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Konrad Reif (Hrsg.)
Fahrstabilisierungssysteme und Fahrerassistenzsysteme
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Konrad Reif (Hrsg.)
Fahrstabilisierungs-systeme und FahrerassistenzsystemeMit 199 Abbildungen
Bosch Fachinformation Automobil
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Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Der Inhalt dieses Buches erschien bisher unter den Titeln:Fahrstabilisierungssysteme Fahrerassistenzsystemeherausgegeben von der Robert Bosch GmbH, Plochingen
1. Auflage 2010
Alle Rechte vorbehalten© Vieweg+Teubner Verlag |Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
Lektorat: Christian Kannenberg | Elisabeth Lange
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Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, HeidelbergTechnische Redaktion: Gabriele McLemoreSatz: FROMM MediaDesign, Selters/Ts.Druck und buchbinderische Verarbeitung: MercedesDruck, BerlinGedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier.Printed in Germany
ISBN 978-3-8348-1314-5
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Vorwort Ӏ 5
Vorwort
Die Technik im Kraftfahrzeug hat sich in den letzten Jahrzehnten stetig weiterentwickelt. Der Einzelne, der beruflich mit dem Thema beschäftigt ist, muss immer mehr tun, um mit diesen Neu-erungen Schritt zu halten. Mittlerweile spielen viele neue Themen der Wissenschaft und Technik in Kraftfahrzeugen eine große Rolle. Dies sind nicht nur neue Themen aus der klassischen Fahr-zeug- und Motorentechnik, sondern auch aus der Elektronik und aus der Informationstechnik. Diese Themen sind zwar für sich in unterschiedlichen Publikationen gedruckt oder im Internet dokumentiert, also prinzipiell für jeden verfügbar; jedoch ist für jemanden, der sich neu in ein Thema einarbeiten will, die Fülle der Literatur häufig weder überblickbar noch in der dafür verfüg-baren Zeit lesbar. Aufgrund der verschiedenen beruflichen Tätigkeiten in der Automobil- und Zulieferindustrie sind zudem unterschiedlich tiefe Ausführungen gefragt.
Gerade heute ist es so wichtig wie früher: Wer die Entwicklung mit gestalten will, muss sich mit den grundlegenden wichtigen Themen gut auskennen. Hierbei sind nicht nur die Hochschulen mit den Studienangeboten und die Arbeitgeber mit Weiterbildungsmaßnahmen in der Pflicht. Der rasche Technologiewechsel zwingt zum lebenslangen Lernen, auch in Form des Selbststudiums.
Hier setzt die Schriftenreihe „Bosch Fachinformation Automobil“ an. Sie bietet eine umfassen-de und einheitliche Darstellung wichtiger Themen aus der Kraftfahrzeugtechnik in kompakter, verständlicher und praxisrelevanter Form. Dies ist dadurch möglich, dass die Inhalte von Fachleu-ten verfasst wurden, die in den Entwicklungsabteilungen von Bosch an genau den dargestellten Themen arbeiten. Die Schriftenreihe ist so gestaltet, dass sich auch ein Leser zurechtfindet, für den das Thema neu ist. Die Kapitel sind in einer Zeit lesbar, die auch ein sehr beschäftigter Ar-beitnehmer dafür aufbringen kann.
Die Basis der Reihe sind die fünf bewährten, gebundenen Fachbücher. Sie ermöglichen einen umfassenden Einblick in das jeweilige Themengebiet. Anwendungsbezogene Darstellungen, an-schauliche und aufwendig gestaltete Bilder ermöglichen den leichten Einstieg. Für den Bedarf an inhaltlich enger zugeschnittenen Themenbereichen bietet die siebenbändige broschierte Rei-he das richtige Angebot. Mit deutlich reduziertem Umfang, aber gleicher detaillierter Darstellung, ist das Hintergrundwissen zu konkreten Aufgabenstellungen professionell erklärt. Die schnelle Bereitstellung zielgerichteter Information zu thematisch abgegrenzten Wissensgebieten sind das Kennzeichen der 92 Einzelkapitel, die als pdf-Download zur sofortigen Nutzung bereitstehen. Eine individuelle Auswahl ermöglicht die Zusammenstellung nach eigenem Bedarf.
Im Laufe der Neukonzeption dieser Schriftenreihe ist es nicht möglich, alle Produkte gleichzei-tig inhaltlich neu zu bearbeiten. Dies geschieht demnach Zug um Zug.
Der vorliegende Band „Fahrstabilisierungssysteme und Fahrerassistenzsysteme“ behandelt Fahrsicherheit im Kraftfahrzeug, Grundlagen der Fahrphysik, Systeme zur Fahrzeugstabilisierung, automatische Bremsfunktionen und zugehörige Sensoren. Ferner werden Grundlagen der Fah-rerassistenzsysteme, Mensch-Maschine-Interaktion, Sensorik für Fahrzeugrundumsicht, Einpark-systeme, Adaptive Cruise Control (ACC), Sicherheitssysteme, Fahrzeugnavigation, videobasier-te Systeme und Nachtsichtsysteme behandelt. Er setzt sich aus den früheren gelben Heften „Fahrstabilisierungssysteme“ und „Fahrerassistenzsysteme“ in der bisherigen Form zusammen. So kommt es an manchen Stellen zu Überschneidungen und Redundanzen. Eine inhaltliche Neu-bearbeitung wird folgen. Neu erstellt wurde das Stichwortverzeichnis, um die Inhalte dieses Buchs rasch zu erschließen.
