusammengetragen, sondern es mit eigenen Ideen angereichert und durch Erfahrungen weiterentwickelt. Dabei schwankte er zwischen dem Anspruch, systematisch durch Übungen zu fördern – wie das in einer medizi nischen Einrichtung wohl von ihm erwartet wurde – und immer wieder das Unerwartete zuzulassen, die Eigen heiten der Kinder zu akzeptieren. Es war bei ihm, soweit ich ihn kenne, immer auch ein leichter Hang zur Provokation des Unerwarteten, zum Spiel mit Gewohnheiten und zur Freude an der Verblüffung seines Gegenübers zu spüren. In wissenschaftlicher Hinsicht schätze ich Jonny’s Leistung besonders darin, in seinen Büchern einen (auch) wissenschaftlich interessierten Leserkreis erreicht zu haben und das Fachgebiet der Motopädagogik gut verständlich dargestellt zu haben. Jonny hat wie kaum ein zweiter in der Psychomotorik dessen Gedankengut durch Vorträge, Workshops, Filme, Zeitschriftenbeiträge und Bücher verbreitet und dabei auch verkörpert. In dieser Hinsicht ist er nach wie vor unerreicht.“ (Jürgen Seewald)

„Jonny hat die gesamte Psychomotorik-Entwicklung in Deutschland geprägt. Wer bei ihm in die Lehre ging, der hat seine Zugangsweise zu den Problemen der Kinder übernommen, seine fröhliche, unbekümmerte und doch zielstrebige Vorgehensweise kennen gelernt. Kopieren konnte man ihn nicht. Je nach Vorbildung haben die einzelnen ‚Jünger’ auch unterschiedliche Psychomotori-

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Wie Wegbegleiter Jonny Kiphard erlebt haben – Teil 1

72 motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

ken angewandt. In wissenschaftlicher Hinsicht war Jonny für alles offen. Ich erinnere mich an die ‚Urschrei-Thera-pie’, die Jonny sofort in seiner Praxis ausprobierte und zu der er eine Woche später bereits seine Gedanken veröf-fentlichte. Er nahm keine Rücksicht auf Tradition und Theorie und verschmolz häufig konträre Ansätze miteinander – die Hauptsache war, dass es den Kindern half. Er probierte ständig etwas Neues. Viele internationale Kontakte, Vorträge und Workshops bei Psychologen, Medizinern und Pädagogen dienten einem interdisziplinären Austausch. Viele Wissenschaftler haben sein Gedankengut aufgenommen und in eigenen Theorien verarbeitet.“ (Friedhelm Schilling)

„Ohne Jonny Kiphard gäbe es keine Psychomotorik: Er hat den Grundstein gelegt, seine Praxis und die Anfänge theoretischer Begründbarkeit zunächst in Seminaren weitergegeben und später zusätzlich in seiner Rolle als Hochschullehrer. Mit seiner strahlenden und überzeugenden Persönlichkeit sammelte er die Mitstreiterinnen und Mitstreiter der ersten Stunde um sich, und seine Idee war mit ihnen Motor für die Gründung des Aktionskreises Psychomotorik und zusammen mit Tilo Irmischer Ideengeber für die Gründung der Akademie für Motopädagogik. Aus heutiger Sicht scheint mir, dass er die Ressourcen seiner Mitstreiterinnen gut zu motivieren und zu nutzen wusste, um seiner im Kontext der sechziger und siebziger Jahre ungewöhnlichen Idee vom Primat der Bewegung in Entwick-lung, Pädagogik und Therapie zum Durchbruch und zur Akzeptanz zu verhelfen.“ (Ingrid Olbrich)

„Ich beantworte die Frage im Hinblick auf die sog. Praxeologische Psycho-motorik bzw. die Psychomotorische Erziehung und Übungsbehandlung. Das Wirken von Jonny Kiphard ist m. E. ein sehr gutes Beispiel für ein induktives

Wirken: In der Praxis tauchen bestimm-te Probleme auf, die dann – für die damalige Zeit auf einem durchaus hohen theoretischen Niveau – mit wissenschaftlichen Theorien in Verbin-dung gebracht werden, aber die sich nie ganz von der Praxis abkoppeln. Jonny Kiphard wird häufig als genialer charismatisch wirkender Praktiker beschrieben, aber in seinen zahlreichen Veröffentlichungen zeigt sich recht deutlich, dass er gleichermaßen eine Anbindung an wissenschaftliche Theorien suchte und z. T. auch fand. Sein eigenes Wirken war immer interdisziplinär angelegt: Er kannte keine großen Grenzen zwischen Yoga-Lehren, Krankengymnastik, Musiktherapie usw. – eine Interdiszipli-narität, die heutzutage zumindest für die zahlreichen bewegungs- und körperorientierten Interventionen mit eigenem Authentizitätsanspruch und Markenzeichen ‚ein frommer Wunsch‘ ist.“ (Gerd Hölter)

„a) Das, was Jonny immer wieder ver- mittelte, war die Lust und der Enthusi-asmus am Spiel. Er machte dadurch die Psychomotorik (er-)lebbar. Für mich als ausgebildeten Sportlehrer war es eine Freude, weg zu kommen von starren Inhalten wie methodischen Übungs-reihen, immer auf ein Ziel ausgerichtet. Bei Jonny entdeckte man sich selbst, durch ein Ausprobieren, im Suchen und Finden, im Entdecken von immer neuen Erfahrungen und Ideen. Es war ein Mischungsverhältnis von Neugier, Improvisation, Lernbegier und Span-nung. War das eine Wohltat, sich vom Korsett des Sports als Schul(ung)e von Bewegungsfertigkeiten zu befreien! Für mich stand die Frage im Raum: Will ich so sein wie der ‚Weißclown’ im Circus, der die Lösung von Problemen anderen diktieren will, in seiner starren, kopflastigen Haltung und seiner unbeweglichen Kleidung. Oder will ich sein wie der ‚dumme August’, der Mit- und Gegenspieler des Weißclowns mit dem großem Herzen, der immer

wieder improvisiert, erfindet, neu gestaltet, und der mit List und Tücke agiert. Der ‚dumme August’ nimmt die Welt an, so wie sie ist. Und wir nehmen Kinder mit ihren Schwierigkeiten und ihren Eigenarten so an – nämlich mit großem Herzen. Und können wir uns annehmen mit unseren täglichen Schwierigkeiten und Eigenheiten, dann können wir auch das Kind annehmen und alltägliche Widrigkeiten gemein-sam meistern. Und viele Lösungsmög-lichkeiten erarbeiten. (…)c) Jonny war nicht nur organisatori-scher Wegbereiter und Mitbegründer. Seinen wahren Einfluss – sehe ich meine Entwicklung an – zeigte er in den praktischen Sequenzen: mit welcher Gelassenheit er dem Chao-tischen und dem Unverhofften Raum und Zeit gab. Es waren diese kleinen Sequenzen, wo er Clownerie und Zauberei in die Herzen pflanzte, immer wieder mit Sprachspielen und Gags überraschte – man musste stets mit Allem rechnen. Und das Schöne daran: wie er es aus vollem Herzen tat, wie er sich mitfreute und wie er fasziniert solch eine Stimmung erzeugte. Egal, ob er mir eine kleine private Vorstellung bei einem Brunch bei sich und bei Ingrid zuhause bot, als er Teller und Tassen zum Wackeln brachte und er geschickt Kunstfliegen in meinen Kaffee schmuggelte oder er beim Essen mit meinen Kindern im Restaurant anfing, plötzlich zu zaubern und die clowneske Rolle einnahm. Er tat es, weil er Spaß daran hatte – und sich wie ein kleines Kind an seinem Tun erfreute. Gibt es eine bessere Grundlage des Lernens? Diese Faszination war Grundlage der Verbreitung der Psychomotorik in Deutschland. Für mich fühlte es sich damals an, dass ich Fesseln verlieren würde und dass ich wieder Kind werden durfte. Jonny faszinierte, was einerseits seinem Ego gut tat, andererseits aber uns alle ansteckte. Und wir setzten es damals wie heute um, jeder für sich, jeder, wie er/sie es kann.“ (Michael Passolt)

73motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

Die SchlankheitskurEine Frau mit Schlankheitssorgen

faßt heroisch den Entschluß,daß ab nächsten Montagmorgen

abgenommen werden muß.

Mühend, glühend schwitzt sie munter,turnt und saunt paar Pfunde runter,

ißt und trinkt dann hinterheraus Verzweiflung um so mehr.

Bleibt als letzter Ausweg nur:friß die Hälfte, Fastenkur.

Morgens, mittags, abends Rübendürfen ihren Sinn nicht trüben.

Das Gefühl der matten Knochendauert ja nur drei, vier Wochen,doch die Nerven schleifen schier

auf dem Boden hinter ihr.

Schließlich reißt ihr die Geduld.Hungernde sind selber schuld!

Rennt zum nächsten Speisehaus,hockt sich hin zum frohen Schmaus.

Zur Asketin taucht sie nicht,pfeift aufs Übervollgewicht.Warum sollen Kurven stören,

die doch manchen Mann betören.Und an jenem Abend just

sinkt ein Mann an ihre Brust,leistet ihr den Eheschwur -

trotz mißglückter Schlankheitskur.

Zwiesprache mit mir selbstIch sage manchmal „du“ zu mir

und reich mir in Freundschaft die Hand,ich sage auch „dumme Kuh“ zu mir,als hätt ich mich niemals gekannt.

Ich sage auch manchmal „Cherie“ zu mirund lade zum Weine mich ein,

ich sage auch „blödes Vieh“ zu mirund bin zu mir selber gemein.

So betracht ich auch mal ganz verliebt in mich

wohlwollend mein Konterfeiund denke: „wie wunderschön bin ich“,

ich kleines Dummerl – ei ei!

Enttäuschende HoffnungFremde Schatten,schnöder Eitelkeit,

tänzerisch gaukelnd,mit Arabesken gekrönt,

jeglichem Zugriff entwunden.Zitterndes, flimmerndes Scheinwerk,

gegenstandslos, amorphim Sumpfe trügerischer Glorie,

schwerelos dahinfließend,marionettengleich

an drähtenen Schwingen,ergebend dienend

unsichtbarer Macht.

Wehe du Hoffendererliegst der Versuchung.

Denn wenn fadenscheinige Strängeknarrend zerreißen,gleitest du abwärts

auf dem Eise der Hoffnung.Wo du greifen möchtest

fällst du haltlos ins Nichts,

zerschellend am Bodendeiner eigenen Ignoranz.

So wische dumit heißem Atem,

in sengender Aschebäuchlings liegend,

fadenscheinige Versprechungenerhobenen Hauptes hinweg

und klimme empor,gebadet und geläutert,

fegefeuergetauftzum Throne der Wahrheit,die keine Zweifel kennt.

Der PyjamaEr hängt so einsam und alleine

auf der Wäscheleine,schlapp sind ihm Arm und Beine,

Füße hat er keine,der arme Kleine

auf der Wäscheleine. Es ist fast ein Drama:

Armer Pyjama.

Das kleine bißchen IchMan spricht so furchtbar gern von sich,

als wär das kleine bißchen Ichganz riesengroß und wichtig,doch ist es ziemlich nichtig,

ein winzig Ding, das bald vergeht,wo nicht einmal ein Hahn nach kräht.

Auch nicht die große Welt steht still,will man nicht so wie’s Schicksal will.Drum sei nicht eitel, sei bescheiden,

dann mag man dich auch besser leiden.

LebenskunstManches kleine Vögelein

hüpft von Ast zu Ast,macht sich froh das Schnäblein rein

ohne jede Hast.

Täten wir’s den Vögeln gleichunterm großen Zelt,

hätten wir das Himmelreichschon auf dieser Welt.

Leider können wir nicht fliegenvogelgleich von Ast zu Ast,

doch wir können auch herniedenbesinnlich leben: Rast statt Hast!

EigentlichMancher Mensch lebt auf der Welt

ohne dass ihm was gefällt.„Eigentlich bin ich ein Dichter“,spricht ein Angestellter stolz.

„Eigentlich“, bemerkt ein Richter,„bastele ich gern mit Holz“.

„Eigentlich“, so sagt der eine,„möchte ich ein andrer sein“.

„Eigentlich“, so sagt der Kleine,„bin ich für die Welt zu klein.“

Mancher Dichter möchte Bauer,mancher Bauer Dichter sein.

Doch ein wirklich Lebensschlauerläßt sich darauf niemals ein:Wo ich bin, da bin ich gerne,tu zufrieden meine Pflicht,

lebe gern auf unserm Sterne,wirklich gern, nicht „eigentlich“.

Jonny Kiphard - Gedichte

Jonny Kiphard - Gedichte

74 motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

KänguruhEin klitzekleines Känguruhchen

das hatte keine Känguschuhchen,es sprang mit bloßen Kängubeinen,

mit ziemlich kleinen, will mir scheinen,aus Mamas Kängubeutel rausund in die weite Welt hinaus.

Mit riesengroßen Kängusätzenso tat es durch die Steppe hetzen

und gönnte sich kein Rast und Ruh,das klitzekleine Känguruh.

Wild sprang es über Stock und Steine,da wurden müde seine Beine.

Es stolperte und fiel - pardauz - auf seine kleine Känguschnauz

und gleich darauf in tiefen Schlaf.-Als Mama Känguruh es traf,da lag’s vor ihr in tiefer Ruh,die Känguaugen waren zu.

Doch Kängumütter sind auf Zack.Sie packt es in den Kängusack,

dort konnt das Kleinchen sich erholen.Schon blinzelt’ aus dem Sack verstohlen.

Und die Moral von der Geschicht:Hüpf nicht so schnell, du Känguwicht,dann fällste auf die Schnauze nicht.

Meine ZirkuszeitIch war mal Artist.

Zirkusleute werden oftwie das so ist,

als wilde Gaukler betrachtetund nicht sehr geachtet.

Es sei erwähnt:selbst mein eigener Bruderhat sich für mich geschämt.

Was ihn störte,dass ich mit Abitur

nun zum Zirkus gehörte,nur ein Akrobatunter Akrobaten,

keine großen Taten,hartes Training nur,Mut und Perfektion.Ist das nicht schon

ein großer Wert für sich?Für mich erfüllte sich

ein lang gehegter Traum:Ich wollte fliegen

von Trapez zu Trapezdurch Zeit und Raum,

die eigene Feigheit besiegenund Freiheit gewinnen,Stolz und Zufriedenheit.

Mögen die Jahre verrinnen,für mich war das

eine wichtige Zeit.

WarumWarum können Hunde bellenund Libellen tun das nicht?

Warum können Fliegen fliegen,warum Schafe nicht und Ziegen?Warum kriegen Menschen Gicht,manche Menschen wieder nicht?

Warum kann ein Fisch nicht schlafen?Schafen fällt das gar nicht schwer.

Warum heißen Grafen Grafen?Warum schmeckt das Meer nach Meer?

Euter gibt es bei den Kühen,warum nicht beim Krokodil?

Warum tun die Würmchen glühen,warum glüht’s nicht beim Reptil?

Warum tun sich Schlangen schlängeln,warum schlängelt sich kein Hund?Warum tun sich Engel drängeln,warum Kinder immer quengeln,

warum ist die Erde rund?

Eile mit WeileIch verstehe nicht,

wenn man Eilenden mich nennt,denn ich gehe schlicht,

während mancher andre rennt,ohne je verhaltend

einmal umzuschaun,welchen Weg er nahm,

ohne je gestaltendumzubauen

seinen Lebensplan.

Lieber schau ich mal zurück.Nicht der ständig vorwärts eilt

hat im Leben Glück,sondern der verweilt.

Frei sein vom SeinVerworrenes, unverstandenes Sein,waidwunder Seelen Tummelplatz,

Menschen, die irrendnach Vollendung dürsten,Erlösung suchend, müde

vom Sehnen nach Erfüllung.

Zum Leben wirst du erst erweckt,wenn du ganz offen bist und frei,

erwachsen erst, wenn dudas Kind in dir entdeckt,

geläutert erst vom Schmutz,durch welchen du geschritten.

Wenn sich des Lebens Sinn erfüllt,dann schwinden Sterne, Räume, Zeiten,

dann wird dein Ich,mit Sternenstaub umhüllt,

von einer Wolke weich umfangenund sinkst getrost in Ewigkeiten

der großen Weltenharmonie.

75motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

Mein Muttelchen - Bekenntnisse eines erwachsenen Sohnes

Hast viele Stunden deines LebensMir hingegeben und dich abgeplagt,

hasts Essen warmgemacht vergebens,und kam ich später, haste nicht geklagt.

Du gabst mir nie ein böses Wort,dein gutes Herz war für mich immer offen.

Doch war ich da, ging ich schon fort,und wenn ich wiederkam, war ich besoffen.

Nun tret ich nüchtern vor dich hinUnd streichle über deine weißen Haare.

Verzeih, dass ich gegangen binUnd immer fort war all die Jahre.

Da steh ich hier vor dir ganz stillUnd küsse deine rauen Hände.

Es ist so viel, was ich noch sagen will,wenn ich nur Worte fände.

Rose im HerbstDer weiße Reif liegt auf dem Feld,

zu schlafen scheint die Blumenwelt.Noch hat des Windes raue Kraft

Dein Blütenkleid nicht weggerafft.

Da reckst du, einsam, stolz und schöndu späte Rose dich empor,

zu stolz, um jetzt schon wegzugehnund duftest zarter als zuvor

mit reifer Farbe, samtig rotbist du getränkt.

Dich hat vor deinem frühen TodDie Liebste mir geschenkt.

Der geisteskranke FischEs war einmal ein kleiner Fisch,

ganz schillernd und verführerisch,der tat sich bei Gewitterregen

ganz einfach auf den Rücken legen.

Bei Sonne schwamm er wieder tiefer:er war ein Manisch-Depressiver.

Ich bin ein ClownIch bin ein Clown, mit Pauken und Trompeten,

mit roter Nase, weiß geschminktem Kinn, noch lauthals lachend, schweige ich betreten

und frage nach des grellen Witzes Sinn.

Ich bin ein Clown und möchte persiflieren, ich nehme alle Leute gern aufs Korn,

ganz ohne Angst vor noch so großen Tieren, streck ich die Kodderschnauze weit nach vorn.

Ich bin ein Clown mit beißend weisem Munde, die Narrenfreiheit gibt mir frechen Mut.

Doch selbst beim Beißen lächle ich im Grunde und sage nur: der Mensch ist schlechthin gut.

Ich bin ein Clown von Gottes eignen Gnaden, laß an mir selbst kein ungekrümmtes Haar.

Ich weiß bei allen großen Clowntiraden, daß immer Er, nicht ich Direktor war.

So bleib ich Clown mit Pauken und Trompeten, mit roter Nase, weiß geschminktem Kinn. Und muß ich einst aus der Manege treten,

dann schmeiß ich gern den ganzen Krempel hin.

Dann geh ich still, wer weiß in welche Weiten, ganz ohne Nase, ohne weißes Kinn

und lächle ob der Erde Nichtigkeiten, wo ich einmal ein Clown gewesen bin.

IndividualistIch bin eben mal ein verrücktes Huhn

und mag nur zu gerne was Blödsinn’ges tun. Was andere machen, das kümmert mich nicht,

ich zeige immer mein eignes Gesicht.

Was man heute trägt, wie man frisiert, ich habe stets selber für mich was kreiert. Trägt man kurze Haare, ich trage sie lang,

ich bin auch vor Bärten und Glatzen nicht bang.

Sind Hänger in Mode, ich trage gern Taille, ich gehe auch nackt mit ‘ner goldnen Medaille.

Ich will gar nicht schlank sein, ich schlemme so gern. Ich les’ keine Zeitung und sehe nicht fern.

Ich fahre nicht Auto, ich fahre nur Rad, ich spiele mit Schiffchen zu Hause im Bad.

Ich pfeife aufs Äuß’re, auf Frack und auf Titel, fürs Angeben sind mir zu schade die Mittel.

Wie man sich benimmt, das ist mir ganz schnurz, denn ich laß’ sowieso nur im Wald einen Furz.

Ich beiße den Wein und saufe das Bier und bleibe sogar im Suff Kavalier.

Ich liebe den Vollbart, ich liebe die Treue, ich lieb’ jeden Tag das Leben aufs Neue.

Ich gönn’ jedem Wesen das Glück auf der Erden, der Reblaus, der Filzlaus, den Menschen und Pferden.

76 motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

r Jonny Kiphard sinnierend

r Jonny Kiphard mit Tilo Irmischer (1974)

r Jonny Kiphard als Akrobat (1974)

r Jonny bei einer Fortbildung (1974)

r Jonny Kiphard während einer Fortbildung (1974)

77motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

r Jonny im Dialog mit Fortbildungsteilnehmern (1974) r Jonny beim Akrobatiktraining im St. Josephshaus in Klein-Zimmern (1981)

r Jonny mit Georg (Auki) Kesselmann am Strand in Namibia r Jonny bei einer privaten Vorführung (1992)

Spuren und Horizonte – Ernst Jonny Kiphard und die Psychomotorik

78 motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

Einleitung

Im Vordergrund des vorliegenden Bei- trags steht einerseits die Frage, welche der von Kiphard und seinen Weggefähr-ten gelegten Spuren für die Psycho-motorik auch heute noch von Bedeu-tung sind, und andererseits die Suche nach Horizonten, die er bereits im Blick hatte, die die Psychomotorik jedoch zukünftig noch genauer betrachten und erschließen könnte.

Die Diskussion dieser beiden Fragen fokussiert skizzenhaft die folgenden vier Aspekte:1. Psychomotorik als Kunst der

Passung,2. Psychomotorik als Notwendigkeit

der Gestaltung von Gesellschaft, 3. Psychomotorik als Beziehungskunst,4. Psychomotorik als Notwendigkeit

des Grenzgangs.

