kfz - kaltstart-festivalzeitung / # 06 / 1. jahrgang

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  • 8/9/2019 KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 06 / 1. Jahrgang

    1/12

    Fr23.-So25.Juli

    Kaltstart

    KFZFesivalzeitun

    1.Jahrgan#

    2010

    6

    Ringfrei

    berdiePublikumsgesprc

    he

    beimKALTSTART

    SturmfreiHauspartybe

    imjngsten

    RegisseurdesFestivals

    Bauchfrei

    DieTanzperformancebeim

    YOUNGSTAR-Fest

  • 8/9/2019 KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 06 / 1. Jahrgang

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  • 8/9/2019 KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 06 / 1. Jahrgang

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    Kalar

    WarumeinFestivalsprechenmussauchmitdenen,

    diezuschauen.EinPldoyerfrdasPublikumsgespr

    ch

    von Stephanie Drees

    Auf Theaterfestivals wird traditionell viel gesprochen. Gut

    und richtig ist das, denn frei nach Kunstalphatieren wie dem

    aufstrebenden Jungdramatiker Nis-Momme Stockmann

    ist das Theater ein Wesen mit vielen Kpfen, die alle etwas

    anderes denken. Das allgemeine Sinnieren ber die darstel-

    lenden Knste soll dem Zwiegesprch mit einer Hirn-Hydra

    gleichen.

    Ich denke lieber an die Handbewegung einer Zuschauerin, die

    bei einem anderen Festival eine dipus-Inszenierung kom-

    mentierte. Im Publikumsgesprch war zunchst genauso viel

    los wie in den ersten zehn Minuten auf der Bhne, auf der die

    Schauspieler, Zitat Regisseur, lautlos nach Hlderlins Text

    tasteten. Die Dame brachte sich ein mit purer Ehrlichkeit:

    Also, als erstmal gar nichts passierte, da kam mir so ein

    Impuls, da wollte ich pltzlich Kommt ein Vglein geogen

    singen. Einfach so. Der Kommentar hatte deutlich mehr Un-

    terhaltungswert als die vorangegangene Inszenierung.

    Das Publikumsgesprch: Manchmal wird es einfach so

    zum diskursiven Kopfsalat. Die direkte Auseinandersetzung

    mit dem Zuschauer, der nicht in der knstlerischen Elfen-

    beinturm-WG wohnt, halten viele Theatermacher fr wichtig.

    Sicher ist aber auch: Facettenreiche, strittige, kurz gute Pu-

    blikumsgesprche sind selten, weil sie etwas brauchen, das

    leicht aussieht, aber schwer ist: eine starke Moderation. Das

    Publikumsgesprch: Die Vorhlle fr Moderatoren und den

    Rest der Theatercrew?

    Alle gemeinsam auf Traumreise

    Das KALTSTART ist ein besonderes Festival, nicht nur wasdie Quantitt der Produktionen angeht. Das Besondere ist vor

    allem der sthetische Rundumschlag: eine Theatermesse,

    die sich zum Ziel gesetzt hat, die Landschaft der Bhnen-

    kunst abzubilden, in all ihrer strukturellen und sthetischen

    Vielfalt. Das klingt nach Reibungspotential, nach reichlich

    Gesprchsstoff. Doch schaut man ins Programmheft, sieht es

    in Bezug auf ofziellen Verbaltaustausch mehr als mau aus.

    Fast ausschlielich die Sparte FINALE wartet mehrmals mit

    dem guten, alten Nachgesprch auf. Beim KALTSTART lsst

    sich eine kleine Typologie der Publikumsgesprchsverlufe

    aufmachen: Es gibt die persnlichen mit einem Touch von

    Therapiesitzung, die aufklrenden, in denen alle gemein-

    sam auf 50 Jahre Rezeptionssthetik pfeifen und die kriege-

    rischen, in denen es um die theatrale Wurst geht.

    Vglein,trinkvomQaselwein

    Nach Stcken wie wund.es.heim.innen./nacht, die schon im

    Titel nebliger als jede Akte-X-Einstellung anmuten, bittet der

    motivierte Moderator die Zuschauer, ihre Augen zu schlieen

    und sich an den Moment in der Inszenierung zu erinnern, der

    ihnen am eindringlichsten war. Keine unschne Idee, auch

    wenn kurzzeitig Traumreisen-Meditationserinnerungen aus

    dem Religionsunterricht aufblitzen. Nicht alle Zuschauer

    kommen aus dem gemeinsamen Mentalurlaub wieder heim.

    Von dieser Haltung leicht berrascht, schaut der junge Mode-

    rator, selbst Regisseur, leicht bedppelt drein.

    Anders bei dem Gesprch zu Philoktet, in dem der Regis-

    seur auf Anfrage einiger Zuschauer sein Best-of der Meta-

    phern erklrt: Ja, ein Spieler war die personizierte Wunde

    des Helden. Sicher spannend, aber auch ein bisschen viel

    knstlerische Transparenz.

    Persnlicher und dialogischer geht es da im Publikums-

    gesprch zu Der Kick zu: Eine relativ kleine Anzahl von

    Zuschauern verrt erstaunlich ehrlich, was sie an der Insze-

    nierung ergriffen hat und was nicht. Aber ein persnliches

    Gesprch mit vielleicht fnfzehn Leuten im Raum inklusive

    Knstlern ist natrlich einfacher zu fhren als eine groe

    Gruppe Menschen zu motivieren, ber metaphorisch-ver-

    schachtelte Kunst zu sprechen. Vor allem, wenn es um ein

    Stck geht, das sich dokumentarisch mit hrtester, erscht-

    terndster Realitt beschftigt. Liegt der Nhrboden fr

    Gewalt berall? Eine Frage, die sich alle gemeinsam stellen.

    Publikumsgesprch wie dieses sind selten, weil sie besonde-

    re Momente einfangen.

    Verbrderung mit den Rampensuen

    Was tun, um diese Momente huger erleben zu knnen? In

    jedem Fall muss auf der groen KALTSTART-Theatermesse

    huger das Tabernakel mit dem Wein herumgehen, der die

    Diskurszunge lockert. Das lsst sich im direkten wie bertra-

    genden Sinne verstehen. All die Hobbyforscher, Streithhne,

    Rampensue, die das Publikum zu bieten hat, mssen ins

    Quasselboot geholt werden. Warum? Weil Austausch ber

    Kunst zu Kunst fhren kann. Die Formate drfen dafr so

    mannigfaltig sein, wie das Theater selbst: Speed-Gesprchs-

    runden im Duo, gemeinsame Rckschauen, theatrale Traum-

    reisen. Ja, das will ich auf einem Festival sehen: Hnde, die in

    Publikumsgesprchen kleine Vgel imitieren.

