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34 Komplikationen bei der Behandlung von Fehlentwicklungen und Erkrankungen im Wachstumsalter J. Matussek
34.1 Wirbelsäule 34.4.2 Kommentar
34.1.11
Spezifische Probleme der wachsenden
34.4.3 Schlichtungsverfahren
Wirbelsäule 34.5 Hüftgelenk
34.1.2 Kon1menta
34.1.3 Schlichtungsverfahren 34.5.1 Spezifische Probleme des wachsenden
Hüftgelenks
34.2 Schultergürtel und Schulter 34.5.2 Kommentar
34.2.1
Spezifische Probleme des wachsenden
34.5.3 Schlichtungsverfahren
Schultergürtels und der Schulter ... ....
34.6 Kniegelenk
34.2.2 Kommentar
34.2.3 Schlichtungsverfahren 34.6.1 Spezifische Probleme des wachsenden
Kniegelenks 34.3 Ellenbogen 34.6.2 Kommentar
34.3.1
Spezifische Probleme des
wachsenden EI-
34.6.3 Schlichtungsverfahren
Ellenbogens 34.7 Fuß
34.3.2 Kommentar 34.3.3 Schlichtungsverfahren 34.7.1 Spezifische Probleme des
wachsenden
Fußes 34.4 Handwurzel 34.7.2 Kommentar
34.4.1
Spezifische Probleme der
wachsenden
34.7.3 Schlichtungsverfahren
Handwurzel
34 Komplikationen bei der Behandlung von
Fehlentwicklungen und Erkrankungen im
Wachstumsalter
34.1 Wirbelsäule 34.1.1 Spezifische Probleme der wachsenden Wirbelsäule
Tab. 34.1 Spezielle Komplikationen bei der Behandlung von Skoliose, Kyphose und Spondylolisthese.
Komplikation, Häufigkeit Vermeidbar Bedingt vermeidbar Unvermeidbar Prophylaxe (P), bewährte
Therapiemöglichkeiten
(T)
Idiopathische Skoliose
Konservative Therapie:
Progredienz der Verkrümmung
falsche Indikation zur
Korsetttherapie kurz vor
oder nach
Wachstumsabschluss,
Missachtung der
Progredienzrisiken bei
verschiedenen
Krümmungsgraden, mangelhafter Korsettbau
Korsettbau ohne
Beachtung des
mehrdimensionalen
Charakters der
Skoliose
Trage-Compliance
des Korsetts mit
mangelnder
Primärkorrektur im
Korsett
P/T: Beachtung der
Grundsätze der
Korsetttherapie:
mindestens 2 Jahre
Restwachstum/Cobb-
Winkel 20–50°, Trage-
Compliance 16–18 h/d,
Bau eines Korsetts nach den Derotations-
/Spiegelungsprinzipien
Operative Therapie:
Sekundäre Verkrümmung
nichtfusionierter
Anschlussbereiche 2–5%,
Materialfehllagen/Materialversa
gen 2–8%, neurologische
Komplikationen 0,1–2%
direkte chirurgische
Gefäß- und
Nervenstrukturverletzun
gen
Anschlussverkrümmun
gen kaudal/kranial der
Fusion, Materialbruch,
neurologische Major-Komplikationen (A.-
spinalis-anterior-
Syndrom),
Schraubenfehllagen
sekundäre
Durchblutungsstörun
gen des Rückenmarks
(innerhalb von 24 Stunden auftretendes
A.-spinalis-anterior-
Syndrom),
Wundheilungsstörung
, knöcherne Non-
Fusion
P: exakte
Krümmungsklassifikation
an Röntgen- und
Bending-Aufnahmen, Bestimmung der
Fusionsstrecke,
präoperative Bildgebung
Spinalkanal/Wirbelkörper
(MRT/CT)
T: intraoperatives
Neuromonitoring, ggf.
Navigation
Scheuermann-Kyphose
Konservative Therapie:
Fortschreiten der Kyphose
Operative Therapie:
Komplikationen siehe Skoliose
verspätete Indikation
zur Korsetttherapie
(Becker-Gschwend-
Korsett) durch Fehlinterpretation
klinischer/radiologischer
Zeichen
zu später
Therapiebeginn bei
stummen Verläufen,
Leistungssport in vulnerablen
Verkrümmungsphasen
bei Jugendlichen
Wachstumsabschluss
mit erheblicher
Hyperkyphose bei
stummen Verläufen ohne Jugend-
Screening-
Untersuchung
P: Rückenschmerzen in
der Pubertät bei Jungen
ernst nehmen, klinische
Progredienz engmaschig monitoren
T: ab Cobb-Winkel > 40°
lumbal entlordosierende
Reklinationsorthese bei
Wachstum > 2 Jahre, Krankengymnastik,
Sportkarenz in florider
Phase
Dysplastische Spondylolisthese
Operative Therapie:
Materialfehllagen/Materialversa
gen 2–5%, neurologische
Komplikationen 0,1–2%
Verletzung von Gefäß-
und Nervenstrukturen,
Repositionsdefizite durch
mangelnde Dekompression und
Sakrumdomabtragung
Materialbruch,
neurologische Major-
Komplikationen:
Fußheberschwäche und Sensibilitätsstörungen,
Schraubenfehllagen,
Korrekturverlust bei
Pseudarthrose/Cage-
Fehleinheilung
Wundheilungsstörung
, Infektion, Hämatom
P: Planung
ausreichender
Nervenwurzeldekompress
ion unterhalb der Pars interarticularis
T: partielle Abtragung
Sakrumdom und
Laminektomie L5, bei leichteren Formen:
dorsoventrales Vorgehen
über separate Zugänge
34.1.2 Kommentar
Präoperativ
Vermeidbare Komplikationsquellen in der konservativen Behandlung der idiopathischen
Skoliose sind eine Korsetttherapie kurz vor oder nach Wachstumsabschluss unter
Missachtung der Progredienzrisiken bei verschiedenen Krümmungsgraden und ein
mangelhafter Korsettbau ohne Beachtung des mehrdimensionalen Charakters der
Skoliose. Unvermeidbar hingegen scheint der Einfluss einer mangelhaften Trage-
Compliance auf den schlechten Verlauf einer konservativen Therapie zu sein.
Vermeidbare Komplikationsquellen in der operativen Behandlung der idiopathischen
Skoliose sind die mangelnde exakte Krümmungs-Klassifikation (z.B. nach Lenke) mit
Hilfe von Röntgennormal- und Bending-Aufnahmen. Hierdurch gelingt die Bestimmung
der bestmöglichen Fusionsstrecke. Eine unterlassene präoperative Bildgebung des
Spinalkanals und der Wirbelkörperanatomie (MRT/CT) in Verbindung mit einer
intraoperativen Navigation erhöht die Schraubenfehllagenrate. Ein intraoperatives
Neuromonitoring reduziert potenzielle neurologische Komplikationen.
Ähnliche Aussagen gelten für die Behandlung des Morbus Scheuermann
(Adoleszentenkyphose) und das angeborene Wirbelgleiten.
Intraoperativ
Vermeidbar sind bei der Skolioseoperation die Verletzung der Hygienestandards sowie
direkte chirurgische Gefäß- und Nervenstrukturverletzungen. Nur bedingt vermeidbar
sind Anschlussverkrümmungen ober-/unterhalb der Fusion sowie der Materialbruch. Zwar
sind neurologische Major-Komplikationen (A.-spinalis-anterior-Syndrom,
Nervenwurzelschädigungen) sehr selten (0,1–2%), können aber durch ein intraoperatives
Neuromonitoring risikotechnisch weiter reduziert werden. Schraubenfehllagen sind durch
die Nutzung von Navigationssystemen gleichermaßen bedingt vermeidbar. Insgesamt ist
das neurologische Risiko bei der Korrektur großer Kyphose-/Skolioseverkrümmungen (>
80°) deutlich ansteigend, weswegen langsame Korrektursysteme zu favorisieren sind:
Halodistraktion nach Wirbelkörperlösung oder mitwachsende Distraktionssysteme
(VEPTR, MAGEC, Shilla).
Bei der angeborenen fortgeschrittenen Spondylolisthese ist bei der Reposition
zwingend auf eine vorausgehende Dekompression der Nervenwurzelabgänge zwischen
den Wirbelkörpern zu achten (Facettektomie, Laminektomie). Gleichermaßen gelingt eine
adäquate Reposition nur, wenn der Gleitwirbel beim Zurückziehen nicht gegen den Dysplasie-Dom des Sakrums stößt (Abtragung).
