kfz - kaltstart-festivalzeitung / # 04 / 1. jahrgang

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 K a l t  s t a r t   K  F  Z  F e   i v a l z e i t u n   1 .J a h r  g a n   #  4 2 0 10  D a  e n t st e h t w a  s D as K AL  TS  T A R  T durchbrich  t die  Vier  te  W and  D a   s c h l ä  f t w a  s Ein Besuch im  „H o  tel Paci  fic D a   g e h t  w a  s D ie  Top-5-Lis  ten der R edak  tion M o 1 9.  - D  i 20.  Ju  l  i

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8/9/2019 KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 04 / 1. Jahrgang

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K a l t  st a r t  

 K F ZF e   

i va l ze i t u n   1.J a h r  g a n   

# 4

2010

 Da  e n t  st e h t  wa  s

Das KAL TS TAR T durchbrich t 

die  Vier te  Wand

 Da   sc h l ä  ft  wa  s

Ein Besuch im „Ho tel Paci fic“

 Da   g e h t  wa  s

Die  Top-5-Lis ten der Redak tion

Mo 19.  - D i 20.  Ju l i

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Editorial Eine Woche Festival ist rum — und was wir schon alles gesehen haben! Nicht nur einen gescheiterten Volks-

entscheid mit Public V iewing im Haus II&70, sondern auch dichtende Isländer, wütende Griechen und bittersü-

ße Österreicher (Kritiken S. 8-11).

Gegen so viele Eindrücke kann selbst die KFZ-Redaktion sich nicht wehren und zieht Bilanz: Unsere Top-5-

Festivalcharts, vom coolsten Kostüm über die nachhaltigste Publikumsreaktion bis zu den heißesten KALT-

START-Cuties (S. 14). Außerdem haben wir Publikum und Machern ins Gesicht geschaut und die ausdrucks-

stärksten Mimenminen gesammelt (S. 15). Wau!

Und jetzt? Jeder weiß: Nach dem Bergfest ist vor der Abschlussparty — aber bevor es soweit ist, gibt es noch

eine Woche lang so einiges mehr zu sehen und zu erleben (Vorschau S. 4-5). Und da im Theater jetzt auchimmer häuger Getränke ausgeschenkt werden (siehe S. 3), kann man schon während der Vorstellung für die

After-Show-Party vorglühen.

D i s k ur s  z ur  H and  # 4 Jede Ausg abe g i bt  es ei nen Di sk ur s aus dem Hef t  z um Nac hspi elen f ür  Z uhause. E i nf ac h aussc hnei den, 

sc hw ar z e St r ei f en hi nt en z usammen-k leben, über  den F i ng er  z i ehen und losst r ei t en. Heut e: P ost st r uk t ur ali st en v s. P ar t y -mac her , Di sk ur s v s. Di sc o.

Liebe Tetereude, liebe eivlgäe, liebe Lufudct!

Wir wünschen sehr viel Spaß dabei! Fahren Sie vorsichtig!

Die Red.

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Klttrt 

 Wände  werden überschätzt. Das  wissen auch 

die  jungen Theatermacher beim KALTSTART-Festi val

 - 

und reißen die  Vierte  Wand ein.  wo es nur geht.

um zu verfremden, um dem Publikum die Illusion zu nehmen

und ihnen, laut Brecht, die Chance zu geben, ein Spiel kritisch

zu betrachten, auf den Inhalt zu schauen, zum Stück eine

Distanz aufzubauen. Die Vierte Wand ist eine sensible Wand,

eine, die auch bei kleinsten Windstößen umfällt.

Wir sitzen doch alle im selben Boot

Theater hat sich gewandelt seit Stanislawski, seinem Mos-kauer Künstlertheater und dem Naturalismus. Nicht nur der

Schauspieler ist sich - wie damals - bewusst, dass Publikum

anwesend ist - immer öfter wissen es auch die Figuren selbst.

Die Menschen werden nicht mehr allein gelassen mit dem

Blick auf die Guckkastenbühne und den Schauspielern darauf,

die so tun, als befänden sie sich in einem realen Raum. Nein,

das Theater nähert sich dem Publikum an, kommentiert das

Geschehen, interagiert und kommuniziert mit den Menschen,

bezieht sie in die Dialoge ein.

Das ist vor allem beim Nachwuchstheater der Fall, das sichbei den Möglichkeiten, die das Theater ihnen bietet, üppig

bedient. Das KALTSTART gibt jungen Theatermachern diese

Möglichkeit. Das sieht man schon an den Spielstätten. Sie

unterscheiden sich von Staatstheatern und Schauspielhäu-

sern, sind kleiner und intimer. Da werden Konventionen

gebrochen, wird geraucht und getrunken, da gehen Leute ein

und aus. Gleichzeitig wird durch die Verfremdung aber nicht

nur Distanz geschaffen, sondern auch eine Intimität erzeugt:

Schauspieler und Publikum sitzen im selben Boot.

Vielleicht gibt es überhaupt keine Vierte Wand mehr, die maneinreißen könnte. Das Theater ist nicht nur ein Ort der Re-

zeption, sondern auch einer der (wenn auch vermeintlichen)

Kommunikation geworden. Das Anblicken der Zuschauer, die

Interaktion, die Berührung, das alles sorgt für eine Nähe,

die man weder im Kino noch im Fernsehen spüren könnte.

Vielleicht reicht das als Alleinstellungsmerkmal für das Thea-

ter völlig aus, das sich in einer Medienumgebung behaupten

muss, die mit 3-D und virtueller Realität aufwartet. Dort

„Industrial Light & Magic“, hier Bertolt Brecht. Die Effekte

sind nicht überall gut, manchmal sind sie auch nur Gimmicks,manchmal werden sie ungemütlich – immer aber sind sie eine

Einladung des Theaters an sein Publikum, die eigenen vier

Wände auch mal zu verlassen.

von Khesrau Behroz

In den eigenen vier Wänden ist es am gemütlichsten. Das gilt

auch im Theater. Die Figuren haben sich um das, was außer-

halb der Bühne vor sich geht, nicht zu kümmern. Der Schau-

spieler ist sich zwar der Tatsache bewusst, dass ein Publikum

zuschaut - seine Figur jedoch nicht. Für den Zuschauer ist es

so, als würde er durch eine transparente Wand sehen. Wird

sie entfernt, diese “Vierte Wand”, dann ist Schluss mit der

Trennung zwischen Bühne und Welt, zwischen Schauspie-

lern und Publikum. Bertolt Brechts Verfremdungseffekt ist

der wohl am leichtesten zu produzierende Spezialeffekt, den

das Theater zu bieten hat. Es muss nichts explodieren, keine

Rauchmaschine angeschmissen werden, Theaterblut wird

nicht gebraucht. Ein Blickkontakt mit dem Zuschauer reicht

aus, die Vierte Wand fällt, die Bühne öffnet sich, und damit

auch der Zuschauerraum.

Ein Tässchen Tee gefällig?

Vielleicht, weil dieser Effekt so einfach zu erreichen ist, wirder auch so häug genutzt – auch auf dem KALTSTART. Es gibt

unzählige Produktionen, in denen mehr oder weniger sinnvoll

die Vierte Wand nicht nur durchbrochen, sondern gerade-

zu zerstört wird. Die Performance “das beste dass sich an

diesem festival anmeldet (wirklich)” lässt die Zuschauer zu

Beginn ihre Lieblingszutaten einer Pizza aufzählen - bevor

diese dann tatsächlich bestellt und von einem verdutzen Lie-

feranten direkt auf die Bühne gebracht wird. In “India Simu-

lator”, einem Kammerspiel aus Kassel über interkulturelle

Differenzen, setzt sich die Hauptdarstellerin in die Mitte derBühne und hält eine Kurzpräsentation, während ihr Kollege

indischen Chai-Tee an alle Zuschauenden verteilt. Es wird

gemütlich im Saal, es bringt Bewegung in die Zuschauerrän-

ge. Der Effekt funktioniert aber auch weniger offensichtlich:

In der Inszenierung von Büchners “Woyzeck” wird mit dem

Zuschauer geirtet, lasziv in eine Orange gebissen, der Blick-

kontakt gesucht. In “keep on searching for a heart of gold”,

einem experimentellen Stück, das im Grunde genommen nach

einem Stück sucht, erzählen die Protagonistinnen locker-o-

ckig von ihrer Produktion und worauf sie bei der Rechercheso alles gestoßen sind - betont lässig, betont kommunikativ.

Viele andere Inszenierungen haben Essen und Getränke

verteilt – oder ließen zumindest ihre Schauspieler kurz in die

Augen der Zuschauer blicken und diese wahrnehmen – genug,

P r o bi e r ’ s m a l  m i t  U n  g e m ü t l i c k e i t !

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04 / 05

Ein Strauß Rosen, Bücher, aufgestellt in Domino-

Reihen, hinten eine Leinwand. Am Bühnenrandstehen ein Mann im Anzug, ein weiterer Mann in

einem undenierbar ausgebeulten Ganzkörper-

gummianzug und eine Frau in kurzem weißen

Kleid. Plötzlich hat der Anzugmann ein paniertes

Schnitzel in der Hand, das er an den Gummimann

weiterreicht, der es der Frau gibt. Sie umfasst es

sanft, führt es an ihre Wange und streichelt sich.

Zu sehen sind Handa Gote, ein tschechisches

Kollektiv, das ab heute beim PRAG SPEZIAL zu

sehen sein wird. „Das osteuropäische Theater ist

in weiten Teilen sehr traditionell, sehr textori-

entiert. Ich habe nach der freien Szene gesucht,nach experimentellen, alternativen Formen“, sagt

Andrea Tietz, die das Spezial kuratiert. Eingela-

den ist neben Handa Gote auch ein Projekt der

MeetFactory, einem interkulturellen, interdiszi-

plinären Kulturzentrum in Prag. „Die MeetFactory

ist wie Kampnagel vor 20 Jahren. Einmalig in der

Tschechischen Republik, zu deren Programm gibt

es dort nichts Vergleichbares“, sagt Tietz.