Friedrichshafen, im Juni 2010 Konrad Reif
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6 Ӏ Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Fahrsicherheit im KraftfahrzeugSicherheitssysteme ....................................................................................................................................... 10Grundlagen des Fahrens .............................................................................................................................. 12
Grundlagen der Fahrphysik Reifen ................................................................................................................................................................ 20Kräfte und Momente am Fahrzeug ............................................................................................................. 23Fahrzeuglängsdynamik ................................................................................................................................. 30Fahrzeugquerdynamik ................................................................................................................................... 32
Antiblockiersystem ABSSystemübersicht ............................................................................................................................................. 34Anforderungen an das ABS ......................................................................................................................... 36Dynamik des gebremsten Rades ................................................................................................................ 37ABS-Regelkreis .............................................................................................................................................. 38Typische Regelzyklen .................................................................................................................................... 42
Antriebsschlupfregelung ASRAufgaben .......................................................................................................................................................... 50Funktionsbeschreibung ................................................................................................................................ 50Struktur des ASR ........................................................................................................................................... 52Typische Regelsituationen ........................................................................................................................... 53ASR für allradgetriebene Fahrzeuge .......................................................................................................... 54
Elektronisches Stabilitäts-Programm ESPAnforderungen ................................................................................................................................................ 58Aufgaben und Arbeitsweise ......................................................................................................................... 59Fahrmanöver .................................................................................................................................................... 60Gesamtregelkreis und Regelgrößen .......................................................................................................... 68
Automatische BremsfunktionenÜbersicht .......................................................................................................................................................... 74Standardfunktion ............................................................................................................................................ 76Zusatzfunktionen ............................................................................................................................................ 78
SensorenEinsatz im Kraftfahrzeug ............................................................................................................................... 84Raddrehzahlsensoren ................................................................................................................................... 86Hall-Beschleunigungssensoren .................................................................................................................. 90Mikromechanische Drehratesensoren ....................................................................................................... 92Lenkradwinkelsensoren ................................................................................................................................ 94
HydroaggregatEntwicklungsgeschichte ............................................................................................................................... 96Aufbau .............................................................................................................................................................. 97Druckmodulation ............................................................................................................................................ 100
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Inhaltsverzeichnis Ӏ 7
Fahrerassistenzsysteme Motivation für den Einsatz von Fahrerassistenzsystemen ..................................................................... 104Klassifizierung von fahrerunterstützenden Systemen ............................................................................. 107Das sensitive Auto ......................................................................................................................................... 109Ausblick ............................................................................................................................................................ 112Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen .............................................................................................. 116
Mensch-Maschine-Interaktion bei Fahrerassistenzsystemen Interaktionskanäle .......................................................................................................................................... 122Mensch-Maschine-Interface ........................................................................................................................ 123Aspekte von Anmeldungen .......................................................................................................................... 127Entwicklung für das HMI künftiger FAS/FIS ............................................................................................ 129
Sensorik für Fahrzeugrundumsicht Übersicht .......................................................................................................................................................... 130Ultraschalltechnik ........................................................................................................................................... 131Radartechnik ................................................................................................................................................... 133Lidar .................................................................................................................................................................. 141Videotechnik .................................................................................................................................................... 142Range-Imager-Technik ................................................................................................................................... 145
Systeme zur Fahrzeugstabilisierung Fahrstabilisierungssysteme ......................................................................................................................... 146Automatische Bremsfunktionen .................................................................................................................. 150
Einparksysteme Einparkhilfe ...................................................................................................................................................... 152Einparkassistent ............................................................................................................................................. 155
Adaptive Cruise Control (ACC) Systemübersicht ............................................................................................................................................. 158Systemverbund ............................................................................................................................................... 160Sensorik für ACC ........................................................................................................................................... 162Detektion und Objektauswahl ..................................................................................................................... 163ACC-Funktion ................................................................................................................................................. 167Bedienung und Anzeige ............................................................................................................................... 169Funktionsgrenzen ........................................................................................................................................... 172Sicherheitskonzept ........................................................................................................................................ 174Weiterentwicklungen ..................................................................................................................................... 175
Sicherheitssysteme Insassenschutzsysteme ................................................................................................................................ 176Prädiktive Sicherheitssysteme (PSS) ........................................................................................................ 188Fußgängerschutz ............................................................................................................................................ 191
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8 Ӏ Inhaltsverzeichnis
Fahrzeugnavigation Navigationsgeräte .......................................................................................................................................... 192Ortung .............................................................................................................................................................. 193Zielauswahl ...................................................................................................................................................... 196Routenberechnung ........................................................................................................................................ 197Zielführung ....................................................................................................................................................... 198Digitale Karte .................................................................................................................................................. 199Verkehrstelematik ........................................................................................................................................... 200
Videobasierte SystemeBildverarbeitungssystem .............................................................................................................................. 204Spurverlassenswarner und Spurhalteassistent ....................................................................................... 206Verkehrszeichenerkennung .......................................................................................................................... 207Videobasierte Systeme – Ausblick ............................................................................................................. 208
NachtsichtsystemeFern-Infrarot-System (FIR) ............................................................................................................................ 210Nah-Infrarot-System (NIR) ........................................................................................................................... 211HMI-Lösungen für Nachtsichtsysteme ...................................................................................................... 213
Abkürzungen ................................................................................................................................................... 214Sachwortverzeichnis ..................................................................................................................................... 217
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Autorenverzeichnis Ӏ 9
Autorenverzeichnis
Fahrstabilisierungssysteme
AutorenDipl.-Ing. Friedrich Kost (Grundlagen der
Fahrphysik),Dipl.-Ing. Heinz-Jürgen Koch-Dücker
(Antiblockiersystem, ABS),Dr.-Ing. Frank Niewels und Dipl.-Ing. Jürgen Schuh (Antriebsschlupf-
regelung),Dipl.-Ing. Thomas Ehret (Elektronisches
Stabilitäts-Programm),Dipl.-Ing. (FH) Jochen Wagner (Automatische
Bremsfunktionen),Dipl.-Ing. (FH) Ulrich Papert (Raddrehzahl-
sensoren),Dr.-Ing. Frank Heinen und Peter Eberspächer
(Hydroaggregate)
Fahrerassistenzsysteme
Autoren und MitwirkendeProf. Dr.-Ing. Peter Knoll (Fahrerassistenz-
systeme, Sensorik für Fahrzeugrund-umsicht, Einparksysteme, Adaptive Fahrgeschwindigkeitsregelung, Prädiktive Sicherheitssysteme, Video-basierte Systeme, Nachtsichtsysteme),
Dr. Dietrich Manstetten (Fahrerzustand-erkennung),
Dr. Gerd Gottwald (Fahrzeug-Infrastruktur-Kommunikation),
Dr. Winfried König (Entwicklung von Fahrer-assistenzsystemen, Mensch-Maschine-Interaktion),
Dipl.-Ing. (FH) Alfred Strehle,Dipl.-Ing. Günter Barth,Dipl.-Ing. Thomas Ehret (Fahrstabilisierungs-
systeme),Dipl.-Ing. (FH) Jochen Wagner (Automatische
Bremsfunktionen),Dr. rer. nat. Alfred Kuttenberger (Insassen-
schutzsysteme),Dipl.-Betriebsw. Kerstin Lemm (Fußgänger-
schutz),Dipl.-Ing. Ernst-Peter Neukirchner (Fahrzeug-
navigation)
Soweit nicht anders angegeben, handelt es sich um Mitarbeiter der Robert Bosch GmbH, Stuttgart.
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10 Ӏ Fahrsicherheit im Kraftfahrzeug Ӏ Sicherheitssysteme
Neben den Komponenten des Antriebs-strangs (Motor, Getriebe), die für den Vor-trieb des Kraftfahrzeugs sorgen, überneh-men auch die Fahrzeugsysteme, die denVortrieb begrenzen und das Fahrzeug ab-bremsen, eine wichtige Rolle. Erst siemachen das sichere Bewegen des Fahrzeugsim Straßenverkehr möglich. Aber auchSysteme, die die Insassen bei Unfällenschützen, werden immer wichtiger.