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    zu erinner

    KFZThema

  • 8/9/2019 KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 06 / 1. Jahrgang

    4/12

    04 / 05

    Trmin

    16.00 Uhr-21.00 Uhr // My favourite

    thing // LOKAL

    16.00 Uhr // Pissoirs // Balkon (Su-

    sannenstrae/Bartelsstrae)

    18:0 0 Uhr // Alles Meins // Haus

    III&70 / Anbau18.00 Uhr // Pissoirs // Balkon (Su-

    sannenstrae/Bartelsstrae)

    19:30 Uhr // (K)EI(N)LAND - Studie

    zur deutschen Seele 1 //

    Haus III&70 / Saal

    20: 00 Uhr // Der Mann der die

    Welt ass // Terrace Hill

    20: 00 Uhr // Von Motten, Bier und

    Taschenlampen - Eine Geschichte

    ber pfandfreie Einseitigkeit //

    Foolsgarden Theater e.V. //

    TERMINNDERUNG

    21:30 Uhr // Erstmal schn hinset-

    zen // Hamburger Botschaft

    22:00 Uhr // Alte Sehnsucht // 13ter

    Stock (Bar Rossi)

    22:15 Uhr // The Fan in the Mirror

    // Terrace Hill

    Sonntag 25. Juli 2010

    12:00 Uhr // Taxi Altona- Ich war

    ein Arbeitsplatz // Haus III&70 /

    Parkplatz (Abfahrt)

    15:00 Uhr // Taxi Altona- Ich war

    ein Arbeitsplatz // Haus III&70 /

    Parkplatz (Abfahrt)

    16.00 Uhr-21.00 Uhr // My favourite

    thing // LOKAL

    16.00 Uhr // Pissoirs // Balkon (Su-

    sannenstrae/Bartelsstrae)

    18:0 0 Uhr // Striptease 2010 //

    Waagenbau

    20: 00 Uhr // Von Motten, Bier und

    Taschenlampen - Eine Geschichte

    ber pfandfreie Einseitigkeit //

    Foolsgarden Theater e.V.

    19.00 Uhr // all1 forum: no secret

    garden // Neuer Kamp 30 (Vorplatz

    Knust)

    19:0 0 Uhr // Alles Meins // Haus

    III&70 / Anbau

    20: 00 Uhr // Krpergewicht. 17% //

    Zeisehallen

    20.00 Uhr // Pissoirs // Balkon (Su-

    sannenstrae/Bartelsstrae)

    20:00 Uhr // stand-by-me // Knust

    20.00 Uhr // WALD-CITY // Schul-

    terblatt 58

    21:30 Uhr // GIB MIR EINEN KUSS -

    Portrt einer Bestie // Zeisehallen

    22:00 Uhr // Fringe Live-ElektroSession in Kooperation mit dem

    13ten Stock // 13ter Stock (Bar

    Rossi)

    Freitag 23. Juli 2010 Samstag 24. Juli 2010

    Vorschau

    15:00 Uhr // Taxi Altona- Ich war

    ein Arbeitsplatz // Haus III&70 /

    Parkplatz (Abfahrt)

    18:0 0 Uhr // Taxi Altona- Ich war

    ein Arbeitsplatz // Haus III&70 /

    Parkplatz (Abfahrt)

    16.00 Uhr-21.00 Uhr // My favourite

    thing // LOKAL

    16.00 Uhr // Pissoirs // Central Park

    18.00 Uhr // Die Zofen // Neuer

    Kamp 30 (Vorplatz Knust)

    18:0 0 Uhr // Pimper my City, Du

    Nomadensau // Haus III&70 /

    Anbau

    19.00 Uhr // Pissoirs // Central Park

    19:0 0 Uhr // Striptease 2010 //

    Waagenbau

    19.00 Uhr // WALD-CITY // Eingang

    Schanzenpark (Schanzenstrae/

    Kleiner Schferkamp)

    20.00 Uhr // Die Zofen // Neuer

    Kamp 30 (Vorplatz Knust)

    20: 00 Uhr // Sitz ich, die man nicht

    rief, die Siebte! // monsun theater

    / Werkstattraum

    20: 00 Uhr // Titanic // 13ter Stock

    (Bar Rossi)

    20: 00 Uhr // Woyzeck // Haus

    III&70 / Saal

    20:30 Uhr // Finnisch - Solostck

    fr eine Frau // Foolsgarden The-ater e.V.

    22:30 Uhr // Silke Rudolph - Ein

    paar Dinge, die ich ber mich

    weiss //Haus III&70 / Saal

    22:30 Uhr // Flamba Feuershow //

    Central Park

    Wie knnen wir den Kapitalismus, nach ber

    100 Jahren Leben in ihm, noch getrennt von

    uns betrachten? Welchen Einuss hat er auf

    unsere Beziehungen, wie wir Entscheidungen

    treffen und Sinn nden? Nis-Momme Stock-

    manns Stck Der Mann der die Welt ass ist

    keine postdramatische Kapitalismuskritik,

    es erzhlt von echten Menschen. Dominique

    Schnitzer zeigt es in einer sozialrealistischen

    Inszenierung. Kein lustiger Vorschautext.

    Auch kein lustiger Abend wahrscheinlich.

    Aber darum gehts heute auch nicht.

    von Laura Naumann

    Heue r Sie im Agebo:Das Theater Heidelberg mit

    Der Mann der die Welt ass

    von Nis-Momme Stockmann.

    Wer immer du auch bist, du hinterlsst einen Ab-

    druck (gewidmet J.B.G.B.) der Satz muss sein,

    sagt Anna Nigulis von Fehlinterpretierte Projek-

    tionsche. Er ist das Mantra von Von Motten,

    Bier und Taschenlampen eine Geschichte ber

    pfandfreie Einseitigkeit! Auch nach einer einsei-

    tigen Liebe bleibt also etwas. Oder? Drei Spiele-

    rinnen begeben sich in die Rollen von Ihm und

    Ihr und einer Projektionsche. Jeder, der mal

    realisieren musste, dass er sich nur in die Vorstel-

    lung einer anderen Person verliebt hat, wei, wie

    diese Flche aussieht. Der Text dieses Versuchs

    ber die einseitige Liebe ist von Anna Nigulis, mit

    Jannika Jira, Julian Horeyseck und Jonas Link

    inszeniert sie ihn als Bildertheater zwischen Per-

    formance und Dialog. Letztlich ist das Stck dazu

    da, um festzustellen, dass man nicht immer gleich

    in die Tischplatte beien muss, sagt Nigulis. Das

    ist doch mal ein Versprechen. Also, ihr einsamenHerzen, die ihr noch auf die Kuppelkrfte der Ab-

    schlussparty wartet dieses Stck ist fr euch!