Aus diesem Programm ist „Land ohne Worte“. Es

basiert auf einem Text von Dea Loher, in dem sie

eine Afghanistanreise verarbeitet: Eine Male-

rin hat Krieg, Gewalt und Armut erlebt – undstellt infrage, ob ihre Kunst überhaupt noch Sinn

haben kann. Das Stück ist von einem Deutschen

inszeniert, die Hauptrolle spielt einer der Stars

des tschechischen Films und Theaters, Ivana

Uhlířová. „Eigentlich ist es Sprechtheater, aber

der Mix des Teams und wie sie das Stück ange-

gangen haben, das fand ich spannend“, erläutert

Tietz ihre Auswahl.

Handa Gote sind der Gegenentwurf: Sie bewegen

sich irgendwo zwischen Tanztheater, Konzert,

Performance, Visual Art und Installation. Die

Gruppe kombiniert in ihren Shows High-Techmit selbstgebastelten Instrumenten aus Schrott

und Gefundenem „auf sehr tschechische Art und

Weise“. Daher auch der Name Handa Gote, japa-

nisch für „Lötkolben“. In einer ihrer Shows werfen

sie Tonbandsalat in einen Mixer und streuen die

Stückchen dann im Kreis aus, während bizarre

Klanglandschaften auf das Publikum eindrin-

gen. Hier sind sie nun mit „Noise“ und „Emily“ zu

sehen.

Das Prag Spezial ist für KALTSTART ein kleiner

Blick über den Tellerrand des deutschen The-

aters. Und gibt vielleicht auch eine Idee davon,wo internationale Überschneidungen gefunden

werden können.

Termine 16 - 21 Uhr // My favourite thing

// Anna Zaorska // LOKAL // Open

Air Special

18 Uhr / 19 Uhr // Les Eck Flash //

Les Eck Flash // Schulterblatt 58 //

Open Air Special

18 Uhr // Sturmzucker // Marla

Weedermann, Broder Zimmermann

// Neuer Kamp 30 (Vorplatz Knust)

// Open Air Special

18 Uhr // Weißt du, wer Mister Pink

kennt? // Mr. Pink // Haus III&70

Anbau // Fringe

18 Uhr / 20 Uhr // You Make Me

Want To Loose You // Antje Hilde-

brandt // Eingang Schanzenpark

(Schanzenstraße/Kleiner Schäfer-

kamp) // Open Air Special

20 Uhr // Bunbury - Ernst ist das

Leben // Theaterdiscounter (Berlin)

// Haus III&70 Saal // Kaltstart Pro

20 Uhr // Werther in New York //

cinéma des étoiles // 13ter Stock

(Bar Rossi) // Fringe

20 Uhr // Land ohne Worte / Zeme

beze slov // MeetFactory Prag //

Theaterakademie Zeisehallen //

Prag Spezial

22 Uhr // Firestarter – Prozess

wider die Brandstifter // Ballhaus

Ost (Berlin) // Terrace Hill // Kalt-

start Pro

22 Uhr // Noise // Handa Gote //

Theaterakademie Zeisehallen //

Prag Spezial

22 Uhr // Paradies // Landestheater

Tübingen // Haus III&70 Club //

Kaltstart Pro

16 - 21 Uhr // My favourite thing

// Anna Zaorska // LOKAL // Open

Air Special

17 Uhr / 20 Uhr // Pissoirs //

Schaufenstheater // Balkon (Susan-

nenstraße/Bartelsstraße) // Open

Air Special

18 Uhr / 20 Uhr // Die Zofen // Lena

Schumacher, Franziska Boblenz //

Neuer Kamp 30 (Vorplatz Knust) //

Open Air Special

18 Uhr // Weißt du, wer Mister Pink

kennt? // Mr. Pink // Haus III&70

Anbau // Fringe

18 Uhr // Why I didn‘t become a

dancer – everyday you performed

for me // Evita Emersleben //

Fußweg (Susannenstraße/Bartels-

straße) // Open Air Special

19 Uhr // Warum das Kind in der

Polenta kocht // Ballhaus Rixdorf

(Berlin) // Haus III&70 Saal //

Kaltstart Pro

20 Uhr // Jim Jones liebt Nelly

Diener // Slackers // Foolsgarden

Theater e.V. // Fringe

21 Uhr // Meer Rausch! // Lena

Kußmann, Laura Jakschas // Bern-

steinbar // Fringe

21 Uhr // Während sie // PACK //

13ter Stock (Bar Rossi) // Fringe

22 Uhr // Habe ich dir eigentlich

schon erzählt... // Theater Aachen

// Haus III&70 Anbau // Kaltstart

Pro

22 Uhr // Nach Troja I // Theater

Bochum // Waagenbau // Kaltstart

Pro

Mittwoch 21. Juli 2010

(Schanzenstraße/Kleiner Schäfer-

kamp) // Open Air Special

20 Uhr // Sitz ich, die man n icht

rief, die Siebte! // Irina Vikulina

// monsun theater Werkstattraum

// Fringe

20 Uhr // Werther in New York //

cinéma des étoiles // 13ter Stock

(Bar Rossi) // Fringe

20 Uhr // Jim Jones liebt Nelly

Diener // Slackers // Foolsgarden

Theater e.V. // Fringe

20 Uhr // Liebesgeschichte // Max

Reinhardt Seminar Wien // Haus

III&70 Saal // Kaltstart Pro

21 Uhr // Emily // Handa Gote //

Theaterakademie Zeisehallen //

Prag Spezial

22 Uhr // Das Hotel // Theater

K Aachen // Haus III&70 Club //

Kaltstart Pro

von Alexandra Müller

Au’m Ote wNeue 

Land ohne Worte Mo, 19.07. | 20:30 Uhr | Zeisehallen

Das PRAG SPEZIAL gibt einen Einblick

in die alternative Theaterszene

Tschechiens

Montag 19. Juli 2010

16 - 21 Uhr // My favourite thing

// Anna Zaorska // LOKAL // Open

Air Special

17 Uhr / 20 Uhr // Pissoirs //

Schaufenstheater // Balkon (Susan-

nenstraße/Bartelsstraße) // Open

Air Special

17 Uhr // You Make Me Want To

Loose You // Antje Hildebrandt //

Eingang Schanzenpark (Schanzen-

straße/Kleiner Schäferkamp) //

Open Air Special

18 Uhr // Das Weiß und die sieben

Wege // Diasona // Waagenbau //

Fringe

18 Uhr // Koala Lumpur // Staats-

theater Innsbruck // Haus III&70

Anbau // Kaltstart Pro

19 Uhr // Les Eck Flash // Les Eck

Flash // Eingang Schanzenpark

Dienstag 20. Juli 2010

Noise Mo, 19.07. | 22 Uhr | Zeisehallen

Emily Di, 20.07. | 21 Uhr | Zeisehallen

KFZVorschau

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Mit Jim Jones liebt Nelly Diener zeigen die drei jungen

Männer von Slackers einen Abend über das Alle-Mög-

lichkeiten-Haben und Die-richtigen-Entscheidungen-

Treffen. Slacker: Person, die durch geringe Leitung

und mangelnde Anpassungsfähigkeit negativ auffällt.

Timo Kocielnik, Luke Malchow und Max Mehlhose-

Löfer verhandeln in ihrer Inszenierung die Themen

und Fragen junger Männer. Wofür soll man sich ent-

scheiden? Wie macht man es richtig? Wie macht man es

schön? Szenen aus eigenen und fremden Geschichtenfügen sich bei jeder Aufführung verschieden zusam-

men, enden wird es in der Zivilisierung der Figuren.

Man muss etwas nden, was man will. Oder nicht? Im

Titel werden zwei Personen genannt, die etwas so sehr

wollten, dass sie dafür, der eine aktiv, die andere eher

passiv, in den Tod gegangen sind.

„Jim Joe liebt Nelly Dieer“ 

 Jim Jones: *1931, Gründer der Sekte People’s

Temple. organisierte 1978 ein Massenselbst-

mordevent, bei dem mindestens 900 Menschen

starben, darunter 270 Kinder.

Nelly Diener: *1912, die erste Flugbegleiterin

Europas. Der Beruf war ihr größter Traum. Bei 

ihrem 79. Flug stürzte sie ab.