Sicherheitssysteme
Auf die Fahrsicherheit im Straßenverkehrhaben viele Größen einen Einfluss:� der Zustand des Kraftfahrzeugs
(z. B. Ausrüstungsgrad, Reifenzustand,Verschleißerscheinungen),
� die Wetter-, Straßen- und Verkehrsver-hältnisse (z. B. Seitenwind, Straßenbelagoder Verkehrsdichte) sowie
� die Qualifikation des Fahrers, also seineFähigkeiten und Befindlichkeiten.
Leistete früher – natürlich neben der Fahr-zeugbeleuchtung – im Wesentlichen nur dieBremsanlage mit dem Bremspedal, denBremsleitungen und den Radbremsen einenBeitrag zur Fahrsicherheit, so kamen immermehr Systeme hinzu, die in die Bremsanlageeingreifen. Diese Sicherheitssysteme werdenwegen ihres aktiven Eingriffs auch als Aktive Sicherheitssysteme bezeichnet.
Fahrsicherheitssysteme, wie sie in Fahrzeu-gen nach dem neuesten Stand der Technikintegriert sind, verbessern in hervorragenderWeise die Fahrsicherheit des Fahrzeugs.
Die Bremse ist eine wichtige Komponenteim Kraftfahrzeug. Sie ist für das sichere Be-wegen des Kraftfahrzeugs im Straßenverkehrunverzichtbar. Bei den niedrigen Geschwin-digkeiten und der geringen Verkehrsdichtein der Anfangszeit der Automobilgeschichtewaren die Ansprüche an die Bremsanlage imVergleich zu heute wesentlich geringer. ImLauf der Zeit wurde die Bremsanlage immerweiterentwickelt. Letztendlich sind diehohen Geschwindigkeiten, die heute mit denAutos gefahren werden können, nur deshalbmöglich, weil zuverlässige Bremsanlagen dasFahrzeug auch in Gefahrensituationen sicherabbremsen und zum Stillstand bringen kön-nen. Die Bremsanlage ist damit ein wichtigerBestandteil der Sicherheitssysteme im Kraft-fahrzeug.
Wie in allen Bereichen des Kraftfahrzeugshat auch bei den Sicherheitssystemen dieElektronik Einzug gehalten. Die mittlerweilean die Sicherheitssysteme gestellten Anfor-derungen können nur noch mit elektroni-scher Hilfe erfüllt werden.
Fahrsicherheit im Kraftfahrzeug
Tabelle 1
Sicherheit im Straßenverkehr
Fahrzeug MenschUmwelt
Passive SicherheitAktive Sicherheit
Innere SicherheitÄußere Sicherheit
FahreigenschaftenSichtverhältnisse
BedienungselementeAusstattung der Fahrgastzelle
RückhaltesystemLenksäule
DeformationsverhaltenKarosserieaußenform
Sicherheit im Straßenverkehr (Begriffe und Einflussgrößen)1
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Fahrsicherheit im Kraftfahrzeug Ӏ Sicherheitssysteme Ӏ 11
Aktive Sicherheitssysteme Diese Systeme helfen, Unfälle zu vermeidenund tragen damit vorbeugend zur Sicherheitim Straßenverkehr bei. Beispiele für dieaktiven Fahrsicherheitssysteme sind� das ABS (Antiblockiersystem),� die ASR (Antriebsschlupfregelung) und � das ESP (Elektronische Stabilitäts-
Programm).
Diese Sicherheitssysteme stabilisieren dasFahrzeug in kritischen Situationen und er-halten dabei deren Lenkbarkeit.
Systeme wie die adaptive Fahrgeschwindig-keitsregelung (ACC, Adaptive CruiseControl) leisten neben dem Beitrag zurFahrsicherheit im Wesentlichen einen Bei-trag zum Fahrkomfort, indem der Abstandzum vorderen Fahrzeug durch automati-sches Gaswegnehmen oder auch durchaktive Bremseingriffe eingehalten wird.
Passive SicherheitssystemeDiese Systeme dienen dem Schutz der In-sassen vor schweren Verletzungen im Falleines Unfalls. Sie senken die Verletzungs-gefahr und mildern die Unfallfolgen.
Beispiele für passive Sicherheitsausrüstungsind der gesetzlich vorgeschriebene Sicher-heitsgurt sowie der Airbag, der inzwischenan verschiedenen Stellen innerhalb der Fahr-gastzelle als Front- oder Seitenairbag zufinden ist.
Bild 1 zeigt ein Fahrzeug mit den Sicher-heitssystemen und ihren Komponenten, wiesie in Fahrzeugen nach dem jetzigen Standder Technik zu finden sind.
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Sicherheitssysteme im Kraftfahrzeug1
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12 Ӏ Fahrsicherheit im Kraftfahrzeug Ӏ Grundlagen des Fahrens
Grundlagen des FahrensVerhalten des FahrersUm das Fahrverhalten eines Fahrzeugs anden Fahrer und sein Fahrvermögen anpas-sen zu können, ist es notwendig, das Ver-halten des Fahrers zu analysieren. Grund-sätzlich wird das Handeln des Fahrersfolgendermaßen unterteilt:� das Führungsverhalten und� das Stabilisierungsverhalten.
Das Führungsverhalten ist gekennzeichnetvom „Vorausschauen können“ des Fahrers,d. h. von seiner Fähigkeit, die Bedingungenund Verhältnisse des jeweiligen Momentseiner Fahrt abzuschätzen und daraus z. B.folgende Schlüsse zu ziehen:� wie stark er das Lenkrad einzuschlagen
hat, um die folgende Kurve spurgenaudurchfahren zu können,
� wann er beginnen muss zu bremsen,um rechtzeitig anhalten zu können oder
� wann er den Beschleunigungsvorgangeinleiten muss, um gefahrlos überholen zu können.
Lenkradeinschlag, Bremsen und Gasgebensind wichtige Führungselemente, die umsoexakter eingesetzt werden können, je größerdie Erfahrung des Fahrers ist.
Während der Fahrer das Fahrzeug stabili-siert (Stabilisierungsverhalten), stellt er fest,dass es Abweichungen von der Sollstrecke(dem Fahrbahnverlauf) gibt und dass er dieabgeschätzte Voreinstellung bzw. Vorsteue-rung (Lenkradstellung, Gaspedalstellung)korrigieren muss, um das Schleudern oderdas Abkommen von der Fahrbahn zu ver-hindern. Je besser also die Abschätzung desFahrers im Führungsverhalten ist, desto we-niger muss er nachträglich stabilisieren (kor-rigieren), desto stabiler bleibt das Fahrzeug.Solche Korrekturen werden immer geringer,je besser Voreinstellung (Lenkradeinschlag)und Fahrbahnverlauf übereinstimmen, dasich das Fahrzeug bei geringfügigen Korrek-turen „linear“ verhält (Fahrervorgaben wer-den proportional ohne große Abweichungenauf die Straße übertragen).
