jahrbuch 2008 74 75 Übergänge zwischen ziel des ...studienberechtigte 2006 ein halbes jahr vor dem...

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74 Aus unserer Werkstatt Jahrbuch 2008 75 Jahrbuch 2008 Übergänge zwischen Gymnasium und Hochschule/Arbeitswelt Ziel des Gymnasiums: Vorbereitung auf Hochschule und Beruf Empirische Studien belegen auf eindrückliche Weise, dass die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler in den Gymnasien sich in ihrer Studien- und Berufswahl nicht sicher fühlen: „Nur 27 % der Befragten fühlen sich ein halbes Jahr vor dem Erwerb der Hochschulreife umfassend informiert. 30 % stufen ihren Informationsstand als unzureichend ein. Die übrigen Befragten (43 %) sind mittelmäßig bzw. teilweise informiert.“ (C. Heine, H. Span- genberg, J. Willich, Informationsbedarf, Informationsangebote und Schwierigkeiten bei der Studien- und Berufswahl. Studienberechtigte 2006 ein halbes Jahr vor dem Erwerb der Hochschule, HIS: Forum Hochschule, 12 2007, S. 10) Um dem Abhilfe zu schaffen, können über die auch im Fachunterricht zu leistende be- rufliche Orientierung hinaus künftig im Projekt-Seminar zur Studien- und Berufs- orientierung (P-Seminar) durch die Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern schon während der Schulzeit praxisnahe Erfahrungen gesammelt werden. Das bayeri- sche Gymnasium bietet hier seinen Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, sich über drei Ausbildungsabschnitte hinweg intensiv mit der eigenen beruflichen Zukunft ausei- nanderzusetzen und das für eine verantwortliche Studien- und Berufswahl notwendige Orientierungswissen zu erwerben. Im Rahmen einer ca. einjährigen Projektarbeit in Ko- operation mit Partnern aus allen Bereichen der Arbeitswelt werden insbesondere die Selbst- und Sozialkompetenzen der jungen Erwachsenen gefördert. Studien- und Berufsorientierung B e r u f s W A HL k o m p e t e n z Orientierung über Studiengänge und Berufsfelder · eigene Stärken und Schwächen · Modul 1 allgemeine B e r u fs W E L T k o m p e t e n z Projektarbeit mit Bezug zur wissenschaftlichen und/oder beruflichen Praxis Modul 2 spezielle ÜBERGÄNGE ZWISCHEN GYMNASIUM UND HOCHSCHULE/ ARBEITSWELT Neue Wege bei der Studien- und Berufsorientierung Mit der neuen Oberstufe wird in den Jahren 2009 bis 2011 der Reformpro- zess des bayerischen Gymnasiums abgeschlossen. Wichtiger Bestandteil ist das Projekt-Seminar zur Studien- und Berufsorientierung (P-Seminar), das ab dem Schuljahr 2009/2010 für alle Schülerinnen und Schüler ver- pflichtend ist. Das Seminarkonzept wurde in einem vom ISB betreuten Schulversuch in den Schuljahren 2005/2006 und 2006/2007 in ca. 70 Gym- nasien entwickelt und erprobt. Es greift zentrale Forderungen der Ar- beitswelt auf, wonach Berufswahl- und Berufsweltkompetenz gestärkt werden müssen. Im Zentrum des P-Seminars stehen Praxisbezug und die Förderung von methodischen und sozialen Kompetenzen. In einer Pro- jektarbeit mit außerschulischen Partnern erhält jede Schülerin und jeder Schüler realitätsnahe Einblicke in die Arbeitswelt und Einblicke in die Me- thode des Projektmanagements. Diese neue Unterrichtsform verspricht für die Heranwachsenden und die Projektpartner gleichermaßen einen beträchtlichen Nutzen. M it der Einführung der neuen Oberstufe im Herbst 2009 öffnen sich die bayeri- schen Gymnasien noch stärker der Arbeitswelt, um Schülerinnen und Schülern vor der Studien- und Berufswahl erste Einblicke in die Berufs- und Studienwelt zu ermögli- chen. Wichtiger Bestandteil ist das Projekt-Seminar zur Studien- und Berufsorientierung (P-Seminar), dessen Besuch ab dem Schuljahr 2009/2010 für alle Schülerinnen und Schü- ler in den Ausbildungsabschnitten 11/1, 11/2 und 12/1 in jeweils zwei Wochenstunden verpflichtend ist. Neben dem P-Seminar werden die Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Oberstufe ein weiteres Seminar besuchen: Das Wissenschaftspropädeutische Seminar (W-Seminar), in dem die jungen Erwachsenen an Methoden der Hochschule herangeführt werden und bei der Erstellung ihrer individuellen Seminararbeit von einer Lehrkraft betreut werden.

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Aus unserer Werkstatt

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Jahrbuch 2008

Übergänge zwischen Gymnasium und Hochschule/Arbeitswelt

Ziel des Gymnasiums: Vorbereitung auf Hochschule und Beruf

Empirische Studien belegen auf eindrückliche Weise, dass die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler in den Gymnasien sich in ihrer Studien- und Berufswahl nicht sicher fühlen: „Nur 27 % der Befragten fühlen sich ein halbes Jahr vor dem Erwerb der Hochschulreife umfassend informiert. 30 % stufen ihren Informationsstand als unzureichend ein. Die übrigen Befragten (43 %) sind mittelmäßig bzw. teilweise informiert.“ (C. Heine, H. Span-genberg, J. Willich, Informationsbedarf, Informationsangebote und Schwierigkeiten bei der Studien- und Berufswahl. Studienberechtigte 2006 ein halbes Jahr vor dem Erwerb der Hochschule, HIS: Forum Hochschule, 12 2007, S. 10)

Um dem Abhilfe zu schaffen, können über die auch im Fachunterricht zu leistende be-rufliche Orientierung hinaus künftig im Projekt-Seminar zur Studien- und Berufs-orientierung (P-Seminar) durch die Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern schon während der Schulzeit praxisnahe Erfahrungen gesammelt werden. Das bayeri-sche Gymnasium bietet hier seinen Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, sich über drei Ausbildungsabschnitte hinweg intensiv mit der eigenen beruflichen Zukunft ausei-nanderzusetzen und das für eine verantwortliche Studien- und Berufswahl notwendige Orientierungswissen zu erwerben. Im Rahmen einer ca. einjährigen Projektarbeit in Ko-operation mit Partnern aus allen Bereichen der Arbeitswelt werden insbesondere die Selbst- und Sozialkompetenzen der jungen Erwachsenen gefördert.

Studien- und Berufsorientierung

BerufsWAHLkompetenz

Orientierung überStudiengänge und Berufsfelder ·eigene Stärken und Schwächen ·

Modul 1

allgemeine

BerufsWELTkompetenz

Projektarbeitmit Bezug zur wissenschaftlichen und/oder beruflichen Praxis

Modul 2

spezielle

ÜBErGänGE ZWiScHEn GyMnASiUM Und HocHScHULE/ArBEiTSWELT Neue Wege bei der Studien- und Berufsorientierung

Mit der neuen oberstufe wird in den Jahren 2009 bis 2011 der reformpro-zess des bayerischen Gymnasiums abgeschlossen. Wichtiger Bestandteil ist das Projekt-Seminar zur Studien- und Berufsorientierung (P-Seminar), das ab dem Schuljahr 2009/2010 für alle Schülerinnen und Schüler ver-pflichtend ist. das Seminarkonzept wurde in einem vom iSB betreuten Schulversuch in den Schuljahren 2005/2006 und 2006/2007 in ca. 70 Gym-nasien entwickelt und erprobt. Es greift zentrale Forderungen der Ar-beitswelt auf, wonach Berufswahl- und Berufsweltkompetenz gestärkt werden müssen. im Zentrum des P-Seminars stehen Praxisbezug und die Förderung von methodischen und sozialen Kompetenzen. in einer Pro-jektarbeit mit außerschulischen Partnern erhält jede Schülerin und jeder Schüler realitätsnahe Einblicke in die Arbeitswelt und Einblicke in die Me-thode des Projektmanagements. diese neue Unterrichtsform verspricht für die Heranwachsenden und die Projektpartner gleichermaßen einen beträchtlichen nutzen.

Mit der Einführung der neuen Oberstufe im Herbst 2009 öffnen sich die bayeri-schen Gymnasien noch stärker der Arbeitswelt, um Schülerinnen und Schülern vor

der Studien- und Berufswahl erste Einblicke in die Berufs- und Studienwelt zu ermögli-chen. Wichtiger Bestandteil ist das Projekt-Seminar zur Studien- und Berufsorientierung (P-Seminar), dessen Besuch ab dem Schuljahr 2009/2010 für alle Schülerinnen und Schü-ler in den Ausbildungsabschnitten 11/1, 11/2 und 12/1 in jeweils zwei Wochenstunden verpflichtend ist. Neben dem P-Seminar werden die Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Oberstufe ein weiteres Seminar besuchen: Das Wissenschaftspropädeutische Seminar (W-Seminar), in dem die jungen Erwachsenen an Methoden der Hochschule herangeführt werden und bei der Erstellung ihrer individuellen Seminararbeit von einer Lehrkraft betreut werden.

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Übergänge zwischen Gymnasium und Hochschule/Arbeitswelt

Projekte haben mittlerweile an den bayerischen Gymnasien einen festen Stellenwert. Nach dem neuen Lehrplan für das Gymnasium soll jede Schülerin und jeder Schüler in jeder Jahrgangsstufe an einem fächerübergreifenden Vorhaben teilnehmen. Die Arbeit in Pro-jekten in der neuen Oberstufe kann also auf den in der Unter- und Mittelstufe vermittel-ten Kompetenzen aufbauen. Auch Projektarbeit als Unterrichtsmethode ist in der Schule nicht neu. Sie wird vor allem wegen ihrer positiven Auswirkung auf die Persönlichkeits-bildung der Schülerinnen und Schüler geschätzt: Projekte fördern die Selbständigkeit und Selbstorganisation der Heranwachsenden, gleichzeitig können sie Erfolgserlebnisse und Zielorientierung lebensweltnah vermitteln. Die dortigen Lerneffekte ergänzen den regulären Unterricht.

Projektarbeit ins Unterrichtsgeschehen zu integrieren hat einen weiteren Grund: Gerade in der Arbeitswelt haben sich Projekte als eine Organisationsform mit hoher Wirksam-keit und Praktikabilität bewährt, weshalb schon heute Mitarbeiterinnen und Mitarbei-ter in der mittleren Führungsebene ca. 30 % bis 40 % ihrer Arbeitszeit nicht mehr mit (Routine-)Tätigkeiten innerhalb ihres Bereichs, sondern in bereichsübergreifenden Projek-ten verbringen. Im P-Seminar erwerben Schülerinnen und Schüler Kompetenzen des Projektmanagements und bereiten sich so auf eine in der heutigen Arbeitswelt zentrale Organisationsform vor. Besonders durch die Einbeziehung eines oder mehrerer externer Projekt-Partner (eine der wenigen Vorgaben für die Durchführung von Projekten) ist ein hoher Realitätscharakter garantiert: Wirklichkeitsnahe Einblicke in die Berufs- und Ar-beitswelt gewinnen Schülerinnen und Schüler in einer Projektarbeit, deren konkrete Aus-gestaltung natürlich von den regionalen Gegebenheiten der Schule sowie der Arbeitswelt vor Ort abhängt.

Ein Projekt in der Berufswelt ist ein Vorhaben, das durch die Einmaligkeit der Bedingun-gen in ihrer Gesamtheit gekennzeichnet ist, wie z. B.

Zielvorgabe, -zeitliche, finanzielle, personelle und andere Begrenzungen, - Abgrenzung gegenüber anderen Vorhaben (insbesondere zu Routine-Vorgängen, für -die keine Projekt-Organisation notwendig ist),Zusammensetzung des Projektteams und eine -projektspezifische Organisation. -

Diese vorgegebenen Leitlinien für das Projekt im P-Seminar werden sich in den konkre-ten Schul-Projekten nicht immer alle verwirklichen lassen, was aber die positiven Effekte sowie das Engagement und die Ernsthaftigkeit, mit der die involvierten Jugendlichen ihr Projektthema angehen werden, nicht schmälern wird.

Im P-Seminar durchlaufen die Schülerinnen und Schüler einen individuellen Prozess der Studien- und Berufsorientierung und werden dabei von Lehrkräften begleitet. Sie arbei-ten in einem größeren Projekt mit, das durch Kontakte mit außerschulischen Partnern (z. B. Hochschulen, Unternehmen, Behörden, kirchliche oder kulturelle Einrichtungen) ge-prägt ist.

Berufswahl- und Berufsweltkompetenz im P-Seminar

Für die allgemeine Studien- und Berufsorientierung soll insgesamt ca. ein halbes Jahr und für die Projektarbeit insgesamt ca. ein Jahr veranschlagt werden. Für die Ein-beziehung externer Projekt-Partner ist eine größtmögliche zeitliche Flexibilität notwen-dig. Daher können die Inhalte der beiden Teilbereiche auf alle drei Ausbildungsabschnitte verteilt werden, zumal diese beiden Bereiche auch konzeptionell miteinander verschränkt sind: Im Rahmen der Projektarbeit, die u. a. realitätsnahe Einblicke in die Arbeitswelt er-möglicht, werden stets Aspekte der allgemeinen Studien- und Berufsorientierung vertieft. Auch eine methodische Verknüpfung ist denkbar: Ein Bewerbertraining etwa ist dem Mo-dul „Allgemeine Studien- und Berufsorientierung“ zuzuordnen; die dafür notwendigen sozialen Kompetenzen können aber auch im Rahmen von Teamübungen während der Projektarbeit trainiert werden. Auf Grund der frühzeitigen externen Bewerbungstermine für Ausbildungsplätze ist es aber zweckmäßig, bereits im Ausbildungsabschnitt 11/1 ein Modul über die Erwartungen der Arbeitswelt und Bewerbungstrainings durchzuführen.

Modul 1: Allgemeine Studien- und Berufsorientierung

Die Schülerinnen und Schüler sollen Kenntnisse, Einstellungen und Kompetenzen erwer-ben, die sie befähigen, ihre Studien- und Berufswahl verantwortlich zu treffen. Gleichzei-tig lernen sie Anforderungen der Hochschule und der Berufswelt kennen. Wesentliche Aufgabe der Lehrkraft ist es dabei, die Schülerinnen und Schüler zur eigenständigen Re-cherche über verschiedene Studiengänge und Berufsfelder anzuleiten und Methoden zur Erkundung der eigenen Stärken und Schwächen aufzuzeigen und anzuwenden.

Modul 2: Projektarbeit mit externen Partnern

Im Rahmen der Projektarbeit wird die Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler zur zielge-richteten und systematischen Zusammenarbeit im Team, aber auch mit externen Part-nern entwickelt. Sie erwerben Kenntnisse und Kompetenzen des Projektmanagements und werden so auf eine in der heutigen Arbeitswelt zentrale Organisationsform vorberei-tet. Der Kontakt zu externen Partnern und die Projektarbeit sind wesentliche Elemente der im P-Seminar systematisch angelegten Studien- und Berufsorientierung.

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obligatorische Einbeziehung externer PartnerAbsolventinnen und Absolventen eines Gymnasiums üben ihre spätere berufliche Tätig-keit nicht nur bei Unternehmen der freien Wirtschaft aus. Daher kommt für externe Kon-takte die gesamte Arbeitswelt in Frage: große und kleine Unternehmen, soziale, kirchli-che und kulturelle Einrichtungen, Behörden, Forschungsinstitute, Hochschulen, Kliniken, Freiberufler etc.

Finden geeigneter Projekt-PartnerUm auf Dauer geeignete externe Kontakte aufzubauen, werden derzeit i. d. R. die Ver-bindungen von Elternbeirat, Förderverein, „Ehemaligen“-Netzwerk, Einrichtungen der Kommunen und Kommunalpolitiker, kirchliche Einrichtungen und Arbeitsagenturen, Un-ternehmens- und Interessenverbände und Kammern intensiv genutzt. Eine wichtige Rolle kann hierbei der Arbeitskreis SCHULEWIRTSCHAFT einnehmen, der in über 70 bayeri-schen Regionen eine langjährig bewährte Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Schulen fördert und mitgestaltet.

Die Internetplattform www.sprungbrett-bayern.de des Bildungswerks der Bayerischen Wirtschaft wurde in Zusammenarbeit mit dem Staatsministerium für Unterricht und Kultus und dem ISB erstellt und unterstützt die Berufsorientierung von Schülerinnen und Schü-lern praxisnah und zielgerichtet. Eine für das P-Seminar eingerichtete Datenbank dient u. a. der Herstellung von Kontakten zwischen Schulen und Unternehmen im Hinblick auf mögliche gemeinsame Projekte. Auf „sprungbrett“ kann sich jeder über Projektideen in-formieren und Partner suchen bzw. sich selbst als Partner anbieten. Damit besteht ein re-gionales wie überregionales Netzwerk von Schulen und Unternehmen bzw. Arbeitswelt.

Partner der P-Seminare

die gesamte Arbeitswelt

soziale Einrichtungen

kirchliche Einrichtungen

Kulturbetriebe

Kliniken

BehördenHochschulen

Forschungsinstitute

Freiberufler

Unternehmen

Vereine

In der folgenden Tabelle werden einige Beispiele für Projektthemen mit ihren Berufs-feldern und möglichen schulischen Leitfächern aufgezeigt:

Projekt-Thema Berufsfeld mögliches Leitfach

Erstellung einer Rundfunk-sendung in Zusammenarbeit mit einem Sender

Journalismus Deutsch, weitere Fächer themenabhängig

Vorbereitung und Durch-führung einer Exkursion mit Führungen für ausländische Gäste

Tourismus Geographie, Geschichte, Fremdsprachen

Entwicklung eines Konzeptes zur Nutzung eines denkmal-geschützten Gebäudes

Stadtplanung, Architektur Geographie, Kunst, Wirt-schaft und Recht

Energieplanung für ein Wohnhaus

Ingenieurwesen Physik, Chemie

Konzeption und Organisation eines Generationentreffs

soziale Berufe Religion/Ethik, Biologie, Sozialkunde

Herstellung eines elektroni-schen Spielzeugs

Ingenieurwesen Informatik, Physik

Analyse einer Wahl empirische Sozialforschung Mathematik, Sozialkunde

modellhafte Entwicklung eines Ticket-Systems für den öffentlichen Nahverkehr

Verkehrsplanung Informatik, Geographie

„Meine Gemeinde lebt“ – Artenschutzkartierung als Grundlage für den Natur-schutz

Natur- und Umweltschutz Biologie

Gepflegt und schön durch Chemie – Herstellen und Ver-markten eigener Produkte

Chemie, Unternehmens-führung

Chemie, Wirtschaft und Recht

Durchführung eines schul-übergreifenden Schulsport-wettkampfs

Event- und Sportmanage-ment

Sport

Beispiele für Projektthemen

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Übergänge zwischen Gymnasium und Hochschule/Arbeitswelt

angehenden Abiturientinnen und Abiturienten Interesse für das eigene Berufsfeld zu we-cken. Alle Beteiligten tragen mit den P-Seminaren zur Sicherung von Qualifizierung und beruflicher Zukunft unserer Kinder und damit auch zur Sicherung unseres Wirtschafts-standorts Bayern bei. Dieses Projekt ist vom Staat toll gemacht, und wir müssen alles dazu beitragen, dass es jetzt auch klappt.“

Dennoch muss der Aufwand, den eine wie auch immer gestaltete Kooperation mit sich bringt, zum zu erwartenden Nutzen in Relation gesetzt werden. Aufwand, Interesse und Nutzen werden bei der Überlegung, ein konkretes Projekt mit einem Gymnasium zu be-ginnen, eine ausschlaggebende Rolle spielen, das zeigt auch das bisherige Feedback aus den regionalen Informationsveranstaltungen.

