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Günther Gettinger©2013
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Kollegiale Beratung
Was ist ‚Kollegiale Beratung?
‚Kollegialer Beratung‘ oder ‚Kollegiales Coaching‘ ist eine bestimmte Form der Begegnung
zwischen Menschen. Es gibt bei einem solchen Treffen keine ‚Experten‘, denn im kollegialen
Coaching ist jede und jeder, der teilnimmt, Experte bzw. Expertin.
Warum ‚Kollegiale Beratung?
Zu ‚Kollegialer Beratung‘ trifft man sich, um ein bestimmtes Thema, ein bestimmtes
Ereignis, ein bestimmtes Problem, welches mich innerlich ‚quält‘, gut miteinander zu ‚lösen‘.
Solche Themen können z.B. sein....
• Austausch darüber, warum etwas gut und warum etwas weniger gut
gelaufen ist
• Austausch darüber, was mich sicher und was mich unsicher macht, wenn
ich einen öffentlichen Auftritt habe
• Einander Tipps & Tricks erzählen, wie man schwierige Situationen meistert
• Ich will mich auf eine neue Aufgabe vorbereiten
• Usw.
Wie funktioniert ‚Kollegiale Beratung?
1. Kollegiale Beratung findet in einer Kleingruppe von 3 – 9 Leuten statt´ und dauert
zwischen einer Stunde und maximal 1 ½ Stunden pro Fragestellung.
2. Der ‚Fallbringer‘ / die ‚Fallbringerin‘ (also die Person, welche ein Thema mit
KollegInnen klären will), lädt mindesten 2, höchstens 8 Personen zu einer ‚Kollegialen
Beratung‘ ein. Die eingeladenen Personen werden als BeraterInnen eingeladen. Sie
können aber auch selbst Themen mitbringen, das ist sogar sehr erwünscht und
sinnvoll.
3. Zu Beginn des Treffens wird ein Moderator, eine Moderatorin gewählt.
4. Dann erzählt der Fallbringer, die Fallbringerin ihr Problem, ihr Anliegen. Die Anderen
hören aufmerksam zu.
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5. In der nächsten Runde wird nur nachgefragt, damit man als BeraterIn das von der
Fallbringerin vorgebrachte Anliegen auch wirklich so verstehen kann, wie es gemeint
war, z.B.:
• „Habe ich Dich richtig verstanden, dass Du folgendes von mir / von uns
wissen willst?“
• „Was ist damals genau passiert?“
• „Wer war da alles dabei?“
• „Warum glaubst Du, hat er das getan?“
• „Wie ist es Dir dabei ergangen?“
Usw.
Man fragt so lange, bis man sich als Berater ein genaues Bild der Situation machen
kann. Bis man die Fragestellung, das Anliegen der Fragestellerin gut verstanden hat.
Man gibt aber noch keine Meinung zum Fall ab, bringt keine Ratschläge vor!
6. In der nächsten Runde schweigt der Fallbringer. Seine oder ihre Aufgabe: gut
zuhören! Die BeraterInnen sagen laut, was Ihnen alles zum Thema einfällt. Sie sollen
alles sagen, was Ihnen so in den Sinn kommt. Es geht dabei noch nicht um das
gemeinsame Erarbeiten von ‚Lösungen‘ oder um das gezielte Finden von Antworten.
Es geht darum, laut zu denken, alles zu sagen, was die gehörte ‚Geschichte‘ in mir als
Zuhörerin der Geschichte an Gefühlen und Vorstellungen ausgelöst hat. Z.B.: „Wenn
ich an Deiner Stelle gewesen wäre, dann wäre ich wütend geworden, weil ich das
derart ungerecht empfunden habe, was Dir da passiert ist.“ Oder: „Mir ist dazu die
Geschichte vom Rumpelstilzchen eingefallen, wie es vor Wut geplatzt ist, als es mit
dem richtigen Namen angesprochen worden war.“ Oder: „Ich muss immer daran
denken, dass der Weg zur Hölle mit guten Absichten gepflastert ist.“ Man teilt aber
auch mit, wenn einem bestimmte Antworten auf die gestellte Frage der Fallbringerin
eingefallen sind. Usw. usf.
7. In der nächsten Runde nimmt die Fallbringerin wieder teil. Sie sagt, welche Einfälle
und Reaktionen, die sie gehört hat, auf sie welchen Eindruck gemacht haben.
Manchmal wird dann gesagt: „Alles, war Ihr da gesagt habt, ist mir auch schon vorher
durch den Kopf gegangen. Ich fühl mich von Euch gut verstanden. Das tut gut.“
Manchmal heißt es aber auch: „Oh, so habe ich das noch nie gesehen. Ich finde es
aber höchst interessant, es mal von dieser Seite aus zu betrachten.“ Oder: „Was Du
gesagt hat, das hat mich sofort überzeugt. Genau das ist es!“ Usw. , usf.
8. Nachdem diese Runde zu Ende ist wird in der ganzen Kleingruppe gemeinsam nach
Lösungen gesucht. Manchmal ist von der Fallbringerin schon in der Vorrunde die
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Lösung genannt worden. Manchmal müssen noch gemeinsam die Lösungsideen aus
der Vorrunde zusammen getragen und deutlich gemacht werden. Die Fallbringerin
entscheidet, was für sie die Antwort auf ihre Fragestellung ist.
9. Zum Schluss sagen alle Beraterinnen, wie es ihnen während der Arbeit ergangen ist
und was sie selber aus der Fallbesprechung gelernt haben und für sich mitnehmen.
Die Aufgaben des Moderators
Der Moderator / die Moderatorin sorgt für die Einhaltung der Zeit und die Einhaltung des
ordentlichen Ablaufs der ‚Kollegialen Beratung‘.