Der erfahrene Fahrer kann die Fahrzeug-bewegung anhand seiner Fahrvorgaben undaufgrund vorhersehbarer Einwirkungen vonaußen (z. B. Kurven, herannahende Baustel-len o. Ä.) wirklichkeitsnah abschätzen. Beimunerfahrenen Fahrer dauert dieser Anpas-sungsvorgang länger und ist mit größerenUnsicherheitsfaktoren belastet. Daraus folgtfür den unerfahrenen Fahrer, dass derSchwerpunkt seines Fahraufwands im Stabi-lisierungsverhalten liegt.
ZielFührungs-größeSollwertE
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Eigenschaftender Straße
SichtStörgröße
HindernisStörgröße Motor BremseESP
AntriebskraftBremskraftRegelgrößen
AufstandskraftStörgröße
AufstandskraftStörgröße
Gesamtsystem „Fahrer – Fahrzeug – Umwelt“1
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Fahrsicherheit im Kraftfahrzeug Ӏ Grundlagen des Fahrens Ӏ 13
Tritt für Fahrer und Fahrzeug ein unvorher-gesehenes Ereignis ein (z. B. unerwartetscharfe Kurve bei gleichzeitig behinderterSicht o. Ä.), so kann der Fahrer falsch rea-gieren und in der Folge das Fahrzeug insSchleudern geraten. Das Fahrzeug verhältsich dann nichtlinear, d. h. für den Fahrernicht mehr vorhersehbar, und bewegt sichim physikalischen Grenzbereich. In dieserSituation sind sowohl der erfahrene als auchder unerfahrene Fahrer mit der Fahrzeug-beherrschung überfordert.
Unfallursachen und UnfallverhütungIm Straßenverkehr ist der überwiegende Teilaller Unfallursachen bei „Unfällen mit Per-sonenschaden“ auf personenbezogenes Fehl-verhalten zurückzuführen. Unfallstatistikenzeigen, dass dabei eine nicht angepassteGeschwindigkeit die Hauptunfallursache ist.Weitere Ursachen sind � falsche Straßenbenutzung,� Abstandsfehler,� Vorfahrts-/Vorrangfehler oder� falsches Abbiegen und� Fahren unter Alkoholeinfluss.
Technische Mängel (Beleuchtung, Bereifung,Bremsen usw.) bzw. fahrzeugbezogeneUrsachen wurden in nur geringem Maßeregistriert. Andere, vom Fahrer nicht beein-flussbare, unfallbezogene Ursachen (z. B.Wetter) waren dagegen schon häufiger fest-zustellen.
Anhand dieser Fakten wird deutlich, dassdie Sicherheitstechnik eines Fahrzeugs (inbesonderem Maße die dafür notwendigeElektronik) immer weiter verbessert werdenmuss, um� den Fahrer in Extremsituationen best-
möglich zu unterstützen,� Unfälle zu vermeiden oder� Unfallfolgen zu mildern.
In fahrkritischen Situationen gilt es deshalb,das Fahrzeugverhalten in Grenzbereichenund extremen Fahrsituationen für den Fah-rer „vorhersehbar“ zu machen. Die Erfas-sung verschiedener Parameter (Drehzahl der
Räder, Querbeschleunigung, Giergeschwin-digkeit usw.) und deren elektronischeWeiterverarbeitung in einem oder mehrerenSteuergeräten hilft, die Vorgänge in extremkurzer Zeit durch geeignete Maßnahmen„beherrschbarer“ zu machen.
Folgende Situationen oder Gefahren sind Beispiele für mögliche Erfahrungen mit Grenzbereichen:� sich verändernde Straßen-/Witterungs-
verhältnisse,� Konflikte mit anderen Verkehrsteil-
nehmern,� Konflikte mit Tieren bzw. Hindernissen
auf der Fahrbahn oder� ein plötzlicher Schaden (geplatzter Reifen)
am Fahrzeug.
Kritische Situationen im StraßenverkehrKritische Situationen im Straßenverkehrzeichnen sich dadurch aus, dass sich die Ver-kehrssituation sehr schnell ändert, etwadurch ein plötzlich auftauchendes Hindernisoder plötzlich wechselnden Fahrbahnzu-stand. Hinzu kommt oft auch ein Fehlver-halten der Autofahrer, die mangels Erfah-rung in kritischen Situationen bei zu hoherGeschwindigkeit oder wegen Unaufmerk-samkeit falsch reagieren.
In der Regel erkennt der Fahrer nicht,inwieweit er mit Ausweich- oder Brems-manövern in kritischen Fahrsituationeneinen physikalischen Grenzbereich berührt,da er fast nie in derart kritische Fahrsitua-tionen gerät. Er erkennt nicht, inwieweit erdas zur Verfügung stehende Kraftschluss-potenzial zwischen Reifen und Fahrbahnbereits „aufgebraucht“ hat oder ob das Fahr-zeug gerade an der Grenze zur Manövrier-unfähigkeit bzw. zum Schleudern steht.Demzufolge ist er in solchen Momentenunvorbereitet und reagiert deshalb falschoder zu heftig. Unfälle oder Situationen, dieandere Verkehrsteilnehmer gefährden, sinddie Folge.
Unfälle können aber auch über die bereitsgenannten Unfallursachen hinaus, z. B.durch eine nicht angepasste Technik odermangelhafte Infrastruktur (schlechte Ver-
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14 Ӏ Fahrsicherheit im Kraftfahrzeug Ӏ Grundlagen des Fahrens
kehrswegekonzepte, veraltete Verkehrsleit-führung), verursacht werden.
Verbesserungen des Fahrverhaltens einesFahrzeugs und der Fahrerunterstützung inkritischen Situationen können nur dann alssolche gewertet werden, wenn sie nachhaltigsowohl Unfallzahlen als auch -folgen senken.Um eine solche kritische Situation zu ent-schärfen bzw. zu bewältigen, sind schwierigeFahrmanöver notwendig, z. B.� schnelles Lenken und Gegenlenken,� Fahrspurwechsel in Verbindung mit einer
Vollbremsung,� Spurhalten bei beschleunigter Kurven-
fahrt oder wechselndem Fahrbahnbelag.
Die Folge davon ist fast immer ein fahr-dynamisch kritisches Verhalten des Fahr-zeugs, d. h., es verhält sich wegen zu geringerHaftung der Reifen nicht mehr so, wie esden Erwartungen des Fahrers entspricht undweicht vom gewünschten Kurs ab.