    Eiame Herze, hau her!Die Fehlinterpretierten Projektionschen

    starten einen Aufruf zur emotionalen Halt-

    barkeitsverlngerung

    von Alexandra Mller

    Sa. 24.07. und So. 25.07 | 20 Uhr | Foolsgarden |Urauffhrung

    So. 25.07 | 20 Uhr | Terrace Hill

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    Kalar

    in der Truppe fehlt. Man knnte jetzt ber Nationalitten

    sprechen, ber Hautfarben, ber Religion: Von allem gibt es

    eine Menge Variationen im Raum. Man knnte es aber auch

    lassen, die Mdchen sprechen ja auch nicht darber, und

    wenn, dann machen sie sich lustig ber solche billigen Zu-

    ordnungen. Viel wichtiger ist die Frage, wer von der Truppe

    aus Wilhelmsburg und wer aus Eimsbttel kommt. Und wer

    am Sonntag welche Frisur trgt.

    Am Sonntag tanzen bei Exit Paradise nur fnf der 15

    Mdchen aus Opuku-Preachs Truppe mit die anderen

    sind schon in den Sommerferien. Sie fhren auch nurAusschnitte vor, die Auffhrung ist nur ein Auftakt fr das,

    was die Ruff Monkeys im nchsten Jahr vorhaben: Eine

    groe Bhnenshow zusammen mit den Performerinnen von

    She She Pop. Was jetzt beim KALTSTART unter dem Label

    YOUNGSTAR luft, ist nur eine Art Trailer fr das YOUNGS-

    TAR 2011, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Jugendliche

    aus prekren sozialen Verhltnissen oder mit Migrations-

    hintergrund eine Mglichkeit zur knstlerischen Entfaltung

    zu geben. Neben der Auffhrung der Ruff Monkeys wird die

    Installation Traumfabrik Kopf von Sascha Piroth gezeigt,

    beides im Rahmen eines groen Festes mit Kaltgetrnken

    und Cevapcici. Auerdem wird ab Freitag ein Tanzworkshopmit dem Monkeys angeboten.

    Es geht um Liebe. Und darum, wer wann wie

    wen mit wem betrogen hat

    Bei den Ruff Monkeys geht es am Sonntag grob gesagt

    um die Liebe. Um Jungs und Mdchen hauptschlich um

    Jungs und um komplizierte Verwicklungen. Amel redet

    auf persisch darber, dass sie nach dem Studium heiraten

    mchte, und ein Haus haben, und Hunde, und Kinder, und

    so weiter. Bench sagt, dass sie lieber ihre Liebe auf viele

    Mnner verteilt. Aber, sagt Binta, das sind nur Rollen.

    Niemand hier ist Anti-Liebe. Wir lieben die Liebe. Das istein Satz, der die Mdchen erst zum Lachen bringt, dann

    zum Schnattern, und dann zu einem Gesprch darber, wer

    wann wie wen mit wem betrogen hat. Aber nicht aufschrei-

    ben, sagt Karina. Nachdem das geklrt ist, bringt Opoku-

    Preach ihre Truppe wieder in die Ausgangspositionen, nur

    Bench dreht sich noch einmal um, und fragt besorgt, ob

    denn jetzt auch die ganzen Fkalausdrcke, wie sie sagt,

    in der Zeitung stnden. Verdammte Scheie, nein. Nur ber

    die Liebe, da drber steht etwas drin.

    Jumping Monkeys. Foto: Jan Fischer

    Bench muss dreiig Sit-ups machen. Sie war unkonzen-

    triert, ist ein paar Mal neben dem Takt gelandet, hat ein

    paar Schritte nicht richtig hinbekommen. Die Choreogran

    Mable Opuku-Preach steht davor und zhlt mit, aber auf die

    ese Art: Neun neun machs richtig neun schaffst

    dus, oder sollen wir schon mal nach Hause gehen? Opu-ku-Preach ist eigentlich kein eser Drill Instructor: Sie

    lacht, whrend sie zhlt. Sie ist nur die quirlige Hterin

    dieses Sacks voll Flhe namens Ruff Monkeys, der gerade

    Auschnitte aus dem Stck Exit Paradise probt, das am

    Sonntag im Rahmen der YOUNGSTAR-Sparte des KALT-

    START aufgefhrt wird.

    Wenn die Ruff Monkeys proben, gehrt es dazu, dass sie,

    sobald ein bisschen Luft zwischen den Tanztrainingsein-

    heiten ist, ein Gewirr aus Lachen, Tratsch und nett ge-

    meinten Neckereien erzeugen, das sofort wieder abbricht,

    wenn die Musik einsetzt. Die Truppe funktioniert, weil

    Opuko-Preach nicht nur Sit-Ups verteilt, sondern meistens

    mitlacht, mittratscht, mitneckt.

    Hautfarbe? Religion? Egal.

    Wichtig ist, wer aus Wilhelmsburg kommt

    Die Ruff Monkeys proben in den Rumen des LuKuLuLe

    e.V., im dritten Stock, schon im ersten Stock ist die Musik zu

    hren: Soulig ist das, was da die Treppe runterkommt, zum

    Mitwippen. In dem Raum selbst ist es ein bisschen, als wre

    man in eine Mischung aus Flashdance und Sister Act

    geraten: Eine Wand ist ein riesiger Spiegel, die vier Md-

    chen Karina, Amel, Binta und Bench, die nicht wirklich so

    heit, aber hier so genannt werden will, weil das ein guter

    Tnzerinnenname ist trippeln in sauberen Schritten

    davor herum und betrachten sich beim Tanzen, whrend

    Opuko-Preach mal mitzhlt, mal mittanzt, weil die fnfte

    Sread he LoveEin Probenbesuch bei der Tanzgruppe Ruff Monkeys

    vor ihrem Auftritt mit Exit Paradise beim YOUNGSTAR

    von Jan Fischer

    So. 25.07 | 15 bis 21 Uhr | Park Fiction beim Pudel Club |Eintritt frei

    Vorschau

  • 8/9/2019 KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 06 / 1. Jahrgang

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    06/ 07

    Titanic ist eine dankbare Vorlage fr eine Persiage.

    Der inzwischen zweiterfolgreichste Film aller Zeiten (ab-

    gelst vom 3D-Mega-Dingsbums Avatar, ebenfalls von

    James Cameron) glnzt nicht nur mit erstklassigen Effek-

    ten und einem teils groartigem Schauspieler-Ensemble

    (zu dem auch sehr wohl auch DiCaprio gehrt, selbst wenn

    das niemand wahrhaben will), sondern auch einer Liebes-

    geschichte, manifestiert in einem grauenhaften Drehbuch

    voller Kitsch und Herzschmerz, mit Dialogen, die auf einem

    Lebkuchenherz besser aufgehoben wren und einer merk-

    wrdigen Dramaturgie, die wechselt zwischen Schiffsun-

    glck und Liebesgetolle, Schiffsunglck und Liebesgetolle

    sowie einer alten Erzhlerin, die der Geschichte vorn und

    hinten einen Deckel gibt und uns so einen McPop-Burger

    anbietet, den jeder frisst und jeder kennt, egal ob Arthouse

    oder Mainstream, Mann oder Frau.

    Die Kellnerinnen Alberta und Elli sind noch auf Arbeit, als

    sie sich gemeinsam die lange Oscar-Nacht anschauen.

