joseph von laßberg als handschriftensammler

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Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg VOLKER SCHUPP Joseph von Laßberg als Handschriftensammler Originalbeitrag erschienen in: Felix Heinzer (Hrsg.): "Unberechenbare Zinsen": bewahrtes Kulturerbe; Katalog zur Ausstellung der vom Land Baden-Württemberg erworbenen Handschriften der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek; [Württ. Landesbibliothek, 28.10. - 18.12.1993 ...] Stuttgart: WLB, 1993, S. 14-33

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Page 1: Joseph von Laßberg als Handschriftensammler

Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

VOLKER SCHUPP Joseph von Laßberg als Handschriftensammler Originalbeitrag erschienen in: Felix Heinzer (Hrsg.): "Unberechenbare Zinsen": bewahrtes Kulturerbe; Katalog zur Ausstellung der vom Land Baden-Württemberg erworbenen Handschriften der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek; [Württ. Landesbibliothek, 28.10. - 18.12.1993 ...] Stuttgart: WLB, 1993, S. 14-33

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Joseph von Laßberg als Handschriftensammler

ti'on Volker Schupp

I. Die Prägung durch den Ritterschlag

\V'er heute die Donaueschinger Nibelungenliedhandschrift aufschlägt, die sog. Hohenems-LaßbergischeNibelungenhandschrift, die ihren ehemaligen Besitzer berühmt gemacht hat, der sieht auf S. am obe-

ren Rand ein rundes Exlibris mit einem Wappen vor einem grünen Feld und der Inschrift »Joseph vonLaßberg Ritter«. Dieses Schildchen, nach dem Erwerb der I Iandschrift 181 5 in Wien angebracht, weistweit zurück. Dem jungen Joseph von Laßberg, geboren in Donaueschingen 1 770 aus FürstenbergischemBeamtenadel, war es nicht an der Wiege gesungen, daß er einmal seinen Namen mit dem ältesten Codexdes Nibelungenliedes und einer der schönsten Burgen Deutschlands, dem Alten Schloß in Meersburgverbinden sollte. Es ist dieser eine Begriff »Ritter«, der hierzu die prägende Kraft gegeben hat.

Beruflich war die Laufbahn im Dienste der Fürstenberger vorgezeichnet. Laßbergs Vater war FürstlichFürstenbergischer Oberjägermeister in Donaueschingen, wie er selber dieses dann auch wurde.' Er be-suchte die Schule im Kloster Salem, dann das Donaueschinger Gymnasium und schließlich die Universi-täten in Freiburg und Straßburg. Im Jahre 1 786 leistete Laßberg offenbar Militärdienst in Landau in der

Pfalz. Es sei dasselbe Regiment gewesen, aus dem auch der spätere französische Marschall Ney hervorge-gangen sei. Während dieser Zeit, am 2 4 . Juni 1 7 86, trug sich die Szene zu, die den Schlüssel für Laßbergsspätere Schicksale und Betätigungen darstellt. Er selber ist sich sein ganzes Leben dieser Tatsache bewußtgewesen. Er hat sie in einem kleinen Traktat festgehalten und am 2 4 .6. 1 829 in einem Brief an JacobGrimm, wenn auch etwas zurückgenommen, als eine »für mein nachheriges Leben nicht unwichtigeBegebenheit« geschildert.'

» Im iare als man zalt von unsers herren gehurt tausend iar und siebenhundert iar und achtzig und sechsiar, an sankt Johanns tag zur Sunnenwende, da nam ich das erste schwert aus den händen meines ritterli-chen oheims Conrad von Malzan, dessen seele gott genädig sein wolle. Das geschalte auf der burg zuTrifels bei Anweiler dem stättlein, im gebirg das da hiess Wasichen. Ich war damal ein junger demütigerund freudiger knab von 16 iaren, und meine noch iezt, dass ich seitdeme keinen schönern tag mer erlebthabe; auch habe ich seit 43 iaren nicht unterlassen den tag, wo ich auch seie, im stillen so für mich zu

feiern; denn von denen die da leben verstehet doch nur selten einer, was das ist. Mir ist als wärs erstgestern geschehen, da mir mein oheim einen schönen goldfalcken schenkte mit weissen mänen undschweife, und dabei sagte: morgen reiten wir nach Trifels. wir lagen zu Landau in besazung und ritten vor

tage. die ganze nacht träumte ich von meinem landsmanne kaiser Friederich dem rotbarte, und von demkönig Richard, der da gefangen lag. als wir an den berg kamen stiegen wir ab und der knecht meines

oheims gab mir ein langes ding, das war in papier eingebunden; ich konnte aber nicht erraten was es sein

1 Zum Biographischen vgl. Laßbergs eigenen Lebenslauf von 1842 in: Nachtrag zum Briefwechsel zwischen Jacob Grimmund Joseph von Laßberg. I Irsg. von Karl Schulte-Kemminghausen. Sbb. der Preußischen Akademie der Wiss. 1933,Phil.-hist. Kl., S.778f.; Bader, Karl S.: Der Reichsfreiherr Joseph von Laßberg. Gestalt und Werk, in: ders. (I Irsg.):Joseph von Laßberg. Mittler und Sammler. Stuttgart 1955, S. 11-50; Schupp, Volker: Artikel Laßberg, in: Neue Deut-sche Biographie 1 3 (1 982) S. 670-672; I larris Martin: Joseph Maria Christoph Freiherr von Lassberg, 1770-1855, Brief-inventar und Prosopographie. Mit einer Abhandlung zu Lassbergs Entwicklung zum Altertumsforscher. Heidelberg1 99 1. (Beihefte zum Euphorion. 25).

2 Briefe des Freiherrn Joseph von I,aßberg an Jakob Grimm. hrsg. von Albert Lcitzmann. Sbb. der Prcuß. Akademie derWiss. 1 93 1, Phil.-hist. KI., S. 105 4 -1055, Nr. 11. – Am 2 4 . Juni 1819 verzeichnet das Briefregister als Nr. 276 »Ein Tagaus meinem Leben: d. Reise nach Trifels im Wasichen « . Es ist anzunehmen, daß dieser nicht mehr vorhandene Text derPassage im Brief an Jacob Grimm zugrunde liegt. Zum Briefregister s. Bader, Karl S.: Laßberg-Studien in: Montfort9(1957) S. 130-148.

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JOSEPH VON LASSBERG ALS HANDSCHRIFTENSAMMLER

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Abb. 3: Ex-Libris Laßbergs in der Bandschrift C des Nibelungenlieds (F. F. Hofbibliothek Donaueschingen, Ms. 63)

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VOLKER SCHUPP

mochte und trug es hinter meinem oheim, dem die Wege bekannt waren, drein; man gab mir auch eineflasche zu tragen und ein brod, da dacht ich wol, dass wir nicht one frühstük wieder herab kommenmöchten.

Als wir auf dem ersten berge waren, denn es sind drei solcher felsenköpfe, die nahe beisamen liegen,da fanden wir bald den eingang, denn dic türe und die stiege waren noch unversert, ja so wol erhalten,

als wenn die steinmezen und Werkmeister erst gestern weggegangen wären, damit man heute den einzug

halten könne. alles aus einem feinen roten steine so schön und scharf gehauen, und so eng und ebengefügt, dass ich oft mit meinen händen an den wänden auf und abfur, um mich zu überzeugen, dass

auch alles so glatt und gerade seie, wie es meinen augen erschien. nach dem wir z lange stiegen erstiegenhatten, traten wir in ein schönes hohes vorgemach, in dessen eken einer noch ein wolerhaltener, künst-lich gelegter und gehauener kaminschoss war, rechts gieng eine türe in die kapelle und ich trat mit einersolchen rürung hinein, dass mir schon da die hellen tränen aus den augen fielen; denn ich dachte an alledie männer, die vor mir darin gestanden hatten. die kapelle ist ziemlich geräumig, hat aber keine fen-

ster, das Hecht fällt durch eine runde öffnung im gewölbe herein, über welcher grünes gesträuch vom

winde bewegt herab schwankte. wo der altar stund, war ein grosser teil der wand ausgebrochen und indas tal hinab gestürzt; doch auf der epistelseite war noch eine halbkreisförmige Öffnung in der wand, indie man die messkäntlein beim opfer hinein zu stellen pflegte. längs den 3 wänden lief eine niedere

steinbank.Ich sehe, dass ich zu weitläufig werde, und wills iezt kürzer fassen. Mein oheim hatte noch nicht

gesprochen und ich zitterte vor ungedult, furcht und hofnung. Jezt befal er mir das lange ding in dempapiere auszupaken, und es lag ein schönes neues schwert darin; eigentlich war es ein husarensäbel;aber wir nannten es damal ein schwert. Nachdem er mir einen nicht kurzen vorhalt gemacht hatte, wasein mann und ein schwert sei? und wozu es nur erlaubt seie das leztere zu brauchen, sprach er mir von

meinem vater und von meiner mutter, seiner schwester, von meinem grossvater und wie alle meineverwandten so redliche und wakere leute seien, und wie er denen zu lieb mir an dem heutigen tage einschwert zu eigen geben und mich werhaft machen wolle, alles mit ser schönen und guten worten; denn

er war nicht nur ein ser tapferer, sondern auch ein wolredender mann. Drauf hiess er mich niederknienund Bott bitten, dass er mich zu einem rechten manne mache, und kniete selbst neben mich. Nacheinem kurzen gebete stund er wieder auf, zog die klinge aus der scheide und gab mir damit drei tapferestreiche auf meinen naken, zu gottes, des fürsten und aller guten trauen ere und zog mich darauf an

seine brust, wo auch seine tränen aus dem roten harte auf meine Wangen fielen. Ich konnte lange zeitnichts als schluchzen, denn ich war dem gemüte nach noch ein lauteres kind; aber mir war dabei dochals wenn ich die enge) singen hörte, so himmlisch wol. aber die flasche ward auch nicht vergessen, es

fand sich in dem einen papiere auch noch eine Wurst und somit war das reuterfrühstük ganz; was jedervon uns von der alten reichsschazkammer zu erzälen wuste, wurde da vorgebracht, und nach dem wirdie andern beiden burgen auch noch besucht hatten, stiegen wir um die mittagsgloke in die kleinste allerehemaligen reichsstädte, das bescheidene Anweiler hinab, wo unser reuter uns ein gutes mittagsmalbestellt hatte. «

Man darf sich nicht täuschen lassen. Die chronikalisch mittelalterliche Stilisierung, der Urkundenein-

gang, sind kein reines Spiel. Hier drückt sich die Ahnung der erstrebten Umwelt aus, ohne daß sieillusionistisch als ganze erreicht werden soll. So sind auch die modernen Ingredienzien keine anachroni-

stischen Pannen. Das »Schwert« war ein Husarensäbel. Die Glanzlichter des kernigen Militärisch-Mo-dernen legen sich so über den altfränkischen Text und verbinden die Liturgie der Vergangenheit mit demErlebnis der Gegenwart, so wie sich die Männer, die einstmals in Barbarossas Kapelle standen, und dieVorfahren mit dem jetzt lebenden Glied in der Kette verbinden. Der Ritterschlag in der Johannisnacht istdas Erlebnis Laßbergs, das ihn bis ins höchste Alter tief bewegte. Immer wieder nahm er in späterenJahren in Briefen, die er jeweils am 2 4 . Juni schrieb, darauf Bezug, so etwa 1839: »Heute ist ein merkwür-diger, ein teurer und unvergleichlicher tag für mich! diesen morgen sind es 53 iare, daß ich in der KapelleFriedrichs des rotbarts, auf der alten burg Trifels im Wasgau, von meinem mütterlichen oheim Conrad,zum ritter geschlagen wurde. zum 5 3 . male vergegenwärtige ich mir ort und zeit, gesichter und auch die

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JOSEPII VON LASSBERG ALS HANDSCHRIFTENSANIMIER

kleinsten handlungen und umstände, die bei dieser heiligen handlung mir vorkamen, und gottlob! auchheute noch mit derselben lebendigkeit des gefüles als damal. « 3

Das Gefühl bleibt so deutlich wie die Steinmetzarbeit auf dem Trifels, und der rote Bart des geträum-ten Kaisers verbindet sich mit dem des lebenden Oheims. Vielleicht unterdrückt Laßberg auch deswe-gen, daß es sich hier um einen Ritterschlag des Johanniterordens handelt, obwohl das Datum daraufhinweist und Laßberg die Malteseruniform immer gerne getragen hat. In seiner Darstellung findet ein-fach die Initiation in den Ritterstand statt. Symbolisch, aber bald auch rechtlich nachgeholt, als nämlichLaßberg das Schloß Helmsdorf am Bodensee kaufen konnte und damit Mitglied der Reichsritterschaft

wurde, bevor diese mit dem alten Reich zugrunde ging. Laßberg war überzeugt, daß er der letzte gewesensei, der im alten Deutschen Reich den Ritterschlag empfangen habe.