Di und Mi, 20. und 21.07. | 20.30 Uhr | FoolsgardenDienstag, 20.07 / 20:30 Uhr / Haus III&70, Saal

Die „Liebesgeschichte“ des österreichischen

Schriftstellers Franzobel feiert einen drei-

tägigen Liebesexorzismus mit österreichty-

pischem skurrilen Humor und „katholischerOpulenz und Ausschweifung“, so Regisseur

Sarantos Zervoulakos, frischer Reinhardt-

Seminar-Absolvent. Ihn faszinierte beson-

ders die hochmusikalische Sprache der

Vorlage, die er als Auftragswerk für das

Wiener „Zorn!“-Festival bearbeitete. Ein

sprachlich-formaler Zugriff auf eine rasante

Story? Immer her damit!

von Clara Ehrenwerth

Drei ge wh Das Max-Reinhardt-Seminar

zeigt eine „Liebesgeschichte“

Klttrt 

Dienstag 20.07. | 18.00 Uhr | Haus III & 70

Gut verdrägt it hlb gewoe 

Das Staatstheater Innsbruck inszeniert

David Lindemanns 9/11-Groteske

„Koala Lumpur“

Ende 2001 schreibt ein Soziologiestudent ein Stück,

das nicht von 9/11 handelt. Sondern vom Nicht-se-

hen-Wollen. „Mich interessiert, wie Menschen sich

abschotten, um ihre Identität zu behaupten – und

wie das Außen doch immer Einlass ndet”, sagt

David Lindemann, der 2002 den Dramatiker-Nach-

wuchspreis beim Theatertreffen gewann. „Koala

Lumpur“ nennt Start-Upperin Frau Schmidt den

Ort, an dem bis 2004 noch das höchste Gebäude der

Welt stand: Kuala Lumpur (heute: Dubai). Da fahren

sie und ihr Praktikant Max allerdings nicht hin, die

beiden zelten in New York, sechs Tage nach dem

Anschlag auf das World Trade Center. In diesem

Drama steckt jede Menge: absurder Humor, schrä-

ge Situationskomik, die Dekonstruktivisten und jede

Menge Verdrängungsmechanismen. „Es ist kein

Stück über den 11. September“, sagt Lindemann,

„sondern darüber, wie sich ein solches Ereignis in

die Sprache hineindrängt.“ Na dann: guten Flug!

von Alexandra Müller

von Laura Naumann

„Meine Mutter ist die Frau mit den Haaren aus

Stahl – sie lebt in Ohnmacht“ – in Aglaja Veteranyis

Roman geht es um das Werden in zwei Welten: Das

Zirkuszelt wird zum Sehnsuchtsort für ein Mäd-

chen, dessen rumänische Artistenfamilie versucht,

sich einen Platz im neuen Land zu erkämpfen. Die

Sprache war es, die Regisseur Fabian Sattler am

meisten an dem Stoff gereizt hat. Daher ist die

 junge Erzählerin die einzige, die in der Bühnenad-

aption von „Warum das Kind in der Polenta kocht“sprechen kann. Ihre Welt wird physisch erfahrbar

gemacht - von zwei Artisten, deren Körper als

Traumfänger in der Kuppel hängen. Manege frei!

rum vom tählere Hr Zirkuskuppel als Parallelwelt:

„Warum das Kind in der Polenta kocht“

Mittwoch 21.07. | 19:30 | Haus III &70 | Saal

von Stephanie Drees

KFZVorschau

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 Micpult, Kabel und Maie 

Ohne sie läuft nichts. Die KALTSTART-Techni-

ker Bernd Welte und Clemens Reichle bringen

im Haus III&70 und im Terrace Hill über 40 Pro-duktionen auf die Bühne. Mit KFZ-Redakteur

Jan Berning sprachen sie über Stress, Spaß

und die Zusammenarbeit mit den Künstlern

KFZ: Ihr betreut während des Festivals über 40 Produkti-

onen als technische Leitung. Wie kriegt ihr das hin?

Bernd Welte: Wir hatten drei Wochen Vorlauf, in denen wir

mit den Künstlern telefoniert haben: Was können wir hier im

Haus zur Verfügung stellen, was brauchen sie? Dann haben

wir dafür einen Mittelweg gefunden. Da das Festival nan-

ziell nicht übermäßig stark aufgestellt ist, muss mit demBudget so gehausgehaltet werden, dass es dann für die 46

Produktionen, die wir betreuen, auch reicht

KFZ: Betreut ihr die Künstler auch w ährend der Auffüh-

rung?

Clemens Reichle: Wenn sie das explizit wünschen, ja, aber

oft ist das nicht nötig, dann sind wir wieder bei einer anderen

Produktion. Wenn wir immer dabei sein wollten, bräuchten

wir mehr Leute.

Bernd Welte: Das ist auch im Vorfeld von uns kommuniziert

worden: Hey, wir sind hier zu zweit, wir versuchen, mög-

lichst viel zu organisieren und zur Verfügung zu stellen. Wirhaben auch bisher alle mit einem Lächeln verabschiedet,

bisher haben alle Spaß gehabt. Und meistens haben die ja

auch Regieassistenten dabei, mit denen wir dann die Technik

mit einrichten: Wir erklären am Mischpult, auf welchem

Regler welche Stimmung liegt und die fahren dann das Licht

und die Toneinspielungen während der Aufführung selbstän-

dig. Die kennen die Stücke besser als wir. Klar ist immer

einer von uns im Terrace Hill oder im Haus III&70 vor Ort,

aber wir müssen da nicht 90 Minuten Händchen halten.

KFZ: Und für euch selber: mehr Stress oder mehr Spaß?

Bernd Welte: Bisher war es mehr Stress, als wir uns dasvorgestellt haben, weil es noch nicht die Struktur hat, die

man sich wünschen würde. Aber wir sind aus Spaß am The-

ater mit dabei, wir fühlen uns im Theater zuhause. Deshalb

unterstützen wir das Projekt und tragen unseren Teil dazu

bei.

Clemens Reichle: Und wir haben dieses Jahr viel dazu ge-

lernt. Nächstes Jahr wird es einfacher.

KFZ: Stress bedeutet auch: Losfahren, fehlendes Equip-ment organisieren, rumtelefonieren. Wo kommt denn die

Technik her, die ihr verwendet?

Bernd Welte: Wir haben uns hier vorab ein externes Lager

eingerichtet, hauptsächlich bestehend aus Technik, die wir

uns von Bekannten geliehen haben, damit wir nicht schon

am Anfang das Budget aufbrauchen. Und es hat auch bisher

für jede Produktion gereicht.

KFZ: Als technische Leitung seid ihr auch für das Büh-

nenbild zuständig. Ist es nicht schwierig, hier auf engem

Raum den künstlerischen Ansprüchen aller Bühnenbildner

gerecht zu werden?

Bernd Welte: Die besten Sachen entstehen, wenn Techniker

und Bühnenbildner eng zusammen arbeiten, wenn da ein

gemeinsames Werkverständnis entsteht. Beim Sammeln

der Ideen darf die Technik noch keine Rolle spielen. Wenn

es dann um die Realisierung geht, wird oft zu schnell das

Konzept infrage gestellt. Dabei ist es oft möglich, auch mit

kleinen technischen Mitteln etwas Großes zu machen, wenn

der Techniker das Kunstverständnis hat, den Künstler mit

dem, was er auf der Bühne haben möchte, respektiert und

zusammen mit ihm an einer Lösung arbeitet. Bis jetzt haben

wir immer eine Lösung gefunden.

Clemens Reichle: Es wird selten vorab realisiert, dass die

Räume hier keine Theaterräume sind, sondern eher klei-

ne Räume, eher Partylocations. Beispielsweise sollte eine

österreichische Aufführung hier im Anbau stattnden, die

aber so unglücklich waren, dass sie dort ihr Konzept nicht

umsetzen können, dass wir nochmal die Pläne durchge-

gangen sind und mit einer anderen Produktion gesprochen

haben, die oben im Saal spielen. Es ist jetzt ein wenig mehr

Aufwand für alle, aber wir haben es ermöglicht, dass beide

Aufführungen im Saal stattnden können.

KFZ: Könnt ihr euch selber neben eurer Arbeit Auffüh-

rungen anschauen?

Bernd Welte: Klar, wenn wir zwischendurch mal Zeit haben,

schauen wir uns auch Aufführungen an. Wir haben ja beide

schon in mehreren Positionen am Theater gearbeitet und

können das dann auch besser nachvollziehen als der Tech-

niker, den nur seine Kabel und Signalwege interessieren und

weniger das, was man auf der Bühne zeigen will.

Techniker, die begeistern: Bernd Welt und Clemens Reichle

KFZInterview

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Klttrt 

Ein Besuch im Hotel Pacic, dem Rückzugsort der KALTSTART-Künstler

Thomas van Riesen macht noch schnell die Klotür im Früh-

stücksraum zu und holt sich einen Kaffee. Die Gäste sind

ausgeogen in die Stadt. Im Hotel Pacic wird aufgeräumt.

Van Riesens Händedruck ist so solide wie der 60er-Jahre-

Bau, sein Lächeln subtil verspielt wie der gelb-orange Ne-

onschriftzug, der in Richtung Schulterblatt blickt, auch etwas

hanseatisch, wie der Frühstücksraum: maritimes Messing,

braunes Holz, leicht abgeschabte Sitzbankgarnituren. Die

Fragen beantwortet der Hotelmanager mit Hamburch in der

Stimme. Und mit Understatement: Wenn er sagt, dass das

Pacic „schon immer mit Klubs in der Umgebung“ zusam-

mengearbeitet habe, sagt er nicht, dass einer davon der Star-

Club war, und die Beatles hier Stammgäste. Ob die Beat-

les vielleicht hier, an diesem Tisch...? So lange sei er noch

nicht hier, sagt der mittelalte van Riesen mit angedeutetem

Lächeln. Aber mit Künstlern hätten sie gute Erfahrungen ge-

macht. Auch mit denen vom KALTSTART-Festival: „Die sind

eher leger“, sagt er, „und ruhig.“ Sowieso ist das Pacic einer

dieser Orte, an denen man sich kaum traut, laut zu sprechen.

Möglich, dass es mit seiner Geschichte zu tun hat. V ielleicht

istes aber auch nur ein Ort, an dem man niemand anderen

stören will, auch, wenn gerade keiner da ist außer denen, die

gerade noch das Frühstück serviert haben. Von den Beatles

hätte er nichts gewusst, sagt Christian Onciou, Regisseur von

„Die Nacht vor den Wäldern“. „Aber beruhigend zu wissen,

dass solche Leute hier auch mal gewohnt haben, als sie noch

nicht soviel Geld hatten.“ Die K ALTSTART-Künstler sind in

von Jan Fischer

Yeah, yeah, yeah – aber leie 

der „niedrigsten Preiskategorie“ untergebracht, wie van

Riesen es nennt. Toilette und Dusche sind auf dem Gang,„Duschbad“, steht in goldener Schrift an der ersten Tür in

dem langen Hotelgang mit dem blauen Teppich. Ganz hinten

arbeiten noch die Putzfrauen, Zimmer 107, eines der Künst-

lerzimmer, ist aber schon fertig. Auf dem Kopfkissen liegt

Schokolade, das Fenster geht zur Straße, ein Waschbecken

an der Wand, darüber ein Alibert-Badschrank. „Das ist schon

nett“, sagt Onciou, „das mit dem Waschbecken am Fußende

vom Bett. Besser als das Seemannsheim, in das wir eine

Nacht ausweichen mussten.“

„Ich habe auch den Eindruck“, sagt van Riesen, „dass die

KALTSTART -Künstler dankbar sind. Auch wenn es nicht die

luxuriösesten Zimmer sind.“ „In einem Luxusschuppen“, sagtOnciou, „wäre ich mir falsch vorgekommen, das hätte auch

gar nicht zum KALTSTART gepasst.“ Von dem Festival

Fotos: Jan Fischer

selbst, sagt van Riesen, bekomme man im Pacic gar nichtsoviel mit. Von den Künstlern selbst übrigens auch nicht. Und

die Zeiten, in denen jemand mal spontan einen Fernseher aus

dem Fenster wirft, sind auch vorbei. Genau wie van Riesens

Zeit – er verabschiedet sich, gleich hat er noch einen Termin.