Postoperativ
Bei weitgehend ausgewachsenen (weiblichen und männlichen) Jugendlichen älter als 14
Jahre ist bis 4 Wochen postoperativ an die Thromboseprophylaxe zu denken. Auch
Wirbelsäulenoperationen gehören zu der höchsten Risikogruppe. Eine heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) ist durch regelmäßige Blutbildkontrollen auszuschließen.
Unerwartete neurologische Komplikationen, besonders das
Durchblutungsstörungssyndrom (A.-spinalis-anterior-Syndrom) des Rückenmarks bei
thorakalen Skoliose- und Kyphoseaufrichtungen, müssen mit einem intraoperativen
Neuromonitoring minimiert werden. Sedations- und Narkosetiefe, Blutdruckerniedrigung
und regionale Schmerztherapien müssen bei der Dateninterpretation berücksichtigt
werden und führen nicht selten zu Fehlbeurteilungen.
Repositionen bei schwerem Wirbelgleiten haben ein Risiko zu
Nervenwurzelschädigungen, auf Höhe L5/S1 vor allem Paresen der Fußheber. Eine
kritische Beurteilung der notwendigen Krafteinleitung zur Wirbelkörperreposition mit
adäquater chirurgischer Verminderung von Repositionshindernissen und
Einklemmregionen für Rückenmark und Nervenwurzeln erlaubt eine Kalkulierung dieser
Risiken.
34.1.3 Schlichtungsverfahren
33 Anträge zur Überprüfung von Komplikationen bei der Behandlung von
Fehlentwicklungen und Erkrankungen der Wirbelsäule sind in den letzten 15 Jahren bei
der Norddeutschen Schlichtungsstelle eingegangen. Es handelte sich um 25 idiopathische
Skoliosen, 2 Scheuermann-Kyphosen und 6 dysplastische Spondylolisthesen.
Moniert wurden insbesondere eine vermeintlich nicht indizierte konservative Behandlung
der Skoliose (5 Fälle) und der Spondylolisthese (1 Fall), fehlplatzierte Schrauben und
Schraubenbrüche in 10 Fällen, temporäre neurologische Symptome in 8 Fällen und 9
Einzelfälle wie Implantatlockerung, Pseudarthrose nach Fusion, persistierende
Beschwerden u.Ä.
Als fehlerhaft vermeidbar wurden von den externen Gutachtern und der
Schlichtungsstelle lediglich 2 Schraubenfehllagen mit Tangierung der Nervenwurzel beurteilt. Die Schrauben mussten gewechselt werden.
34.2 Schultergürtel und Schulter
34.2.1 Spezifische Probleme des wachsenden Schultergürtels und der Schulter
Tab. 34.2 Spezielle Komplikationen bei der Behandlung der Sprengel-Deformität, habituellen Schulterluxation,
Klavikulapseudarthrose, sternoklavikulären Luxation und der Plexusparese.
Komplikation, Häufigkeit Vermeidbar Bedingt vermeidbar Unvermeidbar Prophylaxe (P),
bewährte
Therapiemöglichkeiten
(T)
Sprengel-Deformität
Allgemeine und spezielle
Komplikationsmöglichkei
ten 5–15%
(komplexe Präparation
des Schulterblatts am
Hals und der dorsalen
Brustwirbelsäule)
Gefäß-
/Nervenverletzung,
insuffiziente
postoperative
Ruhigstellung in
Cast-
Verband/Thoraxschiene
Einschränkung der
Beweglichkeit bei zu straffer
Rekonstruktion der
Schulterblattmuskulatur
mögliche Restfehlstellung
nach weichteiligen
chirurgischen
Maßnahmen,
Restbewegungseinschränk
ung
P: ausreichende
Bildgebung zur exakten
Definition der
Pathomorphologie
(Klavikulabeteiligung,
Os omovertebrale) und
Operationsplanung
Habituelle Schulterluxation
Reluxationen 2–10%
Bewegungseinschränkun
gen 5–21%
Operationsindikation
vor
Wachstumsabschluss
, insuffizientes
konservatives
Behandlungsprogramm, Gefäß-
/Nervenverletzung,
insuffiziente
postoperative
Ruhigstellung in
Cast-Verband oder
Thoraxschiene
ungenügende Definition der
Pathomorphologie und
Operationsplanung
P: zurückhaltende
Operationsindikation im
Wachstumsalter,
Analyse der
Pathomorphologie:
Indikationsstellung für rezidivierende
Luxationen
T: konservatives
Trainingsprogramm, Glenoidplastik bei
Dysplasie des Gelenks,
Bankart-Repair mit
Ankersystemen
Klavikulapseudarthrose
Materialbrüche 11%
Erneute Pseudarthrose
10–15%
Verkürzung der Klavikula
> 50%
subklavikuläre
Gefäß-
/Nervenverletzung, insuffiziente
postoperative
Ruhigstellung in
Cast-
Verband/Thoraxschie
ne
ungenügende
Pseudarthrosenresektion,
minderwertige autogene Knochentransplantate,
Transplantat-
/Implantatversagen
kosmetisch relevante
Narbenkeloide
P: genaue Planung der
Pseudarthrosenausdehn
ung und der autogenen Transplantatgewinnung
T: stabile
Plattenosteosynthese,
lange Ruhigstellung (4
Wochen)
Sternoklavikuläre Luxation
Sehnenentnahmemorbidität 15%
Reluxation 5–10%
Spätarthrose 1%
subklavikuläre Gefäß-
/Nervenverletzung,
insuffiziente
postoperative
Ruhigstellung
Sehnenentnahmemorbidität am Knie/Oberschenkel
(Semitendinosus/Fascia lata)
kosmetisch relevante Narbenkeloide,
Spätarthrose
T: genaue Planung der Fesselungsoperation,
lokale, exakte
Präparation, lange
Ruhigstellung von
Schulter und Arm (4–6
Wochen)
Plexuslähmungen
Insuffizienz der motorischen
Transferoperationen 7–
15%
Komplikationen nach
Drehosteotomie 1–2%
Erfolglose Nerven-
Plexus-Rekonstruktion
25–50%
axilläre Gefäß-/Nervenverletzung,
nichtausreichende
Erfahrung in
komplexer
Operationsplanung
(hohe
neurochirurgische
Kompetenz!), keine
Berücksichtigung der Altersselektion der
Patienten
Transplantatentnahmemorbidität,
Nervenanschlussinsuffizienz
P/T: Planung und Durchführung durch
kompetente
neurochirurgische
Zentren, strikte
Limitierung auf sehr
junge Patienten
34.2.2 Kommentar
Präoperativ
Vermeidbare präoperative Fehlerquellen bei der Behandlung von Fehlbildungen der
Schulter und der oberen Extremität sind einerseits die nicht exakte Analyse der
Pathoanatomie – und damit die ungenaue Definition der zu erwartenden
Funktionsstörung – und andererseits die nicht ausgeschöpften konservativen
Behandlungsmöglichkeiten. Die Sprengel-Deformität imponiert durch verschiedene
Ausprägungsgrade, welche das operative Procedere mehr oder weniger komplex
gestalten: einerseits notwendige Osteotomien an Klavikula und Resektion des Os
omovertebrale, andererseits alleinige Weichteilrekonstruktionen. Operative Maßnahmen
bei Schulterinstabilitäten sind nur nach ausgiebigem konservativen Programm und bei
rezidivierenden Luxationen am Ende der Wachstumsphase sinnvoll: Die Analyse der
genauen Ursache legt auch hier die Ausdehnung des Eingriffs fest: Bankart-Repair, Kapsel-Shift, Glenoid-Plastik sind jeweils nur in spezifischen Ausnahmefällen indiziert.
Die Klavikulapseudarthrose stellt aus funktionellen und kosmetischen Gründen eine
Indikation zur Operation dar. Die technische Durchführung ist schwierig, die Liste
möglicher Komplikationen lang, wobei sich die Problematik systemisch bei der
Behandlung aller angeborenen Pseudarthrosen des kindlichen Skeletts ähnelt. Kern der
Behandlung ist die ausgedehnte Resektion des schlecht durchbluteten
„Pseudarthrosenknochens“ und dessen Ersatz mit einem gut durchbluteten autologen
Transplantat plus Osteosynthese. Abweichungen von diesem Prinzip führen zu
vermeidbaren Komplikationen.
Intraoperativ
Vermeidbare Komplikationen sind mit Problemen des Hygienestandards verbunden oder
liegen in den komplexen Operationsprotokollen der einzelnen Verfahren. Da es sich im
Allgemeinen um seltenere Erkrankungen handelt, steht die Komplikationsrate auch in
Relation zur Erfahrung des Behandlungszentrums bzw. des Operateurs.
