kleinwalschutz in deutschland und europa

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Vorliegender Beitrag beleuchtet das Regime des Meeressäugerschut- zes in inneren Gewässern, Küstenmeer und Ausschließlicher Wirt- schaftszone (AWZ) mit Blick auf die spezifischen Auswirkungen der Fischerei. Der Schutz von Kleinwalen wie dem in der deut- schen Nord- und Ostsee ansässigen Gewöhnlichen Schweinswal (Phocoena phocoena) vollzieht sich im Wege des Ineinandergreifens mehrerer Rechtsebenen. Auf Ebene des Rechts der Europäischen Union wird der Ausgleich zwischen den Interessen der Gemeinsa- men Fischereipolitik (GFP) und dem ebenfalls unionsrechtlich de- terminierten Arten- und Habitatschutzregime infolge der parallelen Betroffenheit verschiedener Unionskompetenzen mit unterschiedli- cher Reichweite erschwert. Der Beitrag beleuchtet Hintergründe und Folgen dieser Kollision im Lichte der Anforderungen eines ef- fektiven maritimen Naturschutzes, insbesondere im Hinblick auf die noch auszuweisenden Natura 2000-Schutzgebiete in der deut- schen AWZ. I. Einführung Das Thema des Kleinwalschutzes in den Gewässern, die deutschen Hoheitsbefugnissen unterliegen, erfährt derzeit verstärkte Aufmerksamkeit. Der vor allem in der deutschen Nord- und Ostsee vorkommende Gewöhnliche Schweins- wal (Phocoena phocoena) ist sowohl in Anhang II als auch in Anhang IV lit. a der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) 1 gelistet. Daraus folgt zum einen die Pflicht zur Beachtung der artenschutzrechtlichen Anforde- rungen des Art. 12 FFH-Richtlinie, die auf die Etablierung und Einhaltung eines „strengen Schutzsystems“ abzielen. Zum anderen müssen die Habitate des Gewöhnlichen Schweinswals als Natura 2000-Gebiete unter Schutz ge- stellt werden, wenn und soweit sich Räume klar eingrenzen lassen, die die für das Leben und die Fortpflanzung der Art ausschlaggebenden physischen und biologischen Elemente aufweisen (vgl. Art. 4 FFH-Richtlinie). Die insoweit be- sonders relevanten Gebiete „Sylter Außenriff“ und „Feh- marnbelt“ wurden von der Kommission der Europäischen Union (EU) auf Meldung der Bundesrepublik Deutschland als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung im Sinne von Art. 4 Abs. 2 FFH-Richtlinie anerkannt. Sie müssen deshalb vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, das gemäß § 57 Abs. 2 des Geset- zes über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnatur- schutzgesetz – BNatSchG) 2 für Schutzgebietsausweisun- gen in der AWZ zuständig ist, als besondere Schutzgebiete im Sinne von Art. 6 FFH-Richtlinie ausgewiesen werden, vgl. Art. 4 Abs. 4 FFH-Richtlinie. Die entsprechenden Schutzgebietsverordnungen sind bislang noch nicht erlas- sen worden; dies soll und muss aber in der näheren Zu- kunft geschehen. 3 Für beide Gebiete hat das Bundesamt für Naturschutz (BfN) im Hinblick auf seine Aufgabe, die zu schützenden Meeresgebiete im Bereich der deutschen AWZ auszuwählen (vgl. § 57 Abs. 1 BNatSchG), Erhaltungsziele definiert. 4 In diesen Dokumenten wird die Berufsfischerei unter dem Gesichtspunkt des Beifangs von Meeressäuge- tieren übereinstimmend als aktuelle Gefährdungsquelle im Prof. Dr. Alexander Proelß und Jenny Kirschey, Universität Trier, Trier, Deutschland Gebiet qualifiziert. Dies ist umso bedeutsamer, als sich die Schweinswalpopulationen im „Sylter Außenriff“ einerseits und im „Fehmarnbelt“ andererseits im Hinblick auf ihren Erhaltungsstand in erheblicher Weise unterscheiden: Wäh- rend der Erhaltungsstand der Schweinswalpopulationen im „Sylter Außenriff“ noch für „gut“ befunden wurde, wurde die Population im „Fehmarnbelt“ mit „schlecht“ klassi- fiziert. 5 Dessen ungeachtet herrscht seit einigen Monaten Streit über die Schutzstandards, die innerhalb der beiden Ge- biete zur Anwendung gelangen sollen. Derzeit stehen sich mit Blick auf den Schweinswalschutz zwei alternative Vor- schläge des zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ge- hörenden Bundesforschungsinstituts für Ländliche Räume, Wald und Fischerei ( Johann Heinrich von Thünen-Insti- tut – vTI) und des BfN gegenüber. Während sich das vTI im Bereich des Sylter Außenriffs für einen nur saisonalen Ausschluss der Fischerei mit Kiemen- und Verwickelnetzen zwischen dem 1. Mai und dem 31. August bei ganzjährigem Einsatz sog. Pinger – akustischen Vergrämern – an allen Stellnetzen ausspricht, befürwortet das BfN einen ganz- jährigen Ausschluss der Stellnetzfischerei. Im Gebiet „Feh- marnbelt“ steht dem Vorschlag eines ganzjährigen Fische- reiausschlusses (BfN) der einer ganzjährigen Verwendung von Pingern ohne saisonalen Ausschluss (vTI) gegenüber. Vor diesem aktuellen Hintergrund stellt sich die Frage, welchen rechtlichen Anforderungen Fischereiaktivitä- ten in Meeresgebieten, die kraft europäischen Rechts un- ter Schutz gestellt werden müssen, bzw. durch die beson- ders geschützte Arten gefährdet werden können, genügen müssen. Zu diesem Zweck werden im Folgenden zunächst die einschlägigen Vorgaben der FFH-Richtlinie darge- DOI: 10.1007/s10357-012-2275-3 Kleinwalschutz in Deutschland und Europa Arten- und habitatschutzrechtliche Anforderungen an Fischereiaktivitäten in Meeresgebieten innerhalb der Grenzen des Bereichs nationaler Hoheitsbefugnisse Alexander Proelß und Jenny Kirschey © Springer-Verlag 2012 123 378 NuR (2012) 34: 378–385 1) Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. 5. 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl.EG 1992, Nr. L 206/7). 2) BGBl. 2009 I S. 2542, zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 6. 2. 2012, BGBl. I S. 148. 3) Vgl. auch BT-Drs. 16/12032 vom 12. 2. 2009, S. 30: „Nachdem die Europäische Kommission inzwischen die deutschen Ge- bietsanmeldungen akzeptiert hat, gilt es in den nächsten Jahren, die konkreten Schutzgebietsverordnungen für die acht gemelde- ten FFH-Gebiete zu erarbeiten.“ ‒ Der ursprüngliche Zeitplan der FFH-Richtlinie (vgl. Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1) sah vor, dass die Schutzgebietsausweisungen bis zum 10. 6. 2004 erfolgen sollten. Dessen ungeachtet kann richtiger Ansicht zufolge nicht von ei- ner unmittelbaren Wirkung von Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-Richtli- nie ausgegangen werden; vgl. Proelß, Meeresschutz im Völkerrecht und Europarecht, 2004, S. 279 f.; ders., Arten- und Habitatschutz nach der FFH-Richtlinie: Welche Anforderungen gelten für po- tentielle Schutzgebiete?, EuR 2005, S. 649, 653 ff. 4) Abrufbar unter <http://www.bfn.de/habitatmare/de/downloads/ erhaltungsziele/Erhaltungsziele_Sylter-Aussenriff_2011-04-28. pdf> bzw. <http://www.bfn.de/habitatmare/de/downloads/er- haltungsziele/ Erhaltungsziele_Fehmarnbelt_2009-03-06.pdf>. 5) Vgl. die Angaben in den Standard-Datenbögen des BfN, abrufbar unter <http://www.bfn.de/habitatmare/de/downloads/standard- datenboegen/1209-301_Sylter_Aussenriff_2011_08_30.pdf> bzw. <http://www.bfn.de/habitatmare/de/downloads/standard- datenboegen/1332-301_Fehmarnbelt_2011_08_30.pdf>.

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Page 1: Kleinwalschutz in Deutschland und Europa

Vorliegender Beitrag beleuchtet das Regime des Meeressäugerschut-zes in inneren Gewässern, Küstenmeer und Ausschließlicher Wirt-schaftszone (AWZ) mit Blick auf die spezifischen Auswirkungen der Fischerei. Der Schutz von Kleinwalen wie dem in der deut-schen Nord- und Ostsee ansässigen Gewöhnlichen Schweinswal (Phocoena phocoena) vollzieht sich im Wege des Ineinandergreifens mehrerer Rechtsebenen. Auf Ebene des Rechts der Europäischen Union wird der Ausgleich zwischen den Interessen der Gemeinsa-men Fischereipolitik (GFP) und dem ebenfalls unionsrechtlich de-terminierten Arten- und Habitatschutzregime infolge der parallelen Betroffenheit verschiedener Unionskompetenzen mit unterschiedli-cher Reichweite erschwert. Der Beitrag beleuchtet Hintergründe und Folgen dieser Kollision im Lichte der Anforderungen eines ef-fektiven maritimen Naturschutzes, insbesondere im Hinblick auf die noch auszuweisenden Natura 2000-Schutzgebiete in der deut-schen AWZ.