Im Frühstücksraum wird jetzt nicht mehr geputzt, und als

van Riesens gegangen ist, ist niemand mehr da: Das ganze

Pacic liegt ruhig, dort, wo sich die meisten KALTSTART-

Wege kreuzen: Zwischen dem Haus III&70, dem Knust, in

Steinwurfweite zum Terrace Hill. Das Festival selbst kommt

aber nicht her. Nur die Ruhe nach dem Applaus, die Stille,

wenn die Musik vorbei ist, die Konzentration vor dem Auftr itt:

Das Pacic ist der Rückzugsort für die Künstler des Festi-vals, die das Glück haben, dort untergebracht zu sein. Zum

Abschied winkt der Pförtner nochmal kurz, und die Türgriffe

sind tatsächlich kleine Schiffssteuerräder. Direkt dahinter,

auf der Straße, in der Stadt, wird’s schon wieder laut.

KFZReportage

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8/9/2019 KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 04 / 1. Jahrgang

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08 / 09

Verpse ud Verehe 

Bei einem übervollen Festival gehört es dazu, Dinge zu

verpassen. Man muss Entscheidungen treffen. Leider heißt

das auch, dass Orte, die weiter draußen liegen und Perfor-

mances, die keinen großen Namen haben, leicht verschwin-

den. Eine dieser Performances, die großartig, aber schlecht

besucht war, hieß „Today I am willing to understand“ von

Maria Isabel Hagen. Sie erarbeitete ihr Projekt in Reykjavík,während eines Studienaustausches. Willing to understand

waren aber nur vier Menschen (inklusive der Schreibenden),

die Freitag um 18 Uhr im Foyer des Monsuntheaters saßen.

Hagen begrüßt die Anwesenden, zwei Männer und zwei

Frauen, und erklärt, dass es ihr nichts ausmachen würde

zu spielen, man könne aber auch zur zweiten Vorstellung

wiederkommen. Die Vier wollen bleiben und Hagen führt sie

zur Bühne. Dort: ein Holztisch mit Stuhl, um ihn herum ein

Quadrat. Dessen Eckpunkte: ein Hocker, auf dem ein Apfel

steht, eine schwarze Box, oben offen und zwei vom Publikum

abgekehrten Stühlen, mit noch mehr Requisiten.

Was Hagen in der folgenden halben Stunde auf Englisch undmit schelmischem Blick erklärt, ist eine Vom-Hölzchen-

aufs-Stöckchen-Rede, die aber immer um einen Kernpunkt

kreist: Woher wissen wir, was wir wissen?

Sie kommt von der klischeehaft deutschen Disziplin zu

Goethes leerem Schreibtisch, von da aus auf Kants Idee vom

„Ding an sich“. Von Kant kommt sie zu ihren liebsten Kar-

toffelchips (Ringe, die man auf seine Finger stecken kann)

und schließlich zu ihren kindlichen Unverständnis, warum „1

Apfel + 1 Apfel = 2 Äpfel“, obwohl die Äpfel doch furchtbar un-

terschiedlich seien. Und sich auch gar nicht zusammen brin-

gen lassen, wie sie demonstriert, indem sie zwei Äpfel hart

aneinander schlägt. So geht es weiter mit Schrödingers Kat-ze, die vielleicht in der schwarzen Kiste sein könnte (tot oder

lebendig), so lange, bis alle Gewissheiten samt Apfel und

Katze in der Kiste verschwunden sind und Hagen mit einem

geheimnisvoll freundlichen Lächeln die Bühne verlässt. Oft

haben Stücke Fragen in ihren Ankündigungen, die man in der

eigentlichen Show umsonst sucht. Hagen aber hinterfragt

wirklich, spielerisch, ihr entspannter Vortrag wirkt nicht wie

Theater, ist aber theatral im eigentlichen Sinne: Es entsteht

eine Interaktion, egal ob Hagen nun Stücke einer selbst

gebackenen Zahl Zwei austeilt oder ihren Zuschauern in die

Augen schaut, während sie öffentlich nachdenkt.

Schade, dass „Today I am willing to understand“ eine derPerformances war, die untergegangen sind. Es lohnt sich,

beim Kaltstart-Festival auf die kleinen, unauffälligen Pro-

duktionen zu schauen. Hier passiert mehr, als man denkt.

Verstanden?

von Alexandra Müller

Das großartige „Today I am willing to

understand“ von Maria Isabel Hagenzeigt: Es lohnt sich, auf die kleinen,

unauffälligen Produktionen zu schauen

Dunkle Discokugeln sind Spiegel, die nichts spiegeln. Weil

das Licht aufs Publikum gerichtet ist und rhythmisch an- und

ausgeht. Worin sich das Licht aber spiegelt, das sind die gol-

denen Leggins der Performer: Das ist das – wie Barthes es

nannte – Punctum: Das, was sich im Hirn verankert.

Man Rays Fotomontage „Marquise Cassati“ ist Grundlage für

dis-orientend, aber um das Bild, das die Marquise verwackelt

mit drei Augenpaaren zeigt, geht es eigentlich kaum: Es geht

um Liebesverwicklungen und Machtverhältnisse: Die Per-

former wickeln sich in Mullbinden und tanzen - sich aus- und

einwickelnd - unter den toten Discokugeln. Später spielen sie

mit Beamern: Das Gesicht einer Performerin – Lisa Schwab

– wird auf das Gesicht des anderen – Christopher Hahn 

- projiziert: Man Rays Bild live. Ein anderer cooler Effekt: Sie

pusten sich gegenseitig computeranimierte Bälle von einer

Leinwand weg. Das Punctum von Alte Sehnsucht des Duos

Vieux | Maram ist auch golden: eine Jacke mit glänzenden

Pailletten, und wäre Vieux dicker, könnte man sagen, sie sei

eine Art Discokugel. Ist sie aber nicht, das lässt sich gut sa-

gen, weil die Jacke halb offen ist und sie nichts drunter trägt.Zwischen zwei Projektionen, einer Kamera und zwei Laptops

tanzen die beiden durch eine Menge medialer Ebenen, zu

spanisch-südamerikanischer Musik. Auch hier wieder: Die

Anziehung und Abstoßung des Liebesmagnetismus, es geht

weniger um Machtverhältnisse, eher um Erwartungen. Der

Tanz, die beschrif tete Plastikfolie auf dem Boden, die Kame-

ra, die die beiden lmt und an die Wand wirft, das Video, das

nebenbei läuft – „Alte Sehnsucht“ produziert mit Bedeutung

aufgeladene Bilder am laufenden Band, und treibt dabei (wie

auch „dis-oriented“) einen riesigen technischen Aufwand.

Beide Produktionen basteln einen Haufen gewaltiger Rätsel-

bilder zusammen, mehr, als sich erzählen oder entschlüs-seln ließe. Die darunter l iegenden Geschichten müssen das

tragen – aber sie tun es nicht. Die Performances weiden sich

lieber an ihren Bildern. Und die sind wie die dunklen Disco-

kugeln: Cool anzusehen. Nur spiegeln sie kaum etwas wider.

von Jan Fischer

Goldee Parugzeit uter dukle Diokugel Die zwei Performances dis-oriented

und Alte Sehnsucht beschäftigen sich

mit dem merkwürdigen Verhalten ge-schlechtsreifer Großstädter

Performative Verwicklung. Foto: Sven Heine

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Das ist gut.

“Jetzt ist es wohl zu Ende”, sagt eine Zuschauerin, kurz nach-

dem der Saal im Haus III&70 dunkel wird und die Geschichte

von Bjartur und John ihren Schluss ndet. Während des ge-

samten Stücks kommentiert sie alles, als säße man an einem

Lagerfeuer und erzählte sich Anekdoten, als würde man

verstaubte Fotoalben herauskramen und sie mit anderen

teilen, als würde man einer Gesprächsrunde beiwohnen, als

wäre man im Kreise der Familie.

Tatsächlich ist dieses vertraute Verhalten dieser Zuschau-

erin insofern verstörend, als dass das Geschehen auf der

Bühne in den letzten 70 Minuten eher entfremdet, schockiert

und erschüttert hat. Kristofer Gudmundsson und die beiden

Spieler Gesine Hohmann und Stephan Stock erzeugen ein

gig ist. Muss er sich entscheiden, wählt er seine Unabhän-

gigkeit, wählt die Schafe, die ihm genau das zusichern, setzt

sie sogar über seine eigene Frau, die infolge dieser Extreme

stirbt und ein kleines Kind hinterlässt. Kurz: Stephan Stocks

Bjartur ist sein eigener, selbstherrlicher Herr – bis zur letz-

ten Konsequenz.

John Kaltenbrunner, Kleinbauer aus den Vereinigten Staaten,

ist Opfer seiner Umwelt, jemand, der nicht zusammenbricht,

sondern zusammengebrochen wird, jemand, der den Na-

turen ausgesetzt ist, den Stürmen, aber auch den Menschen.