Mit dem Reichsdeputationshauptschluß von i 8o 3 , der Aufhebung des Johanniterordens, der Mediati-sierung der meisten deutschen Fürsten und auch der Reichsritterschaft 1806, kurz: mit dem Ende desalten Deutschen Reiches, schienen diese in der Tiefe der Geschichte wurzelnden Institute vernichtet.Der Wiener Kongreß bot noch einmal die Gelegenheit, ihre Wiederbelebung zu versuchen. So verbandJoseph von Laßberg mit der regierenden Fürstin Elisabeth von Fürstenberg eine Interesseneinheit, als sieauf dem Wiener Kongreß für die Wiederherstellung des alten Adels kämpften. Bekannt ist ja die Szene, inder die Fürstin Elisabeth im Auftrag der mediatisierten Reichsfürsten Kaiser Franz die deutsche Kaiser-

krone antrug. Das Memorandum dazu soll von Laßberg verfaßt worden sein. Dem Adel ging es um dieWiederherstellung eines Reichs, in dem er als Stand eine politische Funktion haben sollte. Als sich derMißerfolg abzeichnete, versammelten sich verschiedene Vertreter des Adels, nicht nur der späteren Stan-desherrn, sondern auch der Reichsritterschaft, also freiherrlicher und gräflicher Häuser, in einem »allge-meinen Adelsverein durch ganz Teutschland, die Kette genannt«, um die alte Stellung, wenn nichtrechtlich, so doch kulturell wiederzuerlangen. Ein Kreis von etwa 50 Personen tagte in Wien bis zumEnde des Kongresses unter dem Vorsitz des Freiburger Freiherrn Carl von Baden. Die eigentliche trei-

bende Kraft jedoch war Joseph von Laßberg.Fast gleichzeitig konstituierte sich in Wien, in der \Vollzeile, wo das Restaurant »Zum Strobelkopf«

lag, ein bürgerliches Pendant, das die wissenschaftlichen Bestrebungen des als hessischer Legationssekre-tär beim Kongreß tätigen Jacob Grimm unterstützen sollte. 4 Es ist die Gesellschaft, die hinter der Absen-dung seines berühmten Circulars »wegen Aufsammlung der Volkspoesie« stand. Zu den Mitgliederngehörten als die beiden letzten Unterzeichner der Gründungsurkunde Joseph von Laßberg und sein ihm

seit der Wiener Zeit verbundener Freund Werner von Haxthausen. Die Bestrebungen der beiden Gesell-schaften, der adligen »Kette« und der bürgerlichen »Wollzeiler Gesellschaft« konvergierten in der Erhal-tung der kulturellen Güter der Vergangenheit. Die eine war mehr wissenschaftlich, die andere mehrstandespolitisch ausgerichtet. Laßberg war in beiden Vereinigungen tätig, und wenn nicht alles täuscht,so trägt der Nachsatz in dem gedruckten Circularbrief sein Gepräge: »N. S. Wir laden Sie noch ausdrück-lich ein, in Archiven und Klöstern Ihrer Gegend nach altdeutschen Büchern und I Iandschriften zu spü-ren nicht zu versäumen, und uns von deren Gelegenheit durch den Unterzeichneten in Kundschaft zusetzen. « s Die Grimmsche wissenschaftliche Intention war nämlich auf die mündlich überlieferte Volks-dichtung von Volkslied über Sage zum Sprichwort gegangen. Freilich, auch Jacob Grimm war bei der

Volksepik auf die schriftliche Fixierung angewiesen. So mußte in dieser wissenschaftlich-standespoliti-sehen Gemengelage ein Ereignis für beträchtliche Aufregung sorgen: das Auftauchen der Nibelungen-

liedhandschrift in Wien.

3 Schupp, Volker: Unbekannte Briefe des Reichsfreiherrn Joseph von Laßberg an Friedrich Carl Freiherrn von und zu

Brenken, in: Westfälische Zeitschrift 128 (1978) 5.11 9-1 59 , hier S.1 46, Nr. 10.

4 Zu den beiden Gesellschaften: Schupp, Volker: » Wollzcilergesellschaft« und »Kette«. Impulse der frühen Volkskunde

und Germanistik, Marburg 1983. (Schriften der Brüder Grimm-Gesellschaft Kassel. 6).

5 Grimm, Jacob: Circular wegen Aufsammlung der Volkspoesie. Wien 181 5 . (Facsimile. Mit einem Nachwort von Kurt

Ranke. Hrsg. von Ludwig Denecke. Kassel 1968).

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VOLKER SCHUPP

Abb. .t:

Jugendbildnis Lallbcrgs (?),um 1790(F. F. Archiv Donaueschingen)

II. Die Erwerbung des Nibelungenliedes

Karl A. Barack, der fürstenbergische Hotbibliothekar und Verfasser des Donaueschinger Handschriften-kataloges hat später aufgrund von hinterlassenen Papieren Laßbergs die Situation dargestellt: 6 »Ich (Laß-berg) befinde mich im Stande, Euer Hochwohlgeboren über die Hohenemser Sammlung betreffendenAnfragen sogleich umständliche, aber leider nicht sehr erfreuliche Auskunft zu geben: Des Namens und

des Stammes des edeln und einst durch Sänger und Helden so berühmten Hauses von Ems lebt Niemandmehr. Vor wenig Jahren starb die letzte Erbtochter, welche an einen Grafen von Harrach in Mähren

verheirathet war und ebenfalls eine einzige Tochter hinterließ, die als Witwe des Grafen Clemens vonWaldburg (Zeiler Linie) gegenwärtig auf ihren Gütern in Mähren lebt, wo sie sich damit beschäftigt, ineinem selbstgestifteten Philanthropin arme Mädchen zu erziehen. Noch bei Lebzeiten der Mutter, einerherrlichen hohen Frau, enthielt der sogenannte Palas zu Hohenems einen großen Reichthum von kostba-

6 Germania 1 o (1865) S. 5 05 - 5 07. Da dieser Text in einer der größeren Öffentlichkeit kaum mehr zugänglichen Zeitschrift1865 erschienen ist, sei er hier wiedergegeben. Er geht auf ein inzwischen nicht mehr existierendes Schreiben Laßbergs anden damaligen badischen Legatiunsrat von Büchler in Frankfurt zurück (> I leiligenberg 3. April 1819«) sowie auf eineberichtigende Beilage Laßbergs zu Albert Schotts Geschichte des Nibelungenliedes. Barack trug diesen Bericht auf derSitzung der Germanistischen Sektion der 2 4 . Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Heidelberg vom27.-30. September 1875 vor. Büchler hatte sich erkundigt, was wohl im Laufe der Zeiten aus den im Schloß zu I lohenemsaufbewahrten, noch vom St. Blasianischen Abt Gerbert in seinen Reiseaufzeichnungen erwähnten deutschen I land-schriften geworden sei.

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.)OSFPT1 VON LASSRFRC ALS HANDSCHRIFTENSAMMLER

rem, altem Geräthe, Waffen, Jagdgezeuge, Gemälden und einer wohlgefüllten Bücherkammer und be-sonders ein Vestiari um, mit Trachten des XIV. bis ins XVII. Jahrhundert angefüllt, welche Sammlung inDeutschland schwerlich ihres Gleichen hatte. Die Tochter entschloß sich plötzlich, die alten Emser Besit-zungen zu verlassen und alles, was einigen Geldwerth hatte, hinweg führen zu lassen. Das Übrige wurdesub hasta verkauft und leider nur in der nächsten Umgehung von Ems die Versteigerung bekannt ge-

macht. So geschah es, daß jetzt der große runde Tisch von schwarzem Marmor, an dem der alten Ritterund Sänger Becherklang und Gesang so oft ertönte, in den Garten des Juden Lazarus Levi zu 1 lohenemswanderte, und daß die Juden des Ortes in der darauffolgenden Fastnacht in den Kleidern der alten Grafen

und Gräfinnen von Ems die Straßen durchzogen. Von den durch die Gräfin in 10 Kisten hinweggeführ-ten Handschriften und Büchern kamen seitdem 3 Stücke wieder zum Vorschein. Um den Ruhm vollendszu begründen, quod in patrios cineres tninx°it % , schenkte sie dieselben (180 7 ) in Prag ihrem Advocaten, demDoctor juris Schuster. Es waren 1. ein Pergamentcodex des Nibelungenliedes, aus dem Ende des XI I.-XIII. Jahrhunderts, also weitaus der älteste unter den bisher aufgefundenen; 2. eine weitere Pergament-handschrift desselben Gedichtes aus dem XIII.–XIV. Jahrhunderte, und 3. eine Handschrift des Barlaamund Josaphat, gedichtet von ihrem Ahnen Rudolf von Ems, nun gleichfalls in 1)onaueschingen. Wie zuvermuthen, waren auch Handschriften lateinischer Classikerdarunter, denn nach Wilkens Aussage besitztdie Berliner Bibliothek einen Sallust des XII. Jahrhunderts aus der Hohenemsischen Bibliothek.Dr. Schuster sandte die beiden Nibelungenhandschriften nach München. Die Münchener zogen, weil die

ältere beträchtliche Hiatus hat, die jüngere vor und gaben 1 Ierrn Schuster Incunabeln dafür. Nr. 1 und 3verkaufte Schuster an einen I Ierr Frikart in Wien, der sie während des Congresses für einen hohen Preisüberall herum feilbot. Einstmals wurde über Tisch bei Kaiser Franz vom Liede der Nibelungen gespro-

chen. Die Kaiserin Marie Louise nahm sich desselben lebhaft an, und da jemand äußerte, daß sich dieälteste, schönste und reichste Handschrift dieses Gedichts in Privathänden zu Wien befinde, auch die k. k.Büchersammlung keine I Iandschrift dieses Nationalepos besitze, ließ der Kaiser den Frikart auf denfolgenden "hag mit seiner Handschrift zu sich bescheiden. Der Kaiser fragte ihn nach dem Preise derselben,und Frikart nannte die Summe von 1000 Stück Ducaten. Nun so gehen Sie zum Ossolinskv (Präses der k. k.

Bibliothek), sagte der Kaiser, und lassen Sie sich eine Anweisung an die I lofkammer geben. Als Frikart dasBuch zu dem Grafen Ossolinskv brachte, machte ihm dieser heftige Vorwürfe über den hohen Preis undstellte sich an, als ob er noch etwas herunter markten wollte, worauf Frikart erwiderte, daß das Buch ja vondem Kaiser selbstgekauft und folglich nicht mehr die Rede vom Handeln sein könne. Ossolinskv wollte ihmhierauf eine Anweisung auf 4500 Gulden in W. Währung, in Papier geben, nach welcher der Verkäufer demdamaligen Curse nach über die Hälfte hätte verlieren müßen. Dies nahm Frikart nicht an und berief sichdarauf, daß er mit dem Kaiser auf Ducaten und nicht auf Papier gehandelt habe. Ossolinskv erwiderte, daß,

so lange die Bibliothek bestehe, noch nie ein Buch für solchen Preis gekauft worden sei, und wenn er es fürdie angebotene Summe nicht ablassen wolle, so könne er es wieder mit fortnehmen, was er auch that.Während des Congresses 181 4 und 1815 traf ich, fährt Laßberg weiter, diese 1 Landschrift überall an, beidem Fürsten von Lippe-Schaumburg, bei der Fürstin von Isenburg, bei Lord Castlereagh, bei LordCathcart. Ich vernahm, daß Friedrich Schlegel für seinen Bruder darum unterhandle (auch von der Hagenwollte sie durch Kopitar kaufen) und endlich durch einen Herrn Eggstein, ersten Commis in der Schaum-

burg'schen Buchhandlung, daß er durch den englischen Lord Spencer Marlborough, bekannten Biblioma-nen, beauftragt sei, die IIandschrift für denselben zu erwerben. Dies war ein Donnerschlag für mich! In

einen englischen Büchersaal, über dessen Thüre geschrieben steht, was Dante von der Thüre der Hölleberichtet, sollte der Codex kommen ! einem britischen Knochenvergraber sollte er zu Theil werden, und für

Deutschland, für unser Schwabenland auf ewig verloren sein! Nein, dachte ich, ehe ich dies zugebe,verkaufe ich mein letztes I Iemd. Ich stellte Herrn Eggstein Himmel und Hölle vor, und war so glücklich,sein Herz weich zu machen. Er versprach mir bei meiner Abreise (2o.Juni 181 5 ), wenn der Handel zuStande komme, mir den Vorzug zu geben, und wenn ich ihm binnen drei Wochen den ausgehandelten Preissende, mir die Handschrift zu übermachen. Es war Ende der Fastenzeit, als Eggstein mir schrieb: Der

I-Ioraz, Ars poetica V.471.

