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TIBET BUDDHISMUS und April Mai Juni 2006 Heft 77 KLASSIKER 31 Å ryadeva (2./3. Jh.) gilt als geisti- ger Sohn und berühmtester Schüler Någårjunas. Seine Werke wurden stark von Någårjuna beeinflusst. Nach Frauwallner (1994) „liegt bei ihm der seltene Fall vor, dass ein bedeutender Schüler in voll- ständiger Übereinstimmung mit sei- nem Lehrer wirkt und ihn aufs glück- lichste ergänzt. Er stimmt in allen wesentlichen Anschauungen mit Nå- gårjuna überein, geht aber in der Art der Darstellung über ihn hinaus.” Interessant ist, dass Åryadeva nicht von Carola Roloff nur nach der tibetischen Tradition neben Någårjuna als Wegbereiter des Mahåyåna gilt, sondern auch in der indischen Linie des Zen unter dem Namen Kanadeva als der 15. Pat- riarch bekannt ist. DAS LEBEN ÅRYADEVAS Der Überlieferung nach stammte Åryadeva, auch bekannt als Bodhi- sattva Deva, aus Ceylon. Während Frauwallner ihn auf Anfang des 3. Jh. datiert, führt Lang (1986) Gründe an, warum er schon Mitte des 2. bis Mit- te des 3. Jh. gelebt haben muss. Åryadeva wurde als Sohn eines Königs geboren und entsagte dieser Stellung, indem er Mönch wurde und in dem südindischen Königreich Œåtavåhana bei Någårjuna in die Lehre ging. Einige Gelehrte vermu- ten, dass es sich bei ihm um den Thera Deva handelt, der in den singha- lesischen Chroniken Dïpavaµsa (XXII, 41 und 50) und Mahåvaµsa (XXXVI, 29) erwähnt wird. Er soll Srï La‡kå im 3. Jh. als vollendeter Gelehrter verlas- Åryadeva – der Madhyamaka-Gelehrte Buddhistische Klassiker: Teil 8 Der letzte Teil der Klassiker- Serie beschäftigt sich mit Årya- deva, dem Gelehrten der Philosophie des Mittleren Weges (Madhyamaka). Der Text gibt Hinweise zu den wichtigsten Übersetzungen sei- ner Werke in englischer und deutscher Sprache. S.H. der Dalai Lama wird bei seiner Veranstaltung 2007 in Ham- burg die wichtigste Schrift die- ses Meisters erklären: „Die Vierhundert Verse”.

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Page 1: KLASSIKER Åryadeva – der Madhyamaka-Gelehrte · 2009-10-08 · TIBET und BUDDHISMUS April Mai Juni 2006 Heft 77 32 sen haben, zu einer Zeit, als das Mahåyåna dort unterdrückt

TIBET BUDDHISMUSund

April Mai Juni 2006 Heft 77

K L A S S I K E R

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Åryadeva (2./3. Jh.) gilt als geisti-ger Sohn und berühmtesterSchüler Någårjunas. Seine

Werke wurden stark von Någårjunabeeinflusst. Nach Frauwallner (1994)„liegt bei ihm der seltene Fall vor,dass ein bedeutender Schüler in voll-ständiger Übereinstimmung mit sei-nem Lehrer wirkt und ihn aufs glück-lichste ergänzt. Er stimmt in allenwesentlichen Anschauungen mit Nå-gårjuna überein, geht aber in der Artder Darstellung über ihn hinaus.”Interessant ist, dass Åryadeva nicht

von Carola Roloff

nur nach der tibetischen Traditionneben Någårjuna als Wegbereiter desMahåyåna gilt, sondern auch in derindischen Linie des Zen unter demNamen Kanadeva als der 15. Pat-riarch bekannt ist.

DAS LEBEN ÅRYADEVAS

Der Überlieferung nach stammteÅryadeva, auch bekannt als Bodhi-sattva Deva, aus Ceylon. WährendFrauwallner ihn auf Anfang des 3. Jh.datiert, führt Lang (1986) Gründe an,

warum er schon Mitte des 2. bis Mit-te des 3. Jh. gelebt haben muss.

