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SCHULE INTERNAT: Wir Kinder vom Rosenberg Das Elite-Internat in St.Gallen feiert sein 125-  jähri ges Beste hen. Annet te Kamm erer über ihre Schulzeit mit de r Jeunesse dorée von Annette Kammerer DIE ZEIT Nº 34 /201431. Aug ust 2014 21:13 Uh r 29 Kom m entare Priv atschule mit Weltruhm: Das Institut auf dem Ro se nberg in St. Gallen | © Instit ut auf dem Rosenberg Ich trage meine besten Kleider. Einen karierten Rock, eine schwarze Bl use, dunkl e St rümpfe, Schuhe mi t A bsatz. Es ist mein ers ter Schul tag am Institut auf dem Rosenberg in St. Gallen. Tadelloses Auftreten gehört ab heute zu meinem Leben, auch wenn ich erst 16 Jahre alt bin. D ie Regeln sin d str ikt: k eine Jeans, kein Piercin g, keine T ätowierung. Für Fr auen im Sommer Röc ke, im Win ter ist wochentags auch ein klassischer Ho senanzug erlaubt. Männer tr agen das ganze Jahr über  Anzug u nd Krawatte. D er Bart muss v ol lkommen a brasiert sein, die

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SCHULE

INTERNAT:

Wir Kinder vom RosenbergDas Elite-Internat in St.Gallen feiert sein 125- jähriges Bestehen. Annette Kammerer über ihreSchulzeit mit der Jeunesse dorée von AnnetteKammerer

DIE ZEIT Nº 34/201431. August 2014 21:13 Uhr 29 Kommentare

Privatschule mit Weltruhm: Das Institut auf dem Rosenberg in St. Gallen | © Institut auf demRosenberg

Ich trage meine besten Kleider. Einen karierten Rock, eine schwarze

Bluse, dunkle Strümpfe, Schuhe mit Absatz. Es ist mein erster Schultag

am Institut auf dem Rosenberg in St. Gallen. Tadelloses Auftreten

gehört ab heute zu meinem Leben, auch wenn ich erst 16 Jahre alt bin.

Die Regeln sind strikt: keine Jeans, kein Piercing, keine Tätowierung.

Für Frauen im Sommer Röcke, im Winter ist wochentags auch ein

klassischer Hosenanzug erlaubt. Männer tragen das ganze Jahr über

 Anzug und Krawatte. Der Bart muss vollkommen abrasiert sein, die

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Haare dürfen höchstens bis zum Kinn reichen.

Ich stehe vor einem verzierten, rosenumrankten Torbogen. In

geschnörkelter Schrift steht "Institut auf dem Rosenberg". Vor der

Kulisse der Stadt St. Gallen thronen sie da, unweit der Hochschule, die

 Villen aus der Gründerzeit, allesamt sorgsam renoviert. MächtigeBäume zeugen von der langen Tradition des Hauses. Auf der Wiese

stehen Gartenzwerge in Reih und Glied, eingefasst von einem Zaun,

der in der Farbe des Hauses gestrichen ist: Rosa.

Noch ist mir diese Welt vollkommen fremd. Das Institut auf dem

Rosenberg gehört zu den vornehmsten Privatschulen der Welt.

Sechs Jahre sind vergangen, seit diesem ersten, großen Tag in

St.Gallen. Ich habe inzwischen einen Bachelor in der Tasche und sitzezu Hause auf gepackten Koffern für ein Masterstudium in London. Da

erreicht mich diese Einladung: "Rosenberg wants you back!"  , steht in

rosa Buchstaben auf einer geschmackvollen Karte, die zum Jubiläum

des 125-jährigen Bestehens der Schule am 24. August einlädt.

Ob ich hingehen soll?

Zusammen mit Kindern aus allen Erdteilen habe ich hier bis zurHochschulreife gebüffelt. Man schließt wahlweise nach dem

amerikanischen, britischen, italienischen, deutschen oder

schweizerischen Schulsystem ab. Nach dem Credo von Heinrich

Pestalozzi "Leben zu lernen ist der Endzweck aller Erziehung" sollen sie

zu Selbstständigkeit, Ordnung und Disziplin geführt werden.