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VOLKFR SCHUPP

Handel ist richtig, und wenn Sie mir binnen drei Wochen 250 Speciesducaten übermachen, so ist dieI Iandschrift Ihr Eigenthum. Das war nun gut! Aber die 250 Ducaten hatte ich nicht, und das war nicht gut;denn die Zeit war kurz und der Weg nach Wien ziemlich weit. Indessen steckte ich meinen Brief ein undgieng hinab zur trefflichsten der Fürstinnen (Elise zu Fürstenberg), denn es war Frühstückens Zeit. Nacheiner Weile hub die beste aller Frauen an und sagte: Sie haben etwas, das Sie bekümmert, was mag das sein

Wie bekannt, wurde der Erwerb durch die Munificenz der Fürstin ermöglicht und die Handschrift für

Deutschland gerettet. Von Laßberg kam die I Iandschrift mit der ganzen Laßberg'schen Bibliothek inFolge Kaufvertrags vom 2. November 18 53 , nachdem ihm die Benützung der Sammlung bis zu seinem

Lebensende gestattet worden war, nach dessen Tode im Jahre 1855 in die fürstliche Hofbibliothek zu

Donaueschingen.«

III. Die Entwicklung der Sammlung

Nach dem oben Ausgeführten muß man annehmen, die politische Absicht, den Adel durch Bildung

kulturell wieder zu einem geachteten Stand zu heben, sei Grundlage und Motiv von Laßbergs Hand-schriftensammlung. Das ist auch nicht falsch, denn schriftliche und sachliche historische Denkmäler zusammeln und zu konservieren gehörte tatsächlich zum Programm der » Kette «. s Ein zweites Motiv für

Laßberg, sich mit Handschriften zu beschäftigen, ist nach allgemeiner Ansicht die glückliche Erwerbungdes Nibelungenliedes auf dem Wiener Kongreß. Wo einmal ein so renommiertes Stück war, mußten jadann noch weitere dazukommen. Auch das ist richtig, aber es muß präzisiert werden. Beide Ereignissestehen in einem Kontext politischer Umwälzungen, die Leben und Stand Laßbergs und der Familie, derer ergeben war, nachhaltig verändert haben. »... Schon von meiner zartesten Kindheit an, ward ichgewöhnt, die Schicksale dieses Fürstenhauses als meine eigenen anzusehen und – ich darf es mit gutem

Gewissen sagen – tiefer als meine eigenen zu empfinden. «9

Man muß weiterhin bemerken, daß der junge Laßberg schon vor dem spektakulären Ankauf des Nibe-lungenkodex Handschriften kaufte, verschenkte und sich schenken ließ. Bemerkungen darüber hat er nur

wenige hinterlassen, so daß wir von hier aus eigentlich keine Geschichte der Laßbergschen Handschriftenschreiben können, aber es gibt einige Ausnahmen, die vielleicht auch für noch mehr Fälle stehen. Als22jähriger bekam er von seinem lebenslangen Freund und nachmals berühmten Freiburger ProfessorLeonhard Hug, einem der ersten, der sich an der Freiburger Universität um mittelalterliche Literaturkümmerte, die Handschrift »Christus und die minnende Seele« (Ms. 106). 1« Umgekehrt hat Laßberg

1 793 in einen Codex des Johannes Cassianus seinen Namen eingetragen und im folgenden Jahr hinzuge-fügt: _ osephus Laspergius suo Leonardo Jlugio 1794. Dabei hat er nicht bemerkt, daß in dieser I Iandschrift

althochdeutsche Glossen enthalten waren, die seither auch herausgegeben worden sind." Sie gehen invielen lateinischen Glossen der selben Tinte unter. Es ist also damals wohl nur die Lust an einem altenCodex, nicht etwa das Sammeln der »Trümmer unserer ältern Sprache«", die ihn leitet. Und nochschöner drückt sich diese Freundschaft aus in dem Geschenk eines Alten Testaments, eines kleinen Büch-leins des 1 3 . Jahrhunderts mit winziger Schrift auf feinem Pergament: Accipe charissime Leonarde! in Pignus

amicitiae Biblia(m) Mann scripta(m) d tuo Josepho de Lasberg. Helmsdorf i 1800.' 3 Wahrscheinlich besaß er auch

8 Schupp: »Wollzeilergesellschaft« (wie Anm. 4), S.22f.

9 In einem Entlassungsgesuch aus gesundheitlichen Gründen vom 30. April 181 7 . Fürstlich Fürstenbergisches Archiv

Donaueschingen (künftig: FFA), La 27.

10 S. Eintrag in der I Is.; vgl. Altgraf zu Salm, Christian: Laßberg als Kunstsammler, in: Bader, Joseph von Laßberg (wie

Anm. 1), S.69. – S. hier Kat.-Nr. 33.1 1 Die Althochdeutschen Glossen. Gesammelt u. bearbeitet von Elias Steinmeyer u. Eduard Sievers. Berlin 1882. Bd. 2,

5.155 (DCXIII), S. 247 (DCLXII).

2 An Wvss, i i . 5 . 1822, in: Bloesch, Hans: Aus der Frühzeit der Germanistik. Freiherr von Laßberg und Joh. Rud. Wyss

d.J., in: Festschrift Samuel Singer. Hrsg. v. I larry May-nc. Tübingen 1930, S.57

13 Beide I Iandschriften sind mit dem Nachlaß Hug an die Universitätsbibliothek Freiburg gekommen, vgl. Hagenmaier,Winfried: Die lateinischen mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau (ab Hs.

2 3 1), Wiesbaden 1980, I Is. 380 und 382.

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JOSEPH VON LASSBERG ALS HANDSCHRIFTENSAMMLER

schon vor der Reise nach Wien die Handschrift, die von seiner Textedition den Namen » Liedersaal-1 landschrift« bekam. `4

Nenn also der drohende Verkauf des Nibelungenliedes ins Ausland ihn tatsächlich aufrüttelte sokonnte dies nur sein, weil Handschriften ihm bis dahin nicht ganz unvertraut waren. Für die Zeit »nachdem Nibelungenlied« nehmen die Nachrichten Tiber Handschriftenerwerbungen etwas zu, bleiben aber

doch so dürftig, daß sich kein befriedigendes Gesamtbild aus ihnen gewinnen läßt. Eine der nächstenErwerbungen ist eine schön illuminierte Pariser Handschrift – Totenofficium und Stundenbuch etwavon 1 4 20/ 3 0, die ihm die Fürstin Elisabeth am to. November 1816 in Heiligenberg als Geschenk über-

reichte.' s Aber solche Zugänge spiegeln eher die Zufälligkeit des Marktes oder die Interessen der Schen-kenden als die des Sammlers.

Es ist jedenfalls nicht so, wie man zunächst meinen könnte, von dein Erlebnis des Nibelungenliedes herhabe sich Laßberg zum Handschriftensammler entwickelt und immer mehr und mehr erworben, bis er imJahre 1853 seine ganze Sammlung an den Fürsten von Fürstenberg verkaufen konnte. Daß LaßbergsHandschriftensammlung Veränderungen unterworfen war, dieses Schicksal teilte sie mit seinen übrigen

Sammlungen, zumal auch Handschriften gegen andere Objekte ausgetauscht werden konnten.' 6 Leidergibt es kein die Sammlungsbewegungen begleitendes Inventarverzeichnis. Es gibt aber den Catalogus

BibliothecaeLaszber ianae, der am Ende der Titel-Aufstellung von Laßberg, dem Freiherrn von Pfaffenho-

fen als Beauftragten des Fürsten von Fürstenberg und einem Dritten unterzeichnet, den V"erkaufsab-schluß von 185 3 dokumentiert.

Dieser Katalog der Laßbergschen Handschriftensammmlung und Bibliothek, zu dessen Erstellung jaLevin Schücking nach Meersburg eingeladen wurde – ein Vorgang, der wegen seiner Bedeutung fürAnnette von Droste-Hülshoffs Lyrik nach 18 4 1 für die neuere deutsche Literatur so wichtig ist, wie dieLaßbergsche Handschriftensammlung für die ältere–, war längere Zeit in Arbeit. Schückings Anteil ist nur

nicht genau fixierbar. Wahrscheinlich hat er die Systematik entworfen, die in einer Kladde in Laßbergs Per-sonalakte ohne Ausfüllung mit Handschriften enthalten ist. Sein Name steht in gotischer Minuskel auf demDeckelblatt, ähnlich der Schrift auf dem Rückenschild des Laßbergschen handschriftlichen Kataloges.

Die Nummern dieses Kataloges, soweit die I Iandschriften von Barack schließlich für aufnahmewürdigangesehen worden sind, sind den Nummern des Donaueschinger Handschriftenkataloges hinzugesetzt,jeweils mit einem großen beigefügten h.' % Nehmen wir diese Aufstellung als den einen festen Punkt undfragen wir, was von den verschiedenen zu einem gewissen Zeitpunkt nachweisbaren Handschriften die-sen Zielpunkt noch erreicht hat und was eben nicht, so läßt sich doch eine "I"endenz ablesen, in die sich dieübrigen Handschriften einfügen.

Das Glück will es, daß drei weitere Verzeichnisse existieren.

1.Im Jahre 1840 hat der Leipziger Professor Gustav Friedrich Hänel eine Liste veröffentlicht, » Hand-schriften der Bibliothek des Freiherrn von Lassberg zu Eppishausen am Bodensee«. Er will sie von dem

»leider früh verstorbenen Dr. Maier in Tübingen« erhalten haben.'" Laßberg wird sich über das Erschei-

1 4 Barack, Nr. 104 , L. 177; vgl. VL' 5 ( [ 98 5 ) Sp. 818-822. Nach Laßbergs brieflichen Angaben vorn B. April i 816 ({dunna

und 1 Iermode 5 (1816) S. 72) kommt der Codex aus dem Besitz der Grafen von Helfenstcin, deren Sammlung in der

Donaueschinger aufgegangen ist (vgl. Johne, Eduard: Die alten Kataloge der Fürstlich Fürstenbergischen { lolbibliothek

in Donaueschingen, in: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Buchwesen und Schrifttum 4 (1 9 2 1) S. 5 8- 7 8, hier

S.62 f.). Jacob Grimm gegenüber erwähnt er in Wien eine »noch ganz unbekannte I landschrift ylinnelieder aus Donau-

esehingen«, Jacob an Wilhelm Grimm 10. 2. 1815 (s. Briefwechsel zwischen Jacob und Wilhelm Grimm aus der _lugend-zeit. Hrsg. von Herman Grimm und Gustav Hinrichs. 2. Auflage von Wilhelm Schoof. Weimar 1 96 3 , 5. 4 1 3 ). Wenn

auch diese Angabe nichtgerade das Profil der I landschrift trifft, scheint sie mir doch gemeint zu sein. Der damalige oder

baldige Besitzer kannte sie noch nicht gut genug. – S. auch Kat.-Nr. 23.

15 1982 versteigert, s. Sotheby's Donaueschingen, Nr. 1 4 (Barack, Nr. 334).

16 Salm (wie Anm. lo), S. 81.

1 7 In einigen Fällen ist das 1.. vergessen worden, so Barack, Nr. 7 2, r w, 16 7 , 573.

18 Archiv für Philologie und Pädagogik 6(1840) S. 460f. – Es ist derselbe Hofrat 1liinel, dem Laßberg selber mittelalterli-

che Bibliothekskataloge zur Publikation schickt, vgl. Brief an J. Grimm, 2 9 .1 lornung 1840, Nr. 2 9 , in: Leitzmann (wie

Anm. 2), S. 1093 f. Der Katalog der Konstanzer Dornbibliothek vorn Jahre 1 343 erschien in: Serapeum. Zeitschrift für

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VOLKER SCHUPP

nen dieser Liste nicht sehr gefreut haben, wie er sich schon zehn Jahre früher über Häncls Arbeitsweisesehr abfällig geäußert hatte'9 , denn von den io aufgeführten Handschriften dürften ihm zum Zeitpunktder Publikation der Liste allenfalls noch 4 gehört haben. Die Liste umfaßt vor allem lateinische Autoren:

. Sedulius, Carmina

2. Sueton, de kll Caesaribus

3. Cicero, de ftnibus bonorumg. Boethius, de consolatione

sowie einen Schwabenspiegel und ein Sacramentarium des 9 . Jahrhunderts. Bei Nr. 7 handelt es sich um°uintilian, de Instilutionibus oratoriis; es folgen B. Titus Livius, y. die Chronik des Jakob "Iwinger vonKönigshofen und als zehntes noch ein Necrologium et Martyrologium des 12. Jahrhunderts.