Der Fahrer ist aufgrund mangelnder Er-fahrung in solchen Grenzsituationen häufignicht mehr in der Lage, das Fahrzeug zueiner kontrollierten Bewegung zurückzu-führen. Oft gerät er dadurch sogar in Panikund reagiert falsch oder zu stark. Hat erbeispielsweise bei einem Ausweichmanöverdas Lenkrad zu heftig eingeschlagen, lenkt er noch heftiger in die Gegenrichtung, umdie Bewegung wieder auszugleichen. Mehr-faches Lenken und Gegenlenken mit immerstärkerem Lenkradeinschlag führen danndazu, dass sich das Fahrzeug nicht mehr be-herrschen lässt und zu schleudern beginnt.
FahrverhaltenDas Verhalten eines Fahrzeugs im Straßen-verkehr wird durch verschiedene Einflüssebestimmt, die sich grob in drei Bereiche ein-teilen lassen:� Fahrzeugeigenschaften,� Verhalten, Leistungsvermögen und Reak-
tionsfähigkeit des Fahrers und� umgebende Bedingungen.
Die Bauweise und Auslegung eines Fahr-zeugs beeinflussen dessen Bewegungen unddessen Fahrverhalten.
Das Fahrverhalten ist die Fahrzeugreak-tion auf Fahrerhandlungen (z. B. Lenken,Gasgeben, Bremsen) und auf Störungen vonaußen (z. B. Fahrbahnzustand, Wind).Gutes Fahrverhalten zeigt sich in der Fähig-keit, den Kurs exakt zu halten und damit dieAufgabe eines Fahrers voll zu erfüllen.Dabei hat der Fahrer die Aufgaben,� seine Fahrt den Verkehrs- und Straßenver-
hältnissen anzupassen,� die geltenden Gesetze im Straßenverkehr
zu befolgen,� der Fahrstrecke, gegeben durch den
Straßenverlauf, bestmöglich zu folgen und� vorausschauend und verantwortungsbe-
wusst sein Fahrzeug zu führen.
So gleicht der Fahrer die Fahrzeuglage unddie Fahrzeugbewegungen immer wiedereinem subjektiv empfundenen Idealzustandan. Er reagiert vorausschauend, handeltgemäß seiner Erfahrung und passt sich sodem aktuellen Straßenverkehrsgeschehenan.
FahrerSollkurs
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Fahrzeug
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Fahrbahn-einflüsse
AntriebBremsenLenkung
Gesamtsystem „Fahrer – Fahrzeug – Umwelt“als Regelkreis
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Fahrsicherheit im Kraftfahrzeug Ӏ Grundlagen des Fahrens Ӏ 15
Beurteilung des FahrverhaltensZur Beurteilung des Fahrverhaltens ist diesubjektive Beurteilung durch versierteFahrer noch immer der wichtigste Beitrag.Subjektive Wahrnehmungen lassen nurrelative Bewertungen zu, geben also keinenAufschluss über objektive „Wahrheiten“.Subjektive Erfahrungen mit einem Fahrzeugkönnen folglich nur vergleichend mit Er-fahrungen an anderen Fahrzeugen eingesetztwerden.
Das Fahrzeugverhalten beurteilen Test-fahrer in Fahrversuchen mit ausgewähltenFahrmanövern, die in ihrer Konzeptiondirekt am „normalen“ Verkehrsgeschehenorientiert sind. In einem geschlossenenRegelkreis (englisch: closed loop) wird dasGesamtsystem (einschließlich Fahrer) beur-teilt. Dabei wird der bezüglich seines Ver-haltens nicht präzise zu definierende Fahrerdurch eine objektiv vorgegebene Einleitungvon Störgrößen ersetzt und die daraus resul-tierende Fahrzeugreaktion analysiert undbeurteilt. Folgende, durch die ISO genormteoder sich im Normierungsprozess befin-dende Fahrmanöver (durchgeführt auftrockener Fahrbahn) dienen als anerkannteVerfahren der Fahrzeugbeurteilung bezüg-lich der Fahrzeugstabilität:� Stationäre Kreisfahrt,� Übergangsverhalten,� Bremsen in der Kurve,� Empfindlichkeit bei Seitenwind,� Geradeauslaufverhalten und � Lastwechsel bei Kreisfahrt.
Hierbei sind die Führungsgröße wie z. B. derFahrbahnverlauf oder Fahreraufgaben vongrundlegender Bedeutung. Der jeweiligeFahrer versucht seine Eindrücke und Erfah-rungen während der Fahrmanöver, die eranhand seiner Fahreraufgaben durchführt,zu sammeln, um sie anschließend z. T. mitEindrücken und Erfahrungen andererFahrer zu vergleichen. Die oft gefährlichenFahrmanöver (z. B. von VDA standardisier-ter Ausweichtest, auch „Elch-Test“ genannt),die von mehreren Fahrern durchgeführtwerden, geben über die Eigenschaften und
die Dynamik des zu untersuchenden Fahr-zeugs Aufschluss:� Stabilität,� Lenk- und Bremsbarkeit sowie� das Verhalten in Grenzsituationen sollen
beschrieben und mit diesen Versuchenverbessert werden.
Die Vorteile dieses Verfahrens sind:� das Gesamtsystem („Fahrer – Fahrzeug –
Umwelt“) kann geprüft werden und� viele Situationen des täglichen Verkehrs-
alltages können realistisch simuliertwerden.
Die Nachteile dieses Verfahrens sind:� die große Streuung der Ergebnisse, da die
Fahrereigenschaften, Wind- und Fahr-bahnverhältnisse sowie die Anfangsbedin-gungen eines jeden Manövers unter-schiedlich sind.
� Subjektive Wahrnehmungen und Erfah-rungen können individuell interpretiertwerden.
� Das Leistungsvermögen eines Fahrerskann über Erfolg oder Misserfolg einerVersuchsserie entscheiden.
Tabelle 1 (nächste Seite) enthält die wich-tigsten Fahrmanöver zur Beurteilung desFahrverhaltens im geschlossenen Regelkreis.
Eine objektive Festlegung der fahr-dynamischen Eigenschaften im geschlosse-nen Regelkreis („Closed Loop“-Betrieb,d. h. mit dem Fahrer, Bild 2) ist bis heute inder Praxis noch nicht vollständig gelungen,da das Regelverhalten des Menschen subjek-tiv ausgeprägt ist.
Trotzdem gibt es neben objektiven Fahr-tests verschiedene Testfahrten, die geübtenFahrern Aufschluss über die Fahrstabilitäteines Fahrzeugs geben können (z. B. einSlalomkurs).