Über die Namen von Berühmtheiten, die hier zur Schule gingen,

kursieren Gerüchte, die von der Schulleitung niemals bestätigt oder

dementiert werden. Diskretion ist Teil des Programms. Trotzdem

sickern immer mal wieder die Namen von prominenten Abgängern

durch. Der Fotograf und Kunstsammler Gunter Sachs soll einer von

ihnen sein. Oder hat er doch, wie auch schon gemunkelt wurde, seine

Manieren am Lyceum Alpinum in Zuoz erlernt? Bestätigt ist, dass

Ignazio La Russa, der frühere italienische Verteidigungsminister, auf 

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dem Rosenberg seinen Krawattenknoten gebunden hat. Genauso wie

Chris O’Neill, der Ehemann der schwedischen Prinzessin Madeleine,

der Chemie-Nobelpreisträger Mario J. Molina und der Sohn von Willy 

Bogner. Und die Stadt Zürich verdankt ihren aktuellen Polizeidirektor

Richard Wolff dem Elite-Internat: Sein Vater fand hier Zuflucht vor

den Nazis.

Kinder, die hier zur Schule gehen, haben entweder sehr v iel Geld –

oder aber Glück. So wie ich. Ich war in der 10. Klasse einer deutschen

Kleinstadt und wollte das Umfeld hinter mir lassen, in dem ich mich

 vom Spießbürgertum erdrückt fühlte. Ich wollte weg aus dieser Welt,

in der sich alles nur noch um den richtigen Kleiderstil, die richtige

Musik, das richtige Telefon drehte und um die Frage, was cool ist – und

 was nicht.

 Auf einer Internatsmesse traf ich Otto A. Gademann, den damaligen

Schulleiter des Rosenbergs. Ein Mensch, der mir bis heute in positiver

Erinnerung geblieben ist. Unvergessen, wie er, als ich später an seiner

Schule war, im rosaroten Rolls-Royce zur Schule gefahren wurde,

Tennis spielte und ununterbrochen Zigarre rauchte. Uns Schülern

 begegnete er wahlweise mit Zynismus und Humor.

Nach einem kurzen Gespräch machte er mir einen außergewöhnlichen Vorschlag: Ich dürfe an das Rosenberg wechseln, dort eine Klasse

überspringen und erhielte ein Stipendium zur Finanzierung des

Schulgelds.

Mein erster Schultag. Der Weg zum Speisesaal ist von Säulen gesäumt.

Ich gehe vorbei am weißen Flügel, den ich in den nächsten beiden

Jahren oft spielen werde. Auf dem Weg zu den schweren Holztafeln

 werde ich eingehend gemustert, bevor der Aufsichtslehrer meinenNamen auf einer Liste abhakt. Ein Junge mit Stoppeln im Gesicht wird

zum Rasieren zurück auf sein Zimmer geschickt, damit er Paragraf 12

der Allgemeinen Aufnahmebedingungen erfüllen kann: "Das gesamte

Erscheinungsbild einer Schülerin oder eines Schülers sollte gepflegt

sein. Dazu gehören selbstverständlich das regelmäßige Duschen und

Zähneputzen, die Haarpflege, der Haarschnitt und die tägliche Rasur."

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Nach und nach füllt sich der Speisesaal mit adrett gekleideten Schülern.

 Von den Decken hängen prachtvolle Jugendstil-Kronleuchter, vor uns

thront golden die Statue von einem der Urväter der Schule: C. A. O.

Gademann. Erst wenn der letzte der 200 Schüler hinter seinem Stuhl

steht, ertönt eine Glocke. Es wird still. Beim zweiten Läuten ist es den

Mädchen erlaubt, sich zu setzen. Beim dritten den Jungen. Es darf gegessen werden.