I. Einführung

Das Thema des Kleinwalschutzes in den Gewässern, die deutschen Hoheitsbefugnissen unterliegen, erfährt derzeit verstärkte Aufmerksamkeit. Der vor allem in der deutschen Nord- und Ostsee vorkommende Gewöhnliche Schweins-wal (Phocoena phocoena) ist sowohl in Anhang II als auch in Anhang IV lit. a der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) 1 gelistet. Daraus folgt zum einen die Pflicht zur Beachtung der artenschutzrechtlichen Anforde-rungen des Art. 12 FFH-Richtlinie, die auf die Etablierung und Einhaltung eines „strengen Schutzsystems“ abzielen. Zum anderen müssen die Habitate des Gewöhnlichen Schweinswals als Natura 2000-Gebiete unter Schutz ge-stellt werden, wenn und soweit sich Räume klar eingrenzen lassen, die die für das Leben und die Fortpflanzung der Art ausschlaggebenden physischen und biologischen Elemente aufweisen (vgl. Art. 4 FFH-Richtlinie). Die insoweit be-sonders relevanten Gebiete „Sylter Außenriff“ und „Feh-marnbelt“ wurden von der Kommission der Europäischen Union (EU) auf Meldung der Bundesrepublik Deutschland als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung im Sinne von Art. 4 Abs. 2 FFH-Richtlinie anerkannt. Sie müssen deshalb vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, das gemäß § 57 Abs. 2 des Geset-zes über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnatur-schutzgesetz – BNatSchG) 2 für Schutzgebietsausweisun-gen in der AWZ zuständig ist, als besondere Schutzgebiete im Sinne von Art. 6 FFH-Richtlinie ausgewiesen werden, vgl. Art. 4 Abs. 4 FFH-Richtlinie. Die entsprechenden Schutzgebietsverordnungen sind bislang noch nicht erlas-sen worden; dies soll und muss aber in der näheren Zu-kunft geschehen. 3 Für beide Gebiete hat das Bundesamt für Naturschutz (BfN) im Hinblick auf seine Aufgabe, die zu schützenden Meeresgebiete im Bereich der deutschen AWZ auszuwählen (vgl. § 57 Abs. 1 BNatSchG), Erhaltungsziele definiert. 4 In diesen Dokumenten wird die Berufsfischerei unter dem Gesichtspunkt des Beifangs von Meeressäuge-tieren übereinstimmend als aktuelle Gefährdungsquelle im

Prof. Dr. Alexander Proelß und Jenny Kirschey, Universität Trier, Trier, Deutschland

Gebiet qualifiziert. Dies ist umso bedeutsamer, als sich die Schweinswalpopulationen im „Sylter Außenriff“ einerseits und im „Fehmarnbelt“ andererseits im Hinblick auf ihren Erhaltungsstand in erheblicher Weise unterscheiden: Wäh-rend der Erhaltungsstand der Schweinswalpopulationen im „Sylter Außenriff“ noch für „gut“ befunden wurde, wurde die Population im „Fehmarnbelt“ mit „schlecht“ klassi-fiziert. 5

Dessen ungeachtet herrscht seit einigen Monaten Streit über die Schutzstandards, die innerhalb der beiden Ge-biete zur Anwendung gelangen sollen. Derzeit stehen sich mit Blick auf den Schweinswalschutz zwei alternative Vor-schläge des zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ge-hörenden Bundesforschungsinstituts für Ländliche Räume, Wald und Fischerei ( Johann Heinrich von Thünen-Insti-tut – vTI) und des BfN gegenüber. Während sich das vTI im Bereich des Sylter Außenriffs für einen nur saisonalen Ausschluss der Fischerei mit Kiemen- und Verwickelnetzen zwischen dem 1. Mai und dem 31. August bei ganzjährigem Einsatz sog. Pinger – akustischen Vergrämern – an allen Stellnetzen ausspricht, befürwortet das BfN einen ganz-jährigen Ausschluss der Stellnetzfischerei. Im Gebiet „Feh-marnbelt“ steht dem Vorschlag eines ganzjährigen Fische-reiausschlusses (BfN) der einer ganzjährigen Verwendung von Pingern ohne saisonalen Ausschluss (vTI) gegenüber.

Vor diesem aktuellen Hintergrund stellt sich die Frage, welchen rechtlichen Anforderungen Fischereiaktivitä-ten in Meeresgebieten, die kraft europäischen Rechts un-ter Schutz gestellt werden müssen, bzw. durch die beson-ders geschützte Arten gefährdet werden können, genügen müssen. Zu diesem Zweck werden im Folgenden zunächst die einschlägigen Vorgaben der FFH-Richtlinie darge-

DOI: 10.1007/s10357-012-2275-3

Kleinwalschutz in Deutschland und EuropaArten- und habitatschutzrechtliche Anforderungen an Fischereiaktivitäten in Meeresgebieten innerhalb der Grenzen des Bereichs nationaler Hoheitsbefugnisse

Alexander Proelß und Jenny Kirschey

© Springer-Verlag 2012

123

378 NuR (2012) 34: 378–385

1) Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. 5. 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl.EG 1992, Nr. L 206/7).

2) BGBl. 2009 I S. 2542, zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 6. 2. 2012, BGBl. I S. 148.

3) Vgl. auch BT-Drs. 16/12032 vom 12. 2. 2009, S. 30: „Nachdem die Europäische Kommission inzwischen die deutschen Ge-bietsanmeldungen akzeptiert hat, gilt es in den nächsten Jahren, die konkreten Schutzgebietsverordnungen für die acht gemelde-ten FFH-Gebiete zu erarbeiten.“ ‒ Der ursprüngliche Zeitplan der FFH-Richtlinie (vgl. Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1) sah vor, dass die Schutzgebietsausweisungen bis zum 10. 6. 2004 erfolgen sollten. Dessen ungeachtet kann richtiger Ansicht zufolge nicht von ei-ner unmittelbaren Wirkung von Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-Richtli-nie ausgegangen werden; vgl. Proelß, Meeresschutz im Völkerrecht und Europarecht, 2004, S. 279 f.; ders., Arten- und Habitatschutz nach der FFH-Richtlinie: Welche Anforderungen gelten für po-tentielle Schutzgebiete?, EuR 2005, S. 649, 653 ff.

4) Abrufbar unter <http://www.bfn.de/habitatmare/de/downloads/erhaltungsziele/Erhaltungsziele_Sylter-Aussenriff_2011-04-28.pdf> bzw. <http://www.bfn.de/habitatmare/de/downloads/er-haltungsziele/ Erhaltungsziele_Fehmarnbelt_2009-03-06.pdf>.

5) Vgl. die Angaben in den Standard-Datenbögen des BfN, abrufbar unter <http://www.bfn.de/habitatmare/de/downloads/standard-datenboegen/ 1209-301_Sylter_Aussenriff_2011_08_30.pdf> bzw. <http://www.bfn.de/habitatmare/de/downloads/standard-datenboegen/ 1332-301_Fehmarnbelt_2011_08_30.pdf>.

Page 2: Kleinwalschutz in Deutschland und Europa

stellt, bevor die geltenden und vorgeschlagenen Fischerei-beschränkungen unter dem Gesichtspunkt des Arten- und Habitatschutzes betrachtet werden.

II. Arten- und Habitatschutz im Unionsrecht

Der Schutz der Schweinswale in Gewässern, auf welche sich die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland erstreckt (innere Gewässer und Küstenmeer), 6 und in Gewässern, in welchen die Bundesrepublik Deutschland von Völkerrechts wegen souveräne Rechte und Hoheitsbefugnisse ausüben darf (Ausschließliche Wirtschaftszone – AWZ), 7 richtet sich vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, nach den Vor-gaben des europäischen Unionsrechts. Darüber hinaus sich die völkerrechtlichen Anforderungen, wie sie im UN-See-rechtsübereinkommen (vgl. vor allem Art. 65 SRÜ) und im Abkommen zur Erhaltung der Kleinwale in der Nord- und Ostsee, des Nordostatlantiks und der Irischen See v. 17. März 1992 (ASCOBANS) 8 kodifiziert wurden, zu be-achten. 9 Im Vergleich zum Unionsrecht sind die in diesen Verträgen normierten Pflichten freilich vergleichsweise all-gemeiner Natur. 10 Das einschlägige Völkerecht ist somit auf seine Konkretisierung auf regionaler, nationaler und loka-ler Ebene angewiesen.