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16 Ӏ Fahrsicherheit im Kraftfahrzeug Ӏ Grundlagen des Fahrens
Fahrzeug-verhalten
Lenk-winkel-vorgabe
Lenk-radfrei
Lenk-radfest
Fahrergreift ständigein
Fahrmanöver(Fahrervorgaben undvorgegebene Fahrsituation)
Geradeaus- Geradeauslauf-Spurhaltung � � �verhalten
Lenkungsansprechen/Anlenken �
Anreißen – Lenkung loslassen �
Lastwechselreaktion � � �
Aquaplaning � � �
Geradeausbremsen � � �
Seitenwindempfindlichkeit � � �
Auftrieb bei hohen Geschwindigkeiten �
Reifendefekt � � �
Übergangs-/ Lenkwinkelsprung �Übertragungs-
Einfaches Lenken und Gegenlenken �verhalten
Mehrfaches Lenken und Gegenlenken �
Einfacher Lenkimpuls �
„Zufällige“ Lenkwinkeleingabe � �
Einfahrt in einen Kreis �
Ausfahrt aus einem Kreis �
Rückstellverhalten �
Einfacher Fahrbahnwechsel �
Doppelter Fahrbahnwechsel �
Kurven- Stationäre Kreisfahrt �verhalten
Instationäre Kreisfahrt � �
Lastwechselreaktion bei Kreisfahrt � �
„Reinfallen“ der Lenkung �
Bremsen in der Kurve � �
Aquaplaning in der Kurve � �
Wechsel- Wedeln, Slalom um Pylonen �kurven-
„Handling-Pacours“ �verhalten
(Teststrecke mit starken Kurven)
Pendeln – Anreißen/Beschleunigen �
Gesamt- Kippsicherheit � �verhalten
Reaktions- und Ausweichtests �
Beurteilung des Fahrverhaltens1
Tabelle 1
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Fahrsicherheit im Kraftfahrzeug Ӏ Grundlagen des Fahrens Ӏ 17
FahrmanöverStationäre KreisfahrtBei der stationären Kreisfahrt wird diemaximal erzielbare Querbeschleunigung er-mittelt. Außerdem lässt sich erkennen, wiesich die einzelnen fahrdynamischen Größenin Abhängigkeit von der Querbeschleuni-gung bis zum Erreichen des Maximalwertesändern. Daraus lässt sich das Eigenlenkver-halten des Fahrzeugs beurteilen (Begriffe:Unter-, Über- und Neutralsteuern).
ÜbergangsverhaltenNeben dem stationären Eigenlenkverhalten(bei stationärer Kreisfahrt) ist auch dasÜbergangsverhalten eines Fahrzeugs vonBedeutung. Dazu zählen z. B. schnelle Aus-weichmanöver nach anfänglicher Gerade-ausfahrt.
Der „Elch-Test“ simuliert eine extremeFahrsituation, wie sie beim abrupten Um-fahren eines Hindernisses entsteht. Auf einer50 m langen Teststrecke muss ein Fahrzeugbei einer bestimmten Geschwindigkeit einHindernis sicher umfahren, das vier Meterin die Fahrbahn hineinragt und eine Längevon 10 m hat (Bild 3).
Bremsen in der Kurve – Lastwechsel-reaktionenEines der im täglichen Fahrbetrieb kri-tischsten und deshalb für die Fahrzeugkon-zeption wichtigsten Fahrmanöver ist dasBremsen in der Kurve.
Ob der Fahrer eines Fahrzeugs in einerKurve plötzlich das Gaspedal zurücknimmtoder einfach bremst, ist physikalisch be-trachtet nicht von Bedeutung: beides erzielteinen ähnlichen Effekt. Wegen der resultie-renden Achslastverlagerung von hinten nachvorne wird der Schräglaufwinkel an derHinterachse größer und an der Vorderachsekleiner, da sich die erforderliche Seitenkraftdurch den vorgegebenen Kurvenradius unddie Fahrzeuggeschwindigkeit nicht ändert:das Fahrverhalten verschiebt sich in Rich-tung „übersteuern“.
Bei heckgetriebenen Fahrzeugen hat derReifenschlupf einen geringeren Einfluss aufdie Änderung des Eigenlenkverhaltens alsbei frontgetriebenen Fahrzeugen. Darausresultiert in diesem Fall ein stabileres Fahr-verhalten bei heckgetriebenen Fahrzeugen.
Die Reaktionen des Fahrzeugs bei diesenManöver müssen einen bestmöglichenKompromiss zwischen Lenkfähigkeit, Fahr-stabilität und Abbremsung darstellen.
Bild 3Testbeginn:Phase 1: Höchster Gang (Schaltgetriebe)Schaltstufe D bei 2000 min–1
(Automatikgetriebe)
Phase 2: Gaswegnahme
Phase 3: Geschwindigkeitsmes-sung mit Lichtschranke
Phase 4: Lenkeinschlagnach rechts
Phase 5: Testende
5
4
3
2 1
10 m12 m
13,5 m
11 m
12,5 m
12 m
61 m
1m Versatz
Ausweichtest („Elch-Test“)3
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18 Ӏ Fahrsicherheit im Kraftfahrzeug Ӏ Grundlagen des Fahrens
MessgrößenHauptbeurteilungsgrößen der Fahrdynamiksind:� Lenkradwinkel,� Querbeschleunigung,� Längsbeschleunigung bzw. Längsverzöge-
rung,� Giergeschwindigkeit,� Schwimm- und Wankwinkel.
Zusätzliche Informationen dienen derKlärung eines bestimmten Fahrverhaltenszum Überprüfen anderer Messwerte:� Längs- und Quergeschwindigkeit,� Lenkwinkel der Vorder-/Hinterräder,� Schräglaufwinkel an allen Rädern,� Lenkradmoment.
ReaktionszeitIm Gesamtsystem „Fahrer – Fahrzeug – Umwelt“ spielt die Fahrerbefindlichkeit unddamit die Reaktionszeit des Fahrers nebenden definierten Größen eine entscheidendeRolle. Sie umfasst die Zeitspanne zwischendem Wahrnehmen eines Hindernisses, derEntscheidung und dem Umsetzen des Fußesbis zum Berühren des Bremspedals. DieseZeit ist nicht konstant; sie beträgt je nachden persönlichen Bedingungen und äußerenUmständen mindestens 0,3 Sekunden.
Die Bestimmung des individuellen Reak-tionsverhaltens erfordert Spezialuntersu-chungen (z. B. eines medizinisch-psycholo-gischen Institutes).
BewegungsvorgängeFahrzeugbewegungen lassen sich in gleich-förmige Bewegungen (mit gleich bleibenderGeschwindigkeit) und ungleichförmige Be-wegungen (beim Anfahren/Beschleunigenund Bremsen/Verzögern mit sich ändernderGeschwindigkeit) unterteilen.
Der Motor erzeugt die für das Fahrzeugzur Fortbewegung notwendige Bewegungs-energie. Um den Bewegungszustand einesFahrzeugs nach Größe und Richtung zuändern, müssen in jedem Falle Kräfte vonaußen oder über Motor und Triebstrang auf das Fahrzeug einwirken.