Psychomotorik als Kunst der Passung – Zur Person des BeobachtersFür eine angemessene Annäherung an Kiphard und sein Werk ist zunächst ein kurzer Umweg über die Rolle des Beobachters erforderlich. Nimmt man die Aussage ernst, dass es keine Beobachtung ohne einen Beobachter gibt und dass alles, was über diese Beobachtung gesagt wird, immer von jemandem gesagt wird (vgl. Maturana/Varela 1987, 32), dann ist die Ausei-nandersetzung mit Fragen der Erkennt-nistheorie auch für die Auseinanderset-zung mit Kiphard und seinem Wirken von zentraler Bedeutung. Folgt man Gerhard Roth (vgl. 1997, 252), so sind alle unsere Wahrnehmungen bereits deshalb konstruiert, weil die Prozesse und Inhalte der Wahrnehmung hinsichtlich ihrer Natur und ihrer Eigenschaften nichts mit dem Gesche-

hen zu tun haben, das wahrgenommen wird. Wir müssen nach Roth vielmehr drei Welten unterscheiden: Die Außen-welt bzw. physikalische Welt, die Welt der neuronalen Ereignisse im Gehirn und die subjektive Erlebniswelt. Diese drei Welten stehen keineswegs in einer eins-zu-eins-Abbildung, vielmehr werden „die Geschehnisse in der Umwelt in Elementarereignisse zerlegt und dann nach teils stammesgeschicht-lich erworbenen und teils erfahrungs-bedingten Regeln zu bedeutungshaften Wahrnehmungsinhalten neu zusam-mengesetzt“ (ebd.). „Wahr nehmung ist demnach Bedeutungs zuweisung zu an sich bedeutungsfreien neuronalen Prozessen, ist Konstruktion und

Ernst Jonny Kiphard hat die Entwicklung der Psychomotorik in Deutschland und in zahlreichen anderen Ländern beeinflusst und geprägt wie kaum ein zweiter. Auf seinem Weg hat er unzählige Spuren gesucht, gefunden und gelegt und dabei eine beeindruckende und äußerst nachhaltige Passfähigkeit erreicht. Er ist durch herausfordernde und entwicklungs fördernde Landschaften gewandert, auf bekannten und weniger bekannten Wegen, immer aber auf der Suche nach seiner ganz eigenen Spur. In diese Spur durften jedoch über die gesamte Länge seines Weges stets andere Wege münden, immer war Kiphard offen für neue Erfahrungen und Horizonte. Seine Neugier auf andere Menschen und sein Wissensdurst beruhten auf einer ausgeprägten Feinfühligkeit und Spürfähigkeit und diese brachte er auf unnachahmliche Art und Weise in seine Beziehungen zu Klienten, Kollegen und Freunden mit ein. Die (psychomotorische) Landschaft, durch die Kiphard wanderte, die ihn prägte und die er mitgestaltete, war beeinflusst durch die Gesellschaft und Kultur der Nachkriegszeit in Deutschland und durch vielfältige soziale Umwälzungs­prozesse zwischen 1955 und 2010. Was er vorfand, waren keineswegs nur idyllischer Wald und Wiesen und ein „langer ruhiger Fluss“, sondern ebenso Steine und umge­stürzte Bäume auf dem Weg, Abzweigungen, die mit schwierigen Entscheidungen verbunden waren, steile Anstiege und herausfordernde Gefälle sowie Stromschnellen und verunreinigtes Wasser. Immer aber hatte er das Glück und das Gespür, in dieser Landschaft tolle Gefährten und Wegbegleiter zu finden, diese für den Weg der Psychomotorik zu begeistern bzw. sich begeistern zu lassen und mit ihnen gemein­sam die Psychomotorik bewegung entscheidend nach vorne zu bringen.

Holger Jessel

Spuren und Horizonte – Ernst Jonny Kiphard und die Psychomotorik

Dr. Holger Jessel Dipl.-Motologe; langjähriger wissen-schaftlicher Mitarbeiter im Master-studiengang Motologie an der Univer-sität Marburg; Promotion zum Thema „Psychomotorische Gewaltprävention – ein mehrperspektivischer Ansatz“; Vorstandsmitglied des Aktionskreises Psychomotorik e. V.; Vorstandsmitglied der WVPM; Redaktionsmitglied der Zeitschrift „motorik“.

Anschrift des Verfassers:Franz-Kruckenberg-Str. 2469126 HeidelbergE-Mail: [email protected]

I

Juli 2011

Berufsqualifikation Psychomotorikdakp - Kurs 1 Entwicklung wahrnehmen – Entwicklung bewegenKurs: 11106Kurstermin: Mo 25.07. – Fr 29.07.2011Kursort: Sportschule Hachen, SundernLeitung: Jan Schulz, Dr. Jörg Schröder

August 2011

Themenkurs: „Bewegt und entspannt“ – Entspannungs verfahren unter psychomotorischen Aspekten zum stressfreien Umgang mit Vorschul- und Grundschul-kindernKurs: 11510Kurstermin: Fr 26.08. – So 28.08.2011Kursort: Institut für Sportwissenschaft und Motologie,

MarburgLeitung: Sigrid John-Flöter

September 2011

Berufsqualifikation Psychomotorikdakp - Kurs 1 Entwicklung wahrnehmen – Entwicklung bewegenKurs: 11107Kurstermin: Sa 03.09. – Mi 07.09.2011Kursort: Institut für soziale Berufe, RavensburgLeitung: Peter Bentele, Helge Afflerbach

Fachqualifikation Psychomotorik im Er-Lebensraum Naturdakp

Modul N2: „Bach und Bäume für Spiel und Träume“ – Naturbezogene, ganzheitliche Psychomotorik im WaldKurs: 11N21Kurstermin: Fr 16.09. – So 18.09.2011Kursort: Waldgebiet bei Oberursel/OberstedtenLeitung: Eva Maria Schrader

Themenkurs: Der Clown in uns – Scheitern will gelernt seinKurs: 11511Kurstermin: Fr 09.09. – So 11.09.2011Kursort: Paul-Moor-Schule, Königswinter-OberpleisLeitung: Rupert Schieche

Fortbildungsübersicht dakp Juli 2011 – Oktober 2011

Themenkurs: Möglichkeiten der psychomotorisch-ganzheit-lichen Förderung bei Kindern mit Legasthenie/LRS, Dyskal-kulie/Rechenschwäche und/oder AufmerksamkeitsproblemenKurs: 11512Kurstermin: Fr 23.09. – So 25.09.2011Kursort: Jugendherberge Bad HomburgLeitung: Gabi Seidl-Jerschabek, Esther Knickenberg

Oktober 2011

Berufsqualifikation Psychomotorikdakp – Kurs 1 Entwicklung wahrnehmen – Entwicklung bewegenKurs: 11108Kurstermin: Mi 05.10. – So 09.10.2011Kursort: Institut für Sportwissenschaft und Motologie,

MarburgLeitung: Michaela Lamy

Themenkurs: „Kinder klettern sich klug! – Wie Kita-Kinder bewegt und mit Freude lernen“Kurs: 11513Kurstermin: Fr 07.10. – So 09.10.2011Kursort: Institut für soziale Berufe, RavensburgLeitung: Sonja Quante

Themenkurs: Begriffsentwickler und Wortkonstrukteure – psychomotorische Begleitung des Projekts SprachentwicklungKurs: 11514Kurstermin: Fr 14.10. – So 16.10.2011Kursort: Kinderzentrum, FrankenbergLeitung: Silvia Bender

Themenkurs: Was hat Tanzen mit Sprach- oder Mathematikunterricht zu tun?Kurs: 11515Kurstermin: Fr 21.10. – So 23.10.2011Kursort: Caritas Förderzentrum St. Laurentius und

Paulus, LandauLeitung: Verena Meier, Francis Feybli

Detaillierte Informationen zu den Kursen finden Sie unter www.dakp.deMöglichkeiten zur Anmeldung und Anforderung des aktuellen Fortbildungsprogramms für 2011 bei: Deutsche Akademie für Psycho motorikKleiner Schratweg 32, 32657 LemgoTel. 05261 970971, Fax. 05261 970972www.dakp.de, [email protected]

II

17. bis 18.09.2011 in HammDer Aktionskreis Psychomotorik e. V. und die Deutsche Gesellschaft für Psychomotorik e. V. veranstalten gemeinsam die Fachtagung in Kooperation mit der LWL-Universitätsklinik Hamm der Ruhr-Universität Bochum, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psycho-therapie, Psychosomatik im LWL-Psychiatrie-Verbund Westfalen, dem LWL-Berufskolleg und dem Psychomotorikverein MOVERE e. V., Hamm.

ProgrammablaufSamstag, 17.09.2011

ab 8.00 Uhr Ausgabe der Tagungsunterlagen

10.00 Uhr Eröffnung, Begrüßung, Grußworte

10.30-11.15 Uhr Eröffnungsvortrag Prof. Dr. Renate Zimmer

11.30-13.15 Uhr Seminar-/WS-Serie 1

13.15 bis 14.45 Uhr Mittagspause (Kleiner Imbiss wird zum Kauf angeboten); parallel laufen Posterausstel-lungen, Videos …

14.45-15.15 Uhr Hauptvortrag Prof. Dr. Dr. Martin Holtmann

15.30-17.15 Uhr Seminar-/WS-Serie 2

17.15 bis 19.00 Uhr „Sich bewegen und Experimentieren auf

dem Airtramp und in der Bewegungsland-schaft unter Anleitung von Psychomotori-kern der Klinik Hamm“

ab 19.00 Uhr Festakt „35 Jahre AKP“, danach Grillfest mit

diversen „Highlights“ und einer Tombola

Sonntag, 18.09.2011

9.00-9.30 Uhr Hauptvortrag Prof. Dr. Astrid Krus

9.45-11.30 Uhr Seminar-/WS-Serie 3

11.30-11.45 Uhr Abschlussveranstaltung mit „Schwung“

12.00-13.30 Uhr Mitgliederversammlung AKP

(es wird gesondert eingeladen)

ProgrammEröffnungsvortrag, 17.9. 10.30 Uhr-11.15 Uhr:Prof. Dr. Renate Zimmer, Osnabrück„Selbstkompetenzen stärken – Herausforde-rungen und Chancen einer Pädagogik der Vielfalt“Hauptvortrag 1, 17.9. 14.45 Uhr-15.15 Uhr:Prof. Dr. Dr. Martin Holtmann, HammADHS: aktueller Forschungsstand und Trends

Hauptvortrag 2, 18.09. 9.00 Uhr-9.30 Uhr: Prof. Dr. Astrid Krus, MönchengladbachMehr Chancen durch Bildung von Anfang an - Zum Stellenwert der Bewegung in den neu-en Bildungsgrundsätzen NRW

Workshop- und SeminarangeboteVeranstaltungsserie 1, 17.09. 11.30–13.15 UhrA1 Hubert Bisping/Simone Naber/

Mechthild KrämerSeminar: Sprungbrett – Psychomotorische Entwicklungsbegleitung des Vereins Beweg-gründe e. V. im Rahmen eines präventiven Kinder- und Jugendhilfeprojektes in den Fa-milienzentren der Stadt Sendenhorst

A2 Dr. Stefanie KuhlenkampSeminar: Psychomotorische Förderung im Kontext soziale Benachteiligung

A3 Detlef PantenSeminar: Klinische Psychomotorische Thera-pie (KPT), konzeptionelle Antworten im Struk-turwandel von Gesellschaft und Gesundheits-wesen

A4 Silvia Bender (Wiederholung in Serie 3, WS C4)

Workshop: Die Magie der sprachlichen Viel-falt – Psychomotorische Förderung von Spra-che und Kommunikation im Kontext von ver-änderter Lebenswelt

A5 Roman Mayr (Wiederholung in Serie 2, WS B6)

Workshop: Psychomotorik „im Wasser“ – Be-wegungsgeschichten für Kinder und Jugend-liche mit und ohne Behinderungen

A6 Günter PützWorkshop: Ringen und Raufen als wichtiger Bestandteil kindlicher Entwicklung

A7 Dr. Stefan Schache (Wiederholung in Serie 3, WS C8)

Workshop: „Inklusion beginnt im Bauch“

A8 Artour TsatourianWorkshop: Therapeutisches Klettern im psy-chomotorischen Spiel

Veranstaltungsserie 2, 17.09. 15.30—17.15 UhrB1 Prof. Dr. Klaus FischerSeminar: Räume sind die Landschaft der Seele – naturnaher Spielraum für Kinder

B2 Prof. Dr. Max KreuzerSeminar: „Dabeisein ist nicht alles“ – Päda-gogische Ansätze zur Förderung der sozialen Inklusion in Kindertageseinrichtungen

B3 Dr. Melanie Behrens (Wiederholung in Serie 3, WS C3)

Workshop: „Manege frei“ - Zirkus als Thema in der psychomotorischen Entwicklungsför-derung mit Kindern

B4 Dr. Holger Jessel (Wiederholung in Serie 3, WS C5)

Workshop: Gewalt bewegt – Wege aus der Gewalt: Psychomotorische Gewaltprävention in der Praxis

B5 Prof. Dr. Felicitas LowinskiWorkshop: Tanz ist Vielfalt – Eine Einführung in die Methodik des kreativen Tanzes

B6 Roman MayrWorkshop: Psychomotorik „im Wasser“ - Be-wegungsgeschichten für Kinder und Jugend-liche mit und ohne Behinderungen

B7 Prof. Dr. Christina ReichenbachWorkshop: Aktuelle Möglichkeiten diagnos-tischen Handelns in der Psychomotorik – Kurzvorstellung des Movement ABC-2

B8 Manuela Rösner (Wiederholung in Serie 3, WS C7)

Workshop: „Ich sehe was, was Du nicht siehst“ – Mototherapie bei visuellen Wahrnehmungs-störungen

Veranstaltungsserie 3, 18.09. 9.45—11.30 UhrC1 Dr. Richard HammerSeminar: „Wahrnehmung, Körper und Bewe-gung bei Menschen mit Autismus“

C2 Markus SerranoSeminar: „Wir gehen jetzt auf Schatzsuche“ - Ressourcenorientierung in der psychomo-torischen Pädagogik und Therapie

C3 Dr. Melanie BehrensWorkshop: „Manege frei“ - Zirkus als Thema in der psychomotorischen Entwicklungsför-derung mit Kindern

C4 Silvia BenderWorkshop: Die Magie der sprachlichen Viel-falt – Psychomotorische Förderung von Spra-che und Kommunikation im Kontext von ver-änderter Lebenswelt

C5 Dr. Holger JesselWorkshop: Gewalt bewegt – Wege aus der Gewalt: Psychomotorische Gewaltprävention in der Praxis

Psychomotorische Fachtagung

Die Kunst mit der Vielfalt umzugehen

III

C6 Horst GöbelWorkshop: Psychomotorische Basisförde-rung der Graphomotorik

C7 Manuela RösnerWorkshop: „Ich sehe was, was Du nicht siehst“ - Mototherapie bei visuellen Wahr-nehmungsstörungen

C8 Dr. Stefan SchacheWorkshop „Inklusion beginnt im Bauch“

Eine ausführlichere Ausschreibung der einzel-nen Workshops und Seminare finden Sie auf unserer Homepage www.psychomotorik.com.

OrganisationVeranstaltungsortLWL-Universitätsklinik Hamm der Ruhr-Universität Bochum, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, PsychosomatikHeithofer Allee 64, 59071 Hamm

Tagungsbeitrag (inkl. Tagungsband und Kaffee/Tee)Jubiläumsgebühr für alle Teilnehmer: 75,– €für Studierende/Schüler (auf Nachweis): 55,– €

AnmeldungAnmeldungen sind möglich über die AKP-Homepage:www.psychomotorik.com (Online-Formular)oder per formloser E-Mail an: [email protected] per Postkarte an:AKP, Kleiner Schratweg 32, 32657 Lemgo Tel. 05261/970970, Fax. 05261/[email protected]

Nach Eingang Ihrer verbindlichen Anmel-dung erhalten Sie eine Anmeldebestätigung und die Rechnung über die Tagungsgebühr, die innerhalb von 14 Tagen zu bezahlen ist. Sollte die Zahlung durch Ihren Arbeitgeber erfolgen, bitte dessen komplette Anschrift (für die Rechnung) und zusätzlich die private Anschrift der TeilnehmerIn angeben (für die Teilnahmebescheinigung!).

Abmeldung Sollten Sie sich nach bestätigter Anmeldung bis zum 31.08.2011 wieder abmelden müs-sen, wird die Hälfte des gezahlten Betrages zurück erstattet. Bei späterer Abmeldung, bei Krankheit bzw. bei Nichterscheinen ver-fällt der gesamte Betrag.

Belegung der Seminare/WorkshopsEs kann je Seminar-/Workshopserie eine Ver-anstaltung belegt werden. Bitte geben Sie bei der Anmeldung unbedingt einen Alterna-tivwunsch an! Wir bemühen uns, Ihren Erst-wunsch zu berücksichtigen. Nur wenn diese Veranstaltung ausgebucht sein sollte, wer-den wir Ihren Zweitwunsch entsprechend berücksichtigen.

Beachten Sie bitte auch, dass einige Work-shops doppelt („Wiederholungsveranstal-tung“) angeboten werden, die Seminare je-weils nur einmal.

Der Einführungsvortrag und die beiden ein-leitenden Vorträge vor den Veranstaltungs-serien 2 und 3 können von allen Angemelde-ten besucht werden.

Geburtstagsfeier von AKP und DGfPMAm Abend des 17.09. findet anlässlich des 35-jährigen Bestehens des Aktionskreises Psychomotorik und des 5-jährigen Beste-hens der Deutschen Gesellschaft für Psycho-motorik eine „Geburtstagsfeier“ statt. Für alle Mitglieder des AKP, der DGfPM und der angeschlossenen Verbände ist die Teil-nahme frei. Alle anderen Tagungsteilnehmer sind als Gäste für einen Unkostenbeitrag von 10,00 Euro herzlich willkommen!Neben Musik, Tanz und gegrillten Köstlich-keiten sind in den Kosten alle „Programm-Highlights“ enthalten. Lediglich die Getränke gehen auf eigene Rechnung.

Um entsprechend planen zu können, bitten wir alle bei Anmeldung ihre Teilnahme am Grillfest anzugeben (Mitglieder bitte Ver-band bzw. Mitgliedsnummer angeben!). Nichtmitgliedern wird der Unkostenbeitrag dann direkt mit der Tagungsgebühr in Rech-nung gestellt.

Die Tagung wird freundlichst unterstützt durch:

Sport-Thieme GmbH

Helmstedter Straße 40, 38368 GraslebenTelefon: 05357/18181, Telefax: 05357/[email protected], www.sport-thieme.de

IVIV

Fachveranstaltungen des AKP September 2011 – Oktober 2011

Aus Anlass des 35-jährigen Beste-hens des Aktionskreis Psychomotorik e. V. werden alle Fach-veranstaltungen der Regional- und Landesvertretungen von September bis Dezember 2011 kostenfrei sein. Nichtmitglieder zahlen in der Regel 39,00 € pro Tagesveranstaltung!

September 2011

„Rhythmikwerkstatt: Von der Körpererfahrung zur ganzheitlichen Gestaltung“Veranstaltung: SA-09-11Termin: 10.09.2011Ort: DresdenReferentin: Silke Kallert

„Erleben und Wasser“Veranstaltung: BW-SO-09-11Termin: 10.09.2011Ort: RavensburgReferentin: Peter Bentele

„Natur – Erlebnisse beim Geocachen“ Eine Fortbildung im Bereich Psychomotorik und NaturpädagogikVeranstaltung: BR-09-11Termin: 24.09.2011Ort: BremenReferentin: Michael Junger

Oktober 2011

„Erlebnisraum Wald – Natur erfahren und erleben mit Kindern“Veranstaltung: BW-SO-10-11Termin: 08.10.2011Ort: Berg Weiler bei RavensburgReferentin: Peter Bentele

„Umgang mit störenden Kindern“Veranstaltung: BW-NW-10-11Termin: 15.10.2011Ort: BacknangReferentin: Peter Bentele

„Kindgerechte Entspannung“Veranstaltung: WL-10-11Termin: 22.10.2011Ort: DortmundReferentin: Heike Pannitz

„Tempo, Takte, Temperamente“ – Kreativer Kindertanz in der PsychomotorikVeranstaltung: HE-HS-10-11Termin: 29.10.2011Ort: DarmstadtReferentin: Helga Zachmann

Detaillierte Informationen zu allen Veranstaltungen finden Sie unter www.psychomotorik.comAktionskreis Psychomotorik Kleiner Schratweg 32, 32657 LemgoTel. 05261 970970, Fax. 05261 970972 [email protected]

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Interpretation“ (Roth 1986, 149; zit. nach Schmidt 1987, 14). Das bedeutet auch für die folgende Dar stellung, dass sämtliche Kategorien, Begriffe, Theorien und Interpretationen zwar als Konstruk-te auf Kiphard und die Psychomotorik angewendet werden, ihr aber ebenfalls nicht entnommen sind. Vielmehr möchte ich eine „innere Landkarte“ zur Verfügung stellen und da diese zwangs-läufig mein Modell der Welt, mein Wahrnehmen, Denken, Fühlen, Handeln und Schreiben leitet, möchte ich sie einleitend transparent machen (vgl. Simon/Clement/Stierlin 2004, 81).Ich gehe mit Siegfried J. Schmidt davon aus, dass „die Zeit für einheitliche Supertheorien vorbei zu sein scheint“ (Schmidt 1998, 8). Damit geht es auch für die Psychomotorik und die Moto-logie darum, ganz unterschiedliche Argumente und Perspektiven im – ebenfalls perspektivischen – Ordnungs-rahmen konstruktivistischer Grund-annahmen „auf ihre gegenseitige Kom- patibilität wie auf ihren Anregungs-charakter hin zu testen. Der leitende Gesichtspunkt ist also nicht ,Wahrheit‘, sondern ,Problemlöse kapazität‘“ (Schmidt 1998, 8). Mit der Position des Radikalen Konstruktivismus verlieren sämtliche Modelle eines absoluten qualitativen Erkenntnisfortschritts ihre Plausibilität; Wissen kann der Wirklich-keit oder der Wahrheit nicht näher kommen, sondern führt in erster Linie zur „Veränderung menschlicher Gesellschaften, individueller Denk- und Lebensweisen, Werteinstellungen usw.“ (Schmidt 1987, 43). Aus radikal konstruktivistischer Perspektive sollte es im psychomotorischen Diskurs demnach um die Erzeugung von brauchbarem und nützlichem anstelle von wahrem bzw. objektivem Wissen gehen, nicht die „Annäherung an die Wahrheit“ sollte im Vordergrund stehen, sondern die Orientierung an Problemlösungska-pazität, Passung und Intersubjektivität. Dies gilt auch für die interdisziplinäre Kooperation verschiedener Professionen sowie für sämtliche intersubjektiven Wirklichkeiten zwischen Menschen generell. Kiphard selbst war ein Meister der Passung: Sein psychomotorisches Handeln und seine wissenschaftlichen Aktivitäten orientierten sich grund-legend und auf beinahe natürliche Art und Weise an den oben skizzierten

Kriterien der Problemlösungskapazität, der Passfähigkeit und der Intersubjek-tivität. Dadurch wurde er zu einem Wanderer zwischen den Welten, entwickelte die Fähigkeit zur Ausei-nandersetzung mit verschiedensten Wirklichkeiten und arbeitete im Kern zielorientiert interdisziplinär (eindrucks-volle Belege dieser „Wanderungen“ finden sich u. a. in Kiphard 1990; 2001).