Åryadeva wurde als Sohn einesKönigs geboren und entsagte dieserStellung, indem er Mönch wurde undin dem südindischen KönigreichŒåtavåhana bei Någårjuna in dieLehre ging. Einige Gelehrte vermu-ten, dass es sich bei ihm um denThera Deva handelt, der in den singha-lesischen Chroniken Dïpavaµsa (XXII,41 und 50) und Mahåvaµsa (XXXVI,29) erwähnt wird. Er soll Srï La‡kå im3. Jh. als vollendeter Gelehrter verlas-

Åryadeva – der Madhyamaka-GelehrteBuddhistische Klassiker: Teil 8

Der letzte Teil der Klassiker-

Serie beschäftigt sich mit Årya-

deva, dem Gelehrten der

Philosophie des Mittleren

Weges (Madhyamaka). Der

Text gibt Hinweise zu den

wichtigsten Übersetzungen sei-

ner Werke in englischer und

deutscher Sprache. S.H. der

Dalai Lama wird bei seiner

Veranstaltung 2007 in Ham-

burg die wichtigste Schrift die-

ses Meisters erklären: „Die

Vierhundert Verse”.

Page 2: KLASSIKER Åryadeva – der Madhyamaka-Gelehrte · 2009-10-08 · TIBET und BUDDHISMUS April Mai Juni 2006 Heft 77 32 sen haben, zu einer Zeit, als das Mahåyåna dort unterdrückt

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April Mai Juni 2006 Heft 7732

sen haben, zu einer Zeit, als dasMahåyåna dort unterdrückt wurde,weil es von der vorherrschendenDoktrin abwich. Åryadeva wurdezum Verfechter der Madhyamaka-Lehre und veröffentlichte seine Wer-ke nach dem Tod Någårjunas.

Einer anderen, ins Chinesischeübersetzten Quelle zufolge wurdeder Bodhisattva Deva in Südindien in

einer brahmanischen Familie gebo-ren. Er studierte mit Någårjuna, wi-derlegte irrgläubige Lehrer in öffentli-chen Debatten und zog sich später inden Wald zurück, um dort seineWerke zu verfassen.

Bevor er nach Indien ging, stu-dierte er den Kanon buddhistischerSchriften. Dann pilgerte er zu dengroßen Tempeln in Südindien. Aufdem Weg nach Œrï Parvata traf er aufÅcårya Någårjuna. Er begleitete ihnals ergebener Schüler und soll schonbald spirituelle Verwirklichungenerlangt haben. Någårjuna gab alleseine Traditionslinien an ihn weiter.

Berühmt ist der Debattenstreitzwischen Åryadeva und dem Brah-manen und einflussreichen Hindu-Logiker Durdharæakåla, nach tibeti-schen Quellen später als Buddhistunter dem Namen Aœvaghoæa be-kannt. Der in der Debatte als unbe-siegbar geltende Hindu schickte sichan, die größten Meister des KlostersNålanda herauszufordern. Da dieVerlierer des Streitgesprächs zumGlauben des Siegers übertreten mus-sten, suchten die buddhistischenMönche einen überragenden Gelehr-ten.

Någårjuna, selbst nicht vor Ort,ließ seinen Schüler Åryadeva nachNålanda gehen, um sich der Debattezu stellen. Åryadeva besiegte seinenDebattierpartner mit Bravour und

schloss ihn danach in einen Tempelein. Außer sich vor Zorn begannAœvaghoæa, buddhistische Schriftenumherzuwerfen.

Da entdeckte er plötzlich einehervorstehende Buchseite. Er stelltefest, dass es sich um eine ihn betref-fende Prophezeiung des Buddhahandelte. Da überkam ihn großeReue. Er sammelte die Bücher wieder

ein und begann, darin zu lesen. Jemehr er las, desto größer wurde seinVertrauen. Schließlich entschied ersich, Mönch zu werden. Er studiertebei Åryadeva und wurde unter demNamen Aœvaghoæa ein großer Meisterund berühmt für seine Lobpreise desBuddha. Åryadeva blieb noch langeZeit in Nålanda, entschied jedocheines Tages, wieder in den Südenzurückzukehren.