    Dabei dient die Bartheke der Bar Rossi als Austragungs-

    ort. Das ist ungewhnlich, aber auch das erklrte Ziel der

    Freien Bhne Neuwied: Theater an ungewhnlichen Orten

    spielen, Bhnen schaffen, wo eigentlich keine Bhnen sind.

    So sitzt man also mehr oder weniger bequem vor der Bar

    und schaut den beiden dabei zu, wie sie den Film chronolo-

    gisch nachspielen - aus Frust, weil die Kate den Oscar nicht

    bekommt.

    So folgt nach den etwas langwierigen und langweiligen er-

    sten zehn Minuten ein fulminanter Schnelldurchlauf durch

    die bekanntesten Szenen, die schnsten Dialoge, pointiert

    aufgefhrt. Eine Persiage geht immer dann in die Hose,

    wenn man das zu persiierende Objekt entweder nicht liebt

    oder nicht richtig verstanden hat. Dem ist in diesem Fall

    nicht so: Tobias Krechels Bhnenversion, unter der Regie

    von Boris Weber, glnzt mit liebevollen Details und strot-

    zendem Ideenreichtum: Da wird ein Riesenbaguette als

    Titanic missbraucht, geschmckt mit Bar-Utensilien, um

    Schornsteine und Turbinen darzustellen. Da wird die Szene

    auf der Reling, in der Kate kurz vor dem Selbstmord steht

    und Leo ihr zur Rettung eilt, direkt auf der Theke gespielt.

    Und als die beiden zum ersten Mal miteinander schlafen,

    entzndet jeder Sto, jedes Sthnen, ein Konfettifeuerwerk.

    Das ist zwar nichts, was noch nie dagewesen ist, aber in der

    Dichte und punktgenauen Ausfhrung schon wahnsinnig

    witzig. Highlight: Celine Dions Ballade in ihrer herzergrei-

    fendsten Form da bekommt die Formulierung einen Song

    schmettern endlich eine adquate Bedeutung.

    Sterben ist nicht wirklich witzig, wohl wahr. Aber hier geht

    es auch eher um das Phnomen Titanic. Das Stck lebt

    von seinen Referenzen, davon, Popkultur zu sein. Es feiert

    in seiner Spritzigkeit auch letztendlich das, was der Ansto

    von Allem gewesen ist: Rose. Oder wie Elli am Ende befreit

    zu Alberta sagt, die Jack imitierend am Boden liegt, versun-

    ken in den Tiefen des Ozeans: Ich habe berlebt.

    Gottseidank.

    von Khesrau Behroz

    Die RMS Titanic, neu interpretiert mit Partyschirmchen.Foto: Laura Naumann

    Bei rund 18 Millionen Kinobesuchern in Deutschland ist die

    Wahrscheinlichkeit gro, dass das Publikum den Film ge-

    sehen hat. Es kennt die Bilder, wei um die Liebesgeschich-

    te zwischen Jack Dawson und Rose DeWitt Bukater, die

    tragischen Umstnden, unter denen sie sich kennen lernen

    und dem noch tragischeren Umstand, unter dem zumindest

    einer von ihnen stirbt. Alberta und Elli (groartig gespielt

    von Cynthia Thurat und Verena Brakonier), die zwei Dar-

    stellerinnen der Bhnenversion, knnten exemplarisch fr

    den Teil des Publikums stehen, das sich vernarrt hat in den

    Streifen, jede einzelne Szene aus dem Stregreif prsentie-

    ren kann - und entsetzlich, gar so entsetzlich gelitten hat,

    als Kate Winslet 1997 bei den Oscar-Verleihungen keinen

    Preis bekam und stattdessen zuschauen wusste, wie Helen

    Hunt das Goldmnnchen entgegennahm.

    Eimal Baguete Tiai, bite!Die Bhnenversion des Dampfer-Dramas glnzt mit

    pointiertem Humor, viel Slapstick und akuter Groartigkeit

  • 8/9/2019 KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 06 / 1. Jahrgang

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    Kalar

    Am Anfang steht schon das Ende. Zwei bergroe

    Michelangelo-Engel blicken von der Leinwand, der

    linke sttzt versonnen den Kopf aufs Kinn, whrend

    der rechte sich ber die Musik beschwert. Immer

    nur Feng-Shui-Mucke, das rockt nicht, aber was soll

    man machen. Mindestens noch zwei Ewigkeiten lang

    laufen die Engelschre.

    Die Azubis im Himmel so kann das Ergebnis

    eines Workshops aussehen. Das Seminar In weni-

    gen Schritten zur erfolgreichen Selbstentleibung

    der beiden Performer Kai Fischer und ChristopherWei ist gut besucht. Es soll eine kleine Einfhrung

    sein in das freiwillige Sterben. Der Selbstmord, ein

    gesellschaftliches Phnomen: Zwischen ffentlicher

    Ausschlachtung von prominenten Fllen und Tabui-

    sierung des Themas changiert eine seltsame Nega-

    tivfaszination. Selbstmrder sind entweder Opfer der

    Gesellschaft oder Opfer ihrer selbst. In jedem Fall

    irgendwie beschdigt. Was also, wenn zwei zurech-

    nungsfhige Menschen das Thema mal systematisch

    angehen? Die freie Theatergruppe Azubis hat dafr

    zwei Charaktere kreiert: Jens, ein lockerer Bierdo-

    sen-Typ mit Basecap, kurzen Hosen und HamburgerSlang, ist federfhrend in der Publikumsbespaung,

    whrend Jens mit Minigeln an der Mtze die

    leiseren Parts bernimmt.

    Antike Texte, vorgetragen unter einem Regenschirm

    aus Nimm-Zwei-Bonbons, werden ankiert durch

    ber den Tod philosophierende Pfannkuchen und

    die Kurzzeit-Rckkehr von Promi-Selbstmrdern

    wie Kurt Cobain. Suicide Boys ist eine Revue, die

    als collagierte Kulturgeschichte funktioniert. Die

    Inszenierung bricht das komplexe Thema Freitod

    ohne falsche Piettspuffer auf viele kleine, wunder-

    bare Momente herunter. Unaufdringlich arbeiten dieSelbstmord-Brder mit lmischen Effekten, projizie-

    ren die Kulisse eines Koffertheaters mit einer Minika-

    mera an die Wand und tanzen zu Gitarrenklngen um

    ein angedeutetes Feuer. Denn in anderen Kulturen ist

    der Selbstmord durchaus ritualisiert was sich, wie

    die Forscher schnell merken, nicht eins-zu-eins auf

    unsere Sozialisation bertragen lsst.

    Die Azubis arbeiten mit dem Clash: Trashstehtik

    trifft Bildungstheater, goldene Leggins kontrastieren

    historische Kostme, Dante-Zitate die Generation X.