Jedes Gymnasium wird seine Beziehungen zu externen Partnern regional knüpfen und erfolgreiche Projektpartnerschaften für zukünftige Kooperationen weiterhin pflegen. Je nach kalkulierbarem Aufwand, Projektthema, suchender Schule und den eigenen Res-sourcen wird eine Projekt-Partnerschaft leichter oder zögernder eingegangen.

Erste Schritte zu einer gelingenden Kooperation„Es gibt keine zweite Chance für den ersten Eindruck!“ Daher sollten die ersten Schritte auf einen möglichen Partner hin von der Schule gut vorbereitet werden. In den vielfältigen Erfahrungen der Gymnasien auch aus dem Schulversuch „Seminare in der Oberstufe“, der unter der Leitung des ISB mit ca. 70 Gymnasien in den Jahren 2005 - 2007 durchgeführt wurde, waren folgende Schritte meist erfolgreich:

zielgruppengerechte Gestaltung der ersten Projektidee und der Erstanfrage: Dazu -müssen Grundinformationen über das Unternehmen, die Einrichtung, den Betrieb, die Institution, die Behörde u. a. eingeholt und ausgewertet werden. Im Erstkontakt (E-Mail, Brief oder Gespräch) sollten von der Schule folgende Informati- -onen gegeben werden:

erste Projektidee und Themenfeld (bzw. Leitfach) des Projekts, ·Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Seminars bzw. der Teilgruppe, · besonderes Interesse der Schule bzw. der Seminargruppe gerade an diesem Part- ·ner für das konkrete Projekt,feste Ansprechpartner (mit Telefon-Nr. und E-Mail-Adresse) im Gymnasium. ·

Das Projektthema sollte anspruchsvoll, aber nicht überzogen, pragmatisch, aber nicht -minimalistisch formuliert werden, dabei muss das Machbare im Blick behalten werden. Der angesprochene Arbeitsweltvertreter sollte aus dem Erstgespräch heraus die -vorgeschlagene Projektidee mit den eigenen Interessen und Ressourcen (geschätzter Aufwand) abgleichen können.

Gestaltungsfreiheit in der ZusammenarbeitIn welcher Form und Intensität Gymnasien mit ihrem Projekt-Partner zusammenarbeiten, welche Rolle dieser übernehmen will und kann, hängt von den spezifischen Gegebenhei-ten und Bedürfnissen des Gymnasiums und des Partners (der Partner) sowie von dem kon-kreten Projekt ab. Projektarbeit ist prozessabhängig und situativ. In den Schulversuchen zum P-Seminar und bei herkömmlichen Kooperationen konnten folgende Rollen identifi-ziert werden: Berater eines Schulprojekts, Referent, Auftragnehmer, der die Schüler-gruppe bei der Durchführung eines Projekts unterstützt, oder Auftraggeber, der das Ziel des Projekts vorgibt. Die Intensität der Zusammenarbeit innerhalb der jeweiligen Funktion variiert stark. Auch Kombinationen der verschiedenen Funktionen sind möglich.

nutzen für beide und hohe Bereitschaft zur Kooperation Die erste Resonanz aus der Arbeitswelt auf die Informationskampagne „Arbeitswelt – Gymnasium – P-Seminar“, die in Zusammenarbeit zwischen dem Staatsministerium für Unterricht und Kultus, der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V., dem Bildungs-werk der bayerischen Wirtschaft e. V. und dem ISB durchgeführt wird, zeigt eine positive Aufmerksamkeit für das Projekt-Seminar zur Studien- und Berufsorientierung und eine große Bereitschaft zur konkreten Projekt-Partnerschaft. Im Rahmen von Veranstaltungen und Veröffentlichungen in Fachzeitschriften und auf Internetseiten interessierter Verbän-de wurden und werden prägnante Informationen über Ziele, Durchführung, Zeitplan und -aufwand gegeben und vor allem für zukünftige Projekt-Partnerschaften zwischen Ar-beitswelt und Gymnasien geworben.

Viele Betriebe und Einrichtungen beschäftigen Abiturientinnen und Abiturienten und sind deshalb daran interessiert, wie die Schülerinnen und Schüler in der Schule vorbereitet werden. Außerdem wird die Gewinnung von qualifiziertem Nachwuchs für viele Unter-nehmen in Folge des demographischen Wandels eine zunehmend schwierigere Heraus-forderung. So haben viele Unternehmen und Organisationen bereits ihr Interesse an einer Zusammenarbeit mit den regionalen Gymnasien signalisiert.

Der Wille zur Kooperation ist auch auf der Ebene der bayernweit tätigen Verbände vor-handen. So betonte Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Baye-rischen Wirtschaft e. V., anlässlich der Auftaktveranstaltung zur Informationskampagne am 29. Februar 2008 in München:

„Mit dem P-Seminar, das in seiner Form einmalig ist in Deutschland, soll den jungen Menschen die Berufswahl erleichtert werden. Das begrüßen und unterstützen wir sehr. Denn den Schülerinnen und Schülern werden die notwendigen Kompetenzen für das Ar-beitsleben vermittelt. Die beteiligten Unternehmen erhalten ihrerseits die Chance, bei den

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„Ich kann das!” – Selbstreguliertes Lernen in der beruflichen Bildung

„icH KAnn dAS!” Selbstreguliertes Lernen in der beruflichen Bildung – Erfahrungen aus dem Modellversuch segel-bs

„ich kann das!“ – schön, wenn Schülerinnen und Schüler wie auch Lehr-kräfte diese Bemerkung machen. Auch schön, wenn die am Bildungspro-zess Beteiligten sich so äußern. der BLK-Modellversuch „Selbstregulier-tes Lernen in Lernfeldern der Berufsschule (segel-bs)“ erprobte in Bayern in Fachklassen für Gesundheitsberufe und für den Bereich Wirtschaft und Verwaltung Konzepte zur Förderung selbstregulierten Lernens. das Hauptanliegen des Modellversuchs lag in der Entwicklung und unterricht-lichen Erprobung von Lernsituationen mit selbstregulierendem Schwer-punkt und dem Transfer dieser Lehr- und Lernarrangements an andere berufliche Schulen. Ein weiterer Aspekt dieses Modellversuchs ging der Frage nach, wie die Schulorganisation den Einsatz von Lernsituationen unterstützen und somit zur Qualitätsentwicklung des Unterrichts beitra-gen kann. der Artikel zeigt die notwendigkeit auf, in Lernsituationen zu unterrichten und dabei das selbstregulierte Lernen der Schülerinnen und Schüler zu fördern, damit diese die für die Arbeits- und Lebenswelt notwendigen Kompetenzen erlangen.

Bedeutet Kompetenz die Anwendung von Wissen?

Die gegenwärtig stattfindenden gesellschaftlichen Entwicklungen haben erhebliche in-haltliche bzw. strukturelle Auswirkungen auf das Bildungswesen. Die moderne Bildungs-gesellschaft verlangt in einer immer komplexer werdenden Welt von jedem Einzelnen den Erwerb umfassender Handlungskompetenz. Gesucht sind Persönlichkeiten, die selbstbe-wusst die eigene Arbeit hinterfragen, pragmatische und von Fachkompetenz getragene Verbesserungsvorschläge entwickeln und sich gerne und mitdenkend in neue Aufgaben einarbeiten. Schwierig zu vermitteln sind zunehmend diejenigen, die lediglich die ange-wiesenen Arbeiten in allen Phasen willig und in tayloristischer Arbeitsweise ausführen.

Wichtig ist die gemeinsame Entwicklung eines Arbeitsprogramms (Treffen, Zeitplan, Kom-munikation, Qualitätssicherung) mit dem (den) Projektpartner(n). Das Erstgespräch sollte ergebnisoffen geführt werden – auch eine Absage sollte nicht entmutigen. Mit dieser Anfrage wurde vielleicht bereits ein kommendes Projekt vorbereitet.

In einem weiteren Gespräch wird die Projektidee modifiziert, mit dem Ziel, sie für bei-de Seiten sinnvoll und pragmatisch zu gestalten. Dabei muss aus schulischer Sicht si-chergestellt werden, dass in dem konkreten Projekt auch die übergreifenden Ziele des P-Seminars erreicht werden können (erste Erfahrungen mit einem Arbeitsweltbereich, Förderung überfachlicher Methoden-, Selbst- und Sozialkompetenz, ergebnisorientiertes Projektmanagement).

Eine Kooperation wird nur dann erfolgreich sein, wenn sie auch dem externen Partner Vorteile bringt. Dieser wird eventuell darauf Wert legen, dass sein Engagement öffent-lich kommuniziert und gewürdigt wird. Erfolgreiche Projekte sollten durchaus der Öf-fentlichkeit präsentiert werden, um die Chance, weitere Partner zu finden, zu erhöhen. Zur Pflege der Partnerschaften gehört es, dass am Ende eines gemeinsamen Projekts ein intensives Feedback erfolgt, das Schwachstellen aufzeigt, aber auch den Nutzen der Zu-sammenarbeit deutlich macht. Das fördert gegenseitiges Vertrauen und schafft eine Basis für eine fortdauernde Kooperation.

Günter Manhardt, ISB - Abt. Gymnasium

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„Ich kann das!” – Selbstreguliertes Lernen in der beruflichen Bildung

durch und bewerten ihre Ergebnisse. Anschließend überdenken sie ihren Arbeitsprozess, indem sie z. B. mit Hilfe eines Reflexionsbogens ihre Handlungen rückblickend bewerten und sich daraus Ziele für ihr zukünftiges Vorgehen setzen.

Entsprechend den Lernsituationen dauert das Durchlaufen der einzelnen Phasen unter-schiedlich lang. So benötigen die Schülerinnen und Schüler z. B. für die Informationsphase manchmal nur ca 15 Minuten, in anderen Fällen dagegen drei Unterrichtseinheiten. Diese Phasen sind auch von den Lehrkräften bei der curricularen Analyse der Lernfeldlehrpläne zu berücksichtigen, wenn sie die Zielformulierungen in detaillierte Handlungen aufschlüs-seln.

Selbstregulierung bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Lernenden den Prozess der vollständigen Handlung lückenlos und selbstorganisiert durchführen und dabei Lern-strategien anwenden, die ihr selbstreguliertes Arbeiten unterstützen. Unter Lernstrategien versteht man das „handwerkliche Können“, das die Schülerinnen und Schüler zur Bewäl-tigung der Problemstellung anwenden. Die Lernstrategien konkretisieren sich in verschie-denen Lern- und Arbeitstechniken.

Dokumentieren Präsentieren

Orientieren

Informieren

Planen

DurchführenBewerten

Reflektieren

Handlungsregulationsschema der vollständigen Handlung; Quelle: Pfahler/Stahl/Stöttner/Weis

Diese Anforderungen werden auch in den lernfeldstrukturierten Rahmenlehrplänen der KMK für die dualen Ausbildungsberufe aufgegriffen. Im Lernfeldkonzept der KMK werden zwei Kompetenzbegriffe verwendet:

Es gibt zum einen so genannte kompetenzbasierte Zielformulierungen. Hierbei handelt -es sich um Beschreibungen von konkreten Handlungen, die vollzogen werden sollen. In den Lernfeldcurricula sind sie den jeweiligen Lernfeldern zugeordnet. Zum anderen wird in den jeweiligen Vorbemerkungen zu den Lehrplänen die beruf- -liche Handlungskompetenz als Leitziel ausgewiesen, die sich als Fach-, Human- und Sozialkompetenz entfalten soll.1

Unter Kompetenz werden somit die Bereitschaft und die Befähigung, konkrete Handlun-gen vollständig und selbstreguliert zu vollziehen, verstanden.

Deshalb genügt es nicht mehr, wie im traditionellen Unterricht bisher häufig geschehen, Wissen anzuhäufen und anschließend zu reproduzieren. Ziel innovativer Unterrichtsgestal-tung muss es sein, den Lernenden beim Erwerb von Kompetenzen individuell zu fördern.

Selbstreguliertes Lernen als zentrale Kompetenz wird dabei dadurch entwickelt, dass die Schülerinnen und Schüler eigenverantwortlich vorgegebene alltags- und berufsbezogene Problemstellungen in Form von Lernsituationen meistern. Dazu werden die Schülerinnen und Schüler anfangs mit Arbeitsanweisungen und Aufgaben bis zur Lösung der Situation geführt. Diese Hilfestellungen werden dann in dem Maße reduziert, wie die Schüler ler-nen, selbstreguliert zu arbeiten. Nur wenn sie diese Förderung erfahren, werden sie den wechselnden Anforderungen in der Arbeitswelt und der Gesellschaft gerecht.

Beschreibung des Modellversuchs

Im Modellversuch „segel-bs“ wurde das Konzept des selbstregulierten Lernens in die un-terrichtliche Umsetzung von kompetenzorientierten Lehrplänen mit Lernsituationen inte-griert. Je nach Komplexität der Lernsituationen ist zur deren Bearbeitung unterschiedlich viel Zeit einzuplanen. Die Bandbreite reicht z. B. von zwei bis hin zu ca. zehn Unterrichts-stunden.Dabei orientieren sich die Lernenden am in der Situation dargestellten Sachverhalt, infor-mieren sich eigenständig über die zur Lösung notwendigen kognitiven Elemente und pla-nen die wesentlichen Schritte zur Lösung. Sie führen die einzelnen Schritte selbstständig

1 Bader, R. (2000): Konstruieren von Lernfeldern – eine Handreichung für Rahmenlehrplanausschüsse und Bildungsgangkonferenzen in technischen Berufsfeldern. In: R. Bader/P. F. E. Sloane (Hrsg.): Lernen in Lernfeldern. Theoretische Analysen und Gestaltungsansätze im Lernfeldkonzept. Beiträge aus den Modellversuchsverbünden NELE & SELUBA, Markt Schwaben.

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„Ich kann das!” – Selbstreguliertes Lernen in der beruflichen Bildung

Erfahrungen aus dem Modellversuch

Auswirkungen des Konzepts selbstregulierten Lernens auf die Kompetenzen und Strategien von Schülerinnen und Schülern

Am Anfang ihrer Berufsausbildung ist die Kompetenz bei den meisten Schülerinnen und Schülern, selbstreguliert zu lernen, noch wenig ausgeprägt. Aus diesem Grund mussten diese im Modellversuch erst durch die Lehrkräfte behutsam darauf vorbereitet werden, d. h. die neue Art des Herangehens an eine Aufgabenstellung, die andere Art, sich als Lernender einzubringen, das Gefühl, die eigenen Stärken zu entdecken, all dies musste mit den Schülerinnen und Schülern vorab besprochen bzw. ihre Neugier dafür geweckt werden.

Sobald die Schülerinnen und Schüler sich an selbstreguliertes Lernen gewöhnt hatten, erlebten sie den Unterricht als angenehm und genossen die Selbsttätigkeit. Sie entwi-ckelten großes Selbstvertrauen in ihre Leistungsfähigkeit und waren stolz auf ihre Ar-beitsergebnisse. Dadurch stieg auch die Bereitschaft, weiterhin selbstreguliert zu lernen. Sie nahmen ihre Schwächen und Stärken wahr, reflektierten diese und waren bereit, sich Unzulänglichkeiten einzugestehen. Sie wirkten diesen entgegen und nahmen bei Bedarf angebotene Hilfestellungen in Anspruch. Da die Lehrenden den Lernern auch zutrauten, ihren Lernprozess zu steuern und ihnen die Verantwortung für ihr Lernen überließen, waren die Schülerinnen und Schüler auch motiviert, die Verantwortung für ihr Lernen und für sich selbst zu übernehmen.

Strategien definition Konkretisierungsmöglichkeiten in folgenden Techniken

Problem-lösungs-strategie

Nutzung von Informationen zur kreativen und sinnvollen Lö-sungserarbeitung

Ausschlussverfahren ·(mögliche Lösungen durchgehen) Trial and Error · Szenariomethode ·(analytisches Durchdenken aller extremen zukünftigen Szenarien, um abschlie- ßend ein Trendszenario abzubilden mit dem Ziel, im Heute richtige Entschei- dungen zu treffen) Zukunftswerkstatt ·(Wie soll mein Idealzu- stand/der erwünschte Zustand sein?)Pro-und-Contra-Listen ·

Planspiel · Kreativitätstechniken ·(Brainstorming, Brainwri- ting) Kooperationstechniken ·(Teamarbeit) Kommunikationstechniken ·(aktives Zuhören, Feed- backtechnik, Kommunika- tionsmodell „Eisberg“ nach Watzlawick …) Vergleich mit ähnlichen ·ProblemstellungenDiskussion ·Stationengespräch ·… ·

Ressourcen-strategie

Umgang mit objektiven Umge-bungsfaktoren

Zeitmanagement · Arbeitsplatzorganisation ·(Lüften, sauberer/aufge- räumter Arbeitsplatz, ruhige Umgebung/keine Musik …)Motivationstechniken · Konzentrationstechniken ·(BrainGym, Musik mit einem Taktschlag von 72–80, …)

Teamorganisation (Arbeits- ·teilung, …)Zeitplan erstellen ·Arbeitsplan erstellen ·simulierte Stresssituation · Fakten und Daten durch ·Tabellen strukturieren… ·

Reflexions-strategie

Fähigkeit, die eigene Arbeit selbstständig und selbstkritisch zu hinterfragen, kon-struktiv zu bewer-ten und aufgrund eines Abgleichs zwischen Anforde-rungen und Fähig-keiten Defizite zu erkennen

Abgleich von Selbst- und ·Fremdwahrnehmung (Test zu Selbst- und Fremdbild)Lösungen vergleichen ·Lösungsordner einsehen ·Fragebogen ·Stimmungsbarometer ·Spinnennetz ·Lerntagebuch ·Portfolioanalyse ·

Punktabfrage mittels ·KlebepunktenProtokoll ·Diskussion ·Blitzlicht · Klassen-/Gruppeninter- ·viewStellung nehmen · Feedback geben und ·nehmen … ·

Äußerungen von Schülerinnen und Schülern zum selbstregulierten Lernen

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„Ich kann das!” – Selbstreguliertes Lernen in der beruflichen Bildung

Bei der selbstständigen Bearbeitung der Lernsituationen durch die Schülerinnen und Schüler hatte die Lehrkraft Zeit und Gelegenheit, um Schülerbeobachtungen in Bezug auf deren Fach-, Methoden-, Personal- und Sozialkompetenz durchzuführen und diese aufzuzeichnen (siehe Beobachtungsbogen S. 88).Die Erfahrung zeigte, dass die Schülerinnen und Schüler diese Aufzeichnungen als große Wertschätzung empfinden. Die freiwilligen Lehrer-Schülergespräche, die anschließend auf Grundlage dieser Aufzeichnungen stattfanden, wurden mit viel Interesse und großer Offenheit geführt. Für viele Schülerinnen und Schüler war die Erfahrung, dass man über sie als Persönlichkeit und Mensch nachdachte, sehr motivierend und fördernd. Die Ein-stellung zu Schule und Unterricht änderte sich positiv und wirkte sich auch im Verhalten gegenüber den Mitschülerinnen und -schülern sowie den Lehrkräften gewinnbringend aus. Dies wiederum beeinflusste nicht nur die Motivation und Disziplin der Schülerinnen und Schüler vorteilhaft, sondern auch die gesamte Arbeitsatmosphäre in Schule und Un-terricht.