1. Vorgaben der FFH-Richtlinie

Auf Ebene des Unionsrechts sieht die FFH-Richtlinie, die räumlich nicht nur innere Gewässer und Küstenmeer, son-dern auch AWZ und Festlandsockel der EU-Mitgliedstaa-ten erfasst, 11 in der Schaffung eines kohärenten europäi-schen ökologischen Netzes von Schutzgebieten („Natura 2000“) das wesentliche Instrument zur Erhaltung der eu-ropäischen Artenvielfalt. Die EU-Mitgliedstaaten sind ver-pflichtet, für die in Anhang I der Richtlinie aufgelisteten na-türlichen Lebensraumtypen sowie für die in Anhang II der Richtlinie aufgenommenen Arten von Gemeinschaftsinte-resse besondere Schutzgebiete (Special Areas of Conserva-tion – SACs) auszuweisen (sog. besonderer Gebietsschutz), vgl. Art. 3 Abs. 2 i. V. m. 4 FFH-Richtlinie. Innerhalb sol-cher Gebiete müssen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie geeignete Maßnahmen treffen, um „die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, so-fern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele die-ser Richtlinie erheblich auswirken könnten“. Menschliche Aktivitäten, bei denen es sich um „Pläne“ oder „Projekte“ handelt, dürfen ferner nur nach einer strengen FFH-Ver-träglichkeitsprüfung (FFH-VP) durchgeführt werden. Muss eine Aktivität aus zwingenden Gründen des über-wiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher so-zialer oder wirtschaftlicher Art durchgeführt werden, ob-wohl die Ergebnisse der FFH-VP dagegen sprechen, ist der Mitgliedsstaat verpflichtet, Ausgleichsmaßnahmen zu ergreifen, um die Kohärenz des Schutzgebietsnetzes „Na-tura 2000“ zu gewährleisten. 12 Freilich sprechen vor dem Hintergrund der Waddenzee-Entscheidung des EuGH 13 ge-wichtige Gründe gegen die Anwendbarkeit der besonderen gebietsschutzrechtlichen Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-Richtlinie auf die Stellnetzfischerei in Natura 2000-Gebieten. So erscheint es kaum vertretbar, die Fi-scherei mit Stellnetzen als „Plan“ oder „Projekt“ i. S. der Norm zu qualifizieren. Insoweit dürfte es vor allem an der erforderlichen hinreichenden Einwirkung auf den Meeres-boden fehlen. 14 Es bleibt daher bei der Maßgeblichkeit des Vermeidungsgebots des Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie.

Darüber hinaus enthält Art. 12 FFH-Richtlinie ge-bietsunabhängig zur Anwendung gelangende artenschutz-spezifische Vorschriften hinsichtlich derjenigen Tierarten, die in Anhang IV lit. a der FFH-Richtlinie aufgenommen sind. Diesbezüglich sind die Mitgliedstaaten verpflichtet,

alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, um ein stren-ges Schutzsystem für die betreffenden Tierarten in deren natürlichen Verbreitungsgebieten einzuführen. Verboten werden müssen nach Art. 12 Abs. 1 FFH-Richtlinie

„(a) alle absichtlichen Formen des Fangs oder der Tötung von aus der Natur entnommenen Exemplaren dieser Arten; (b) jede absichtliche Störung dieser Arten, insbesondere während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Überwinterungs- und Wan-derungszeiten; (c) jede absichtliche Zerstörung oder Entnahme von Eiern aus der Natur; (d) jede Beschädigung oder Vernich-tung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten.“

Dabei setzt die Beschädigung oder Vernichtung der Fort-pflanzungs- oder Ruhestätten nach Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-Richtlinie keine Absicht voraus. Im Hinblick auf Fälle des unbeabsichtigten Fangens oder Tötens, zu denen etwa das Beifangproblem zu zählen ist, müssen die EU-Mitgliedstaaten gemäß Art. 12 Abs. 4 FFH-Richtlinie „ein System zur fortlaufenden Überwachung des unbe-absichtigten Fangs oder Tötens der in Anhang IV Buch-stabe a) genannten Tierarten“ einführen und anhand der gesammelten Informationen diejenigen weiteren Untersu-chungs- oder Erhaltungsmaßnahmen einleiten, „die erfor-derlich sind, um sicherzustellen, dass der unbeabsichtigte Fang oder das unbeabsichtigte Töten keine signifikanten negativen Auswirkungen auf die betreffenden Arten ha-ben.“ Die Möglichkeit, von diesen Vorgaben aus zwingen-den Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art, ab-zuweichen, steht unter dem Vorbehalt, dass „die Populatio-nen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungs-gebiet trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen“ (Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie).

Mit den vorbezeichneten Vorgaben implementiert und konkretisiert die FFH-Richtlinie die allgemeineren Pflich-ten aus dem ASCOBANS-Übereinkommen. 15 Bundes- und Landesgesetzgeber wiederum sind ihrer Pflicht, die FFH-Richtlinie in nationales Recht umzusetzen, mit Änderun-gen des BNatSchG und der Landesnaturschutzgesetze nach-gekommen. Jede menschliche Aktivität, die in den deutschen inneren Gewässern, im deutschen Küstenmeer sowie in der deutschen AWZ vorgenommen wird, muss somit den sich aus der FFH-Richtlinie ergebenden Standards genügen.

NuR (2012) 34: 378–385 379Proeßl/Kirschey, Kleinwalschutz in Deutschland und Europa

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6) Vgl. Art. 2 Abs. 1 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (SRÜ) vom 10. 12. 1982 (BGBl. 1994 II S. 1799).

7) Vgl. Art. 56 Abs. 1 SRÜ.8) BGBl. 1993 II S. 1113.9) Zum Schutz der Meeressäuger im Völkerrecht siehe Proelss, Ma-

rine Mammals, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Bd. VI, 2012, S. 1036 ff.

10) So verpflichtet Art. 1 der Anlage des ASCOBANS-Überein-kommens die Vertragsparteien etwa dazu, auf die Entwicklung von technischen Maßnahmen hinzuarbeiten, um Beifänge durch Fischereiaktivitäten im Konventionsgebiet zu vermeiden.

11) Früher war dies nicht unstr.; vgl. Czybulka, Geltung der FFH-Richtlinie in der Ausschließlichen Wirtschaftszone, NuR 2001, S. 19 ff.; Proelß (Fn. 3 [Meeresschutz]), S. 279 f. Vgl. nunmehr § 57 Abs. 1 BNatSchG. Zum räumlichen Anwendungsbereich der GFP Churchill/Owen, The EC Common Fisheries Policy, 2010, S. 61 ff.

12) Vgl. Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-Richtlinie. Da es sich beim Schweinswal nicht um eine prioritäre Art i. S. v. Art. 1 lit. h FFH-Richtlinie handelt, gelangen die strengeren Anforderungen des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-Richtlinie nicht zur Anwendung.

13) EuGH, Urt. v. 7. 9. 2004 – C-127/02, Waddenzee, Slg. 2004, I-7405.

14) Dazu Proelss/Krivickaite/Gilles/Herr/Siebert, Protection of Cetace-ans in European Waters, IJMCL 26 (2011), 5, 29 ff.; tendenzi-ell a. A. Gellermann/Stoll/Czybulka, Handbuch des Meeresnatur-schutzrechts in der Nord- und Ostsee, 2012, S. 330 ff.

15) Vgl. Art. 2 ASCOBANS.

Page 3: Kleinwalschutz in Deutschland und Europa

2. Maßnahmen zum Schutz des Schweinswals in deutschen Gewässern

Mit Blick auf die für die deutschen Gewässer etablierten Schutzmaßnahmen ist zunächst an die Verteilung der Ge-setzgebungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern zu erinnern. Gemäß Art. 74 Abs. 2 Nr. 29 GG gehören der Naturschutz und die Landschaftspflege nunmehr zur konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes (früher: Rahmengesetzgebung gemäß Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 GG).

a) Umsetzung der artenschutzspezifischen Vorgaben

Durch §§ 32, 44, 57 BNatSchG hat der Bund von seiner kon-kurrierenden Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht und in § 44 Abs. 1 BNatSchG die Verbote aus Art. 12 FFH-Richtlinie zum Schutz der besonders geschützten Arten wie dem Schweinswal umgesetzt. Da der Schweinswal in An-hang IV der FFH-Richtlinie aufgeführt ist, handelt es sich sowohl um eine besonders geschützte als auch eine streng geschützte Art i. S. v. § 44 BNatSchG, vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 13 und 14 BNatSchG. Womöglich ist der Bundesgesetzgeber in diesem Zusammenhang – zulässigerweise 16 – sogar über die Anforderungen der FFH-Richtlinie hinausgegangen, da die Relevanz der Zugriffsverbote des § 44 BNatSchG nicht von der Verwirklichung subjektiver Tatbestandsmerkmale (Absicht) abhängt. 17 Von der Erheblichkeit einer Störung wild lebender Tiere einer streng geschützten Art, wie sie von § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG für Störungen u. a. wäh-rend der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, und Wanderungszei-ten verlangt wird, kann dabei nicht nur dann ausgegangen werden, wenn sich der Erhaltungszustand einer lokalen Po-pulation der betreffenden Art infolge einer menschlichen Aktivität tatsächlich verschlechtert. Zwar spricht der Wort-laut der Norm, der den Begriff der „erheblichen Störung“ definiert, zunächst für ein solchermaßen restriktives Ver-ständnis des Störungsverbots. Die Gesetzesbegründung, 18 der systematische Zusammenhang mit den Zielvorgaben des § 1 BNatSchG sowie das auch im Rahmen der Ausle-gung des nationalen Rechts, mit dem – wie hier – unions-rechtliche Vorgaben umgesetzt wurden, 19 zu berücksichtige Vorsorgeprinzip des Art. 191 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) 20 streiten aber dafür, hinsichtlich einer erheblichen Störung für maß-geblich zu erachten, ob „sich mit der Störung Wirkungen verbinden, die in Ansehung der Gegebenheiten des Einzel-falls und der Erhaltungssituation der betroffenen Art nach-teilige Auswirkungen auf den Erhaltungszustand der loka-len Population nahe liegend erscheinen lassen.“ 21 Bezüglich der hier relevanten Fischerei mit Kiemen- und Verwickel-netzen gelangt auch die gemäß § 44 Abs. 4 BNatSchG beste-hende Privilegierung zugunsten einer fischereiwirtschaftli-chen Bodennutzung nicht zur Anwendung. Zwar werden dergleichen Netze i. d. R. am Boden als Stellnetze veran-kert. Von einer fischereiwirtschaftlichen Bodennutzung lässt sich indes im Falle der bloßen Befestigung am Mee-resboden mangels hinreichender Einwirkung auf denselben nicht ausgehen. Ob anderes für den Fall der Bodenschlepp-netzfischerei oder des Einsatzes von Baumkurren mit Ein-wirkungen auf den Meeresboden gilt, 22 bedarf in vorlie-gendem Kontext keiner Klärung. Die Ausnahmeregelung des Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie wurde schließlich mit § 45 Abs. 7 BNatSchG umgesetzt. 23 Dass der Beifang von Schweinswalen in Grundstellnetzen angesichts seiner noch näher darzustellenden Dimensionen die Erheblichkeits-schwelle des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG überschreitet, lässt sich bei alledem nicht ernstlich bestreiten. 24

b) Umsetzung der habitatschutzbezogenen Vorgaben in Deutschland

Im Hinblick auf den Gebietsschutz wählen grundsätzlich die Länder die besonderen Schutzgebiete im Sinne der