    Daraus ergibt sich ein subtiles Theatermosaik. Fast

    ein wenig kurz kommt einem der Abend vor. Aber wie

    es schon in einer Trauerrede heit: Die Besten gehen,

    wenns am Schnsten ist.

    Die Bese gehe,wen am Scse isZwei Suicide Boys prsentieren

    eine charmante Selbstmord-Revue

    von Stephanie Drees

    Interessanter Raum, ja, damit starten die drei

    Spieler vom Dresdner die Bhne e.V. in ihren Abend

    Pimper my city, du Nomadensau!. Dann gehen

    sie aus dem Publikum auf die Bhne und erklren,

    dass sie diese in den nchsten 70 Minuten als ihren

    Lebensraum wahrnehmen werden. Die vierte Wand

    wird weiter geffnet, als sie, dem Thema des Abends

    entsprechend, in einige Runden Stadt-Land-Fluss

    starten. Dabei bitten sie das Publikum um Hilfe, beim

    A- und Stopp-Sagen und beim Entscheiden, ob

    Antworten wie X-Man Wolverine wrde auch nach

    Berlin ziehen - also nix wie hin auf die Frage

    Werbeslogan mit X gltig sind.

    Nebenbei erzhlen die Spieler aus ihrem Leben, wo-

    her sie kommen, was sie nach Dresden verschlagen

    hat. Bis dahin ist das lustig und macht Lust auf mehr.

    Dann werden Hornbrillen und Hippiehaarbnder an-

    gezogen und es folgen verschiedene Kapitel rund um

    die Stadt und den jungen urbanen Menschen (1: Was

    zieht mich in die Stadt? 2: Was macht die Stadt mit

    mir?), die kaum mehr Geschichten erzhlen ber die

    drei jungen Leute, fr die wir gerade beginnen, uns zu

    interessieren. Da mssen Subjekte gestylt, Sozialisa-

    tionsmll erkannt, Cities gedated, Individualisierung

    erzwungen und gehasst und Schuldige gefunden wer-

    den dafr, warum das schreckliche Leben zwischen

    den Stdten so ist, wie es ist. Der Platzmangel zum

    Beispiel, der allgemeine Hype, die Gentrizierung,

    die Architektur.

    Stze mit Identi-, Authenti-, Soziali-, Subjekti-,

    Konsum- ... knnen zwar knallen und zeugen von

    Diskurskenntnis, brauchen aber etwas mehr, um

    zu leuchten. Das Feuilleton wie ein well-made play

    vortragen? Vielleicht lieber nicht. Stze wie Wir spie-

    len exaltierte Knstler und feiern unsere Existenz

    wirken dann seltsam ernsthaft statt ironisch und

    bleiben Fremdkrper im Raum und in den Mndern

    der Spieler dabei sind diese Stze Hauptbestandteil

    des Abends. Es wirkt, als htte das Regiekollektiv viel

    Pollesch gesehen und das dann mit groem Schau-

    spiel mixen wollen. Ein Widerspruch.

    Schn ist es wieder, wenn die Wortut ein Ende hat

    und die eine Spielerin nach dem Applaus auf der Bh-

    ne sitzen bleibt, weil sie vorher angekndigt hatte,

    so lange zu warten, bis etwas passiert. Greift denSpiel-Gedanken vom Anfang wieder auf, ist irgendwie

    privat und doch nicht, beansprucht den Lebensraum

    fr sich. Like.

    Wer imer hiereigelic we?Der die Bhne e.V. der TU Dresden mit

    einem Abend ber Lebensraum

    von Laura Naumann

  • 8/9/2019 KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 06 / 1. Jahrgang

    8/12

    08 / 09

    Wer jemals versucht hat, einen Text zu schreiben,

    der wei, dass das schwer ist. Das weie Blatt ist

    vielleicht ein Klischee, aber es ndet sich doch in fast

    jedem Schreibdokument zu Beginn und will gefllt

    werden, am besten mit groartigen Gedanken und

    Worten. Und das dauert. V ielleicht sind die ersten

    Worte noch leicht und machen Spa aber schnell

    beginnt der Kampf. Besonders in der Lyrik. Diese

    Vorgnge kann man selbst eigentlich kaum beschrei-

    ben. Klingt gleich auch wieder so weinerlich.

    Ach, ach, ach.

    Nun hat sich aber Regisseurin Katrin PltnerHlderlins Gedicht Aussicht vorgenommen und in

    einem Ein-Mann-Tanzstck aufgelst. Der Tnzer

    und Schauspieler Marcus Hering, ein schlanker Mann

    mit ausdrucksstarkem Gesicht und groen Augen,

    erkundet zu Beginn des Stcks den Raum im Terrace

    Hill. Er fhrt die Wand mit seinen Hnden ab, zieht

    an Ngeln, untersucht die Dreckspuren an der Wand.

    Ohne Worte.

    Dann beginnt er mit Geruschen. Brummen, Sir-

    ren, Z-, F-, Sch-Laute. Sie formen sich langsam zu

    Worten: Hering rennt in einen der beiden Ausgnge,

    hinten an der Bhne, im Off ruft er pltzlich: Offen!Es werden immer mehr Worte, die er ndet fr sein

    Gedicht, aber auch die Suche wird immer anstren-

    gender in seinem panischen Lauf reit Hering sogar

    den Tanzboden von der Bhne und deutet ein Dar-

    unterschlpfen an, um sich gleich wieder umzuent-

    scheiden und wie ein aufgescheuchtes Huhn auf die

    dicke Sule vor der Bhne zuzurennen und sich an sie

    zu klammern.

    Bisweilen entwickelt dieses verzweifelte Ringen

    sogar eine eigene Komik. In den vielen kleinen Ideen,

    zum Beispiel wenn Hering an sich herunterschaut,

    die Schweiecken auf seinem Oberteil sieht undverdutzt nach oben schaut und Schwarzes Wasser!

    ruft oder wenn er eine Wand untersucht und daran

    braune Flecken entdeckt, seine Fe von unten an-

    schaut und lakonisch kommentiert: Spuren! Sind das

    meine? - Oh. Ja.

    Aber die Komik entsteht auch darin, dass Hering sich

    sehr ernst nimmt in seinem manchmal fast pein-

    lichen Exaltieren und Suchen und genau das triff t

    einen Punkt: Sein Kampf um die richtigen Worte ist

    nicht nur klischeehaftes Knstlerleiden, sondern

    hat auch eine selbstironische Seite. Genau wie beim

    Schreiben. Natrlich kann auch ein Tanzstck diekreativen Prozesse nicht erklren, aber es kann die

    inneren Vorgnge ins Krperliche bersetzen und so

    miterlebbar machen.

