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Viktoria von Schönfeldt
Hormon- und Kinderwunschzentrum (Leiter: Prof. Dr. med. Christian J. Thaler) Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe LMU-München – Campus Grosshadern (Direktor: Prof. Dr. med. Klaus Friese)
Kinderwunsch und Reproduktionsmedizin – neue Herausforderungen, Chancen, Grenzen und Risiken
Beratung bei Kinderwunsch – eine interdisziplinäre Herausforderung
Fachtag am Mittwoch, 14.05.2014
Das Ende der natürlichen Reproduktion?
noch
Kinderlosigkeit – ein „altes“ Problem
Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde... (Genesis 1:28)
Da Rahel sah, dass sie dem Jacob kein Kind gebar, beneidete sie ihre Schwester und sprach zu Jacob: Schaffe mir Kinder, wo nicht, so sterbe ich. (Genesis 1:30)
Und sie Und sie (Sarah) sprach zu Abraham: Siehe, der Herr hat mich verschlossen, dass ich nicht gebären kann. Gehe doch zu meiner Magd, ob ich mich vielleicht aus ihr aufbauen möge. (Genesis 16:1)
„Biblische Hilfsmaßnahmen“ bei Kinderlosigkeit
Liebeszauber Gen 30, 11
Gelübde 1 Sam 1, 11
Leihmutterschaft Gen 16
„Samenspende“ Gen 16
Ziele der Kinderwunschbehandlung
Für jedes Paar die Wahrscheinlichkeit, ein Kind zu bekommen, maximieren
Intakte Einlingsgravidität („gesundes Kind“) Das Risiko von (höhergradigen) Mehrlingsgraviditäten
vermindern
Wie erreichen wir diese Ziele am besten für Paare in der Kinderwunschbehandlung?
Historie Definitionen Herausforderungen in der Kinderwunschtherapie Chancen: ART-Behandlung Grenzen: Behandlungserfolg und gesellschaftliche
Implikationen Fazit
Themenübersicht
William Harvey (1578-1657) Universalbegriff des Eis „Omne vivum ex ovo“ Gebärmutter ist Ort der Befruchtung (Bildung
des „Ur-Eis“)
Harvey vertrat die Ansicht, der Mensch entstehe aus der Befruchtung einer Eizelle durch eine Samenzelle. (gut 200 Jahre vor der ersten Entdeckung einer Mammalia Oozyte!)
Antoni van Leeuwenhoek (1632 – 1723) Beschreibung von Spermien (Arthropoden,
Menschen) 1677 Widerspruch zur Theorie der de novo Genese
kleinster Lebewesen
Karl von Baer (1792-1876) Entdeckung der
Mammaliaoozyte 1827 (Caniden)
John Hunter (1728-1793) Erste Geburt nach einer Inseminationsbehandlung
(Bericht darüber 1799)
Oscar Hertwig (1849-1922) Nachweis der
Befruchtung nach Verschmelzung von Ei- & Samenzelle
Techniken der Reproduktionsmedizin bis 1978
1799 IUI Schwangerschaft nach IUI (Bericht) 1827 EZ Entdeckung der Säugetier-Eizelle (Baer) 1875 Fertilisation Nachweis der Befruchtung bei Säugern (Hertwig) 1880 IVF IVF mit Zellteilung beim Kaninchen 1884 IUI erste heterologe Insemination beim Menschen 1949 Kryo-SPA Kryokonservierung humaner Spermatozoen 1955 AID Artificial Insemination by Donor 1959 IVF mit Schwangerschaft beim Kaninchen 1969 IVF erste Fertilisation in vitro (Mensch) 1973 IVF IVF - ET: intrauterine SS, Abort 1976 IVF IVF - ET: Extrauteringravidität
1978: Erste Geburt nach in vitro Fertilisation: 1978
Robert Edwards (27.09.1925 – 10.04.2013)