ÅRYADEVAS BERÜHMTESTES WERK: „DIE VIERHUNDERT VERSE”

Mit Ausnahme einiger Fragmente hatkeines der Werke, die Åryadeva ver-fasst hat und die ihm zugeschriebenwerden, auf Sanskrit überlebt. Erhal-ten sind aber tibetische und chinesi-sche Übersetzungen. Wichtig ist auchzu wissen, dass es noch einen zwei-ten Åryadeva gab, einen Meister desVajrayåna. Alle tantrischen Textewurden wohl eher von diesem verfasst.

Als Hauptwerk Åryadevas gilt seinWerk „400 Verse über Übungen aufdem Weg zur Erleuchtung”(Catuçœataka), unter Tibetern auchunter dem Kurztitel „Die VierhundertVerse” bekannt. Der Sanskrit-Textdieses Werkes ist nur noch fragmen-tarisch erhalten. Alle 16 Kapitel sindvollständig in tibetischer Übersetzungüberliefert.

Candrakïrti sagt in seinem Kom-

mentar dazu, dass es keine grundle-genden Unterschiede zwischen Nå-gårjunas Philosophie in den Madhya-maka-Lehrwerken und der von Årya-deva in diesem Werk vertretenenAnsicht gibt. In der ersten Hälfte sei-ner „Vierhundert Verse” greift er ähn-liche Themen auf wie Någårjuna inseinen beiden Werken „Brief aneinen Freund” und “Ratschläge für

einen König”. Er betont die Praxis derFreigebigkeit als Grundlage für dieAnsammlung von Verdienst einesBodhisattva.

Im zweiten Teil bezieht sich Årya-deva auf Någårjunas Werke zurLogik, die „Grundverse über denMittleren Weg”, die „Zurückweisungvon Einwänden”, die „Siebzig Stro-phen über die Leerheit” und die„Sechzig Strophen der Beweisfüh-rung”. Die Einsicht in die Leerheit istdie Grundlage für die Ansammlungvon Weisheit eines Bodhisattvas.

Eine vollständige Übersetzung der„Vierhundert Verse” ins Englische fin-det sich in dem zurzeit leider vergrif-fenen Werk von Karen Lang: Åryade-va's Catuçœataka. On the Bodhisat-tva's Cultivation of Merit and Know-ledge. (Indiske Studier 7) Copen-hagen: Akademisk Forlag 1986. DasBuch ist in einigen Universitätsbiblio-theken vorhanden.

Zusammen mit dem Grundtextwurde auch Candrakïrtis „Kommen-tar zu den Vierhundert Versen” insTibetische übersetzt. Die ersten vierKapitel sind ebenfalls von Karen Langin englischer Übersetzung erschie-nen: Four Illusions. Candrakïrti's Ad-vice to Travelers on the BodhisattvaPath. New York: Oxford UniversityPress 2003.

Darin argumentiert Candrakïrti (7.Jh.), dass wir uns selbst täuschen,

„Die Ursache wird durch die Wirkung vernichtet, daher ist die Ursache nicht ewig.

Ferner befindet sich die Wirkung nicht dort, wo sich die Ursache befindet.”

(Nach Frauwallner CS IX, 18)

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indem wir an Unsterblichkeit undan die angenehme reine Naturunserer Körper glauben, und durchden Stolz, den wir auf uns selbstund unseren Besitz haben. In jedemder vier Kapitel konzentriert er sichauf eine dieser vier falschenAnsichten, die es zu überwindengilt, wenn man ein Buddha werdenwill. Candrakïrti gibt Ratschläge,wie man mit Tod, Leid, Lust undEgoismus umgeht.

Eine englische Übersetzung desKommentars von Candrakïrti zum12. und 13. Kapitel der „VierhundertVerse” findet sich zusammen miteinem Kommentar von Dharmapåla(6.-7. Jh.) in: Tom J. F. Tillemans:Materials for the Study of Åryadeva,Dharmapåla and Candrakïrti. TheCatuçæataka of Åryadeva, ChaptersXII and XIII, with the Commentariesof Dharmapåla and Candrakïrti:Introduction, Sanskrit, Tibetan andChinese Texts, Notes. Wien: Arbeits-kreis für Tibetische und Buddhis-tische Studien Universität Wien1990. In Kapitel XII geht es um dieWiderlegung von Nicht-Buddhisten,in Kapitel XIII um Wahrnehmung.