Psychomotorik als Notwendigkeit der Gestaltung von Gesellschaft

Kiphard kommt in seinem Vorwort zu dem Band „Motopädagogik“ aus dem Jahr 1980 zu folgender aufschlussrei-cher Realitätsbeschreibung:„In den letzten Jahrzehnten haben sich im Zuge einer geradezu sprunghaften industriellen Fortentwicklung eine Reihe bemerkenswerter gesellschaftli-cher Veränderungen vollzogen. Sie sind vor allem an unseren Kindern nicht spurlos vorübergegangen. Sensorische Reizüberflutung und schulischer Dauerstreß mit überhöhten geistigen Leistungsanforderungen haben zu pathogenen Lernbelastungen geführt. Im Gesamtprozeß der Persönlichkeits-entwicklung kommen emotionale und soziale Werte eindeutig zu kurz. Die Zeit für zweckfreies Spiel und schöpfe-rische Muße ist zu knapp geworden, der Bewegungs- und Aktionsraum zu klein. So kommt es häufiger als früher zu psychomotorischen Erregungs- und Gefühlsstauungen, deren Bedürf-nisspannung sich bis ins Unerträg- liche steigern kann. Die Folgen sind erhöhte Ablenkbarkeit, Überaktivität und Bewegungsunruhe, mit Nei- gung zu aggressiven Kurzschluss-reaktionen.Durch solche wenig kindgemäßen Entwicklungsbedingungen ist in unserer Gesellschaft die Zahl der sog. Verhaltensgestörten in kürzester Zeit enorm angestiegen. Angesichts dieser alarmierenden Tatsachen erscheint die Frage durchaus berechtigt, ob die bei uns immer häufiger anzu-treffenden kindlichen Verhaltens- und Leistungsstörungen nicht inzwischen fast die Norm darstellen. Dann wären aber nicht eigentlich die Kinder, sondern die moderne Industriegesell-

schaft selbst krank und therapiebedürf-tig. Für die pädagogisch Verantwortli-chen erwächst daraus die Verpflichtung, sich über die täglichen Erziehungsauf-gaben hinaus gesellschaftspolitisch für kindgemäßere Umweltbedingungen einzusetzen“ (Kiphard 2001 (im Orig. 1980), 7).Ungeachtet der Tatsache, dass eine solche Einschätzung durchaus auch im Jahre 2011 hätte verfasst werden können, zeigt sich in ihr ein grund-legender Zusammenhang, der von Kiphard bereits sehr früh in den Blick genommen wurde: Wenn die Psycho-motorik Orientierungshilfen geben soll, dann braucht sie dazu einen Stand-punkt und ein solcher Standpunkt kann nur durch eine Analyse der gesell-schaftlichen Wirklichkeit bzw. Verände-rungsdynamik entwickelt werden, in die auch die Psychomotorik selbst einge-bettet ist. Auch wenn diese Analyse notwendigerweise aus einer bestimm-ten Perspektive erfolgt und damit unvollständig bleiben muss (vgl. Thiele 1996, 48), so ist sie dennoch unab-dingbar. Die intensiv geführte Postmoderne-Debatte der letzten drei Jahrzehnte, die Gesellschaft in einer markanten Formulierung als eine Verfassung radi- kaler Pluralität (vgl. Welsch 1987, 5) beschrieb, lenkt unseren Blick auf die folgenden (potenziellen) Alltagserfah-rungen von Kindern und Jugendlichen (vgl. u. a. Armbruster 2006, 142 ff.; Keupp et al. 2002, 46 ff): 1. Erfahrung einer „ontologischen Bodenlosigkeit“ (vgl. Bauman 2005): Die Alltagserfahrung von Kindern und Jugendlichen kann den Charakter einer radikalen Enttraditionalisierung annehmen, die mit dem Verlust von unstrittig akzeptierten Lebenskonzep-ten, fertigen Identitätsmustern und normativen Orientierungen einhergeht. Kinder und Jugendliche müssen demnach individuelle Lebenswege und Wertvorstellungen entwickeln. Dies beinhaltet sowohl Chancen als auch Risiken, insbesondere wenn die dafür notwendigen Ressourcen nicht vorhan-den sind bzw. nicht aktiviert werden können. 2. Entgrenzung individueller und kollektiver Lebensmuster: Die Vorstel-lungen von Erziehung, Werten, Sexuali-tät, Gesundheit, Geschlechter- und Generationenbeziehungen verlieren den

Spuren und Horizonte – Ernst Jonny Kiphard und die Psychomotorik

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Charakter des Selbstverständlichen, damit verändern sich auch die Schnitt-muster, nach denen sich Kinder und Jugendliche biographisch entwerfen und ihr Leben verwirklichen können (und müssen). Tugenden, sich klug entscheiden und Beziehungen aktiv befriedigend gestalten zu können, werden dadurch zunehmend wichtiger. Hierzu sind Kinder und Jugendliche auf Ressourcen angewiesen, die sie häufig nicht besitzen. 3. Fragmentierung von Erfahrungen: Da Kinder und Jugendliche in einer Vielzahl an Erlebnis- und Erfahrungsbe-zügen leben, die sich häufig in kein Gesamtbild mehr fügen, wird von ihnen ein hohes Maß an psychischen „Spal-tungskompetenzen“ gefordert, um nicht „verrückt“ zu werden (vgl. Keupp et al. 2002, 48). Kinder und Jugendliche sind Teil eines wachsendes Netzwerkes von Beziehungen (zwischenmenschlich, elektronisch und aus zweiter Hand) mit einem hohen Maß an Widersprüchlich-keit und Ambivalenz (vgl. Bauman 2005). Diese Ambivalenz muss zuneh-mend individuell ausgehalten bzw. bearbeitet werden.4. „Virtuelle Welten“ als neue Realitäten: Die weltweite Vernetzung computergebundener Kommunikations-wege fördert den Zweifel an dem einen „Realitätsprinzip“, dies kann zu Kom- munikationsrissen zwischen verschiede-nen Realitäten (z. B. zwischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, zwi- schen der Realität der Computerspiele und der sozialen Realität) führen. Kinder und Jugendliche müssen folglich lernen, dass viele Wirklichkeiten miteinander konkurrieren, sich durch-dringen bzw. nebeneinander existieren können und sie müssen lernen, sich in diesen unterschiedlichen Realitäten zu bewegen. 5. Zeitgefühl erfährt „Gegenwarts-schrumpfung“: Die Innovationsverdich-tung reduziert die Halbwertzeiten des aktuell geltenden Wissens permanent, dies führt zu einer gleichzeitigen Steigerung der Neuerungs- und Veraltensrate von Wissen und Bildung. Dieser Zusammenhang unterstreicht die herausragende Bedeutung von Bil-dungsprozessen sowie der Notwendig-keit lebenslangen Lernens. Auch hier ist einerseits generell zu fragen, welche Maßnahmen hilfreich sein können, um Bildungsbenachteiligungen auszuglei-

chen und andererseits zu diskutieren, welche Art von Bildung dazu führt, dass Kinder und Jugendliche angemes-sen auf die Herausforderungen der (Post-)Moderne vorbereitet sind.6. Pluralisierung von Lebensformen: Der beschriebene „explosive Pluralis-mus“ bedeutet für Kinder und Jugend-liche die Möglichkeit, aber auch die Notwendigkeit der freien Entscheidung, ihr Leben wird ebenso zu einem Pro- jekt – bzw. einer Serie von Projekten – wie ihre Weltanschauung und ihre Identitätsentwicklung (vgl. Keupp et al. 2002, 50). Dieser Pluralismus führt unter anderem zu einem Wandel traditioneller familiärer Lebensformen hin zu sogenannten „Patchworkfami-lien“ (vgl. ebd.), die zahlreiche Risiko-faktoren (z. B. Ein-Eltern-Familien, mangelhaftes „monitoring“) enthalten, sowie zu verschiedenen Milieus mit je eigenen Normalitätsstandards, Werten, Rollen- und Erlebnisansprüchen. Insgesamt stehen damit keine allgemei-nen Konzepte vom „guten und richtigen Leben“ mehr zur Verfügung.7. Dramatische Veränderung der Geschlechterrollen: Die Frauenbewe-gung sowie die seit den 1980er Jahren intensiv geführte Gender-Debatte stellten zahlreiche Selbstverständlich-keiten in Frage, hierzu gehören unter anderem die klassische Trennung von Privatheit und Öffentlichkeit, die öffentliche Diskussion über Fragen der häuslichen Arbeitsteilung, der berufli-chen Orientierung, der Kindererziehung, der Sexualität sowie die Auseinander-setzung in Bezug auf traditionelle Geschlechtsmuster. Der Verlust von Selbstverständlichkeiten wird einerseits schmerzlich spürbar, andererseits entwickeln sich jedoch offene Horizonte der Konstruktion neuer und weniger starrer Identitäten (vgl. ebd., 51). 8. Individualisierung verändert das Verhältnis des Einzelnen zur Gemein-schaft: Individualisierung bedeutet in erster Linie die Freisetzung aus Traditio-nen und Bindungen, der Einzelne muss sein Leben selbst in die Hand nehmen, wobei er sich nicht mehr auf tradi-tionelle Normierungen berufen kann, sondern auf der Basis von individuellen Sinnkonstruktionen, Vernunft, Stimmig-keit und Echtheit entscheiden muss. 9. Individualisierte Formen der Sinnsuche: Der Verlust des Glaubens an Meta-Erzählungen macht Menschen zu

individualisierten „Sinn-Bastlern“, da die „Sehnsucht nach Sinn“ weiterhin existiert (vgl. Keupp et al. 2002, 52). Kinder und Jugendliche erleben sich dementsprechend als Darsteller auf einer gesellschaftlichen Bühne, ohne dass ihnen hierfür fertige Drehbücher geliefert würden; zusätzlich sind die erforderlichen materiellen, sozialen und psychischen Ressourcen zum Schreiben des eigenen Drehbuchs oft nicht vorhanden. Somit hat die Aufforderung, sich selbstbewusst und selbstverant-wortlich zu inszenieren, gleichzeitig etwas Bedrohliches und Zynisches. Diesbezüglich ist die Auseinanderset-zung mit Risiko- und Resilienzfaktoren (vgl. hierzu Baierl 2010, 19 f.) für gelingende Identitätsprozesse unerläss-lich, wie die folgenden Ausführungen deutlich zeigen.10. Entstehung gesellschaftlicher Risikolagen: Zahlreiche aktuelle Studien zeigen, dass der Anteil der Menschen, die in Deutschland unter sogenannten Risikobedingungen aufwachsen, deutlich gestiegen ist (vgl. Armbruster 2006, 142 ff.). Diese sozial benachteiligten Lebenslagen sind unter anderem durch Deprivation (sensorisch, emotional, sozial und materiell redu-zierte Umwelt), Bildungsferne (unter-durchschnittliches Maß an formaler Bildung, dadurch verringerte Chancen, am Erwerbs- und Kulturleben teilzu-nehmen) sowie durch einen speziellen Migrationshintergrund gekennzeichnet (vgl. ebd., 32). Im Sinne einer Kumula-tion von Risikofaktoren können diese sozialen Risiken mit verschiedenen psychosozialen Risikokonstellationen interagieren. Hierzu gehören vermehrte elterliche psychische Belastungen (z. B. eingeschränktes Selbstwertgefühl, chronischer Stress, depressive Erkran-kungen), verminderte (objektive und subjektive) Zugangsmöglichkeiten zu medizinischen, psychosozialen und pädagogischen Unterstützungsange-boten, organische und psychosoziale Belastungen in der Schwangerschaft (erhöhtes Risiko von Frühgeburten und einer erhöhten somatopsychischen Empfindlichkeit des Säuglings und Kleinkindes), konflikthafte Beziehungen zu den Herkunftsfamilien sowie zu institutionellen und informellen sozialen Stützsystemen sowie ein erhöhtes Risiko eines Alkohol-, Medika-menten- oder Drogenmissbrauchs

81motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

(vgl. ebd., 33). Eltern, die unter Risiko-bedingungen leben, befinden sich überdurchschnittlich häufig in einer psychologischen Grundverfassung, die durch eingeschränkte Emotionsregula-tion und Stresstoleranz, starke Ver-drängung, problematische Kognitionen und Zuschreibungen hinsichtlich der eigenen Situation, gedankliche Ver-zerrungen und irrationale Leitsätze bezüglich der eigenen Selbstwirksam-keit sowie durch wenig kontrollierbare Ängste und negative Emotionen charakterisiert ist (vgl. ebd., 142). Durch die ausgeprägte Bildungsferne – für Deutschland wurde im Jahre 2002 ermittelt, dass 39% der Eltern einen niedrigen oder keinen Bildungs-abschluss haben (vgl. ebd., 143) – ent-stehen zusätzliche Herausforderungen: „Wer zu dieser Gruppe gehört, hat ein hohes Risiko, seine eingeschränkten Lebensbedingungen wie Armut, Arbeitslosigkeit, schlechte soziale Umgebung und geringe soziale Unter-stützung an die nächste Generation weiterzugeben: Die Bildungsarmut ist alarmierend – Eltern, die bereits in ihrer Kindheit sozial benachteiligt waren, werden in der Regel selbst wieder sozial benachteiligte Kinder haben“ (ebd.). Die Konsequenzen sozialer Benachteiligung für Kinder und Jugendliche sind zahlreich, dazu gehören die Entwick-lung verschiedener familiärer Risiko-konstellationen wie Drogen- und Alkoholkonsum, Partnerschaftskonflikte, psychiatrische Erkrankungen, Allein-erziehung oder soziale Isolation. Diese Belastungen gefährden unter anderem auch die Entwicklung von gefühlvollen, tragfähigen Eltern-Kind-Beziehungen, „die wiederum die Voraussetzung einer gesunden emotionalen, sozialen, kognitiven und sprachlichen Entwick-lung der Kinder darstellen (…)“ (ebd., 145 f.). Daraus ergibt sich wiederum ein erhöhtes Risiko für die Entstehung von Bindungsstörungen, depressivem Rückzug oder impulsivem, provokativem bzw. aggressivem Verhalten. In der gegenwärtigen Situation wächst eine besorgniserregend hohe Zahl an Kindern und Jugendlichen „unter Bedingungen von Armut, Sozialhilfe-abhängigkeit und mehrfacher Unterver-sorgung in den Bereichen Einkommen, Arbeit, Wohnraum und Bildung auf (…)“ (ebd., 146). Diese Jugendlichen haben aufgrund ihrer mangelhaften kulturel-

len Basiskompetenzen kaum eine Chance, die Herausforderungen einer pluralisierten und globalisierten Gesellschaft zu meistern. „Sie gehören dem rasch wachsenden Subproletariat der Ausgeschlossenen an. Es handelt sich um Menschen, deren prägende Sozialisationserfahrung darin besteht, verzichtbar zu sein, weil sie nach der vorherrschenden gesellschaftlichen Verfassung nicht gebraucht werden: Unter Arbeitsmarktgesichtspunkten betrachtet stehen sie außerhalb des Produktions- und Verteilungssystems (…)“ (ebd., 147).

Vergleicht man die Ausführungen von Kiphard mit den hier dargestellten zehn Aspekten der Alltagserfahrung von Kindern und Jugendlichen, so wird deutlich, dass sich ein hoher Prozent-satz aller in Deutschland aufwachsen-den Kinder und Jugendlichen – damals wie heute – unter prekären Bedingun-gen entwickelt, dass die Veränderung dieser Bedingungen – wie von Kiphard angedeutet – eine gesamtgesellschaft-liche Aufgabe darstellt und dass die Psychomotorik hierzu einen ganz wesentlichen Beitrag leisten kann und auch sollte. Aktuelle Untersuchungen zur Bedeu­tung des Spiels für die kindliche Entwicklung sollen dies kurz verdeutli-chen: „Psychologen sind heute davon überzeugt, dass Spielen sich positiv auf den Menschen auswirkt – und zwar bis ins Erwachsenenalter. Weniger klar ist dagegen, wie sehr es Kindern schadet, zu wenig Zeit zum freien Herumtollen zu haben. Dabei scheint diese wichtige Säule der Kindesentwicklung langsam zu bröckeln. (…) Aus Sorge, ob es der Nachwuchs später auf die richtige Schule schafft, füllen immer mehr Eltern den Alltag ihrer Kinder mit planvollen, angeleiteten Aktivitäten. (…) Brown und andere Psychologen befürchten, die Abnahme des kindlichen Freispiels könne eine Generation von ängstlichen, unglücklichen und sozial auffälligen Erwachsenen hervorbringen“ (Wenner 2011, 13). Dabei verdichten sich zunehmend die Befunde, wonach gerade das Spielen ohne Vorgaben die soziale Kompetenz, die Sprachentwick-lung sowie das Problemlösevermögen von Kindern fördert (vgl. ebd.). „Spielen ist, wie an einem Kaleidoskop zu drehen: Das Resultat ist unvorhersehbar

und immer wieder neu“ (Bekoff, in Wenner 2011, 19). Der Kinderpsycho-loge David Elkind rät Eltern vor allem, ihre Kinder „öfter als bisher einfach Kind sein zu lassen. Nicht nur, weil das den Kleinen am meisten Spaß mache, sondern auch, weil sie ohne kreative Auszeiten nicht zu wissbegierigen, einfallsreichen Menschen werden könnten“ (Wenner 2011, 19). Auch Kiphard unterstreicht die hohe Relevanz des Spiels: „Im Sinne einer Pädagogik der Ermutigung versuchten wir in unseren psychomotorischen Förder-stunden, motorisch schwache Kinder spielerisch zu kleinen und kleinsten Erfolgen zu führen. Das Spiel erfüllt in vielen Fällen aber auch eine wesentli-che präventiv-psychohygienische Aufgabe. Kinder verarbeiten im Rollenspiel ihre Erlebnisse und inneren Konflikte. Im Spiel können sie Hem-mungen und Ängste überwinden und sich ihre geheimsten Sehnsüchte und Wünsche erfüllen“ (Kiphard 2004, 28). Das Thema Selbsttätigkeit und Kreati­vität hatte für Kiphard ebenfalls eine große Bedeutung: „Statt eines bloßen Vormachens und Nachmachens sollte die Stundengestaltung immer wieder spontane Handlungen aus den Kindern herauslocken. Es gibt keinen vorge-schriebenen Weg des motorischen Lernens innerhalb einer Bewegungsauf-gabe. Jedes Kind findet seine eigene Methode, seinen eigenen Weg, um zum Ziel zu gelangen. Auf jede ‚Bewegungs-frage’ lassen sich vielfältige ‚Bewegungs-antworten’ finden. Die Kinder dürfen ausprobieren. Kein Weg ist falsch“ (Kiphard 2001, 234). Dieser Aspekt ist aus zwei Gründen besonders hervorzuheben. Zum einen machen „Kreativität und Einfallsreich-tum 5 von 10 Euro in der Wertschöp-fungskette aus“ (Kluge 2006, 90), flexibel verfügbares Wissen und Bildung werden dadurch zu zentralen Standort-faktoren für jede Gesellschaft. Dies ist jedoch nicht nur ein utilitaristisches Motiv, der Kern des Arguments bezieht sich auf einen zweiten, viel fundamen-taleren Aspekt: Da ein erfülltes Leben ohne Arbeit und Betätigung kaum denkbar erscheint, „müssen wir uns für eine Bildung stark machen, die es den Menschen erlaubt, sich selbst zu erhalten. Dies heißt nichts anderes, als arbeitsfähig zu werden. Erst so wird

Spuren und Horizonte – Ernst Jonny Kiphard und die Psychomotorik

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auch gesellschaftliche Teilhabe möglich. Und Selbstbestimmung, Autonomie, Freiheit“ (ebd., 91). In diesen Ausführungen des Deutsch-land-Chefs von McKinsey & Company lassen sich weitere von Kiphard hervorgehobene Prinzipien psycho-motorischen Arbeitens wiederfinden, die dieser als Kindgemäßheit, Entwick-lungsgemäßheit, Selbststeuerung und Selbstbeherrschung, kognitive und affektive Reflektionen sowie Leistungs-motivierung und –differenzierung bezeichnet (vgl. Kiphard 2001, 234 ff.). Kiphard hat damit Aspekte benannt, die auch für die zukünftige Gestaltung von Bildungs- und Entwicklungsprozessen von grundlegender Bedeutung sein werden.Aus einer in der aktuellen Bildungs-diskussion breit diskutierten interdis-ziplinären und inklusiven Perspektive ist auch die folgende Aussage Kiphards hoch relevant: „Mich faszinierte die Idee und die praktische Lösung der Aufgabe, wie man ungeschickten, entmutigten und sozial isolierten Kindern über kleine und kleinste Erfolge im Bewegungsbereich allmählich wieder zu Selbstvertrauen und zu selbstbestimmtem Handeln in der Gruppengemeinschaft verhelfen kann. So entstand zwischen 1955 und 1960 die Psychomotorische Übungsbehand-lung. Sie wurde belebt und befruchtet durch den ständigen interdisziplinären Austausch, den wir beide hatten“ (Hünnekens/Kiphard 1990, 28).