FFH-Richtlinie (im Benehmen mit dem Bundesministe-rium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit) aus und treffen die erforderlichen Schutzmaßnahmen. Dies gilt indes nicht für die Etablierung von besonderen Schutzge-bieten in der AWZ. Denn nach § 57 Abs. 1 BNatSchG er-folgt

„[d]ie Auswahl von geschützten Meeresgebieten im Bereich der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone und des Fest-landsockels […] durch das Bundesamt für Naturschutz unter Einbeziehung der Öffentlichkeit mit Zustimmung des Bun-desministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit beteiligt die fachlich betroffenen Bundesmi-nisterien und stellt das Benehmen mit den angrenzenden Län-dern her.“

Eine Abweichungsbefugnis der Länder gemäß Art. 72 Abs. 3 GG besteht nicht, weil Nr. 2 der Norm „die all-gemeinen Grundsätze des Naturschutzes, das Recht des Artenschutzes oder des Meeresnaturschutzes“ von die-ser Befugnis ausnimmt. Aus der Begründung des verfas-sungsändernden Gesetzes ergibt sich, dass die Ausnahme hinsichtlich des Meeresnaturschutzes es dem Bund ermög-lichen soll, verbindliche Regelungen zum maritimen Bio-diversitätsschutz, einschließlich des maritimen Arten- und Gebietsschutz sowie der naturschutzfachlichen Bewertung bei der Realisierung von Vorhaben im maritimen Bereich, zu erlassen. 25 Der Arten- und Gebietsschutz der Länder macht somit an der Außengrenze des Küstenmeers halt. Diese Aufteilung der Kompetenzen birgt im Hinblick auf wandernde Arten wie den Schweinswal die Gefahr einer Zersplitterung des Artenschutzregimes.

Mit Blick auf die Umsetzung der in Länderzuständig-keit fallenden Vorgaben der FFH-Richtlinie bezüglich der küstennahen Meeresgebiete sei vorliegend auf das Beispiel Schleswig-Holstein eingegangen. Schleswig-Holstein ist seiner Pflicht zur Umsetzung der FFH-Richtlinie inner-halb der 12-Seemeilen-Zone u. a. durch Ausweisung ei-nes Kleinwalschutzgebiets westlich von Sylt und Amrum nachgekommen, dessen Gebietsgrenzen in § 5 des Anhangs zur Landesverordnung über die Ausübung der Fischerei in den Küstengewässern vom 11. November 2008 26 festgelegt sind. Für das Schutzgebiet und die zu Schleswig-Holstein zählenden Teile der deutschen inneren Gewässer und des deutschen Küstenmeeres gilt das Gesetz zum Schutze des schleswig-holsteinischen Wattenmeeres vom 17. Dezember 1999. 27 Nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes zum Schutze des schleswig-holsteinischen Wattenmeeres ist es im gesamten Nationalpark nicht zulässig,

Proeßl/Kirschey, Kleinwalschutz in Deutschland und Europa

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380 NuR (2012) 34: 378–385

16) Nach Art. 193 AEUV können die Mitgliedstaaten verstärkte Schutzmaßnahmen ergreifen, soweit diese mit dem Unionsrecht vereinbar sind.

17) Vgl. auch BT-Drs. 15/5100 vom 25. 4. 2007, S. 11.18) Ebd.19) Zu Begriff und Struktur der unionsrechtskonformen Auslegung

instruktiv Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. II, 2003, S. 130 ff.

20) Konsolidierte Fassung: ABl. EU 2010, Nr. C 83/47.21) Gellermann/Stoll/Czybulka (Fn. 14), S. 122.22) Verneinend Gellermann/Stoll/Czybulka (Fn. 14), S. 126.23) Eingehend zur Auslegung der Norm Gellermann/Stoll/Czybulka

(Fn. 14), S. 129 ff.24) Eine andere Frage ist, ob infolge von Fischereiaktivitäten in den

von den Schweinswalen zur Aufzucht ihrer Nachkommenschaft genutzten Gebieten in Küstenmeer und AWZ auch von einer Schädigung der Fortpflanzungs- und Ruhestätten i. S. v. § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG auszugehen ist; insoweit zweifelnd Gel-lermann/Stoll/Czybulka (Fn. 14), S. 123 f.

25) BT-Drs. 16/813 vom 7. 3. 2006, S. 11.26) GVOBl. Schl.-H. 2008 S. 640.27) GVOBl. Schl.-H. 1999 S. 518.

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„wildlebenden Tieren nachzustellen, sie durch Lärm oder an-derweitig zu beunruhigen, sie zu verletzen, zu töten oder sie, ihre Eier oder ihre sonstigen Entwicklungsformen zu beschä-digen oder an sich zu nehmen oder Hunde unangeleint lau-fen zu lassen.“

Im Walschutzgebiet ist es über diese Schutzbestimmun-gen hinaus „untersagt, Wale erheblich zu beeinträchti-gen“. 28 Dieses Beeinträchtigungsverbot, das mit Blick auf den Schweinswal den Anforderungen von Art. 6 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 1 der FFH-Richtlinie Rechnung trägt, wurde hinsichtlich von Fischereitätigkeiten mit § 7 Nr. 2 der Landesverordnung über die Ausübung der Fischerei in den Küstengewässern dahingehend konkretisiert, dass im Walschutzgebiet nur

„die Schleppnetzfischerei zum Fang von Fischen, die der un-mittelbaren menschlichen Ernährung (Konsumfischerei) die-nen, der Fischfang mit anderen Geräten als Treibnetzen sowie mit Stellnetzen, deren gestreckter Abstand zwischen Grund-tau und Schwimmerleine 2,00 m nicht übersteigt“,

erlaubt ist. Diese Vorgabe könnte praktisch überaus bedeut-sam sein, weil nach derzeitigem Stand der Wissenschaft die Fischerei mit Stellnetzen eine Hauptgefährdungsquelle für Schweinswale darstellt. 29 In diesem Sinne äußerte sich in einer Mitteilung aus dem Jahre 2004 auch das schleswig-holsteinische Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Landwirtschaft. 30 Es regte darüber hinaus an, die in der Lan-desverordnung enthaltenen Beschränkungen der Stellnetz-fischerei auf die angrenzenden AWZ-Gebiete (hinsichtlich derer es dem Land Schleswig-Holstein, wie gesagt, an der Zuständigkeit fehlt) auszudehnen. Auf der Grundlage ei-ner detaillierten Auswertung der Beifänge von Schweins-walen durch die deutsche und dänische Stellnetzfischerei in der Nordsee gelangte es zu dem Ergebnis, dass die Vor-gaben der Landesverordnung über die Ausübung der Fi-scherei in den Küstengewässern zu Mindestabständen einen effektiven Schutz der Schweinswale ermöglichten. Soweit erkennbar, ist diese Schlussfolgerung in der Wissenschaft überwiegend auf Zustimmung gestoßen. Die tatsächliche Wirksamkeit muss jedoch in der Praxis – auch vor dem Hintergrund von Art. 12 Abs. 4 FFH-Richtlinie – über-wacht werden.