Fahrverhalten bei NutzfahrzeugenZur objektiven Beurteilung des Fahrverhal-tens bei Nutzfahrzeugen werden verschie-dene Fahrmanöver wie stationäre Kreisfahrt,Lenkwinkelsprung (Fahrzeugreaktion nach„Anreißen“ mit vorbestimmtem Lenkrad-winkel) und Bremsen in der Kurve durchge-führt.
Zugkombinationen weisen in der Regelein anderes querdynamisches Verhalten aufals Solofahrzeuge. Besondere Beachtungfinden dabei die Beladungsverhältnisse vonZugwagen und Anhänger sowie Bauart undGeometrie der Verbindung innerhalb einerKombination.
Den ungünstigsten Fall bildet ein leeresNkw-Zugfahrzeug mit beladenem Zentral-achsanhänger. Der Betrieb einer solchenFahrzeugkombination verlangt vom Fahrereine besonders vorsichtige Fahrweise.
Bild 4tR ReaktionszeittU UmsetzzeittA AnsprechzeittS Schwellzeit
Ver
zöge
rung
Str
ecke
Seh
en
Erk
enne
n
Seh
en
Erk
enne
n
Zeit
R U A S/2 S/2Vollbrems-zeit V
Brems-zeit B
Brems-strecke
Wahr-nehmen
Gefahr-erkennung
Bremsbeginn(Rechnung)
Fahrzeug-stillstand
Anhalte-strecke
Vorbrems-zeit VZ
Gefahr-erkennungs-
zeit
Anhaltezeit AH
Vorgänge: Reaktion, Bremsen und Anhalten4
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Fahrsicherheit im Kraftfahrzeug Ӏ Grundlagen des Fahrens Ӏ 19
Bei Sattelzügen besteht beim Bremsen inextremen Situationen die Gefahr des Ein-knickens („Jackknifing“). Dieser Vorgangwird durch Seitenkraftverlust der Hinter-achse des Zugfahrzeugs bei „Überbremsen“auf schlüpfriger Fahrbahn oder durch zu
hohes Giermoment unter „μ-split“-Bedin-gungen (z. B. unterschiedliche Reibungs-werte in der Fahrbahnmitte und am Fahr-bahnrand). Jackknifing läßt sich mithilfevon Antiblockiersystemen verhindern.
Tabelle 2
Tabelle 3
psychophysische Reaktion muskuläre Reaktion
Wahr- wahrnehmen erfassen entscheiden mobilisieren bewegen Handlungs-nehmungs- gegenstandgegenstand (z.B.(z.B.
optisches Wahrneh- psychische Bewegungs- persönlichesBremspedal)
Verkehrs-Leistungs- mung und Verarbeitung apparat Tempo
zeichen)vermögen Auffassung
➜➜
➜
➜
Persönliche Bedingungen der Reaktionszeit2
kleine Reaktionszeit große Reaktionszeit
Persönliche Faktoren des Fahrers
eingeübte Reflexhandlung Wahlhandlung
gute Verfassung, optimale Leistungsfähigkeit schlechte Verfassung, z.B. Ermüdung
hohe Fahrbegabung mindere Fahrbegabung
Jugendlichkeit höheres Alter
Erwartungsspannung Aufmerksamkeit, Ablenkung
körperliche und psychische Gesundheit krankhafte körperliche oder psychische Störungen
Schreckwirkung, Alkohol
Äußere Faktoren
Verkehrssituation einfach, übersichtlich, Verkehrssituation kompliziert, unübersichtlichvorausberechenbar, bekannt unberechenbar, nicht bekannt
wahrgenommenes Hindernis auffällig wahrgenommenes Hindernis unauffällig
Hindernis im Blickfeld Hindernis am Rande des Blickfelds
Schalt- und Bedienungselemente im Auto Schalt- und Bedienungselemente im Autozweckmäßig angeordnet unzweckmäßig angeordnet
➜
➜
Abhängigkeit der Reaktionszeit von persönlichen und äußeren Faktoren3
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20 Ӏ Grundlagen der Fahrphysik Ӏ Reifen
Bewegungsänderungen eines Körpers lassensich nur durch Kräfte erreichen. Auf einFahrzeug wirken im Fahrbetrieb vieleKräfte ein. Eine wichtige Funktion überneh-men dabei die Reifen: jede Bewegungsände-rung des Fahrzeugs führt über am Reifenwirkende Kräfte.
Reifen
AufgabeEin Reifen ist das Verbindungselement zwi-schen Fahrzeug und Fahrbahn. An ihm ent-scheidet sich die Sicherheit eines Fahrzeugs.Der Reifen überträgt Antriebs-, Brems- undSeitenkräfte, wobei physikalische Gegeben-heiten die Grenzen der dynamischen Belas-tung eines Fahrzeugs definieren. Entschei-dende Beurteilungsmerkmale sind:� Geradeauslauf,� Kurvenstabilität,� Haftung auf verschiedenen Fahrbahn-
oberflächen,� Haftung bei unterschiedlicher Witterung,� Lenkverhalten,� Komfort (Federung, Dämpfung,
Laufruhe),� Haltbarkeit und� Wirtschaftlichkeit.
AufbauNach Technik und Entwicklungsstand wer-den mehrere Reifenbauarten unterschieden.Verschiedene Gebrauchs- und Notlaufeigen-schaften, die ein herkömmlicher Fahrzeug-reifen aufweisen sollte, bestimmen dessenBauart.
Gesetzliche Vorschriften und Richtlinien ge-ben vor, unter welchen Bedingungen welcheReifen verwendet werden müssen, bis zuwelchen maximalen Geschwindigkeiten Rei-fen eingesetzt werden dürfen und welcherKlassifizierung Reifen unterworfen sind.
RadialreifenBei einem Reifen der Radialbauweise, der alsPkw-Reifen zum Standard geworden ist,verlaufen die Kordfäden der Karkasslage(n)auf kürzestem Weg „radial“ von Wulst zuWulst (Bild 1). Ein stabilisierender Gürtelumschließt die verhältnismäßig dünne,elastische Karkasse.
Grundlagen der Fahrphysik
Bild 111 Felgenschulter12 Hump13 Felgenhorn14 Karkasse15 luftdichte Gummi-
schicht16 Gürtel17 Lauffläche18 Seitengummi19 Wulst10 Wulstkern11 Ventil
67
5
4
3
2
1
8
9
10
11
Aufbau eines Pkw-Radialreifens1
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Grundlagen der Fahrphysik Ӏ Reifen Ӏ 21
DiagonalreifenDie Diagonalbauweise erhielt ihren Namenvon den „diagonal“ (bias) zur Laufflächeverlaufenden Kordfäden der Karkasslagen,die sich kreuzen (cross ply). Dieser Reifen istnur noch für Motorräder, Fahrräder, Indus-trie- und Landwirtschaftsfahrzeuge von Be-deutung. Bei Nutzfahrzeugen wird er zuneh-mend vom Radialreifen verdrängt.