Am Ende sucht er dann den Aufstand, als Müllmann, als

Anführer der Gescheiterten.Bjartur und John gehören zusammen auf die Bühne. Auch

wenn sie jeweils anders scheitern: sie scheitern. Sie treffen

sich nicht, laufen entweder parallel nebeneinander oder

sprechen in dialogischen Monologen, während im Hinter-

grund die jeweils andere Figur ihren Pichten nachgeht und

auf das Sprechen des Anderen scheinbar reagiert. Gesine

Hohmann spielt nicht nur John Kaltenbrunner, sondern zum

Beispiel auch die verschüchterte Rosa, Bjarturs Frau.

Und dann ist da noch die Stimme aus dem Off. Robert McKee

ist kein Gott, aber er spricht vom großen Plan, vom Storytel-

ling, erzählt, dass in Geschichten die Darsteller eine Ent-

wicklung durchmachen müssen, er erzählt von Wendungenund von Klimax, das erinnert ein wenig an Aristoteles, nur

moderner und mit mehr Schimpfwörtern zwischendrin. Nur:

Wie erzählt man eine Geschichte, in der nichts passiert?

Bjartur und John sind Persönlichkeiten, die sich nicht entwi-

ckeln, zwei Kleinbauern, die irgendwann stehen geblieben

sind, entweder in ihrer Sturköpgkeit oder in ihrem Frust.

McKee ist sowas wie der Antagonist der Geschichte und,

wenn man so will, auch ein Gescheiterter: Bei den Figuren

stoßen seine Worte auf taube Ohren.

Erschütternd an diesem großartig gespielten Stück ist dann

wohl tatsächlich die Einsicht, dass sie nicht so viel anders

sind als wir: Wir alle kennen Trotz, wir alle kennen Frust. DieEmotionen sind uns bekannt, Stock und Hohmann schreien,

dichten, uchen sich durch das Stück mit großen Gesten und

starker Präsenz, nutzen die Holzlatten, um Dinge zu bauen,

die dann wieder zusammenfallen, nichts hält, alles fällt zu-

sammen. Am Ende greift Bjartur wieder zum Holz. Die Bühne

wird dunkel - wir müssen selbst weiterbauen.

Eine Erschütterung: “Vom Schlachten des gemästeten Lamms

und vom Aufrüsten der Aufrechten” im Haus III&70

von Khesrau Behroz

Sceiter ud Erkene 

.Foto: Jan Hufnagel

Klttrt 

faszinierendes Bild mit ein paar Holzlatten, einem Diapro-

 jektor, mit Nägeln und Bäuchen. Dabei bedienen sie sich

bei zwei Romanvorlagen: “Sein eigener Herr” von Halldór

Laxness und dem titelgebenden “Monument für John Kal-

tenbrunner: Vom Schlachten des gemästeten Kalbs und vom

Aufrüsten der Aufrechten” von Tristan Egolf. Der erste ist ein

isländischer Literaturpreisträger, der andere ein amerika-nischer Schriftsteller, der durch Suizid gestorben ist. Beide

Geschichten verstören zuerst durch Grausamkeit, man kann

sich solche Leben nicht vorstellen, die nur funktionieren

müssen, die keinen Platz mehr haben für Abweichungen, die

sich aber andererseits auch nichts vormachen, der Sinnlo-

sigkeit dessen bewusst sind, was diese Welt ihnen bietet und

genau darin ihr Glück nden, genau danach streben.

Bjartur, ein sturköpger Kleinbauer aus Island, der aus dem

Stegreif reimen kann, ein unverbesserlicher Despot über

das eigene kleine bisschen Land, ein grausamer Idealist, der

das wohl nicht einmal merkt, schätzt seine Schafe, nennt

sie Goldöckchen, nennt sie Silberblick. Rennen sie ihm malweg, holt er sie wieder zurück, trotzt allen Widrigkeiten, trotz

aller Widrigkeiten. Seine Frau Rosa hingegen heiratet er, weil

es eben irgendwann mal sein muss, wenn das Land einiger-

maßen läuft, wenn man auf eigenen Beinen steht, unabhän

Gesine Hohmann als John Kaltenbrunner. Foto: Sven Heine

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Die Nicole ist eine Schicke. Verführerisch wiegt sie im bunten

Blümchenoverall den Oberkörper und schüttelt das toupierte

Haar. Man müsste schon blind und taub zugleich sein, um

nicht zu erkennen, dass der Brenner die Nicole heiß ndet.

Doch vor allem dient sie ihm als heiße Informationsquelle.

Also versucht er, sie auf andere Weise rumzukriegen: Wäh-

rend die Nicole ihre Plastikärmchen ordentlich nach hinten

verbiegt, löchert der Brenner sie zu einem Thema, bei dem er

nur bedingt Spaß versteht: Es geht um Mord. Gleich zwei Mal.

Eine Kunststofeiche nach der anderen: „Jetzt ist schon

wieder was passiert“, steht angemessen programmatisch im

Programmheft von „Komm, süßer Tod“, der Bühnenadaption

des Kriminalromans von Wolf Haas. Die Vorlage ist der in

stab. Zwischen all dem Rettungswagen, die durch die Sze-

nerie brettern, als setze Plastikleim die StVO außer Kraft.

Rund um den Tisch des Geschehens sind Monitore aufgebaut,

die mit Kamera-Close-Ups eine weitere Wahrnehmungse-

bene ins Spiel bringen. Es ist ein Zoom der besonderen Art.

Die Zuschauer können zwischen der lmischen Illusion und

der theatralen Ebene hin und her switchen. Figuren wer-

den durch Puppen symbolisiert, deren Kunsthaar auch mal

kahle Stellen von der Chemotherapie aufweist, während die

Bäckchen munter weiter grinsen. Barbiepuppenbeine stehen

für die klischierte Sexyness von Bürofegern, die das dre-

ckige Dutzend, das da vor sich hin mauschelt, verwirren und

manipulieren. Bis auch so eine mal dran glauben muss. Das

Milieu der Rettungsvereine hat so einige Leichen im Keller.

„Kreuzretter“ und „Rettungsbund“ versuchen sich gegensei-

tig die Omas von der Dialyse weg zu klauen. Im Wort „Ster-

ben“ stecken nicht umsonst auch die Erben. Ein durch und

durch hartes Geschäft.

Gehre verzichtet - wie die Vorlage - glücklicherweise gänz-

lich auf jegliche politische Korrektheit. So heißt Brenners

Kollege aufgrund seiner Afromatte Bimbo, seine Liebe zu

schweren Goldketten wird ihm zum Verhängnis. Der Bimbo

wird zum Bimbo, indem Alleinunterhalter, Puppenspieler und

Krankenwagenkamikazee Torben Kessler sich eine Minipli-

Perücke auf den Kopf setzt. Kessler ist auch Hansi, der mit

riesigen Glasbausteinen auf der Nase leicht sabbernd mit

Brenner Diabetes-Touren fährt. Oder auch die im Samthand-

schuh steckende Hand der alten Frau Rupprecht. Oder auch

eine sprechende Brust, die auf den Monitoren zum Leben

erwacht. „Komm, süßer Tod“ arbeitet stark mit Typisie-

rungen. Figuren werden zum Teil auf comichafte Züge herun-

ter gebrochen, ab und an sprudelt der Trash in Form einer

ejakulierenden Bierasche. Genau das ist die große Qualität

des Ganzen: Klischees werden clever gebrochen, indem ihre

Darstellungsform so unerwartet daherkommt, dass sich einekaleidoskopische Perspektive auf das Bühnengeschehen

ergibt. Die Inszenierung ist weit mehr als das Nachspielen

eines Romans. Sie funktioniert als eine Art theatraler Gen-

remix. Puppenspiel, Live-Making-Of und Film vereinen sich

aufs Witzigste. Selten war Sterben süßer.

Klaus Gehres Inszenierung von Wolf Haas’ „Komm, süßer Tod“

ist eine modellhafte Bühnenoffenbarung

von Stephanie Drees

Süßer Sterbe mit de Erbe 

Torben Kessler als Alle. Foto: Sven Heine

Buchstaben gefasste Nationalstolz, genauso der Film, in dem

Josef Hader den durch und durch verkorkst-verwienerten

Rettungssanitäter Brenner mimt. Der ehemalige Bulle und

Privatdetektiv ist für manche das Beste, was Österreich zu

bieten hat. Und es scheint, als punkte man dort mit Brenner

als erstem wahren Popguren-Exportschlager nach RomySchneiders Sissi.