    Z! F! Sc! Ofe!!!Aussicht Hlderlin tanzt sich

    durch die Schriftstellerseele

    Bevor sie mit Max (Bjrn Bchner) von zu Hause ab-

    haut, nimmt Anna (Anne Wuchold) erst einmal einem

    Zuschauer seinen Lolli aus dem Mund und wirft ihn

    weg. Merke: Jetzt wird es ernst betroffen Ses

    lutschen, das geht schlielich nicht. Nur passt dieser

    Ernst nicht zu Anna, denn Anna ist, zumindest auf der

    Textebene des Jugendbuches Habe ich dir eigentlich

    schon erzhlt von Sibylle Berg, eine lssige Fn-

    ger im Roggen-Erzhlerin, die voll und ganz ber

    die Ironie ihrer Sprache funktioniert. In Jan Krgers

    Inszenierung jedoch schimpft sie ziemlich uncool

    rum, trotzig und verstockt, als msste sie so den

    dramatischen Subtext zwischen den coolen Sprchen

    der Text-Anna entlarven und auf die Bhne zerren.

    Wo das Buch subtil ist, da wirkt die Darstellung platt

    und einfallslos: Da wird mit Taschenlampen unterm

    Gesicht gefuchtelt, wenns gruselig wird, da wird

    rumgehpft, wenn man sich freut und wenn Anna und

    Max sich ganz arg mgen, dann tanzen sie miteinan-

    der. Yeah.

    Fast wirkt es, als sei es Ziel der Inszenierung, den

    konventionellen Plot und die Klischees der Vorlage

    auszustellen: Wenn sie nicht gerade von Psycho-

    pathen entfhrt werden oder aus Eifersucht ge-

    trennte Wege gehen, kommen Max und Anna nmlich

    Richtung Sden trampend wunderbar klar, alles vllig

    undramatisch. Und vielleicht wre man als Zuschau-

    er ja wirklich mal betroffen, wenn Anna erzhlt, wie

    sie ihrer Mutter ein Weihnachtsfest vorbereitet und

    dafr nur Ablehnung erfhrt, wenn diese Geschichte

    nicht schon genau so an Tausenden von Reibretternkonstruiert worden wre und einem nicht von der

    Bhne so humor- und ironiefrei vermittelt wrde.

    Da hilft es auch nicht, dass die Zuschauer hautnah

    an den Darstellern um den Bhnenrand sitzen. Die

    unangenehmen Dinge stellen die strkeren Gefhle

    her, heit es an einer Stelle. Das trifft dann zu, wenn

    man nicht stndig darauf hingewiesen wird, diese Ge-

    fhle genau jetzt haben zu mssen. Dann doch lieber

    einen ssauren Lutscher, als eine Auffhrung ohne

    Nachgeschmack.

    Lucer rau!Anna in der Inszenierung vonHabe ich dir eigentlich schon erzhlt

    ist sich selbst vllig fremd

    von Alexandra Mller

    von Jan Berning

  • 8/9/2019 KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 06 / 1. Jahrgang

    9/12

    Kalar

    Es sind die Motive, die Sattler aus dem Text extrahiert, die

    psychologischen Muster, nach denen Aglajas Wirklichkeit

    funktioniert. Wir drfen nichts lieb gewinnen, schreibt sie

    mit Kreide auf die Ksten denn das Zuhause verdampft,

    wenn man nachts auch nur die Tr ffnet.

    Kein Zuhause zu haben und dennoch gefangen zu sein,

    dieses Gefhl ndet sich als immer neues Bild zwischen

    den Ksten wieder. Weil es nach Auen nur die Illusion fr

    das Publikum gibt, und nach innen keinen Abstand, weil die

    Eltern die einzigen Bezugspersonen fr die Kinder sind,

    werden die Dramen der Eltern zu ihren Dramen. Da ist der

    Vater, der Clown, der sich in selbstgedrehten Filmen als

    Held inszeniert und Aglajas Schwester missbraucht. Da ist

    die Mutter, die abends an ihren Haaren in der Zirkuskuppel

    hngt und ihre Kinder mit der Angst gefgig hlt, dass sie

    abstrzen knnte, weil sie nicht brav waren. Oder ihnen von

    dem Kind erzhlt, das sich im Maissack versteckte und in

    die Polenta geworfen wurde.

    Die Bhne wird zur Manege

    Am deutlichsten wird die Ambivalenz zwischen Unsicher-

    heit und Magie, wenn die beiden Akrobaten sich gegenseitigan ihren Armen in die Hhe stemmen, sich an Seilen bis zur

    Decke drehen. In diesen Momenten, in denen die Zirkus-

    knstler die Bhne in eine Manege verwandeln, wnscht

    man sich, dass Theater immer so spannend sein knnte

    obwohl es doch gerade die Illusion ist, die Aglajas ngste

    berdeckt.

    Ihr denkt, das sei alles Spa, ruft sie den Zuschauern zu,

    da sind schon die Augen ganz gro geworden in den Reihen.

    Denn Aglaja erzhlt die Geschichte, wie sie von ihrer Mutter

    nackt in Variets ausgestellt wird, wie einen kuriosen

    Schwank. Und wendet sich damit vom tragischen Ton der

    Vorlage ab, die Theaterwelt als Antithese nutzend. Das gehtso lange gut, wie sie sich in dieser Zirkuswelt aufhlt. Als

    sie in ein Heim kommt, lter wird, Missbrauch und den Tod

    der Mutter erfhrt, k ippt die Situation, wirkt die Geschichte

    gehetzt: denn die Bhnensituation bleibt der Zirkus und

    Annekathrin Bach spielt weiterhin ein Kind, auch wenn

    dieses Kind in der Textvorlage lngst zur Jugendlichen

    geworden ist.

    Ganz bestimmt aber ist der Abgleich der Theaterfassung

    mit dem Roman mig. Denn die Inszenierung leistet etwas

    Entscheidenderes: Eine Geschichte nicht nur zu illustrie-

    ren, sondern auch zu verkrpern, Illusion und Psychologie

    nebeneinander zu stellen: Magie bis hoch in die imaginreZirkuskuppel, Abgrnde, tief wie der Zrichsee.

    von Jan Berning

    Artisten auf Kisten. Foto: Lisa Kraatz

    Vielleicht ist man diesem Mdchen schon begegnet, viel-

    leicht wenn man den Aufbau eines Zirkus beobachtete und

    sie zwischen den Akrobaten umherstreifen sah, einen spt-

    tischen Ausdruck auf dem Gesicht, den bunten Rock ber

    der Hose. Abends der strahlende Auftr itt in der Manege undam nchsten Tag schon wieder unterwegs: lange Nchte,

    ferne Stdte, Abenteuer und Geheimnis ein Traum.

    Die rumnische Autorin Aglaja Veteranyi war ein solches

    Mdchen. 2002 hat sie sich kurz vor ihrem 40. Geburts-

    tag bei Zrich das Leben genommen. Zuvor aber mit dem

    Roman Warum das Kind in der Polenta kocht ihre Ge-

    schichte verffentlicht, die der Regisseur Fabian Sattler am

    Ballhaus Rixdorf in Berlin inszenierte. Aglajas Kindheit ist

    ein stndiges Reisen, ein einziger Auf- und Abbau. Schon

    zu Beginn wird die Bhne auseinander genommen, von den

    beiden stummen, ungerhrt lchelnden Akrobaten (Danny

    Prhl und Benjamin Eichhorn), die das Personal von AglajasGeschichte verkrpern. Die zwei Meter hohen Ksten, aus

    denen das Bhnenbild besteht, werden zu strzenden Wn-

    den und zum Wohncontainer, zu Traumwelt und Hochseil,

    Manege und Gefngnismauer.