Postoperativ
Die Operation nach Woodward bei der Sprengel-Deformität ermöglicht verschiedene
Korrekturgrade mit teilweise erheblicher Einschränkung der Schulterblattbeweglichkeit.
Funktionell steht bei dieser Operation die Lösung des Schulterblatts von der HWS mit
einer Rotation und muskulären Neufixierung im Vordergrund; dies führt zu einer
Verbesserung der ipsilateralen Armbeweglichkeit.
Die bei habituellen Schulterluxationen angewendeten Maßnahmen an Kapsel und
Labrum führen zu mehr oder weniger gut kontrollierbaren Bewegungseinschränkungen
der Schulter. In gleicher Weise kann die Korrektur der glenoidalen Gelenkfläche
Luxationen des Humerus zur gegenüberliegenden Seite bedingen. Das multifaktorielle
Ursachenprofil der Schulterluxation mit einer originär schlechten Kapsel-Band-Führung kann zu unvermeidbaren Reluxationen nach Operationen führen.
Bei der Klavikulapseudarthrose werden
Transplantatbrüche/Osteosynthesematerialbrüche beobachtet, die in erster Linie einer
Problematik der Operationstechnik geschuldet sind. Auch ist die mangelhafte
postoperative Ruhigstellung in Abduktionsschienen/-verbänden Ursache für Einheilungsstörungen des Transplantats.
Die Kapsel-Band-Plastik nach Bunell bei Sternoklavikularluxationen hat eine geringe
Komplikationsrate, vorausgesetzt, die postoperative Ruhigstellung ist adäquat. Der
Sehnenhebedefekt an Knie oder Oberschenkel bedingt bei der Hälfte der Patienten gelegentlich eine vorübergehende Beinschwäche.
Die postoperative Komplikationsrate bei der operativen Behandlung der
geburtstraumatischen Plexusparese ist prinzipiell von der Wahl des chirurgischen
Vorgehens abhängig: Haben die neurochirurgischen frühkindlichen
Plexusrekonstruktionen ihre systemimmanenten Risiken und Komplikationen, werden
Drehosteotomien mit Osteosynthesen bezüglich ihres Komplikationsprofils in den
entsprechenden Kapiteln behandelt. Um Funktionen der paretischen/plegischen
Extremität zu verbessern, werden Muskel-Sehnen-Transfer-Operationen vorgeschlagen.
Die Funktionalität und damit der Erfolg dieser Prozeduren liegt in der interdisziplinären
Analyse von Restfunktionen und plausibel zu erreichenden Verbesserungen.
Komplikationen im Sinne von Funktionsverlusten bestehen zumeist in einer
Fehleinschätzung des erreichbaren Funktionsgewinns bei Überschätzung der
transferierten Muskelkraft und Hebelansätze.
34.2.3 Schlichtungsverfahren
23 Komplikationen nach operativer Behandlung der habituellen Schulterluxation, 48
Plexusparesen bei Einstellungsanomalie des Schultergürtels (Schulterdystokie) während
der Geburt und 2 nicht erkannte Sternoklavikularluxationen waren Anlass für ein
Schlichtungsbegehren der Betroffenen bei der Norddeutschen Schlichtungsstelle.
Als fehlerhaft vermeidbar wurden von den externen Gutachtern und der
Schlichtungsstelle die Schraubenfehllage bei 3 operativ stabilisierten
Schulterluxationen und eine schmerzhafte Reluxation nach Schulterreposition beurteilt.
Alle weiteren angeführten Komplikationen nach Schulterstabilisierung wie temporäre
Nervenschäden (n = 4), Arthrosen nach Drehosteotomie (n = 3), Infekte (n = 3) und
fortbestehende Beschwerden (n = 8) und das vermeintliche Übersehen der Luxationen
des Sternoklavikulargelenks waren aus gutachterlicher Sicht bedingt vermeidbar oder unvermeidbar.
Lediglich 2 Schlichtungsanträge bezüglich therapiebezogener Komplikationen bei den teils
flüchtigen, teils persistierenden geburtstraumatischen Plexusläsionen wurden
außerhalb des geburtshilflichen Fachgebiets gestellt. Ein Muskeltransfer (Trizeps auf
Bizeps) bei einem 7 Jahre alten Kind wurde wegen des instabilen Ellenbogengelenks als
Indikationsfehler gesehen; eine Nerventransplantation bei einem Säugling war zwar indiziert, aber erfolglos
34.3 Ellenbogen
34.3.1 Spezifische Probleme des wachsenden Ellenbogens
Tab. 34.3 Spezielle Komplikationen bei der Behandlung von radioulnarer Synostose, Radiuskopfluxation und
transversalen Fehlbildungen.
Komplikation,
Häufigkeit
Vermeidbar Bedingt vermeidbar Unvermeidbar Prophylaxe (P), bewährte
Therapiemöglichkeiten (T)
Radioulnare Synostose
Instabilität des
Ellenbogens und
hohe
Refusionsrate bei
Fettinterponaten
Indikationsfehler zum
Fettlappeninterponat,
Planungsfehler einer
Korrekturosteotomie, Nerven-
und Gefäßverletzung
Störung der Osteosynthese
(Pseudarthrosen) bei
Korrekturosteotomien
P: Indikation zur
Fettlappenplastik als
Mobilisierungsversuch nicht
gegeben
T: korrekte Umstellungsosteotomie des
proximalen Ellenbogens
Kongenitale Radiuskopfluxation
Reluxation falsche Indikation zur
Reposition bei schwerer
kongenitaler
Radiuskopfdysplasie mit
fehlender Ringbandanlage
meist erfolglose Reposition
bei Systemerkrankungen mit
kongenitaler Kopfluxation
unvermeidbare
Reluxation bei
den meisten
kongenitalen
Kopfluxationen
P: genaue Analyse der
Ätiopathogenese der
Radiuskopfluxation
T: komplexe anulare
Bandrekonstruktion
Posttraumatische Radiuskopfluxation
Reluxation zu frühe
Mobilisation/ungenügende Ruhigstellung nach
Rekonstruktion
posttraumatischer
Luxationen
P: korrekte Planung der
Therapie und Nachsorge
T: Gewebegewinnung zur
Ersatzplastik des Ringbands,
ggf. Ulnakorrekturosteotomie
Transversale Fehlbildung Unterarm
Verpassen des Zeitfensters zur
Gewöhnung an prothetische
Maßnahmen, mangelnde Redressionsbemühungen,
fehlende
„Patschhandprothese“,
mangelndes Myotraining
P/T: ergotherapeutische
Kontrakturenprophylaxe,
Verordnung einer „Patschhandprothese“, später:
Myotraining, danach:
Eingewöhnung in Myoelektrik
mit entsprechender Prothese
34.3.2 Kommentar
Präoperativ
Bei den proximalen radioulnaren Synostosen ist der Versuch einer Lösung und
einfachen Interposition von Fettlappen zum Scheitern verurteilt. Auch gefäßgestielte
Fettinterponate sind wegen des hohen Aufwands abzulehnen. Weiterhin ist die zumeist
schwere Dysplasie des Radiuskopfs zu bedenken, die nach einer etwaigen erfolgreichen
Mobilisierung zu einer Luxation und Instabilität führen würde. Eine proximale
Unterarmkorrekturosteotomie führt zu funktionell guten Ergebnissen, wenn die
Schreibhand in leichter Pronation und die Gegenseite in vermehrter Supination eingestellt werden.
Bei der Planung einer Rekonstruktion einer Radiuskopfluxation ist die Ätiopathogenese
genauestens zu analysieren, um Reluxationen oder Einsteifungen zu vermeiden.
Kongenitale Luxationen fordern immer eine komplexe anulare Bandrekonstruktion
(Muskelfaszienplastik). Posttraumatische Luxationen nach Monteggia-Unterarmfraktur
lenken das Augenmerk auf Ulnafehlstellungen; meist ist eine Rekonstruktion des
anularen Bandkomplexes zusammen mit einer Ulnaextensionsosteotomie zu planen.
Transversale Fehlbildungen unterhalb des Ellenbogens oder transepikondylär
erfordern eine frühzeitige Gewöhnung des Kleinkinds an prothetische Maßnahmen
(„Patschhand“). Longitudinale Fehlbildungen lenken das Augenmerk auf Veränderungen im Handgelenk und den dort erforderlichen Maßnahmen (siehe Kap. Handwurzel).