Auswirkungen des Konzepts selbstregulierten Lernens auf die Kompetenzen und Strategien der Lehrkräfte

Um die unterrichtliche Umsetzung von kompetenzorientierten Lehrplänen sowie die Um-setzung des Konzepts von selbstreguliertem Lernen zu fördern, ist es notwendig, dass alle in einem Bildungsgang/Fachbereich unterrichtenden Lehrkräfte aus ihren unterschiedli-chen individuellen Einstellungen und Haltungen heraus ein gemeinsames pädagogisches Grundverständnis zur Umsetzung von selbstreguliertem Lernen in Lernsituationen entwi-ckeln. Während dieses Prozesses legen die Lehrenden gemeinsam Kriterien zur Förderung selbstregulierten Lernens schriftlich fest und machen diese den Lernenden gegenüber transparent. Grundsätzlich verändert sich die Rolle der Lehrkraft vom Einzelkämpfer hin zum Team-player. Teamarbeit ist bei der Entwicklung, Durchführung und Evaluation von Lernsitua-tionen erforderlich wie auch bei der konkreten Umsetzung kompetenzorientierter Lehr-pläne, die offen formuliert sind und die mit den am Bildungsgang beteiligten Lehrkräften gemeinsam konkretisiert werden. Hier werden die im Lehrplan aufgeführten Kompeten-zen von den Lehrkräften in weitere detaillierte Handlungen aufgeschlüsselt. Dabei sind immer der Abgleich mit der Lebenswelt und der beruflichen Praxis vorzunehmen und die in der Bildungsgangkonferenz festgelegten pädagogischen Zielsetzungen zu berücksich-tigen. Das Ergebnis ist eine kompetenzorientierte didaktische Jahresplanung, die die ver-bindliche, gemeinsam akzeptierte Basis für das zeitliche und thematische unterrichtliche Vorgehen festlegt (siehe S. 90).

datumKriterien

Name: ......……………………

erkennt die Problemstellung

beschafft Informationen und wertet diese aus

plant und strukturiert seine Arbeitsvorgänge

wendet Erkenntnisse situationsbezogen an

arbeitet konzentriert

wendet Strategien sinnvoll an

achtet auf Einhaltung von Terminen und Regeln

übernimmt Verantwortung

reflektiert wirtschaftliche Zusammenhänge

berücksichtigt ethische Grundlagen des beruflichen Handelns

überprüft eigene Wertmaßstäbe kritisch

gleicht eigene Erfahrungen mit übernommener Rolle ab

unterstützt seine Mitschüler

trägt Kritik fair vor

zeigt sich bei Konflikten kompromissfähig

kommuniziert verständlich

bewertet selbstkritisch die eigene Arbeit

bewertet objektiv die anderen Schüler

macht Vorschläge für künftige Verbesserungen

arbeitet teamorientiert

hält Zielvereinbarungen ein

Beispiel: Beobachtungsbogen (+, o und -):

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Bei der Jahresplanung ist wesentlich, dass nicht auf traditionell vermittelte Inhalte zurück-gegriffen wird, sondern die Begründung für die Auswahl der Inhalte sich ausschließlich aus den Kompetenzen der beruflichen Tätigkeitsfelder ableitet.

Kompetenzorientierte Lehrpläne fordern darüber hinaus von den Lehrkräften, dass sich diese über relevante Prozesse in Arbeits- und Lebenswelt genau informieren, um praxis- und anwendungsbezogene Lernsituationen entwickeln zu können. Es stellte sich heraus, dass die Gestaltung und Durchführung dieser Lernsituationen im Lehrerteam die Arbeit erleichtert und motivierend wirken kann. Ebenso war es sehr hilfreich, die konkrete Um-setzung der Lernsituationen im Unterricht detailliert zu planen und zu dokumentieren. Das Klassenlehrerteam legte fest, welche konkreten Handlungen die Lerner in allen Pha-sen der vollständigen Handlung vornehmen, und entschied, in welchen Phasen und wie weit die Lerner Unterstützung von den Lehrkräften benötigen.

Im Idealfall wird eine Lernsituation ohne Unterbrechung und unabhängig von der be-treuenden Lehrkraft gemäß Stundenplan von den Schülerinnen und Schülern stringent bearbeitet. Es ist aber auch grundsätzlich denkbar, dass in beruflichen Schulen, deren Lehrpläne nicht nach dem Lernfeldkonzept strukturiert sind, Schülerinnen und Schüler eine Lernsituation mit Rücksicht auf einen fächerorientierten Stundenplan über mehrere Wochen im jeweiligen Fach bearbeiten.

Im Rahmen der Planung des Unterrichtsverlaufs ist eine Reflexion über die Kompetenzen der Schülerschaft in Bezug auf die Selbstregulierung erforderlich. Ferner müssen schuli-sche und organisatorische Rahmenbedingungen wie z. B. Team-Teaching-Stunden und Zugangsmöglichkeiten zum PC Berücksichtigung finden. Je mehr die Schülerinnen und Schüler selbstreguliert arbeiten, desto weniger Interventionsmaßnahmen sind von Seiten der Lehrkräfte notwendig.

Bei der Durchführung des Unterrichts brauchen die Lehrkräfte die Kompetenz, Schü-lerinnen und Schüler individuell zum selbstregulierten Lernen zu motivieren, sie darauf hinzuführen und sie dabei zu unterstützen. Dazu benötigen die Lehrkräfte fundierte di-agnostische Fähigkeiten, um die einzelne Schülerin und den einzelnen Schüler bewusst wahrzunehmen und ihre/seine individuellen Stärken und Schwächen zu erkennen. Die Lehrkraft unterstützt die Lernenden bei deren persönlicher Entwicklung und sensibilisiert sie dafür, Verantwortung für ihren eigenen Lernprozess zu übernehmen.

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Techn

ikPlan

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hin

weise

Zeit-b

edarf

Die Lernenden ana-

lysieren Kennziffern,

sie führen Lagerbe-standsrechnungen durch, bew

erten diese und zeigen O

ptimierungsm

ög-lichkeiten auf.

Sie machen sich bew

usst, dass ihre persönliche ·Einstellung gegenüber Form

eln (Berechnungen) und einer V

ielzahl von Datenm

aterial Einfluss auf den Erfolg ihrer A

rbeitsweise hat.

Sie informieren sich über Lagerkennziffern,

·deren Berechnung, Zusamm

enhang und Aus-

sagekraft. Sie beschaffen sich die benötigten D

aten (aus ·dem

WW

S) und erkennen deren Bedeutung für die Lagerhaltung und für das U

nternehmen.

Sie berechnen die Lagerkennzahlen und begrei- ·fen deren Zusam

menhänge und A

ussagekraft. Sie analysieren die Ergebnisse, ziehen daraus

·Schlüsse fürs Unternehm

en, bereinigen gegebe- nenfalls das Sortim

ent …

Lernsituation: „W

ir bereinigen unser Sortim

ent“

Ressourcenstra-tegie (Fakten und D

aten durch Tabellen strukturieren)

Reservierung von ED

V-

Räumen

6 Std.

Übungen zu U

m-

schlagshäufigkeit und Lagerdauer

2 Std.

… und verändern eventuell das Bestellw

esen.Sie setzen sich m

it Personen, die Fehler in der La-gerhaltung zu verantw

orten haben, auseinander.

Lernsituation:„W

ir bestellen zum

richtigen Zeitpunkt“

Reflexions-strategie: Zielscheibe

keine4 Std.

Übung: M

eldebe-stand und M

indest-bestand

2 Std.

Lernzielkontrolle1 Std.

Auszug aus einer didaktischen Jahresplanung

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Zur Bewertung des Arbeitsprozesses und des Arbeitsergebnisses wurden im Rahmen des Modellversuchs Beobachtungsbögen entwickelt und eingesetzt. Die einzelnen Kriterien für die Bewertung wurden den Schülerinnen und Schülern im Vorfeld transparent ge-macht. Diese Form der Leistungsfeststellung wird dem Konzept der Selbstregulierung gerecht, da nicht nur das Arbeitsergebnis, sondern auch die Arbeitsweise und die konse-quente Durchführung der Phasen der vollständigen Handlung in die Bewertung einbezo-gen werden.

Selbstreguliertes Lernen und Aufgabenorientierung – die Brücke zu den Bildungsstandards?

Der allgemein verfolgte Perspektivenwechsel von Input- zu Outputsteuerung bedeutet, dass eine prinzipiell andere Art von „Ausrichtung“ für Schule und Unterricht entsteht, insbesondere dann, wenn durch die Einführung von Standards die Rolle der traditionell inputorientierten Lehrpläne in den Hintergrund tritt. Aus diesem Grund erscheint ein Ver-gleich der Entwicklungslinie bei den allgemeinbildenden Fächern und den Lernfeldern durchaus reizvoll.

Im Lernfeldkonzept sind Aufgaben auf der Ebene der Lernfelder curricular angesiedelt. Sie greifen auf berufliche Tätigkeiten zurück, sind also nicht unterrichtsfach-, sondern an-wendungsbezogen im Hinblick auf Lebenswelten. Diese Aufgaben werden dann in didak-tisch aufbereitete Lernsituationen übertragen. Dies bedeutet letzlich, dass Lernsituationen Anwendungsbeispiele für Kompetenzen im Konzept der Bildungsstandards sein könnten. Sie müssten dann zweifach be-trachtet werden: zum einen als Anwendungsbeispiel für fachli-che Strukturen und zum ande-ren als Anwendungsbeispiel für berufliche Tätigkeiten.

In der Abbildung wird diese gemeinsame Verankerung von Lernfeldern und Bildungsstan-dards in der Aufgabenorien-tierung aufgezeigt. Die unter-schiedlichen Bezugssysteme werden dadurch deutlich.2

Auswirkungen des Konzepts selbstregulierten Lernens auf die Schulorganisation

Die bisher gewonnenen Erkenntnisse verdeutlichen, dass Veränderungen im Unterrichts-bereich durch den Einsatz von Lernsituationen, die selbstreguliertes Lernen fördern, nicht ohne umfassende Auswirkung auf die Schulorganisation stattfinden können. Aus einer Mikrobetrachtungsebene des Unterrichts weitet sich somit der Blick in den Makrobereich der gesamten Schule. So werden bewährte Verfahren und traditionelle Organisations-muster in Frage gestellt, wenn es darum geht, die Forderungen von Lehrerteams umzu-setzen. Diese kommen im Rahmen der sich kontinuierlich entwickelnden Teamarbeit zum Ergebnis, dass eine Veränderung der Lehrereinsatzpläne notwendig sei, um gemeinsam erarbeitete Lernsituationen in Teamarbeit mit situationsabhängiger Einsatzplanung um-zusetzen. Hier werden plötzlich Fragen der Entscheidungskompetenz über Stundenpläne, Vergabe von Team-Teaching-Stunden oder Klassenteilungen etc. aufgeworfen.

Der Schulleitung kommt dabei eine Schlüsselposition zu. Sie muss vom Erfolg des Kon-zepts zur Gestaltung von Lernsituationen mit Schwerpunkt Selbstregulierung überzeugt sein, d. h. sie muss die Einführung des Konzepts unterstützen, fördern und echtes In-teresse daran haben, dieses Konzept umzusetzen, mit dem Ziel, einen entscheidenden Beitrag zur Weiterentwicklung der Unterrichtsqualität zu erreichen. Dazu gehört auch, die entsprechenden organisatorischen Maßnahmen zu ermöglichen und geeignete Rahmen-bedingungen zu schaffen. Außerdem muss sie die mittlere Führungsebene der Schule, die Fach- und Fachgruppenbetreuer, für diese Aufgabe sensibilisieren und sie ermuntern, die-se Herausforderungen anzunehmen und in ihren Fachgruppen bestmöglich umzusetzen.

In der ISB-Handreichung „Selbstreguliertes Lernen verändert die Schule“ werden konkre-te Umsetzungsmöglichkeiten näher beschrieben.

Auswirkungen des Konzepts selbstregulierten Lernens auf Leistungsnachweise

Der Unterricht hin zum selbstregulierten Lernen impliziert auch, Leistungsnachweise in ähnlicher Art und Weise zu gestalten. Die reine Abfrage von Wissen rückt dabei immer mehr in den Hintergrund. Vielmehr sollten Leistungsnachweise entworfen werden, in de-nen die Lernenden eine problemorientierte Situation bearbeiten müssen. Nur so kann man überprüfen, ob die Schülerin/der Schüler die vorher ausgewählten Kompetenzen und Strategien tatsächlich erworben hat.

2 entnommen aus Sloane, Peter F. E./Dilger, Bernadette: The Competence Clash – Dilemmata bei der Übertra-gung des Konzepts des nationalen Bildungsstandards auf berufliche Bildung. In: bwpat.de 2005, Nr. 8

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Typ 1 – globale Aktivitäten: Diese sprechen Schülerinnen und Schüler motivational an, erweisen sich aber als unzu-reichend für die Sicherung eines fachlichen Verständnisses. Darunter versteht man die globale Umsetzung aller Aktivitäten des Experimentierens und Forschens. Die Lernenden planen und führen häufiger Experimente durch. Sie werden durch das Ziehen von Schluss-folgerungen, das Erklären von Ideen und das Anwenden von Konzepten auf die Welt außerhalb der Schule vorbereitet.

Typ 2 – kognitiv fokussierende Aktivitäten: Darunter versteht man handlungsbezogene Aktivitäten und die gleichzeitige Unterstüt-zung von Kompetenz und Interesse. Kognitive Aktivitäten wie das Schlussfolgern aus Ex-perimenten, das Generieren eigener Ideen und das Übertragen von wissenschaftlichen Konzepten auf den Alltag stehen im Mittelpunkt des Unterrichts. Das eigenständige Pla-nen und Durchführen von Experimenten besitzt einen geringeren Stellenwert.

Typ 3 – traditioneller Unterricht: Die Lernenden erhalten wenig Gelegenheit zum naturwissenschaftlichen Experimentieren und Forschen sowie zum eigenständigen Nachdenken und Erklären. Die Herstellung von Bezügen zur Welt außerhalb der Schule findet selten statt.

Wenn man nun die wesentlichen Strukturelemente eines Unterrichts mit Einsatz von Lern-situationen mit selbstregulierendem Schwerpunkt herausarbeitet und mit der Einteilung der Unterrichtsformen in der Studie PISA 2006 abgleicht, so ergibt sich eine weitgehen-de Übereinstimmung mit Unterrichtstyp 2 „kognitiv fokussierende Aktivitäten“. Die Er-gebnisse der Regressionsanalysen zeigen sehr klar, dass dieser Unterrichtstyp 2 deutlich höhere Kompetenzwerte aufweist als traditioneller Unterricht oder globale Aktivitäten fokussierender Unterricht.5

Es ist demnach durchaus eine Übertragung der Ergebnisse der Studie PISA 2006 aus dem Bereich Unterrichtsverfahren und Kompetenzzuwachs möglich, da die Strukturelemente des „kognitiv fokussierenden Unterrichts“ grundsätzlich einen fächerübergreifenden Un-terricht beschreiben und damit erfolgreicher einen Kompetenzzuwachs ermöglichen als traditionelle Unterrichtsformen. Der im Modellversuch segel-bs beschriebene Unterricht könnte über die Ergebnisse der Studie PISA 2006 ein Evaluationsergebnis für sich in An-spruch nehmen, das starke Affinität zu den Selbsteinschätzungen der am Modellversuch beteiligten Personen herstellt.

5 vgl. Prenzel, Manfred u. a.: PISA 2006 in Deutschland – Die Kompetenzen der Jugendlichen im dritten Län-dervergleich, Waxmann 2008, S. 280 f.

Diese Überlegungen fordern dazu auf, den Anwendungsbezug von Standards genauer zu überprüfen. Mit Blick auf die berufliche Anwendungssituation des Gelernten stellt sich die Frage, ob und in welcher Form sich dieser Lebensbezug in fachliche Kompetenzmodelle einbinden lässt. In dem Maß, wie Aufgaben – den Anforderungen der Bildungsstandards entsprechend – outcomeorientiert sind, erschweren sie die Zuordnung zu eindeutigen fachlichen Profilen. Es würden Aufgaben entstehen, die nicht eindeutig einem fachlichen Kompetenzprofil zuzuordnen wären.3

Die Ausrichtung auf Lernergebnisse bedeutet für die Berufsbildung einen Paradigmen-wechsel von der bislang praktizierten Input- zu einer angestrebten Outcomeorientierung, die nicht ohne Folgen für die Berufsbildung bleiben kann. Dies betrifft sowohl die be-triebliche wie auch die schulische Seite einer beruflichen Erstausbildung. Die den Modell-versuch segel-bs strukturierenden Elemente berücksichtigen diesen Paradigmenwechsel durch die Konkretisierung der Lernfelder in Form von Lernsituationen mit Schwerpunkt Selbstregulierung.

Curricula sind didaktisch begründete Konstrukte, die lerntheoretische und instruktionslo-gische Überlegungen berücksichtigen. Bei der angestrebten Outcomeorientierung steht die Anwendung des Gelernten im Zentrum der Betrachtung. Damit rücken Arbeitsmarkt-orientierung und Verwertbarkeit für die Praxis als Bezugspunkt für die Ordnungsarbeit in den Fokus. Die hohe Akzeptanz der Zielsetzungen des Modellversuchs bei der ausbilden-den Wirtschaft, den Praxen und den Einrichtungen der Pflege bestätigt die Akteure des Modellversuchs.

Selbstreguliertes Lernen und Unterrichtsmuster nach PISA 20064 – eine Parallele?

Ein interessanter Aspekt der PISA-Studie 2006 findet sich im Kapitel 7: Unterrichtsmuster und naturwissenschaftliche Kompetenz im Ländervergleich. Für die Unterstützung der Lernprozesse von Schülerinnen und Schülern ist es entscheidend, in welcher Weise ihnen der Unterricht konzeptuelles Wissen und naturwissenschaftliche Denk- und Arbeitswei-sen vermittelt. Bei PISA 2006 wurden drei verschiedene Arten unterrichtlichen Vorgehens unterschieden:

3 vgl. Sloane, Peter F. E./Dilger, Bernadette: The Competence Clash – Dilemmata bei der Übertragung des Konzepts des nationalen Bildungsstandards auf berufliche Bildung. In: bwpat.de 2005, Nr. 8, S. 5 ff.