84.000 Franken: So viel kostet im Moment ein Jahr auf dem

Rosenberg. Braucht ein Schüler Nachhilfe, lässt er seine Wäsche im

Internat waschen oder pflegt er aufwendige Hobbys wie Skifahren,

 wächst die Rechnung schnell auf über 100.000 Franken an. Hinzu

kommt ein Depot von 25.000 Franken, das bei der Anmeldung

hinterlegt werden muss. Das Abschlusszeugnis wird erst ausgehändigt,

 wenn die letzte Rechnung beglichen ist.

Eines Tages sitze ich vor der Direktorin. Das Büro von Monica A.

Schmid ist weiß in weiß möbliert. Sie wacht über fast alles an der

Schule und auch über das, was ihren eigenen Charakter am meisten

auszeichnet: Disziplin. Sie kommt morgens immer als Erste an die

Schule und ist abends die Letzte, die geht. Ihr Kleid sitzt so perfekt wie

ihre Frisur und der rote Lippenstift. Frau Schmid, vor der wir nicht nur

 viel Respekt, sondern manchmal auch ein wenig Angst haben. Sie kennt

die gängigen Schimpfwörter in den vielen Sprachen, die an der Schule

gesprochen werden: Bljad, merde, shi.

Ich sitze vor Frau Schmid mit einer Bitte. Ich habe die Nachtordnung

 verletzt. Am Rosenberg gehen alle Schüler Punkt 21 .45 Uhr zu Bett.

Der Nachtwächter aber hatte festgestellt, dass in meinem Zimmer um

21.48 Uhr noch Licht brannte. Wie jede Verfehlung wird auch diese mit

einer Geldstrafe gebüßt. Rauchen kostet 80 Franken. Ein dreitägigerSchulverweis 1.000 Franken. In meinem Fall war die Strafe auf 150

Franken angesetzt.

Otto A. Gademann, der 2009 verstorbene Leiter der Schule, sagte

einmal in einem Interview, dass Generationen, die in Mercedes-

Einheiten groß werden, es verdient hätten, auch in Mercedes-Einheiten

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 bestraft und belohnt zu werden. Doch in dieser Welt, in der Hermès-

Taschen zum natürlichen Erscheinungsbild gehören, ist Geld keine

Strafe. Was sind schon ein paar Hundert Franken für einen, der nach

dem Heimaturlaub mit der familieneigenen Cessna zum schulnahen

Flughafen geflogen wird? Was für das Mädchen, das zum

Schulabschluss von seinen Eltern mit einem Lamborghini Gallardo belohnt wird?

Für mich, die ich zwar nicht arm aufgewachsen bin, sondern dem

Mittelstand angehöre, waren 150 Franken viel Geld. Zu viel. Und so

musste ich um den Erlass der Strafe bitten. Mein Stipendium galt für

das Schulgeld, nicht aber für Strafen. Natürlich nicht. Und so wurde ich,

ein Ausnahmefall, auch als solcher behandelt.

Obwohl ich ein Ausnahmefall war, eine Außenseiterin war ich nie. Und

fand im Schweizer Privatinternat ausgerechnet das, was ich in meiner

80.000-Seelen-Geburtsstadt so sehr vermisste: Kaum einem meiner

Mitschüler schien aufzufallen, dass ich mir weder Gucci noch Hermès

leisten konnte. Und wenn meine Eltern manchmal in einem alten VW-

Kombi vor dem rosaroten Zaun vorfuhren, um mich abzuholen, nahm

niemand Notiz davon. Geld, das habe ich gelernt, ist in dieser Welt

 wertlos. Weil alle so viel besitzen. Es gab ganz andere Probleme, welche

die Schüler beschäftigten: Da war die Tochter aus einer Familie, deren

Unternehmen einen Jahresumsatz von 400 Millionen Franken

erwirtschaftete. Sie kam an die Schule, weil die Eltern hofften, dass ihr

Kind mit einem geregelten Tagesablauf und einer Rund-um-die-Uhr-

Betreuung ihre Bulimie-Erkrankung in den Griff bekommen würde. Da

 waren Kinder, deren Eltern auf zwei Kontinenten lebten, weil die Väter

 beruflich um die Welt jetteten. Ihren Söhnen wollten sie den Weg zu

einer ebenso einträglichen Laufbahn ebnen. Ein guter Schulabschluss

ist der Anfang davon. Und so sagt manch einer, dass er am Rosenberg

gefunden habe, was er am meisten nötig hatte: klare Regeln und

Disziplin.