Ihm / ihr kommt in der Kollegialen Beratung eine Schlüsselrolle zu!
Er / sie leitet das Gespräch der Gruppe. Und zwar so, dass jeder Teilnehmer /jede
Teilnehmerin maximale Gesprächsfreiheit hat ohne dabei den Ablauf und die Ordnung des
Gesamtverlaufs aus den Augen zu verlieren.
Er steuert das Gespräch der Gruppe durch sogenannte ‚verbale‘ (Worte) und durch ‚ non-
verbale‘ (Gesten, Mimik) Zeichen, durch die Art seines Zuhörens und des Fragens.
Fragen stellen.
Der Moderator führt die Gruppe durch seine Fragen. ‚Fragen zu stellen‘ ist eine der
wesentlichen und wichtigsten Aufgaben des Moderators. Fragen wecken und steuern die
Aufmerksamkeit der Gruppenteilnehmer. Sie ermöglichen es, alle Teilnehmer einzubeziehen.
Zuhören.
Der Moderator / die Moderatorin steuert das Gespräch der Gruppe aber auch durch die Art
seines / ihres Zuhörens:
“Es gibt viele Grade des Zuhörens: Mit den Ohren zuhören, Klänge hören oder auf die
inneren Schwingungen hören, Bedeutungen heraushören. Es gibt eine Art des Zuhörens, die
auf das Nichthörbare hört. Wenn man wirklich achtsam ist, dann hört man zu - abwarten und
aufmerksam sein. Um welche Art des Zuhörens es sich aber auch handeln mag, es hat eines
gemeinsam: es öffnet die Tür, damit etwas hineingelangen kann. Wenn wir nicht zuhören
können, ist jene Tür geschlossen. Die Tür der Ohren mag offen sein, die des Geistes jedoch ist
geschlossen.” - J.G. Bennett
Wenn wir verstehen wollen, was jemand sagt, müssen wir zuhören. Das Wort Vernunft
kommt von vernehmen, also ‚hören‘. Erst wenn ich mit voller Aufmerksamkeit zuhöre, dann
kann ich mein Gegenüber verstehen. Wirkliches Zuhören ist nicht rein passiv, es ist immer
auch aktiv. Es ist beides zugleich. Zuhören bringt uns zu einem neuen Verstehen.
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Zeit- und Ablaufschema der Kollegialen Beratung
Zeit
(Minuten)
Runden FallbringerIn BeraterInnen Regeln
5
Start
Wahl des Moderators
und Reihenfolge
der Fälle festlegen
Wer moderiert? Wer hat welche
Fragen? Welche
Reihenfolge?
10
Schilderung des Fallgeschichte
Erzählen der Fallgeschichte
und Formulieren der Frage an die Runde
Zuhören Notizen machen
Keine Fragen stellen!
10
Nachfragen, Infos
sammeln
Informationen
geben
Nachfragen Was ist mir
noch unklar? Was muss ich noch wissen
Nur Verständnis- und
Informationsfragen! Keine Ratschläge!!
15
Freies Phantasieren
Zuhören!
Alles sagen, was mir zur
Fallgeschichte einfällt
Mitteilen von Vermutungen und Einfällen
Noch keine Lösungen anstreben!
5
Stellungnahme Fallbringer
Was wurde bei mir
angesprochen? Was hat
Phantasierunde bei mir
ausgelöst
Zuhören
Keine Diskussionen!
15 Lösungsrunde Gemeinsam mit Kollegen beraten
Lösungsideen entwickeln
Keine Diskussionen!
5 Entscheiden Mitteilen, was die Lösung ist
Zuhören Keine Diskussionen!
10
Schlussbetrachtung
Wie ist es mir gegangen? Wie
geht es mir jetzt? Was habe
ich gelernt?
Mitteilen was ich gelernt habe und
mitnehme. Feedback an Moderator
Rückschau halten!
Abschließen
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Oft sind die Menschen ohne ‚Seh‘-Behinderung die ‚wirklich Blinden‘, denn viele von
ihnen kennen und sehen ihre eigenen Vorurteile nicht!
Die ‚mentalen Landkarten‘, die wir uns von der Welt machen, verwechseln wir nur zu oft mit
der ‚Landschaft‘ (der Wirklichkeit) selbst.
Das kann jedem passieren. Daher: Man wird oft erst durch und in ‚Kollegialer Beratung‘
‚wirklich sehend‘.
Zum Schluss daher die berühmte Geschichte von den ‚Blinden Männern und dem Elefanten‘:
Die blinden Männer und der Elefant
Vier blinde Männer gingen in den lokalen Zoo, um herauszufinden, was ein Elefant ist. Der erste berührte zufällig seine Breitseite und sagte: „Der Elefant ist wie eine Mauer“. Der nächste berührte auf gleiche Weise seinen Rüssel und sagte: „Der Elefant ist wie eine Schlange“. Der dritte berührte ein Bein des Elefanten und sagte: „Der Elefant ist wie eine Säule“. Und der letzte erwischte den Schwanz des Elefanten und sagte: „Der Elefant ist wie ein Seil“. Anschließend gerieten die vier blinden Männer in heftigen Streit, weil jeder von ihnen dachte, dass seine Sichtweise die einzig gültige wäre: war sie doch in völliger Übereinstimmung mit seinen sinnlichen Wahrnehmungen/Erlebnissen.
Jeder verstand aber nur den Teil, den er tatsächlich erlebt hatte; keiner verstand den ‚ganzen
Elefanten’. Und obwohl jeder teilweise Recht hatte, waren sie gemeinsam im Irrtum, was die
Form des Elefanten anlangte. Sie konnten aber aufgrund ihrer Blindheit ihren Irrtum nicht
sehen.