Intraoperativ
Hygienestandards und allgemeine chirurgische Sorgfalt sind Hauptkriterien zur
Vermeidung von Risiken. Nur bedingt vermeidbar sind Probleme von nicht heilenden
Osteosynthesen, Materialbrüchen und fehlplanungsbedingten Radiuskopfreluxationen
durch inadäquate Analyse der Ausgangslage. Fettlappenplastiken haben eine hohe
Refusionsrate, weshalb diese bei der Behandlung der proximalen Unterarm-Synostosen
abzulehnen sind. Die das Ellenbogengelenk passierenden Unterarmhauptnerven können nicht immer vor temporären Neuropraxien durch Hakenzug geschützt werden.
Postoperativ
Eine postoperative Thromboseprophylaxe spielt bei den pädiatrischen Patienten keine
Rolle.
Das Hauptrisiko besteht in der Radiuskopfreluxation nach Rekonstruktionen, bei denen
besonders nach Bandplastik eine nicht ausreichende Ruhigstellung im Cast-Verband
stattfindet. Da der reponierte Radiuskopf zumeist mit einem transartikulären Kirschner-
Draht ruhiggestellt wird, kann dieser ohne Ruhigstellung dislozieren oder brechen. Wurde
allein auf eine ausreichende Bandplastik ohne/mit Ulnakorrekturosteotomie gesetzt, kann
dies bei zu früher Mobilisation vor oder nach Wundheilung aus dem Cast-Verband heraus
zur Kopfluxation führen. Eine zu lange Ruhigstellung über 6 Wochen hinaus kann
temporär zur Einsteifung des Ellenbogens führen, die im Allgemeinen bei Kindern und
Jugendlichen durch Krankengymnastik über ebenfalls einige Wochen gelöst werden kann.
Kongenitale Radiuskopfluxationen haben auch nach erfolgreicher Reposition und
Retention keine normalen Gelenkpartner, weshalb das Alter bei Operation wichtig ist.
Langjährige Nachmodellierungen des Organismus führen zu günstigen Adaptationen,
während bei fast Ausgewachsenen keine Kongruenzverbesserung etwaiger Dysplasien mehr zu erwarten ist.
34.3.3 Schlichtungsverfahren
Ausschließlich die nicht erkannte Radiuskopfluxation, isoliert oder im Rahmen der
Monteggia-Fraktur, war Anlass für 14 Antragsteller, bei der Norddeutschen
Schlichtungsstelle um eine Überprüfung zu bitten. In allen 14 Fällen mussten Gutachter und Schlichtungsstelle einen Diagnoseirrtum bzw. Diagnostikfehler feststellen.
34.4 Handwurzel
34.4.1 Spezifische Probleme der wachsenden Handwurzel
Tab. 34.4 Spezielle Komplikationen bei der Behandlung von Klumphand, Madelung-Deformität und transversaler
Fehlbildung.
Komplikation, Häufigkeit Vermeidbar Bedingt
vermeidbar
Unvermeidbar Prophylaxe (P),
bewährte
Therapiemöglichkeiten
(T)
Radiale Klumphand
Postoperative
Rezidivfehlstellung
10–35%
mangelnde
Redressionsbemühungen
im Kleinkindesalter
(Nachtlagerungsschiene
gegen Radialabduktion),
keine präoperative
Vorredression
postoperative
Rezidivfehlstellung
Finger-
/Handgelenkkontrakturen
P/T: frühe
Ergotherapie,
Operationsplanung:
Zentralisierung der
Ulna unter Os lunatum,
Radialisierung des
Karpus, zusätzlich Pollizisation Zeigefinger
Ulnare Klumphand
Schwere Beugekontrakturen
Ellenbogen, Rezidivfehlstellung
10–35%
Gefäß-/Nervenverletzung
mangelnde Redression
prä-/postoperativ (Tag-
/Nachtlagerungsschiene
gegen Ulnardeviation)
Gefäß- und
Nervenschädigung
hypoplastischer
Anlagen bei
Resektion des
ulnaren „Anlagen“-Stranges
Finger-
/Handgelenkkontrakturen,
Ellenbogenkontrakturen
P/T: frühe
Ergotherapie,
Operationsplanung:
Resektion des fibrösen
Bandes gegen
Progression der Ulnardeviation
Madelung-Deformität
Osteosyntheseassoziierte
Komplikationen (distale
Korrekturosteotomie
Radius/Verkürzungsosteotomie
Ulna)
Gefäß-/Nervenverletzung postoperative
Handgelenkkontrakturen
P:
Operationsindikation:
belastungsabhängige
Schmerzen
T:
Radiuskeilosteotomie
und Ulnaverkürzung,
Resektion Vickers-
Ligament
Transversale Fehlbildung Unterarm
Verpassen des
Zeitfensters zur
Gewöhnung an
prothetische Maßnahmen,
mangelnde Redression,
keine
„Patschhandprothese“,
mangelndes Myotraining
P/T:
ergotherapeutische
Kontrakturprophylaxe,
Verordnung einer
„Patschhandprothese“,
später: Myotraining,
danach: Eingewöhnung
in Myoelektrik mit entsprechender
Prothese
34.4.2 Kommentar
Präoperativ
In der guten Kenntnis und Planung etwaiger operativer Verfahren von
Handfehlbildungen liegt die beste Vermeidungsstrategie perioperativer Risiken.
Präoperative Redressionsbemühungen und die Anfertigung von Lagerungsschalen
gehören zu den primären Bemühungen und helfen, den operativen Eingriff günstig
vorzubereiten. Die Vermeidung von Kontrakturen hilft, spätere Zugschäden auf Nerven
und Gefäße bei der operativen Reposition der radialen und ulnaren Klumphand zu
minimieren. Prinzipiell gelten die gleichen präoperativen Risiken wie bei der Behandlung
des Klumpfußes.
Intraoperativ
Intraoperativ sind vor allem Risiken zu vermeiden, die aus der mangelnden Kenntnis der
pathologischen Anatomie, mangelnden Hygiene sowie ungenügenden Vorbereitung des
Operateurs auf die Problematik des fehlgebildeten Situs erwachsen. Demgegenüber sind
Gefäßspasmen nach längerer Präparation zusammen mit längerem Hakenzug bzw. Gefäß-„Loop“-Einsatz nicht immer vermeidbar.
Postoperativ
Kontrakturen von angrenzenden Gelenken nach ausgiebiger
Handgelenkrekonstruktion (Finger-, Ellenbogen-, Humeroradialgelenk) sind
gelegentlich unvermeidbar. Probleme müssen jeweils antizipiert und bei der Planung der
postoperativen Funktionalität der fehlgebildeten Hand vorsorglich mit den Eltern im
Rahmen der Aufklärung besprochen werden (Dokumentation!). Allgemeine chirurgische
Risiken wie Pseudarthrosen nach Handgelenkversteifung, postoperative Infektionen sowie
Durchblutungsstörungen der Hand müssen bedacht und im Operationsverlauf mit
höchstmöglicher Sorgfalt (Öffnen der Blutsperre zur Durchblutungskontrolle vor Abschluss der Operation) „unwahrscheinlich“ gemacht werden.
34.4.3 Schlichtungsverfahren
In den letzten 15 Jahren wurde die Norddeutsche Schlichtungsstelle lediglich bei 4
Fehlbildungen der Handwurzel wegen behandlungsbedingter Komplikationen
beansprucht. Bei der Rekonstruktion einer radialen Klumphand mit Fixateur externe
wurde die Strecksehne des Kleinfingers verletzt, nach Korrektur einer ulnaren Klumphand
entwickelte sich eine radioulnare Arthrose und bei 2 Madelung-Deformitäten wurden die
konservative Behandlung und eine Wundheilungsstörung moniert. Diese Vorgänge
wurden von der Schlichtungsstelle als bedingt vermeidbar oder unvermeidbar angesehen.
34.5 Hüftgelenk
34.5.1 Spezifische Probleme des wachsenden Hüftgelenks
Tab. 34.5 Spezielle Komplikationen bei der Behandlung von Epiphyseolysis capitis femoris, Morbus Perthes und
Hüftgelenkdysplasie.
