keine zweite erde in sicht

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EDITORIAL © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.phiuz.de 2/2013 (44) Phys. Unserer Zeit 55 W ie einzigartig sind unser Sonnensystem und unser Planet? Seit Jahrhunderten beschäftigen sich Men- schen mit dieser Frage. In den vergangenen 20 Jahren ha- ben Astronomen rund 800 bestätigte Exoplaneten, also Pla- neten außerhalb unseres Sonnensystems, entdeckt. Die NASA verkündete Anfang Januar, dass ihr Weltraumteleskop Kepler 461 neue Planetenkandidaten aufgespürt hat.Vier da- von seien etwas weniger als doppelt so groß wie die Erde und umkreisen ihre Sonne in der bewohnbaren oder ha- bitablen Zone, so die NASA. Kandidaten sind jedoch noch keine bestätigten Exoplaneten. Um festzustellen, ob es tat- sächlich welche sind, sind weitere Beobachtungen nötig. D ennoch beweisen die zahlreichen Funde schon jetzt, welche Vielfalt das Universum birgt: Es gibt riesige Gas- planeten, die innerhalb weniger Tage um ihre Sonne flitzen, und ganze Planetensysteme, die in unserem Sonnensystem noch innerhalb der Umlaufbahn von Merkur Platz fänden. D och trotz dieser Vielfalt gleicht noch kein Exoplanet unserer Er- de. Die Suche nach der „zweiten Er- de“ blieb bislang erfolglos. Dabei ist es das große Ziel, einen Zwilling unseres Planeten zu finden. Wie viele Planeten könnten Leben beherbergen und wie weist man dies nach? D ie theoretischen Überlegungen zu Planetenatmosphä- ren, die in dieser Ausgabe ab Seite 64 beschrieben wer- den, zielen auf die Beantwortung dieser Frage ab.Welche In- dikatoren für Leben sind zu erwarten, wenn es irgendwann einmal möglich sein sollte, die Atmosphäre von Gesteins- planeten in der habitablen Zone anhand von Messdaten zu analysieren? Das versuchen die Forscherinnen mit einer Modellrechnung herauszufinden. W as bedeutet eigentlich habitable oder bewohnbare Zone? Kurz zusammengefasst geht es um die Tem- peratur, die auf der Oberfläche eines Planeten herrscht. Sie ist abhängig davon, wie nah der Planet um seinen Stern kreist. Bewegt er sich in der bewohnbaren Zone, so kann dort theoretisch flüssiges Wasser existieren.Wissenschaftler gehen davon aus, dass dies eine Bedingung für die Entste- hung von Leben ist. E s gibt jedoch viele Unbekannte in der Gleichung: Die richtige Atmosphäre, geologische Faktoren wie vulkani- sche Aktivität oder die Häufigkeit von Einschlägen kleiner Himmelskörper – all dies spielt eine Rolle, ob sich Leben in irgendeiner Form entwickeln kann. Auch die Präsenz eines großen Mondes, der die Rotationsachse stabilisiert, könnte eine Rolle spielen, ebenso wie weitere Faktoren, die wir noch gar nicht kennen. W enn also von einem Planeten in der habitablen Zone die Rede ist, so heißt das noch lange nicht, dass dort auch Leben möglich ist. In unserem Sonnensystem befinden sich beispielsweise gleich drei Planeten in dieser Zone: Venus, Erde und Mars. Doch nur auf einem hat sich Leben entwickelt. Zudem wecken solche Bezeichnungen wie „be- wohnbar“ oder „erdähnlich“ leicht falsche Vorstellungen. B ewohnbar“ heißt noch lange nicht, dass wir morgen un- sere Sachen packen und zum nächsten Exoplaneten zie- hen können. Erdähnlich heißt auch nicht, dass der Planet ein Abbild unserer Erde ist.Astronomen verwenden diesen Aus- druck, wenn sie von einem Gesteins- planeten mit ungefähr der gleichen Masse und dem gleichen Durchmes- ser wie die Erde sprechen. Die Be- zeichnungen „erdähnlich“ oder „Su- pererde“ sind nicht klar definiert. Letzteres sind Exoplane- ten mit einer Masse von zwei bis zehn Erdmassen. E s ist extrem schwierig, die Atmosphären von Exoplane- ten zu messen. Aktuell ist dies nur bei riesigen Gaspla- neten möglich. Es wird wahrscheinlich noch Jahrzehnte dauern, bis Astronomen einen Planeten aufspüren, dessen Eigenschaften wie Masse und Atmosphäre der Erde nahe kommen. Denn aufgrund des schwachen Signals ist die Ent- deckung einer solchen „zweiten Erde“ die größte Heraus- forderung. Die in dieser Ausgabe beschriebene Methode setzt rund hundert Transits voraus, um eine Atmosphäre zu messen. Für einen Erdenzwilling, der um einen Stern ähn- lich unserer Sonne kreist, würde dies eine Wartezeit von hundert Jahren bedeuten. Für die Beobachtung einer zwei- ten Erde wäre die direkte Aufnahme die beste Methode, doch das setzt große Teleskope – aller Wahrscheinlichkeit nach im Weltraum – voraus. (Übersetzung aus dem Englischen: Ingrid Schutzmann) Keine zweite Erde in Sicht Prof. Dr. Artie Hatzes ist Direktor der Thüringer Landes- sternwarte in Tauten- burg und Professor für Astronomie an der Friedrich-Schiller- Universität Jena. Er beschäftigt sich mit der Erforschung von Exoplaneten. ERDÄHNLICH HEISST NICHT, EIN ABBILD UNSERER ERDE

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Page 1: Keine zweite Erde in Sicht