4 vgl. Prenzel, Manfred u. a.: PISA 2006 in Deutschland – Die Kompetenzen der Jugendlichen im dritten Län-dervergleich, Waxmann 2008, S. 284 ff.

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Berufswunsch: Arbeit mit Holz

BErUFSWUnScH: ArBEiT MiT HoLZBerufsorientierung für Menschen mit Behinderung

Menschen mit geistiger Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt – spontane reaktionen darauf zeigen meist Zweifel oder Bedenken. das Projekt „Übergang Förderschule-Beruf“ beweist, dass eine realistische chance auf eine sozialversicherungspflichtige Arbeitstätigkeit für geeig-nete Schulabgänger aus der Berufsschulstufe für den Förderschwerpunkt geistige Entwicklung besteht. An dem von Sozialministerium und Kultus-ministerium entwickelten Modell sind derzeit 28 Förderzentren in ganz Bayern beteiligt. Zentraler Bestandteil ist die Unterstützung durch inte-grationsfachdienste (iFd), die bereits während der beiden letzten Schul-jahre mit Schülern und Lehrern zusammenarbeiten und eine kontinuier-liche Begleitung über die Schwelle Schule-Arbeitsleben noch mindestens für das erste nachschulische Jahr sicherstellen. Sie begleiten Praktika und führen Job-coaching durch, so entstehen mitunter neue Arbeitsplätze. damit eröffnen sich Wahlmöglichkeiten für den individuell geeigneten Weg ins Arbeitsleben und eine vermeintlich automatische Weichenstel-lung in die Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) ist aufgehoben.

Jens* – Berufswunsch Arbeit mit Holz

Seit 01.01.2008 ist Jens mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag als Produktionshelfer in einem Sägewerk angestellt. Seine Aufgabe ist die Fertigung von Holzpaletten. Das Beson-dere daran ist, dass er das Förderzentrum mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwick-lung besucht hat und sein beruflicher Weg in eine Werkstatt für behinderte Menschen vorgezeichnet schien. Das Projekt „Übergang Förderschule-Beruf“ eröffnete für Jens die Möglichkeit, seine Fähigkeiten und Kompetenzen am allgemeinen Arbeitsmarkt unter Be-

* Name geändert

Fazit

Der Erwerb von Kompetenzen bietet den Schülerinnen und Schülern die Chance, den Ansprüchen der Lebens- und Arbeitswelt gerecht zu werden. Im Modellversuch segel-bs wurde deutlich, dass der Unterricht in Lernsituationen mit Schwerpunkt Selbstregulierung einen erfolgreichen Weg darstellt, um die dazu notwendigen Kompetenzen bei den Ler-nenden anzulegen und diese beim Kompetenzerwerb auch individuell zu unterstützen. Der Modellversuch segel-bs leistet somit einen wesentlichen Beitrag in der Weiterent-wicklung der Lernfeldkonzepte. Der Einsatz von Lernsituationen mit dem Schwerpunkt Selbstregulierung bedeutet eine verstärkte Kompetenzorientierung des Unterrichts an be-ruflichen Schulen und weist damit auch diesen Schulen den Weg in die Zukunft.

Vor allem vor dem Hintergrund der Diskussion z. B. der Hochbegabtenförderung oder der Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund wird die Notwen-digkeit einer kompetenzorientierten Bildung besonders deutlich. Daher ist die Umsetzung des Konzepts auch für alle anderen Schularten und Fächer attraktiv, da Konsens darüber besteht, dass es nicht nur wichtig ist, Fakten zu vermitteln, sondern den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu geben, umfassende Handlungskompetenz zu entwickeln. So findet man inzwischen fast überall kompetenzorientierte Lehrpläne. Ebenso sind die Bildungsstandards kompetenzorientiert und Aufgabenstellungen für PISA und VERA 8 anwendungsbezogen.

Um die Implementation des Konzepts selbstregulierten Lernens in allen Schularten zu forcieren, sind die Erkenntnisse aus dem Modellversuch von großer Bedeutung. Sie leisten daher einen wichtigen Beitrag bei der weiteren Entwicklung des bayerischen Schulwe-sens. Alle Schülerinnen und Schüler sollten zukünftig die Möglichkeit erhalten, selbstbe-wusst auftreten zu können und zu wissen: „Ich kann das!“

Weitere Informationen zum Modellversuch sind auf der Homepage des ISB zu finden.

Peter Allmansberger, ISB - Abt. Berufliche Schulen Monika Pfahler, ISB - Abt. Berufliche Schulen Yvonne Ruscheinsky, ISB - Abt. Berufliche Schulen Caroline Stahl, ISB - Abt. Berufliche Schulen

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Berufswunsch: Arbeit mit Holz

Teilnehmergruppen übernommen. Aufgrund zusätzlichen Engagements des Ministeriums kann im Januar 2009 eine dritte Gruppe beginnen. Weitere Beiträge zur Finanzierung von anderer Seite konnten bisher nicht erreicht werden. Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt durch Prof. Dr. Erhard Fischer, Lehrstuhl für Sonderpädagogik/Geistigbehindertenpädagogik an der Universität Würzburg.

Ein Blick zurück

Das Projekt steht in der Folge einer gesellschaftlichen Entwicklung ausgehend von der Errichtung eines umfassenden Betreuungs- und Erziehungswesens für die Förderung von Menschen mit Behinderung hin zur Unterstützung und Stärkung individueller Lebens-wege.

Berufliche Integration von Menschen mit geistiger Behinderung war in der unmittelba-ren Nachkriegszeit kaum im Fokus der Sonderpädagogik. Nach dem Ende des National-sozialismus versuchte man an die Reste der Vorkriegsstrukturen in Anstalten und Hilfs-schulen anzuknüpfen. Die Bildungsfähigkeit geistig behinderter Menschen musste dabei noch einmal neu entdeckt werden (vgl. Lindmeier 2006). Es wurde aber auch deutlich, dass die Förderung in Hilfsschulen nicht unbedingt bei jedem Schüler zu ausreichenden Fortschritten führte, um später den Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Zunächst ent-standen Tagesbildungsstätten, die sich an vielen Orten zu Schulen für Geistigbehinderte weiterentwickelten. Stark auch durch Initiativen von Eltern geprägt wurde in den 1950er und 1960er Jahren die Ausdifferenzierung des Betreuungswesens mit Sonderkindergär-ten und Beschützenden Werkstätten vorangetrieben und flächendeckend ausgebaut. Das Recht auf Bildung und Arbeit sollte für alle Menschen mit geistiger Behinderung verwirk-licht werden.

In den 1970er Jahren begann die kritische Auseinandersetzung mit der segregierenden Wirkung besonderer Einrichtungen für behinderte Menschen. Integrative Schulformen wurden erprobt und der Deutsche Bildungsrat empfahl 1973 „Kooperative Schulzent-ren“. Das „Normalisierungsprinzip“ (Bank-Mikkelsen) erhielt große Aufmerksamkeit und Schlagworte wie „Enthospitalisierung“ oder „Fehlplatzierung“ führten auch in Deutsch-land dazu, Anstalten kritisch zu hinterfragen, große Betreuungseinrichtungen aufzuglie-dern und zu dezentralisieren. Im Bereich der Schule entstanden starke Bewegungen für integrative Beschulung, die in den Bundesländern unterschiedlich umgesetzt wurden und in Bayern zur Initiative „Integration durch Kooperation“ führten.

Das spätere Arbeitsleben wurde in den 1980er Jahren zum Unterrichtsinhalt der Schule für Geistigbehinderte, etwa mit dem Konzept und dem Lehrplan für die Werkstufe in Bay-

weis zu stellen. Im Januar 2007 begann der Integrationsfachdienst (IFD) die intensive Zu-sammenarbeit mit der Schule, erkundete mit Jens und seinem Klassenlehrer Fähigkeiten und Interessen und ermittelte geeignete Praktikumsfelder. Im April 2007 konnte Jens ein zweiwöchiges Praktikum in einem Sägewerk machen. In dieser Zeit fanden regelmäßige Betriebsbesuche von Seiten der Schule und des IFD statt. Bei weiteren Praktika mit wach-sender Dauer und Beanspruchung stellte sich heraus, dass Interessen und Eignung der ge-forderten Tätigkeit entsprachen. Für die in Aussicht gestellte Festanstellung sprach der IFD finanzielle Fördermöglichkeiten für den Arbeitgeber mit der Agentur für Arbeit ab. Der außerordentliche Einsatz des Schülers, das hohe Engagement von IFD und Schule und die Kooperationsbereitschaft des Unternehmens bewirkten schließlich, dass der Betrieb einen wertvollen Mitarbeiter gewinnt und ein junger Erwachsener die Chance bekommt, im gewünschten Arbeitsfeld am Arbeitsleben teilzunehmen. Jens erhält ein reguläres Gehalt als Produktionshelfer und baut 250 Paletten am Tag. Während des ersten Arbeitsjahres wird er weiterhin durch den IFD betreut.

das Projekt

Das geschilderte Beispiel ist eine Erfolgsgeschichte, die aus dem bayerischen Projekt „Übergang Förderschule-Beruf“ hervorging. Es folgt dem Grundsatz: „Erst platzieren, dann qualifizieren“. Ziel ist die Integration von Schulabgängern aus Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Aufgrund vorliegender Erfahrungen wird erwartet, dass ca. 10% derjenigen etwa 700 Schulabgän-ger, die jährlich in der WfbM aufgenommen werden, mit entsprechender Unterstützung dort Fuß fassen können. Die Teilnehmer erhalten bis zu drei Jahre intensive Betreuung in Praktika und bei der Vorbereitung auf einen Arbeitsplatz. Beginnend in der Berufsschul-stufe* werden gemeinsam mit allen Beteiligten berufliche Perspektiven entwickelt; durch die Integrationsfachdienste (IFD) wird eine kontinuierliche Begleitung über die Schwelle Schule-Beruf sichergestellt. Das Projekt startete am 01.01.2007 und ist angelegt bis zum Jahr 2011. Aktuell nehmen in zwei Jahrgängen 93 Schüler an 28 Förderzentren in ganz Bayern teil. Das gemeinsa-me Vorhaben des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit, Familie, Frauen und Sozia-les (StMAS) und des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus (StMUK) wird fachlich geleitet durch das Zentrum Bayern Familie und Soziales – Integrationsamt Mittelfranken (ZBFS) und das Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB). Die Finan-zierung erfolgt durch die Ausgleichsabgabe seitens des StMAS unter Einbeziehung von Mitteln aus dem Bundesarbeitsmarktprogramm Job 4000. Das StMAS hat von Beginn die Kosten der Betreuung durch den IFD für die ersten beiden

*Berufsschulstufe: Jgst. 10-12 im Förderzentrum, Förderschwerpunkt geistige Entwicklung

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Verlauf des Projekts „Übergang Förderschule-Beruf“

Der Verlauf ist in zwei Phasen gegliedert: Schulische Phase 11./12. Schuljahr – Diagnose, Auswahl der Teilnehmer, Orientie- -rungspraktika, Erprobung in Langzeitpraktika Nachschulische Phase (einjährige Dauer, mit Verlängerungsoption) – Job-Coaching, -Begleitung am Arbeitsplatz, Abschluss eines Arbeitsvertrages

Schulische Phase

Die Schule schlägt Schüler für die Projektteilnahme vor, die Interesse an einer Beschäfti-gung auf dem Arbeitsmarkt haben und die notwendigen Voraussetzungen mitbringen.

Lehrerinnen und Lehrer kennen Stärken und Schwächen sowie die Lerngeschichte ihrer Schüler. Dabei greifen sie auf langjährige Erfahrungen mit den Jugendlichen sowie Er-kenntnisse aus der sonderpädagogischen Diagnostik zurück. Sie sind vertraut mit deren Kompetenzen in sachlich-fachlicher wie in sozial-kommunikativer Hinsicht. Besonders be-rücksichtigt werden arbeitspraktische Erfahrungen und Kenntnisse, die mit Beginn der Berufsschulstufe in der 10. Jahrgangsstufe einen Schwerpunkt des Unterrichts bilden. In Gesprächen mit Schülern und Eltern werden Motivation und Interessenslage vertieft er-kundet. Berufsweltbezogene Kompetenzen und festgestellter Entwicklungsbedarf fließen schließlich in einen gemeinsamen Diagnosebogen ein.

Von Beginn an arbeiten Lehrer und IFD-Berater „Hand in Hand“ und ergänzen sich mit spezifischen Kompetenzen. Bereits in dieser Phase erbringt der Einsatz der IFD-Mitarbeiter an der Schule doppelten Gewinn:

Detaillierte Kenntnisse der Situation des lokalen Arbeitsmarktes und der Anforderun- -gen an betrieblichen Arbeitsplätzen ermöglichen eine zielgerichtete und realitätsorien-tierte Beratung der Schüler und Eltern. Lehrer lernen Kriterien kennen, die sie in die Beurteilung aller Schüler einbeziehen -können, und erhalten Impulse für die Gestaltung des Unterrichts, der auf die Anforde-rungen im Arbeitsleben vorbereitet.

Der Integrationsfachdienst vermittelt und begleitet in enger Zusammenarbeit mit den Leh-rern Betriebspraktika, bei denen die Jugendlichen ihre Fähigkeiten und Eignung unter zunehmender Belastung erproben. Unmittelbar im Unternehmen entdeckt und entwickelt der IFD Vorschläge für die Einrichtung und Gestaltung eines Arbeitsplatzes, der den Stär-ken des Praktikanten und potentiellen neuen Mitarbeiters entspricht. Er ist verlässlicher Ansprechpartner und unterstützt bei Schwierigkeiten. Arbeitgeber erhalten fachliche Be-

ern (ISB 1980, Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 1989). Der Blick war hierbei vorwiegend auf die Werkstätten für Behinderte gerichtet. Innerhalb der Werk-stätten entstanden Konzepte für die berufliche Fort- und Weiterbildung behinderter Mit-arbeiter und für die sonderpädagogischen Zusatzqualifikationen von Fachmitarbeitern.

In den 1990er Jahren und nach der Jahrhundertwende wurden die Ideen der Indepen-dent-living-Bewegung verstärkt auch von Menschen mit geistiger Behinderung aufgegrif-fen und beispielsweise ein bundesweites Netzwerk „Mensch zuerst – Netzwerk People First Deutschland e. V.“ aufgebaut. Das Schlagwort „Empowerment“ (Theunisssen, 2002) verdeutlicht das veränderte Grundverständnis gegenüber Menschen mit Behinderung: die Orientierung an der Person und deren individuellen Bedürfnissen statt an Behinderungs-kategorien oder institutionellen Eigengesetzlichkeiten. Dies spiegelt sich auch in Geset-zen, die Benachteiligung von Menschen aufgrund ihrer Behinderung verbieten, etwa die Neufassung von Artikel 3 des Grundgesetzes 1994 oder das Bundesgesetz zur Gleichstel-lung behinderter Menschen (BGG) 2002. Für die konkrete Verwirklichung der Teilhabe am Arbeitsleben hat das Sozialgesetzbuch IX zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) von 2001 große Bedeutung. Es setzt einen klaren Schwerpunkt auf Selbstbestimmung und Teilhabe. Integrationsfirmen und Integrationsfachdienste wurden hier gesetzlich verankert. In unmittelbarer Folge davon ist der seit 01.01.2008 gültige An-spruch auf das „Persönliche Budget“ einzuordnen wie auch das derzeit in Vorbereitung befindliche „Gesetz zur Einführung Unterstützter Beschäftigung“.

In den vergangenen Jahren entstanden an verschiedenen Orten Initiativen, um die Inte-gration in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu fördern. So bieten WfbM Außenarbeitsplät-ze an, Initiativen wie die Hamburger Arbeitsassistenz fördern gezielt Beschäftigung und ACCESS-Erlangen entwickelte in EU-Projekten die Vorlage für ein Konzept, das im Projekt „Übergang Förderschule-Beruf“ bayernweit umgesetzt wird.

Die Schule ist Teil dieses Wandlungsprozesses und der aktuelle bayerische Lehrplan für die Berufsschulstufe (Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2007) ist zugleich Folge und Grundlage der Weiterentwicklung der vormaligen Werkstufe. Die Teil-habe am Arbeitsleben ist dort als wesentlicher Unterrichtsinhalt verankert. Dabei sind die Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt und die WfbM gleichberechtigte Optionen für Schulabgänger mit Förderbedarf, Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Die Wahl soll von den eigenen Wünschen, der Motivation und den Fähigkeiten bestimmt sein. Jun-ge Menschen werden gestärkt, möglichst viel Verantwortung zu übernehmen und indivi-duell passende Entscheidungen für ihren weiteren Lebensweg zu treffen.

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Aus unserer Werkstatt

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Berufswunsch: Arbeit mit Holz

Zwischenfazit

Gegenwärtig kann man noch nicht von Ergebnissen des Projekts sprechen, dennoch las-sen sich erste Erfolge erkennen (Stand 01.09.2008):

Akquise von Praktikumsplätzen – 295 durchgeführte Praktika -Vermittlungen in Arbeitsverhältnisse – 26 Arbeitsverträge - Entwicklung von Kooperationsstrukturen zwischen Schule, IFD, Agentur für Arbeit -und Bezirk – vor Ort sowie in übergreifenden GremienFachliche Bereicherung durch die Zusammenarbeit der Partner -

Das Projekt schafft eine Plattform für die enge Kooperation zwischen den Partnern: die jeweils andere Sichtweise wird reflektiert und in das eigene Handeln einbezogen. Davon profitieren zunächst unmittelbar die Projektteilnehmer bei der Planung und Gestaltung ih-res Weges in das Berufsleben. Im Weiteren wirken gegenseitige Kenntnisse, neue Abläufe und gemeinsam entwickelte Verfahren aber auch auf das Handeln der Institutionen, so dass die Gestaltung des Übergangs für alle Schulabgänger verbessert werden kann.

Perspektiven

Es ist darüber nachzudenken, wie die im Projekt verwirklichten Chancen allen Schülerin-nen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung zugänglich gemacht werden können. Ferner ist die Frage zu stellen, welche Ergebnisse auf andere Förderschul-formen übertragen werden können.

Für die unmittelbare Zukunft ist von großer Bedeutung, dafür zu sorgen, dass dieses Projekt „nicht wie so viele nach Auslauf der Finanzierung versandet, … obwohl die gute Idee so gut ins Reguläre übertragen werden könnte. … Dafür müssen Barrieren über-wunden und Stereotypien aufgegeben werden.“ (Dr. Franz Prast, Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit, Rede zur Projektpräsentation am 10. Juli 2007 in Nymphen-burg). Es gilt, die Rahmenbedingungen für die Arbeit der beteiligten Fachleute in Schulen und Integrationsfachdiensten sowie für die Kooperation der Institutionen zu erhalten. Das Vertrauen von Schülern, Eltern und Lehrern verlangt Verlässlichkeit bei der Verfolgung des eingeschlagenen Weges, der Zukunftschancen für die Schulabgänger eröffnet gemäß dem Leitziel: Selbstverwirklichung in sozialer Integration.

Weitere Informationen im Internet: www.projekt-uebergang-schule-beruf.de

Klaus Gößl, ISB – Abt. Grund-, Haupt- und Förderschulen

ratung und die Chance, Praktikanten und deren Eignung für einen Arbeitsplatz im Unter-nehmen kennen zu lernen.