1978 IVF In vitro Fertilisation 1984 OPU Ultraschallgesteuerte transvaginale Follikelpunktion 1985 Kryo Erste SS nach Kryo-ET (Furchungsstadium) 1989 PID Präimplantationsdiagnostik 1990 PKD Polkörperbiopsie & Diagnostik 1992 ICSI Intracytoplasmatische Spermieninjektion 1993 ET ET nach prolongierter Kultur (Blastozystentransfer) 1995 TESE Testicular sperm extraction 2011 Morphokinetische Analyse der Embryonalentwicklung
Entwicklung der Techniken in der Reproduktionsmedizin
Infertilität: Unfähigkeit, eine Schwangerschaft bis zur Geburt eines lebensfähigen Kindes auszutragen, bzw. eine solche herbeizuführen (primär, sekundär) Subfertilität: Gesundheitliche Einschränkungen, die zur Verminderung der Fertilität führen
Definitionen
9 - 15 % aller Paare in Mitteleuropa sind ungewollt kinderlos ca. 3 % bleiben ungewollt kinderlos ca. 30 % aller Frauen erleben eine mindestens 12 – monatige
Episode der Unfruchtbarkeit
Herausforderungen: Epidemiologie der Sterilität
0
5
10
15
20
25
30
1970 * 1995 2002
24,3 28,1 29,8
Herausforderungen: Ursachen der ungewollten Kinderlosigkeit Verschiebung der Familienplanung in spätere Lebensabschnitte
Durchschnittsalter der Mutter bei der ersten Entbindung * Früheres Bundesgebiet
Statistisches Bundesamt
Herausforderungen: Irrtümliche Vorstellungen über Fruchtbarkeit Umfrage: Ab welchem Alter nimmt die Fruchtbarkeit der Frau langsam ab?
ab25 J. ab30 J. ab 35 J. ab 40 J. ab 45 J. Wech-selj.
Männer 2,6 11,9 21,3 29 19,3 15,9Frauen 3,4 10,9 26,3 28,3 17,8 13,3
0
5
10
15
20
25
30
35 MännerFrauen
*Angaben in Prozent [Befragung 2003]
*
0
20
40
60
80
100
20-24 25-29 30-34 35-39 40-45 45-49
Nach 1 Jahr ungeschütztem Verkehr werden schwanger:
0
10
20
30
40
</= 30 31-35 36-40 > 40
36,8 34,3
26,4
13,6
Das Alter der Frau ist ein determinierender Faktor, sowohl im natürlichen Zyklus als auch bei assistierter Reproduktion!
Herausforderungen: Alter und Fruchtbarkeit
Klinische SS-Rate/Zyklus lt. DIR 2010
In den letzten Jahren auffallende Zunahme der Erstgeburten von verheirateten Frauen, die bei der Geburt des Kindes mindestens 35 bzw. 40 Jahre und älter waren
Seit Beginn der 90er-Jahre nimmt der Anteil später ehelicher
Erstgeburten für Frauen ab 35 Jahren stetig zu; er hat sich innerhalb von zwölf Jahren fast verdreifacht
Vor allem bei Frauen ab 40 Jahren kontinuierlicher Anstieg:
1991: 0,8 Prozent der Mütter bei erstgeborenen Kindern 40 Jahre & älter 2000: 1,8 % & 2003 bereits 3,9 %.
Zusammenhang zwischen Erstelternschaft und Alter
Statistisches Bundesamt
Wann erfolgt der Übergang zur Elternschaft? Wer bleibt kinderlos? Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem immer
späteren Übergang zur Elternschaft?
Fragestellungen
Aufschub der Erstelternschaft - nicht nur bei Frauen (!) - führt zu:
mehr ungewollter Kinderlosigkeit stärkerer Nachfrage nach reproduktionsmedizinischen Behandlungen steigender Zahl von Risikoschwangerschaften mehr Einsatz von PND weniger Kinder, vor allem zweite, dritte…
…. mit allen gesellschaftlichen Konsequenzen / „Kosten“
Fazit – Was folgt daraus?