Von diesen I Iandschriften lassen sich die meisten mit einiger Sicherheit identifizieren. Das Sacramen-tarium Nr.6 ist Barack Nr. 1 9 1 (L. 1), das Necrologium et Martyrologium meint eine der drei OttoheurerHandschriften Barack Nr. 6 53 -655 oder die ganze Gruppe" (L.93; L. 7, 9 1 u. 9 2; L.6), Twinger vonKönigshofen ist Barack Nr. 5 1 3 (L. 95). Die übrigen kommen in Laßbergs späterem Katalog, von dem

gleich noch die Rede sein wird, nicht mehr vor. Und das scheint uns gerade den Erkenntniswert der Listeauszumachen: nicht daß sie zeigt, ab wann Laßberg etwas schon gehabt hat, sondern was er später nichtmehr in anderen Listen aufführt.

Was sollte also die Liste? Laßberg hat zu diesem Zeitpunkt, der ja etliche Jahre vor 18 40, nämlichzwischen 1825 und 1 830 liegen muß, auch noch andere I Iandschriften besessen, die hier nicht genanntsind. Könnte es sich um eine Verkaufsliste handeln? In der "1'at hat er ja die meisten Handschriftenabgestoßen. Der Gedanke widerstrebt einem etwas bei der Chronik des Jacob Twinger, wo ein Verkaufnicht zu laßbergs Interessen passen würde.

2. Nun hat nach einer Angabe des Altgrafen Salm im selben Jahr 1840, in dem diese Liste zwar nichtentstanden ist, aber publiziert wurde, Gustav Schwab in seinem Bodenseebuch einen Besuch in Meers-burg geschildert, und er bringt dort »im Anhang einen Katalog von Laßberg's Handschriften, den ersten,

den wir besitzen. « 2 ' Tatsächlich steht der Katalog aber bereits in der Auflage von 182 7 , ist 1 840 alsoebensowenig aktuell wie I Iänels Liste. 1 82 7 hingegen stellt er einen realistischen Cberblick über Laß-bergs Bibliothek dar. Er enthält nämlich außer dem oben Aufgeführten noch pauschale Angaben zulateinischen geistlichen und eine ganze Reihe von deutschen Handschriften. Bei den lateinischen Werken,kommt zu dem einen Band Cicero noch ein zweiter mit dem Laelius und de senectute (g), mit der Bemer-kung, die Schrift habe große Ähnlichkeit mit dem »von Petrarca geschriebenen Virgil auf der Ambro-siana«. Es folgen noch zwei weitere Handschriften, (h) Ptolemaeigeographica, latina versa (Anf. 1 S. Jh. ․ )

und (i) Juvenalis Satyrae (1 3 .Jh.). Der Juvenal dürfte die heutige Freiburger Hs. 43 y sein, jedenfallskommt er später weder bei Laßberg noch in Donaueschingen vor. I)ie Ptolemaeus-Handschrift entgingdem Verkauf wahrscheinlich weniger wegen der deutschen Notiz über die sieben Kurfürsten (fol. 1), alsweil es sich um das Geschenk eines hreundes handelte." Der zweite Cicero-Codex schließlich, dem

Bibliothekswissenschaft, I Iandschriftenkunde und ältere I.iteratur 4(184o) S. 49-58. Um so verwunderlicher ist es, daß

I länel hier die nicht mehr aktuelle Liste eines Dritten publiziert. – Ein weiterer Bibliothekskatalog »einer Büchersamm-

lung des neunten Jahrhunderts«, den Laßberg publizierte, s. Mone, Franz. Joseph, in: Anzeiger für Kunde der teutschen

Vorzeit 7(18 3 8) S.416-42o.

19 Briefwechsel zwischen Joseph Freiherr von Laßberg und Ludwig Uhland. Hrsg. von Franz Pfeffer. Wien 1870, S. 171,

Nr. 66, Brief vom 29. Mai 1830.

20 Der I Iintergrund für Laßbergs Kaufmöglichkeiten ist skizziert bei Hauke, 1'ermann: Die mittelalterlichen 1landschrif-

tcn in der Abtei Ottobeuren. Wiesbaden 1974, S. 8f. Im Augenblick ist es nicht möglich, beide zu verbinden. – S. auch

Kat.-Nr. 4-6.21 Salm (wie Anm. io), S. 78. Gemeint ist die Auflage von 18 40 des Buches »Der Bodensee nebst denn Rheinthale von St.

Luziensteig bis Rheinegg«.

22 Barack, Nr. 475 (L. 99 ). Auf dem 1. Blatt Eintrag von Laßbergs Iland: Ex dono Vir: dar: Job: Casp: Lellweger. Aaroviae

XIV fanuarii 1822. Jos: Laßbergius. Wie in Laßbergs späterer Liste nennt sich das Werk Cosmographia (fol. 200` ). Von

Zellweger bekam er auch am 18. 1. 1822 den Codex Barack, Nr. 167 (l,. 79 ). Zu dessen Person s. I 'arris (wie Anm. 1),

S.39of.

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JOSEPH VON LASSRERG ALS HANDSCHRIFTENSAMMLER

Laßbergs besondere Wertschätzung gegolten hatte, ist erst 1 982 versteigert worden.' 3 Bis dahin zierte erdie Donaueschinger Handschriftensammlung und trug ein Notizblatt Laßbergs in sich, mit der Bemer-

kung, daß er ihn wegen der Schreiberinitiale FR und wegen der ,Ahnlichkeit mit der Vergilhandschrift,die er in der Ambrosiana gesehen hatte, für ein Autograph Petrarcas hielt. Er habe sie 1808 in Mailand

gekauft, ubi multa tunc antiquitatis cimelia prostrabant. 24

Die übrigen lateinischen Klassiker hat Hug wohl um 18 3 0 Laßbcrg abgekauft, wozu gut paßte, daßeinmal 1825 Schwab hei seinem Besuch in Eppishausen eine Bestandsaufstellung bekommen hat' s unddaß bald danach eine Auswahl daraus hätte zum Verkauf freigegeben sein können, aber jedenfalls viel

früher als dem Publikationsjahr 18 40.' 6 Diese Auswahl stellt in sich einen einigermaßen geschlossenenKomplex von Handschriften dar, den Laßberg wohl aus Mainz erworben hat.27

Pauschal und als merkwürdig unwichtig tut Schwab (oder Laßberg?) die geistlichen Handschriften ab,

dabei gehören doch so bedeutende Stücke zur Sammlung wie das (heutige) Freiburger Pontifikale 363( 9 .P.) aus der Umgebung von Basel und das ehemals Donaueschinger Pontifikale (Barack Nr. 192,

L. 2). 28 Das wird auch mit dem Zielpublikum des Reisebuches zu tun haben, das sich mehr für die

deutschen Texte interessiert haben dürfte.29An deutschen Handschriften besitzt der »Junker Sepp von Eppishausen «, wie sich Laßberg damals zu

nennen beliebte, im Jahre 1825, in dem eben Schwab den Besuch machte, nach dieser Liste etwa 20

Stück. Der Liedersaal-Codex fehlt vielleicht deswegen, weil Laßberg ständig an ihn arbeitete, hei »Chri-stus und die minnende Seele« (Barack, Nr. io6) kann ich mir keinen Grund denken. Ein Text wird ausVersehen aufgezählt: »(p) Gahriel von Montavcl « ( I 5 . Jh. ) gehört der FF Bibliothek. Laßberg hat ihn wohl

gerade in Gebrauch, d. h. er schreibt ihn ab. 3 ° Insgesamt enthält die Liste aber die wichtigsten Hand-

23 Sotheby's Donaueschingen, Nr. 16.

24 Da die I landschrift nicht mehr zugänglich ist, kann nur vermutet werden, daß die Jahreszahl 1808 auf einem Versehen

beruht. Eine Reise nach Mailand ist aber für 1818 nachgewiesen, wohin die Fürstin Elisabeth in einer Gruppe von acht

Personell Ende Oktober von Eppishausen aus aufbrach. In Mailand war man auch in der Ambrosiana. » Von den vielen

landschriften erwähne ich nur einen Codex purpureus von hohem Altcrthum und den Virgil von Petrarcas 1 land.

Auch eigenhändige Briefe desselben an die angebetene Laura zogen meine Aufmerksamkeit auf sich.« Elisabeth von

Fürstenberg: Erinnerungen einer Reise aus dem Stegreif im I 'erbst 1818 (Barack, Nr. 49 2, in der Abschrift, S. 122 f.).

25 Der Briefwechsel mit Uhland belegt, daß Schwab im I lerbst 182 5 bei Laßberg gewesen ist. Der Brief 28 Uhlands vom

26. 9 . 1828 kündigt ihn an, in: Pfeiffer (wie Anm. 19), S. 57; Ilarris (wie Anm. 1), S. 366.

26 Am B. 3. 18 37 schreibt I I. Meyer-(Ochsner) aus Zürich (1 larris [wie Anm. 1], Nr. 2 5 66), er habe 1829 den »Codex des

lieben Quintilianus« geholt, »dessen 1 lerausgabe aber nachher durch die Schuld eines verwünschten Buchhändlers erst

verzögert und nachher aus Ärger von mir aufgegeben wurde.« Zu diesem Zeitpunkt war der »liebe« Quintilian Eigen-

tum des Leonhard Flug. Meyer wird im Brief (Nr. 12) an Jacob Grimm vom 14. August 182 9 , in: Leitzmann (wie

Anm. 2), S. Io6o, erwähnt.

2 7 I lagenmaier, Winfried: Johann Leonhard Flug als Elandschriftensammler, in: FI)A 100 (1 980) 5. 487-500. Was offen-

bar für die Suetonhandschrift feststand – jedenfalls behauptet es der I Ierausgeber C.L. Roth: C. Suctoni 'l.ranquilli

y uae supersunt omnia, 1,eipzig 1898, S. XXXI, Anm. 21 – und von Ilagenmaier für die übrigen Ilumanistencodices

wegen gemeinsamer äußerer Merkmale erschlossen wurde, erheben die beiden Bücherlisten nun zur Gewißheit. Der für

die Freiburger IIss. als Vorbesitzer ermittelte kurmainzische Bibliothekar Franz Joseph Bodmann (17 54 -1820), eine

Persönlichkeit nicht ganz durchsichtigen Charakters, kommt sonst bei Laßberg nicht vor. Es kann also auch nicht gesagt

werden, ob Laßberg die 1 landschriften unmittelbar von Bodmann erwarb.

28 Beiden hat Max Josef Metzger eine eingehende Untersuchung gewidmet: Zwei karolingische Pontifikalien am Ober-

rhein. Freiburg 1 9 1 4 . Danach ist das Donaueschinger Pontifikale unter Salomo III. (890-919) in St. Gallen für die

Konstanzer Bischofskirche geschrieben worden. In dem von Laßberg publizierten Katalog der Konstanzer Dombiblio-

thek (wie Anm. 18) scheinen beide nachweisbar (Metzger, S. 40 f.). Donaueschingen 192 ist bei Sotheby's 1 982 als Nr. 5

versteigert worden. Die Freiburger Handschrift hat Laßberg, wie ein Zettel in der Donaueschinger 1 landschrift aussagt,

an I lug geschenkt. » 1828. 24 . Ale Leonardo Hugio dono rnisi ad Fribulgan Brisgoviae« (Metzger, S. 2).

2 9 Mit Ausnahme einer »in Italien« geschriebenen Bibel aus dem 1 3 .Jh., die Laßberg in Stuttgart am 28. April 18 19

erworben hatte. Sie war vorher im Besitz der Kartause Salvatorberg bei Erfurt. (Barack, Nr. 1 77 , L. 8; Sotheby's,

Donaueschingen, Nr. 12).

30 Barack, Nr. 86, vgl. die Liste Codices Manuscripli, Nr.83, wo Laßberg die Provenienz ausdrücklich anführt. Laßberg

berichtet erstmals an Uhland über den Fund am 2 3 . September 1820, in: Pfeiffer (wie Anm. 1 9 ), S. 1 4 , Nr.6. Zum

Leidwesen Jacob Grimms ließ er das Werk, den »ritter mit dem bock«, einen späten Artusroman, in dem der Bock des

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Abb. 5: Laßbergs Liste seines Handschriftenbesitzes, um 1840 (F. F. Archiv Donaueschingen, Personalakte J. v. Laßberg)

schriften, die den eigentlichen Ruhm von Laßbergs Sammlung ausmachen, das Nibelungenlied selbstver-ständlich, die Handschrift von Rudolf von Ems' »Barlaam und Josaphat«, die Laßberg für ein »Autogra-phon « hält – ein eingelegter Zettel begründet dies — 3 ', eine Parzival-Handschrift des 15. Jahrhunderts 32,

die »Jagd« des Hadamar von Laber und die »Minneburg«. Später nicht mehr vorhanden und heute wohl

in Freiburg ist »(d) Karl der Große von Stricker. Aus dem 1 5 . Jahrh. Folio«. Daß er diesen auch an Huggegeben haben sollte, verwunderte einigermaßen, hielt er doch sonst die deutschen Handschriften zusam-men, und gerade dieses Werk schrieb er teilweise »aus dem St. Galler Kodex der auch das Nibelungenliedenthält« ah.33 Vermissen wird der Laßbergkenner noch den »Wasserburger Codex «, den Laßberg erst indiesen Jahren »aus der Gefangenschaft erlösen« kann 34 , und den Prosa-Lancelot.35

Aber es gibt noch eine weitere Inventarliste.