Lehrer und IFD-Berater arbeiten eng zusammen und ergänzen sich in der Aufgabe, mit den jungen Menschen einen individuell passenden Weg in das Arbeitsleben zu finden. Die Schule bietet in dieser Phase einen sicheren Rahmen für die Erprobung. Der Unterricht in der Berufsschulstufe vermittelt wichtige arbeits- und lebensrelevante Schlüsselkompe-tenzen in Lernbereichen wie „Persönlichkeit und soziale Beziehungen“, „Mobilität“ und „Arbeit und Beruf“.

In der Mitte des 12. Schuljahres beruft die Schule eine Berufswegekonferenz ein, die alle Beteiligten – Projektteilnehmer, Eltern, Lehrer, IFD, Bezirk, Agentur für Arbeit – an einen Tisch bringt. Erfahrungen aus den Praktika werden ausgewertet, Chancen für einen Arbeitsplatz werden abgewogen. Davon ausgehend erfolgt der Übergang in die nach-schulische Phase oder eine andere an die Schulzeit anschließende Bildungsmaßnahme. Entscheidet sich ein Jugendlicher für die WfbM, so ist dennoch ein zentrales Anliegen des Projekts erfüllt: Er hat den persönlich passenden Weg gewählt, auf der Grundlage von eigenen Erfahrungen und nicht durch Zuordnung aufgrund der Behinderung.

Nachschulische Phase

Diese Phase hat große Bedeutung für eine dauerhafte Platzierung. Die Teilnehmer werden von dem vertrauten IFD-Berater ein Jahr lang in erheblich verstärktem Umfang betreut und sind in eine berufsvorbereitende Maßnahme der Agentur für Arbeit einbezogen; der Zeitraum kann im Einzelfall um bis zu ein Jahr verlängert werden. Im betrieblichen Arbeits-training wird ein Beschäftigungsverhältnis intensiv vorbereitet. Der Arbeitsplatz wird viel-fach buchstäblich entwickelt, indem im Prozess des Job-Coaching vorgesehene Arbeits-abläufe und Anforderungen den Voraussetzungen des Teilnehmers angepasst werden. Der IFD-Berater ist vor Ort anwesend und entdeckt mitunter Tätigkeiten, welche etablierte Mitarbeiter gerne abgeben und die den Fähigkeiten des neuen Mitarbeiters entsprechen. Er übt Abläufe ein und gibt Hinweise für geeignete Arbeitsanweisungen. Zum Aufgaben-spektrum des IFD gehört auch, Kollegen und Vorgesetzte zu informieren und möglicher-weise besondere Bedürfnisse oder Verhaltensweisen zu erklären. Reibungsloser alltägli-cher Umgang, gegenseitiges Verständnis und gelingende Kommunikation sind wichtige Voraussetzungen, um in einem Betrieb langfristig zu bestehen. Für das Unternehmen bietet der IFD die Sicherheit, im Falle auftretender Schwierigkeiten als verlässlicher An-sprechpartner zur Verfügung zu stehen. Diese Aufgabe übernimmt der IFD bei Bedarf im Auftrag des Integrationsamtes später wieder – auch nach Jahren Betriebszugehörigkeit des Mitarbeiters mit Schwerbehinderung.

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Berufsorientierung als Lebensorientierung

Der Beruf stellt in unserer Gesellschaft eine identitätsbildende, den Sta-tus in der Gesellschaft verankernde und zentral die Lebensperspektive bestimmende Funktion dar. Berufsorientierung als persönliche Entwick-lungs- und schulische Bildungsaufgabe hat deshalb einen zentralen Stel-lenwert in der Allgemeinbildung. Sie umfasst die (sektorale, strukturelle, organisatorische, technologiesche) Orientierung über die Arbeitswelt, über Formen, Bedingungen und Auswirkungen betrieblicher oder selbst-ständiger Erwerbsarbeit, die Orientierung über die Vielfalt, die Entwick-lung und Veränderung von Berufen, von beruflichen Tätigkeiten und An-forderungen, beruflichen Karrierechancen und von beruflicher Mobilität und Flexibilität sowie die Entwicklung eines realistischen Selbstkonzep-tes, welches Selbstwahrnehmung und Selbsteinschätzung hinsichtlich persönlicher Interessen und Ziele (Neigung), Fähigkeiten, Fertigkeiten, Stärken, Schwächen (Eignung) und arbeitsorientierter Wertvorstellungen (z. B. Arbeitsplatzsicherheit, Verdienst) als Entscheidungskriterien bei der Berufswahl berücksichtigt und durch den Abgleich mit Anforderungspro-filen potentieller Berufswünsche und einschränkender konjunktureller, regionaler, qualifikatorischer Rahmenbedingungen zu einer Berufswahl-kompetenz beiträgt.

Der Stellenwert von Beruf und Erwerbsarbeit im menschlichen Leben

Trotz aller Krisen in unserer Arbeitsgesellschaft mit immer weniger sicheren Normaler-werbsbiografien in einem einmal erlernten Beruf hat das Streben der Menschen nach einer Berufstätigkeit mit dauerhafter Beschäftigung eine zentrale Bedeutung. Aktuelle Untersuchungen des Deutschen Jugendinstituts und der Shell-Studien bestätigen dies.

BERuFSORIENTIERuNG ALS LEBENSORIENTIERuNG

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Berufsorientierung als Lebensorientierung

der daseinserfüllenden Entfaltung der individuellen Anlagen in der Berufstätigkeit. Diese Selbstverwirklichung im Beruf setzt die freie Berufswahl voraus. In vielen freien (Akademi-ker-)Berufen zeigt sich ein solches idealistisches ganzheitliches berufliches Selbstverständ-nis. Für die Entwicklung eines beruflichen Selbstkonzeptes ist der Aspekt der individuellen Persönlichkeitsstruktur, welche passende Anforderungsprofile zu ihrer Entfaltung in der beruflichen Lebenswelt sucht, im Berufswahlprozess von entscheidender Bedeutung.

Die funktionale Berufsauffassung reduziert den Beruf auf die reine Erwerbstätigkeit. Der Beruf erscheint weder als Mittel zur Selbstverwirklichung noch als Lebensaufgabe, sondern wird vorwiegend als Einkommensquelle betrachtet. Er ist ein „Job“ in der hochrationali-sierten arbeitsteiligen Industriegesellschaft, die rasche Anpassung und Flexibilität verlangt. Diese rein funktionale Fixierung der beruflichen Erwerbstätigkeit vermag für bestimmte berufliche Positionen mit entsprechendem sozialen Status eine gewisse gesellschaftliche Bewertung zu konnotieren. Es wird auch die arbeitswissenschaftliche Betrachtung des Berufs als typische Qualifikationskombination mit Spezialisierung und relativer Konsistenz integriert. Aber die religiöse Bedeutung („Berufung“; Pflichterfüllung) und idealistische Vorstellungen (Entfaltung individueller Anlagen; Selbstverwirklichung) und vor allem die damit verbundene Identität werden außer acht gelassen. Die letztgenannten Aspekte sind jedoch für die Arbeitsmotivation und Arbeitszufriedenheit sowie für die betriebliche Iden-tifikation und für das in der beruflichen Sozialisation ausgebildete Berufsethos von großer Relevanz. Sie sind auch als Einflussfaktoren für die Berufswahl und die Entwicklung beruf-licher Lebensperspektiven von Belang.

Berufswahlmotive und -einflussfaktoren

Erfolgreiche Berufswahl ist eine wichtige Voraussetzung für die stabile berufliche Integra-tion des Einzelnen und seine berufliche Zufriedenheit. Unter arbeitsmarktpolitischem As-pekt mindert eine den individuellen Interessen und Fähigkeiten sowie dem wirtschaftlichen Bedarf entsprechende Berufswahl das Risiko von Ausbildungsabbruch, Erwerbslosigkeit und beruflicher Desintegration. So ist es nicht verwunderlich, wenn in Untersuchungen des Instituts der deutschen Wirtschaft, von FORSA-Umfragen oder Forschungsergebnis-sen des Institus für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bei den Kriterien der Be-rufswahl neben einem guten Arbeitsklima und einer sinnvollen ausfüllenden Tätigkeit (d. h. betriebs- und arbeitsaufgabenspezifischen Aspekten) an oberster Stelle bei den Be-rufswahlkriterien rangieren: sicheres Beschäftigungsverhältnis/Arbeitsplatzsicherheit/gute Arbeitsmarktchancen, flexible und geregelte Arbeitszeit, gesichertes Einkommen, Verein-barkeit von Beruf und Familie, voraussehbare berufliche Karriereplanung.

Der Beruf strukturiert den Lebensalltag und die Lebensbiografie; er normiert die Lebens-wirklichkeit. Er beeinflusst die Lebensführung, die individuelle Wertorientierung und die Sozialkontakte und damit auch Verhaltensweisen in der außerberuflichen Lebenssphä-re aufgrund der jeweiligen beruflichen Arbeitsbedingungen (z. B. Zeitstrukturen, Hand-lungsspielräume, Unternehmenskultur, etc.). Der Beruf definiert sich als Profession in ei-ner typischen Qualifikationskombination mit relativer Konsistenz. Bei der Ausübung der beruflichen Tätigkeit wird in der Regel gesellschaftlich notwendige und nützliche Leistung vollbracht. In der gesellschaftlichen Arbeitsteilung spielt die kommunikative Funktion ebenso eine Rolle wie die individuelle Selbstverwirklichung und Selbstbestätigung. Vorder-gründig scheint zunächst der Beruf als dauerhafte Erwerbschance in unserer Gesellschaft bewertet zu werden, wo mittels qualifizierter Arbeitsleistung ein Arbeitsentgelt erworben wird. Gegenüber dem Arbeitsbegriff betont jedoch der Berufsbegriff den Statusaspekt für die Berufsträger, der sich u. a. in der persönlichen Identifikation, im Lebensstandard und in der sozialen Integration festmacht.

Berufsauffassung, Berufseinschätzung, Berufsbewertung haben im historischen und gesellschaftlichen Kontext zu unterschiedlichen Bedeutungsakzentuierungen von Beruf geführt, mit der auch heute Berufstätige sich mehr oder minder unterschiedlich identifi-zieren. Die religiös akzentuierte Berufsauffassung betont die „Berufung“ zu einer bestimmten Berufstätigkeit. Die berufliche Pflichterfüllung galt als „Dienst vor Gott“ und begründete ein „Berufsethos“. Bei diesem Verständnis folgt die „Berufswahl“ den individuellen Nei-gungen und Fähigkeiten, die es zu entfalten und einzusetzen gilt. Verantwortungsvolle, gesellschaftlich anerkannte, durch familiäre Sozialisation mit bestimmten Werten attribu-ierte und sozial weiter „vererbte“ Berufe wie z. B. Ärzte, Pastoren, Lehrer werden auch heute vielfach mit der Vorstellung von Berufung verbunden.

Die traditionell-ständische Berufsauffassung betont die überindividuelle Gebundenheit an eine soziale Lebensgemeinschaft. Die Berufstätigkeit sichert zugleich die materielle Lebensgrundlage, bringt soziale Wertschätzung und individuelles Sinnerleben (vgl.: Fürs-tenberg 1997, S. 18). Besonders ausgeprägt war diese Berufsauffassung in der Blütezeit der Gilden und Zünfte. Im kleinbürgerlichen Mittelstand findet man heute ebenfalls noch Berufe mit dieser traditionell-ständischen Prägung: ein mit dem Beruf verbundenes Ge-werbe wird durch ein Familienmitgleid weitergeführt. Die ausgeübte Tätigkeit wird in der breiten Öffentlichkeit als Lebensberuf anerkannt.

Die idealistisch-ganzheitliche Berufsauffassung – eine Berufsidee des deutschen Neuhu-manismus – verbindet die transpersonale Bestimmtheit der objektiven Berufsaufgabe mit

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Nach Fobe/Minx (1995) ist der Elterneinfluss ein doppelter: Berufliche Zukunftskonzepte werden häufiger im Kontrast zu den Eltern formuliert; -der geringere Teil nimmt eines oder beide Elternteile als Vorbild für das eigene ange-strebte Berufsleben. Auffällig sind in diesem Zusammenhang gleichgeschlechtliche Identifikationsmuster: -Während Jungen eher zu einer positiven Identifikation mit dem beruflichen Leben des Vaters neigen, grenzen Mädchen ihre Zukunftsvorstellung häufiger vom Leben der Mutter ab (besonders bei gering qualifizierter Erwerbstätigkeit).

Das Anregungsmilieu der herkunftsfamilie und die mögliche Leitbildfunktion des elterli-chen Berufs für die eigene Berufswahl lässt sich jedoch nur ansatzweise (20%) als „soziale Vererbung“ ermitteln.Peer-groups/Freunde spielen in den Augen der Jugendlichen zwar eine wichtige, aber im Vergleich zu den Eltern deutlich geringere Rolle bei den Anregungen zur Berufswahl.Schule und Berufsberatung als „professionelle Ratgeber“ können die zuvor entwickel-ten Vorstellungen prüfen, erweitern, korrigieren, aber nur selten ganz verändern, was auf die überragende Bedeutung der primären Sozialisationsinstanzen hinweist. Die Bera-tungsangebote der Bundesagentur vermitteln wertvolle Anregungen, Informationen und Hilfen für den Berufswahlprozess. Der Zusammenhang zwischen Unterstützungsbedarf bei der Berufswahl (persönliches Beratungsangebot, Tests) und der eigeninitiativen In-anspruchnahme von Informations- und Beratungsangeboten (z. B. BIZ, Internet) variiert nach sozialstrukturellen Merkmalen. Schüler mit schon feststehenden Berufsvorstellungen schalten seltener die Berufsberatung ein (z. B. Lehrstelle über „Beziehungen“, Einstieg in den elterlichen Betrieb, Berufsziel identisch mit dem Beruf der Eltern).Betrieblichen Praktika kommt im Berufsentscheidungsprozess eine besondere Bedeu-tung zu. Sie vermitteln berufliche Primärerfahrungen, ermöglichen die Überprüfung von Vorstellungen und subjektiver Belastungs- und Leistungsfähigkeit, lassen den betriebli-chen Alltag erleben und in gewissem Umfang die eigenen Fähigkeiten erproben. Sehr wichtig sind die professionellen Experten und Kommunikationspartner für berufs- und betriebsspezifische Fragen, die mit hoher Authentizität gewichtige Einflussfaktoren für den Berufswahlprozess darstellen. Außerdem bieten Praktika für Betriebe die Chance, potentielle Nachwuchskräfte über längere Zeit „unter die Lupe zu nehmen“ und ihre Arbeitseinstellungen und Leistungsbereitschaft zu überprüfen. Wenn im Unterricht Schü-lerbetriebspraktika entsprechend vorbereitet und anschließend ausgewertet und reflek-tiert werden, kommt ihnen nach den Eltern und noch vor den Freunden für die konkrete Entscheidungsfindung ein hoher Stellenwert zu (vgl. Beinke 2006).

Die Entstehung beruflicher Lebensentwürfe von Jugendlichen ist eingebettet in den je-weiligen Sozialisationsprozess, in kulturelle Traditionen, Normen und Werte und in das soziale Umfeld. Erwerbsarbeit und Berufstätigkeit haben (trotz Wertewandels) für Lebens-planung und Lebensentwurf einen dominanten Stellenwert. Wichtig sind Jugendlichen dabei (nach Forschungsergebnissen des IAB) zunächst

die materiell-existenzsichernden Funktionen von Arbeit (sicherer Arbeitsplatz, Geld -verdienen) gefolgt von sozial-humanistischen Motiven (etwas Nützliches tun, anderen Menschen helfen) -und danach karriereorientierten Sinngebungen von Arbeit (durch Leistung vorankommen, Karriere -machen).

Bei Mädchen sind die Arbeitsorientierungen eher bei sozial-humanistischen Motiven, jun-ge Männer zeigen sich eher an den existenzsichernden oder karriereorientierten Aspekten interessiert. Bei Arbeiterkindern und Hauptschülern finden sich häufiger materiell-exis-tenzsichernde oder auch negative Arbeitsorientierungen (vgl.: Deutsches Jugendinstitut; Heinz/Krüger: Hauptsache eine Lehrstelle).

Während bei Befragungen, was bei der späteren Berufstätigkeit wichtig sei, materiell-existenzsichernde Interessen auf den vorderen Plätzen rangieren, legen Jugendliche bei der Wahl des zu erlernenden Berufes ein deutlich stärkeres Gewicht auf Interessen und Eignung. Der zu erlernende Beruf soll Spaß machen, interessant sein und man muss da-für geeignet sein. Der „spaßorientierte Berufswähler“ ist dabei keineswegs ein Hedonist, sondern durchaus leistungs- und aufstiegsorientiert, aber auch sozial motiviert. Er weist ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein und eine hohe Arbeitsmotivation auf und strebt nach Entfaltung der eigenen Persönlichkeit. Berufswahl wird als Chance zur Verwirklichung von Interessen, zu mehr persönlicher Unabhängigkeit begriffen. Der regionale Ausbildungs-stellenmarkt, familiäre Einflüsse, aber auch Zufälligkeiten der individuellen biografischen Situation bestimmen letztlich stark die endgültige Entscheidung mit.

Wenn bei Befragungen nach der Entstehung oder Herkunft der Berufswünsche ca. 60% sich selbst („selbst darauf gekommen“) nennen, ist dies nicht in dem Sinne zu interpretie-ren, dass keinerlei Einflüsse aus dem sozialen Umfeld eine Rolle spielten, sondern höchs-tens, dass diese nicht immer als solche wahrgenommen werden (Selbstattribuierung).Langfristig wirken auf den Berufswahlprozess die sozialisatorischen Einflüsse aus dem Herkunftsmilieu (Elternhaus/Familie; Freunde/Peers; Personen aus dem sozialen Umfeld). Positive oder negative Vorbildwirkung, aber auch Erwartungshaltungen, Wertorientierun-gen und Ratschläge haben einen massiven (den Jugendlichen nicht immer bewussten) Einfluss auf den Entscheidungsprozess.