Komplikation, Häufigkeit Vermeidbar Bedingt vermeidbar Unvermeidbar Prophylaxe (P), bewährte
Therapiemöglichkeiten (T)
Epiphyseolysis capitis femoris (ECF)
Diagnoseverzögerung:
8,5–19,8 Wochen
Fallgrube „Knie- und
Oberschenkelschmerzen“:
Unterlassung der
Hüftuntersuchung bei
primär anderslokalisierten
Beinschmerzen
verspätete Vorstellung
des Kindes durch die
Eltern: verbesserte
Elternaufklärung
P: ärztliche Fortbildung,
Elternaufklärung
T: Hüftuntersuchung bei
allen Knie-
/Oberschenkelschmerzen und Gangstörungen
Hüftkopfnekrose nach
ECF acuta:
6,6% bei frühem Handeln
ohne Manipulation
≤ 53% bei Manipulation und verzögertem Eingriff
Interventionszeit zwischen
Diagnosestellung und
Operationsbeginn kurz
halten, geschlossene
Manipulationen vermeiden
Störung der
Hüftkopfdurchblutung
beim Versuch der
offenen Reposition ohne
Kürzung der Schenkelhalslänge
komplett dislozierte
Epiphysenkappe trotz
vorsichtiger
Handhabung,
raschem Eingreifen und offener
Reposition
T: bei leicht abgerutschter
ECF acuta (< 30°) Fixation
in situ ohne Manipulation,
bei ECF acuta > 30° offene
Reposition, ggf. Schenkelhalsverkürzung
(Dunn)
Implantatprobleme:
Intraartikuläre
Implantatlage,
Plattenfehlsitz bei
Umstellungsosteotomien
6,1%
Probleme bei der
Materialentfernung ≤
70%
Prophylaktische Verschraubung
Gegenseite 0,7–2%
fehlerhafte Schraubenlage
durch inkorrekte
Bildwandlerposition,
nichtexakte präoperative
Planung der Korrekturosteotomie,
Unkenntnis des
Osteosynthesesystems
Verwendung von
kanülierten
Titanschrauben (MRT!)
ggf. unabdingbar,
prophylaktische Verschraubung der
Gegenseite durch
engmaschiges
Screening ohne
Operation ersetzbar
Bruch
eingewachsener
kanülierter
Titanschraubenköpfe
bei ME, Infektion und/oder
Hüftkopfnekrose
durch prophylaktische
Verschraubung bei
abgewogener
Indikation
P: genaue Kenntnis der
Blutversorgung Hüftkopf,
korrekte
Bildwandlerpositionierung,
exakte präoperative Planung der
Korrekturosteotomie,
Risikoabschätzung der ECF
der Gegenseite
Morbus Perthes
Unnötige Operation bei
33–50%
Beinlängendifferenz >
50%
Verbleibendes altersabhängiges Hinken
> 35%
Operation trotz gutem
Containment des Hüftkopfs
und guter Beweglichkeit
des Gelenks
Operation in Grauzonen
der Indikationsstellung
Beinverkürzung und
Rollhügelprominenz
bei indizierter
Containment-
Operation (DVO/PAO/BO* nach
Salter)
P: genaue Kenntnis der
Stadieneinteilung nach
Herring u. Catterall und
des Verlaufs der
Bewegungsfähigkeit
Hüftgelenkdysplasie
Diagnoseverzögerung:
verspäteter
Behandlungsbeginn
mangelhafte Kenntnis der
klinischen Untersuchung,
Ultraschalltechnik und
Dysplasieklassifikation
späte Präsentation des
Säuglings zur
Diagnostik und Therapie
durch die Kindeseltern
schleichende
Dysplasie und
Spätluxation bei
endogenen Faktoren
trotz initial günstigem Ultraschallbefund
P: gute Kenntnis klinischer
und sonografischer
Untersuchungstechniken,
flächendeckendes
Säuglings-Screening-Programm
Konservative Therapie:
Hüftkopfnekroserate bei
Reposition:
in Sitzhockstellung 0–2%,
in Abspreizgipsen 16–
27%
Repositionsverfahren mit
hoher Krafteinleitung
(Abspreizgipse),
gewaltsame, manuelle
Hüftkopfreposition
späte Präsentation zur
Repositions-
/Retentionsbehandlung
durch spätes Screening
trotz schonender
Pavlik-Repositions-
/Retentionsbandage
mit Abspreizschutz
(Human Position)
P/T: sanfte
Untersuchungs- und
Abspreizverfahren mit
limitierter
Bewegungsmöglichkeit des Hüftgelenks
Operative Therapie:
Hüftkopfnekroserate bei
offener Reposition:
8,4–22,2%
Durchtrennung von Retinakulumgefäßen bei
offener Reposition
Manipulation am Hüftkopf bei der
Reposition in die
Hüftpfanne
Druck/Spannung auf das Hüftgelenk beim
postoperativen
Anlegen des Becken-
Bein-Gipses
T: weitgehend druck-/spannungsfreie
Rekonstruktion des
Hüftgelenks unter Kenntnis
der Anatomie der
Säuglingshüfte
Septische Arthritis
Tab. 34.5 Spezielle Komplikationen bei der Behandlung von Epiphyseolysis capitis femoris, Morbus Perthes und Hüftgelenkdysplasie.
Komplikation, Häufigkeit Vermeidbar Bedingt vermeidbar Unvermeidbar Prophylaxe (P), bewährte
Therapiemöglichkeiten (T)
Verspätete
Diagnosestellung mit
irreparabler Schädigung der Wachstumsfuge und
des Knorpels (bei
Diagnose später als 5
Tage 66%)
Warten auf Veränderungen
im Röntgenbild,
Versäumnis einer Ergussdiagnostik mittels
Ultraschall
Fehlinterpretation
klinischer Zeichen
P: bei frühestem Verdacht:
Ultraschalldiagnostik,
Labordiagnostik
T: frühe Gelenkdrainage
und i.v. Antibiotikagabe
* DVO: Derotationsvarisierungsosteotomie, PAO: Periazetabuläre Osteotomie, BO: Beckenosteotomie
34.5.2 Kommentar
Präoperativ
Vermeidbare präoperative Fehlerquellen bei der Behandlung der Epiphyseolysis capitis femoris (ECF):
klinisches Fehldeuten der ersten Schmerzsymptome durch den Arzt
Ignoranz der Problematik durch die Eltern infolge mangelnder Aufklärung seitens
der Schul- und Kinderärzte und damit das Verkennen der ersten Anzeichen durch die zu Hause betreuenden Personen
Vermeidbare präoperative Fehlerquellen bei der Behandlung des Morbus Perthes:
Unkenntnis des Krankheitsverlaufs in Bezug auf die natürlichen Durchlaufstadien
dieser kindlichen Hüftkopfnekrose und ihren Zusammenhang mit der notwendigen
umgreifenden Einfassung des temporär erweichten Hüftkopfs in der Gelenkpfanne
unnötige Operationen bei gutem „Containment“ zusammen mit guter
Beweglichkeit des Gelenks
Vermeidbare präoperative Fehlerquellen bei der Behandlung der angeborenen
Hüftdysplasie:
verspätete klinische und ultrasonografische Initialdiagnostik jenseits der 1.,
spätestens aber nach der 6. Woche postpartum (U3)
mangelhafte Ultraschalldiagnostik der Säuglingshüfte in Zusammenhang mit
mangelnder Interpretation der klinischen und ultrasonografischen Befunde
fehlerhafte Planung der konservativen wie operativen Behandlungsstrategie,
insbesondere falscher Abspreizschienen aus Unkenntnis von Limitationen und Gefahren
Für die septische Koxitis des Säuglings bzw. Kleinkindes gilt als präoperatives
Hauptproblem die verspätete Diagnostik durch mangelnden Einsatz der richtigen Bildgebung und Verkennung der klinischen Zeichen.
Intraoperativ
Vermeidbare intraoperative Komplikationen bei der Epiphyseolysis capitis femoris
sind bei den leichten Lenta-Abrutschformen unter 30° die Fehllage der Schrauben und bei
den mittelgradigen Abrutschformen die Plattenfehllage nach Umstellungsosteotomie mit
den möglichen Folgen einer vorübergehenden oder dauernden Knorpelschädigung und
Kopfnekrose. Bei den Acuta-Formen verschiebt sich das Komplikationspotenzial in
Richtung Hüftkopfgefäßschädigung. Leichte Acuta-Epiphyseolysen sollten in situ mit
Schrauben oder Bohrdrähten fixiert werden; eine Flüssigkeitsdruckentlastung des
Gelenks hat zu erfolgen. Mittelschwere bis schwere akute Abrutschvorgänge sollten nicht
geschlossen, sondern stets offen reponiert werden unter besonderer Beachtung der
Blutgefäßlage. Eine Reposition unter Sicht sollte nur spannungsfrei, oft nur unter
Verkürzung des Schenkelhalses stattfinden, um die hochgradige Kopfnekrosegefahr zu
verringern, also bedingt zu vermeiden. Bei einer im Gelenk frei flottierenden
Hüftkopfepiphyse sind die Blutgefäße bei Eintreffen in der Klinik meist bereits zerstört
und eine Nekrose ist meist unvermeidbar, zumindest hochwahrscheinlich. Materialbrüche
bei der Entfernung der weit verbreiteten kanülierten Titanschrauben sind nur bedingt
vermeidbar. Da die Verlaufskontrolle der ECF oft das MRT erfordert, ist eine Titanschraube einer stabileren Stahlschraube wegen der Artefakte vorzuziehen.