Chancen der Reproduktionsmedizin: Ursachenverteilung der Sterilität
5%
30%
35%
30%
unknownmalebothfemale
DIR 2010
unbekannt andrologisch kombiniert gynäkologisch
Evtl. Tubenchirurgie
hormonelle Stimulation & Zyklusmonitoring
mit GV
Zyklusmonitoring mit GV
Eileiter frei: Eileiter verschlossen
ICSI
Behandlung: Gynäkologische & andrologische Anamnese
Fortsetzung der konservativen Therapie, evtl. IUI
3 – 6 Zyklen erfolglos?
IVF
alternativ:
erfolglos?
Diagnostik: Eileiter
• Regelmäßiger Zyklus • Eileiter? • Partner unauffällig
• Kein regelmäßiger Zyklus
• Eileiter? • Partner unauffällig
• Eileiter verschlossen • Partner unauffälig
• Spermiogramm des Partners hochgradig
eingeschränkt
80 % aller Schwangerschaften entstehen in den ersten 3 Zyklen
CAVE: max 1-2 Follikel pro Zyklus! Maximal 5 - 6 Zyklen IUI sinnvoll vertretbar (danach Therapiewechsel zur IVF empfohlen)
IUI Katheter
Intrauterine Insemination (IUI):
IVF oder ICSI: Kontrollierte ovarielle Hyperstimulation Risiken für Patientin (OHSS, …) Sonographisch gesteuerte, transvaginale
Follikelpunktion Etablierte Verfahren zur in-vitro-Fertilisation ( >3
Millionen Geburten weltweit)
In vitro Fertilisation (IVF)
Leistungsvoraussetzungen zur IVF/ICSI in der GKV: Homologes System Ehe der Partner Keine vorangegangene Sterilisation ursächlich Partner müssen mindestens 25 Jahre alt sein und dürfen
maximal 40 Jahre (w) oder 50 Jahre (m) alt sein Kryokonservierung von Samenzellen, Eizellen, befruchteten
Eizellen im Vorkernstadium oder noch nicht transferierten Embryonen ausgeschlossen
Richtlinie des GBA über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung; GMG 2004
Mikromanipulation:
Intracytoplasmatische Spermieninjektion
… und bei eingeschränkter Fertilität des Mannes?! ICSI als Standardverfahren bei andrologischer Indikation
ICSI als Standardverfahren bei andrologischer Indikation
Individuelle Zellen: Zellteilung OHNE Zellwachstum Entwicklung bis zur Kompaktion: Maternale Kontrolle Totipotenz der resultierenden Blastomeren 98% erreichen Furchungsstadium Fähigkeit zur Bildung eines ganzen Organismus (Cave: Verbot der PID – EschG!)
Embryonalentwicklung in vitro: Furchungsteilungen
Bildung der Morula Erstes (?) Differenzierungsereignis in der Säugerfrühentwicklung Verlust der Totipotenz: Resultierende Pluripotenz Beginnende Transkriptions- und Translationsaktivität des Embryos!