Dabei ist „Komm, süßer Tod“ als grobes Handlungsgeecht

gar nicht so aufregend. Es passiert zwar am laufenden

Band etwas, doch die Ereignisse sind in ihrer Lakonie eher

Beiwerk. Hier eine Leiche, da ein Zungenkuss, noch ein

Leiche, viele, viele mögliche Mörder und einige Karambo-

lagen. Der wahre Star des Buches wie des Films ist der

grantelnde Wortwitz, schillernd im dunkelsten Schwarz und

trocken wie Sandkörner, die nach einem Sturm zwischen

den Zähnen knirschen. Der Regisseur und Bühnenkünstler

Klaus Gehre hat die für die Inszenierung von „Komm, süßer

Tod“, die am Schauspiel Frankfurt entstanden ist, etwas sehrKluges getan: Er lässt der Sprache ihren heruntergekom-

menen Charme und kontrastiert sie mit einer Kulisse, die

im wahrsten Sinne spielerisch funktioniert. Modellbauern

müsste der Anblick Tränen der Verzückung in die Augen trei-

ben: Häuser und Straßenzüge auf Miniatureisenbahn-MaßRegisseur Klaus Gehre an der Kamera. Foto: Ole Westermann

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Klttrt 

Wer verwundet ist, der versucht die Wunde zu ignorieren,

bis sie sich schließt, die Schmerzen nachlassen, das Blut

gestillt ist. Eine Wunde aber, die immer wieder aufreißt und

aufgerissen wird, lässt sich nicht leugnen, sie nimmt Raum

ein, übt Einuss aus, auf das Denken des Verwundeten und

manchmal auf sein Handeln. Philoktet hat sich eine solche

Verletzung auf dem Kriegszug gegen Troja zugezogen, durch

den Biss einer Natter. Weil Odysseus und seine Gefährten

den Gestank der Wunde nicht mehr aushalten, setzen sie

Philoktet, ihren besten, mit dem Bogen des Herakles aus-

gestatteten Schützen, auf der Insel Lemnos aus. Nach zehn

Jahren erfolglosen Kampfes gegen die Trojaner wird ihnen

geweissagt, dass sie nur mit Philoktets Bogen die Schlacht

gewinnen können. Also beschwört Odysseus Neoptolemos,

den Sohn Achills, mit ihm nach Lemnos zu reisen und dem

Verwundeten den Bogen abzuschwatzen.

lügt.“ So wird Neoptolemos zum Spielball, zum Mittelpunkt

der Bühne, mal von Odysseus’ Rüstung im Klammergriff ge-

halten, mal vom chorisch gesprochenen Text Philoktets und

seiner Wunde unter Druck gesetzt. Und während der ange-

spannte Körper Neoptolemos’ von den Streitenden gezerrt,

hochgehoben und ruhig gestellt wird, wird er immer mehr

zur Projektionsäche, hinterlässt die Unausweichlichkeit des

Scheiterns an der Moral einen entgeisterten Ausdruck auf

seinem Gesicht, wie ihn der Pathos des Textes allein nicht

herstellen könnte.

Es ist ein ungemein intensives, körperliches, fast gewalt-

tätiges Spiel, das unter der Regie von Christopher Rüping

entstanden ist. Mal umkreisen die Antagonisten Philoktet auf

der Bühne, mal stürzen sie sich über die Gips-Brocken hinab,

mal zerreißt ein Schrei das gleichmäßige Stampfen des

Textes. Es stehen sich Figuren gegenüber, die keine Sprache

mehr teilen, die sperrigen Fragmente der Vorlage von Heiner

Müller sich gegenseitig in die Körper stoßen. Sie machen die

Dinge über ihr Spiel, über das Metrum des Textes emotional

erfahrbar, auch wenn nicht alle Codes und Bilder sich sofort

entschlüsseln lassen.

Am Ende bestimmt das Publikum: Odysseus mus s sterben

Dieser mit großer Anstrengung gehaltenen Spannung – nacheiner halben Stunde sind die beigen Overalls der Schauspie-

ler komplett vom Schweiß durchtränkt – wird immer wieder

eine Ebene zwischengeschaltet, die das Geschehen reek-

tiert, Raum lässt für Spielereien, etwa eine Art Liebesszene

zwischen den zweiten Ichs von Philoktet und Odysseus– „Und

dann fragst du mich, ob das eine Geschichte wird mit Anfang,

Mitte und Ende, mit ganz viel Liebe“ – um dann umso härter

in das Ringen um das Recht auf Hass und das Recht auf Le-

ben einzusteigen. Der entscheidende dieser Meta-Momente

ist der, in dem Neoptolemos die Zuschauer bittet, ihm zu

helfen: Je eine schwarze Murmel, die sie vor der Aufführung

erhalten haben, sollen sie entweder einem Säckchen mitder Aufschrift „Philoktet“ oder „Odysseus“ zuteilen. Eine

Waage wird hervorgeholt: Die Abstimmung rettet Philoktet

das Leben, Odysseus und die Griechen müssen sterben. Die

Zuschauer werden am tragischen Dilemma des Protago-

nisten beteiligt, machen die Last des Gewissens Neoptole-

mos’ zu ihrer Last und schreiben die Geschichte um: „Keiner

kehrt zurück, keiner schießt auf Troja, keiner erndet ein

hölzernes Pferd, Geschichten werden überschrieben, Helden

gelöscht, unsere Geschichte wird nichts werden“.

„Philoktet“, ist eine der Inszenierungen des Festivals, die

in Erinnerung bleiben werden, weil sie es vermag, einen

tragischen Bühnen-Konikt zu unserem privaten Koniktwerden lassen, weil sie ein neues, intuitiv erfahrbares Bild

ndet für eine alte Geschichte. Und weil sie diese Geschichte

nicht nur erzählt, sondern den Zuschauern einschreibt, sie in

diese Geschichte hinein zwingt.

Christopher Rüpings Inszenierung von „Philoktet – mein hass gehört mir“ in den

Zeisehallen hinterlässt einen tiefen Eindruck

von Jan Berning

Uter der Wude der Hs

Aufgerissener Schorf. Foto: Jonathan Merz

Die Insel in der Inszenierung in den Zeisehallen (uraufge-

führt wurde des Stück auf Kampnagel) besteht aus einer

Tribüne inmitten der Zuschauer. Philoktet (Benedikt Greiner)

ist einsam, aber er hat sich arrangiert, ndet es geil, wie er

sagt. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit, denn Philoktet

besteht aus zwei Personen und wird von seinem alter Ego,

seiner Wunde (Natalia Rudziewicz), bedrängt. Er wird zu-

und abgerichtet, auf die Worte des Textes, das gleichmäßig

zehrende Metrum, von seinem anderen Ich, das sein Kinn

festhält, ihn in den Zorn seiner Rolle zwingt. Auch Odysse-

us (Isabell Geibeler) tritt zu zweit auf, wirft sich mit seiner

personalisierten Rüstung (Jacob Leo Stark) auf die Insel, um

mit schweren Stiefeln die Gipsplatte zu zerstören, schreiend

– „brutal, genial, egal, anal“ – den Schorf aufzureißen, das

Land aufzutrampeln.

Ein intesives, körperliches, fast gewalttätiges Spiel

Zwischen den beiden Helden steht Neoptolemos (Wiebke

Mollenhauer), der die Griechen retten will, aber nicht den

Philoktet betrügen. „Zum Helfer bin ich hier, zum Lügner

nicht“, gibt er Odysseus Bescheid. Der aber fordert unbe-

dingten Gehorsam: „Doch braucht es einen Helfer hier, der

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von Stephanie Dreest

Die Phänoenoogie de Ramer Gestaltungsweise suchen Meister Lampe

im Konfetti: „Das kleine Hasenstück“

im Monsun-Theater

Anjorka Strechel hält die Ohren steif. Foto: Sven Heine

Für was muss der Hase als Projektionsäche alles her-

halten: Ängste und Triebhaftigkeit,

Opferposition, aber auch Schnelligkeit und Fruchtbar-

keit.Hier beginnt alles recht harmlos: Eine junge Frau

fährt auf Rollschuhen, im Hasenganzkörperkostüm, auf

die Bühne. Mitgebracht hat sie ihren Zauberkoffer, ein

bisschen Glitzerpuder und eine traurige Geschichte:

Fast wäre sie im Kochtopf gelandet. Da liegt der Hase

im Konfetti: Die Tragik des Clowns wird thematisiert,

inklusive manischem Ausbruch und einem leicht schizo-

phrenen Rein-Raus wie beim Boulevardtheater.

Doch was scheinbar vorhersehbar beginnt, wird in einerskurrilen, körperlich präsenten Revue (Spiel: Anjor-

ka Strechel) immer vertrackter. Texte von über die

Herrschaft, die Mehrheit und die Minderheit werden mit

erigiertem Gewehr und bösem Jägergesicht rezitiert.

Hier geht es immer auch um das Existentielle. Und

das Existentielle, das ist nun mal von Grund auf etwas

Menschliches, denn auch wenn dieser Hase mindestens

so viel redet wie er rammelt, weiß er die Grenzen des

eigenen Bewusstseins durchaus zu reektieren. Und

so hindert ihn nichts, auch mal Nietzsche zu zitieren.

Oder eine kleine Hierarchie der darstellenden Kunst

am Stadttheater aufzumachen: Mit Bunnys in ver-

schiedenen Größen, die für die heilige Trias Intendant,

Regisseur und Dramaturg stehen. Dann erst kommt der

Schauspieler, das arme Hasenschwein.

In diesen Momenten funktioniert die Inszenierung am

stärksten: Wenn Regisseurin Kathrin Mayr die Häsin

einen goldenen Passions-Bilderrahmen schultern lässt,

dann zieht sich die Schraube der Absurdität soweit an,

dass der Rammler selbst zum Ausgangspunkt für Asso-

ziationsketten wildester Art wird.

Falscher Hase? Mit Vergnügen!

Im Theater, ach: in der ganzen Kunst wird ja immer

gerne an den gesellschaftl ichen Verhältnissen geschei-

tert. Da steht dann ein kleines Individuum in der Mitte

und reckt die Faust des Gerechten in die immer dünner

werdende Luft, während ringsherum ein Tableau von

aus den unterschiedlichsten Gründen unsympathischen

und moralisch falsch eingestellten Figuren die Schlinge

immer enger zieht, bis das Individuum ganz von selbst

vom Schemel springt. Vom Tableau darf man dann noch

ein paar zynische Bemerkungen erwarten, denn, ach:die Welt, sie ändert sich nie.

Die Blütezeit dieses Sujets war – nicht weiter verwun-

derlich – die Weimarer Republik; dem Umstand, dass

dies zugleich eine Blütezeit der satirischen Überhöhung

und sprachlichen Noblesse war, ist es zu verdanken,

dass sich Stücke wie Ödön von Horváths „Glaube Liebe

Hoffnung“ noch immer großer Beliebtheit erfreuen.