    Kein Zuhause haben

    und dennoch gefangen sein

    Mit dem Selbstbewusstsein eines Kindes, das dem Publi-

    kum seine Welt als Show verkauft und gleichzeitig ihrem

    Hund unter der Bettdecke ihre Sorgen erzhlt, entfhrt Ag-

    laja in eine Welt zwischen Magie und Abhngigkeit, maximal

    ernst genommen von der Darstellerin Annekathrin Bachund doch mit kindlicher Aufregung und unschuldigem Stolz.

    Surz au der KupelFabian Sattlers magische Inszenierung von

    Warum das Kind in der Polenta kocht entzaubert die Zirkuswelt

  • 8/9/2019 KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 06 / 1. Jahrgang

    10/12

    Timo hat sturmfrei: Seine Eltern sind im Urlaub, drei

    Wochen noch. Und im Anschluss an sein Stck Jim

    Jones liebt Nelly Diener ldt er ein. Die Wegbeschrei-

    bung war einfach: U-Bahn-Station Lattenkamp, dann

    anrufen. Es ist schon lngst dunkel, schwer zu sagen,

    was fr eine Gegend das ist. Der einzige andere Mensch

    an der Station ist der Mann im Dnerladen, der unterbe-

    schftigt auf seinen Drehspie starrt .Timo geht fast sofort ran, seine Stimme kommt doppelt:

    Aus dem Handy, dann, leicht versetzt, von irgendwo

    oben, von einem Balkon. Einfach bei Kocielnik klin-

    geln, sagt er und legt auf. Das Treppenhaus ist su-

    berlich gewischt, und die Kocielniks haben eine dreie-

    ckige Porno-Badewanne im Bad. Eine der drei besten

    Wohngegenden in der Stadt, sagt Timo und ascht in

    eine Zimmerpanze. Dann versucht er, die indirekte

    Beleuchtung der Schrankwandvitrine einzuschalten,

    in der eine unzhlbare Zahl Engel ausgestellt sind. Im

    Hintergrund luft erst Nirvana, Nevermind, klar, dann

    diese The-Doors-Best-Of-CD, die jeder hat. Nur: Es istkaum jemand da. Timo, natrlich, seine beiden Schau-

    spieler: Luke Malchow, der gerade Abitur gemacht hat,

    und Max Mehlhose-Lfer, Schulabbrecher und in ein

    paar Wochen FSJ-ler, auerdem Marie, die stndig Toa-

    st, Popcorn und geriffelte Pommes aus der Kche holt,

    dann noch einer, der auf dem Sofa liegt, Kunst studiert

    und so gut wie nichts sagt, und einer, der sich die meiste

    Zeit ber im Nebenraum aufhlt und sich auf Youtube

    Hip-Hop-Videos anschaut.

    Die Dose Pils in meiner Hand

    wird niemals leerGrtenteils sind alle frisch von der Schule, und sie

    lungern rum. Im Grunde genommen eine Fortsetzung

    von Timos Stck, in dem es um Jugendliche mit jugend-

    lichem Ego und jugendlichen Trumen geht, die gerade

    frisch von der Schule sind und in dieser waberigen Lee-

    re zwischen Studium, Schule und Zivi herumlungern.

    Das Stck ist sehr privat, sagt Luke, und Timo reicht

    eine Schssel in Curryketchup gebadeter Pommes um

    den Tisch wie einen Joint. Timo ist ein guter Gastgeber:

    Die Dose Schloss-Pils in meiner Hand scheint niemals

    leer zu werden, und sie bleibt immer kalt.

    Jim Jones ... erzhlt Geschichten, die Timo, Luke und

    Max erlebt oder gehrt haben das Arbeiten auf dem

    Weihnachtsmarkt, das Ausgehen auf dem Kiez und das

    Vorglhen davor, die alte Geschichte von dem uner-

    reichbaren Girl - und baut aus diesen Geschichte eineCollage, in der es um die Bendlichkeit der Generation

    geht, der die drei angehren. Luke und Max stehen

    dabei auf der Bhne, Timo sitzt im Publikum und gibt

    Anweisungen: Jetzt Slapstick, Erzhl mal das mit

    dem Zivi im Krankenhaus, Machs nochmal und mei-

    ne es!, solche Sachen. Im Hintergrund luft auf einem

    Laptop eine Powerpoint-Prsentation mit Berufen

    durch, die eigentlich niemand der drei ergreifen will:

    Maurer, Elektriker, Erotiklmdarsteller.

    Es geht nicht ums Finanzielle

    sondern um FreundschaftDas Problem an dem Stck ist, dass es kein Ende hat:

    Dass da drei Jungs in unendlichen Annherungskrei-

    sen um sich selbst rotieren, bis in die Unendlichkeit

    Geschichten aneinanderkleben knnten und am Ende

    auch nichts neues zu vermelden haben, auer, dass sie

    ratlos sind. Das allerdings tun sie in von Timo schn

    schrg gelegten Stzen wie: Da geht es jetzt nicht so

    um das Finanzielle so: ich den Eistee, ihr den Wod-

    ka sondern um Freundschaft. Das sind dann auch

    die Stze, die Lacher produzieren diese Das-kenne-

    ich-auch-Lacher, die es bei Stand-Up-Comedy immer

    gibt, und das ist es dann auch, was den Abend bei Timo

    ausmacht: Dieses Hineingleiten in das altbekannte

    Gefhl all dieser Partys in sturmfreien Wohnungen von

    Freunden, und natrlich wrde man jetzt gerne ber

    einen Exzess berichten, wrde gerne berichten, dass

    der ganze Abijahrgang samt Anhang sturmklingelt und

    die Timos Party steil geht, dass mindestens drei Paare

    sich trennen und fnf sich nden, dass noch jemand

    vom Balkon kotzt und jemand anders Weinglser an die

    Wand schmeit. Aber das passiert nicht. Stattdessen

    bietet Timo noch Aldi-Whisky an, den niemand haben

    will, und wedelt mit der Taz von vor zwei Tagen, in der

    ein Interview mit ihm ist. Die schreiben, sagt er, dass

    wir das Stck aus Ratlosigkeit gemacht haben. Aber das

    stimmt nicht.

    Eine Generation oben ohne. Foto: Paula Reissig

    10 / 11

    Timo Kocielnik, Autor und Regisseur von

    Jim Jones liebt Nelly Diener, hat sturmfreie Bude.