Embryonalentwicklung in vitro: Kompaktion
Beurteilung der Morphologie nach Expansionsgrad, Merkmalen der Inneren Zellmasse (ICM) & des Trophektoderms (TE) TE: Erfolgreiches „Hatching“ und Implantation
Embryonalentwicklung in vitro: Blastulation und Hatching ICM
TE
Norwitz et al., 2001; Tsampalas et al., 2010; Licht et al., 2001a, b
Chancen: Neue Methoden im ART-Labor
Time-Lapse Imaging (Embryoscope): Inkubator mit integrierter Kamera kontinuierliche Bilddokumentation der Embryonalentwicklung
Meseguer et al., 2011, 2012, 2013; Wong et al., 2012
Tag 4 - 5 „Hatching“
Tag 1 - 3
Embryonalentwicklung in vitro
Neue Methoden im ART-Labor Time-Lapse Imaging (Embryoscope):
Time-Lapse Imaging: Neue Methoden im ART-Labor
Organ und Behandlung Effekt
Ovarien: Chemotherapie Radiotherapie
• Depletion oder Schädigung des Primorialfollikelpools (Verminderung der ovariellen Reserve)
• POF: Zytotoxische Wirkung auch auf Granulosa- und Thekazellen mit resultierender Infertilität und/oder früher Menopause
Uterus: Radiotherapie • Fibrose (vaskuläre Insuffizienz, Schädigung des Endometriums und Verlust der Elastizität mit Implantationsversagen in der Folge)
Ovarien/Uterus: Operation • teilweiser oder vollständiger Verlust der reproduktiven Organe und deren Funktion
Hypophyse: Operation Radiotherapie
• Oligo-/Anovulation durch Verlust / Einschränkung der hormonellen Steuerung der Follikulogenese
Chancen: Fertilitätserhalt bei onkologischer Therapie
Keimzellkonservierende Maßnahmen
A. Befruchtete Eizellen im Vorkernstadium: Feste Lebenspartnerschaft (mit bestehendem Kinderwunsch) Befruchtung unabhängig vom Spermiogramm mittels
Intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI)
Befruchtungskontrolle 16-19 Std. später
Kryokonservierung (Slow-Freeze-Verfahren) regelrecht befruchteter Eizellen im Vorkernstadium
Keimzellkonservierende Maßnahmen B: Unbefruchtete Eizellen im Metaphase-II-Stadium: Fehlender Partner oder Ambivalenz hinsichtlich einer
gemeinsamen Kinderwunschbehandlung
Kryokonservierung aller asservierten MII-Eizellen
Slow-Freeze-Verfahren oder Vitrifikation (gute Erfolgsaussichten, fehlende Daten zur Langzeitlagerung bei Vitrifikation)
Gewebe i.S.d. EU-Geweberichtlinie & des TPG
a c b
Keimzellkonservierende Maßnahmen: Praxis
B: Unbefruchtete Eizellen im Metaphase-II-Stadium: Kryokonservierung und Auftauvorgang (a) Befruchtung mittels ICSI Embryotransfer am 5. Kulturtag [Grading: 5AA (b), 3AB (c)] Termingerechte Geburt eines gesunden Jungen
Sela et al., 2012
Aussagen zum Social Freezing u.a.: „Reproduktionsmediziner“(?!): 2-4 Eizellen
pro Kind CAVE: Eizellspendeprogramme SS-Rate: 2-4 % pro Eizelle
Focus: 07.10.2013
„Social Freezing mit Ovarialgewebe als
Option“ CAVE: Indikation bei experimentellem Verfahren?
Behandlungsergebnisse [SSR %] in Abhängigkeit vom Alter der Frau (DIR)
0
5
10
15
20
25
30
35
40
23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44
IVFICSI
Grenzen der ART-Behandlung:
Oozyten mit Aberrationen der meiotischen Spindel [%] in Abhängigkeit vom maternalen Alter
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
20 25 30 35 40 45 Jahre
SS-Rate [%] nach IVF/ICSI in Abhängigkeit von Herkunft der Eizellen (SART)
05
1015202530354045
25 27 29 31 33 35 37 39 41 43 45 47 49Jahre
eigene
gespendete
FAZIT: IVF & ICSI sind erfolgreiche und etablierte Verfahren bei der Behandlung (> 3
Millionen Geburten weltweit)
CAVE: Samen-/Eizellspende, Leihmutterschaft: Austausch der an der Fortpflanzung
beteiligten Personen Kosten?! zeitliche und räumliche Entkoppelung des Fortpflanzungsvorgangs Risiken der Technik per se (Imprintingdefekte, etc.) Keine ursächliche Therapie sd. Umgehung der defizienten Gametenfunktion
[Weitergabe Funktionsdefekte an Folgegeneration (AZFc-Deletionen) Imprintingdefekte? ]
Möglicher Zugriff auf genetische Identität (PID?)
IVF und ICSI zur Behandlung ungewollter Kinderlosigkeit