3. Schutz-/Nutzungskonflikte mit der Fischerei

Die Effektivität der für die inneren Gewässer und das Küs-tenmeer seitens der gesetzgebenden Organe Schleswig-Holsteins getroffenen Maßnahmen leidet darunter, dass le-diglich deutsche Fischereifahrzeuge davon erfasst werden. Dies hat seinen Grund darin, dass das geltende Fischerei-recht maßgeblich von den unionsrechtlichen Vorgaben der GFP geprägt ist. Gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. d AEUV ist die EU für die „Erhaltung der biologischen Meeresschätze im Rahmen der gemeinsamen Fischereipolitik“ ausschließlich zuständig, d. h. die EU-Mitgliedstaaten (bzw. ihre Glied-staaten) können auf diesem Gebiet ohne vorausgehende Er-mächtigung der EU keine einschlägigen Gesetze mehr er-lassen. Nach Art. 17 Abs. 1 der zentralen Verordnung (EG) Nr. 2371/2002 des Rates vom 20. Dezember 2002 über die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Fischereiressour-cen im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik 31 haben „[a]lle Fischereifahrzeuge der Gemeinschaft […] gleichbe-rechtigten Zugang zu den Gewässern und Ressourcen in allen Gemeinschaftsgewässern mit Ausnahme der in Ab-satz 2 genannten Gebiete.“ Allerdings haben die Mitglied-staaten nach Abs. 2 der Norm

„[i]n den Gewässern unter ihrer Hoheit oder Gerichtsbarkeit bis zu einer Entfernung von 12 Seemeilen von den Basis-linien […] vom 1. Januar 2003 bis 12. Dezember 2012 das

Recht, den Fischfang Fischereifahrzeugen vorzubehalten, die von Häfen der angrenzenden Küste aus traditionell in diesen Gewässern fischen […].“

Von dieser Ermächtigung, die im Rahmen der derzeit be-ratenen Reform der GFP in der Sache beibehalten und bis zum 31. Dezember 2022 verlängert werden soll, 32 hat die Bundesrepublik Deutschland zulässigerweise Gebrauch ge-macht, indem sie den Zugang zu den Gewässern in einer Entfernung von drei bis 12 Seemeilen von den Basislinien auf Schiffe unter deutscher, dänischer und niederländischer Flagge beschränkt hat; in den Gewässern bis zu einer Ent-fernung von drei Seemeilen von den Basislinien dürfen nur deutsche Fischereifahrzeuge Fischfang betreiben. 33

Hieraus folgt, dass unter dänischer Flagge fahrende Fi-schereifahrzeuge ab einer Entfernung von drei Seemeilen von den Basislinien im deutschen Küstenmeer Fischfang betreiben dürfen. Die strengen Schutzvorgaben des schles-wig-holsteinischen Kleinwalschutzgebiets sind auf däni-sche Fischereifahrzeuge nicht anwendbar, weil der deutsche (Landes- oder Bundes-) Gesetzgeber vor dem Hintergrund von Art. 3 Abs. 1 lit. d AEUV keine Zuständigkeit be-sitzt, auch für die Angehörigen anderer Mitgliedstaaten Be-schränkungen der Fischerei zu implementieren. Zwar kann ein EU-Mitgliedstaat gemäß Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2371/2002

„zur Erhaltung und Bewirtschaftung der Fischereiressourcen und zur maximalen Begrenzung der Auswirkungen der Fi-scherei auf den Erhalt der marinen Ökosysteme in seinen Ge-wässern bis zu einer Entfernung von 12 Seemeilen von den Basislinien nichtdiskriminierende Maßnahmen treffen […]“.

Diese Maßnahmen dürfen jedoch grundsätzlich nur auf Schiffe unter eigener Flagge angewendet werden. Sollen sie auf Schiffe unter der Flagge eines anderen Mitgliedstaats, d. h. etwa auf dänische Fischereifahrzeuge, erstreckt wer-den, setzt dies die Durchführung eines aufwendigen Kon-sultationsverfahrens voraus, in dessen Rahmen das Entschei-dungsrecht grundsätzlich der EU-Kommission zugewiesen ist. 34 Der neue Entwurf der Kommission für eine Verord-nung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Gemeinsame Fischereipolitik sieht insoweit nur noch eine Pflicht zur Durchführung von Konsultationen mit der Kommission, dem/den betroffenen Mitgliedstaat(en) und den einschlägigen Beiräten vor. 35 Die Abschaffung des Ve-torechts ist unter dem Gesichtspunkt eines effektiven Ar-tenschutzes unzweifelhaft zu begrüßen. An dem Umstand, dass die Anwendung strengerer nationaler Arten- und Ha-bitatschutzvorgaben auf Schiffe aus anderen EU-Mitglied-

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28) Vgl. § 5 Abs. 4 des Gesetzes zum Schutze des schleswig-holstei-nischen Wattenmeeres.

29) Vgl. Jefferson/Curry, A Global Review of Porpoise (cetecea: pho-coeidae) Mortality in Gill Nets, Biological Conservation (67) 1994, 167 ff.; Donovan/Lockyer/Martin, Ceteceans and Gill Nets, Report of the International Whaling Commission, Special Is-sue 15, S. 1194; vgl. auch Resolution No. 3 des 3rd Meeting of the Parties (MOP) to ASCOBANS, Incidental Take of Small Ce-taceans, abrufbar unter <http://www.ascobans.org/pdf/mops/MOP3_2000-3_IncidentalTake.pdf>; Resolution No. 5 des 5th MOP to ASCOBANS, Incidental Take of Small Cetaceans, abruf-bar unter <http://www.ascobans.org/pdf/mops/MOP5_2006-5_IncidentalTake.pdf>.

30) Die Mitteilung liegt den Verf. dieses Beitrags vor. 31) ABl. EU 2002, Nr. L 358/59.32) Vgl. KOM(2011) 425 endg. vom 13. 7. 2011, Vorschlag für eine

Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Gemeinsame Fischereipolitik, S. 26 f. (Art. 6 Abs. 2).

33) Vgl. Anhang I zur Verordnung (EG) Nr. 2371/2002.34) Vgl. Art. 9 Abs. 2 i. V. m. Art. 8 Abs. 3 der Verordnung (EG)

Nr. 2371/2002.35) KOM(2011) 425 endg. (Fn. 32), S. 35 f. (Art. 26 Abs. 2).

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staaten jenseits des Küstenmeers, d. h. in der AWZ, vor dem Hintergrund der ausschließlichen Unionskompetenz nicht möglich ist, ändert dies nichts.

Die komplexe Rechtslage führt somit dazu, dass das deutsche Arten- und Habitatschutzrecht zur Umsetzung der FFH-Richtlinie nicht auf Angehörige anderer EU-Mitgliedstaaten angewendet werden kann, soweit damit eine Einschränkung von Fischereitätigkeiten einhergeht. Ein Blick auf die saisonale Verteilung von Schweinswalen in der deutschen Nordsee in den Sommermonaten verdeut-licht indessen die Notwendigkeit einer Ausdehnung der im deutschen Kleinwalschutzgebiet geltenden Regelungen auf die angrenzenden AWZ-Gebiete. So belegt nachfolgende Abbildung, dass die Schweinswaldichte im Sommer, kurz nach Geburt der Jungtiere, am inneren Rand der deutschen AWZ am höchsten ist. Dies legt die Schlussfolgerung nahe, dass die im Kleinwalschutzgebiet geltenden Vorgaben an-gesichts ihres begrenzten räumlichen Anwendungsbereichs nicht geeignet sind, den effektiven Schutz der Art in der deutschen Nordsee zu gewährleisten.

Werden ferner die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie berücksichtigt, der zufolge die Anzahl von Schweins-walen, die zwischen 1987 und 2001 37 als Beifänge dänischer Stellnetzfischerei in der gesamten Nordsee registriert wur-den, jährlich zwischen 5500 und 5800 Tieren betrug, 38 wirft dies die grundlegende Frage nach Sinn und Effektivität des europäischen Artenschutzrechts auf. Das gilt zumal vor dem Hintergrund des Umstands, dass der Europäische Gerichts-hof (EuGH) in einem Urteil vom 25. November 1999 fest-stellte, ein Mitgliedstaat dürfe sich auch dann nicht seiner Pflichten zur effektiven Umsetzung des europäischen Natur-schutzrechts entziehen, wenn er hieran durch eine „gewisse Inkohärenz zwischen den verschiedenen Gemeinschaftspo-litiken“ gehindert werde. 39 In der Konsequenz bedeutet dies, dass die Bundesrepublik Deutschland einerseits vor dem Hin-tergrund der ausschließlichen Zuständigkeit der EU für die Erhaltung der biologischen Meeresschätze im Rahmen der GFP gehindert ist, die strengen Schutzvorgaben des Klein-walschutzgebiets auf Angehörige anderer Mitgliedstaaten dies- und jenseits des deutschen Küstenmeers anzuwenden, es andererseits dadurch aber unmöglich wird, den dargestell-ten Anforderungen der FFH-Richtlinie in ihrer Umsetzung durch das BNatSchG angemessen Rechnung zu tragen.

Es sind verschiedene Vorschläge unterbreitet worden, wie dieses Dilemma gelöst werden kann. Einer Ansicht zufolge sei die ausschließliche Kompetenz der EU auf die Erhal-tung der biologischen Meeresschätze im Rahmen der GFP im engeren Sinne begrenzt; Maßnahmen, die naturschutz-

rechtlich begründet und geboten seien, die also lediglich mittelbar Auswirkungen auf die Fischerei zeitigten, wür-den von ihr nicht erfasst. Folglich seien die EU-Mitglied-staaten nach wie vor befugt, naturschutzrechtliche Akte zu erlassen. 40 Dies würde etwa die räumliche Ausdehnung der im Kleinwalschutzgebiet geltenden fischereilichen Restrik-tionen auf die AWZ ermöglichen.

Freilich gestaltet sich eine solche funktionale Abgrenzung in der Praxis schwierig, da Maßnahmen zur Beschränkung der Fischerei sowohl auf die Erholung der Fischbestände als auch auf den Schutz von Nichtzielarten oder dem allgemei-nen Umweltschutz abzielen können. 41 So dient eine Beschrän-kung der Stellnetzfischerei durch die Regelung von Min-destabständen oder den Erlass von Ausschlusszeiten jedenfalls auch der Erholung der Bestände der Zielfischarten. In diesem Sinne hat der EuGH eine Verordnung zur Beschränkung der Verwendung von Treibnetzen ausschließlich als Maßnahme der GFP eingeordnet, obgleich in der Verordnungsbegrün-dung auch auf Artenschutzziele und die Verhinderung von Beifang Bezug genommen wurde. 42 Dies trage auch der Ziel-vorgabe des Art. 11 AEUV Rechnung, wonach Naturschutz als Teil des Umweltschutzes nicht isoliert, sondern als Be-standteil anderer Politiken der Union zu begreifen sei. 43

Im Lichte dieser Rechtsprechung ist daher davon auszu-gehen, dass sich die EU-Kompetenz auf sämtliche Maßnah-men mit Fischereibezug erstreckt, solange der Zusammen-hang der betreffenden Maßnahme mit der Erhaltung der lebenden Ressourcen des Meeres nicht völlig nebensäch-

Proeßl/Kirschey, Kleinwalschutz in Deutschland und Europa

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36) Quelle: Proelss/Krivickaite/Gilles/Herr/Siebert (Fn. 14), 10.37) Eine exakte und aktuelle Dokumentation des Beifangs ist nicht

möglich, da Beifänge von den Fischern zumeist nicht gemeldet oder erfasst werden.