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der Nachkriegszeit. Der sekundäre Sektor boomte. Seit den 80er Jahren lässt sich ein ra-santer Strukturwandel in der Arbeitswelt beobachten, der noch nicht abgeschlossen ist. Es hat sich ein technischer und arbeitsorganisatorischer Wandel vollzogen, der in allen Wirtschaftssektoren, Branchen und Betrieben besonders durch den Einzug mikroelekt-ronisch gesteuerter Techniken augenfällig wird. Die Ausrüstung von Arbeitsplätzen mit Informations- und Kommunikationstechnologie, die zunehmende Automatisierung und Computerisierung von Arbeitsaufgaben schlägt sich auf den Arbeitsmarkt und die berufli-che Qualifikationsstruktur nieder. Dank des Produktivitätsfortschrittes wird der Anteil der unmittelbar mit Fertigungstätigkeiten Beschäftigten immer geringer. Der Rückgang pro-duktionsnaher Tätigkeiten (Gewinnen, Herstellen, Be- und Verarbeiten im primären und sekundären Wirtschaftssektor; Einrichten, Warten, Steuern von Maschinen und Anlagen, Reparieren und Restaurieren) am gesamten Arbeitskräftebedarf führte zu einem kontinu-ierlichen Personalabbau in einem Beschäftigungsbereich, der besonders Hauptschulabsol-venten qualifizierte Erwerbschancen geboten hat.Die demografische Entwicklung führt in Zukunft zu einem Facharbeitermangel. Die Ein-gangsqualifikationen und die geforderten Kriterien für die Ausbildungs- und Berufsreife sind aber auf einem höheren Niveau. Für einfache Produktionstätigkeiten finden sich nur geringe Beschäftigungschancen. Solche Arbeitsplätze werden, wenn nötig, durch billige Leiharbeitskräfte auftragsbezogen und kurzfristig besetzt, sofern in unserer globalisierten Wirtschaft personal- und kostenintensive Produktionen nicht in Billiglohnländer ausgela-gert werden.Dienstleistungstätigkeiten bestimmen zunehmend das berufliche Tätigkeitsprofil im produktiven Sektor, vor allem beim Handwerk: Wartung, Reparatur, Kundendienst, Produktberatung und Handel nehmen einen breiten Raum im Aufgabenspektrum ein. Auch in der Industrie hat sich der prozentuale Anteil der Beschäftigten von der direkten Herstellung von Produkten zugunsten von Dienstleistungstätigkeiten verschoben (z. B. Planung, Wartung, Steuerung). Insofern ist von einer Tertiarisierung des primären und sekundären Sektors die Rede (vgl. Franke / Buttler 1991, S. 58 f.). Erhoffte Wachstumsraten im Dienstleistungssektor, der sich nach distributiven, konsumtiven, investiven und ord-nenden Dienstleistungszweigen unterteilen lässt, sind deshalb nicht eingetreten, weil Dienstleistungen stark von der Entwicklung der Industrie abhängig sind. Unternehmens-bezogene investive Dienstleistungsbranchen wie Forschung und Entwicklung lassen sich im Zeitalter der Globalisierung und kommunikationstechnologischer Vernetzung ins Aus-land verlagern. Neben günstigeren Lohnkosten sprechen auch Marketinggründe für den Export solcher Arbeitsplätze in potentielle Wachstumsmärkte. Management, Organisation und Verwaltung als weiterer Dienstleistungsbreich der Betriebe werden aus Kosten- und Effektivitätsgründen verschlankt. Lean Production und Lean Management sind die Orga-nisationskonzepte der heutigen Arbeitswelt.

Berufsorientierung als Bildungsaufgabe

Berufsorientierung ist ein komplexer, langfristiger Lernprozess. Dieser ist zunächst inner-halb der vorberuflichen Sozialisation eingebettet in die individuelle Persönlichkeitsent-wicklung.Berufsorientierung gehört heute unbestritten zum schulischen Allgemeinbildungsauftrag. Realisiert wird diese Aufgabe nicht nur in einem systematischen „Berufswahlunterricht“, sondern in einer Lernorganisation mit mehreren Lernorten und in Kooperation mit ver-schiedenen Personen und Institutionen wie z. B. der Berufsberatung der BA. Ziel ist die Berufswahlkompetenz der Schüler zu entwickeln durch

entsprechendes differenziertes Orientierungswissen, -gezielte berufsrelevante Informationsnachfrage und -verwertung, -die Berücksichtigung eines realistischen Selbstkonzeptes, - die Fähigkeit, Entscheidungsvariablen einzuschätzen und Entscheidungskriterien ver- -antwortlich anzuwenden für eine individuelle Berufswegplanung.

Eine bewusste, möglichst rationale, realistische, verantwortungsvolle (selbstständige) Ent-scheidung für eine universitäre, schulische oder betriebliche (bzw. duale) Ausbildung und für eine spezifische Tätigkeit in einem Erwerbsarbeitssektor beinhaltet die Einschätzung und Planung eines möglichen Berufsweges und/oder einer Berufslaufbahn. Hierzu gehört auch die Einsicht in die Notwendigkeit von Mobilität. Darüber hinaus spielt die berufliche Fort- und Weiterbildung zur Sicherung der Erwerbstätigkeit eine große Rolle.

Zentrale Kategorie im berufsorientierenden Bildungsprozess ist die erwerbsarbeit, deren individuelle und gesellschaftliche Bedeutung erkannt, eingeschätzt, bewertet und reflek-tiert werden muss. Für diese gilt es eine positive Einstellung und verantwortungsvolle Haltung anzubahnen. Arbeit als betriebliche und berufliche Erwerbsarbeit mit ihren spe-zifischen Aufgabenbereichen und Arbeitsbedingungen, ihren unterschiedlichen Voraus-setzungen und Konsequenzen sollte dabei über Betriebserkundungen, Betriebspraktika, erfahrene Experten und durch unterrichtliche Reflexion in ihrer Vielfalt erlebt und analy-siert werden. Dadurch können alternative berufliche Lebensplanentwürfe im Fokus des berufsorientierenden Bildungsprozesses stehen.

Die Berufsorientierung benötigt zunächst ein Vorverständnis der arbeitswelt als allge-meine Orientierungsbasis. Hierzu gehört der Überblick über die Wirtschaftssektoren und deren geschichtliche und aktuelle Entwicklung. Die Beschäftigungsquote im primären Sektor ging beispielsweise im letzten Jahrhundert kontinuierlich zurück und bildet heute nur noch eine marginale Größe von knapp 3%. Die sektorale Arbeitskräfteverlagerung zeigt eine Ausweitung des produzierenden Gewerbes im deutschen Wirtschaftswunder

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Berufsorientierung als Lebensorientierung

demografisch bedingten Ersatzbedarf in der Beschäftigungsstruktur eruieren. Aber auch der technologische, organisatorische, strukturelle und qualifikatorische Wandel bewirkt eine spezifische Nachfrage. Wichtige Informationsquellen für aktuelle Trends sind u. a. das IAB, das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), das Institut der deutschen Wirtschaft (iwd) oder der jährliche Berufsbildungsbericht.

Aus der individuellen Perspektive sind für die Berufswahlkompetenz von Bedeutung: die (möglichst realistische) Selbsteinschätzungsfähigkeit hinsichtlich Neigung und Inte- -resse, aber auch hinsichtlich Eignung, Können, Zutrauen gegenüber den vorhandenen oder dispositiven Fähigkeiten für ein berufsrelevantes Persönlichkeitsprofil, die subjektive Arbeitsorientierung, Einstellung und Werthaltung zur Erwerbsarbeit und -beruflichen Lebensplanung, Risikobereitschaft, Anspruchsniveau, Leistungsmotivation und Durchsetzungsfähigkeit -sowie das soziale Umfeld.

Sie beeinflussen die Kompetenz für eine möglichst rationale berufliche Entscheidung.Ein realistisches und differenziertes Selbstkonzept ist die grundlegende Voraussetzung für das Suchverhalten, die Informationsauswahl, -analyse, -strukturierung und -bewertung relevanter Fakten des Berufsfindungs- und Entscheidungsprozesses. Bei der Entwicklung der Berufswahlreife muss zunächst ein Problembewusstsein für die Berufswahl als eine subjektive Entscheidungsaufgabe vorhanden sein. Auf der Grundlage einer Präferenzord-nung beruflicher Werthaltungen sollten unterschiedliche Alternativen entwickelt werden, um sich nicht vorschnell auf einen (eventuell unrealistischen oder nicht zukunftsorien-tierten) Wunschberuf festzulegen. Danach gilt es, die Zugangswahrscheinlichkeiten von Berufsalternativen zu prüfen.Der Prozess der Selbstkonzeptentwicklung startet also mit der zielorientierten Fragestel-lung: „Was will ich?“ Subjektive Interessen und Neigungen (Spaß an…, Veranlagung zu…) sind Indikatoren für berufliche Sinnorientierung und Selbstverwirklichung. Von höherer Relevanz ist die Analyse berufsrelevanter Persönlichkeitsfaktoren bezüglich der Eignung („Was kann ich?“). Hier gilt es das Spektrum der Fähigkeiten, der individuellen Stärken und Schwächen, aber auch der Charaktereigenschaften in einem Selbsterkun-dungsbogen selbst einzuschätzen und mit Fremdeinschätzungen kompetenter Interakti-onspartner überprüfen und kontrollieren zu lassen.

Die ersten Ansätze zur persönlichen Sichtweise der Eignungs- und Neigungsstruktur be-ziehen sich auf Tätigkeiten und Leistungen in der Schule ebenso wie in der Freizeit, im Elternhaus, in Vereinen, bei Hobbys. Hier ergeben sich erste Möglichkeiten der Erprobung der eigenen Leistungsfähigkeit und der Überprüfung und Reflexion der Selbstwahrneh-mung. Werden die Fähigkeiten differenziert in Items für körperliche, geistige, sprachliche, soziale, psychisch-emotionale Bereiche operationalisiert, lassen sich persönlichkeitsspezi-

Zum Orientierungswissen über die aktuelle Arbeitswelt gehören auch Kenntnisse der Struktur und der Beschäftigungschancen des regionalen arbeitsmarktes, vor allem hin-sichtlich betrieblicher Ausbildungsplätze, der Übernahme in ein Beschäftigungsverhältnis nach der Ausbildung und möglicher Karrierechancen. Dies gilt insbesondere für jugendli-che Absolventen aus der Hauptschule. Aber auch von ihnen wird zunehmend berufliche Mobilität und Flexibilität verlangt. Die Anpassungsfähigkeit an rasch wechselnde Anforde-rungen und Arbeitssituationen, die dazu notwendige Lern- und Leistungsbereitschaft sind grundlegende schlüsselqualifikatorische Erwartungen der Wirtschaft.

Einen relevanten Bestandteil des Orientierungswissens zur Ausbildung der Berufswahl-kompetenz bilden Kenntnisse über Entstehung, Wandel und aktuelle Bedeutung von Berufen. Parallel zum Strukturwandel am Arbeitsmarkt lassen sich Veränderungen der beruflichen Qualifikationsstruktur feststellen. Traditionelle Berufsinhalte und spezialisierte Berufe sind vielfach verschwunden. Breiter geschnittene Berufe (z. B. Mechatroniker) mit vielseitiger Verwertbarkeit der Arbeitsqualifikation, mit erhöhter Flexibilität und Anpas-sungsfähigkeit an aktuelle und innovative ökonomisch-technische Anforderungen sind entstanden. Eine qualifikatorische Polarisierung ist zu beobachten; d. h. einige wenige erobern die Position einer Höherqualifizierung, der größere Teil übernimmt das Los der Dequalifizierung.Die berufliche Qualifikationsstruktur im produktiven Sektor verlagert sich von der Beherr-schung funktionaler Fertigkeiten für begrenzte Arbeitsaufgaben auf dispositive (planen-de) und kontrollierende Tätigkeiten. Aufgabenzuschnitte und Handlungsspielräume ha-ben sich dank produktiver Nutzung neuer Techniken in Verbindung mit neuen Formen der Arbeitsstrukturierung und Arbeitsorganisation erweitert. Das Qualifikationsprofil heutiger Facharbeiter umfasst die selbstständige und eigenverantwortliche Planung, Durchführung, (Qualitäts-)Kontrolle und Bewertung der Arbeitsaufgabe. Schnelle und sichere Diagnose-fähigkeit bei Produktionsstörungen, verdichtete Entscheidungsprozesse durch den Abbau von Hierarchieebenen, Verantwortungsübernahme auf Facharbeiterebene bzw. im Team kennzeichnen heute das berufliche Qualifikationsprofil. Fachliche Spezialqualifikationen in Form funktionaler Fertigkeiten für begrenzte Arbeitsaufgaben verlieren an Bedeutung.

Das Orientierungswissen über die Berufswelt als zweiter Inhaltsschwerpunkt der Berufs-orientierung hat also die Vielfalt der Berufe, ihre aktuelle Entwicklung und Neuordnung, aber auch den Bedeutungswandel sowie die Qualifikationsprofile im Blickfeld. Bei der Analyse von für den Berufswähler in Frage kommenden Berufen wird das Augenmerk auf folgende Kennzeichen von Berufsbildern gelegt: Eingangsqualifikationen, Tätigkeits-merkmale, Anforderungsprofile, Qualifikationsmuster, Ausbildungsbedingungen, Auf-stiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten, Verdienstchancen. Dies sind wichtige Kriteri-en für den Berufsentscheidungsprozess. Zukunftsorientierte Berufe lassen sich über den

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Berufsorientierung als Lebensorientierung

Aktuell wird die Berufswahlreife als Element der Ausbildungsreife in vielen Kriterienka-talogen aufgeführt. Dies kann nicht verwundern, insofern ein gesichertes berufliches Selbstkonzept die Voraussetzung bildet, mit beruflichem Interesse, Leistungsmotivation, dauerhafter Belastbarkeit, Durchhaltevermögen und Arbeitszufriedenheit den Weg der Ausbildung und beruflichen Sozialisation erfolgreich zu bewältigen.Die Bundesagentur nennt für die Berufswahlreife als Teil der Ausbildungsreife die Selbst-einschätzungs- und Informationskompetenz, welche sie folgendermaßen beschreibt: Ju-gendliche kennen ihre eigenen Bedürfnisse und berufsbedeutsamen Fähigkeiten, Fertig-keiten und Kenntnisse und können diese mit wesentlichen Aspekten und Anforderungen von Berufen in Beziehung setzen. Sie nutzen vorhandene Informationsmöglichkeiten, um sich über Berufe und deren Anforderungen zu informieren. Jugendliche können ihre Mo-tive für eine Berufswahlentscheidung wahrnehmen und benennen.Die aktuelle Hauptschulinitiative nimmt sich zum Ziel, die Ausbildungsreife konsequent bereits ab der 5. Jahrgangsstufe im Blickfeld des Bildungsprozesses zu haben, die Berufs-wahlreife als zusätzliches Element der Ausbildungsreife durch entsprechende Praxista-ge zu fördern und durch die Berufsorientierungsprofile Wirtschaft, Technik, Soziales zu stärken.

In allen Schularten spielt die Berufsorientierung im Allgemeinbildungsauftrag heute eine relevante Rolle, wenngleich sie inhaltlich, methodisch und organisatorisch unterschiedlich akzentuiert wird. Regelmäßige praxisorientierte Wirtschaftskontakte der Lehrkräfte sind für ein aktuelles Orientierungswissen über Entwicklung, Veränderung, Probleme, Qualifi-kationsprofile, Anforderungen und flexible Einsatzmöglichkeiten zukünftiger Erwerbstäti-ger im Beschäftigungssystem notwendiger denn je. Praktika in Betrieben und Kooperation mit unterschiedlichen Branchen der Wirtschaft unterstützen die Übergangschancen der Jugendlichen in die Arbeitswelt. Zielsetzung ist dabei ihre Berufswahlreife. Hierbei sind Studien- und Ausbildungswahl sowie berufliche Lebensperspektiven zu berücksichtigen, um Abbrüche oder falsche Wahlen mit entsprechenden Frustrationsfolgen zu verhindern und Bildungsinvestitionen gesellschaftlich verantwortlich und ökonomisch sinnvoll zu tätigen.

Dr. Andreas Gmelch, Universität Bamberg, Didaktik der Arbeitslehre

LiteraturhinweiseBeinke, L.: Berufswahl und ihre Rahmenbedingungen. Frankfurt a. M. 2006. Ebbinghaus, M.: Erkenntnisse zu den schulischen Leistungsvoraussetzungen Jugendlicher. In: Rützel, J.; Sehrer, A.; Ziehm, S. (Hrsg.): Berufseignung und berufliche Anforderungen. Hand- lungsfelder Berufsvorbereitung und Berufsausbildung. Tagungsdokumentation im Auftrag des Hessischen Landesausschusses für Berufsbildung. (Darmstädter Beiträge zur Berufspädagogik Bd. 24. Alsbach/Bergstraße 2000, S.100-109)

fische Fähigkeitsprofile erstellen (z. B. körperliche Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit, Hand- und Fingergeschick, Ideenreichtum und Kreativität, sprachliche Ausdrucksfähig-keit, Zahlenverständnis, räumliches Vorstellungsvermögen, technisches Verständnis, Ein-fühlungsvermögen in andere Menschen, Bereitschaft und Fähigkeit zur Teamarbeit, Kon-taktfähigkeit, etc.). Auch das Profil seiner arbeitsorientierten Wertorientierung und der tätigkeits- bzw. anforderungsunabhängigen Erwartungen (Verdienst, Arbeitsplatzsicher-heit, Status/ Position/gesellschaftliche Anerkennung, etc.) sollte vom Berufswähler entwi-ckelt und reflektiert werden. Perspektivische Motivation („Was traue ich mir zu?“, „Wozu bin ich bereit mich anzustrengen?“, „Welche Ausbildungsdauer und Kosten - z. B. Studi-engebühren - kann ich schultern und sind mir wert für mein Berufsziel einzugehen?“) ist ein weiterer Aspekt des Selbstkonzeptes. Die Gegenüberstellung und der Vergleich von Persönlichkeitsprofil und von beruflichen Anforderungsprofilen potentieller Wunschbe-rufe – hierbei müssen beide Profile nicht passgenau ineinander greifen, da sie entwick-lungsfähig und veränderbar sind – führen den Berufsfindungsprozess in seine realistische Phase: Die Realisierungschancen werden aber noch eingeschränkt vom Lehrstellenmarkt, den Eingangsvoraussetzungen und qualifikatorischen Hürden, regionalen und rechtlichen Rahmenbedingungen sowie oben angesprochenen Beeinflussungsfaktoren.

Berufswahlkompetenz und Ausbildungsreife

Unter Ausbildungsreife versteht man im Allgemeinen die Befähigung, eine Berufsausbil-dung aufzunehmen und erfolgreich zu beenden. Diese weitgehend konsensfähige Um-schreibung von Ebbinghaus (2000) operationalisiert jedoch nicht die hierfür notwendigen konkreten Merkmale und ist somit keine Realdefinition.Der psychologische Dienst der Bundesagentur für Arbeit schlägt vor, eine Person dann als ausbildungsreif zu bezeichnen, wenn zu erwarten ist, dass sie irgendeine Ausbildung im dualen System aufgrund der vorhandenen Merkmale der Bildungs- und Arbeitsfähigkeit beginnen könne. Dieses Konzept ist streng von dem der Berufseignung zu trennen. Es kann durchaus jemand ausbildungsreif sein, obwohl seine Fähigkeiten und Fertigkeiten ihm lediglich die Ausübung einfacher Tätigkeiten erlauben und somit für ihn nur wenige anspruchsvolle Berufe in Frage kommen. Solch eine Person unterscheidet sich nicht in der Ausbildungsreife, sondern in der Berufsreife von einer Person mit spezifisch ausgeprägten Fähigkeiten.Bei den Kriterien der Ausbildungsreife spielen nach dem Expertenmonitoring des Bun-desinstitutes für Berufsbildung (2005) vor allem motivationale (z. B. Lern- und Leistungs-bereitschaft), personale (z. B. Zuverlässigkeit, Durchhaltevermögen) und soziale (z. B. Konfliktfähigkeit, Rücksichtnahme) Merkmale eine wichtige Rolle, und zwar noch vor konkreten Fertigkeiten und schulischen Kompetenzen. Der hohe Beherrschungsgrad der Kulturtechniken steht allerdings außer Frage.