Psychomotorik als Beziehungskunst

Eine Aussage von Kiphard soll einlei-tend die große Bedeutung des Psycho-motorikers sowie den Stellenwert von Haltungen und Einstellungen unter-streichen: „Es sollte in der Motopäda-gogik und Mototherapie neben allem funktionalkompensatorischen Denken immer auch darum gehen, dem zu betreuenden Kind ein Gefühl für den eigenen Wert zu vermitteln. Es soll durch die engagierte Einstellung des Therapeuten einen Begriff davon bekommen, was echte, liebevolle Zuwendung bedeutet und wie wichtig Einfühlungsvermögen, Rücksichtnahme und Verständnis für andere im mensch-lichen Zusammensein sind. Nur wenn

der andere sich verstanden fühlt, wird er sich öffnen. Das größte Hemmnis auf dem Wege zur Kommunikation ist die Gewohnheit, andere Menschen und deren Verhalten zu bewerten und zu beurteilen. Wie leicht wird aus dem Urteilen ein Verurteilen?“ (Kiphard 1990, 60).Eine erfolgreiche psychomotorische Arbeit steht und fällt für Kiphard (vgl. 2004, 31) mit der Persönlichkeit der Therapeutin bzw. des Therapeuten. Dabei differenziert er die folgenden persönlichen Attribute:•„Achtung vor dem Kind, Geduld,

Verständnis und Herzenswärme•Ausstrahlen von Vertrauen, Ermuti-

gung und Bestärkung•Sympathisierende Anteilnahme,

Begeisterungsfähigkeit•Flexibilität, Eingehen auf die Ideen

der Kinder•Kontaktfähigkeit, Echtheit und

Ehrlichkeit•Konsequentes Verhalten, Berechen-

barkeit•Nicht das Kind rügen, sondern sein

Verhalten•Vor allem immer wieder positive

Ansätze sehen•Kreativität und – ganz wichtig –

HUMOR“ (ebd., 31 f.).Daraus ergeben sich zentrale Haupt­merkmale des psychomotorischen Vorgehens:•„am Kind orientiert, verstehend,

einfühlend, geduldig•prozessorientiert, mit Betonung des

Weges hin zum gesteckten Ziel•erlebnisorientiert im Sinne lustvoller

psychomotorischer Situationsbewälti-gung

•entspannte, fröhliche, spielerische und humorvolle Atmosphäre

•weitgehende Selbstbestimmung im Handeln, statt Fremdbestimmung

•explorativer und kreativer Material-umgang, Umweltveränderung und -gestaltung

•situative Offenheit, statt einengender Normen und Vorschriften

•vielfältige Möglichkeiten zu eigenen Erfolgserlebnissen

•Anerkennung, Ermutigung und Stärkung des Selbstwertgefühls

•allmähliche Steigerung der Konflikt-toleranz (auch verlieren können)

•konstantes und konsequentes Lehrerverhalten als Halt und Orien-tierung

•Aufbau persönlicher Beziehungen zu anderen Kindern

•Hinführen zu positiven Gemein-schaftserlebnissen

•Abbau von Ichbezogenheit und Egoismus“ (ebd., 31).

In der psychomotorischen Theorie-bildung spielt die Qualität und die Gestaltung der pädagogischen bzw. therapeutischen Beziehung – ebenso wie in anderen Disziplinen (vgl. für die Körperpsychotherapie u.a. Wehowsky 2006, für die Systemische Therapie und Beratung u. a. Bleckwedel 2008) – auch aktuell eine wichtige Rolle (vgl. z. B. Grensemann/Sammann 2005; Hölter 2005; Richter 2005; Seewald 2007). Als zentrale Variable psychomotori-schen Arbeitens verweist die Bezie-hungsgestaltung auf bestimmte entwicklungsfördernde Haltungen. Diese lassen sich zwar annäherungs-weise beschreiben, befinden sich aber im Kern auf einem anderen symboli-schen Niveau als dem der Sprache und werden in aller Regel in Beziehung gelebt. Die Antworten der Weggefähr-ten von Kiphard in diesem Heft sind ein beeindruckendes Zeugnis dieser gelebten Beziehungen.Für die Entwicklung zukünftiger Kon- zepte, Ansätze und Modelle in der Arbeit mit Menschen gilt es zu beden-ken, dass es höchstwahrscheinlich nicht isolierte Techniken, Methoden oder Programme sein werden, die Klienten auf ihrem Lebensweg unterstützen, sondern vielmehr „die Konsistenz von persönlicher Ausstrahlung, Konzept, Methode und Performance“ (Bleckwedel 2008, 19 f.). Wie ein solches Zusam-menspiel höchst erfolgreich gelingen kann, ist in den zahlreichen Zeugnissen von und über Kiphard (auch in diesem Heft) nachzulesen. Kiphard hat damit möglicherweise ganz selbstverständlich Aspekte in seiner Arbeitsweise vereint, die die Forschung in Zukunft in ihrem Zusammenspiel als die zentralen Wirk- faktoren psychomotorischen Arbeitens identifizieren wird.Dass Psychomotorik keine bloße Technik oder Methode ist, sondern in erster Linie eine emotionale Begegnung und damit in hohem Maße von der Persön-lichkeit des Psychomotorikers abhängt, kommt auch in dem folgenden Zitat von Kiphard zum Ausdruck: „Das Sich-offen-Halten, das Auf-Empfang-

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geschaltet-Sein gegenüber dem Patienten, gegenüber seinen Äußerun-gen und Reaktionen ist wohl eine der wichtigsten therapeutischen Eigen-schaften. Man muß – ob Vater, Mutter oder Therapeut – seine ‚emotionalen Antennen’ ständig ‚auf Empfang schalten’. Man muß spüren, was ein behindertes Kind in seinem Inneren an Konflikten erlebt. Ja, man sollte sich ganz in das Kind hineinfühlen, hinein-projizieren, um es auch wirklich ver- stehen zu können. Intensive Zuwendung beruhigt und schafft eine instinktive Vertrauensbasis zwischen Kind und Erwachsenem. Dazu muß man sich aber innerlich von allem anderen frei machen, um voll und ganz für das Kind da zu sein, wenn es Hilfe, Verständnis und echte emotionale Zuwendung braucht“ (Kiphard 1990, 41 f.).Die Ausführungen enthalten zahlreiche Anknüpfungspunkte für zukünftige Forschungsaktivitäten in allen für die Körper- und Bewegungsarbeit relevan-ten Paradigmen, d. h. für Entwicklungs-förderung bzw. -begleitung, Gesund-heitsförderung, Bildung und Therapie.

Psychomotorik als Notwendig-keit des Grenzgangs

Kiphard hat zwei Prozesse vorgelebt und praktiziert, die auch für die heutige und zukünftige Psychomotorik von großer Bedeutung sein dürften: Er hat integriert und er ließ sich integrieren. Das zentrale Thema der Psychomotorik – der lebenslange, leib- und bewegungs-gebundene Mensch-Welt-Dialog in Entwicklung ist so universell, dass es nur inter- und transdisziplinär bearbei-tet werden kann. Die Psychomotorik befindet sich an den Schnittkanten zahlreicher unterschiedlicher Paradig-men, Disziplinen und Diskurse und ist deshalb dringend auf Gratwanderer und Grenzgänger angewiesen. Dass ausge-rechnet der Gründervater der deutschen Psychomotorik ein solcher Grenzgänger war, kann man entweder als großes Glück oder geradezu als Voraussetzung für die Etablierung der Psychomotorik bezeichnen. Grenzgänger besitzen die zentrale Eigenschaft der Neugier und diese ist eine wesentliche Vorausset-zung für Entwicklung und für das (Er-)Finden von Lösungen. Diese Neugier zu kultivieren – bei sich selbst und bei

den Vertretern anderer Wissenschafts-disziplinen und Professionen – war eine der großen Stärken Kiphards. Eine weitere Ressource war die Fähigkeit zur Gratwanderung: Wer sich auf Gratwan-derungen begibt, muss zwar vorher nicht zwingend Trapezartist gewesen sein, sieht aber in jedem Fall weiter und zudem auch in andere Täler. Diese beiden Stärken Kiphards haben dazu geführt, dass die Psychomotorik bereits in ihrer Grundanlage interdisziplinär ausgerichtet war und es auch bis heute geblieben ist. Kiphard hat damit schon in der Art und Weise der Entwicklung der Psychomotorik entscheidende Weichen für deren Zukunftsfähigkeit gestellt. Auch wenn dieses Driften zwischen den Disziplinen durchaus auch als identi-tätsbedrohend wahrgenommen werden kann, so ist die Kultivierung einer transversalen Vernunft (vgl. Welsch 1995) möglicherweise eine der Kern-kompetenzen in der Postmoderne. Für den Bereich wissenschaftlicher Reflexi-on bedeutet Transversalität einerseits die Kenntnis vieler Oberflächen (womit die Bewertung Oberflächlichkeit möglicherweise einen Teil ihrer negativen Konnotationen verliert), sie impliziert andererseits aber auch eine gewisse Form des Dilettantismus (vgl. Thiele 1996, 45) und den Mut zur Lücke während der Grenzgänge zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Oberflächen. Grenzgänger sind dann auch nach Mittelstrass (vgl. 1992, 236; zit. nach Thiele 1996, 46) die Wissen-schaftler der Zukunft. Vor diesem Hintergrund war Kiphard auch ein Meister in der Entdeckung und Erfor-schung vielfältiger und praktikabler Benutzer-Oberflächen. Um dem Leser einen kleinen Eindruck von der Vielfalt dieser Benutzer-Oberflächen zu geben, seien exemplarisch einige der von ihm (vgl. Kiphard 1990, 113–213) diskutierten Verfahren der Mototherapie genannt (innerhalb der Motopädagogik ist eine ähnliche Vielfalt zu entdecken (vgl. hierzu u. a. Kiphard 1994; 2001): Neuromotorische Verfahren (darunter die neurophysiologischen Ansätze von Bobath und Vojta, die Doman-Delacato-Methode, die Bahnung von Komplex-bewegungen nach Knott und Kabat, die neuromotorische Entwicklungstherapie nach Castillo-Morales und die senso-risch-integrative Therapie), sensomoto-

rische und psychomotorische Therapie-verfahren (darunter die Psychomotorik- Therapie in der Schweiz, die rhythmisch- musikalische Therapie, die Orff-Musik-therapie), sportmotorische Therapie-verfahren (u. a. die heilpädagogische Sporttherapie, das therapeutische Reiten, die psychiatrische Bewegungs- und Sporttherapie), haltungstherapeuti-sche Übungsverfahren (u. a. strukturelle Integration, Eutonie, Alexandertechnik, Feldenkrais, Yoga), Bewegungspsycho-therapieverfahren (u. a. Konzentrative Bewegungstherapie, Integrative Bewegungstherapie, Bewegungs- und Atemtherapie), erlebnis- und ausdrucks- therapeutische Übungsverfahren (u. a. Ausdruckstherapie, Psychodrama, Bio- drama, Heileurythmie), Sensory Aware-ness, Bioenergetik, Autogenes Training, Funktionelle Entspannung und Progres-sive Muskelrelaxation.Dies stellt eine kleine Auswahl derjeni-gen Verfahren dar, die Kiphard als für die Mototherapie diskussionswürdig und beachtenswert betrachtete. Es ist unmittelbar einleuchtend, dass hinter diesen verschiedenen Ansätzen und Methoden sehr unterschiedliche Menschenbilder, Entwicklungsvorstel-lungen, Körper-, Leib- und Bewegungs-modelle sowie Störungsmodelle stehen, die in vielen Fällen nicht miteinander vereinbar sind. Dennoch macht es für die Psychomotorik Sinn, sich mit dieser Vielfalt und Unterschiedlichkeit auseinanderzusetzen und die Anzahl der Optionen sogar noch zu erweitern, wie es der ethische Imperativ von Heinz von Foerster „Handle stets so, dass weitere Möglichkeiten entstehen“ (von Foerster 1997, 60) empfiehlt. Diese Vielfalt gilt es dann in der Praxis auf ihre Passfähigkeit zu den Entwicklungs-situationen einzelner Klienten(systeme) zu überprüfen und in der Theorie im Hinblick auf die oben angesprochenen Analysekriterien zu untersuchen. In beiden Fällen kann die zukünftige Entwicklung der Psychomotorik davon profitieren und in der Kombination der beiden Perspektiven ergeben sich zahlreiche potenzielle Theorie- und Praxisforschungsfragen. Auch wenn dies unweigerlich zum Vorwurf des Eklektizismus und der mangelnden Trennschärfe führen kann, so ist aus systemisch-konstruktivisti-scher Perspektive und auch aus dem Blickwinkel der Postmoderne-Debatte

Spuren und Horizonte – Ernst Jonny Kiphard und die Psychomotorik

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das stärkere Argument das der Viabilität (Gangbarkeit) bzw. der Passung in der konkreten praktischen Arbeit. Darunter versteht Ernst von Glasersfeld (vgl. 1997, 25 ff.) die Fähigkeit, dass jemand oder etwas innerhalb bestimmter Bedingungen trotz Hindernissen funktioniert und damit überlebt. Folgt man Ciompi, so können demnach „Wahrheitstheorien“ jeder Art, von vorsichtig erarbeiteten animistischen Welterklärungen über Theorien der modernen Wissenschaft bis hin zu Ansätzen in der Arbeit mit Menschen als für einen bestimmten Kontext zeitweilig viable Lösungen innerhalb einer evoluierenden Gesamtsituation verstanden werden, „die alle einen gewissen Realitätsgehalt besitzen“ (Ciompi 2005, 33). Dies treffe schon allein deshalb zu, weil alle „Lösungen“, die nicht bis zu einem gewissen Grad der Wirklichkeit Rechnung trügen, im Laufe der Zeit unter den Tisch fielen, was einer Eliminierung durch den evolutionären Selektionsprozess entspräche. Das Maß für die Akzeptanz einer Welterklärung sei demnach deren Viabilität, womit alle „überlebenden“ Theorien ein Körnchen Wahrheit in sich trügen (vgl. ebd., 33; Wilber 1997, 8 f.). Man kann dementsprechend davon ausgehen, dass Kiphard so lange relevant ist, solange er gelesen, solange über ihn und seine Ideen gesprochen wird und vor allem solange

seine Anregungen Eingang in die Praxis finden. Hierzu sei auch erwähnt, dass man in der psychomotorischen Praxis höchst selten Ansätze in Reinkultur vorfindet, sondern viel eher Psycho-motoriker, die sich derjenigen Ansätze, Konzepte und Methoden bedienen, die in einer gegebenen Entwicklungs-situation für einen Klienten hilfreich zu sein scheinen, ein Aspekt, der auch für Kiphard entscheidend war.Vor diesem Hintergrund ist auch die folgende Einschätzung Klaus Fischers treffend: „Die Psychomotorische Übungsbehandlung ist als Ursprungs-konzept zu sehen, das inzwischen in revidierter und modifizierter Fassung vorliegt. Dennoch verdankt die gesamte ‚psychomotorische Bewegung’ dem Erfindungsreichtum dieses Ursprungs-konzeptes ein beharrliches Momentum bis in die Gegenwart“ (Fischer 2009, 203).

Schlussgedanken

Wer sich immer wieder um die Pass-fähigkeit seiner psychomotorischen Angebote bemüht, wer gesellschaftliche Bedingungen mitgestalten möchte, wer sich stets von Neuem auf intensive Beziehungen einlässt, wer Spuren sucht und hinterlässt, wer Horizonte ent-decken und erweitern möchte und dabei Grenzen verschiebt, der braucht

vor allem eines: Leidenschaft! Diese Leidenschaft zeigt sich wohl in erster Linie im gelebten Leben und in leib-haftigen zwischenmenschlichen Begegnungen, von denen in diesem Heft ja auch mehrfach die Rede ist. Da eine solche direkte Begegnung in einem schriftlichen Beitrag nicht realisierbar ist, soll abschließend noch einmal Kiphard selbst zu Wort kommen:„Wir müssen die gestörten, entmutigten und verzagten Kinder einerseits stark genug machen für eine Anpassung an schwer zu bewältigende Lebensbedin-gungen, mit denen sie fertig werden müssen, um zu überleben – körperlich und seelisch. Andererseits soll die Erstarkung des Eigenwillens, das zunehmende Selbstwertgefühl auch dazu genützt werden, gegen krankma-chende Umweltgegebenheiten, gegen Hetze, Überstreß, Leistungsdruck und Überbetonung des Rationalen, gegen die sträfliche Vernachlässigung des Körpers, des kindlichen Bewegungs-bedürfnisses und der Emotionalität zu protestieren“ (Kiphard 1990, 21). Diese Leidenschaft prägte und prägt die Psychomotorik bis heute, man kann ihr nur wünschen, dass sie auch zukünftig spürbar bleibt, dass davon viele Klienten profitieren und dass sich die Forschung weiterhin der Frage widmet, warum und auf welche Art und Weise dies ge-schieht.

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Wie Wegbegleiter Jonny Kiphard erlebt haben – Teil 2

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3. Blickwinkel: Welche Bedeutung hat Jonny Kiphard für Sie persön-lich und beruflich gehabt?

„Jonny war ein guter Freund, er hat mich animiert, die Bewegung des Kindes und des Menschen in den Mittelpunkt meines Interesses zu rücken. Mit der Motologie bin ich dann eigene Wege gegangen, aber der psychomotorischen Bewegung in Deutschland treu geblie-ben. Seine spielerische, humorvolle und unbelastete Betrachtungsweise der Dinge kam meinem eigenen Naturell sehr entgegen. Für uns war der Beruf und unser Sendungsbewusstsein immer spielerisch. Wir haben viel Unsinn gemacht, gelacht und andere auf die ‚Schüppe’ genommen. Es war eben sehr angenehm mit ihm zu planen, zu disku- tieren und zu lachen!!! Er musste natür- lich immer im Mittelpunkt stehen, er brauchte das Publikum und den Beifall, wie er es als Clown und im Zirkus gewohnt war.“ (Friedhelm Schilling)

„Er hat mir gezeigt, welche Möglich-keiten die Psychomotorik für die Behandlung von Kindern mit psychi-schen Problemen bzw. mit Entwick-lungsstörungen hat. Er hat mein eigenes Bemühen um interdisziplinäre Kooperation stets gefördert und viele Anregungen für unser diagnostisches und therapeutisches Tun gegeben.“ (Gerd Neuhäuser)

„Persönlich hat mich Jonny durch seine milde, freundliche und humorvolle Art am meisten beeindruckt. Er war wirklich ein Menschenfreund. Rückblickend gefällt mir auch das leicht anarchische, die Erwartungen durchkreuzende Moment sehr gut, das jetzt durch viele Geschichten deutlicher hervortritt als ich es damals wahrgenommen habe. Beruflich hat mich Jonny bei meiner Aufbauarbeit in Erfurt in den 1990er Jahren sehr unterstützt. Er hat sogar in einem Bewerbungsverfahren einmal ein

Gutachten geschrieben, das sehr positiv für mich ausgefallen ist. Während des Sommersemesters 1999 war er formal mein Chef und hat sich dabei wie ein guter Senior-Chef verhalten, der einem wohlwollend zur Seite steht und auch mal einen Rat gibt, wenn man ihn fragt.“ (Jürgen Seewald)

„Als Sportlehrer mit abgeschlossenem Referendariat an einem Gymnasium spürte ich sehr bald: das ist nicht das, was ich wollte. Die schulische Atmo-sphäre war für mich eher steril, muffig und kontrolliert. Die besonderen Kinder, mit denen ich es häufig zu tun hatte, sie kamen in meiner Ausbildung kaum vor. Aber ihnen gehörte mein Herz. Was tun? Jonny vermittelte mir mit der Gestalt des ‚dummen August’ das Wertschätzen der Besonderheit eines jeden Menschen, das Zueinander zu Toleranz und Geduld, zu Offenheit und Kreativität, das Lachen und die heilende und heilsame Atmosphäre. Es ist der Blick auf den Menschen, ganzheitlich und in seinen Möglichkeiten. Aus der Ausbildungssituation mit Jonny ist mit der Zeit ein freundschaftliches Verhältnis entstanden. Nicht nur ich reiste zu seinen Veranstaltungen, auch er besuchte mich, z. B. bei meiner Arbeitsstelle im Kinderzentrum Mün-chen und – spontan wie er war – Minu-ten nach seinem Vortrag entschloss er sich, da Kinder in der Turnhalle spielten, einen Sketch mit ihnen aufzuführen. Nach einer kurzen Pause schrieb er mir schnell einige Sätze aufs Papier, auch ich war schnell eingebunden, und los ging es. Sein wohl letztes Seminar gab er im IBP in München-Gröbenzell. Auch hier zeigte er trotz Alter und Krankheit sein ganzes Charisma. Wie er fesseln konnte, wie er immer noch verblüffte und alle in seinen Bann zog.“ (Michael Passolt)

„Als Jonny 1980 nach Frankfurt kam, besuchte ich ihn in seiner Sprechstunde und erzählte ihm von meiner Arbeit mit behinderten Kindern im Wasser. Eine

Woche später besuchte er uns in unserer Schwimmschule und am Ende des Vormittags sagte er mir, ich müsste alle meine Erfahrungen veröffentlichen. Nach kurzer Zeit rief er an, ob ich schon geschrieben habe. Er bedrängte mich förmlich, bis ich meinen ersten Aufsatz geschrieben hatte (er las die ersten Aufsätze auch und korrigierte, wo nötig). Da mein erster Aufsatz lange nicht in der Motorik erschien, inter-venierte Jonny mit der Drohung, auch nicht mehr für die Motorik zu schrei-ben. Daraufhin erschien der Aufsatz mit einer Anmerkung, dass dieser Aufsatz nur veröffentlicht worden sei, da sich andere Arbeiten darauf bezögen. Der Inhalt würde aber nicht vom wissen-schaftlichen Beirat geteilt. Ohne Jonny hätte ich wohl nichts mehr geschrieben. Dank seiner Unterstützung sind viele Aufsätze und ein Buch erschienen, in dem Jonny das Vorwort geschrieben hat. Weil Jonny an meine Arbeit immer geglaubt hat, hatte ich den Rückhalt, meine Ideen auch international zu verbreiten.“ (Reiner Cherek)

„Stellvertretend für zahlreiche Begeg-nungen sei nochmals jene mit Jonny Kiphard und Rudolf Ekstein erwähnt. Derartige Begegnungen und Ausei-nandersetzungen haben sowohl die Entwicklung unseres metatheoretischen Modells „Spüren-Fühlen-Denken“ beeinflusst als auch zur wechselseitigen Integration von körperlichen und psychischen Vorgängen in unsere theoretischen Überlegungen und die praktische therapeutische Arbeit beigetragen.“ (Toni Reinelt und Gisela Gerber)

„Eigentlich nur rein persönlich und privat, besonders in der Zeit, als Ingrid Kiphard noch lebte. Viele gemeinsame Zirkusbesuche, die Welt, in der sich Jonny perfekt auskannte. Jonny als stolzes Jurymitglied beim Kinderzirkus-festival in Wiesbaden (neben Johnny Klinke, Tigerpalast in Frankfurt).“ (Wolfgang Kinzinger)

Wie Wegbegleiter Jonny Kiphard erlebt haben – Teil 2

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4. Blickwinkel: Welches sind die besonderen Stärken seiner Arbeitsweise gewesen? Warum, glauben Sie, hatte er so großen Erfolg?