38) Vgl. Vinther/Larsen, Up-dated Estimates of Harbour Porpoise (Phocoena phocoena) Bycatch in the Danish North Sea Bottom-set Gillnet Fishery, Journal of Cetacean Research and Manage-ment 6 (2004), 19 ff.

39) EuGH, Urt. v. 25. 11. 1999 – C-96/98, Kommission/Frankreich, Slg. 1999, I-8531 Rdnr. 40.

40) So etwa Markus, European Fisheries Law, 2009, S. 52; Czybulka, Restrictions on Fisheries in the Multi-Level-System of Gover-nance (‚Cascade System‘) in Light of EU Law, EurUP 2011, 208 ff.; ders. in: Schumacher/Fischer-Hüftle (Hrsg.), BNatSchG, 2. Aufl. 2011, § 57, Rdnr. 71 f.

41) Zur horizontalen Kompetenzabgrenzung Proelß (Fn. 3 [Meeres-schutz]), S. 314 ff.

42) EuGH, Urt. v. 24. 11. 1993 – C-405/92, Établissements Armand Mondiet SA/Armeet Islais SARLS, Slg. 1993, I-6166 Rdnr. 28.

43) Ebd., Rdnr. 27.

Abb. 1 Verteilungsmuster von Schweinswalen in der deutschen Nordsee (2002–2006). Darge-stellt ist die mittlere Dichte der Schweinswale pro Rasterzelle (10 × 10 km) im Sommer ( Juni–August). 36

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licher Natur ist. 44 Hiervon kann bei der Implementierung von Mindestabständen bei Stellnetzen, die jedenfalls auch dem Schutz von Jungfischen dienen, nicht ausgegangen werden. Auch die EU-Kommission stellte in einer Mittei-lung an den Rat und das Europäische Parlament mit Blick auf die Vogelschutz- und die FFH-Richtlinie fest, dass

„[b]eide Rechtsvorschriften […] Bewirtschaftungsanforderun-gen [definieren], die größtenteils in die Zuständigkeit der Mit-gliedstaaten fallen. Wann immer aber diese Anforderungen die Regulierung der Fischfangaktivitäten betreffen, ist es gemäß Artikel 37 des Vertrages Aufgabe der Gemeinschaft, die erfor-derlichen Maßnahmen zu verabschieden“. 45

So wurden Maßnahmen des Meeresnaturschutzes, die sich zwar auch, aber nicht ausschließlich auf die Erhaltung der europäischen Fischbestände bezogen, in der Vergan-genheit stets auf die Unionszuständigkeit für die Fische-rei gestützt. 46 Vor diesem Hintergrund würde die räum-liche Ausdehnung der im Kleinwalschutzgebiet geltenden Schutzmaßnahmen auf das angrenzende AWZ-Gebiet und ihre Ausdehnung auf Schiffe, die unter dänischer Flagge oder der Flagge eines anderen EU-Mitgliedstaats fahren, das Risiko eines von der EU-Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens bergen.

Wie bereits unter Bezugnahme auf die Judikatur des EuGH hervorgehoben, 47 führt die nach alledem bestehende Sperr-wirkung der EU-Kompetenz für Maßnahmen, die jedenfalls auch der Erhaltung der europäischen Fischbestände dienen, nicht dazu, dass die Bundesrepublik Deutschland von ihren arten- und habitatschutzbezogenen Pflichten aus der FFH-Richtlinie entbunden würde. Dieses Dilemma lässt sich nur auflösen, indem man anerkennt, dass sich die Pflichten aus der FFH-Richtlinie in eine Pflicht der Bundesrepublik Deutsch-land wandeln, bei der EU-Kommission die Erstreckung der schleswig-holsteinischen Stellnetzanforderungen auf Schiffe anderer EU-Mitgliedstaaten sowie auf die angrenzenden Gebiete der deutschen AWZ förmlich zu beantragen. 48 Als Rechtsgrundlage für ein anschließendes Tätigwerden der Kommission kommt zum einen Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 2371/2002 in Betracht, wonach die Kommission auf be-gründeten Antrag eines Mitgliedstaats oder von sich aus So-fortmaßnahmen mit einer Laufzeit von höchstens sechs Mo-naten beschließen kann, wenn „die Erhaltung von lebenden aquatischen Ressourcen oder des marinen Ökosystems infolge von Fischereitätigkeiten nachweislich ernsthaft gefährdet und sofortiges Handeln erforderlich [ist].“ Den Belangen des Na-turschutzes dauerhaft Rechnung tragen würde freilich erst der Erlass einer Ratsverordnung, mit der technische Maß-nahmen zum Schutz der Schweinswale etabliert würden.

Einer solchen Lösung scheint auch die EU-Kommission zuzuneigen. So heißt es in einem Leitfaden der Kommis-sion zur Einführung von Fischereimaßnahmen in marinen Natura 2000-Gebieten:

„In this case the proposed measures fall under the scope of the Common Fisheries Policy, for which the Community has exclu-sive competence. Therefore, Member States must address a for-mal request of adoption of such measures to the Directorate Ge-neral of Fisheries and Maritime Affairs (DG MARE) of the Commission and must follow the procedure outlined below.“ 49

Werden in diesem Antrag hinreichende wissenschaftliche Anhaltspunkte dafür dargelegt, dass die artenschutzspezifi-schen Erhaltungsziele der FFH-Richtlinie infolge der Fische-reitätigkeiten anderer Mitgliedstaaten unterlaufen werden könnten, sprechen demnach gewichtige Gründe, namentlich das in Art. 191 Abs. 2 AEUV normierte Vorsorgeprinzip, das auch im Rahmen der GFP berücksichtigt werden muss (vgl. Art. 11 AEUV), dafür, von einer Pflicht der zuständi-gen Organe der EU auszugehen, die entsprechenden Schutz-maßnahmen zu erlassen, oder aber ein entsprechendes Vor-

gehen der Bundesrepublik Deutschland (für die AWZ) bzw. Schleswig-Holsteins (für innere Gewässer und Küstenmeer) zu genehmigen. 50 Fehlte es demgegenüber dauerhaft an der Bereitschaft der Unionsorgane, die Bundesrepublik Deutsch-land bei der Verwirklichung der Ziele der FFH-Richtlinie im Hinblick auf den Schweinswalschutz zu unterstützen, wäre hierin ein Verstoß gegen den in Art. 4 Abs. 3 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) 51 normierten Grundsatz der Unionstreue und der gegenseitigen Rücksichtnahme zu erblicken, der vor dem EuGH einklagbar wäre. Dies hätte je-denfalls insoweit zu gelten, als sich die Bundesrepublik ihrer-seits um eine effektive Erfüllung der naturschutzbezogenen Vorgaben der FFH-Richtlinie bemühte.

Der sich derzeit im Beratungsstadium befindliche Vor-schlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Gemeinsame Fischereipolitik, mit der die GFP reformiert werden soll, trägt vorstehenden Überlegungen im Ansatz Rechnung. Er enthält folgenden Art. 12 über die Einhaltung der Verpflichtungen nach dem EU-Umweltrecht:

„(1) In besonderen Schutzgebieten im Sinne von Artikel 6 der Richtlinie 92/43/EWG, Artikel 4 der Richtlinie 2009/147/EG und Artikel 13 Absatz 4 der Richtlinie 2008/56/EG üben die Mitgliedstaaten Fangtätigkeiten so aus, dass die Aus-wirkungen des Fischfangs in diesen Gebieten gemindert wer-den.(2) Die Kommission wird ermächtigt, delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 55 zur Festlegung fischereibezogener Maßnah-men zur Minderung der Auswirkungen des Fischfangs in be-sonderen Schutzgebieten zu erlassen.“ 52

In seiner aktuellen Studie „Fischbestände nachhaltig bewirt-schaften – zur Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik“ vom November 2011 53 hat der Sachverständigenrat für Um-weltfragen (SRU) mit Blick auf Abs. 1 des Normvorschlags zutreffend festgestellt, dass die darin enthaltene „Forderung […] leider sehr unkonkret und an keine Ziele geknüpft [ist]“, zugleich jedoch die in Abs. 2 der Norm statuierte Selbst-verpflichtung der Kommission begrüßt. 54 Freilich kann von einer Selbstverpflichtung im engeren Sinne, die dem vor-

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44) Dazu Proelss/Krivickaite/Gilles/Herr/Siebert (Fn. 14), S. 38 f.45) KOM(2001) 143 endg. vom 16. 3. 2001, Elemente einer Stra-

tegie zur Einbeziehung der Erfordernisse des Umweltschutzes in die Gemeinsame Fischereipolitik, S. 8. Auf die Unionspra-xis verweisen nunmehr auch Gellermann/Stoll/Czybulka (Fn. 14), S. 324.