3. In der Personalakte liegen heute noch zehn Blätter von Laßbergs Hand, die Codices manuscripti über-schrieben, durchnumeriert und abgeschlossen, aber leider undatiert sind. Bis in die Mitte von S. 3

I leiden Gauriel den Sieg über lweins Löwen davonträgt, dann liegen (Baier, Rudolf [1 lrsg.]: Briefe aus der Frühzeit derdeutschen Philologie an Georg Friedrich Benecke. Neudruck Wiesbaden 1966, S. 7 2; Brief vom 31. 12. 1826) und sahden Druck erst wieder für den 5. Band des »Liedersaals« vor, zu dem es dann nicht mehr kam (an J. Grimm, 9.8. 1847, in:Leitzmann [wie Anm. 2], S. 1099, Nr. 32. Nachtrag v. Schulte-Kemminghausen [vgl. Anm. 1], S.782). Die Abschrift zum»Gauriel « wurde 18 5 8 an das Germanische Museum in Nürnberg gegeben, vgl. Barack, Nr. 86. Das Werk erschien erst1885: Khull, Ferdinand (I Irsg.): Gauriel von Muntabel. Eine höfische Erzählung. Aus dem 1 3 . Jahrhundert. Graz 1885.

31 Barack, Nr. 473. Dort auch die Widerlegung der These durch Franz Pfeiffer.32 Über ihre Provenienz ist bisher nichts Näheres in Erfahrung gebracht worden. Kreye, George: Die Parzivalhandschrift

G` (Donaueschingen Nr. 70). Diss. phil. München. New York 1 94o. (New York University. Ottendorfer MemorialSeries of Germanic Monographs, 25), S. 2.

33 So Laßberg eigenhändig. – S. Barack,Nr. 72. Hagenmaier (wie Anm. 13) zu Freiburg Nr. 362 bes. S. 81 und Bd. I, 4,S. XXIi f. Die Liste Schwabs kann den von i lagenmaier vermißten Nachweis, Laßberg sei der ursprüngliche Besitzergewesen, deswegen nicht erbringen, weil i,aßbcrg auf eine Anfrage Uhlands am 2 9 . 5 . 1830 über die beiden Sankt GallerStrickerhandschriften schrieb, seine selbstgenommene Abschrift zur Benutzung anbot, einen eigenen Codex jedochnicht erwähnte, in: Pfeiffer (wie Anm. 19), S.172, Nr. 66. Die Handschrift wird also auf die Liste gekommen sein, weilsie gerade von Laßberg benützt wurde.

34 Pfeiffer (wie Anm. 1 9), S. 124f.i5 Bei den Glasgemälden erwähnt Schwab eine Abbildung vom Schwank »von dem ritter mit der birne«. Gemeint ist diu

halbe bir (Gesamtabenteuer. Hrsg. v. Friedrich Heinrich von der Hagen. Bd. 1. Stuttgart/Tübingen 1850, S. 207-224),von der man gerne wissen wollte, wohin sie gekommen ist.

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JOSEPH VON LASSBFRG ALS HANDSCHRIFTF.NSAMMLER

(Nr. 26) sind sie sorgfältig mit Tinte und in Auszeichnungsschrift geschrieben, dann folgt eine längerePassage mit Bleistift. Beim Neueinsetzen der Tinte bleibt die früher verwendete Auszeichnungsschriftaus. Die Liste enthält 100 Handschriften. Bisher ist es mir gelungen, ihre Entstehungszeit auf einenZeitpunkt vor 18 4 1 – in welchem Jahr I,aßberg eine (noch nicht genannte) Taulerhandschrift erworbenhat 36 – und nach 1831, wegen des von Laßberg selbst abgeschriebenen Liederbuches der Klara Hätzlerin(Ms. 8o), einzuengen. Man wird also nicht fehlgehen, diese Liste als das »verzeichnis meiner handschrif-ten« anzusehen, von dem er Jacob Grimm am 2 9 . Februar 1840 schreibt, und hat damit einen ziemlichscharfen Trennungsstrich für den Handschriftenbestand in Laßbergs Besitz. Freilich wird wegen der

Rundzahl ioo das eine oder andere, das vielleicht nicht so würdig war, in das erste Zentenar der Manu-skripte aufgenommen zu werden, auch fehlen dürfen, obwohl es bereits erworben war.3 7 Aber das betrifftkaum bedeutendere Fälle3 8 oder gar eine größere Anzahl.

Überprüft man den Inhalt dieser Liste, so fällt auf, daß die lateinischen Autoren der publiziertenZehnerliste (Hänel) nicht mehr vorkommen. Ciceros Laelius (Nr.41) und Ptolemaeus' Cosmographia, de-ren besondere Wertschätzung begründet werden konnte, sind die einzigen antiken Texte. Ansonstenverteilt sich der Bestand auf zehn Nummern lateinische I Landschriften, von Nr. io an vor allem deutscheHandschriften, darunter als Enklave die Nummern 60-64, die schon in Schwabs Liste (als Nr. 3 ) ge-nannten arabischen und persischen Handschriften sowie ein lateinisches Gebetbuch mit französischenGebeten.i 9 Die arabischen Handschriften bot Laßberg Johann Andreas Schmeller zum Ankauf für dieMünchner Staatsbibliothek an, doch kam der nicht zustande. 4° Die Nummern 65-68 schließlich bildenWappenbücher, die nicht nur dem adclsbewußten Kettenbruder ein wichtiges Hilfsmittel bei der Erstel-lung von Familiengeschichten abgeben mußten, sondern auch für die im »Dichterbuch« (s. u. S. 27)geplanten Artikel über die deutschen Dichter des Mittelalters die nötige heraldische Ergänzung erlaub-ten. Die bedeutendsten dort abgezeichneten Wappen stammen jedoch nicht aus eigenem Besitz, sondernaus dem Wappenbuch des Ritters Conrad von Grünenberg, auf das ihn Schmeller aufmerksam machte.4'

Laßberg dürfte Grünenberg schon gekannt haben, denn die Wappenzeichnungen des »Dichterbuchs«entstammen der Berliner Handschrift, die sich damals im Besitz von Laßbergs Bekanntem Dr. Stanz

befand. 42 Laßberg seinerseits schickte Notizen über Grünenberg, die Schmeller in seinen Katalog auf-nehmen wollte. 43 Möglicherweise ist Laßberg der erste, der das \Vesperbühler Adlerkopfwappen mitHartmann von Aue in Zusammenhang bringt – ein bis heute ungelöstes Problem.

Die bekannten deutschen Handschriften aus dem Katalog von 1825 kehren alle wieder. Sie sind nun

vermehrt um eine ganze Reihe von geistlichen und historischen Texten, die besonders ein regionales

36 I larris (wie Anm. 1), S. 1 9 ; vgl. Barack, Nr. 293 (L. 18).

37 Zum Beispiel das kleine Roßarzneibuch von nur Io 1311. mit einem Gedicht auf die I I1. Jungfrau Maria (Barack, Nr. 82,

1,. 67). Von Uhland hatte er am 28. Nov. 1828 erfahren, daß der Buchhändler Koller in London »dieses seltene Kabinen-

stückchen « gern gegen den »Liedersaal« tauschen würde, in: Pfeif fer (wie Anm. 1 9 ), S. 104 . Laßberg ist gleich skeptisch

(2. Dez. 1828, S. 109), will aber das Manuskript kommen lassen. Dann ist er enttäuscht (29. Jan. 1830) und will es

zurücksenden. »Mein Liedersaal ist nicht so wohlfeil« (S. 153). Vielleicht hat er die Rücksendung zu lange aufgescho-

ben, jedenfalls bleibt das Manuskript, offenbar wenig geliebt, in seiner Sammlung.

3 8 Am ehesten wäre hier an das and. Fragment vom » Merigarto« (Donaueschingen A I1I 57) zu denken, das von I Ioffmann

von Fallersleben in der F. F. Bibliothek in Prag entdeckt, 18 3 5 vom Fürsten Carl Egon Laßberg geschenkt wurde. Vgl.

I larris (wie Anm. 1), S.57. – Kat.-Nr. 16.

39 Barack, Nr. 334 (L. 9); 1982 verkauft (Sotheby's Donaueschingen, Nr. 14).

40 Zur Geschichte der deutschen Philologie, Briefe an Joseph Freiherrn von Laßberg, V. Briefe von Johann A. Schmeller

(1830-1849), in: Germania 13 (1868) 5.499, Nr. 3, Brief vom 2. /3. 9 . 1831.

4 1 Zu Grünenberg vgl. VV 3(1981) Sp. 289. Schmeller (wie Anm. 4o), Brief Nr. 1 vom 18. 11. 18 3 0, S. 497 f. Es handelt

sich um Cgm 145.

42 Faksimile dieser Handschrift: Stillfried-Alcāntara, Rudolf. M. B. und I Iildebrand, Adolf M.: Des Conrad Grünenberg,Ritters und Burgers zu Costenz, Wappenbuch, vollbracht am nünden Tag des Abrellen, do man zalt tosend vierhundertdrii und achtzig jar. Bd. I–I1. Frankfurt am Main o. J. [1875-8 3]. Die Angabe zur Herkunft: Bd. 1, S. VII. – Zu Dr.Ludwig Stanz (18o1-1871) s. Harris (wie Anm. 1), S.371 f.

43 Brief Nr. 3 , Cristnacht 18 3 0, ebd., S.498; Brief Laßbergs vom 3 . 12. 1830, offenbar noch nicht wieder aufgefunden,

fehlt bei Harris. Die Angaben verwendete Graf Stillfrid-Alcāntara in seiner Einleitung, Bd. I, S. VII.

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VOLKFRSCnUPP

Interesse, etwa für die Schweiz befriedigen können. Und vermehrt sind sie jetzt tatsächlich um Nr. 23:

»Cod. chart. 4 22 Seiten in Folio. gegen die mitte des XV Jahrhunderts geschrieben. Inhalt: ein teutscherLanzelot in prose, an dem wahrscheinlich der erste und dritte teil feien« – sie ist nach einem Eintrag am»III mav 1828« nach Eppishausen gekommen – und Nr. 2 5 : »Codex membranaceus Sec. XIII exeuntis.in folio. enthaltend: Wilhelm von Orlenz, ein Gedicht von etwa i6000 Versen, von Rudolf v. Ems,dienstman zu Montfort, 88 Seiten iede zu drei Spalten. Eine Infantia Christi, ein gedieht von 3 047 versen,von Conrad von Fuozilbrunncn (sie). Der Tod und die Himmelfahrt mariae, ein Gedicht von dem PfaffenConrad geborn von Himelfurte, hat 110 4 verse. Der Rise Sigenot und das EggenLiet, von Heinrich vonLinowe 3170 Verse. Die ganze handschrift hat 7 4 blätter und ist mit zierlicher hand geschrieben. «

Das ist der erste wissenschaftliche Eintrag zu diesem bedeutenden sog. Wasserburger Codex.44Man merkt noch in der nüchternen Angabe Laßbergs Begeisterung, die sich in Briefen verströmt. Vor

allem im Brief an Uhland vom 28. Mai 1829 berichtet er die Erwerbsgeschichte. Zuerst hatte Freundlülinen den Codex beim Pfarrer von Wasserburg gesehen, ein ausgesandter Späher blieb aber erfolglos.