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Zur Funktion der Bildungsstandards

„LEHRPLÄNE uND STANDARDS KÖNNEN uNTERSCHIEDLICHE ROLLEN ERFÜLLEN.“Zur Funktion der BildungsstandardsInterview mit frau Prof. Dr. Kristina reiss, Lehrstuhl für Didaktik der Mathematik, LMU München

Sachsenröder: Sie waren Mitautorin der Studie „Zur Entwicklung nationaler Bildungs-standards“, die 2003 erschien. Sie bildet die Basis und das Programm, um das Konzept der Bildungsstandards in Schule und Unterricht zu realisieren. Wie haben Sie diesen interdis-ziplinären Ansatz und die Zusammenarbeit von Fachdidaktikern, Erziehungswissenschaft-lern, Psychologen und Empirikern erlebt?

reiss: Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, interdisziplinär zu arbeiten. In den 80er Jahren habe ich mit empirischen Projekten begonnen und damals sofort die Unterstüt-zung von Erziehungswissenschaftlern und Psychologen gesucht. Ich glaube, dass alles, was mit Schule und Unterricht zu tun hat, viele verschiedene Dimensionen hat, die aus unterschiedlicher Perspektive bearbeitet werden sollten. Gute Unterrichtsaufgaben kann man nur gemeinsam mit Fachdidaktikern und Lehrern entwickeln. Für die Umsetzung braucht man dann nicht nur die Messverfahren der Psychometriker, sondern auch Ent-wicklungspsychologen und Pädagogische Psychologen. Bildung und Erziehung sind nicht Bereiche für einzelne Fachleute, sondern brauchen die Kooperation von Menschen, die sich mit Lehren und Lernen auseinandersetzen.

Sachsenröder: Inzwischen ist die Entwicklung vorangeschritten, das IQB in Berlin hat seine Arbeit aufgenommen, es wurden Bildungsstandards und Aufgabenbeispiele für den Mittleren Schulabschluss entwickelt, die Länder haben reagiert und die Standards als verpflichtenden Bestandteil des Bildungsauftrags der Schulen in die Gesetze aufgenom-men (z. B. BayEUG Art. 45 Abs. 1 Satz 3). Die Vorbereitungen für die Durchführung der Vergleichsarbeiten (VERA) im März 2009 sind in vollem Gang. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung? Ist sie so verlaufen, wie es sich die Autoren gedacht haben?

reiss: Ich denke, einige der Kernideen, die im Rahmen der Expertise entwickelt wurden, sind auch realisiert worden, aber natürlich hat es keine 100%ige Umsetzung gegeben. Nun muss das auch nicht der Fall sein, wenn Wissenschaftler Empfehlungen geben. Trotz-

Eberhard, V.: Das Konzept der Ausbildungsreife – ein ungeklärtes Konstrukt im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen. Ergebnisse aus dem BIBB. Bonn 2006. Fobe, K.; Minx, B.: Berufswahlprozesse im persönlichen Lebenszusammenhang. Nürnberg 1996. Franke, H.; Buttler, F.: Arbeitswelt 2000. Strukturwandel in Wirtschaft und Beruf. Frankfurt a. M. 1991. Fürstenberg, F.: Wirtschaftsbürger in der Berufsgesellschaft? Zürich 1997. Gmelch, A.: Berufsorientierung als Bildungsaufgabe. In: Schweizer, G.; Selzer, H.M. (Hrsg.): Arbeit – Wirtschaft – Technik. Dettelbach 1995, S. 99-114. Heinz, W.R.; Krüger, H. u. a.:Hauptsache eine Lehrstelle. Jugendliche vor den Hürden des Arbeits- marktes. Weinheim/Basel 1985. Institut der Deutschen Wirtschaft Köln: Angebotsrückgang am Ausbildungsmarkt: Ursachen und Maßnahmen. iw-trends2/2003. Schober, K.: Berufswahlverhalten. In: Kahsnitz, D.; Ropohl, G.; Schmid, A. (Hrsg.): Handbuch zur Arbeitslehre. München/Wien 1997, S. 103-122. Schober, K.; Gaworek, M. (Hrsg.): Berufswahl: Sozialisations- und Selektionsprozesse an der ersten Schwelle. Nürnberg 1996 (IAB Beitr. AB202). Schudy, J. (Hrsg.): Berufsorientierung in der Schule. Grundlagen und Praxisbeispiele. Bad Heilbrunn 2002.

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Zur Funktion der Bildungsstandards

reiss: Wir müssen besser vermitteln, dass zwischen Testaufgaben und Unterrichtsauf-gaben zu unterscheiden ist. Nehmen wir als Beispiel den Mathematikunterricht. Hier geht es nicht ausschließlich, aber wesentlich, darum, die Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern so zu fördern, dass sie Mathematik in Problemsituationen anwenden können. Dazu muss man eine Problemsituation in den Raum stellen und kein klar definiertes Pro-blem anbieten. Wenn in einer Grundschulklasse beispielsweise die Aufgabe gestellt wird, wie weit es von der Schule bis nach Hause ist, dann wird es nicht auf eine schnelle Ant-wort ankommen, sondern darauf, dass die Kinder viele Ideen entwickeln, wie sie das Problem lösen können. Genau das muss gefördert werden. Was dann hinterher mit einem Test überprüft wird, sind die Ziele des Unterrichts. Teaching to the test darf aber nicht das sein, was den Kindern im Unterricht angeboten wird.

Sachsenröder: In der Studie wurde u. a. der Anspruch formuliert, dass sich in den Stan-dards eine „moderne Philosophie der Unterrichtsfächer“ abzeichnet und die Standards zum Motor der pädagogischen Entwicklung unserer Schulen werden. Wie lässt sich diese moderne „Philosophie“ der Unterrichtsfächer beschreiben? reiss: Was in der Expertise gemeint ist, das lässt sich mit dem Begriff des „Kerncurricu-lums“ beschreiben. Allerdings haben sich die Dinge in diesem Punkt mit einer gewissen Eigendynamik entwickelt. Wissenschaftler neigen einfach zum Fach-Egoismus und es fällt ihnen schwer, den Kern eines bestimmten Faches in kompakter Form herauszuarbeiten. Hier gibt es Nachholbedarf. Also konkret: Was macht mathematisches Arbeiten aus? Was macht Arbeit in den Naturwissenschaften aus? Was macht Arbeit in den Sprachen aus? Anschließend sollte man fächerübergreifend miteinander ins Gespräch kommen und Schwerpunkte setzen.

Sachsenröder: Wir haben herkömmliche Lehrpläne, die vor oder zeitgleich mit der Im-plementierung der Bildungsstandards entstanden sind. Aktuell gibt es unterschiedliche Vorstellungen und kontroverse Diskussionen darüber, was die grundsätzliche Bedeutung des Lehrplans betrifft. Wenn Lehrpläne Standards abbilden und kompetenzorientiert sind, bedeutet das - provokant gefragt - gleichzeitig auch den Verzicht auf Inhalte?

reiss: Ich denke, das ist eine Diskussion, die unterschiedlich geführt wird. Wenn ich mit Erziehungswissenschaftlern spreche, kommt nicht selten die Hoffnung zum Ausdruck, dass selbst knapp formulierte Standards eigentlich alles andere ersetzen. In den Fachdi-daktiken sieht man das zumeist realistischer. Wenn es keine ausformulierten Inhalte wie etwa in Lehrplänen gibt, dann besteht die Gefahr, dass Schulbücher die damit verbunde-ne Rolle übernehmen und so beispielsweise das Mathematikcurriculum implementieren. Das sollte meiner Meinung nach nicht geschehen. Lehrpläne und Schulbildungsstandards

dem wäre jetzt vielleicht ein guter Zeitpunkt, um an der einen oder anderen Stelle inten-siv nachzudenken, ob wir in den laufenden Prozess Änderungen und Verbesserungen einbringen können. Die Gruppe hatte sich in der Expertise zum Beispiel damit befasst, ob Mindeststandards festgelegt werden sollen. Konkret geht es darum, welche Basis-kenntnisse und Kernkompetenzen unverzichtbar sind, wenn Schülerinnen und Schüler die Schule verlassen. Mit Mindeststandards ist ein Anspruch verbunden und man muss Kindern bzw. Jugendlichen helfen, damit sie diese Minimalstandards erreichen. Allerdings ist es kaum möglich, Mindeststandards ohne empirisches Wissen festzulegen. Deshalb brauchen wir empirische Ergebnisse, welche Anforderungen von vielen Schülerinnen und Schülern realistisch erfüllt werden können. Genau das passiert ja derzeit am IQB.

Sachsenröder: Diesen Punkt möchte ich noch einmal aufgreifen: Sind die Tests Ihrer Meinung nach zu schwierig angelegt?

reiss: Manche Aufgaben haben sich wohl als sehr schwierig erwiesen. Allerdings geht es ja auch darum, dass man genau diese Erfahrungen macht. Im Moment sind eher Auf-gaben als Kinder getestet worden. Auf dieser Basis kann man nun differenziert und detail-liert an die Entwicklung weiterer Aufgaben gehen. Das Ziel ist ein Modell, wie Kompeten-zen sich verteilen, welche Aufgaben schwierig und welche einfach sind. Als Ergebnis kann man hoffentlich über gestufte Aufgabenfolgen den Lehrerinnen und Lehrern vermitteln, wo Kinder und Jugendliche zu einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Schullaufbahn ungefähr stehen sollten bzw. wo sie stehen.

Sachsenröder: Heißt das, dass die einzelnen Kompetenzstufen noch einmal geprüft werden?

reiss: Wir haben mit den Bildungsstandards einen Katalog von Inhalten bekommen, der normativen Vorgaben entspricht. Jetzt müssen wir diese normativen Vorgaben mit der Realität abgleichen: Das ist zum Teil bereits geschehen, und so sind beispielsweise die Bildungsstandards für Mathematik in fünf Kompetenzstufen konkretisiert, die auf der Grundlage aufwändiger empirischer Verfahren mit einer großen Anzahl von Kindern und Jugendlichen definiert wurden. Wichtig wäre es nun, den Unterricht stärker in den Blick zu nehmen und herauszuarbeiten, welche konkreten Unterrichtsinhalte, welche Übungs-situationen dazu führen, dass die vorgegebenen Bildungsstandards auch tatsächlich er-reicht werden können.

Sachsenröder: Für die Schulen konkretisieren sich die Bildungsstandards meist in spezi-ellen Aufgaben und Tests. Wie lässt sich aus Ihrer Sicht vermeiden, dass die Wahrnehmung der Bildungsstandards v. a. auf das damit verbundene Testverfahren verengt wird?

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Sachsenröder: Ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen. Wie profitieren Fä-cher, für die es keine Standards gibt, von der jetzigen Entwicklung?

reiss: In der Gesellschaft für Fachdidaktik wird diese Frage sehr intensiv diskutiert. Nicht alle Fächer sind glücklich damit, dass die KMK auf verbindliche Standards in manchen Bereichen verzichtet. Trotzdem können diese Fächer meines Erachtens von der Entwick-lung profitieren. Die Diskussion, welche Kernideen ein Fach hat und welche in der Schule umgesetzt werden sollten, ist in vielen Fächern lange nicht geführt worden. Sie kann jetzt gerade vor dem Hintergrund der implementierten Bildungsstandards sicherlich zielfüh-rend aufgenommen werden.

Sachsenröder: Sind Sie mit der Implementierung der Bildungsstandards zufrieden? Hat sich die Idee Ihrer Einschätzung nach bereits in der Praxis durchgesetzt? reiss: Die Implementierung in den Schulen stellt sich meines Erachtens von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich dar. In der Lehramtsausbildung sind die Bildungsstandards allerdings ein wichtiges Thema. An der Universität München haben wir die Lehrveran-staltungen in der Mathematikdidaktik für Lehramtsstudierende an den Standards ausge-richtet. Auch an den anderen bayerischen Hochschulen wird ähnlich verfahren. Es wäre wünschenswert, wenn hier auch die Praxis besser einbezogen werden könnte. Unsere Studentinnen und Studenten sehen im Rahmen der Praktika, was in der Schule wirklich gemacht wird. Wenn wir also über Bildungsstandards reden und sie in den Schulen erfah-ren, dass ihre Relevanz nicht gesehen ist, dann ist das ein überflüssiger Widerspruch. Ich bin der Meinung, wir sollten die Fortbildung von Lehrern und Lehrerinnen stärker in den Blick nehmen und sie intensivieren, und das ganz besonders hier in Bayern.

Sachsenröder: Was sollte aus Ihrer Sicht am Ende eines solchen Gesprächs über Bil-dungsstandards stehen?

reiss: Die Standards haben in ihrer Philosophie einen Aspekt, der in der Expertise eine wichtige Rolle spielte, in der Praxis aber noch nicht in seiner Bedeutung gesehen wird. Ich meine hier konkret die gemeinsame Verantwortung von Politik, von Lehrkräften, von leh-rerbildenden Institutionen, von Eltern und - wenn sie alt genug sind - auch von Schülern und Schülerinnen für die Erfüllung der Bildungsstandards. Ich würde mir wünschen, dass diese gemeinsame Verantwortung stärker in den Blick genommen wird. Bildung ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die wir alle noch ernster nehmen sollten und für die wir uns gemeinsam engagieren müssen.

können parallel unterschiedliche Rollen erfüllen. Die Standards legen fest, was zu einem bestimmten Punkt im Verlauf der Schulzeit an Kompetenzen, Fähigkeiten, Fertigkeiten vorhanden sein muss. Der Lehrplan formuliert Feinziele, gibt Stoffverteilungsvorschläge, benennt Möglichkeiten, Vernetzungen zwischen Fächern herauszuarbeiten und interdis-ziplinäre Ansätze zu sehen. Beides ist wichtig. Vielleicht sollte man den Grad der Verbind-lichkeit im Detail nicht ganz so eng sehen. Verbindliche Ziele und Inhalte werden durch die Standards festgelegt, die Lehrpläne geben darüber hinaus Anregungen zur Umset-zung. So betrachtet sind sie dann eine Hilfe für Lehrerinnen und Lehrer. Noch eines: Auch wenn der Blick auf Schule sich in den letzten Jahren dahingehend verändert hat, dass die Ergebnisse von Unterricht ins Zentrum des Interesses gerückt sind, ist wesentlich, welchen Input das System hat. Man kann weder über Empirie noch über Methoden letztendlich legitimieren, was für die zukünftige Generation wichtig ist. Dazu braucht man normative Vorgaben, die in der Regel in Lehrpläne aufgenommen werden.

Sachsenröder: Heißt das, dass der Lehrplan der Zukunft aus einem verbindlichen Teil, der stark standardbezogen ist, und didaktische Anregungen bestehen wird?

reiss: Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Ein solcher Lehrplan bietet Hilfen im Hinblick auf die Erfüllung von Standards durch konkrete didaktische Hinweise.

Sachsenröder: In der Expertise „Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards“ gibt es auch die Vorstellung, dass sich der Lehrplan in ein Kerncurriculum auf der einen Seite und in ein schulspezifisches Curriculum auf der anderen Seite splittet. Wie schätzen Sie die Möglichkeiten der Schulen ein, selbst ein schulspezifisches Curriculum erarbeiten zu können? reiss: Einerseits finde ich es gut, wenn Schulen Schwerpunkte setzen. Die Interessen von Kindern und von Lehrkräften berücksichtigen zu können, motiviert sicherlich beide.Andererseits sind wir eine sehr mobile Gesellschaft und müssen darauf achten, dass ein Kerncurriculum nicht so knapp gefasst wird, dass bei einem Umzug mit Schulwechsel die Anschlussfähigkeit schulischer Bildung gefährdet ist. In der Praxis und mit Blick auf die Erfahrungen anderer Bundesländer sieht man darü-ber hinaus, dass die Entwicklung eines Curriculums mit hohen Anforderungen, viel Zeit und Arbeitskraft verbunden ist. Schwerpunktsetzungen sind begrüßenswert, weil Eltern, Kinder und Lehrkräfte Wahlmöglichkeiten bekommen. Nur müssen wir aufpassen, dass der Kern, den wir für den gesamten Bereich als verbindlich nehmen, nicht allzu eng de-finiert ist.

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Die PISA-Studie hat es an den Tag gebracht. An den Schulen verkommt die Lesekultur seit Jahren. Kinder und Jugendliche lesen zu wenig. Die Lesefertigkeit nimmt ab. Die

Sinnentnahme aus der Schrift ist gegenwärtig so katastrophal wie nie zuvor. In erster Linie wird den Medien die Schuld dafür zugeschoben. Derzeit sitzen jene Kinder, für die das Fernsehen das meistgenutzte Medium ist, insgesamt täglich 4 1/2 bis 6 1/2 Stunden vor dem Bildschirm und beschäftigen sich mit Videofilmen und Computerspielen. Zwar entwickeln die Pädagogen abgefeimte didaktische Großstrategien gegen die sich ausbrei-tende Leselethargie und hecken raffinierte methodische Attacken aus, um die Jungleser in immer neue, verführerisch getarnte Lesefallen zu locken. Doch weshalb sind die Erfolge nur äußerst bescheiden?

Sind es nicht die im Überfluss angebotenen Bücher, die den jungen Lesern trotz heftiger Gegenwehr von allen Seiten in die videospielgefüllten Taschen gestopft werden, wodurch sie gegenüber dem vom Establishment geschätzten Buch nur umso gleichgültiger werden? Treiben sie nicht die ständigen erziehlichen „Ich-mein-es-ja-nur-gut-mit-dir“-Anregungen und flehentlichen Lesewerbungen zur kategorischen Ablehnung jeglicher Lektüre? Führt nicht die lückenlose Versorgung mit Lesbarem jeder Art zu jeder Zeit an jedem Ort zur Abstumpfung gegenüber dem ursprünglichen Abenteuer Lesen?Wäre es nicht höchste Zeit, nunmehr durch energische Leseverbote die jugendliche Ge-genreaktion des „Um-jeden-Preis-Jetzt-erst-recht-Lesen-Wollens“ zu provozieren? Weiß doch jeder, dass Verbote eine raffinierte Methode sind, Lust an ursprünglich lustvollen Tätigkeiten zu wecken, zu denen kein Mensch Lust hätte, wenn sie nicht verboten wären. Bereits Pestalozzi wusste: „Schon das Verbot allein ist ein starkes Reizmittel für die Begier-de.“ Bücher zu verbieten hieße demnach, für sie zu werben. Junge Menschen sollten sich künftig jedes Buch erobern müssen. Je beschwerlicher dabei der Weg ist, um zu einem Buch zu gelangen, umso köstlicher ist der erste Kontakt mit ihm. Hat ein Kind ein solches Buch in seinen Besitz gebracht, dann möge man es bei dem einen belassen. „Viel, nicht vieles soll man lesen“, riet bereits Gaius Plinius Secundus der Ältere. Und Gotthold Ephraim Lessing beherzigte ein paar Jährchen später diesen Hinweis immer noch, als er dozierte: „Nicht vieles lesen, sondern viel: ein weniges, aber mit Fleiß.“ Rainer Maria Rilke erklärt weshalb: „Mit der Zeit steht in einem Buch das Zehnfache von dem,

LESEENTZIEHuNG STATT LESEERZIEHuNG

Leseentziehung statt Leseerziehung

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Leseentziehung statt LeseerziehungGegen den Strich

was es wirklich gedruckt enthält; ich lese meine eigenen Erinnerungen und Gedanken immer wieder mit.“ Das heißt, ein gutes Buch enthält in Wahrheit zehn Bücher. In der Tat, nur durch ein radikal eingeschränktes Angebot von Büchern kann wieder der Jagdinstinkt nach einem Buch mobilisiert werden. Würde nicht ein einziger wirklich heiß begehrter Band eine ganze, zur Schalldämpfung der Schulhauswände aufgebaute Biblio-thek überflüssig machen? Könnten nicht verbotene Lesefrüchte in düsteren Abstellkam-mern oder verstaubten Dachböden, die gegen unerlaubtes Eindringen mehrfach gesichert sind, die jugendliche Phantasie in nicht für möglich gehaltener Weise anregen, durchtrie-bene Aktivitäten zu entwickeln, um dennoch an die abgeschirmten, aber gerade deshalb so gierig begehrten Kleinode zu gelangen?