„Seine Stärke war die spielerische Leichtigkeit und gleichzeitige durch-setzungsfähige Ernsthaftigkeit im Umgang mit den behinderten Kindern. Er verfügte über unendlich viele Ideen und Tricks, den Kindern die Psycho-motorischen Übungen so darzubieten, dass sie mit Freude, Mut und Engage-ment bei der Sache waren. Wenn ein Kind nicht mitmachen wollte, dann fing er an zu zaubern. Das zog immer. Die eigene Tochter hat längere Zeit echt Sorge gehabt, von ihm verzaubert zu werden. So überzeugend waren seine Tricks für die Kinder. Diese aufgeladene, freudige und humorvolle Atmosphäre in den Übungsstunden hat ihn berühmt gemacht. Für viele war er ein Powerman in jeder Hinsicht – ‚ohne Furcht und Tadel’. (Friedhelm Schilling)

„Das Geheimnis seines Erfolgs sehe ich in Jonny’s Gabe der Faszination. Er konnte Menschen in den Bann ziehen. Er machte aus jedem Raum eine Manege. Er ist deshalb auch in seiner Arbeitsweise unnachahmlich, weil nur wenige diese Gabe haben und andere Menschen so stark ansprechen können.“ (Jürgen Seewald)

„(…) Das, was er im Zirkus machte, um die Zuschauer zu fesseln, lebte er auch oft bei seinen Vorträgen, Seminaren und in der Arbeit mit Kindern. Wie waren unsere Studenten, die Lehrper-sonen verschiedener Fakultäten und andere Interessierte fasziniert, als Kiphard einen seiner großen Vorträge damit begann, dass er als Einleitung einen Handstand auf dem flachen Vortragspult machte und dann auch noch dabei einen Arm hob. Er stand mit einem Arm auf dem Pult und freute sich an den verdutzten Gesich-tern des Publikums, das dann frene- tisch applaudierte. Noch nie hatte jemand einen Vortrag in diesen ‚heiligen Hallen’ der Psychiatrie so eröffnet. Das Publikum, so kann man sich vorstellen, saß in der Folge gespannt in den Bänken und lauschte, was Jonny über die Motopädagogik

und Psychomotorik zu sagen hatte.“ (Toni Reinelt und Gisela Gerber)

„Seit Jahren interessiert mich wissen-schaftlich, was eigentlich den Erfolg von bewegungsorientierten oder auch psychomotorisch-therapeutischen Methoden ausmacht. Ist es eine bestimmte Technik, ist es eine Manuali-sierung oder ist es eine besondere Art und Weise der Beziehung zwischen Menschen? Bei Jonny Kiphard, glaube ich, ist es die Verbindung zwischen einem großen handwerklichen Können – was fast alle Facetten der Bewegungs-erziehung angeht – mit einem charis-matischen und einfühlsamen Zugang zum Menschen. Ich möchte allerdings nicht verschweigen, dass ich dies nicht immer nur positiv erlebt habe, sondern es gab durchaus Momente, wo das Präsentieren von Zaubertricks und eine gewisse Zentrierung auf seine Person nicht angebracht war. In solchen Situationen hätte ich mir dann etwas mehr Zurückhaltung gewünscht.“ (Gerd Hölter)

„Meiner Ansicht nach lag seine Stärke im Charisma, also in seiner Ausstrah-lung. Im Gespräch und bei der psycho-motorischen Arbeit gab er jedem der Teilnehmenden allein durch seinen motivierenden Blick stets das Gefühl, eigens für sie bzw. ihn da zu sein.“ (Gerd Neuhäuser)

„Jonny war von seiner Arbeit so über- zeugt, dass der Funke schnell über-sprang. Mit seiner Offenheit und seinen strahlenden blauen Augen gewann er alle Herzen. Er konnte verblüffen und sich in den Anderen hineinversetzen. Wenn er Kinder sah, vergaß er sein Umfeld. Jonny war derjenige, der verschiedene Strömungen seiner Zeit zusammengefasst hat, um daraus seine Psychomotorik zu schaffen. Die Kiphard´sche Psychomotorik ist auch pädagogisches Handwerkszeug, den anderen Mut zu machen. Behinderte lernten so, auf sich stolz sein zu können, sie entwickelten ein Selbst-wertgefühl. Sie lernten so Mut, sich zu mehr zuzutrauen.“ (Reiner Cherek)

5. Blickwinkel: Wie würden Sie die Art und Weise seiner Beziehungsgestal-tung mit Klienten beschreiben?

„Offen, ehrlich, humorvoll, neugierig, positiv und kooperativ, mit grenzen-losem Vertrauen in die Selbstheilungs-kräfte des kindlichen Organismus. Er strahlte Ruhe und Gelassenheit aus, hatte aber gleichzeitig immer ein Kunststück, einen Trick, eine interes-sante Frage bereit, ein Meister der Motivation. Vor allem mit seinem Akkordeon verstand er es, die Bewe-gung in der Gruppe zu steuern, die ganze Bandbreite von Aktivierung bis zur Ruhe und Entspannung anzuleiten.“ (Alfred Leger)

„Er ging auf den Menschen zu. Ohne Vorbehalte. Er vermittelte ihnen, sich kompetent zu fühlen und sich als wichtig zu erachten – und dadurch machte er z. B. Zirkusvorstellungen in seinem Zirkus ‚Ellebogen’. Er gab den Kindern Raum zum Spiel, zum Einbrin-gen von Ideen, zur Kreativität und zur Darstellung: jeder nach seinen Fähig-keiten und nach seinen individuellen Leistungen. Auch wenn er sich (moto-risch) ‚dumm’ stellte, im Fallen, Stolpern, Sich-ungeschickt-anstellen, gab er den Kindern Zeit, zu helfen, sich einzubringen und dadurch sich helfend mit Selbstwirksamkeit einzubringen. Ich glaube, dass dadurch Kinder nicht in Stress gerieten, ,gut’ sein zu müssen, sondern sich in Mitmenschlichkeit zu zeigen und sich aktiv und handelnd zu spüren.“ (Michael Passolt)

„Kiphard war in der Begegnung immer Kiphard, also zutiefst authentisch. Er war ohne Scheu in der Begegnung, setzte die Kinder und Jugendlichen nicht herab, ermutigte zum kreativen Ausprobieren neuer Wege und war durch die Vermittlung eines oft spielerischen und humorvollen Zugangs zu den Anforderungen eine besondere Quelle der Motivation.“ (Toni Reinelt und Gisela Gerber)

„Der Clown in Jonny schwang immer mit – er konnte sich selber immer wieder hinterfragen, dadurch entstand nie eine Überheblichkeit gegenüber ‚Klienten’.“ (Wolfgang Kinzinger)

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Interaktive SeiteEine persönliche Seite ...

Wenn Sie sich an Jonny Kiphard erinnern, welches Bild, welche Gedanken oder Emotionen, evtl. sogar welches Körpergefühl taucht bei Ihnen auf? Vielleicht haben Sie Lust, diese offene Seite aus Ihrer Sicht und mit Ihren Assoziationen zu gestalten? Somit wird diese Motorik unverwechselbar Ihre Motorik!

89motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

Einleitung

Motivation zum handelnden Umgang mit der Welt und vor allen Dingen Freude als motivierendes und beglü­ckendes Medium in Pädagogik und Therapie – wer von uns wüsste nicht aus der täglichen Erfahrung um diese erhebenden und aktivierenden Emo­tionen. Als Einführung in das Thema möchte ich aus meinem letzten Rundbrief zum Jahreswechsel wörtlich zitieren:

„Das Leben ist schneller geworden, die Kontakte oberflächlicher.

Obwohl wir mehr Freizeit haben, hat kein Mensch mehr Zeit.

Es fehlt die Zeit zum Zuhören, zum Lesen, zum Nachdenken und Träumen.

Wir müssen sie uns einfach nehmen – die Zeit!

Wir brauchen sie dringend zum Lieben und Geliebtwerden,

zum Spiel, zum Spaß, zum Lachen, zur Lebensfreude.

Freuen wir uns über ein Lächeln, ein liebes Wort, über den Duft einer Rose,

über eine Melodie, über die unend ­ liche Schönheit der Natur.

Für all das sollten wir dankbar sein. Dankbarkeit ist der Schlüssel zum Glück.

Versuchen wir im kommenden Jahr ein bisschen dankbar und glücklich zu sein.“

Am Anfang steht die MotivationWir alle, die wir mit Kindern umgehen, müssen vor allem selbst hochmotiviert sein. Wir müssen ein Motiv ­ wörtlich: einen Beweggrund – haben oder besser mehrere. Motivation ist die Summe der Beweggründe zum Handeln. Erwachse­ne wie Kinder brauchen Motivation. Sie ist der Motor für jeden Lernprozess. Motivation beruht auf Vorlieben, Inte­ ressen und Bedürfnissen.Jedes Kind hat Grundbedürfnisse. Dazu gehören Funktionslust und Bewegungs­freude. Wichtig für die frühkindliche Entwicklung sind vor allem taktile und vestibuläre Sinneserfahrungen. So das Berührtwerden im Sinne von Streichel­einheiten, aber auch das Gewiegtwerden, das Schwingen, Drehen und Schaukeln. Diese Lageänderungen im Schwerkraft­feld der Erde sind, wie Ayres zeigen konnte, elementare Anreize für die Ge­ samtentwicklung des Kindes. Das Schöne daran ist die Lust, mit der sich auch behinderte Kinder diesen vestibulären Sinnesreizen hingeben.Um noch einmal auf die für die emotio­nale und soziale Entwicklung so unge­ heuer wichtigen Hautreize zurück zu kommen: Die beständige mütterliche Zuwendung, ihre gebende Liebe ver­ mittelt Nestwärme und Urvertrauen. Sie sind Voraussetzung für ein gesundes Selbstwertgefühl, etwa in dem Sinne: „Weil ich geliebt werde, bin ich etwas wert.“Der Mensch sucht sein ganzes Leben lang Anerkennung durch andere. Heckhausen hat in den 60er Jahren auf Grund umfangreicher Experimente festgestellt, dass das Bewusstsein für Gewinnen und Verlieren bei Kindern

schon mit etwa 3½ Jahren vorhanden ist. Ab diesem Zeitpunkt wollen die Kinder besser sein als andere. Diesen Selbsterhaltungstrieb sollte man pädagogisch nicht fördern oder unterstützen. Besser ist ein Hinführen zu konkurrenzfreiem individuellem Problemlösen und zur Kreativität. Auch hier erlebt das Kind das befriedi­gende Gefühl des Stolzes über eigene Leistungen. In der Psychomotorik wird beim Lösen motorischer Probleme die Bewegungs­kreativität des einzelnen Kindes herausgefordert. Sie (er­)finden neue Wege zur Problemlösung. Dabei sind sie hochmotiviert, weil die Hoffnung auf Erfolg die Angst vor dem Misserfolg gar nicht erst aufkommen lässt. Als Fazit kann man sagen, dass die Handlungen und Unternehmungen eines Kindes um so erfolgreicher sind, je mehr es motiviert, begeistert, freudig und „mit Lust und Liebe“ an die Sache herangeht. Freude muss immer dabei sein, dann macht Lernen Spaß. Die folgenden Videoszenen im Umgang mit der von Miedzinski 1983 entwickelten Bewe­gungsbaustelle sollen dies verdeutli­chen.

Vermehrte Vitalität durch Bewegungs- und Lebensfreude

Marianne Frostig, die große Heilpäda­gogin, bezeichnete die Freude als „das am meisten vernachlässigte Gefühl“. Drei weitere Zitate (Frostig, 1973; 1978) sollen die Bedeutung der Freude aus ihrer Sicht hervorheben:•Freude am Leben zu erwecken, ist ein

wesentliches Ziel der Erziehung.

Ernst Jonny Kiphard

Die Bedeutung von Motivation, Bewegungs- und Lebensfreude für die Förderung behinderter Kinder(unveröffentl. Vortrag Hamburg 1999)

Die Bedeutung von Motivation, Bewegungs­ und Lebensfreude für die Förderung behinderter Kinder

90 motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

•Freude ist eine absolut notwendige Voraussetzung für optimales Lernen.

•Lebensfreude ist das beste Gegenmit­tel gegen emotionale Störungen.

Laut Lexikon ist Freude ein Hochgefühl, das mit Frohsinn, Herzensfröhlichkeit und Glücksgefühl einhergeht. Beethoven hat diesem erhebenden Gefühl in seiner „Hymne an die Freude“ ein musikali­sches Denkmal gesetzt. Und irgend ein Spaßvogel hat einmal gesagt, man möchte in dieser Hochstimmung JUNG wie ein ADLER mit FREUD durch die Luft fliegen! Aber Spaß beiseite. Nein, eigentlich dürfte man, wenn man über Freude redet, Spaß und Humor nicht beiseite lassen, weil sie Lachen auslösen und damit ein wichtiges emotionales Ventil öffnen.Herzhaftes Lachen ist eine urgewaltige Ausdrucksbewegung. Sie wirkt span­nungslösend, befreiend und emotional reinigend. Andererseits wendet sich der Mensch – und das trifft in besonderem Maße auf Behinderte zu – mit dem Lachen gegen alle Erduldungen, Zurücksetzungen, Verletzungen und Ungerechtigkeiten, denen er im Leben ausgesetzt war. Es ist ein unbewußtes Aufbegehren, ein Gegenangriff, durch den sich der lachende Mensch laut und polternd als Sozialpartner bemerkbar macht. Nach Bergson (1972) legt das Lachen das Starre, Unbewegliche und Unlebendige in unseren gesellschaft­lichen Normen bloß und versucht sie damit zu korrigieren.Zurück zur Freude als im wahrsten Sinne des Wortes erhebendes Gefühl. Man möchte jubeln, jauchzen und am liebsten vor Freude an die Decke springen. So betrachtet, ist die Freude ein Gegengewicht zur Erdenschwere. Sie wendet sich gegen das zu Ernste, Gesetzte, Aufgesetzte, Festgesetzte, gegen starre Verhaltensschablonen, die ein unbeschwertes Äußern der Freude nicht zulassen. Kinder drücken ihre Freude noch unbekümmert aus, wenn man sie lässt. Wir Erwachsenen unterdrücken sie leider zu oft, weil der Freude etwas Unernstes, kindlich Emoti­onales anhaftet. Da will man sich lieber nicht blamieren.Dabei können wir so viel von den Kindern lernen. Lassen wir ihnen um Gottes Willen ihre spontane Lebens­freude, in der sie sich im Einklang mit sich selbst befinden. Und versuchen wir selbst einmal Kind zu sein, auf die

Ebene der Kinder, auf den Fußboden runter zu gehen und uns ungehemmt und unreflektiert dem von den Kindern initiiertem Spielgeschehen hinzugeben. Vergessen wir bei Behinderten einmal alles Zweckhafte, gehen wir mit ihnen um wie mit normalen, unbehinderten Kindern. Vergessen wir für ein paar Momente ihre pathologischen Bewe­gungsmuster, scherzen und lachen wir mit ihnen nach Herzenslust. Das ist besser als Mitleid und Helfenwollen um jeden Preis.

Freude und Lachen als soziales Phänomen

Freude vermittelt Vitalität, Motivation und Aktivation. Man kann förmlich miterleben, wie das Erlebnis der Freude den Menschen schlagartig verändert, wie sein Körper die Freude ausdrückt, wie das Gesicht plötzlich aufleuchtet, wie die Augen strahlen und die Mund­ winkel nach oben gehen. Und das Bereichernde ist, dass eine solcher­maßen geäußerte Freude ansteckend ist. Überschäumende Lebensfreude will man mit anderen teilen. Der lachende, fröhliche Mensch will andere an seiner Freude teilhaben lassen. Gerade dieser soziale Aspekt wird oft übersehen. In der Freude neigt man dazu, das Gemeinsame zu betonen und nicht das Trennende. Man hat einfach Freude an der Freude anderer. Neid, der Freuden­töter, hat hier keine Chance, weil die gemeinsam mit anderen geteilten lustvollen Erlebnisse ein Gefühl der Solidarität vermitteln.Es gibt allerdings eine Form der Freude – die Schadenfreude, die nichts mit echter Freude zu tun hat. Sie ist im Gegenteil sadistisch, weil sie sich am Unglück anderer Menschen weidet. Schlimm sind m. E. Fernsehsendungen wie „Pleiten, Pech und Pannen“ oder manche sogenannten Homevideos, in denen vor allem kindliche Mißgeschicke zur Erheiterung der erwachsenen Zuschauer gezeigt werden. Wenn dabei selbst Kleinkinder bei zum Teil recht erheblichen Stürzen herzerweichend heulend gefilmt werden, um sie auf diese Weise dem Gespött der Zuschauer preiszugeben, so werden bei diesem grausamen Spiel die Grenzen des guten Geschmacks bei weitem über­schritten.

Zum Schluß noch ein anderer wichtiger Aspekt, auf den Frau Prof. Kast von der Universität Zürich unlängst hin­ gewiesen hat: Wo Freude ist, da ist auch Hoffnung. Es ist das Vertrauen in die Zukunft, die Hoffnung auf eine Wendung. „Freude ist zudem verbunden mit einem Interesse, das Leben zum Besseren hin zu verändern. Umso eigen­ tümlicher, daß diese Emotionen im Bereich des therapeutischen Handelns so wenig beachtet werden“ (Kast, 1998, S. 437).

Ich möchte schließen mit einem Gedicht aus meinem Clownbuch:

Die bessre WeltDie bessre Welt, von der wir immer träumen,ist keine Meile von hier entfernt,am Ende der Großstadt, dort bei den Wiesen und Bäumen,nur wir, wir haben das Schauen verlernt.

Die bessre Welt beginnt in einer Stunde,gleich hinter dem letzten Stein am Feld, im tiefen, weichen Moos im Wiesengrunde,da gibt es sie noch, bessre Welt.

Mit Geld läßt diese Welt sich nicht erschließen,es gibt kein Schlüssel­Passe­par­tout.Die bessre Welt kann nur im Stillen sprießen,dem Lärmenden schlägt sie die Türe zu.

Die bessre Welt stirbt an so manchem MorgenUnd hält sich tagelang versteckt,im Lächeln irgend eines Clowns verborgenund wartet drauf, bis man sie weckt.

Was kann die bessre Welt für uns noch taugen?Sie ist so fern und doch so nah,bisweilen strahlt sie aus den Kinderaugen,dann weiß ich: diese Welt ist da.

Sie lebt, statt irgendwo auf fernen Sternen,in unsern Herzen, halb erdrückt.Wir müssen wohl aufs Neue lieben lernen,dann ist die bessre Welt geglückt.

91motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

G. Pütz u. a. (Hrsg.), An Wunder glauben … : Die Kunst der Psycho- motorik, das ‚Unbegreifliche’ erfahrbar zu machen. Dortmund: verlag modernes lernen.

Kiphard, E. J./Pade, H. J. (1986). Der Clown in dir. Dortmund: verlag modernes lernen.

Miedzinski, K. (1996). Die Bewe-gungsbaustelle. Kinder bauen ihre Bewegungsanlässe selbst. Dortmund: verlag modernes lernen.

und Furcht in der Leistungsmoti-vation. Meisenheim/Glan.

Kast, V. (1991). Inspiration, Hoff-nung. Olten: Walter.

Kast, V. (1998). Die Wiederentde­ckung der Freude in der Therapie. In: Zsch. Ergotherapie (Dortmund), 6.