Hier ist es wie anderswo: Auf der einen Seite die un-

schuldige Unglückliche, auf der anderen ein Konglome-

rat sozialer Niederträchtigkeiten. In der Inszenierung,

die die Landungsbrücken Frankfurt bei KALTSTART

zeigen, wird diese Dichotomie im Bühnenaufbau über-betont: In der Mitte steht, mit blondem Haar und zarter

Geste, Elisabeth (Maja Hofmann), die von den Verhält-

nissen Untergebutterte; die Verhältnisse, die stehen ihr

zur Linken und zur Rechten, zwei Schauspielerinnen,

die an diesem Abend alle anderen Figuren spielen, hoch

aufgeschossene Pferde mit festem Stand auf hohen

Stiefeletten, gebändigten Mähnen und bauchnabel-

kurzen Blusen. Die Innenseiten ihrer Augenhöhlen glän-

zen silbern: aufgeschminkte Zwicker. Die hohen Rösser

(Lisa Hofer und Sophie Melbinger) spielen als uner-

schütterliches Duo chorisch, werfen sich gegenseitig

die Rollen zu und kosten jede Gemeinheit gegen die tief-er sinkende Elisabeth genüsslich aus, so temporeich,

dass sich ob der geballten Fiesheit und Ignoranz ein

leichter Schwindel einstellt: Das sind keine Individuen

mehr – das ist eine Weltmaschine! Die Gesellschaft

als „Die Gesellschaft“ in zwei identischen, aufeinander

abgestimmten Körpern zu stereotypisieren, das ist der

Geniestreich der Inszenierung (Regie: Tim Egloff) – er

kann als Kommentar auf den ewigen „Gut – böse“-Auf-

bau des Sozialdramas gelesen werden.

„Ein kleiner Totentanz“ – so hat von Horváth sein Stück

1932 untertitelt. Den mittelalterlichen Darstellungen

entsprechend sprechen auch die drei Todgeweihtendieses Abends meistens nach vorne, sprechen warm

(Elisabeth) und kalt (Die Anderen) ins Leere, ins Gott-

verlassene – dem Zuschauer ist es eine Lust und ein

Schauer zugleich.

„Glaube Liebe Hoffnung“ – Die Landungs-

brücken Frankfurt machen’s dichotomisch

Gue Böe 

KFZKritik

12 / 13

von Clara Ehrenwerth

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Auf der Bühne ist Faust zweimal. Klar: zwei Seelen,

Brust, etc., aber das ist es dann eben, das Problem.

Der Reihe nach: Eine alte Frau setzt sich und liest den

Anfang vom Ende von Faust II vor. Dann betritt der Rest

der Bande die Bühne: Mephisto, Faust I (Sprecher),

Faust II (Tänzer), einer, der den ganzen anderen Kram

macht, ein Bassist. Felix Meyer-Christian inszeniert

mit seiner Costa Compagnie in „Faust II – ende“ das

Ende von Faust II, das ist, wo Faust –kurz gefasst – ein

Landgewinnungsunternehmen betreibt, sich gottgleich

gebärdet und nochmal die Catchphrase mit dem Augen-blick sagt. Meyer-Christian klopft den Text auf Kapita-

lismuskritik ab, im Großen und Ganzen funktioniert das

ganz gut, manchmal wirkt es forciert und draufgesetzt,

unentschieden zwischen der Kritik an industrieller

– was der Faust-Text hergibt - und postindustrieller

– was man erstmal reinbauen muss - Gesellschaft: Auf

der Bühne steht eine Alu-Fahrradfelge, an der immer

mal jemand dreht: Das alte Industriebild. Faust I sagt

was davon, dass alle Alt-68er verschwinden sollen, am

Ende wird noch Bukowski gesprochen: Schönen Gruß an

die postindustrielle Gesellschaftskritikverwurstungs-

maschine. Währendessen steht die alte Frau auf derBühne, kaspern Faust I und Mephisto ihr Ding ab, tanzt

Faust II seinen Körper schweißig, quält der Bassist

seinen Saiten strange Sounds ab. Beide Fäuste werden

im Laufe der Szene immer nackter, und das ist, wo das

Problem anfängt: Faust II, der Tänzer, zieht Hemd und

Hose aus, drunter trägt er Hugo-Boss-Unterwäsche.

Das Hemd hätte gereicht, um klarzumachen, wie sehr

er seinen Körper runterrockt. Mephisto trägt rote Leg-

gins und steckt sich ständig Finger in den Mund. Eines

davon hätte gereicht, um Mephisto zu sexualisieren.

Usw. usf.: Meyer-Christian inszeniert punktgenau und

produziert ganz wunderbare Bilder – aber er ist immereins drüber: Der Bass ist ein wenig zu pathetisch. Die

physische Unfassbarkeit des Tanzes ist ein wenig zu

sehr ausgestellt. Als regelte da jemand seinen Verstär-

ker auf das Lauteste, was geht: Klingt stellenweise geil,

kippt aber auch manchmal in übersteuerten Brei.

von Jan Fischer

 Mein Versärker geh bi 11 Felix Meyer-Christian dreht

in „Faust II – ende“ die Regler zu weit auf

von Stephanie Drees

Bite die Daring kilen!“end-station: (wirklichkeit)” ist nicht

“Endstation: Sehnsucht”. Wirklich nicht.

Der 13te Stock, der dann doch nur im zweiten Stock

über der Bar Rossi liegt, kommt an diesem Abend

irgendwie regenzeitmäßig rüber. Hier oben ist die

Luft frisch wie nach einem Tropenschauer, die Ter-

rassenpanzen werden von der matten Abendsonne

beleuchtet. Dazu passt auch der zehn Meter lange

Regenwurm, der sich die Wände entlang schlängelt.

Kopf an Fuß an Kopf nden fünf Spieler in dem grünen

Stretchstoffschlauch Platz, der sich kriechend in

Bewegung setzt, sodass verzerrte Bilder eines kol-

lektiven Körpers entstehen, die Glieder zum großen

Leib verschmolzen. Anfangs läuft noch alles wie amSchnürchen – bis ein Emanzipationsschub den Körper

erschüttert, sich das Kollektiv in Individuen spaltet.

Von deren anschließender Suche nach Identität und

nach Möglichkeiten des freien Zusammenseins freier

Persönlichkeiten erzählt die schnalzende, brum-

mende und singende Performance „Während sie“.

Die Gruppe PACK, hauptsächlich bestehend aus

Theater- und Medienwissenschaftsstudenten

verschiedener Universitäten, zeigt bilderstarkes,

abstraktes Theater, das den Raum für eigene Asso-

ziationen und Interpretationen ganz weit öffnet. Und

weil am Mittwoch nochmal die Gelegenheit besteht,die Körperstudie zu sehen, soll an dieser Stelle auch

nicht weiter rumgedeutet werden.

von Clara Ehrenwerth

Die Performance „Während sie“

schlängelt sich in Richtung Individuum

Kopf an Fuß an Kopf 

Der Schwanz war ganz sicher sehr real. Und auchdie Art, wie der Schauspieler hinterher durch den

Raum gegangen ist, nach der Aufführung, mit dem

Selbstbewusstsein einer Person, die gerade ihren

Schwanz auf der Bühne gezeigt hat, auch. Wie sie im

Stück Realität konstruierten, aus ihren Rollen gingen

und sich selbst beschrieben, von außen betrachteten,

die Bühne verließen: Da wurde von Regisseur Gernot

Grünewald wirklich alles ausprobiert: Projektionen,

intermediale Verwebungen, Geschrei, Blut, Ver-

gewaltigung - alles drin, knapp an der Grenze zum

Regie-Porno, wo man denkt, dass man da eigentlich

auch ein paar Darlings hätte killen können. Allessah toll aus, wurde wunderbar gespielt, v iele schöne

Ideen, Effekte, Effekte, Effekte. Aber der alte Tennes-

see Williams ist dabei ein bisschen untergangen.

Faust dreht am Rad. Foto: Sven Heine

von Khesrau Behroz

Ka ar 

Mi 21.07. / 21:30 Uhr / 13ter Stock (Bar Rossi)

Page 14: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 04 / 1. Jahrgang

8/9/2019 KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 04 / 1. Jahrgang

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Eine Woche rum – Wir feiern Bergfest!

Hier gibt‘s das „KALTSTART so far“ in Listen

gesammelt von Laura Naumann und Johannes Schneider.

Lisig,lisig!

Die Top-5-Publikumssätze nach der Vorstellung

1. Das HausIII&70 - weil es einem Festivalzentrum am nächsten

kommt. Und weil man sich im Anbau den Monstern stellen muss.

Und hinterm Haus dem lustigen Grillpersonal.

2. Die Terrasse vom Terrace Hill - weil wir ohne sie nie einen Über-

blick über Hamburg bekommen hätten. Und weil man da mit einem

Festivalgetränk und den Festivalfreunden glücklich und sentimental

in die Ferne gucken kann.

3. Der Fotoautomat am Haus III & 70 - weil Sich-zu-viert-in-den-

Passfotoautomat-Quetschen schon immer der größte Spaß war.

4. Die Hamburger Botschaft - weil die Leute hier selbst beim Fuß-

ballgucken konzentriert sind. Und weil während der Vorstellung

keine Getränke ausgeschenkt werden.

5. Das „LOKAL e.V.“-Pressehaus in der Max-Brauer-Allee - weil es

das beste Zuhause ist, das man in Hamburg haben kann. Trotz

kaltem Wasser und einer Hexe im Keller.

Die Top-5-Places to be auf dem Festival

1. Dürfen wir leider nicht verraten - weil: siehe 2.

2. Ist leider geheim - weil: siehe 3.

3. Wie gesagt, leider geheim - weil: siehe 4.

4. Geheim! - weil: siehe 5.

5. Reicht jetzt!

Die Top-5-Festivalgeheimnisse

1. „Ich glaube, die Analverletzung hat sie sich im Buch nicht auf

einer Kuh zugezogen“ - weil der Abgleich zwischen Romanvor lage

und Inszenierung auch im Fall der „Feuchtgebiete“ diskutiert sein

muss.