E D I TO R I A L

© 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.phiuz.de 2/2013 (44) Phys. Unserer Zeit 55

Wie einzigartig sind unser Sonnensystem und unserPlanet? Seit Jahrhunderten beschäftigen sich Men-

schen mit dieser Frage. In den vergangenen 20 Jahren ha-ben Astronomen rund 800 bestätigte Exoplaneten, also Pla-neten außerhalb unseres Sonnensystems, entdeckt. Die NASA verkündete Anfang Januar, dass ihr WeltraumteleskopKepler 461 neue Planetenkandidaten aufgespürt hat. Vier da-von seien etwas weniger als doppelt so groß wie die Erdeund umkreisen ihre Sonne in der bewohnbaren oder ha-bitablen Zone, so die NASA. Kandidaten sind jedoch nochkeine bestätigten Exoplaneten. Um festzustellen, ob es tat-sächlich welche sind, sind weitere Beobachtungen nötig.

Dennoch beweisen die zahlreichen Funde schon jetzt,welche Vielfalt das Universum birgt: Es gibt riesige Gas-

planeten, die innerhalb weniger Tage um ihre Sonne flitzen,und ganze Planetensysteme, die in unserem Sonnensystemnoch innerhalb der Umlaufbahn von Merkur Platz fänden.

Doch trotz dieser Vielfalt gleichtnoch kein Exoplanet unserer Er-

de. Die Suche nach der „zweiten Er-de“ blieb bislang erfolglos. Dabei ist esdas große Ziel, einen Zwilling unseres Planeten zu finden.Wie viele Planeten könnten Leben beherbergen und wieweist man dies nach?

Die theoretischen Überlegungen zu Planetenatmosphä-ren, die in dieser Ausgabe ab Seite 64 beschrieben wer-

den, zielen auf die Beantwortung dieser Frage ab. Welche In-dikatoren für Leben sind zu erwarten, wenn es irgendwanneinmal möglich sein sollte, die Atmosphäre von Gesteins-planeten in der habitablen Zone anhand von Messdaten zuanalysieren? Das versuchen die Forscherinnen mit einer Modellrechnung herauszufinden.

Was bedeutet eigentlich habitable oder bewohnbareZone? Kurz zusammengefasst geht es um die Tem-

peratur, die auf der Oberfläche eines Planeten herrscht. Sieist abhängig davon, wie nah der Planet um seinen Sternkreist. Bewegt er sich in der bewohnbaren Zone, so kanndort theoretisch flüssiges Wasser existieren. Wissenschaftlergehen davon aus, dass dies eine Bedingung für die Entste-hung von Leben ist.

Es gibt jedoch viele Unbekannte in der Gleichung: Dierichtige Atmosphäre, geologische Faktoren wie vulkani-

sche Aktivität oder die Häufigkeit von Einschlägen kleiner

Himmelskörper – all dies spielt eine Rolle, ob sich Leben inirgendeiner Form entwickeln kann. Auch die Präsenz einesgroßen Mondes, der die Rotationsachse stabilisiert, könnteeine Rolle spielen, ebenso wie weitere Faktoren, die wirnoch gar nicht kennen.

Wenn also von einem Planeten in der habitablen Zonedie Rede ist, so heißt das noch lange nicht, dass dort

auch Leben möglich ist. In unserem Sonnensystem befindensich beispielsweise gleich drei Planeten in dieser Zone: Venus, Erde und Mars. Doch nur auf einem hat sich Lebenentwickelt. Zudem wecken solche Bezeichnungen wie „be-wohnbar“ oder „erdähnlich“ leicht falsche Vorstellungen.

Bewohnbar“ heißt noch lange nicht, dass wir morgen un-sere Sachen packen und zum nächsten Exoplaneten zie-

hen können. Erdähnlich heißt auch nicht, dass der Planet einAbbild unserer Erde ist. Astronomen verwenden diesen Aus-

druck, wenn sie von einem Gesteins-planeten mit ungefähr der gleichenMasse und dem gleichen Durchmes-ser wie die Erde sprechen. Die Be-zeichnungen „erdähnlich“ oder „Su-

pererde“ sind nicht klar definiert. Letzteres sind Exoplane-ten mit einer Masse von zwei bis zehn Erdmassen.

Es ist extrem schwierig, die Atmosphären von Exoplane-ten zu messen. Aktuell ist dies nur bei riesigen Gaspla-

neten möglich. Es wird wahrscheinlich noch Jahrzehntedauern, bis Astronomen einen Planeten aufspüren, dessenEigenschaften wie Masse und Atmosphäre der Erde nahekommen. Denn aufgrund des schwachen Signals ist die Ent-deckung einer solchen „zweiten Erde“ die größte Heraus-forderung. Die in dieser Ausgabe beschriebene Methodesetzt rund hundert Transits voraus, um eine Atmosphäre zumessen. Für einen Erdenzwilling, der um einen Stern ähn-lich unserer Sonne kreist, würde dies eine Wartezeit vonhundert Jahren bedeuten. Für die Beobachtung einer zwei-ten Erde wäre die direkte Aufnahme die beste Methode,doch das setzt große Teleskope – aller Wahrscheinlichkeitnach im Weltraum – voraus.

(Übersetzung aus dem Englischen: Ingrid Schutzmann)

Keine zweite Erde in Sicht

Prof. Dr. Artie Hatzesist Direktor der Thüringer Landes-sternwarte in Tauten-burg und Professorfür Astronomie an derFriedrich-Schiller- Universität Jena. Er beschäftigt sich mit der Erforschungvon Exoplaneten.

ERDÄHNLICH HEISST NICHT,

EIN ABBILD UNSERER ERDE