Erst » I ierr Magister Schönhuth« konnte dann genauere Kunde geben und auch für Laßberg kaufen. So

war es Laßbergs "Temperament nicht möglich, auch nur »einen Tag später als heute, Inen Nachricht vonmeinem neuen Funde zu gehen, über den ich mich nicht weniger freue, als ein Vater zahlreicher Nach-kommenschaft, wenn jm wieder ein neues Kind geboren ist. «45

Besonders auffälig ist die Nr. 1: »Evangeliarium, die deren mit Edelsteinen, das Kaiser Ludwig derfromme, dem stifte Lindau im Bodensee geschenkt. Sec. IX«. Diese Handschrift ist nicht im Donau-esehinger Bestand aufgetaucht. Wir wissen aus seiner Korrespondenz, daß Laßberg sie von einer ehemali-

gen Stiftsdame des Li ndauer Konvents erworben hat (Antonia von Enzberg [17 48-18161), die oder derenErben ihm wahrscheinlich diese Geschichte erzählt haben, die er ja offensichtlich auch glaubte. Siestimmt freilich nicht, ist aber typisch für Laßbergs Tendenz, Dinge, die er besaß oder mit denen erumging, in naiver Weise mit den größten Namen zu verbinden. Trotzdem ist die Handschrift vielleicht

,aßbergs kostbarster Besitz überhaupt gewesen. Sie wurde in der Zeit des Abtes Hartmut durch Folchartin St. Gallen geschrieben und befand sich auch dort noch im Jahre 152 9 , wo sie Joachim von Watt(Vadianus) beschrieben hat. Erst dann kam sie zu den adligen Kanonissen nach Lindau. Laßberg hat sie1846 an einen Henri G. Hohn (Boone), den Einkäufer des IV. Earls von Asburnham, verkauft, aus dessenBesitz sie schließlich in die Pierpont Morgan 1.ibrary nach New York gekommen ist (Morgan Nr. i ).4(

Im dortigen Katalog kann man das prächtige Stück bewundern. Die goldenen Buchdecken sind farbigwiedergegeben. Laßberg selber hat in einem der I Iandschrift beiliegenden französischen Brief sie selbstund ihre Geschichte, wie er sie sah, beschriebcn.47 Danach hätten die durchbohrten Saphire des Buch-deckels einstmals zu einem Collier gehört, wären folglich bei Judith, der Gattin Ludwigs des Frommen,

oder gar Hildegard, der Frau Karls des Großen, in Gebrauch gewesen. 8 34 habe der Kaiser das Buchverschenkt. Nach der Säkularisation seien die Schätze auf die Stiftsdamen verteilt worden, er selber habees von den Erben der Baronin von Enzberg in Konstanz gekauft, »pour le sauver des mains des juifs, quicourraient aprēs«. Es ist eine außerordentliche Handschrift, die ins Ausland zu verkaufen Laßberg heuteniemals mehr die Genehmigung bekommen würde. Warum hat er es doch getan? Beim Nibelungenliedwar er ja den Engländern gegenüber so empfindlich, warum denn hier nicht? Wir können es nicht klären.

Brauchte er Geld, um sein Konto nach dem Erwerb des Schlosses Meersburg wieder auszugleichen oderals Starthilfe für seinen Sohn Hermann? Gerade weil er die Handschrift mit Kaiser Ludwig in Zusam-

menhang brachte, ist sein Handeln um so weniger verständlich.

44 Barack, Nr.74 (1.. 1 75 ). – I lier Kat.-Nr. i9.

45 Nach einem Eintrag im Deckel hatte Laßberg den Codex tatsächlich am selben Tag, dem 28.5. 182 9 erworben. Vgl.

Pfeiffer (wie Anm. 19), S. , 25. Laßberg schickt Abschriften der Texte an Hug und Uhland. Er berichtet an Jacob

Grimm, in: Leitzmann (wie Anm. z), S. io6i–/o65, Nr. 1 3 . vom 21. 9 . 1829 . Schwab wollte den Sigenot abschreiben,

Laßberg leiht den Codex dann an Uhland aus.

46 Vgl. 1 larrsen, Meta: Central European Manuscripts in thc Pierpont Morgan Library-. New York 1958, Nr. 4 . – Beschrei-

bung der Deckel: Steenbock, Frauke: Der kirchliche Prachteinband im frühen Mittelalter von den Anfängen bis zum

Beginn der Gotik. Berlin 1 96 5 , Nr. 21 und Abb. 33f.

47 Abgedruckt bei Salm (wie Anm. 1o), S. 79ff.

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Page 15: Joseph von Laßberg als Handschriftensammler

JOSEPH VON LASSBERG ALS HANDSCHRIFTENSAMMLER

Und noch eine Besonderheit birgt diese Handschriftenliste. Nr. 81 ist Laßbergs »Dichterbuch«, alsoeine in langen Jahren entstandene Sammlung von Wappen, Urkunden, Exzerpten und Notizen über 163

mittelhochdeutsche Autoren, denen er eine Gesamtpublikation ähnlich dem 4 . Band der » Minnesänger «(18 3 8) von Friedrich Heinrich von der IIagen 4t widmen wollte, zu der es dann nicht kam. Aber dieseKladde ist für ihn eine Iandschrift wie die anderen auch, »sie ist zwar nicht sehr alt und kömmt von

einem gewissen Meister Sepp, der schon mit Ihnen das Brot gebrochen und den Becher gehoben hat«, soschreibt er an Uhland.49 Dazu paßt, daß als weitere Nummern eigenhändige Abschriften von Codices

oder die anderer aufgenommen worden sind. Im Verkaufskatalog von 18 5 7 erscheinen diese dann in

einem Extrakapitel »Apographa«, Abschriften. Laßberg betrachtete hier also seine Tätigkeit wie dieeines mittelalterlichen Schreibers, der wertvolle Handschriften herstellte – das besonders in der Zeitnach dem Tode der Fürstin Elisabeth, in der seine Lebensgeister darnieder lagen. s° In einem Zeitalter, in

dem es keine Kopiermöglichkeiten gegeben hat, und der Druck, zu dem Laßberg ja durch die Herausgabeseines »Liedersaales« auch beitrug, eine aufwendige Sache war, ist das nicht ganz so seltsam. Laßberg hateine ganze Reihe von Handschriften abgeschrieben. Nehmen wir an, er hätte auch eine StraßburgerHandschrift in seinem Repertoire gehabt, dann hätte sein Apographum (durch die spätere Vernichtung

der Originale) tatsächlich den Wert einer Handschrift erworben. So hat sich das freilich jetzt nicht erge-

ben; sie sind uns nur Zeugnisse der intensiven Arbeit des hochgestellten Dilettanten.Außer den Handschriften hat Laßberg auch l000 lateinische und deutsche Urkunden säuberlich abge-

schrieben, die Auszeichnungsschriften nachgeahmt und die Siegel genau gezeichnet. Dieses Werk gehörtfreilich nicht zur Liste der literarischen Handschriften, sondern stellt ein hervorragendes Konvolut imFürstlich Fürstenbergischen Archiv dar.9

Die Handschriften betrugen nach Kaufvertrag »an der Zahl wenigstens 300 dreihundert Stücke«. Wirhaben bisher rund hundert gemustert. Es fragt sich also, was etwa seit der Übersiedlung nach Meersburgnoch hinzugekommen ist. Noch dreizehn Jahre der Sammlung hat Laßberg bis zu jenem endgültigenKatalog, mit dem dann das Aufgehen seiner Sammlung in der Fürstlich Fürstenbergischen besiegeltwurde. Die Nummern sind durch den Ausschluß des Verzeichnisses von 18 4o mit einiger Geduld zu

ermitteln. Es ist wenig Spektakuläres unter den 200 Restposten.Die deutschen Handschriften haben sich vor allem um späte Exemplare, allerdings nicht sehr stark

vermehrt. Eine der letzten Erwerbungen ist eine Handschrift mit dem deutschen Compendium theologiaeveritatis von Hugo Ripelin von Straßburg und der heute sogenannten Donaueschinger Liederhandschrift,

einer Sammlung geistlicher Lieder von Spruchdichtern wie Reinmar von Zweter und Frauenlob mitMelodieaufzeichnungen, geschrieben möglicherweise für das Zisterzienserinnenkloster \Nonnental (Ken-zingen) in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. 52 Der Vorbesitzer war Laßbergs Freund und erster

48 Beute Badische Landesbibliothek Karlsruhe, Nachlaß Laßberg Nr. 2 9 1 3 , 596 BII. Vgl. Schupp, »Wollzeilergesell-

schaft« (wie Anm. 4), S. 29f., ders.: Die adlige Wissenschaft des Reichsfreiherrn Josef von Laßberg in: Beiträge zur

'koste-Forschung 5 (1978-1982), 5.1 44-16 3 , hier S. 154-158.

49 Am 2. April 182 9 , in: Pfeiffer (wie Anm. i 9 ), S. 1 15.

50 »... arbeiten konnte ich nichts und noch hin ich nicht imstande Anderes, als wie ein frommer Mönch Codices, abzu-

schreiben« (an Uhland, Nr. 16, 2 4 . Mai 182 3 , in: Pfeiffer [wie Anm. 1 9], S. 33). – Vgl. Annette von llroste-I lülshoffan

ihrer Mutter, Meersburg, den 26. Januar (18 42): »Laßberg (der diesen Winter fast gar nicht hustet und immer guter

Laune ist) schreibt seine Manuskripte ab und bringt wirklich dicke Bücher zustande. « Die Briefe der Annette von

Droste-I lülshoff. 1 lrsg. von Karl Schulte-Kemminghausen, Gesamtausgabe. Bd. 2. Jena 19 44, Nr. 33, S. 1.

5 1 Chartularium Lassbergianuln. Apographa. 88 3 -1 497. FFA, La 27. – »Sie fragen mich, woran ich wohl arbeite? lezten

sommer konnte ich wenig oder nichts tun; ich baute in der alten Dagoberts burg und an derselben, dann wurden wir mit

besuchen, zumal aus Westphalen, überhäuft, bis tief in den Herbst hinein, es kamen mir auch ein gut teil urkunden zu,

die ich abschrieb, die deutschen sind für die sprache, die lateinischen für die Geschichte wichtig: meine sammelung

ungedruckter urkunden ist schon zu einem diken foliobande angewachsen, und ich möchte vor meinem hinscheiden

meinem vaterlande noch einen beweis hinterlassen, dass ich mich auch um seine geschichte bekümmert habe. « (An

Grimm 7. 3. 184 1, in: Leitzmann [wie Anm. 2], Nr. 30, S. 1096).

5 2 Barack, Nr. 120 (L. 263). – Steer, Georg: Ilugo Ripelin von Straßburg. Zur Rezeption und Wirkungsgeschichte des

»Compendium theologiae veritatis« im deutschen Spätmittelalter. "[übingen 1 99 1. (Texte und Textgeschichte. 2), S.

284 -286 und 2(1980) Sp. 196-199. – S. auch Kat.-Nr. 27.

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VOLKER SCIIUPP

Biograph Karl Greith, der nachmalige Bischof von St. Gallen und Herausgeber des »Gregorius« Hart-manns von Aue.53 Die lateinisch-theologischen Ilandschriften, die eher stagniert hatten, nehmen nunwieder zu, Psalterien des 2. und des i 3 . Jahrhunderts, eine Offenbarung Johannis und ein Traktat vomAntichristen, auch Kirchengebete. Zahlreicher sind die Kirchenväterhandschriften und lateinischen Pre-digten, wie Tauler 54 , die aber alle dem 1 4 .Jh. und späterer Zeit angehören. Dasselbe gilt für Martyrolo-

gien und Heiligenviten, wo allein die Vita S. Norberti dem 12. Jh. angehört. Eine bisher nicht in Erschei-nung getretene Gruppe sind die Reiseberichte, Ludolf von Suchern (Sudheim), »Reise ins HI. Land«usw. 55 Den Großteil bilden Texte zur Geschichte von Örtlichkeiten, Städten und Klöstern des »schwäbi-

schen« Landes, d. h. der deutschen Schweiz, Oberschwabens, des Bodenseegebietes, Handschriftenvom späten :Mittelalter bis in das 18. Jh. hinein. Man kann also nicht sagen, Laßberg habe nichts mehrgesammelt, im Gegenteil, aber er hat mit Dingen vorlieb genommen, die er sonst vielleicht verschmähthätte, es sei denn, sein Wunsch, auch etwas für die Geschichte seines Vaterlandes zu tun, hätte nun dieliterarischen Interessen übertroffen. Auch Geschenke blieben nicht aus. 56 1V'o seine eigentlichen Interes-sen lagen, zeigt sich an der weiteren Zunahme der Apographa; das sind die Texte, die Laßberg um sichhaben wollte, mit denen er arbeitete, an denen er auch scheiterte, sie waren eben nicht mehr so leicht aufdem Markt zu bekommen. Insofern spiegelt der Katalog seine wahre Tätigkeit nur, wenn man die Codicesdes 19. Jahrhunderts einbezieht. 57 Sein Interesse an der Geschichte und Kultur der Hohenstaufen hatsich weit herumgesprochen, er wird geehrt und beschenkt. Ein gewisser Carl Mathieu überschickt ihmgar eine künstlerische Abschrift von Friedrichs II. De arte venandi cum avihus mit kolorierten Initialen nachder I landschrift der Bibliothek Mazarinc in Paris, am 2 3 . Nov. 1845.58

Die Entwicklungen werden konvergieren. Laßberg, der mit seinem humanistischen klassischen Bil-dungsbegriff zunächst die Anschaffung der antiken (klassischen und christlichen) Autoren betriebenhatte, diese dann unter dem Eindruck der deutschen mittelalterlichen Literatur aussonderte und vorallem für seine schwäbischen Landsleute, die Minnesänger, aber auch Autoren wie Hermann von Sach-

senheim und Rudolf von Ems das Herz und die Geldbörse öffnete, wandte sich in der Spätzeit denhistorischen Sachtexten zu. Jacob Grimm mit seinen beständigen Bitten um Weistümer und Sohn Fritzmit der Sachsenspicgcledition mögen ihn immer in dieser Richtung gehalten haben. Tatsache ist aberauch, daß die große Zeit der Handschriftensammler, die nach der Säkularisation angebrochen war,längst ihr Ende erreicht hatte. Der Besitz war verteilt, die Handschriftenabteilungen der königlichenund fürstlichen Bibliotheken gefüllt, Laßberg selbst hatte ein beträchtliches davon mitbekommen. Dieletzte großartige Eroberung war wohl der Wasserburger Kodex gewesen, bewahrt in einem Rückzugs-gebiet und auf dem Speicher des Pfarrers, ein eher überständiges Ereignis. Wer mehr und besseres ha-ben wollte, mußte nun eben abschreiben und abschreiben lassen oder ein von vielen erstrebtes Buch

besitzen, das – wie der »Liedersaal« – lange nicht käuflich zu erwerben, aber deswegen als Tausch-objekt einsetzbar war.