Kiphard, E. J. (1998). Clowns als Therapeuten. In: Zsch. Orientie-rung, 3 (Diakon. Werk).

Kiphard, E. J. (1998). Zaubern als pädagogisches Mittel. In:

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Ayres, A. J. (1984). Bausteine der kindlichen Entwicklung. Heidelberg: Springer.

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Frostig, M. (1975). Bewegungserzie-hung. München: Reinhardt.

Frostig, M./Maslow, P. (1978). Lernprobleme in der Schule. Stuttgart: Hippokrates.

Heckhausen, H. (1963). Hoffnung

6. Blickwinkel: Wenn wir uns an Jonny Kiphard erinnern, welches bleibende Bild wünschen Sie sich?

„Seine Fähigkeit Menschen zu gewin­nen und zu begeistern war beneidens­ und natürlich nachahmenswert.“ (Eckhard Knab)

„Dass seine schillernde und humorvolle Persönlichkeit in Erinnerung bleibt und nicht einer unnötigen Kritik unterzogen werden sollte. Er war eben der Lebens­künstler Jonny und der sollte er auch bleiben.“ (Friedhelm Schilling)

„Für mich sind die Bilder ‚Jonny, der Clown’ und ‚Jonny, der Meister’ bleibend miteinander verwoben, am

liebsten in der Anekdote des Hand­stands an der Universität zu Frankfurt (‚Jonny, der Akrobat’), die mir zeigte, dass Achtsamkeit, Wirksamkeit, Achtung und Respekt auch möglich sind, wenn wir uns zutrauen, der Welt manchmal kopfüber zu begegnen.“ (Ingrid Olbrich)

„Dass er seinen Platz neben Marianne Frostig und Maria Montessori in der Pädagogik findet. Leider sieht die Realität aber anders aus. Sportstuden­ten in Frankfurt kennen Kiphard nicht mehr. Anders ist es in (sozial­)pädago­gischen Fächern.“ (Reiner Cherek)

„Wir wünschen uns, dass Jonny Kiphard als vielseitig interessierter Mensch in Erinnerung bleibt, der jenseits gesell­schaftlicher Machtkämpfe handelte,

überzeugende menschliche, humanisti­sche Züge hatte und vor allem, der das Leben liebte, offen anderen Menschen begegnete und von Optimismus, Humor und Liebe erfüllt war. Er hat in seiner Arbeit Theorie und Praxis vereint und war in seiner Authentizität bestechend.“ (Toni Reinelt und Gisela Gerber)

„Der Clown und der Clown im Professor, der alle auf Anhieb begeistern konnte, besonders die Kinder. Aber auch die ‚zerbrechliche Person’ hinter der Fassade – und gleichzeitig die Bewun­derung, wie er mit den vielen Schick­salsschlägen fertig wurde (eigene schwere Erkrankungen, früher Tod der Tochter, dann der Tod von Ingrid Kiphard etc.).“ (Wolfgang Kinzinger)

Wie Wegbegleiter Jonny Kiphard erlebt haben – Teil 3

Ausschnitte von Weg und Wirken des Jonny Kiphard

92 motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

Dabei waren die Anfänge für ihn Ende der 1950er Jahre als Neuling im Klinik- bereich nicht leicht, wo die Hierarchie zwischen Ärzten und Nichtärzten oft besonders ausgeprägt ist. Er konnte jedoch mit seiner Persönlichkeit und seinem Können sowie dem Zuspruch durch die Kinder und die erkennbaren Erfolge so überzeugen, dass die Klinikleitung eine Arztstelle mit dem Diplomsportlehrer Kiphard nichtärztlich besetzte. Dieser fand in dem damaligen Oberarzt und späteren Chefarzt in Hamm, Dr. Helmut Hünnekens, einen begeisterten Mitstreiter und Förderer. Mit seinem Engagement und seiner Begeisterungsfähigkeit gelang es ihm immer wieder, auch andere mit dieser Idee „anzustecken“, mitzureißen und durch Vorträge, Lehrgänge und Sym-posien die Psychomotorik zunehmend in Praxis und Wissenschaft bekannt zu machen. Aus einem Ideenpool anlässlich eines Spaziergangs 1973, zusammen mit Helmut Hünnekens und Friedhelm Schilling, wurde die Idee zum „Aktions-kreis Psychomotorik e. V.“ (AKP) ent- wickelt, der schließlich 1976 gegründet werden konnte. Jonny Kiphard war immer neugierig, hatte stets „die Nase im Wind“, er versuchte, neue Entwicklungen früh aufzugreifen, orientierte sich dabei auch intensiv im Ausland. Es war daher

folgerichtig, dass auch seine Mitstreiter über den Tellerrand hinausschauten, die Ideen der Deutschen Psychomotorik mit den Entwicklungen in anderen, insbe-sondere den europäischen Nachbar-ländern verglichen. Aus dem AKP wurden daher Strategien entwickelt, die Psychomotorik auf europäischer Ebene zur besseren Wirksamkeit in Öffentlich-keit, Verwaltung und Politik zu institu-tionalisieren: 1996 wurde das „Europäi-sche Forum für Psychomotorik“ unter der Präsidentschaft von Tilo Irmischer gegründet, einem langjährigen Mitstrei-ter von Kiphard.Jonny Kiphard, der immer gerne agierte, posierte, inspirierte, auch lehrte und anleitete, sich Anregungen holte, sich jedoch eher ungern mit Vereinsstatuten und Tagesordnungen beschäftigte, arbeitete fünf Jahre lang verantwortlich im Vorstand des AKP mit, der zum institutionellen Pionier der Deutschen Psychomotorik wurde. Initiierung und Umsetzung von Fortbildungen, Ausbildungen, Information von Öffent-lichkeit und Politik über die Psycho-motorik, knüpfen internationaler Kontakte sind bis heute die wichtigsten Ziele.Auch bei der Gründung der ersten Psychomotorik-Fachzeitschrift war er von Anfang an dabei, 1977 als „Fachredakteur für Mototherapie“ des

zunächst als „Psychomotorik“ erschie-nenen Verbandsorgans des AKP und ab 1978 als Mitglied des Redaktionsteams der im Hofmann-Verlag publizierten Fachzeitschrift MOTORIK; insgesamt etwa fünf Jahre lang.Anfangs als Mitinitiator begleitet und bereichert Jonny Kiphard auch in den folgenden Jahrzehnten die Fortbil-dungsreihe des AKP in der „Akademie für Psychomotorik und Mototherapie“, die schließlich in „Deutsche Akademie für Psychomotorik“ (dakp) umbenannt wurde. Sie ist seit Jahrzehnten der größte Psychomotorik-Fortbildungs-anbieter in Deutschland, neben dem inzwischen auch eine Reihe anderer die psychomotorische Idee vermit- teln.Aus einer Grundlagenkommission des AKP wurde seit 1977 erstmals eine berufliche Weiterbildung entwickelt: Die Ausbildung zur staatlich geprüften Motopädin/zum staatlich geprüften Motopäden. Hier leistete die Fachschule für Gymnastik-Bewegungstherapie in Dortmund für ca. 15 Jahre hervorragen-de Pionierarbeit (seit einigen Jahren ist sie als „Ernst-Kiphard-Berufskolleg“

Als Nachfolger von Jonny Kiphard in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hamm seit Anfang 1979 bin ich ein Vertreter der zweiten Generation in der Geschichte der Kiphard`schen und damit der Deutschen Psychomotorik.In der Historie des Wirkens von Jonny Kiphard steht also zunächst die klinische Arbeit, anfangs in Gütersloh später in Hamm. Über 20 Jahre lang war Jonny hier aktiv als Pionier, Pädagoge, Helfer, Therapeut, „dummer August“, Freund und Kollege tätig, immer zu Späßen aufgelegt und doch auch Fortbilder, Berater, Experte, Wissen-schaftler. In der Klinik in Hamm, heute mit dem Namen LWL-Universitätsklinik Hamm der Ruhr-Universität Bochum, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, ist er nicht nur der Begründer der psychomotorischen Abteilung, die heute den Namen „Fachabteilung für Klinische Psychomotorische Therapie (KPT)“ trägt mit aktuell sechs Mitarbeiterstellen, sondern auch der Fachabteilung Heilpäda-gogik, mit ebenfalls sechs Mitarbeiterstellen.

Horst Göbel

Ausschnitte von Weg und Wirken des Jonny Kiphard – eine fachliche und persönliche Ansicht

Horst GöbelPräsident der Deutschen Gesellschaft für Psychomotorik (DGfPM)Langjähriger Freund von Jonny Kiphard.

Anschrift des Verfassers:Wittmannstraße 3, 59071 Hamm

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bekannt). Die Schulabsolventen haben sich 1980 verbandsmäßig zusammen-geschlossen als „Deutscher Berufs-verband der MotopädInnen/Moto-therapeutInnen“. Weitere Fachschulen orientierten sich an diesem Beispiel – heute insgesamt 16. Ein Teil davon hat sich zusammengeschlossen zum „Bundesverband der Ausbildungsstätten für staatlich anerkannte Motopädinnen und Motopäden-BAM e. V.“.Ebenfalls aus den Reihen des AKP ent- standen erste Überlegungen, Psycho-motorik universitär lehrbar zu machen, dort Forschung und Theorienbildung voranzutreiben: 1983 entstand an der Universität Marburg der Studiengang Motologie, engagiert umgesetzt durch Friedhelm Schilling. Die Absolventen dieses Studiengangs haben 1985 den „Berufsverband der Motologen – Diplom/Master e. V.“, wie er heute heißt, gegründet. Neben den Berufen, die auf den Ursprüngen der Psycho-motorik aufbauen – Motopäden und Motologen – gibt es das Fach Psychomotorik inzwischen in zahl-reichen Ausbildungsgängen an Fachschulen, Fachhochschulen und Universitäten.Im Erbe Jonny Kiphards, der sich in seinen letzten Lebensjahren immer weniger selbst aktiv an den Weiter-entwicklungen beteiligen konnte, entstand so eine Vielfalt unterschied-licher Ansätze der Psychomotorik in den Anwendungsfeldern Pädagogik und Therapie, in der Aus-, Fort- und Weiter- bildung und in der Theorienbildung – ein prächtiger, schillernder, bunter, kreativer Strauß von Möglichkeiten. Um in der Öffentlichkeit jedoch als „Psychomotorik-Bewegung“ erfolgreich zu sein, braucht es eine fassbare, über- schaubare Kontur mit entsprechendem Erkennungs- bzw. Wiedererkennungs-wert. Nach kontinuierlichen Kontakten und Kooperationsgesprächen setzten sich 2006 der Aktionskreis Psychomoto-rik e. V. und die Berufsverbände der Motopäden und der Motologen zur Erreichung dieses Ziels zusammen: in Marburg wurde die „Deutsche Gesell-schaft für Psychomotorik (DGfPM)“ mit Sitz in Hamm gegründet – ein Titel, der zu den Gründerzeiten des AKP vor über 30 Jahren auch diskutiert wurde, in der damaligen Aufbruchstimmung jedoch als zu wenig dynamisch erschien. Die Ehrenmitgliedschaft in der Deut-

schen Gesellschaft für Psychomotorik hat Jonny Kiphard in vollem Bewusst-sein gerne angenommen.Die Deutsche Gesellschaft für Psycho-motorik (DGfPM) e. V. besteht heute aus sechs Sektionen und repräsentiert viele Tausend Psychomotorikerinnen und Psychomotoriker:•Aktionskreis Psychomotorik e. V.•Deutscher Berufsverband der

MotopädInnen/Motothera peut Innen e. V.

•Berufsverband der Motologen – Diplom/Master e.V.

•Wissenschaftliche Vereinigung für Psychomotorik und Motologie e. V.

•Psychomotorisch orientierte Aus-, Fort- und Weiterbildungsinstitu tionen, z. B. mit dem erwähnten Bundes-verband der Ausbildungsstätten für staatlich anerkannte Motopädinnen/Motopäden (BAM) e. V.

•Vereine mit dem Schwerpunkt psycho- motorisch orientierter Förderung und/oder Therapie, z. B. mit dem Verein MOVERE e. V., der in Hamm mehr als 1000 Kinder psychomotorisch betreut. Dieser Verein wurde von Jonny Kiphard 1964 mit gegründet, damals unter dem Namen „Verein zur Förderung entwicklungsgestörter Kinder e. V.“.

Die DGfPM hat den Auftrag, die zuerst im AKP formulierten fachpolitischen Ziele zur Verbreitung der Psychomotorik auf breiterer Basis, auch international, voranzutreiben. Mit dieser Darstellung habe ich nur einen Teil dessen wieder-geben können, was aus den Initiativen von Jonny Kiphard in fast 55 Schaffens-jahren geworden ist. Mit seinem Temperament, seiner charismatischen Ausstrahlung, seinem Humor, aber auch seinem immensen Fleiß gelang es ihm, Viele zu begeistern, in seinen Bann zu ziehen, zu ermuntern, auch andere Ideen zu entwickeln und zu erproben. Er war ein begabter Erfinder, Entwickler und Lehrer, jedoch nie „Be-lehrer“ oder, mit den Worten von Ingrid Schäfer, gekennzeichnet durch: „seine liebevoll-freundliche Zuneigung zu Menschen, ohne Unterschiede zu machen; sein Entgegenbringen von Geduld; sein humorvolles Wesen; immer hat er Streiche, verbale Gags, verblüffende Überraschungen bereit; seine Art, Menschen zu faszinieren durch seinen Blick, seine Ausstrahlung; sein Bedürf-nis, Menschen zum Staunen, zum

Lachen zu bringen, Freude zu schenken als Clown, als Freund; seine Beziehung zur Musik als Akkordeon-, Klavierspieler oder Urwaldtrommler.“Jonny Kiphard hat sich in der Fachwelt ein hohes Ansehen erworben, auch international. Er ist Autor oder Co-Autor von 14 Fachbüchern und 250 wissenschaftlichen Beiträgen in Fachzeitschriften und Büchern. Ebenso bemerkenswert erscheint mir, dass es auch eine Reihe von Menschen und Familien gibt, die ihm über Jahre und Jahrzehnte mit Briefen und Besuchen gedankt haben für die Hilfen, die er ihnen als Therapeut und Berater gegeben hat.

Ich schließe diesen kurzen Abriss des Wirkens von Jonny Kiphard mit zwei kurzen persönlichen Anekdoten:Wenn wir uns zu unseren seltenen Kontakten trafen, amüsierten wir uns immer wieder über eine Begebenheit, die sich während unserer gemeinsamen Trampolin-Untersuchung 1984 zutrug: Jonny war bei uns zum Mittagessen eingeladen, mit am Tisch saßen drei unserer Söhne, 11, 6 und 3 Jahre alt. Es gab Spätzle mit Geschnetzeltem und Erbsen. Jonny, immer um Scherze bemüht, stocherte auf seinem Teller herum, beäugte scheinbar misstrauisch die Erbsen, die inzwischen nicht mehr ganz heiß waren, bewegte einige mit der Gabel hin und her und murmelte: „komisch, eigentlich hatte ich gedacht, dass Erbsen rund sind, aber diese sehen ja gar nicht richtig rund aus …“. Darauf fühlte der 6-jährige Daniel offenbar den Frieden des Hauses bedroht, warf einen kurzen Blick auf den Teller von Jonny und sagte: „sei doch froh, dass Du hier überhaupt was zu essen bekommst!“. Die zweite Anekdote bezieht sich auf die Nachfrage einer Klinik-Mitarbeiterin in unserer Informationszentrale: „Na, wie war die Trauerfeier für Herrn Prof. Kiphard in Frankfurt – so, wie er sie auch gestaltet hätte?“ „Es war eine für mich sehr schöne und angemessene Feier“ antwortete ich; „Wenn Jonny Kiphard jedoch selbst bei voller Gesundheit daran hätte teilnehmen können, hätte er sicher einen Handstand auf seiner Urne vorgeführt.“Was bleibt, ist mehr als die Erinnerung. Im psychomotorischen Gedankengut des Jonny Kiphard stand immer das

Ausschnitte von Weg und Wirken des Jonny Kiphard

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intensive Bemühen um die geeigneten Förder- und Therapiemöglichkeiten der Schwächsten im Vordergrund. Ziel war stets die Entwicklung der Persönlichkeit der Klientel über das Medium Bewe-

gung und Spiel in geeigneten Klein-gruppen - weniger als Methode, als vielmehr durch Persönlichkeit, Authen-tizität und Engagement des Pädagogen oder Therapeuten.

Als Clown im Krankenhaus den Kindern mit Humor begegnen - das setzte Jonny Kiphard schon seit Ende der 1950er Jahre um.

7. Blickwinkel: Worin sehen Sie die Innova­tions kraft von Kiphard?„In seiner Persönlichkeit, wie er die Idee der Psychomotorik gelebt und umge-setzt hat. Dazu kam seine Ausstrahlung (für viele auch seine blauen Augen) und seine in den Augen zu lesende Überzeu-gungskraft.“ (Friedhelm Schilling)

„Es ist E. J. Kiphard gelungen, unter-schiedliche bewegungsorientierte Konzepte, die so in der Welt des Sports bzw. der Leibeserziehung nicht bekannt waren, gefunden, ausführlich beschrie-ben und besonders für die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen und Auffälligkeiten adaptiert zu haben. Vor allen Dingen ist es ihm gelungen, dies in einer Sprache zu tun, die für viele Professionelle mit unterschiedlichem Ausbildungshinter-grund verständlich war, und er hat gleichzeitig die damals neuen Medien wie Filme genutzt, um seine Gedanken und Ansätze anschaulich zu illustrie-ren.“ (Gerd Hölter)

„Er entdeckte erneut lange vor dem wissenschaftlichen Nachweis intuitiv die Bedeutung der Bewegung für die Entwicklung des Kindes, für die physische und psychische Gesundheit des Menschen und nutzte mit dem Begriff ‚Psychomotorik’ neben dem ganzheitlichen Einsatz seiner Persön-lichkeit auch unbewusst die Magie der

Sprache: Psychomotorik ist mehr als Bewegung.“ (Ingrid Olbrich)

„In seinen kreativen Ideen zur Bezie-hungsgestaltung auf verschiedenen Ebenen und in der psychomotorischen Methodik.“ (Gerd Neuhäuser)

„Er wollte etwas für Kinder und Jugend- liche tun, besonders wenn sie behindert oder eingeschränkt waren. Und er wollte als Diplom-Pädagoge die (Psycho-)Therapie und die Sportwissenschaften zusammenbringen; aus meiner Sicht wollte er nicht unbedingt eine neue ‚Wissenschaft’ entstehen lassen, schon gar nicht ein Therapieverfahren mit Krankenkassenanerkennung; er wollte alle Kinder ‚kindgerecht’ fördern, z. B. auch in der Schule.“ (Wolfgang Kinzinger)

8. Blickwinkel: Gibt es für Sie auch kritische Aspekte seiner Arbeit?

a) Aus früherer Sicht? b) Aus heutiger Sicht?