Bei der operativen Versorgung des Morbus Perthes sind Beinverkürzungen und
Rollhügelverschiebungen nicht vermeidbar; vermeidbar ist wie bei anderen Umstellungsosteotomien die Implantatfehllage durch sorgfältige Operationsdurchführung.
Die Reposition des Hüftkopfs bei der operativen Behandlung der Hüftdysplasie kann
offen und geschlossen erfolgen. Alle Manipulationen am offenen Hüftgelenk bergen die
nur bedingt vermeidbare Gefahr der Kopfnekroseentwicklung durch direkten oder
indirekten Zug auf die Retinakulumgefäße; vermeidbar ist allein die scharfe
Durchtrennung der Hüftkopfgefäße. Viele temporäre leichtere Durchblutungsstörungen
(Hüftkopfnekrose Grad 1 und 2 nach Tönnis) restituieren sich komplett. Die
geschlossenen Verfahren schließen die vermeidbaren Gefahren der Materialfehllage und
der Folgen einer mangelnden präoperativen Planung ein sowie die nur bedingt vermeidbaren Gefahren des Korrekturverlusts, des sekundären Materialbruchs.
Postoperativ
Bei der Epiphyseolysis capitis femoris kann es postoperativ vermeidbar zu massiven,
schmerzbedingten Bewegungsstörungen durch Schraubenfehllagen kommen.
Chondrolysen und Gelenknekrosen können unmittelbare Folgen sein. Durch die
Hüftkopfnekrose bedingte Bewegungseinschränkungen sind bei der Behandlung der
Acuta-Formen, insbesondere bei starkem Abrutschen nur bedingt vermeidbar bzw.
unvermeidbar. Korrekturosteotomien, seien sie extraartikulär (Imhäuser-Osteotomie)
oder intraartikulär (Dunn-Osteotomie), haben alle nur bedingt bzw. nicht vermeidbare Risiken großer Gelenkchirurgie:
Nachblutungen
Korrekturverluste
Infektionen
Materialbrüche
Durchblutungsstörungen mit sekundären Hüftkopfdeformitäten
Damit verbunden ist die Notwendigkeit von Folgeeingriffen.
Gerade die Behandlung der Hüftdysplasie des Säuglings und Kleinkindes beinhaltet
nicht immer vermeidbare Komplikationen der Gipsfixation (Becken-Bein-Fuß-Gips) mit
Druckstellenpotenzial. Hüftnahe Nerven werden gerade bei den
Beckenkorrekturosteotomien (Beckenosteotomie nach Salter/periazetabuläre Osteotomie
nach Ganz) durch die Hakenstellung, aber auch durch Knochenstreckenverlängerung
gedehnt und erleiden eine meist temporäre Neuropraxie. Repositionsverluste nach
offenen Einstellungen der Säuglingshüfte werden in 2–4% der Fälle gesehen und sind
durch adäquate Retentionsmaßnahmen mit Kapsel-Band-Plastiken oder früher durch
temporäre Drahtfixation bedingt vermeidbar. Eine postoperative Hüftkopfnekrose bei der
offenen, sanften Epiphysenreposition bei der ECF acuta wie auch bei der schonenden,
spannungsfreien Reposition einer mäßiggradigen Hüftluxation kann bedingt vermieden
werden. Gelegentlich muss zum Erreichen dieses Zieles eine präoperative Overhead-
Extension bei der höheren Hüftluxation oder eine kurzfristige Längsextension bei massiver ECF acuta durchgeführt werden.
34.5.3 Schlichtungsverfahren
Im 20-Jahres-Zeitraum 1992 bis 2012 wurden durch die Norddeutsche Schlichtungsstelle
76 Anträge wegen vermuteter Fehler bei Diagnostik, Behandlung und Nachbehandlung
einer Epiphyseolysis capitis femoris bearbeitet. Eingeschlossen sind 39
Schlichtungsverfahren, deren Ergebnisse bereits veröffentlicht sind (Püschmann et al.
2008).
Vermeidbar fehlerhaft wurden von den externen Gutachtern und der Schlichtungsstelle
folgende Komplikationen gewertet:
unterlassene Röntgendiagnostik: 25 von 28 Fällen
falsche Bewertung der primären Röntgenbilder: 11 von 15 Fällen
operationstechnisch fehlerhaftes Vorgehen (Fehlplatzierung der Implantate): 12 von 16 Fällen
vorzeitige oder unvollständige Implantatentfernung: 7 von 10 Fällen
Weitere unvermeidbare Komplikationen waren die Implantatwanderung, temporäre Nervenläsion, Infektion, Hüftkopfnekrose und Ossifikation in 7 Fällen.
19 Anträge wegen vermeintlicher Diagnostik- und Behandlungsfehler eines Morbus
Perthes erreichten die Schlichtungsstelle. 8 derartige Erkrankungen wurden nicht
erkannt und einer Coxitis fugax oder Gelenkdysplasie zugeordnet. Da den Krankenakten
die typischen klinischen Zeichen eines Morbus Perthes nicht zu entnehmen waren,
wurden die Diagnoseirrtümer als nicht vermeidbar gewertet. Die früher geübte
Hüftentlastung im Thomas-Splint in 4 Fällen ist nach heutiger Auffassung obsolet, war
aber in der damaligen Zeit medizinischer Standard und deshalb nicht fehlerhaft. Sonstige
bedingt oder nicht vermeidbare Komplikationen waren Beinverkürzungen, passagere
Ischiadikusparesen, fortbestehende Beschwerden und operationstechnische Besonderheiten.
Auch in 41 Schlichtungsanträgen bezüglich einer kongenitalen Hüftdysplasie wurden
als Hauptprobleme Diagnostik- und Behandlungsfehler genannt. Bei 29 Säuglingen wurde
die Hüftdysplasie verspätet oder nicht erkannt. Als vermeidbar fehlerhaft wurde von der
Schlichtungsstelle in 17 Fällen die unterlassene oder fehlerhaft durchgeführte
Hüftsonografie bei der U2- und U3-Vorsorgeuntersuchung gesehen. Bei weiteren 12
Fällen war die schlechte Bildqualität zu bemängeln und als bedingt fehlerhaft zu
würdigen. 3 von 6 konservativen Dysplasiebehandlungen mussten wegen fehlender
Indikation (keine Dysplasie), zu engem Gipsverband und einer zu langen Fettweis-
Gipsfixation als vermeidbar eingestuft werden. Bei den operativen Therapieverfahren
waren die Übertherapie (Tripleosteotomie Becken), die Pfannendachplastik statt
Varisierungsosteotomie, eine Hüftkopfnekrose und ein Dehnungsschaden des Ischiasnervs als bedingt oder nicht vermeidbar anzusehen.
2 Säuglingskoxitiden wurden fehlerhaft verspätet erkannt trotz eindeutiger Symptome.
34.6 Kniegelenk
34.6.1 Spezifische Probleme des wachsenden Kniegelenks
Tab. 34.6 Spezielle Komplikationen bei der Behandlung von Patellaluxation und Osteochondrosis dissecans.
Komplikation, Häufigkeit Vermeidbar Bedingt vermeidbar Unvermeidbar Prophylaxe (P), bewährte
Therapiemöglichkeiten (T)
Patellaluxation
Präoperativ:
Reluxation nach
konservativer Therapie der
Erstluxation 15–44%
konservative Behandlung der
Erstluxation bei
knöchernem
Retinakulumausriss,
unterlassener
konservativer
Behandlungsversuch
bei Reluxation
ungenügendes Auftrainieren des M.
vastus medialis (bei
habitueller Luxation)
persistierende Patellainstabilität bei
Gleitlagerdysplasie
P: exakte Anamnese, Kenntnisse der
Luxationstypen, exakte
Röntgenvermessung,
Rotationsbestimmung durch
MRT/CT bei
Operationsplanung
Intraoperativ:
Knorpel-/Gefäßverletzung
falsche
Operationstechnik
(Tuberositasversetzung
bei offener
Wachstumsfuge),
Verletzung des
lateralen proximalen
Gefäßbündels bei Retinakulumspaltung
Vermeidung langer
Operationszeit zur
Infektverminderung,
möglichst
arthroskopische
Operationstechniken
Reluxation der Patella
trotz aller
Vorkehrungsmaßnahmen
P: korrekte
Operationsplanung, kurze
Operationszeit
T: Retinakulumnaht bzw.