53 1 landelt es sich hier um die vom Altgrafen Salm (wie Anm. i o), S. 8 i erwähnte Transaktion gegen ein Flügelaltärchen

des Meisters von .Mcßkirch? Noch am 3 . Juni r 8 53 trug Greith eine I landschriftenbcschrcibung mit Inhaltsverzeichnis

auf einen eingebundenen Doppelbogen ein, am 2. November fand der Verkauf der Sammlung statt. Im selben Jahr

wechselte auch der Psalter Ms. 184 (hier Kat.-Nr. ro) von Greith zu Laßberg. – Die Biographie: Erinnerung an Joseph

Freiherrn v. Laßberg auf der alten Meersburg, in: 1 listorisch-politische Blätter f. d. kath. Deutschland 53 (1864) S.

4 2 5-44 1 , 505-522.54 Barack, Nr. 293 (L. 18).

55 Barack, Nr. 48o (L. 1 54 ) und die folgenden Nummern.

56 Zu Weihnachten 1842 »von Licbcnau sehr selten griechische und römische Münzen und ein wertvolles Manuskript«,

Annette von Droste-Hülshoff an ihre Mutter, 26. Januar (18 4 2). In: Schulte-Kemminghausen (wie Anm. 50). Bd. 2,

Nr. 1 33 , S.3.

57 Originalhandschriften des 1 9 . Jahrhunderts erhalten ihr historisches Gewicht durch das Ensemble. 1)as kleine I leftchen

(Barack, Nr. 7 r 1, [L. 1 5 81) »Die Herren, Ritter und Reichsfreiherren von und zu Brenken « , in dem Wappen, Geschichte

und Stammbaum in Haupt- und drei Nebenlinien dieser Familie aus westfälischem Uradel von der Zeit Chlodwichs an

dargestellt wird, ist eines der Ergebnisse des Programms der »Kette«, das Laßbergs getreuester Gefolgsmann Friedrich

(;arl von Brenken dem geistigen Haupt der Rittervereinigung abgeliefert hatte. Vgl. Schupp (wie Anm. 4 ), S. 21 f., 26.

5 8 Barack, Nr. 832 (L. 220).

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JOSEPHI VON LASSBERG ALS IIANDSCIIRIFTENSAMMLER

IV. Was Laßberg seine Handschriften bedeuteten

Bei all dem ausgebreiteten Faktischen stellt sich die Frage, was dem Herrn von Laßberg seine I Iandschrif-ten wert waren, bedeuteten, und wie er mit ihnen umging. Die Annahme, er sei eben auch so ein geldanle-gender Grandseigneur gewesen, wie man sie heute noch finden mag, verbietet schon die Verpflichtungdurch die Adelsvereinigung »Die Kette«, die ihm mehr war als nur eine Jugenderinnerung. Trotzdemwüßte man gerne, wieviel er sich seine Leidenschaft hat kosten lassen. Außer der bekannten Summe, diefür das Nibelungenlied hat erlegt werden müssen (s. o. S. 20), ist freilich bisher nicht viel bekannt gewor-

den. Eine Durchsicht der Handschriften hat folgende Einträge ergeben:

Barack: Titel Ort Jahr Summe

Nr. 590 Chronik Truchs. Waldbg. Konstanz 1819 88 fl.Nr.513 Twinger v. Königshofen Konstanz 1820 22 £1.

Nr.74 Wasserburger Codex Eppishausen 182 9 64 1l2 fl. + 14 fl. ReisekostenNr. 114 Nilhelm Kaiser Tübingen 182 9 10 1-1 . 48 dr.

Nr. 121 Liederbüchlein, i6..111. Eppishausen o. J. I H. 5 baz.

Nr. 5 56 Bullinger 5 Bde. Eppishausen – Io fl. 3 2 kr.

Nr. 754 band-Buch Appenzell, 18. Jh. – 36 kr.

l)ie Kosten einer anderen Handschrift lassen sich mit Hilfe des Briefregisters ermitteln. Die Biblia manu-

scripta, für die Laßberg am i 2. Mai 1820 25 d. bietet und am 25. Mai auch bezahlt 59 , muß die heutigeFreiburger IIs. 22 a sein, eine Abschrift der von Mentelin in Straßburg gedruckten Bibel, ein stattlicherPapierband (auch ihn hat Freund Hug erworben); denn die andere Bibel, die Laßberg noch besaß und die

den Weg nach Donaueschingen genommen hat, hatte er in Stuttgart am 28.April 181 9 bei F. Stanikos

gekauft6°Nimmt man noch dazu, was Martin Harris 6 ' in einem in der Zentralbibliothek Zürich bewahrten Brief

an Wilhelm Ffissli (2 5 . November 18 44 ) gefunden hat, worin nämlich Laßberg mitteilt, er habe 1818 für

Gerold Edlibachs Buch hz , das eben auch das Schachzabelbuch des Konrad von Ammenhausen aus Steinam Rhein enthält, 10 Louis d'or bezahlt, so sind vorerst alle Nachrichten auf diesem Gebiet ausgebreitet.

Ein Bild des eigentlichen Wertes dieser unterschiedlichen Währungen kann man sich ja kaum machen.Die Summen sind allerdings nicht exorbitant hoch, jedoch hatten die Einheiten noch eine hohe Kauf-

kraft.6Im Laufe der Zeit kann man eine leichte Verschiebung in der Motivation Laßbergs feststellen: 'Tauschte

er am Anfang einfach seltene Freundschaftsgeschenke aus, so ging es von der Wiener Zeit an um dieRettung der mittelalterlichen Hinterlassenschaften des deutschen Adels. Die Bewahrung des Nibelun-

genliedes war außerdem noch eine patriotische "hat. Durch die Kontakte, die sich Laßberg in Wien erwor-ben hatte, und wegen seines hohen Bekanntheitsgrades als Handschriftenbesitzer war er nun plötzlicheine gefragte Persönlichkeit. Das gab ihm die Möglichkeit, die politische und gesellschaftliche Isolationdes »Exils« zu überwinden. Gastfreundlich wie er war, konnte er nun seine Schätze seinen Freunden undden Freunden seiner Freunde vorführen und sich in ihrem Glanze sonnen. Die germanistischen Freunde

waren beileibe nicht alle so, wie sie seine Schwägerin Annette von Droste-Hülshoff in ihrem Überdrußschilderte, nämlich »Männer von einem Schlag, Altertümler, die in meines Schwagers muffigen Vlanu-

5y Bader (wie Anm. 2), S. 146.

6o Sotheby's Donaueschingen, Nr. 12, I.. B. Sie ist im Verzeichnis von 1840 Nr. % (Scriptorde Vicentia) und in Schwabs Liste

(vgl. S. 22) unter Nr. 16 »eine in Italien auf äußerst fein Pergament im 1 3 . Jahrh. geschriebene Bibel in Quart«.

61 Maschinenschriftliche Seminararbeit von 1984.

62 Barack, Nr. 98, jetzt im Staatsarchiv Zürich.

63 Zum Vergleich: Für eine Büchse zahlte Brenken 1838 5 4 1. rheinisch, die von Laßberg auf der Kiste mit 7 Louis d'or

deklariert wurde (vgl. Schupp [wie Anm. 3], S. 145 f.).

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VOLKER SCHUPP

Abb. 6: Bildnis Laßbergs,um 185o(Fürstenhäusle Meersburg)

Skripten wühlen möchten, sehr gelehrte, sehr geachtete, ja sehr berühmte Leute in ihren Fach; aberlangweilig wie der bittere Tod, schimmelicht, rostig, prosaisch wie eine Pferdebürste; verhärtete Veräch-ter aller neueren Kunst und Literatur. Mir ist zuweilen, als wandle ich zwischen trockenen Bohnenhülsenund höre nichts als das dürre Rappeln und Knistern um mich her. Und solche Patrone können nichtenden; vier Stunden muß man mit ihnen zu "Fisch sitzen, und unaufhörlich wird das leere Stroh gedro-schen « 64, oder aber sie waren dem Freiherrn gerade so recht, als geduldige Zuhörer. » Wir haben uns mitden Nibelungen zu Tische gesetzt und sind damit aufgestanden«, so wiederum die Droste. 65 Zu vielenvon ihnen hat Laßberg lebenslange Bande geknüpft, etwa zu Uhland, die dazu führten, daß auch dieanderen Schwaben bis in die letzten Tage des greisen Justines Kerner aus unterschiedlichsten Motiven,aber alle beeindruckt von der Herzlichkeit des Schloßherrn, nach Meersburg kamen.

Die Freude, seine Schätze anderen zugänglich zu machen, war in der Spätzeit ein wichtiges Motiv,diese erst zu erwerben. Die anderen waren dann auch bereit, wiederum ihm zu helfen. Das sieht manbesonders deutlich beim Erwerb des Wasserburger Codex, der freilich eine bedeutende Handschrift ist.»Unter meinen alten altdeutschen handschriften gebe ich ihm one bedenken den ersten rang nach demNibelungen Codex«. 66 Kaum hat er ihn, muß er Uhland Nachricht gehen. Die Handschrift soll auch

64 An Christoph Bernhard Schlüter, F.ppishausen, den 22.Oktober/ 9 . November (18 35 ), in: Schulte-Kemminghausen(wie Anm. 5o). Bd. 1, S. 17o.

65 An ihre Mutter. Meersburg, den 26. Januar (x8 42), ebd. Bd. 2, Nr. 133, S.8.66 Laßberg an 1 'ermann von Liebenau, B. Juli 1829, Nr. 125, FFA. La 27 a. – Die spätere Germanistik hat sich insofern dem

Urteil angeschlossen, als die Ausgabe des » Willehalm von Ortens« von Rudolf von l' ms nach dem Prinzip der Leithand-schrift und gemäß den Richtlinien der Preußischen Akademie, nicht nach der kritischen Methode Carl Lachmanns,

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JOSEPH VON LASSBFRG ALS HANDSCHRIFTENSAMMLFR

gleich zu Uhland geschickt werden, weil der sich mit den heldenepischen Stoffen beschäftigt und vondort weiter zu Benecke, der den »Wilhelm von Orlenz« herausgeben will, und die Brüder Grimm sind ja

dann auch interessiert ... 67 Das hatte auch noch damit zu tun, daß er den historischen Wert seiner Aquisi-tionen oftmals falsch einschätzte. Die unendlich kostbare Handschrift des Lindauer Evangeliars genügtihm nicht durch ihr hohes Alter und die Schönheit der Goldschmiedearbeit, sie mußte auch noch KaiserLudwig selber gesehen haben. Rudolf von Ems' «Barlaam und Josaphat« ist ihm »wahrscheinlich dasautographum « . 6s Das schließt er vor allem aus der schlechten Schrift und den zahlreichen Korrekturen.i6°Und deswegen sind ihm diese Handschriften auch wieder mehr wert, weil er meint, mit ihrer Hilfe zu

den Autoren und deren Lebensbereich vorstoßen zu können, was ja sein eigentliches Forschungsanlie-gen ist.