 Wer Regeln sucht, ist goldrichtig in diesem Internat mit seiner 21

Seiten langen Hausordnung. Eine Regel ist bald so berühmt wie das

Internat selbst. Sie besagt, dass es außer "Her Majesty the Queen"

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niemandem gestattet sei, in einem Raum auf dem Institutsgelände eine

Kopfbedeckung zu tragen.

Dabei ist lange nicht alles rosarot in dieser Welt. Als wir einen Chor

gründen wollten, wurden wir ausgebremst. Eine Schülerzeitung? Keine

Chance. Genauso wenig wie der Wunsch erfüllt wurde, eine eigeneBasketballmannschaft zu gründen. Wer Sport treiben wollte, konnte

schließlich auf einem Tennisplatz, der mit Werbebannern von Louis

 Vuitton geschmückt war, privaten Unterricht nehmen.

Ich erlebte auch, was es heißt, wenn es zum Zerwürfnis kommt. Wenn

 jemand aus der schönen, reichen Welt ausscheidet. So wie Alex, der

nach vielen Misserfolgen ins Internat kam, und auch da, trotz allen

Bemühungen, nur ein High-School Diploma bestand. Ein solches wird

aber von keiner öffentlichen deutschen Universität anerkannt. Und so

hält sich Alex heute, nachdem ihm der Vater jede weitere finanzielle

Unterstützung verweigert hatte, mit Jobs über Wasser: Im Winter in

Skiressorts, im Sommer auf Messen.

Für einige meiner ehemaligen Klassenkameraden war der Schulbesuch

der Anfang eines Lebens unter ihresgleichen: Sie sitzen zusammen an

den berühmtesten privaten Business- oder Hotelfachschulen und

pflegen ihre exklusiven Freundschaften in Klubs, in die Einlass gewährt bekommt, wer sehr viel Geld bezahlt. Ich ging den Weg, den manch

einer meiner Mitschüler auch ging: zurück in das normale Leben und

studierte an einer öffentlichen Universität Politik.

 Wenn ich heute meinen Freunden von meiner Zeit am Rosenberg

erzähle, schauen sie mich schief an, legen ihre Stirn in Falten und

fragen, warum meine Eltern mich dort hingeschickt haben. Dann

erzähle ich Geschichten aus meiner stressigen Abiturzeit. Wie wir aneinem sonnigen Sonntag spontan den Antrag für einen Ausgang

genehmigt bekamen und mit schuleigenen Autos gemeinsam den

Rosenberg hinunterfuhren, hinaus aus der Stadt, bis an den Bodensee.

Es wurde zu einem der schönsten Tage meiner Schulzeit. Wir trieben

auf einem Boot eines Mitschülers auf dem See und ließen die Füße im

kühlen Wasser baumeln. Die Freiheit war umso wertvoller, weil sie

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nicht selbstverständlich war.

"Rosenberg wants you back!". Noch immer liegt die rosa

Einladungskarte vor mir auf dem Tisch. Darauf, die Zeichen des

Schulwappens: Bär, Rose und Krone. Der Zutritt zur Feier sei nur mit

einem speziellen Sicherheitsausweis möglich, heißt es da, und diePresse aus Diskretionsgründen ausgeschlossen. Daneben, kursiv, die

Koordinaten für den Hubschrauberlandeplatz.

Ob ich hingehen soll?

Ich bin unentschlossen. Die Welt von damals ist nicht mehr meine Welt.

Nichts lässt mich heute so gleichgültig wie Geld.

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