2. „Mein eigener Fußgeruch hat mich heute ein bisschen rausge-

bracht“ - weil man sich damit auch vor den Umsitzenden bekennt

und (indirekt) entschuldigt.

3. „Jetzt ist es wohl zu Ende“ beim Fade Out der Lichter am Ende

von „Vom Schlachten...“ - weil man so ein echt schönes, ruhiges

Theaterende verderben kann.

4. „Schade, ich dachte, das wäre mit echten Ponys!“ – weil „Po-

nydressing“ ja gezeigt hat, dass man auf Dauer auf Steckenpferden

nicht reiten kann.

5. „LUFT!“ - weil das Leben in diesem Sommer an sich sehr existen-

tiell ist.

1. Die haarigen Monstermasken von „Reckless Factory“ - weil ihre

rot leuchtenden Augen direkt die Seele der verderbten Seite der

Kulturwelt widerspiegeln.

2. Die gelben Handschuhe des Arztes bei „Woyzeck“ - weil der

Hausfrauencharme eine schöne Brechung zur anorganisch-men-

schenfeindlichen Rolle ist.

3. Die komplette Ausstattung von „Hell above and Heaven below“

- weil sie es schafft, die Stimme von Tom Waits in Kostüme zu pa-

cken und dabei auch noch KISS zu zitieren.

4. Die vier nackten Geschwister im Schlussbild des „Zementgar-

tens“ - weil es da mal nicht um Drastik, sondern um Intimität ging.

5. Der Schlüpfer der „Ponydressing“-Spielerin – weil damit Cheerlea-

der-Erotik endlich auf deutschen Bühnen angekommen ist.

Die Top-5-Kostüme

Die Top-5-Zitate

1. Lütauer Rhabarberschorle - weil bodenständig, erfrischend, geil

und sauer macht lustig.

2. Viva con Agua - weil das, worauf die Welt noch gewartet hat, ein

Szene-Mineralwasser ist.

3. Astra - weil es zwar nicht gut schmeckt (uns zumindest nicht),

aber der Kater am nächsten Morgen ein vertrauter Freund ist.

4. Gin Tonic - weil er so schön phony ist, aber mit Zitrone drin auch

wieder down to earth.

5. Piña Colada – weil Kokos und Frucht Sommer, Sommer, Sommer

bedeutet. Jedenfalls für Mädchen.

Die Top-5-Festivaldrinks

1. „Doch, mein Therapeut hat gesagt, dass mir das hier gut tut“

- weil uns der Mut, „Woyzeck“ in jeder (aber auch wirklich jeder)

seelischen Verfassung zu sehen, sehr beeindruckt.

2. „Kann da nicht rauf, hab‘ Rücken“ - weil körperliche Gebrechen

zwar eigentlich ebenso wenig lustig sind wie seelische, wir der

Dame aber glücklicherweise sagen konnten, dass zum „Terrrace

Hill“ ein Aufzug fährt.

3. „Heute wird‘s ein bißchen punkig“ (Regisseur Ralph Reichel in

seiner Ansage vor „Schiller feiern“) - weil das den Unplugged-Ge-

danken des Festivals auf den Punkt bringt.

4. „Nach dem Theater ist vor dem Theater“ - weil es den Charakter

des Festivals treffend beschreibt und zu jedem Zeitpunkt passt.

5. „Wo wird denn hier gleich eigentlich gespielt?“ - weil dito.

Die Top-5-Publikumssätze vor der Vorstellung

1. „Ein Kaffee, ein Kognak, ein Stück Scheiße und ein normales

Gespräch, bitte!“ aus „WER...[binichich]“ - weil es exakt unsere

Bedürfnislage trifft.

2. „Die Jungs sind t!“, gesagt von Agamemnon aus der „Ilias“,während er den Playboy liest - weil als Antwort auf die Frage, wie

es mit dem Heer stehe, man müsse doch jetzt Troja angreifen.

3. „Der Diskurs hat mich ganz angegriffen“ vom Hauptmann im

Woyzeck - weil wer sich mit diesen Worten aus der Affäre zu ziehen

weiß, gute Chancen hat, Bundespräsident zu werden.

4. „Du bist auch Teil der Gesellschaft, Mama“, vom Tonband am

Anfang der Performance „das beste dass sich an diesem festival

anmeldet (wirklich)“ - weil das die Wahrheit ist und Mama dann

irgendwas antwortet, das wie ein erstauntes „Ja“ klingt.

5. „ ... und wem das an dieser Stelle zu heiß wird, der kann jetzt

gerne gehen!“ (Vom Schlachten des gemästeten Lamms) - weil wir

nie erfahren werden, ob das Text war oder den Memmen hinter-hergeschrien wurde, die aus Schwitzgründen den Saal verlassen

hatten.

KFZCharts

Page 15: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 04 / 1. Jahrgang

8/9/2019 KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 04 / 1. Jahrgang

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Auch, wenn es sich nicht so anfühlt: Die Hälfte des KALTSTART ist schon vorbei.Zum Bergfest haben wir Beteiligte, Besucher, und Leute, die wir zufällig auf derStraße gefunden haben, gebeten, uns ihr KALTSTART-Gesicht zu zeigen.

Zeig un dein Geict! KFZPeople

Fotos: Jan Fischer

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Die Festivalzeitung KFZ zum KALTSTART HAMBURG 2010

wird herausgegeben vom Kaltstart e.V.

Redaktion: Khesrau Behroz, Jan Berning, Stephanie Drees, Clara Ehrenwerth,Jan Fischer, Alexandra Müller, Laura Naumann, Jan Oberländer (V.i.S.d.P.),

Johannes Schneider.

Titelfoto: Sven Heine

Gestaltung: www.kirschcake.net.

Auflage: 500. 

Redaktionsblog unter www.kaltstart-hamburg.de/blog.

Schreibt uns unter [email protected].

Face-to-face : Lokal, Max-Brauer-Allee 207, 22765 Hamburg

Mit freundlicher Unterstützung von:

Der Chefredakteur ist - neben vielem Anderen - auch

ein Pragmatiker des Zeitungsmachens: Traumwand-

lerisch erkennt er die Notwendigkeiten einer kohä-renten Produktion, intuitiv weiß er, wann noch wie

viel zu welchem Thema zu schreiben ist, mit welchem

Dreh und in welchem Rahmen. Die Berichterstattung

zur K ALTSTART-Autorenlounge an diesem Wochenen-

de etwa möchte er eher knapp halten, da wir im Vor-

feld ausführlich über die Stücktexte berichtet haben

(siehe KFZ #3) und „bei den szenischen Lesungen ja

so viel auch nicht dazu kommt“. Aber irgendwas „zum

Abbinden“, sagt er (und er sagt nur so schöne Dinge),

wäre dann doch gut ...

Schreiben wir also im Rahmen dieser kleinen Monda-

min-Kolumne zum Abbinden genau darüber: über sze-nische Lesungen und wie wenig in ihnen noch „dazu

kommt“. Denn in der Tat nden auch wir diese gerade

bei den Stückemärkten landauf, landab (aus Kosten-

und Zeitgründen) so beliebte Form überaus zwei-

felhaft. Dass szenische Lesungen wie vegetarischer

Fleischsalat sind, haben unsere stetig fabulierenden

Hirne allzu oft gedacht, während vor unseren Augen

Schauspieler mit Textblättern in der Hand eine karge

Möblierung über Studiobühnen schubsten. Inszena-

torische Mayonnaise ist da, aber es fehlt an genuin

theatraler Fleischeinlage. Obwohl die Diskriminie-

rung von Zwittern sonst nicht das Vereinslokal unsergendertheoretisch versierten Clique ist, müssen wir

in diesem Fall doch Zweifel an der Existenzberechti-

gung dieses Trans-Wesens anmelden.

Denn: Wenn wir einen Text als Text erleben

von Jo Schneider

Vegetricer Feiclt 

wollen, lesen wir ihn, auch Dramen, sehr gern sogar.

Und wenn wir Theater erleben wollen, gehen wir ins

Theater, und da hat bitteschön niemand ein Textblattin der Hand zu haben, da hat niemand „Ähhh, Moment,

wo war das jetzt nochmal?“ zu sagen, es sei denn, es

bestünde eine konkrete theatrale Notwendigkeit. Ich

glaube, darauf können wir uns einigen. Prinzipiell.

Andererseits wären wir aber auch die Letzten, die

sich nicht gelegentlich selbst zu den letzten Idioten

erklären würden (etwa: „Gendertheoretisch versierte

Clique – was soll denn der Scheiß schon wieder???“).

Wir wären auch die Letzten, die sich nicht gelegent-

lich vom Gegenteil überzeugen ließen: etwa, wenn

bei der KALTSTART-Autorenlounge Ivna Zic Laura

Naumanns „Demut vor deinen Taten Baby“ klug in denRaum übersetzt. Wenn Josef Hader an der Seite von

Pia Hierzegger bei deren Stück „Schweinehunde. Im

Hintergrunde Grillparzer“ zeigt, dass ein guter Schau-

spieler immer, immer, immer Spaß bereitet.

Oder wenn Claudia Grehn und Darja Stocker gemein-

sam mit den Schauspielerinnen Theresa Henning und

Karen Dahmen die Lesung ihrer Stückentwicklung

„Die herrschende Meinung“ zu einer semi-dokumen-

tarischen Agit-Prop-Nummer ausbauen. Wir fragen

uns an dieser Stelle natürlich sofort „Ist das über-

haupt noch eine szenische Lesung?“ Ebenso, wie wir

uns ja sonst immer in solchen Situationen fragen: „Istdas noch Theater?“ Womit die beiden - theatrale In-

szenierung und szenische Lesung - noch etwas mehr

gemeinsam hätten als sowieso schon.

IMPRESSUM

KFZ Kolumne:AffektierteEffekte IV