Seine Freunde würde er gerne daran teilhaben lassen. »Alles was ich an Handschriften, Abschriften

oder Urkunden besitze, steht Ihnen mit herzlicher Bereitwilligkeit zu Diensten «, schreibt er an Uhland,aber das gilt auch für andere. 7° Er hat es sich etwas kosten lassen, wenn jemand etwas aus seinen Schätzen

brauchte, und in vielen Stunden viele Verse abgeschrieben, selbst für einen, den er persönlich nichtmochte wie Friedrich Heinrich von der Hagen, den »bösen IIagen«, wie er ihn im Anklang an dasNibelungenlied zu nennen beliebte. 7 ' Könnte es der Kollegenneid gewesen sein, der ihn gerade an dem

ersten deutschen Professor für Germanistik sich so reiben ließ? Schon beim Kauf des Nibelungenliedeskreuzten sich ihre Bahnen 72 , und Laßberg trug die Beute davon. Bei der Herausgabe der Minnesänger derManessischen und der Weingartner Handschrift zog er den Kürzeren. Sicher war Laßberg der Meinung,daß sich mit den schwäbischen Sängern eben die Schwaben abzugeben hätten, aber im Falle von der

Hagen war es wohl noch mehr und ging weiter zurück.181 7 traf er von der I lagen zufällig in der Vorhalle des Freiburger Münsterturmes 73 und gab ihm die

Erlaubnis, seine Nibelungen-Randschrift die damals auf Schloß I Ieiligenberg lag, zu benützten. Da erselbst gerade in Wolfach tätig war, gab er ihm also ein Schreiben an die Fürstin Elisabeth mit, das Vorkeh-

rungen traf, wie sie heutzutage üblich sind, damals aber eher befremden mußten, denn erst in den folgen-den Jahren mußte er die Erfahrung machen, daß ihm Fragmente altdeutscher Gedichte von einen »soge-nannten reisenden Gelehrten« entwendet wurden.74 »Diesem will ich hier noch den Wunsch beifügen,daß die Handschrift nicht in den Gasthof und überhaupt nicht außer dem Schloß gegeben werde. Mankönnte sie unter beisein des Hofkaplans Herrn von Hagen durchsehen lassen. Ich habe gute Gründehierzu, die ich E. D. nur mündlich sagen kann. «75 In welcher Richtung diese Gründe zu suchen sind,

nach Laßbergs 1 landschrift erarbeitet ist. Denn die Donaucschinger I landschrift (1)) ist so alt wie .Al(iinchen), aber

vollständiger. Freilich fehlte in der Forschung bisher der Überblick über das ganze slatcrial. Schon 1840 hatte Franz

Pfeiffer den Text abgeschrieben, hatte es aber zu keiner :Ausgabe mehr gebracht, die erst 1 90 5 , herausgegeben von

V. J unk, erschien. In der neueren Zeit ist die Datierung in Frage gestellt worden: Laßberg 1. I lälfte 13.11 1 .; Barack /J unk

Ende 13. fit; Fromm/Grubmüller Anfang 1 4 .Jh. (Konrad von Fussesbrunnen, Die Kindheit Jesu. Krit. Ausgabe von

Hans Fromm und Klaus Grubmüller. Berlin/New York 1973, B. i i f.). – Jetzt: Nellmann, Eberhard: » Wilhelm von

Orlens«-I landschriften, in: Festschrift Walter I laug und Burghart Wachinger. Hrsg. v. Johannes Janota. Tübingen

1 992, S. 565-587.

67 An Uhland 9 . 9 . 1829, in: Pfeiffer (wie Anm. 19), S. 1 44 f., Nr. 75 ; an Grimm 24.6. 1829, in: Leitzmann (wie :Anm. 2),

S. 1055-105 7, Nr. 1 1.

68 Verzeichnis von 1840, Nr. 29.

69 Zettel in der Handschrift Barack Nr. 73, L. 176.

70 An Uhland am 12. 4 . 1820, in: Pfeiffer (wie Anm. 1 9 ), S.5, Nr. 2. – Beispielsweise konnte sich J. II. von Hefner-

Alteneck zwei Illustrationen aus der Handschrift »Les voeux du Paün« um 1 3 20 (Barack, Nr. 168, heute Pierpont

Morgan G 24) abzeichnen: s. dessen Trachten des christlichen Mittelalters nach gleichzeitigen Kunstdenkmalen. 2. Abt.

Frankfurt/Darmstadt 1840-1854, Tafeln 28 und 31.

71 An Uhland, Brief vom 9.12. 182 4 , in: Pfeiffer (wie Anm. 1 9), S. 49, Nr. 23.

72 S. o. S. 19.

73 Grunewald, Eckhard: Vom Liedersaal zu den Minnesingern. Joseph von Laßbergs Briefe an Friedrich I leinrich von der

Hagen, in: Euphorion 75 (1981) S. 342-359, hier S.343

74 An Uhland 16.2. 1821, in: Pfeiffer (wie Anm. 1 9 ), S.16, Nr. B.

75 Laßbcrg an die Fürstin, ;Juli 1817 (FFA, La 27a).

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hatte er im vorhergehenden Brief angedeutet. »Ich bitte Ev. D. die Gnade zu haben, seinen Wunsch zuerfüllen und das Buch nach deme er es gesehen weitter(!) an seinen Ort legen zu laßen. Hagen kommtnicht aus Sizilien, aber wol aus Italien zurück.« 76 Es spricht alles dafür, daß sich von der Hagen schondamals den Ruf des Handschriftenmarders erworben hatte, von dem man ihn heute zu reinigen sucht.77Aber von der Hagen ließ sich nicht anfechten: »...dort unter der hohen Vergünstigung einer wahrhaft

Fürstlichen Frau, auf einem der herrlichsten Hochsitze des deutschen Vaterlandes, vollendete ich, in dreiglückseligen Tagen und halben Nächten, die Vergleichung der noch zur Hälfte unbekannten ältesten undmerkwürdigsten Urkunde unseres größten alten Heldenliedes; und hatte noch das Vergnügen, demheimkehrenden Besitzer mit Herz. und Munde zu danken. «7S

Da Laßberg außer dem »Liedersaal« nur wenig publiziert hat, mag es scheinen, er habe sich mit dem

Sammeln, I Torten und Bereitstellen deutscher I Iandschriften begnügt. Die Notizen, die er sich zu denHandschriften machte und oft in diese einlegte, zeigen wie auch das »Dichterbuch«, daß dem nicht so

war. Bei aller Leichtgläubigkeit in historischen Verbindungen war er ein kritischer Sammler, der etwaden Stellenwert seiner Handschrift unter den erhaltenen wissen wollte, der sich Testimonien notierte,soweit dieses eben in einer weitgehend kataloglosen Zeit möglich war. 79 Er erstellte Beschreibungen, die

teilweise über den Katalog Scheffels in den Baracks eingegangen sind, er bemängelte das Fehlen einerordentlichen Beschreibung etwa beim Liederbuch der Hätzlerin, wo auch »die Collationierung ebennicht glücklich ausgefallen ist«. 8° Schon die Existenz eigener und fremder Abschriften zeigt, daß es ihm

auch um die Texte ging, mit denen er sich naturgemäß in unterschiedlicher Intensität beschäftigt hat.Meist kann man das nicht erkennen, aber der Prosa-Lancclot (Barack, Nr. 1 4 2 IL. 8 5 1) ist von seinenBleistiftglossen ganz durchzogen, »Friedrich von Schwaben« (Barack, Nr. 1 io) hat er ganz abgeschrie-

ben, möglicherweise wollte er ihn edieren. Offensichtlich gilt sein Interesse besonders den Listen vonBüchern und Personennamen (Nekrologen), die ihn zu weiterer Erkenntnis führen sollten.

Letztlich war es Laßberg nicht recht, daß die schwäbischen ritterlichen Sänger von Leuten erforschtwerden sollten, die nichts, d. h. nichts Landschaftliches mit ihnen verband. Die Bemühung um sie wäre

Aufgabe der Schwaben gewesen, und er machte sie zu der seinen. Es betrübte ihn, daß die Wissenschaftin Preußen mehr gefördert wurde als hierzulande. Es war seine Meinung, daß »die zalreichen local und

personal beziehungen« beim steirischen Sänger Ulrich von Lichtenstein »nur durch einen Oesterreicher

gehörig aufgeklärt und geklärt werden « 81 , und eben nicht durch Carl Lachmann, dessen wissenschaftli-che Brillanz er anerkannte, zu dem er aber eine gewisse Distanz nie überwinden konnte. Eigentlich sollten

die Norddeutschen und die Juden die Finger vorn Nibelungenlied lassen. Die Kaufanfrage eines jüdi-schen Handelshauses, das sonst nichts mit Handschriften zu tun hatte, riß ihn vor Empörung zu antise-mitischen Äußerungen hin. 82 Darum war es ihm bei allem Hin und Her doch auch ein Bedürfnis, seineSammlungen nach Donaueschingen zu geben, obwohl er ein Angebot von der K. Preußischen Regierung

76 Laßberg an die Fürstin, 7. Juli 1817, ebda. — Vgl. Von der I Tagen, Friedrich 1leinrich: Briefe in die I leimat aus Deutsch-

land, der Schweiz und Italien. Bd. 1- 4 . Breslau 1818-1821. Danach war von der I lagen von Juli i 816 bis Ende Mai 1817

unterwegs. Obgleich man den Verweis auf Sizilien anzüglich-metaphorisch wird nehmen müssen, sei doch vermerkt,

daß von der Hagen, Bd. 3, S.99 verzeichnet, »daß wir unsere Reise nach Sizilien, ... heute wirklich, nach reiflicher

Überlegung, aufgegeben haben.«

77 Schirok, Bernd: Der Raub der »Kindheit Jesu«. Codex St. Gallen 857 und Konrad von Fußesbrunnen, in: ZfdA 116

(1987) S. 230-234; Ochsenbein, Peter: Entfremdete Blätter aus der St. Galler Nibelungenhandschrift, in: I,ibrarium

(1 988) S. 3 3-41, bes. S.40; Schirok, Bernd: Bodmer, v. d. Hagen und eine falsche Fährte. Nachforschungen zum Raub

der »Kindheit Jesu«, in: ZfdA 117 (1 988) S. 224-232; Redeker, Michael: Konrad von Heimesfurt und Konrad von

Fußesbrunnen im Sangallensis 857, in: ZfdA 119 (1990) S. 170-175. Das Licht, das von Laßbergs Briefen auf von der

Hagens Ruf als Bibliotheksbenutzer fällt, rechtfertigte sogar ein Mißtrauen gegenüber dessen eigenen Angaben.

7 8 Grunewald (wie Anm.73), S. 343.79 Ein eingeklebter Zettel in der 1 Is. Barack, Nr. 109 vermerkt andere und eine bessere I landschrift des » Friedrich von

Schwaben« als seine eigene; ähnlich zu Barack, Nr. 106.

8o Zu Barack, Nr. 129.

81 An Grimm, 7 . 3 . 184 1, in: Leitzmann (wie Anm. 2), S. 1096, Nr.30.

82 Laßberg an die Fürstin, 1. 2. 1817, FFA La 27a.

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Page 21: Joseph von Laßberg als Handschriftensammler

JOSEPH VON LASSBERG ALS HANDSCHRIFTENSAMMLER

in Berlin vorliegen hatte und wohl auch damit wertsteigernd anceitete. 83 Auch Stuttgart war damals

schon im Gespräch, wenn auch nicht sicher ist, wie ernst die Sache gemeint war.84Korrespondenz und I Iandschriftensammlung sind Laßbergs Bleibendes. Ist die Korrespondenz das

Zeugnis aus dem Alltag eines kommunikativen Menschen, so zeigt sich die I Iandschriftensammlungsowohl als Modell wie als Abdruck der Persönlichkeit ihres einstigen Besitzers, der sich in ihr – trotz dermarottenhaften Beschränkungen des Autodidakten – als Forscher und in unterschiedlichen Zeitläuftenverantwortungsvoll Handelnder ein kulturelles Denkmal gesetzt hat. Die Gunst des Schicksals und diedauernde Pflege der Besitzer hat uns einen Schatz beschert, in dem Generationen von Mediävisten – unddas durchaus im Sinne des Sammlers – mit wechselnden Methoden sowohl die Literatur des hohen undspäten Mittelalters als auch die Kultur- und Fachgeschichte des i 9. Jahrhunderts erforschen können.

8 3 Wohleb, Joseph Ludolph: Der Übergang der Sammlungen Joseph von Laßbergs an das I Laus Fürstenberg, in: ZGO 97

( [949) S. 229-247, hier S. 233 ff.

84 Johnc, Eduard: Laßberg und die Fürstlich Fürstenbergische I lofbibliothek zu Donaucschingen, in : Bader (wie Anm. 1),

S. 379-393, hier S. 385f. und Anm.8.

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