    Ein Partybesuch nach der Auffhrung.

    von Jan Fischer

    Di wabrig Ler nac dr Scul

  • 8/9/2019 KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 06 / 1. Jahrgang

    11/12

    Booog

    bog bog..!

    Kalar

    Die Regeln: Schneide die verschiedenen Boote aus dem Programmheft aus und

    stecke sie in Korkenstckchen. Haltet eine Flasche mit eurem liebsten Hochprozentigen

    bereit: Jeder, der auf ein Wodka!-Feld kommt, muss einen groen Schluck trinken.

    Jeder Spieler hat einen einzigen Wodka-Joker: Er darf dann anstelle der Aufgabe im

    Aufgabenfeld einen weiteren Schluck nehmen. Mit Wrfeln beginnen darf die

    Spielerin mit der wenigsten Theatererfahrung.

    - Da Trinksil

    StartZil

    2

    Erzhl den anderen von

    deinem peinlichsten

    Kindheitserlebnis und

    sei dabei total authen-

    tisch.

    3

    4

    Bastel dir eineNerdbrille ausdeinem Lieblings-KFZ-Cover

    5

    Eierlikr!

    6

    Schminke dichmit irgendetwas,das du im Raumndest.

    7

    Mach den anderendie KALTSTART-Meerjungfrau.

    8 9

    10

    Erlutere ausfhrlich

    und berzeugend,

    warum das KALTSTART

    mehr Geld braucht.

    11

    12

    Falte dir aus der

    miesesten Kritikenseite

    einen Papierhut undtrage ihn fr den Rest

    des Spiels.

    13

    14

    15

    Yeah der Haupt-

    stadtkulturfonds hat

    sich gemeldet:

    5 Felder vor.

    16 Stell dein KALTSTART-Lieblingsstck panto-

    mimisch dar.

    17

    Shake your Bootyzu einem Lieddeiner Wahl.

    18

    Eierlikr!

    19

    Spiel dein

    Lieblings-Youtube-Videonach20

    Erklr deiner ktiven

    Cousine in Berlin,

    warum sie sofort

    beim KALTSTART

    auaufen soll

    21

    22

    23

    Zeig den anderen deinen

    nackten Arsch und fhl

    dich performativ dabei.

    24Tausche mit deinem

    rechten Sitznachbarn die

    Kleidung und trage sie

    fr den Rest des Spiels

    wie ein Kostm

    25

    Erarbeite mit den anderen

    einen Kostenvoranschlag fr ein

    Projekt, das du nchstes Jahr

    realisieren willst.

    26

    Eierlikr!27

    Ruf deine Mutter an und

    frag sie, wie gutes Theater

    aussehen muss.

    28

    29

    Eierlikr!

    31

    30

    Ziel! Macht richtig laut

    Musik und feiert bis zum

    Abwinken. Und tanzt!

    Und Wodka!

    32

    KFZ

  • 8/9/2019 KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 06 / 1. Jahrgang

    12/12

    Die Festivalzeitung KFZ zum KALTSTART HAMBURG 2010

    wird herausgegeben vom Kaltstart e.V.

    Redaktion:Khesrau Behroz, Jan Berning, Stephanie Drees, Clara Ehrenwerth,

    Jan Fischer, Alexandra Mller, Laura Naumann, Jan Oberlnder (V.i.S.d.P.),

    Johannes Schneider.

    Titelfoto: Jan Fischer

    Gestaltung: www.kirschcake.net.

    Auflage: 500.

    Redaktionsblog unter www.kaltstart-hamburg.de/blog.

    Schreibt uns unter [email protected].

    Face-to-face : Lokal, Max-Brauer-Allee 207, 22765 Hamburg

    Mit freundlicher Untersttzung von:

    Da mssen wir jetzt einfach mal ehrlich zu uns sein:

    Wir haben alles irgendwann mal kaputt gekriegt, was

    wir irgendwann mal geliebt haben. Wir sind alle schonmal euphorisch gewesen - und haben hinterher nie

    verstanden, warum eigentlich. Das gilt sowohl fr

    Ex-Freundinnen und Ex-Freunde, als auch fr Phno-

    mene wie die Kelly Family.

    Und es gilt fr Pop-Songs. Die nden wir oftmals

    so geil, dass wir sie in der Dauerschleife hren, sie

    mittrllern mit irgendeinem Ding in der Hand, das im

    entferntesten an ein Mikrofon erinnert, so geil, dass

    wir eigene Tanz-Performances kreieren in unseren

    vier Wnden, vor dem Spiegel stehen danke, danke,

    ich nehme den Preis sehr gerne an und dabei grenz-

    debil grinsen.Nach dem zwanzigsten Mal jedoch haben wir genug

    und wenn Andere auf Parties eben jene Songs spielen,

    nden wir sie uncool und doof und berhaupt: Was

    soll denn dieser ganze Mainstream-Schei! Naja, be-

    sonders fair sind wir eben auch nie gewesen, und uns

    an die eigene Nase zu greifen nden wir albern.

    Genauso faszinierend wie Pop-Songs sind die so

    genannten Loop Stations. Mit denen nimmt man einen

    Ton auf, den das Gert von selbst wiederholt und dann

    nimmt man noch mehr Tne auf und legt sie alle ber-

    einander - und heraus kommt ein vermeintlich

    von Khesrau Behroz

    Wiederholugser

    faszinierender Sound: Oh, schau, ist das geil, die

    ertnen ja alle gleichzeitig! Als htte man das Feuer

    entdeckt. Oder den FKK-Strand.Ja, so geil ist das mal gewesen. Aber inzwischen

    wirken die Loop Stations in ihrem Einsatz nur noch

    aufgezwungen, unnatrlich, affektiert. Ich habe beim

    KALTSTART schon drei Stcke gesehen, die dieses

    Gert zum Einsatz gebracht haben. Man wre auch

    wunderbar ohne ausgekommen, aber es ist zurzeit of-

    fenbar angesagt, dieses Patchwork-Theater: Man baut

    nicht nur die Bhne live vor dem Publikum zusammen,

    sondern auch die Gerusche. Postdramatik und so.

    Mich wrde es ja nicht wundern, wenn es bald das

    erste Stck gibt, das direkt bei der Premierenauffh-

    rung seine Schauspieler castet. (Kategorie: Die KFZliefert kostenlose Regie-Einflle. Gern geschehen.)

    Dabei sind die Loop Stations an sich eine feine Sache.

    Sie helfen Musikern, die eigene Stimme zu dubben,

    wenn es sonst niemanden in ihrem Rcken gibt. Sie

    helfen Multitalenten, auf der Bhne ein wenig anzu-

    geben und alle Instrumente selbst zu spielen. Und

    Sie helfen Schauspielerinnen und Schauspieler, auf

    der Bhne etwas zu tun, wenn sie sonst nichts zu tun

    haben. Ist doch auch super. Ist doch auch super (oh

    ja). Ist doch auch super (oh ja) (oh no).

    IMPRESSUM

    KFZKolumne:AffektierteEffekte VI