Refixation Knochenausriss,
befundadaptierte
Patellafesselung
Postoperativ:
Nachblutung nach lateralem
Release ≤ 15%
Gelenkinfekt 1,5%
Patellofemoraler
Knorpelschaden ≤ 41%
Reluxation ≤ 23%
Nachblutung bei
gedeckter („blinder“)
lateraler
Retinakulumspaltung
zu rasche
Rekonvaleszenz
nach
arthroskopischer
Retinakulumnaht bzw.
Patellafesselung
(Patellareluxation)
Arthrose/Knorpelschaden
Gleitlager bei häufigen
Luxationsereignissen
P: Schonung der
Retinakulumgefäße bei
lateralem Release
T: moderate
Zügelungstechniken mit
intraoperativer
Patellalaufkontrolle,
Vermeidung hoher
retropatellarer Drücke
Osteochondrosis dissecans
Präoperative prämature
Dissekatdislokation, freier
Gelenkkörper
Fehleinschätzung eines
bekannten klinisch
symptomatischen
Herdbefunds in
Röntgenbild und MRT
zu späte Präsentation
beim Arzt
P: Röntgen- und MRT-
Diagnostik bei Verdacht,
kritische
Behandlungsindikation
T: arthroskopische
befundadaptierte
Maßnahmen
Autologe
Chondrozytentransplantation
(ACT):
Transplantatversagen/-ablösung 6%
Transplantathypertrophie
11%
ungenügende
Vorbereitung des
Transplantatgrunds
mit persistierender
Sklerosezone,
fehlende
Spongiosaplastik
avitale oder mindervitale
Transplantatzellen
P: systematisches
zertifiziertes ACT-
Management
T: Mini-Open-Zugang, Skleroseentfernung und
Spongiosaplastik/Anbohrung
bis in gesundes Gewebe,
korrekte Fixierung der
Chondrozyten
34.6.2 Kommentar
Präoperativ
Vermeidbare präoperative Fehlerquellen bei der Patellaluxation sind die nicht
ausgeschöpfte konservative Therapie und die ungenaue Untersuchung der
Pathobiomechanik mit fehlerhafter Indikation und Planung des Operationsverfahrens.
Gleichermaßen muss die Patientenaufklärung den Aspekt der gelegentlich unvermeidbaren Reluxation beinhalten.
Bei allen Verfahren, die in der Aufklärung zu operativen knorpeladressierenden
Maßnahmen bei Osteochondrosis dissecans besprochen werden, muss deren
mögliches Versagen geschildert werden. Insbesondere die Desintegration bzw.
Hypertrophie eines Knorpeltransplantats bei der autologen Chondrozytentransplantation
(ACT) gilt als gelegentlich unvermeidbar (Dokumentation auch des Versagerrisikos!).
Intraoperativ
Bei der Patellaluxation kann die vermeidbare Hauptkomplikation in der Anwendung des
falschen Operationsverfahrens liegen, wodurch Reluxationen begünstigt werden (z.B.
lediglich weichteiliges Verfahren trotz Trochleahypoplasie und stark erhöhtem Q-Winkel
beim ausgewachsenen Jugendlichen). Viele minimalinvasive oder arthroskopische
Operationsverfahren stehen zur Vermeidung einer postoperativen
Bewegungseinschränkung des Gelenks zur Verfügung. Allerdings können gedeckte Spaltungen des lateralen Retinakulums zu starken Nachblutungen führen.
Merke
Das Hämarthros durch Verletzung des lateralen superioren Gefäßbündels ist die häufigste Komplikation nach offenem/arthroskopischem lateralen Release.
Die autologe Chondrozytentransplantation in der Behandlung der ausgeprägten
Osteochondrosis dissecans des Kniegelenks kann weitgehend unvermeidbar zu Transplantatproblemen wie sekundärer Ablösung oder störender Hypertrophie führen.
Postoperativ
Neben allgemeinen chirurgischen Risiken, Verletzung der Hygienemaßnahmen und
generellen Verfahrensfehlern ist nach der Behandlung der Patellaluxation die
Reluxation mit und ohne Knorpelschaden die unangenehmste und gelegentlich
unvermeidbare Komplikation. Daneben sind die direkt postoperative langwierige
Bewegungseinschränkung und die bei zu straffer Zügelung auftretende Früharthrose des femoropatellaren Gleitlagers problematisch.
Das postoperative Rezidiv der Osteochondrosis dissecans nach Herdanbohrung
(Pridie-Bohrung) oder Ablösung bzw. Hypertrophie des Chondrozytentransplantats wurde
weiter oben erörtert.
34.6.3 Schlichtungsverfahren
In den letzten 15 Jahren wurden 52 Anträge an die Norddeutsche Schlichtungsstelle
gestellt wegen vermeintlich fehlerhafter operativer Behandlung von rezidivierenden bzw.
habituellen Patellaluxationen. 24 dieser Luxationen betrafen Jugendliche: 5 traumatische und 19 habituelle Luxationen/Subluxationen.
Bei den 5 traumatischen Luxationen wurde jeweils die Naht des rupturierten bzw.
ausgerissenen medialen Retinakulums durchgeführt. 3 Kniescheiben reluxierten. Bei den
habituellen Luxationen wurden Beugehemmungen fast ausnahmslos nach der
Tuberositasversetzung bei ausgewachsenen Jugendlichen beklagt (4/7). Reluxationen
fanden sich sowohl nach lateralem Release mit/ohne medialer Retinakulumraffung (4/4)
wie auch nach der Tuberositasversetzung (4/7). Bei 3 Medialisierungen eines
abgespaltenen Patellarsehnenanteils (Operation nach Goldthwait) war in einem Fall der
N. peroneus passager geschädigt. Eine Drehosteotomie des distalen Femurs und eine
MPFL-Rekonstruktion waren korrekt durchgeführt worden. 3 lokale Infekte waren zu
verzeichnen. In keinem Fall wurde von den externen Gutachtern und der Schlichtungsstelle ein fehlerhaftes Vorgehen gesehen.
13 Schlichtungsanträge wurden wegen eines vermuteten Diagnoseirrtums oder
Behandlungsfehlers einer Osteochondrosis dissecans des Kniegelenks eingereicht. In
4 Fällen verhinderte eine nicht optimale Röntgenbildqualität die Diagnosestellung. 2
Dissekate wurden entfernt, eines refixiert. Das Dissekatbett wurde durch Knorpel-
Knochen-Zylinder gefüllt (Mosaikplastik), wobei in 3 von 4 Fällen eine Desintegration und
im 4. Fall eine Fehlplatzierung des Zylinders zu verzeichnen waren. Ein Hämarthros und
ein Infekt traten auf. Die Schlichtungsstelle sah lediglich die Fehlplatzierung des Knorpel-
Knochen-Zylinders als fehlerhaft vermeidbar an.
34.7 Fuß
34.7.1 Spezifische Probleme des wachsenden Fußes
Tab. 34.7 Spezielle Komplikationen bei der Behandlung von Klumpfuß, flexiblem Knick-Plattfuß und Talus
verticalis.