Falsche Vorstellungen existieren auch bezüglich des Leselernprozesses, der angeblich in der Kindheit seinen Abschluss finden soll. Unsinn! Er endet in Wahrheit erst mit dem eigenen Leben. Das bestätigt auch Johann Wolfgang von Goethe, wenn er schreibt: „Die guten Leutchen wissen nicht, was es einen für Zeit und Mühe kostet, lesen zu lernen. Ich habe achtzig Jahre dazu gebraucht und kann noch jetzt nicht sagen, dass ich am Ziel wäre.“ Leseerziehung endet also nie. Deshalb lasse man sich Zeit. Denn ist sie einmal abgeschlossen, ist man es auch leicht dem Buche gegenüber.

Zu guter Letzt sei noch die alptraumhafte Forderung „Kinder brauchen gute Bücher“ ausgeräumt. Sagte nicht schon Theodor Fontane: „Es ist ein Unsinn, jungen Leuten immer mit dem ’Besten’ zu kommen. Man hat in das Beste hineinzuwachsen, und das oft recht lange.“ Genau! Eltern, die ihre Kinder verwöhnen, werden von diesen später oft abge-lehnt. Bücher, die ihre Leser verwöhnen, ebenso. Es kommt beim Lesen auf den Leser an, nicht auf das Buch, denn „der wahre Leser muss der erweiterte Autor sein“, wusste schon Novalis. Es ist deshalb müßig, Leitlinien zu konstruieren, zu welcher Lektüre junge Men-schen greifen sollten. Oscar Wilde drückt dies noch rigoroser aus, wenn er schreibt: „Es ist lächerlich, eine feste Regel darüber aufzustellen, was man lesen sollte und was nicht. Mehr als die Hälfte der modernen Kultur stützt sich auf das, was man nicht lesen sollte.“

Ja, ich weiß, dass Sie glauben, Sie verstünden, was Sie denken, dass ich gesagt habe; aber ich bin mir nicht sicher, ob Sie begreifen, dass das, was Sie gelesen haben, nicht doch das ist, was ich meinte, als ich es schrieb. In diesem Sinne, lesen Sie alles ruhig ein zweites Mal.

Alfons Schweiggert, ISB – Abt. Grund-, Haupt- und Förderschulen

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Willkommen und Abschied

Wie jedes Jahr brachte auch 2008 zahlreiche personelle Veränderungen. Etliche Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter haben das Haus verlassen, neue traten ein.

Zum 1. März des Jahres verabschiedete das ISB Direktor Dr. Peter Meinel, der das Institut von 1995 bis 2008 leitete, in den verdienten Ruhestand. Staatsminister Schneider wür-digte im Rahmen eines Festaktes die höchst engagierte Arbeit des scheidenden Direktors. Diesen Worten der Anerkennung schlossen sich Ministerialdirektor Erhardt sowie Ver-treter der Landesinstitute, der Einrichtungen der Lehrerfortbildung, der Verbände und des ISB an. Prof. Dr. Wünsche, Direktor der Staatlichen Antikensammlungen und Glypto-thek, München, hielt den Festvortrag mit dem Thema „Wie aktuell ist die Antike?“ – ein „Schmankerl“ nicht nur für den passionierten Altphilologen Dr. Meinel. Das Staatsinstitut dankt Dr. Meinel für die 12-jährige erfolgreiche Leitung des Hauses und wünscht für den neuen Lebensabschnitt alles Gute.

Insgesamt 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben ihren Dienst am ISB im Jahr 2008 beendet. So traten u. a. auch Herr Dr. Bofinger, Frau Kern, Frau Dr. Müller und Frau Sottung in den Ruhestand. Sie verbindet, dass Sie mehrere Jahrzehnte, gar ihr ganzes Be-rufsleben, im Institut zubrachten. Andere Kolleginnen und Kollegen übernahmen – dem Personalentwicklungskonzept des Hauses entsprechend – im Anschluss an ihre Tätigkeit im ISB neue Aufgaben in verantwortungsvollen Funktionen des Bildungswesens. Allen ausgeschiedenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gilt der besondere Dank des Staats-instituts.

Personalwechsel im ISB bedeutet auch, dass 2008 mit dem neuen Direktor Thomas Sach-senröder 19 weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Arbeit aufnahmen. Das ISB heißt seine „Neuen“ herzlich willkommen und wünscht viel Erfolg an der neuen Wir-kungsstätte.

Arnulf Zöller, Stellv. Direktor

WILLKoMMeN UND aBSchIeD

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Willkommen und Abschied Willkommen und Abschied

ABSCHIEDE NEuE MITARBEITER(INNEN)

Direktorat

Hartmut BraunBernd BuckenleibMonika KernDr. Peter MeinelMartin SachseKarin SchnitzleinHeidi Sottung

Reinhold MerathClaudia ReichmannThomas SachsenröderSonja Schell

Grundsatzabteilung

Wolfgang BauerDr. Jürgen BofingerClaudia Gantke M. A.Andrea HechenleitnerDr. Ingrid MüllerMartina Wiese

Wolfgang HahnDr. Ulrich Kanz

Abt. Grund-, Haupt- und Förderschulen

Ursula BusleyJürgen DeinleinCarsten Diederichsen-PlöchlDr. Christian HoerburgerKarin Rödler M. A.Josef Schätz

Dieter BoldtKaroline FinkenzellerHildegard Hajek-SpielvogelMarkus KöpfAndrea MayerPrisca Satzger

Abt. Realschule

Elisabeth DünzlBettina Peric

Daniela BernertPatricia Fuchs

Abt. Gymnasium

Christoph HammerMarion KellyMichael Rißmann

Josef KollerDr. Petra SchwaigerAnton Wiedemann

Abt. Berufliche Schulen

Isabell Zeilinger Barbara Häckl

Qualitätsagentur

--- Florian BäuerleKarin Mühlbauer

Abschiedsfeier von Direktor Dr. Meinel am 28. Februar 2008

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Daten und Fakten

arBeItSBereIche IM ISBDie Bereiche Lehrpläne und Standards, Prüfungen und Tests, Modell- und Schulversuche, Umsetzungshilfen sowie Beratung und Erfahrungsaustausch bilden die Basis der Instituts-arbeiten in der Grundsatzabteilung und in den Schulabteilungen. Eine weitere Haupt-aufgabe des Staatsinstituts liegt darin, fortlaufend Daten und Befunde zum bayerischen Schulwesen zu erfassen und durch ein flächendeckendes Bildungsmonitoring Empfehlun-gen zur Qualitätssicherung der bayerischen Schulen zu geben. Die damit verbundenen Tätigkeitsfelder finden sich in den schwerpunktmäßig der Bildungsforschung zuzuord-nenden Arbeitsbereichen der Qualitätsagentur: Vergleichsarbeiten, Merkmale von Schul-qualität und ihre empirische Erfassung, externe und interne Evaluation der Einzelschule sowie Bildungsberichterstattung und Bildungsmonitoring. Die folgende Grafik zeigt den für das Schuljahr 2008/09 geplanten Personaleinsatz des ISB:

DateN UND faKteN

Verteilung der Personentage: Gesamthaus

9 %

19 %

14 %

22 %

17 %

19 %

Lehrpläne, Standards

Prüfungen, Tests

Modell- und Schulversuche

Umsetzungshilfen

Beratung, Erfahrungsaustausch

Qualitätsagentur

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Daten und FaktenDaten und Fakten

Pädagogisch diagnostizieren im Schulalltag -Politischer Radikalismus bei Jugendlichen (überarbeitete und ergänzte Auflage) -

ArbeitsberichtModellversuch Islamunterricht -

Internetportale/„Online-spezial“-MaterialsammlungenDEMO – Denken in Modellen (www.denken-in-modellen.de) -Ganztagsschulen (www.ganztagsschulen-bayern.de) -Gymnasiale Oberstufe [neu] (www.isb-oberstufegym.de) -Hauptschulinitiative (www.isb-hauptschulinitiative.de) -Individuell fördern (www.foerdern-individuell.de) -Leseforum Bayern [neu] (www.leseforum.bayern.de) -SchulKinoWoche (www.schulkinowoche-bayern.de) -SchulLaborBayern (www.slb.bayern.de) -

gäSte IM ISBIm Jahr 2008 konnte das ISB neben Besuchern aus Deutschland Gäste aus folgenden Ländern begrüßen:

Belgien - Japan - Südafrika -China - Kanada - Tadschikistan -Estland - Litauen - Tschechien -Griechenland - Österreich - USA -Italien - Polen -

Bei den Besuchen standen Informationen zum bayerischen Schulsystem, zur beruflichen Bildung, zu den Aufgaben des ISB sowie zu Evaluation und Qualitätsentwicklung von Schulen im Zentrum des Interesses.

VeröffeNtLIchUNgeN DeS JahreS 2008

Die folgende Aufstellung gibt einen Überblick über die 2008 neu erschienenen Publikati-onen des ISB. Daneben wurde eine große Zahl an Materialien erstellt, die ebenso wie alle aktuell lieferbaren Publikationen im Internet unter www.isb.bayern.de abrufbar sind.

Für Grund- und Hauptschulen Daten, Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit (Mathematikunterricht an der Grundschule) - Englisch in der Hauptschule – Aufgaben für die schulintern gestellte mündliche Ab- -schlussprüfung M 10

Für FörderschulenAufbau von Sprachkompetenz – mutimediale Fortbildungsbausteine (DVD) -

Für RealschulenDie Leitidee „Daten und Zufall“ im Fach Mathematik -Projektarbeit – Projektpräsentation -Sozialwesen im Fokus: Aufgaben, Grundbegriffe, Praktikum -

Für GymnasienDas Abitur im Fach Mathematik am achtjährigen Gymnasium - Informatik am Naturwissenschaftlich-technologischen Gymnasium, Jahrgangsstufe 10 -Lateinische Lektüre in den Jahrgangsstufen 9 und 10 - Time to talk! Parlons! Parliamo! - Пора поговорить! ¡Tiempo para hablar! – DVD mit Aufgabenbeispielen zur gleichnamigen HandreichungWirtschaftsinformatik am WSG-W, Band 3 -

Für Berufliche SchulenDas Fach Projektarbeit an Wirtschaftsschulen -

Schulartübergreifende Veröffentlichungen

Außenklassen - Unterrichtseinheiten für gemeinsames Lernen in der Grundschulstufe -(CD-ROM)ErziehungKonkret 1 -Schule und Familie – Verantwortung gemeinsam wahrnehmen -Schulkinder im Gleichgewicht -

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Daten und Fakten Daten und Fakten

geSchäftSVerteILUNg (Stand: Dezember 2008)

Genannt sind die Namen und die Hauptaufgaben der Mitarbeiter. Zwischen Planstellen und Teilabordnungen bzw. Beamten und Angestellten wird nicht unterschieden. Eine ge-nauere Beschreibung der Zuständigkeiten ist den entsprechenden Seiten der ISB-Home-page zu entnehmen.

Direktorat

Direktor des Staatsinstituts Thomas Sachsenröder

Ständiger Stellvertreter des Direktors Arnulf Zöller

Hauptsekretariat Christine Arnecke

Vertretung im Hauptsekretariat Ingrid Meise

Mitarbeiterin des Direktors Claudia Reichmann

Öffentlichkeitsarbeit Susanne Grupp-Robl

Sonderaufgaben des Staatsministeriums Dr. Karin Plodeck

Verwaltung

Verwaltungsleiter und Beauftragterfür den Haushalt

Klaus Hollmann

Personal- und Rechnungswesen Sylvia AuricchioBrigitte Mayer

Hausverwaltung Ibrahim Cakirbey Miroslaw Wimmer

Allgemeine Verwaltungsaufgaben, Post Anna MayerReinhold MerathSonja Schell

Bibliothek Gabriele Mack-Graumann

Zentrale EDV-Stelle

Leitung Bertram Hütter

Datenbankadministrator Christoph Höchtl

Entwicklung und Pflege hausinterner Anwendungen

Johannes Mairhofer

Betreuung der Arbeitsplatzrechner Marcel Köberl

Beratung und Fortbildung der Mitarbeiter Heidrun Ulbrich

Grundsatzabteilung

Leitung der Abteilung Arnulf Zöller

Sekretariat Natalia Belenki

Sekretariat Leseförderung Annette Achatz

Sekretariat EU-Förderprogramme Birgitt Berger

Pädagogische Grundsatzfragen Elisabeth MayrWolfgang HahnUte MultrusDr. Katrin VogtEmmeram Zebhauser

Organisations- und Qualitätsentwicklungan Schulen

Marlies KennerknechtDr. Reinhard AndreasMartin BrunnhuberDoris GrafGeorg ScheibengruberDr. Ursula Weier

Medienbildung Dr. Vera HaldenwangGabriele GustUwe HoffmannDr. Ulrich KanzBarbara MörigHermann Ruch

Gruppe Mitschnitt Christina LembergerGabrijela Varga

Bildungskooperation und -information Edgar SailerAngelika SchneiderWolfgang Schwarzenberger

Abteilung Grund, Haupt- und Förderschulen

Leitung der Abteilung N. N.

Sekretariat Lisbeth BraunDagmar Hauffe

Sprachen Petra HölscherHeidemarie BrücknerKaroline FinkenzellerMarkus KöpfPrisca SatzgerHella Tinis-Faur M. A.Dr. Vassilia Triarchi-Herrmann M. A.

Page 32: Jahrbuch 2008 74 75 ÜBErGänGE ZWiScHEn Ziel des ...Studienberechtigte 2006 ein halbes Jahr vor dem Erwerb der Hochschule, HIS: Forum Hochschule, 12 2007, S. 10) Um dem Abhilfe zu

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Jahrbuch 2008

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Jahrbuch 2008

Daten und Fakten Daten und Fakten

Abteilung Grund, Haupt- und Förderschulen

Mathematik, Naturwissenschaften,Informationstechnik

Karl RauschederArnold DietlWolf-Dieter HeßBarbara KastenmüllerAndrea MayerRosa Wagner

Gesellschafts- und Wirtschafts-wissenschaften

Wolfgang SchierlHildegard Hajek-Spielvogel

Sonderpädagogische Förderung/Integration I

Lernen Alfons SchweiggertDr. Dieter Boldt

Hören/Sehen Kirsten Binder

Sprache, emotionale u. soziale Entwicklung Dr. Ellen Kunstmann

Sonderpädagogische Förderung/Integration II

Geistige Entwicklung Klaus Gößl

Körperliche u. motorische Entwicklung Dr. Jürgen Moosecker

Berufliche Bildung Claudia Stocker

Abteilung Realschule

Leitung der Abteilung Heinrich Hausknecht

Sekretariat Sieglinde Sachs

Sprachen, Kunst/Werken Tobias SchnitterDaniela BernertRosa Maria Luible-ErnstJudith Schneider

Mathematik, Naturwissenschaften,Informationstechnologie

Simon WeixlerStephan BreitrainerPatricia Fuchs

Gesellschaftswissenschaften Gudrun Pfab

Wirtschaftswissenschaften Wolfgang Jirschik

Abteilung Gymnasium

Leitung der Abteilung Dr. Hans W. Thum

Sekretariat Hannelore MarschikMiranda Strbic-CerlekMarianne Viertl

Kath. Religionslehre (schulartübergr.) Sabine Nolte-Hartmann

Abteilung Gymnasium

Evang. Religionslehre (schulartübergr.) Dorothea Schmoll

Ethik (schulartübergr.) Natalie Reger

Deutsch Dr. Armin Stadler

Latein/Griechisch Michael Hotz

Englisch/Italienisch Claudia Vetter

Französisch/Spanisch Dr. Elke Kaiser

Russisch Gerd Flemmig (ext.)

Mathematik, Informatik, Natur u. Technik Christian Scheungrab

Informatik, Mathematik Dr. Petra Schwaiger

BLK-Programm SINUS Harald HaidlAnton Wiedemann

Physik, Natur u. Technik Andreas Thalmaier

Biologie, Chemie, Natur u. Technik Petra Reinold

Geschichte Josef Koller

Sozialkunde/Sozialprakt. Grundbildung Uta Lechner

Geographie Jochen Frickel

Wirtschaft und Recht Burkart Ciolek

Kunst Dr. Ernst Wagner

Musik Klaus Mohr

Sport Dr. Holger Falk

Neue Oberstufe Günter Manhardt

Seminarausbildung Dr. Wolfgang Bergold

Abteilung Berufliche Schulen

Leitung der Abteilung Peter Allmansberger

Sekretariat Gertrud BaierGaby Delestathes

Allgemeinbildende Fächer an berufl. Schulen

Fremdsprachen Jan Mayer

Deutsch, Geschichte, Sozialkunde Barbara Häckl

Mathematik, Physik Georg Ott

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Jahrbuch 2008

Daten und Fakten

Abteilung Berufliche Schulen

Gewerblich-technische Bildung

Metall, Kfz-Technik, Monoberufe Thomas Hochleitner

Bau-, Holz-, Farbtechnik Jochen Karrlein

Elektro-, Medientechnik, Informatik Michael Klein

Ernährung u. Hauswirtschaft; Chemie, Physik, Biologie

Gisela Stautner

Kaufmännische Bildung

Wirtschaft und Verwaltung Monika PfahlerCaroline Stahl

Sozial- und Gesundheitswesen

Sozialwesen Astrid Gottbrecht

Gesundheit Yvonne Ruscheinsky

Qualitätsagentur

Leitung der Abteilung Dr. Otmar Schießl

Sekretariat Gabriele FührerSusanne Werner

Bildungsberichterstattung/Bildungsmonitoring

Markus TeubnerFlorian BurgmaierDr. Angelika Traub

Vergleichsarbeiten Dr. Bernd SchaalDr. Alexander CrössmannDr. Martin Pook

Merkmale von Schulqualität und ihre empirische Erfassung

Dr. Franz HuberFlorian BäuerleFelicitas Mandon M. A.Didier Vaccaro

Externe und interne Evaluation Annemarie Hruza-MayerDr. Udo FürstenauKarin MühlbauerReinhard Rolvering