46) Vgl. etwa die Verordnung (EG) Nr. 812/2004 des Rates vom 26. 4. 2004 zur Festlegung von Maßnahmen gegen Walbei-fänge in der Fischerei und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 88/98, ABl. EU 2004, Nr. L 150/12; sowie die Verordnung (EG) Nr. 602/2004 des Rates vom 22. 3. 2004 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 850/98 hinsichtlich des Schutzes der Tief-wasserkorallenriffe vor den Folgen des Schleppnetzfangs in einem Gebiet nordwestlich von Schottland, ABl. EU 2004, Nr. L 97/30.

47) Siehe Fn. 39.48) Eingehende Begründung bei Proelss/Krivickaite/Gilles/Herr/Sie-

bert (Fn. 14), 39 ff.; siehe auch Leijen, The Habitats and Birds Di-rective versus the Common Fisheries Policy: A Paradox, Merk-ourios 27 (2011), 19, 33 ff.

49) Abrufbar unter <http://ec.europa.eu/environment/nature/na-tura2000/marine/docs/fish_measures.pdf>.

50) Vgl. auch Churchill/Owen (Fn. 11), S. 262, mit der (zurückhalten-den) Aussage, dass „the CFP has a role in assisting Member States to fulfil their obligations under the […] Habitats Directive […]“; ebd., S. 264 ff. mit Ausführungen zur Relevanz der Meeresstra-tegie-Rahmenrichtlinie.

51) Konsolidierte Fassung: ABl. EU 2010, Nr. C 83/13.52) KOM(2011) 425 endg. (Fn. 32), S. 30.53) Abrufbar unter <http://www.umweltrat.de/SharedDocs/Down-

loads/ DE/ 04_Stellungnahmen/ 2011_11_Stellung_16_Fischbe-staende.pdf?__blob=publicationFile>.

54) Ebd., S. 14.

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stehend ausgebreiteten Verständnis vom Grundsatz der Uni-onstreue Rechnung tragen würde, bei genauerer Betrach-tung nicht ausgegangen werden; denn die Kommission wird durch Art. 12 Abs. 2 des Vorschlags nicht etwa verpflichtet, sondern lediglich zum Erlass einschlägiger Maßnahmen er-mächtigt. Bei Vorliegen klarer Anhaltspunkte dafür, dass bei fortgesetzter Untätigkeit der EU-Kommission die Schutz-ziele der FFH-Richtlinie unterlaufen würden, müsste diese Ermächtigung daher unionsrechtskonform im Sinne einer Rechtspflicht zum Tätigwerden ausgelegt werden. In jedem Fall spiegelt die Norm implizit die vorliegend für zutreffend erachtete Rechtsansicht der Kommission wider, wonach die Kompetenz für den Erlass von naturschutzbezogenen Maß-nahmen, mit welchen auf Beeinträchtigungen reagiert wer-den soll, die aus Fischereitätigkeiten resultieren, ausschließ-lich bei der EU liegt.

4. Vereinbarkeit der geltenden europäischen Fischereibeschränkungen mit den Anforderungen der FFH-Richtlinie im Hinblick auf den Schutz der Schweinswale

Die bislang von den Organen der EU erlassenen Maß-nahmen, die jedenfalls potentiell indirekt zum Schutz der Schweinswale beitragen, bleiben deutlich hinter den im Kleinwalschutzgebiet geltenden Standards zurück. So hat der Rat mit der Verordnung (EG) Nr. 850/98 55 zwar Vorschriften für stationäre Fanggeräte implementiert (vgl. Art. 11). Diese gelten indes unabhängig von den natur-schutzrechtlichen Vorgaben der FFH-Richtlinie hinsicht-lich des Schutzes der Schweinswale, auf die nicht Bezug ge-nommen wird. Bei näherer Betrachtung handelt sich daher um einen Rechtsakt, der ausschließlich die Erhaltung der lebenden Ressourcen, nicht aber den europäischen Arten- und Gebietsschutz in den Blick nimmt.

Die Verordnung (EG) Nr. 812/2004 56 verbietet den Ein-satz von Stellnetzen in Nord- und Ostsee auf Schiffen mit einer Mindestlänge von 12 m, soweit diese nicht mit akusti-schen Abschreckvorrichtungen versehen sind. Anders als in der Ostsee gilt diese Regelung in der Nordsee bezüglich von Stellnetzen mit einer Maschenöffnungsgröße von weniger als 220 mm indes nur für die Zeit vom 1. August bis 31. Oktober. Der Nutzen dieser Regelung ist im Hinblick auf ihr Schutz-ziel zumindest fragwürdig. Der Einsatz von akustischen Ab-schreckvorrichtungen ist äußerst umstritten und wird etwa vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) abgelehnt. 57 Auch der SRU hat in seiner aktuellen Studie „Fischbestände nach-haltig bewirtschaften – zur Reform der Gemeinsamen Fi-schereipolitik“ darauf hingewiesen, dass „[d]er ganzjährige Einsatz von akustischen Vergrämern (Pinger) an allen Stell-netzen, unabhängig von der Fahrzeuggröße, […] als Maß-nahme in Schutzgebieten kontrovers diskutiert [wird]“. 58 In der Tat sind die Auswirkungen einer ständigen Beschallung mit Vergrämungsgeräuschen auf Schweinswale nicht hinrei-chend erforscht. Zwar konnte in Versuchen durch Beifang-zählungen an Stellnetzen mit und ohne Vergrämer belegt werden, dass die akustischen Signale geeignet sind, die Tiere von den Netzen fernzuhalten. 59 Dabei blieb jedoch die Gefahr unberücksichtigt, dass die Tiere durch die Abschreckungssig-nale in die nicht von der Regelung umfassten Netze kleinerer Schiffe getrieben werden könnten, was wiederum zu einer Erhöhung der dortigen Beifangzahlen führen würde. Diese Gefahr besteht auch, wenn Pinger ausfallen, etwa weil die in ihnen enthaltenen Batterien leer sind. 60 Unstreitig dürfte bei alledem sein, dass Vergrämer, wenn und soweit sie funktio-nieren, die Tiere stören. Daher wäre ein umfassender Ein-satz, z. B. auch an Schiffen von einer Länge unter 12 m und ohne saisonale Einschränkung, kontraproduktiv für das Er-haltungsziel, könnte er letztlich bei einem intensiv genutzten Gebiet wie der deutschen Nord- und Ostsee doch zu einer Vertreibung der Tiere aus den Habitaten führen. 61

In rechtlicher Hinsicht ist diesbezüglich entscheidend, dass die EU-Mitgliedstaaten nach Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie

verpflichtet sind, innerhalb von Natura 2000-Schutzgebie-ten „Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewie-sen worden sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten.“ Im Falle der in der deutschen AWZ in Nord- und Ostsee gelegenen Gebiete „Sylter Außenriff“ (Nordsee) und „Fehmarnbelt“ (Ostsee), die beide – auch vor dem Hintergrund der dort vorhandenen Schweinswal-bestände – in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung im Sinne von Art. 4 Abs. 2 FFH-Richtlinie auf-genommen wurden, wird diese Pflicht jedenfalls mit dem Zeitpunkt ihrer Ausweisung als besondere Schutzgebiete (im Sinne von Art. 6 FFH-Richtlinie) auf der Grundlage von § 57 Abs. 2 BNatSchG zum Tragen kommen. Darüber hinaus greifen, wie bereits gesagt, im Hinblick auf die in Anhang IV lit. a der FFH-Richtlinie genannten Tierar-ten wie dem Schweinswal die Zugriffsverbote des Art. 12 FFH-Richtlinie. Dabei ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass von einer „absichtlichen Störung“ i. S. der Norm ge-mäß der Caretta-Entscheidung des EuGH bereits dann aus-zugehen ist, wenn Beeinträchtigungen einer geschützten Art geduldet werden. 62 Vor diesem Hintergrund impliziert der Umstand, dass die Verordnung (EG) Nr. 812/2004 nicht zwischen Natura 2000-Schutzgebieten und anderen Meeresgebieten unterscheidet, dass sie den arten- und ge-bietsschutzbezogenen Anforderungen der FFH-Richtlinie im Hinblick auf den Schweinswalschutz nicht ausreichend Rechnung trägt. Daher sind kraft europäischen Natur-schutzrechts weitergehende Maßnahmen erforderlich.

III. Fazit: Handlungsbedarf in Deutschland

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Bun-desrepublik Deutschland sich in dem erforderlichen Maß um

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55) Verordnung (EG) Nr. 88/98 vom 30. 3. 1998 zur Erhaltung der Fischereiressourcen durch technische Maßnahmen zum Schutz von jungen Meerestieren (ABl. EG 1998, Nr. 125/1).

56) Verordnung (EG) Nr. 812/2004 des Rates vom 26. 4. 2004 zur Festlegung von Maßnahmen gegen Walbeifänge in der Fische-rei und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 88/98 (ABl. EU 2004, Nr. L 150/12).

57) Vgl. die von der Arbeitsgruppe Nord- und Ostsee (BfN und vTI) im Jahre 2011 vorgelegten Maßnahmenvorschläge für das Fischereimanagement in Natura 2000-Gebieten der deutschen AWZ der Nord- und Ostsee, S. 33, 38 f., 51, 53. Die Studie liegt den Verf. dieses Beitrags vor.