Komplikation,
Häufigkeit
Vermeidbar Bedingt vermeidbar Unvermeidbar Prophylaxe (P), bewährte
Therapiemöglichkeiten (T)
Klumpfuß
Präoperativ:
Talusschaden durch
aggressive
konservative Therapie
fehlerhafte
Indikationsstellung (konservativ/operativ),
Planung einer
ausgedehnten
peritalaren Arthrolyse
beim jungen Kind ohne
konservative
Vorredression
ungenaue präoperative
Klassifikation der postnatalen Fußdeformität,
Druckstellen im seriellen
präoperativen Cast
zu später
Behandlungsbeginn bei Spätvorstellung
der Patienten mit
konsekutiv hoher
Rigidität des Fußes
P: Klassifizierung des
Klumpfußes nach Dimeglio I–IV
T: gleich nach Geburt
Etappenredressement
(Ponseti) des Vorfußes mit
Tape-/Cast-/Gipsmaterial
Intraoperativ:
Gewebeschäden
Nerven-
/Gefäßverletzung durch
fehlerhafte Präparation
Druckstellen durch
Tourniquet, Dislokation
Kirschner-Draht
Gefäßspasmen durch
armiertes Wegziehen
des Gefäß-Nerven-
Bündels
P: schonende
Gewebepräparation
(Lupenbrille)
T: Stadium Dimeglio I–III: Achillessehnentenotomie,
danach Redression durch
Gipse, Schienen, Orthesen;
Dimeglio IV: peritalare
Arthrolyse, danach
Etappenredressement
Postoperativ:
Fehlendes
Etappenredressement
mit seriellen Cast-
Verbänden und Druckschädigung des
Talusknorpels,
Wundheilungsstörung,
Gewebeschwellung,
Narbenkeloid
Druckstellen im Cast-
(Gips)-Verband,
Durchblutungsstörung
Fuß
Talusdeformität („Flat-Top-
Talus“) durch aggressive
Redressionsmaßnahmen,
postoperative
Bewegungsstörung mit
frühem Rezidiv, Tourniquet-
Hautnekrosen am
Oberschenkel
Wundheilungsstörung
und Spätrezidiv im 3.–
5. Lebensjahr durch
schnelles Wachstum,
Narbenkeloide nach
sekundärer
Wundheilung
P: Vermeidung des
Spitzfußausgleichs im
präoperativen
Etappenredressement
T: postoperative Etappengipse bei
peritalarem Release,
intermittierende frühe
Bewegungstherapie
(Zukunft-Huber) beim Cast-
Wechsel
Flexibler Knick-Plattfuß
Präoperativ unterlassener konservativer
Behandlungsversuch
mit Orthesen und
Einlagen bis zum 7.–
10. Lebensjahr
P: exakte Kenntnis der kindlichen Fußentwicklung
und deren Varianten
T: konservatives Vorgehen
in 1. Lebensdekade,
Trainingstherapie, selten Orthesen
Intraoperativ:
Über-/Unterkorrektur,
operationsbedingte
Störungen
unterlassene Analyse
der Deformität mit
falscher
operationsbezogener
Differenzialindikation, Gefäß-
/Nervenverletzungen
Schrauben-
/Drahtfehlplatzierung, Non-
Union bei
Knochenspanfehlplatzierung
T: bei guter Flexibilität und
jungen Jahren (8.–10.
Lebensjahr) Kalkaneus-
Stopp-Schraube, später
(11.–17. Lebensjahr) Kalkaneus-(Evans-
Operation) und
Achillessehnenverlängerung
Postoperativ:
Nahtdehiszenz,
Korrekturverlust,
Rückfuß-Varus
Evans-Operation:
mangelnde Einheilung
Knochenspan, Luxation Kalkaneokuboidalgelenk
ohne Fixation, Kalkaneus-
Stopp-Schraube:
Einbringung in
Überkorrektur
Wundheilungsstörung,
Nahtdehiszenz,
Schmerzhaftigkeit bei Belastung, Hämatom
an Donor-Stelle
Knochenspan
T: spongiöse
Einheilungsflächen für
Knochenspan herstellen, Überkorrekturstellung im
Cast-Verband, später
Tibiakopfabstützung
(Sarmiento-Cast)
Talus verticalis
Korrekturverlust durch
Taluskopfreluxation
Reluxation des
rekonstruierten Talonavikulargelenks
T: nach offener
Rekonstruktion des sog. Pfannenbands temporäre
Drahtfixation, Spitzfuß-Cast,
später Orthesen mit
Tab. 34.7 Spezielle Komplikationen bei der Behandlung von Klumpfuß, flexiblem Knick-Plattfuß und Talus verticalis.
Komplikation,
Häufigkeit
Vermeidbar Bedingt vermeidbar Unvermeidbar Prophylaxe (P), bewährte
Therapiemöglichkeiten (T)
Stützung des
Längsgewölbes
34.7.2 Kommentar
Präoperativ
Die Fehler in der konservativen Therapie des Säuglingsklumpfußes liegen primär in der
zu aggressiven, druckbetonten Durchführung der einzelnen Etappen des Redressements
in Cast-Verbänden. Insbesondere der unkritische Versuch der Korrektur der Equinus-
Komponente führt zu späteren Wachstumsschäden des Talus („Flat-Top-Talus“) mit
Störung der Gangabwicklung. Säuglingsklumpfüße mit guter Korrektur der Varus-,
Adduktions-und Supinationskomponente bei Reposition des Talonavikulargelenks neigen
zu geringeren Spätrezidiven. Die Entscheidung zur Achillotomie bei guten
Redressionsverläufen, aber auch Abbruch der konservativen Behandlung und frühzeitige
(8.–12. Lebenswoche) peritalare Arthrolyse gehören zur erforderlichen guten Praxis der
Klumpfußtherapie.
Die Entscheidung, flexible Plattfüße operativ zu behandeln, sollte äußerst
zurückhaltend getroffen werden. Vielfältige Entwicklungsvarianten in der 1.
Lebensdekade geben Anlass zum konservativen Vorgehen. Füße, die keine
Entwicklungstendenz zu einem günstigen Längsgewölbe zeigen und zudem schmerzen, sollten operiert werden.
Der Talus verticalis muss nach kurzer Redressionsphase frühzeitig meist im 1.
Lebensjahr vor Erreichen des Gehens operiert werden. Fehleinschätzung der Problematik dieses Krankheitsbildes führt zu schweren Deformitäten.
Intraoperativ
Vermeidbare Komplikationen betreffen Hygienestandards und chirurgisch-präparative
Fähigkeiten. Filigrane Verhältnisse am Säuglingsfuß, besonders beim peritalaren Release
des Klumpfußes und des Talus verticalis, erfordern besondere Kenntnisse der
Anatomie und eine Lupenbrille. Nur bedingt vermeidbar sind postoperative
Gefäßspasmen des tibialen Gefäßbündels durch zu lange Operationszeiten. Hier ist
zwingend vor Wundverschluss der Durchblutungsstatus des Fußes in verschiedenen
Redressionsstellungen für den Cast-Verband zu prüfen. Der initiale Cast-Verband sollte keinesfalls die maximal erreichbare Korrektur des Fußes erzwingen.
Intraoperative Störungen bei der Kalkaneusverlängerung (Evans-Operation) betreffen vor allem den Verschluss der Zugangswege durch Gewebespannung.
Postoperativ
Postoperativ spielen in allen Altersgruppen die Wundheilungsstörungen
(Wundrandnekrosen) infolge der Gewebeschwellung die größte Rolle. Trotz sorgfältigster
Präparation scheinen diese in ca. 10–15% der Fälle unvermeidbar zu sein. Die
Infektionsrate liegt mit 0,5–1% durchaus im zu erwartenden Durchschnitt, wobei tiefe
Infektionen mit 0,1% selten sind. Die genaue Trennung zwischen einer sich sekundär
mechanisch öffnenden Wunde mit sekundärer Hautkontamination und einer
infektbedingten insuffizienten Naht ist schwer. Narbenkeloide nach sekundär geheilten
Wunden sind häufig und stören die erzielte Korrektur des Fußes zum Teil erheblich.
Durchblutungsstörungen des gesamten Säuglingsfußes gehören zu den absolut
vermeidbaren Komplikationen und sollten trotz ihrer Seltenheit die größte Sorge des
Operateurs nach Öffnen der Blutsperre sein. Druckschädigungen der Oberschenkelhaut,
insbesondere nach Tourniquet-Anwendungen mit möglicherweise feuchter Kammer durch
Desinfektionsmittel, gehören zu den seltenen, bedingt vermeidbaren Komplikationen.
Einzelfälle mit der Notwendigkeit von Hautplastiken sind beschrieben.
34.7.3 Schlichtungsverfahren
In 13 Anträgen an die Norddeutsche Schlichtungsstelle wurde die Behandlung des
angeborenen Klumpfußes moniert. Bei 2 redressierenden Gipsverbänden war einmal
das Anlegen eines Unter- statt Oberschenkelgipses vermeidbar fehlerhaft, zum anderen
die Hautverletzung beim Aufsägen des Gipsverbands. Die Achillessehnenverlängerung
führte in einem von 5 Fällen wegen mangelhafter Redression im Gipsverband zum
bedingt vermeidbaren Spitzfußrezidiv. Bei 4 peritalaren Arthrolysen kam es einmal zur
bedingt vermeidbaren temporären Durchblutungsstörung des Fußes, einmal zu
vermeidbaren Drucknekrosen im Gipsverband. Hautschäden unter der
Blutsperremanschette waren in 2 Fällen sichtbar und wurden in einem Fall als fehlerhaft vermeidbar beurteilt wegen eines zu hohen Manschettendrucks.
Die vermutete operative Fehlbehandlung des Knick-Plattfußes war 4
Schlichtungsanträgen zu entnehmen. Dabei kam es nach Entfernung der Kalkaneus-
Stopp-Schraube zum Rezidiv und nach unvollständiger Einheilung eines Knochenkeils zur
Pseudarthrose. Die Lösung einer talokalkanearen Koalition führte zu keiner Veränderung
der Fußdeformität. Die weichteilige Korrektur eines kontrakten Knick-Plattfußes mit Sehnenversetzung war vermeidbar nicht indiziert.