In Tibet wurden zwei autochtho-ne Kommentare verfasst: einer vonRendawa Zhonu Lodrö (1348/9-1412) und einer von seinem SchülerGyältsab Darma Rinchen (1364-1432). Rendawas Kommentar zu den

„Vierhundert Versen” ist auf Tibetischerhalten, aber noch nicht übersetzt.Um so erfreulicher ist es, dass unseine englische Übersetzung des Kom-mentars von Gyältsab vorliegt, zu-sammen mit einer Übersetzung derGrundverse und einem Kommentarvon Geshe Sönam Rinchen: YogiDeeds of Bodhisattvas. Gyel-tsap onÅryadeva's Four Hundred. Com-mentary by Geshe Sonam Rinchen.

Translated and Edited by RuthSonam. Ithaca/New York: Snow LionPublications 1994.

WEITERE WERKE VON ÅRYADEVA

Ein weiteres wichtiges Werk, dasÅryadeva zugeschrieben wird, trägtden Namen „Abhandlung der 100Lieder” (Œata(ka)œåstra) und existiertnur noch in chinesischer Überset-zung. Obwohl es viele Parallelen zuden „Vierhundert Versen” aufweist,gibt es auch Abweichungen.

Ob es sich um eine redigierteAusgabe der Vierhundert Verse han-delt oder um ein völlig eigenständigesWerk, ist nicht sicher. Auf jeden Fallübte auch dieses Werk einen großenEinfluss auf den Buddhismus aus. Esstellt eines der grundlegenden Werkeder San-lun-Schule des chinesischen

Madhyamaka dar. Unklar ist, ob auch das Werk

„Hundert Silben” (Akæaraœataka)nebst Kommentar wirklich von Årya-deva stammt. Es richtet sich vor allemgegen Thesen der Såµkhyas undVaiœeæikas. Seyfort Ruegg (1981)macht deutlich, dass es darin umEinwände gegen die Festlegung vonExistenz geht. Konventionell sei eszwar möglich, von der Existenz von

Dingen zu sprechen, aber nicht ausder Sicht endgültiger Wahrheit.Weiterhin sei es unmöglich, aus sei-nem Namen die Existenz eines Dingszu folgern.

Die kurze Abhandlung „Haar inder Hand” (Hastavålaprakara¶a) miteinem dazugehörigen Kommentarwird zwar traditionell Åryadeva zuge-schrieben, aber einige Wissenschaft-ler nehmen an, dass es tatsächlichvon Dignåga stammt. In diesem Werkgeht es um epistemologische The-men, inbesondere um Gründe fürfalsche Wahrnehmung wie z.B., dassman ein gewundenes Seil für eineSchlange hält. Eine englische Über-setzung aus dem Tibetischen liegt vorin: Fernando Tola/ Carmen Drago-netti: On Voidness. A Study onBuddhist Nihilism. Delhi: MotilalBanarsidass 1995, 1-17.

Das kurze Werk Skhalitaprama-thanayuktihetusiddhi findet sich aufEnglisch im Tibet Journal 4/2 (1979),p. 29 sq., übersetzt von R. W. Clarkund Acharya Lozang Jamspal : TheDialectic which Refutes ErrorsEstablishing Logical Reasons. Auchhierbei könnte es sich um ein späte-res Werk eines anderen Autors han-deln.

„Wie sollte bei einer Person Hingabe in bezug auf den Frieden [der Befreiung]

entstehen, die keine Enttäuschung über die Situation im Daseinskreislauf empfindet?”

(Aryadeva, Vierhundert Verse)

„Wenn der Ozean des alles durchdringenden Leidens

nirgendwo ein Ende hat, wie ist es dann möglich,

dass du keine Furcht hast, du kindisches Wesen,

da du doch in diesen Ozean versunken bist?”

(Aryadeva, Vierhundert Verse)