58) SRU (Fn. 53), S. 14.59) Vgl. Gonener/Bilgin, The Effect of Pingers on Harbour Porpoise,

Phocoena phocoena Bycatch and Fishing Effort in the Turbot Gill Net Fishery in the Turkish Black Sea Coast, Turkish Journal of Fisheries and Aquatic Sciences 9 (2009), 151 ff.; Palka/Rossman/Vanatten/Orphanides, Effect of Pingers on Harbor Porpoise (Pho-coena phocoena) Bycatch in the US Northeast Gillnet Fishery, Journal of Cetacean Research and Management 10 (2008), 217 ff.

60) Vgl. Herr, Vorkommen von Schweinswalen (Phocoena phocoena) in Nord- und Ostsee – im Konflikt mit Schifffahrt und Fischerei?, 2009, S. 93, abrufbar unter <http://ediss.sub.uni-hamburg.de/voll-texte/ 2009/ 4175/pdf/Diss_Helena_Herr_2009_mit_Siegel.pdf>.

61) Siehe Franse, Effectiveness of Acoustic Deterrent Devices (pin-gers), 2010, S. 13, abrufbar unter <http://www.leidenuniv.nl/interfac/cml/ssp/students/richard_franse/acoustic_deterrent_uk.pdf>; Herr (o. Anm. 60), S. 93; Johnston, The Effect of Acou-stic Harassment Devices on Harbour Porpoises (Phocoena pho-coena) in the Bay of Fundy, Canada, Biological Conservation 108 (2002), 113 ff. Auch das BfN lehnt den Einsatz akustischer Vergrämer mit dem Argument ab, dass „dadurch die Tiere in dem Gebiet, in dem sie gemäß FFH-RL einen besonderen Schutz genießen sollten, gestört und ggf. vertrieben werden“ (Maßnahmenvorschläge für das Fischereimanagement in Natura 2000-Gebieten [Fn. 57], S. 33).

62) EuGH, Urt. v. 30. 1. 2002 – C-103/00, Kommission/Griechen-land, Slg. 2002, I-01147 Rdnr. 32 ff.; vgl. auch Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, (Stand: Dezember 2011), vor §§ 37–55, Rdnr. 23.

Page 8: Kleinwalschutz in Deutschland und Europa

die effektive Erfüllung der in der FFH-Richtlinie normier-ten Pflichten bemüht. Bejahendenfalls wären die zuständi-gen Organe der EU im Hinblick auf eine Ausweitung der im Kleinwalschutzgebiet geltenden Schutzstandards auf Fi-schereifahrzeuge anderer EU-Mitgliedstaaten sowie auf die deutsche AWZ nach dem oben Gesagten unionsrechtlich verpflichtet, den Erlass entsprechender Maßnahmen durch Deutschland zu genehmigen, oder aber die Maßnahmen selbst zu verabschieden. Wie dargestellt wurden die beiden im Hinblick auf den Schweinswalschutz besonders relevan-ten Gebiete „Sylter Außenriff“ und „Fehmarnbelt“ von der Kommission als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung im Sinne von Art. 4 Abs. 2 FFH-Rchtlinie anerkannt. Sie müssen deshalb vom Bundesministerium für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit als besondere Schutzgebiete im Sinne von Art. 6 FFH-Richtlinie ausgewiesen werden. Mit Ausweisung der Gebiete müssen fischereiliche Aktivitäten dann dem Vermeidungsgebot des Art. 6 Abs. 2 FFH-Richt-linie genügen. Bereits heute sind die artenschutzrechtlichen Vorgaben der Art. 12 ff. FFH-Richtlinie in ihrer Umsetzung durch das BNatSchG zu beachten, die künftig neben die ge-bietsschutzspezifischen Anforderungen treten werden.

Angesichts der ausschließlichen Unionskompetenz für den Bereich der Erhaltung der lebenden Ressourcen des Meeres kann das gemäß BNatSchG zuständige Bundesmi-nisterium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit nach alledem ausschließlich die unter deutscher Flagge fahrenden Fischereifahrzeugen auch in der AWZ autono-men Fischereibeschränkungen unterwerfen, wohingegen im Übrigen eine Genehmigung oder ein Legislativakt der EU-Kommission erforderlich ist. Ein Aufleben der letzt-lich aus dem Gebot der Unionstreue folgenden Pflicht der Unionsorgane, die Mitgliedstaaten bei der Erfüllung ihrer Pflichten aus der FFH-Richtlinie konkret durch den Er-lass entsprechender Rechtsakte zu unterstützen, setzte in-des voraus, dass die Bundesrepublik Deutschland alles ihr kompetenzrechtlich Mögliche getan hätte, um den natur- und artenschutzrechtlichen Pflichten der FFH-Richtlinie zur Geltung zu verhelfen. Nach dem oben zu den Folgen des vom vTI präferierten Einsatzes akustischer Vergrämer Gesagten ist davon auszugehen, dass dies mit Blick auf die

künftigen Natura-2000 Gebiete in der deutschen AWZ le-diglich dann der Fall wäre, wenn der vom BfN vorgesehene ganzjährige Ausschluss der Stellnetzfischerei umgesetzt würde. In frei nutzbaren Meeresgebieten mögen Pinger im Einzelfall sogar als Mittel zur Umsetzung des Störungsver-bots des § 12 Abs. 1 Nr. 2 FFH-Richtlinie zu qualifizieren sein und insofern einen Beitrag zum Naturschutz leisten 63 – den Vorgaben der FFH-Richtlinie für besondere Schutzge-biete genügen sie nicht. Eine Störung und Vertreibung der Schweinswale aus den angestammten Lebensräumen liefe den Zwecken des besonderen Gebietsschutzes gemäß FFH-Richtlinie vielmehr diametral entgegen. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund des unionsrechtlichen Vorsorgeprin-zips, nach welchem wissenschaftliche Unsicherheit hin-sichtlich der Populationsgröße und -entwicklung gefähr-deter Arten sowie über das Ausmaß der Gefährdung durch bestimmte menschliche Aktivitäten nicht dazu führen darf, strenge Schutzmaßnahmen zu unterlassen. 64

Für einen effektiven und dauerhaften Schutz der Schweinswale ist damit die Etablierung eines ganzjährigen Ausschlusses der Fischerei mit Kiemen- und Verwickelnet-zen, ggf. konkretisiert durch Regelungen zu Mindestab-ständen und Mindestmaschengrößen, von Unionsrechts wegen geboten. Dadurch würde nicht nur ein Beitrag zur Erreichung der mit dem Schutzgebietsnetz „Natura 2000“ verfolgten Ziele geleistet, sondern auch die unionsrechts-konforme Ausgestaltung des deutschen Naturschutzrechts gefördert. Nach Verabschiedung einer entsprechenden Schutzgebietsverordnung hätte sich die Bundesregierung bei der EU-Kommission dann um eine Ausweitung der für deutsche Schiffe geltenden strengen Regelungen auf Fische-reifahrzeuge aller EU-Mitgliedstaaten zu bemühen, um ih-ren Pflichten aus der FFH-Richtlinie gerecht zu werden.

Das Naturschutzrecht wurde in den letzten 20 Jahren maßgeblich durch europäisches Recht bestimmt. Von besonderer Bedeutung war der Gebietsschutz, den das europäische ökologische Netz Na-tura-2000 vermittelt. Zu diesem Netz gehören die Europäischen Vogelschutzgebiete nach der Europäischen Vogelschutzrichtlinie (V-RL)1 und die Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-RL)2. Zwar wurde die Vogelschutzrichtlinie schon 1979 verabschiedet, aber ihre besondere

Ministerialrat a. D. Prof. h. c. Dr. iur. Hans Walter Louis, LL.M. (UC Los Angeles), Honorarprofessor, Technische Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig und Leibnitz Universität Hannover, Braunschweig, Deutschland

Prägung haben die Normen der Richtlinie erst in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts erhalten. Die ernsthafte Durchsetzung des Gebietsschutzes für die Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung durch die Kommission hat auch die europäische Vogelschutzgebiete

20 Jahre FFH-Richtlinie– Teil 1 – Natura-2000 –

Hans Walter Louis

© Springer-Verlag 2012

NuR (2012) 34: 385–394 385Louis, 20 Jahre FFH-Richtlinie

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63) Kritisch Kratsch, in: Schumacher/Fischer-Hüftle (Fn. 40), § 44, Rdnr. 21.

64) Ob damit automatisch eine „widerlegbare Gefährlichkeitsver-mutung“, d. h. eine Umkehr der Beweislast, einhergeht, ist damit nicht gesagt; bejahend etwa Calliess, in: ders./Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 191 AEUV, Rdnr. 31; vernei-nend Arndt, Das Vorsorgeprinzip im EU-Recht, 2009, S. 290 ff.

1) Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. 4. 1979 über die Er-haltung der wild lebenden Vogelarten, ABl. EWG Nr. L 103 S. 1, kodifiziert durch Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Par-laments und des Rates über die Erhaltung der wildlebenden Vo-gelarten vom 30. 11. 2009, ABl. EU 2010 Nr. L 20 S. 7.

2) Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. 5. 1992 über die Erhal-tung der natürlichen Lebensräume und der wild lebenden Tiere und Pflanzen, ABL.EG Nr. L 206 S. 7, zuletzt geändert durch Richtlinie 2006/105/EG des Rates vom 20. 11. 2006 ABl. EU Nr. L 363 S. 368.