„Jonny war nicht frei von narzisstischen Persönlichkeitsmerkmalen, wie es bei Künstlern (er hatte künstlerisches Können!) mit großem Erfolg öfters zu beobachten ist.“ (Eckhard Knab)

„Er hat den Karren der Psychomotorik kräftig angeschoben. Er war ständig in

Aktion. Dass Manches nicht so ganz stimmte, soll niemanden stören. Andere nach ihm sollen es besser machen. Kritik ist daher unangebracht. Seinen Auftrag hat er glänzend erfüllt, sein Lebenswerk hat Tausenden Eltern und Kindern geholfen und viele, viele Men- schen zu Arbeit und Brot gebracht …“ (Friedhelm Schilling)

„Insgesamt durchzieht die wissen-schaftliche Begründung der Psycho-motorischen Übungsbehandlung eher ein neurologischer, medizinisch geprägter Blick als ein verstehender oder interpretativer. Und so mahnte er bis weit in die 90er Jahre bei jüngeren Kollegen, die sich für psychotherapeuti-sche Interpretationen geöffnet hatten, immer an ‚Schuster bleib bei deinen Leisten‘. Allerdings hat er dann später durchaus die Innovationskraft von ergänzenden, verstehenden Sichtweisen gesehen und auch akzeptiert.“ (Gerd Hölter)

„Kritisch anzumerken wäre, dass er stark eklektisch arbeitete und es oft nicht einfach zu unterscheiden war bzw. ist, welche Anteile in seiner Arbeit von ihm selbst, welche von anderen stammten. Aus heutiger Sicht lag seine Stärke wohl vor allem in der Praxis und in seinem beispielhaften Tun, das er vielfach weiter vermittelte; eine Schwäche muss man im Beitrag zur Grundlegung der Psychomotorik sehen.“ (Gerd Neuhäuser)

Wie Wegbegleiter Jonny Kiphard erlebt haben – Teil 4

95motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

Wie Wegbegleiter Jonny Kiphard erlebt haben – Teil 4

„Der ursprüngliche Terminus ‚Psycho-motorische Übungsbehandlung’ erweckt die Vorstellung, dass das Einüben und Trainieren von körperlichen Funktionen im Vordergrund stand. Allerdings hat Kiphard schon bald begonnen, Anforde-rungen zu variieren und Funktionen nicht als isolierte Dimensionen zu betrachten, sondern als Teilaspekte innerhalb der bio-psycho-geistig- sozialen Einheit des Kindes. Natürlich ist es aus heutiger Sicht möglich, dass neue Facetten herausgearbeitet werden, die zu weiteren Veränderungen der Psychomotorik, so wie Kiphard sie verstanden hat, führen können. Wir denken hierbei u. a. an die Bedeutung ‚bio-psychischer Repräsentationen’ (taktil-kinästhetisch, visuell, haptisch etc.). Diese werden z. B. im tiefenpsycho- logisch fundierten ‚Katathymen Bilderleben’ fokussiert. Wir denken auch an neurobiologische Forschungsergeb-nisse, wie z. B. Resonanz- und Simula-tionsphänomene, die im Zusammen-hang mit der Aktivität von Spiegel- neuronen diskutiert werden und gewisse Methoden der Förderung und Therapie bestärken und möglicherweise neue Vorgangsweisen eröffnen können.“ (Toni Reinelt und Gisela Gerber)

9. Blickwinkel: Ist Jonny Kiphard für Sie ein „Meister“? Wenn ja, inwiefern?

„Der Terminus Meister und Meisterlehre hat die fachliche Diskussion um Jonny Kiphard sicherlich bereichert, aber sie greift ein wenig zu kurz, denn er war zudem auch noch Künstler und Entertainer – und ein sehr fleißiger, wissenschaftlicher Zuarbeiter.“ (Eckhard Knab)

„Jonny ist für mich sicherlich ein Meister und ein Vorbild. Er war ein ‚Gesamt-kunstwerk’ mit vielen Facetten, ein Mensch mit besonderen Fähigkeiten und vielleicht auch mit einem Geheim-nis.“ (Jürgen Seewald)

„Natürlich ist Jonny auch heute noch für viele Pädagogen und Therapeuten ‚der Meister’, dem sie nacheifern möchten. Für mich war er das nie, sondern ein guter Freund und Mit-

streiter in der wichtigen Sache ‚Psycho-motorik’, um Problemkindern und ihren Eltern besser helfen zu können.“ (Friedhelm Schilling)

„Ich habe nichts gegen ‚Meister‘ und das Lernen von Meistern und nach meiner Einschätzung war Jonny Kiphard ein Meister: Meisterlich in seinen ‚handwerklichen Fähigkeiten‘, was viele Facetten des Bewegungslebens angeht. Meisterlich in der Art und Weise seines Kontaktaufbaus und auch meisterlich in der Weitergabe seines Wissens durch Schrifttum, Vorträge, Filme usw.“ (Gerd Hölter)

„Er hat eine ‚Schule’ begründet und gefördert, die seine Arbeitsweise, wenn auch mit gewissen Modifikationen, erfolgreich fortführt; insofern ist er für mich ohne Einschränkung ein ‚großer Meister’.“ (Gerd Neuhäuser)

„Nein, Jonny ist kein ‚Meister’ für mich. Ich denke, dass er uns viel gegeben hat, von seiner Idee ‚Psychomotorik, sie ansatzweise zu verstehen und zu leben. Dennoch ist die Chance und das Gebot von psychomotorischer Haltung und Arbeit, sich ‚seine’ Psychomotorik zu stricken. Mal mehr mit Musik, mal mehr mit Rhythmik oder mehr im sportlichen oder im Sinne einer Montessoripädago-gik (…) als Folie im Hintergrund. Wir wandeln nicht im ausgetretenen Tal von Psychomotorik, sondern – ganz im Geiste Kiphards – auf den Gipfelwegen der Berge mit Blick in andere Täler. Da gibt es noch viel, viel zu entdecken! Was uns PsychomotorikerInnen alle eint, ist unsere Haltung und unser spielerischer Zugang zum Kind. Und so bin ich stolz, nicht nach Jonny Kiphard zu arbeiten, sondern nach Michael Passolt. In diesem Denken hat Jonny seinen Platz, doch ebenso andere, für mich in meiner beruflichen und persönlichen Begleitung wichtige Personen und Didaktiken.“ (Michael Passolt)

„Ja, in vielfacher Weise: a. ein Meister, Menschen zu begeisternb. ein Meister in Verdrängung

(unangenehmer Realitäten)c. ein Meisterzaubererd. ein Meister, anderen Menschen zu

vertrauen (manchmal auch den falschen)

e. ein Meister auf seiner Reiseschreib-maschine.“

(Wolfgang Kinzinger)

10. Blickwinkel: Was ist Ihnen im Hinblick auf Jonny Kiphard noch wichtig zu erwähnen?„Den wissenschaftlichen Vertretern der Psychomotorik kann man nur wün-schen, dass sie sich die charismatischen Anteile Jonny Kiphards zum Vorbild nehmen.“ (Eckhard Knab)

„Mit dem Tod von Jonny spüre ich den Generationenwechsel sehr deutlich. Jetzt hat meine Generation die Verant-wortung für die Psychomotorik/Moto- logie. Aber die nächste Generation steht schon bereit und ist schon hineinge-wachsen. Also, ich fühlte mich bei der Nachricht von seinem Tod etwas alleingelassen und der Illusion beraubt, dass es immer einen Vater gibt, der die Hand über einen hält.“ (Jürgen Seewald)

„Lasst Jonny in Frieden ruhen, er hat es verdient. Natürlich würde er sich auch jetzt noch über viel Beifall freuen – das glaube ich jedenfalls!!“ (Friedhelm Schilling)

„Was wäre aus uns geworden, wenn wir seiner Idee nicht begegnet wären?“ (Michael Passolt)

„Jonny Kiphard hat mit seiner Psycho-motorik unzähligen Menschen in vielen Ländern dieser Erde geholfen. Einige haben ihr Selbstbewusstsein und die Freude am Leben wiedergefunden, andere haben durch die Psychomotorik neue berufliche Perspektiven entdeckt. So wie mir hat Jonny vielen geholfen, sich zu entwickeln. Ich hatte das Glück, mich bei ihm revanchieren zu können.“ (Reiner Cherek)

„Die Psychomotorik hat durch seinen Tod einen ihrer überragenden Vertreter verloren, doch bildet sein Lebenswerk ein tragendes Fundament für die Weiterführung, Ausdifferenzierung und neue Entwicklungen und Schwerpunkt-setzungen der Psychomotorik.“ (Toni Reinelt und Gisela Gerber)

Meilensteine und Erkenntnisfortschritte des psychomotorischen Paradigmas

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Intervention beabsichtigt das Individu-um zu planvollem Handeln in der Ausei-nandersetzung mit Herausforderungen und Anforderungen zu befähigen. Dabei werden Bewältigungsstrategien gefördert, die primär kognitive und psychisch-emotionale Regulations-mechanismen fokussieren (Krus 2006, 2008). Ausgehend von einem differen-zierten Inventar zur Entscheidungs- und Prozessdiagnostik, das die Interaktion mit dem Kind und dessen Eltern sowie den Kontakt zu anderen involvierten Erziehungseinrichtungen/therapeuti-schen Institutionen mehrdimensional und prozesshaft erfasst, definiert das Konzept Förderziele für die Bereiche

Nach einem kurzen Überblick über die Meilensteine der psychomotorischen Konzept-entwicklung seit der Psychomotorischen Übungsbehandlung Kiphards beschreibt der Beitrag Bewegung als Schlüsselbegriff aus dynamisch-systemischer Perspektive. Anschließend werden fünf Beispiele für zukünftige Diskurse und Aufgabenstellungen innerhalb des psychomotorischen Fachgebietes formuliert.

Klaus Fischer

Meilensteine und Erkenntnisfortschritte des psychomotorischen Paradigmas

Konzeptionelle Entwicklungen über die ZeitDas Fachgebiet der Psychomotorik hat in den vergangenen fünf Jahrzehnten eine starke Konzeptdifferenzierung erfahren. Ausgehend von der zeitgenös-sisch eher funktional ausgerichteten klinischen Psychomotorischen Therapie und Übungsbehandlung im kinder-psychiatrischen Kontext (Hünnekens/Kiphard 1960; Jarosch u. a. 1993) (s. die Ausführungen von Ingrid Schäfer zu den Wurzeln der Psychomotorik in Deutschland, in diesem Heft sowie 1993, 1998) und der aus der engen Zusammenarbeit mit Inge Flehmig am Institut für Kindesentwicklung in Hamburg entstandenen Sensorischen Integrationstherapie (Ayres 1984, 1998) wurde in den 70er und 80er Jahren ein handlungsorientiertes Konzept grund-gelegt (Schilling 1977; Zimmer 1981), das seine starke Anwendung in der frühen Förderung, der Vor-, Grund- und Förderschule erfuhr. Erst mit der Verwissenschaftlichung der Psycho-motorik als Fachgebiet der Motologie (Schilling 1996; Fischer 1996) entwi-ckelte sich die Psychomotorik zu einer entwicklungstheoriegeleiteten Hand-lungswissenschaft mit Ausrichtung auf die Erforschung der dynamischen Person-Umwelt-Interaktionen. „Die enge Wechselwirkung zwischen Motorik und anderen Persönlichkeitsbereichen eröffnet Wege zu einer effektiven und kindgemäßen Form der Entwicklungs-förderung“ (Röhr-Sendlmeier u. a. 2007, 19). Diese geht zunehmend von einer Ressourcenorientierung aus und betrachtet Stärken, Bedürfnisse,

Wünsche und Vorlieben des Kindes bei einer gleichzeitigen Berücksichtigung von Problemlagen. Im Zentrum des Interesses der Förderung wie der Forschung steht die Persönlichkeits-entwicklung und Handlungsfähigkeit des Kindes über den Erwerb von Ich-Kompetenz, Sach-Kompetenz und Sozial-Kompetenz.Meilensteine dieser stärker kompetenz-theoretischen Perspektive sind die Ansätze von Zimmer (1999, 2006) als kindzentrierte psychomotorische Ent- wicklungsförderung und die Psycho-motorische Entwicklungstherapie nach Krus (2004). Beide integrieren Erkennt-nisse der nichtdirektiven Spieltherapie sowie der Selbstkonzepttheorien. In der Sache geht es um die Stärkung eines positiven Selbstkonzeptes durch positive Selbstwirksamkeitserfahrungen in Problemlösesituationen durch Handeln. Das Verdienst Zimmers ist es dabei, das Körperkonzept als stimmigen Bestandteil kindlicher Selbstentwick-lung begründet und praktisch belegt zu haben (Zimmer 2002). Das Konzept der psychomotorischen Entwicklungstherapie zielt sowohl auf eine allgemeine Entwicklungsförderung als auch auf eine an spezifischen Problemstellungen orientierte Interven-tion (Entwicklungs- und Störungs-konzept). Ziel einer allgemeinen Ent- wicklungsförderung ist es, Anregungs- und Umgebungsbedingungen zu schaffen, die selbsttätiges, motiviertes Handeln des Kindes ermöglichen und das Kind durch eine Erweiterung eigener Handlungsmöglichkeiten in seiner Persönlichkeitsentwicklung bestärken. Entwicklungsförderung als

Klaus FischerProfessor für Bewegungserziehung und Bewegungstherapie in der Heilpädagogik an der Universität Köln; Arbeitsschwerpunkte: Psychomoto - rische Entwicklungstheorie und bewegungs orientierte Entwicklungs-förderung in den Entwicklungsspannen der Kindheit und der Jugend; Qualitätsentwicklung in der Psychomotorik

Anschrift des Verfassers:Universität zu KölnHumanwissenschaftliche FakultätLehrstuhl für Bewegungserziehung/-therapieGronewaldstr. 2a50931 Köln

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•qualitative und quantitative Kompe-tenzvermittlung,

•Aufbau von Kontrollüberzeugungen,•Aufmerksamkeitssteuerung und

Generalisierung von Handlungsplänen sowie den

•Aufbau sozialer Stützsysteme.Der Ansatz von Krus beschreibt eine in der klinischen Arbeit (Kinderneurologie) über viele Jahre erprobte und evaluierte Praxis, die bis auf die Ebene der Metho- denregeln (siehe Krus 2008, 68 ff.) heruntergebrochen wird und äußerst hilfreich ist für die Präzisierung eines eigenständigen psychomotorischen Förderkonzeptes im Reigen interdiszip-linärer Interventionsformen. Die jüngere Theorieentwicklung integ- riert tiefenpsychologische Aspekte der Erlebniswelt des Kindes (Seewald 2007) und thematisiert das Kind grundsätzlich in seinen systemischen und institutio-nellen Kontexten unter Einbezug der Familie (Balgo 1998; Hammer/Paulus 2002). Inszeniert werden Geschichten und Spielsituationen, um ein dialogi-sches Verstehen der dahinter stehenden Lebensthemen der Kinder zu ermögli-chen. Das neue Interesse des Psycho-motorikers richtet sich auf die Frage, unter welchen Bedingungen (z. B. bei Überforderungen) Probleme sichtbar werden und wie Beziehungen und Lebensräume gestaltet sein müssen, um eine Vermittlung zwischen individuel-len, sozialen und kulturellen Anforde-rungen zu ermöglichen (für einen Gesamtüberblick s. Fischer 2009).

Bewegung als (exemplarischer) Schlüsselbegriff in dynamisch-systemischer Perspektive

In der Psychomotorik ist das Entwick-lungskonstrukt schon immer ein wesentliches Element des Erklärungs-ansatzes gewesen (Fischer 1996). Dabei sind aktuelle Diskussionen in den Entwicklungswissenschaften interes-sant, die der Bewegung bzw. der Aktivität eine besondere Bedeutung für Entwicklung, Förderung und Rehabilita-tion zuweisen. Bewegungsaktivität wird dabei als Ressource ausgewiesen, die gleichsam die kindliche Erkenntnis-tätigkeit beflügelt. Interessanterweise werden die Zusammenhänge gegen-wärtig unter der Federführung der neuro- und kognitionspsychologischen

Forschung verstärkt diskutiert. Während die Neuro- und Entwicklungswissen-schaften in den USA schon vor mehr als einem Jahrzehnt der Motorikforschung eine besondere Bedeutung für die allgemeine Entwicklungsforschung von Kindern attestierten (so etwa Thelen 1995), scheint die europäische For-schung verspätet zu erwachen. Mittler-weile spricht man international von einem zweiten Goldenen Zeitalter der Bewegungsforschung (Thelen 2000). Gegenwärtig etabliert sich im interdis-ziplinären Fachdiskurs ein dynamisch-systemisches Entwicklungsverständnis (Thelen/Smith 2006), das den Bereichen Bewegung und Körperlichkeit eine fundamentale und verbindende Bedeutung für alle Entwicklungs-domänen zuschreibt (Michaelis 2003; Krist 2006). Es geht darum, die Wech-selwirkung von Bewegung, Kognition und sozial-emotionaler Kompetenz zu verstehen (Berthoz 2000) und für Prozesse der kindlichen Entwicklungs-förderung zu nutzen.Damit einher geht ein verändertes wissenschaftliches Verständnis der menschlichen Motorik. Die klassische Denkweise in Bezug auf die körperliche Bewegung ging von der reifungsbiolo-gisch gestützten Sichtweise aus, dass der zerebrale Cortex alle neuromuskulä-ren Funktionen kontrolliert. Motorik ist danach die Reaktion des Organismus auf sensorischen Input und motorische Aktivität ist quasi die Folge zentraler Programmierung. Die neue Denkweise sieht den Entwicklungsprozess der menschlichen Motorik als nichtlinear und diskontinuierlich an (Michaelis 2003, 2004). Über die Rezeption der wegweisenden Arbeiten des russischen Physiologen Bernstein (1967, 1988) entwirft Reed (1982) eine allgemeine Theorie der Bewegungsaktivität, die Bewegungsentwicklung und Bewe-gungslernen nicht infolge von motori-schen Programmen, sondern als handlungsbezogene Person-Umwelt-Beziehung thematisiert. Unauflöslich damit verbunden ist die Sichtweise der engen Kopplung von Wahrnehmung und Handlung (action-approach) (Krist 2006, 153), die auf die ökologische Wahrnehmungspsychologie von James und Eleanor Gibson zurückgeht. Danach ist Handeln Erkundungsaktivität und Wahrnehmungslernen (Fischer 2007) als aktives Suchen des Individuums

nach sinnvollen Angeboten (affordan-ces) in der Umgebung zu verstehen, um seine Handlungsziele zu verwirklichen (Krist 2006, 153-154; Fischer 2009, 127). Aus dynamisch-systemischer Perspek-tive bedeutet dieses für die Praxis: Therapie- und Förderkonzepte akzen-tuieren eine personenzentrierte und handlungsorientierte Entwicklungsför-derung (Gebhard 2009, 60 ff.). Entwick-lung geschieht auf der Basis vielfältiger motorischer Aktivität, bei der Variabili-tät der motorischen Muster (etwa bei Menschen mit Behinderung) nicht als Störung, sondern als „normal und essentiell für motorische Kontrolle und Entwicklung angesehen“ wird (Piek 2002, zit. n. Gebhard 2009, 50). Die Aufgabe der Entwicklungsförderung ist nach neuerer Auffassung nicht die Beschäftigung mit dem Defizit oder der Einschränkung, sondern mit der Person selbst und dieses geschieht über die Gestaltung von Angeboten und Erfahrungsgelegenheiten für eine aktional getragene Selbstorganisation unter Berücksichtigung differentieller Entwicklungsverläufe.

Zukünftige Diskurse und Aufgabenstellungen

Die Psychomotorik ist weit davon entfernt ein einheitliches Erklärungs-konzept als Bezugsgrundlage zu formulieren. Einig ist sich die Scientific Community darin, die Schlüsselbegriffe Bewegung, Wahrnehmung, Körper/Leib, Beziehungsgestaltung, Selbstkonzept/Identitätsbildung und soziale Kompe-tenz unter einer Entwicklungs- bzw. Förderperspektive zu betrachten (z. B. Zimmer 2006; Seewald 2007; Fischer 2009; Behrens 2009; Jessel 2010; Hölter 2011a). Dabei kommen neue Herausforderungen auf die Fachvertre-ter zu. Fünf Punkte seien exemplarisch angesprochen.

1. Ausweitung des Fach- und Forschungsinteresses auf die gesamte Lebensspanne

In einer Analyse der inhaltlichen Struktur der Zeitschrift Motorik über einen Zeitraum von 20 Jahren (1978–1997; s. Fischer 1999) konnte ich nachweisen, dass die Publikationstätig-

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keit sich zur Hälfte auf die Entwick-lungsspanne der Kindheit konzentriert. Nach einer neuerlichen Sichtung der Zeitschriftenbände 1999–2011 bestätigt sich der Eindruck, dass die fachwissen-schaftlichen Diskurse zwar in der jüngeren Vergangenheit thematisch stärker differenziert und in Schwer-punktheften vertieft geführt wurden, dass aber nach wie vor ein Übergewicht in den frühen und mittleren Entwick-lungsspannen vorherrscht. Ein Fachge-biet, das sich auf die Fahnen schreibt, die psychomotorische Entwicklung als lebenslangen Prozess unterschiedlichs-ter Bezugsgruppen zu begleiten und zu erforschen, muss sein Fachinteresse quantitativ wie qualitativ-konzeptionell auch auf spätere Entwicklungsabschnit-te ausweiten (Haas 2003; Eisenburger 2006).

2. Differenzierung einer bildungs-wissenschaftlichen und einer therapeutischen Perspektive

Eine Grenzziehung von Pädagogik und Therapie wäre einfach, könnte man sich auf folgende klassische Positionsbestim-mung einigen (Abb. 1: Hölter 2005, 133, zit. nach Fischer 2009, 197). Doch die Verhältnisse sind nicht so dichotom. Sogar traditionelle klinische Ansätze der (Psycho-)Therapie im Kinder- und Jugendalter (Remschmidt 1997) verlassen ihr evidenzbasiertes (nach objektiven Überprüfungskriterien trachtendes) Behandlungsparadigma, wenn sie das Ziel verfolgen, „in der psychotherapeutischen Partnerschaft (mit Kindern und Jugendlichen und Familien, K. F.) protektive Faktoren und

Selbstheilungskräfte beim erkrankten Kind und in seiner Familie zu entdecken (…)“ (Remschmidt 1997, 9; zit. nach Hölter 2005, 131).Hölter sieht sowohl für die moderne Psychotherapie als auch für die jüngere Psychomotorik eine Verschiebung des „Theoriehorizonts“ in Richtung der Verschmelzung von Behandlungs-aspekten mit (heil-)pädagogischen, persönlichkeitsbildenden Zielsetzun-gen – er sieht darin eine parallele Entwicklung und damit eine Annähe-rung der Konzepte. Dieser Prozess der psycho motorischen Theoriekonstruktion findet zwangsläufig einen Niederschlag in der Veränderung von Konzept-bausteinen, wie der Bedeutung von Materialien bzw. deren Einsatz, dem Verständnis von Bewegung und freiem Spiel sowie der Beziehungsgestaltung als Wirkfaktoren von Förderung und Therapie (vgl. Hölter 2005, 135–136). Und wie ist es mit der Bildungsdebatte? In diese hat die Psychomotorik erst in jüngerer Zeit verstärkt eingegriffen (Köckenberger/Hammer 2004, Kap. 3; Fischer u. a. 2006; Hunger/Zimmer 2007; Motorik 1/2007: Schwerpunkt Bewegung und Bildung in der Kindheit). Allenfalls im Bereich der vorschulischen Erziehung ist die Psychomotorik ein etabliertes Konzept (Zimmer 2007). Unter einem erweiterten Bildungs-begriff, der nicht allein auf Wissens-entwicklung unter einer fachdidakti-schen Perspektive zielt, erhält die Psychomotorik eine Schlüsselfunktion in der Entwicklung von Schlüssel-kompetenzen als Konzept der Allge-meinbildung und als körperorientierte Theorie der Erfahrung (Wendler 2006;

Schäfer 2006; Seewald 2008). Hier wird eine Konzeptdiskussion – auch in Abgrenzung zur Sportpädagogik – wohl vertieft werden müssen.

3. Vertiefung der interdisziplinären Diskurse

Schon die Sichtung der Publikationslage der ersten Jahrzehnte der Motorik machte deutlich, dass der Anteil medizinischer, sportwissenschaftlicher und originär psychologischer Fragestel-lungen unter Beteiligung der spezifi-schen Berufsgruppen in den Anfängen der Fachgenese größer war. Sicherlich war es nach einer Phase der wissen-schaftlichen Grundlegung und Ausdiffe-renzierung von Konzepten (seit den 90er Jahren) notwendig, eine eigene psychomotorische Identität herauszu-bilden und in Fachdiskursen zu schär-fen. Da die Psychomotorik die Körper-/Leib- bzw. Bewegungsthematik nicht für sich allein reklamieren kann, erscheint eine verstärkte Hinwendung zu interdisziplinären Diskursen – etwa den o. g. neuro- und kognitionswissen-schaftlichen – unausweichlich. Beispie-le zeigen sich in den Fachdiskursen zwischen Körperpsychotherapie und Motologie (Wolf 2010; Schwerpunkt-heft Motorik 2/2010), der Bestandsauf-nahme und Perspektivenbildung für den Schulsport in der Förderschule (Hölter 2011b; Schwerpunktheft ZS Sportunter-richt 1/2011) und der Verortung der Psychomotorik im interdisziplinären Feld der Frühförderung (Fischer 2011; Schwerpunktheft ZS Frühförderung interdisziplinär 1/2011).

4. Verstärkung der Qualitätsinitiative des Faches

Themen der Wirksamkeitsforschung und Qualitätsentwicklung in der Psycho-motorik treten erst seit etwa 20 Jahren stärker ins Blickfeld (Kesselmann 1990; Beudels 1996; Moser/Christiansen 2000; Moser 2008). Dabei sind zwei Entwicklungen bedeutsam. Für das Kindesalter fassen Röhr-Sendlmeier u. a. (2007, 2009) die Förderstudien zur Entwicklungsförderung durch Bewe-gung zusammen. Danach sind positive Effekte der psychomotorischen Förde-rung im Bereich Kognition und der Stabilisierung der kindlichen Persön-lichkeit mit einem Schwerpunkt im r Abb. 1: Differenzierung von Pädagogik und Therapie (Hölter 2005, 133)

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Psychomotorik immer ihre klientenge-rechte Art und Weise und das dialogi-sche Moment ihres Förderansatzes. Deshalb ist das Maß nicht das evidenz-basierte Qualitätskonzept der Medizin bzw. der Gesundheitsökonomie, sondern eine ökologisch-systemisch orientierte Qualitätsentwicklung (Peterander 2008; Fischer 2009, 313). In dieser Abgren-zung nimmt Hölter (2011a, Kap. 3) differenziert Stellung zum Konzept Evidenzbasierter Medizin und Praxis und skizziert Wege der Evaluation und Qualitätssicherung in der Bewegungs-therapie mit einer Bedeutung für die weitere psychomotorische Fach-diskus sion.

5. Unterstützung des wissenschaft-lichen Nachwuchses in Forschungs-projekten und die Ausweitung der Akademisierung des Faches

Mit der Gründung der Wissenschaftli-chen Vereinigung für Psychomotorik und Motologie (WVPM e. V.) im Jahre 2006 und der Deutschen Gesellschaft für Psychomotorik und Motologie (DGfPM e. V.) im Jahre 2007 sind wichtige Rahmenbedingungen für eine

differenzierte Förderung des Faches und des wissenschaftlichen Nachwuchses geschaffen worden. Tatsächlich sind ca. 25 Dissertationen und Habilitationen in den letzten 2 Jahrzehnten abgeschlos-sen, zahlreiche weitere befinden sich in Vorbereitung, etwa ein Dutzend Professuren von „Psychomotorikern“ an Universitäten und Fachhochschulen besetzt worden. Dennoch ist die psychomotorische Fachgruppe noch bescheiden klein, um die Herausforde-rungen in der weiteren Akademisierung und der wissenschaftlichen Auseinan-dersetzung in internationaler und interdisziplinärer Perspektive voranzu-treiben. Holger Jessel (2010) macht in seinem Essay „Brücken bauen – psycho-motorische Konstruktionen zwischen Theorie und Praxis“ den hohen An-spruch deutlich, die die doppelte Auf gabenvermittlung zwischen Theorie-konstruktion und Praxiskonsolidierung notwendig macht. Bei all den Heraus-forderungen bleibt zu berücksichtigen, was Jonny Kiphard uns Nachfolgern mit auf den Weg gegeben hat: Die Bewah-rung eines kreativen Geistes und der Bewegungs- und Lebensfreude in unserer Arbeit.

Meilensteine und Erkenntnisfortschritte des psychomotorischen Paradigmas

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Winfried Döring* 1. 9. 1955 † 3. 2. 2011

Am 3. 2. 2011 hat Winfried Doering sehr plötzlich und unerwartet seinen Körper verlassen. Wir verlieren mit ihm einen Kollegen, der in der psychomotorischen Entwicklungsbegleitung und Therapie wegweisend tätig war. Seine Bücher, die er zusammen mit seiner Frau Waltraut Doering herausgab, setzten schon früh wichtige Akzente hinsichtlich einer systemischen und verstehenden Perspektive in der Psychomotorik. Mit dem eigenen Therapie-Institut (1984–2008), dem Fortbildungs-Institut (1984–2002) sowie dem eigenen Verlag (2001–2009) und dem Konzept der „Entwicklungsbegleitung Doering“ gingen die Doerings in enger Vernetzung mit anderen Kollegen stets eigene Wege. Durch die Hinwendung zu transpersonalen Dimensionen des Lebens bekam Winfrieds Arbeit ab 2003 eine neue Qualität. Seit 2007 arbeitete er auch mit traumatisierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen und nach wie vor auf seine unvergleichlich geniale und akzeptierende Art mit Kindern. „Mach dein Ding. Finde heraus, wer du bist. Lass dich nicht von anderen beeinflussen …“ war seine Botschaft an sie. In Fortbildungen stellte er sich regelmäßig mit dem Satz vor: „Ich bin Diplom-Psychologe, aber das macht gar nichts …“ Er verblüffte – und ermächtigte damit die Teilnehmenden, ihre psychologischen Kompetenzen nicht an Fachleute, „die es auch nicht besser können“, abzugeben. Wir haben ihn Ende der 90er Jahre auf einer Tagung in Bad Orb kennen und schätzen gelernt. Es folgten regelmäßige berufliche und private Kontakte vielfältiger Art. Für mich ist Winfried Doering ein Freund und ein begnadeter Kindertherapeut mit einem unendlich großen Herzen, offen für alle Menschen, die sich mit ihm verbinden mochten. Ich bin dankbar für die Begegnungen mit ihm und für alles, was ich von und mit ihm lernen durfte. Die große Abschiedsfeier in Bremen am 26. 2. 2011 war ein Spiegel seines Wirkens im Leben, in dem er unglaublich viele Menschen inspiriert und in der Tiefe erreicht hat.

Amara Eckert Gerhard Fichtner

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Mitteilungen des Berufsverbandes der Motologen – Diplom / Master e. V.

„Du wirst es spüren!“

26.08.2010 Trauerfeier von Jonny in Frankfurt. Ich sitze in der Trauerhalle – „Good by Jonny“ und „I did it my way“ erklingen. Ein großer warmer Sonnenstrahl bricht durch die Oberlichter der Halle, streift über die Anwesenden und endet bei Jonny. Sein Bild strahlt. Meine Gedanken schweifen zurück – Jonny, mein „motologischer Vater“! Wie hat das Ganze mit mir und der Motologie angefan-gen? Welchen Einfluss hat Jonny Kiphard auf mich per- sönlich, meine Arbeit, mein Leben gehabt?Rückblick. 1980/81 Uni Kob- lenz, Sport- und Lehramts-studium. Meine Freundin Bruni und ich lernten unseren Lieblingsprofessor Hubert Huppertz kennen – er war so ganz anders als die anderen Lehrenden. Eines Tages sagte er: „Mädels, ich habe mit Jonny Kiphard ein Buch geschrieben (Anm. „Erziehung durch Bewe-gung“). Das ist ein Pfunds-kerl – den Jonny muss ich euch vorstellen!“ Genau das war der Anfang. Wir haben Jonny kennen gelernt und waren begeistert – von seiner Person (er konnte nämlich u. a. Hühnereier aus den Ohren seines Gegen-übers zaubern und weckte damit – wie so oft – das Kind in jedem!), seiner Aura, seinen Ideen, seinen Visionen. Jonny sagte: „Hubert, bring den beiden Mädels alles bei, was man als zukünftige Psychomoto-rikerin braucht. Da tut sich

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was in Marburg.“ (Anm. der Studiengang Motologie befand sich im Aufbau). Und das tat Hubert Huppertz auch. Nicht nur die sport-wissenschaftlichen, motori-schen Grundlagen, das Menschenbild, die psycho-motorische Idee, Ganzheit-lichkeit …Einige Jahre später, nach Beendigung des Lehramts-studiums war klar: wir machen den Aufbaustudien-gang Motologie in Marburg. Zwar lehrte Jonny in Frank- furt – aber der Kontakt zu ihm brach auch später nie ab. Ich traf ihn öfter, wir telefonierten und ich assis- tierte ihm bei Lehrgängen und Vorträgen. Er ermunterte und motivierte mich, immer an mir und der psychomoto-rischen Idee zu arbeiten, zu experimentieren und auch einen Platz zu finden, an dem ich „meine Psycho-motorik“ verwirklichen konnte.Aufbruchstimmung in Mar- burg! Wir waren begeistert, die psychomotorische Idee, der Funken war überge-sprungen. Psychomotori- sche Elternvereine wurden gegründet, an der Uni wurde ein großer Schulver-such zum Thema „Umset-zung der Psychomotorik an unterschiedlichen Schulen“ gestartet, der AKP/akm erlebte seine Blüte, ich durfte den Lehrplan Sport für Hessen mitgestalten – kurzum ich war mittendrin. Jonny immer mit Rat und Tat in meinem Rücken, väterli-cher Begleiter für und bei neuen Projekten.

Nach dem Studium war klar: Psychomotorik war ein großer Teil meines Lebens und des Lebens meines Mannes geworden. Mein Mann – mittlerweile auch „infiziert“ – kündigte seinen Manager-job und eröffnete einen Laden und Versand für Psychomotorische Materiali-en. Aber was sollte ich mit meinem psychomotorischen Schatz anfangen? In welche Richtung sollte es gehen? „Probier aus, was du machen willst!“ sagte Jonny „spür mit deinem Herzen, welcher Platz in der Psychomotorik der deine ist!“ „Jonny, wann weiß ich das?“ „Du wirst es spüren!“ Toll Jonny! Du wirst es spüren! Super! Spürrrrrr?!Es hat dann noch einige Jahre und viele Gespräche mit Jonny gedauert bis ich es gespürt habe. Von Lehrer über Referendarausbilder, Mitarbeit in unterschiedli-chen Bildungskommissionen, Lehrplanarbeit, Dozentin an diversen Universitäten und Fachhochschulen, Netz-werkgründer im psycho-motorischen Bereich, Vereinsarbeit, AKP/akm, verschiedene Leitungspositi-onen, Zusatzqualifikationen, komplett neue Ausbildung im psychologischen Bereich/Therapie …Irgendetwas stimmte für mich immer nicht. Ich „spürte“ es nicht! Ich konnte in all diesen Bereichen/Stellen nicht authentisch sein, konnte meine Ideen, meine Visionen ob der verschiedenartigen Systeme nicht optimal für mich

umsetzen bzw. ausleben – es war hier kein Platz für einen psychomotorisch orientierten Freigeist mit unbändigem Einsatzwillen, 1001 Ideen und unorthodoxen Vorge-hensweisen.„Jonny, was hältst du von der Idee einer psychomotori-schen Praxis für all die „motorischen Flaschen“ oder all die, die im normalen Schulsystem – trotz guter Intelligenz – scheitern?“ „Ja und weiter?“ fragte Jonny. „Jonny, ein Ort an dem die, die ihren Mut und ihr Selbstvertrauen verloren haben, weil sie in Deutsch/Mathe oder anderen Bereichen versagen, neues Selbstvertrauen und Kraft finden können und ihre Schätze, die ja da sind, wieder ausgraben, ein Ort an dem die psychomotorische Idee, unsere Visionen als Grundlagen jeglichen Lernens Anwendung finden?“ „Mmm, ja!“ brummte Jonny – er lächelte verschmitzt in seiner unverwechselbaren Art wohl wissend. „Ein Ort an dem über die Stärkung der Ich-, Sach-, und Sozial-kompetenz also über Körper-, Material-, Sozial-, Bewegungs-, Handlungs-, Spracherfahrung die grund- legenden Lernprozesse über alle Sinne in Gang gesetzt werden? Ein Ort an dem Legasthenie/Dyskalkulie/ADHD/Wahrnehmungsauf-fälligkeiten ganzheitlich und nachvollziehend therapiert werden können? Ein Ort an dem interdisziplinär gearbei-tet wird, an dem Menschen arbeiten, die mehrfachquali-

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fiziert sind – also nicht aus- schließlich Lehrer, sondern auch Dipl. Motologen und Psychotherapeuten sind? Also Menschen, die Kinder von verschiedenen Seiten aus ganzheitlich sehen und auch entsprechend arbeiten? Psychomotorik aber immer die Grundlage jeglichen Handelns, jeglicher Therapie darstellt?“„Was spürst du in deinem Herzen?“ war Jonnys Frage.

„Es ist das Richtige! Genau das ist es!“ Jonny lächelte und sagte „ Mädel, du hast es – das ist es!“Das war 1999. Ich eröffnete meine Praxis. Das Beste, was ich je in meinem beruflichen Leben gemacht habe. Ich habe diesen Schritt bis heute keine Sekunde bereut. Jonny war stolz auf mich.Mein erster Impuls, als ich Jonny begegnete: Ich wollte so sein wie er. Er sagte: „Du

bist nicht ich, du kannst nicht ich sein. Du musst immer deinen Weg finden. Du musst deine psychomoto-rische Identität finden – nur dann bist du authentisch, zufrieden und letztendlich erfolgreich!“Hey Jonny, du hattest Recht. Ich hab’s gespürt. „I did it my way!“ Du hast mir den Weg gezeigt, mich bestärkt, mich gelassen, viele Fragen gestellt, hattest immer ein

offenes Ohr und hast mich über all die Jahre immer begleitet. Du hast mir die Fackel gegeben und ich habe sie weiter tragen dürfen.

Danke Dir dafür.

Gabi Seidl-Jerschabek(Dipl.Motologin)

Bundespräsident Christian Wulff eröffnete Kongress „Bewegte Kindheit“ in Osnabrück

Bundespräsident Christian Wulff hat am 17.03.2011 vor 3000 begeisterten Teil- nehmern den 7. Kongress „Bewegte Kindheit“ in Osnabrück eröffnet. Die bundesweit größte Veranstaltung zur frühkind-lichen Bildung wurde gemeinsam von der Univer-sität Osnabrück und dem Niedersächsischen Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung (nifbe), unter Leitung der Osna-brücker Sport- und Erzie-hungswissenschaftlerin Prof. Dr. Renate Zimmer, ausgerichtet. In 180 Vorträ-gen, Seminaren und Work-shops wurden neue Erkennt-nisse über die Entwicklung,

Bildung und Erziehung von Kindern vorgestellt und praktische Anregungen für die Gestaltung einer „bewegten Kindheit“ gegeben. Bundespräsident Wulff führte in seiner Eröffnungs-rede aus: „Bewegung schult die Erfahrung von Freiheit, von Persönlichkeit, von

Grenzen, von Gemeinschaft, also Miteinander. Das sind Lebenserfahrungen, die wir alle brauchen, um ganzheit-liche, zufriedene, gemein-schaftsfähige, ja, glückliche Menschen zu werden. Empathie wird wichtiger denn je.“ Über 130 renommierte Refe- rentinnen und Referenten

aus dem In- und Ausland sorgten für ein dreitägiges anspruchsvolles Kongress-programm. Zu dem bildungs-politisch hochaktuellen Problem der Sprachförde-rung von Kindern wurden neue Forschungsergebnisse präsentiert, die die Effekti-vität einer bewegungs-orientierten Sprachförderung belegen. Weitere Schwer-punkte der Vorträge und Workshops waren die Ent- wicklungsförderung von Kindern unter drei, Integra-tion und Inklusion und die Forderung einer geschlechts-sensiblen Bewegungs-erziehung, die auch die Bedürfnisse von Jungen und Mädchen besonders berücksichtigt.

Weitere Informationen zu dem Kongress unter www.bewegtekindheit.de oder per E-Mail [email protected]

Informationen

r Bundespräsident Christian Wulff und Prof. Dr. Renate Zimmer (Foto: Imke Zur Lage)

104 motorik, Schorndorf, 34 (2011), Heft 2

Summaries / Résumés

Ingrid SchäferFrom the roots to the develop-ment, further development and the current prospects of psychomotor therapy – Kiphard and his workStarting from a presentation of the roots of the father of psychomotor therapy, this article illustrates the development of the idea of psychomotor therapy, its underlying orientations, the exercise areas included and the pedagogical-therapeutic methods used. On this basis, the author shows how the psychomotor idea became popular and developed, how then the Psychomotor Action Circle was founded, and how psychomotor therapy was scientifically substantiated and differentiated. Finally, the author points out that the quality of psychomotor work is based primarily on the fact that each psychomotor expert develops and lives his or her own form of psychomotor therapy and how he or she incorporates it into the organisation of relationships and common movement, play and action situations.

Holger JesselTraces and horizons – Ernst Jonny Kiphard and psychomotor therapyThe article deals with two central questions: On the one hand, answers are sought to the question which of the traces laid by Kiphard and his companions are still relevant to psychomotor therapy today; on the other hand, horizons are sought which Kiphard already kept an eye on. However, in the future, these horizons should be analysed more closely. In doing so, four aspects are roughly dealt with: psychomotor therapy as the art of fitting, psychomotor therapy as a necessity of designing society, psychomo-tor therapy as the art of relationship, and psychomotor therapy as a necessity of walking the borderline.

Ernst Jonny KiphardThe importance of motivation, movement and zest for movement and life for the promotion of disabled children (unpubl. lecture in Hamburg, 1999)This previously unpublished lecture is a timeless reminder of the author for all of us: allowing happiness to be an absolutely necessary prerequisite for optimal learning. At the same time, this lecture gives witness of Jonny Kiphard’s lifetime achievement.

Horst GöbelImpressions of Jonny Kiphard’s career and work – an expert and personal perspectiveAs the successor of Jonny Kiphard, the author describes the history of E.J.K.’s work. The article refers both to Kiphard’s clinical work in the special department for Clinical Psychomotor Therapy (CPT) in Hamm and in several areas of activity within the Psycho-motor Action Circle.

Klaus FischerMilestones and progress of knowledge within the psychomotor paradigmFollowing a short overview of the milestones of the development of the psycho-motor concept since Kiphard’s psychomotor exercise therapy, the author describes move-ment as the key term from a dynamic-systemic point of view. Following this, five examples are formulated for future discourses and task assignments within the psycho motor field of activity.

Ingrid SchäferDes racines au développement, perfectionnement et aux perspectives actuelles de la psychomotricité – Kiphard et son oeuvre A partir d’une présentation des racines du père de la

psychomotricité en Allemagne, la contribution illustre comment se développait l’idée de la «Psychomotorische Übungsbehandlung», quelles orientations constituaient la base de ce traitement, quels domaines d’exercice en faisaient partie et comment se présentait le procedere pédago-théra peutique. Sur cette base, l’auteur montre comment l’idée psychomotrice s’est développée et perfec-tionnée, comment s’est fondé l’Aktionskreis Psychomotorik e.V. et comment la psychomo-tricité s’est étayée et différen-ciée au point de vue scien- tifique. Comme conclusion, l’auteur rend attentif à ce que la qualité du travail psycho-moteur repose en premier lieu sur le fait que chaque psychomotricien développe et vit sa propre forme de psychomotricité et laisse pénétrer celle-ci dans l’organisation de relations et de situations communes de mouvement, de jeu et d’activité.

Holger JesselTraces et horizons – Ernst Jonny Kiphard et la psychomotricitéLa contribution se voue à deux questions centrales: Elle cherche d’un côté des réponses à la question, quelles traces laissées par Kiphard et ses compagnons sont encore significatives aujourd’hui pour la psychomotricité, et de l’autre elle cherche les horizons que Kiphard envisageait déjà, mais que la psychomotricité pourrait considérer plus précisément et en faire l’objet de recherche. A ce propos quatre aspects sont de façon esquissée focalisés: La psychomotricité en tant qu’art de l’ajustement, la psychomotricité en tant que nécessité de l’organisation de la société, la psycho motricité en tant qu’art relationnel et la psychomotricité en tant que nécessité du passage frontalier.

Summaries/RésumésErnst Jonny KiphardL’importance de la motiva tion, du plaisir de mouvement et de vie pour le développement d’enfants handicapés(conférence non publiée Hambourg 1999)La conférence, non publiée jusqu’ici, est un souvenir intemporel de l’auteur pour nous tous: Laisser règner le plaisir en tant que prérequis absolument nécessaire pour un apprentissage optimal. En même temps la contribution est un bulletin pour l’oeuvre capitale de Jonny Kiphard lui-même.

Horst GöbelExtraits du chemin et de l’oeuvre de Jonny Kiphard – une opinion professionnelle et personnelleEn tant que successeur de Jonny Kiphard, l’auteur informe sur l’histoire de l’oeuvre de E.J.K. La contribu-tion se rapporte aussi bien au travail clinique dans le département de thérapie clinique psychomotrice à Hamm qu’aux différents champs d’activité de l’Ak-tionskreis Psychomotorik.

Klaus FischerEtapes importantes et progrès au niveau des connaissances du paradigme psychomoteur Suite à un bref exposé sur les étapes importantes du développement conceptuel psychomoteur depuis la «Psychomotorische Übungs-behandlung» de Kiphard, la contribution décrit le mouvement comme notion clé de la perspective dynamique-systémique. Finallement cinq exemples de discours futurs et de définitions de contenus à l’intérieur du domaine professionnel psychomoteur sont formulés.