VorschriftenKraftfahrzeuge und Anhänger müssen ent-sprechend den europäischen Richtlinienbzw. in den USA entsprechend dem FMVSS(Federal Motor Vehicle Safety Standard) mitLuftreifen versehen sein, die am ganzenUmfang und auf der ganzen Breite der Lauf-fläche Profilrillen oder Einschnitte mit einerTiefe von mindestens 1,6 mm aufweisen.
Personenkraftwagen und Kraftfahrzeuge miteinem zulässigen Gesamtgewicht von weni-ger als 2,8 Tonnen und einer bauartbe-stimmten Höchstgeschwindigkeit von mehrals 40 km/h und ihre Anhänger dürfen ent-weder nur mit Diagonal- oder nur mitRadialreifen ausgerüstet sein; im Fahrzeug-zug gilt dies nur für das jeweilige Einzelfahr-zeug. Dies gilt nicht für Anhänger hinterdem Kraftfahrzeug, die mit einer Geschwin-digkeit von höchstens 25 km/h gefahrenwerden.
AnwendungDie Voraussetzung für einen erfolgreichenEinsatz ist die richtige Reifenauswahl nachden Empfehlungen des Fahrzeug- oder Rei-fenherstellers. Wird ein Fahrzeug rundummit Reifen gleicher Bauart bereift, so garan-tiert dies bestmögliche Fahrbedingungen.Bezüglich Pflege, Wartung, Lagerung undMontage sind bei Reifen besondere Hin-weise der Reifenhersteller oder eines Fach-mannes zu berücksichtigen, um eine maxi-male Haltbarkeit bei größtmöglicher Sicher-heit zu gewährleisten.
Beim Gebrauch der Reifen, also in „aufge-zogenem Zustand“, ist zu beachten, dass� die Reifen ausgewuchtet sind und damit
einen optimalen Rundlauf garantieren,� für alle Räder der gleiche Reifentyp und
die zum Fahrzeug passenden Reifen ver-wendet werden,
� die zugelassene Höchstgeschwindigkeitder Reifen nicht überschritten wird und
� die Reifen genügend Profiltiefe aufweisen.
Wenn die Profiltiefe eines Reifens zu geringist, dann steht auch entsprechend wenigerMaterial für den Schutz des darunter liegen-den Gürtels bzw. der Karkasse zur Verfü-gung. Vor allem bei Personenkraftwagenund schnellen Nutzfahrzeugen spielt die feh-lende Profiltiefe auf nasser Fahrbahn wegendes verminderten Kraftschlusses bezüglichder Fahrsicherheit eine entscheidende Rolle.Der Bremsweg wächst mit abnehmenderProfiltiefe überproportional (Bild 2). Beson-ders kritisch ist das Verhalten des Fahrzeugsbei Aquaplaning, wenn kein Kraftschlussmehr zwischen Fahrbahn und Reifenherrscht und das Fahrzeug auch nicht mehrlenkbar ist.
7 6 5 4
Profiltiefe
3 2 mm1100
120
140
160
180
200
Bre
msw
eg
Bremswegverlängerung auf nasser Fahrbahn inAbhängigkeit von der Profiltiefe bei 100 km/h
2
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22 Ӏ Grundlagen der Fahrphysik Ӏ Reifen
ReifenschlupfReifenschlupf, auch einfach „Schlupf“ ge-nannt, ergibt sich aus der Differenz dertheoretisch und tatsächlich zurückgelegtenWegstrecke eines Fahrzeugs.
Anhand eines Beispiels soll dies verdeutlichtwerden: Der Umfang eines Pkw-Reifens be-trägt 2 Meter. Dreht sich das Rad nun zehn-mal, müsste das Fahrzeug eine Strecke von20 Metern zurücklegen. Der Reifenschlupfbewirkt jedoch, dass die tatsächlich zurück-gelegte Strecke des gebremsten Fahrzeugslänger ist.
Ursache für den ReifenschlupfBeim Abrollen eines Rades unter Antriebs-oder Bremskräften spielen sich in der Rei-fenaufstandsfläche komplizierte physika-lische Vorgänge ab, bei denen die Gummi-elemente in sich verspannt werden undpartiellen Gleitbewegungen ausgesetzt sind,auch wenn das Rad noch nicht blockiert.Die Elastizität des Reifens bewirkt also, dassder Reifen deformiert wird und je nach Wit-terungs- und Fahrbahnbedingungen mehroder weniger „Walkarbeit“ verrichtet. Da derReifen zu großen Teilen aus Gummi besteht,wird beim Auslauf aus der Kontaktzone(Reifenaufstandsfläche) nur ein Teil der„Deformationsenergie“ zurückgewonnen.Der Reifen erwärmt sich dabei und es ent-stehen Energieverluste.
Darstellung des SchlupfsDas Maß für den Gleitanteil der Abroll-bewegung ist der Schlupf λ:
λ = (υF–υU)/υF
Die Größe υF ist die Fahrgeschwindigkeit,υU ist die Umfangsgeschwindigkeit des Rads(Bild 3). Die Formel sagt aus, dass Brems-schlupf auftritt, sobald sich das Rad lang-samer dreht als es der Fahrgeschwindigkeitentspricht. Nur unter dieser Bedingungkönnen Bremskräfte bzw. Beschleunigungs-kräfte übertragen werden.
Da der Reifenschlupf infolge der Längsbewe-gung des Fahrzeugs entsteht, wird er auchals „Längsschlupf“ bezeichnet. Für den beimBremsen entstehenden Schlupf ist auch dieBezeichnung „Bremsschlupf“ gebräuchlich.
Werden einem Reifen zusätzlich zumSchlupf noch andere Einflussgrößen über-lagert (z. B. höhere Radlast oder extremeRadstellungen), werden die Kraftübertra-gungs- und Laufeigenschaften negativbeeinflusst.
Bild 3a Frei rollendes Radb gebremstes RadυF Fahrzeug-
geschwindigkeit amRadmittelpunkt M
υU Radumfangs-geschwindigkeit
Beim gebremsten Radwird der Drehwinkel �pro Zeiteinheit kleiner(Schlupf)
M
U2 <
F
F
ϕ2
U2
υ υ
υ
υ
a
b
M
U1 =
F
F
ϕ1
U1
υ υ
υ
υ
Abrollbewegung des Rads3
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Grundlagen der Fahrphysik Ӏ Kräfte und Momente am Fahrzeug Ӏ 23
M
WankenLäng
sachse
Nicken
Hoc
hach
se
GierenHub-schwin
gungen
Seitenkraft
Antriebskraft
Seitenkraft
Bremskraft
Brems-kraft
Aufstandskraft
Aufstandskraft
SchiebenQuerachse
M
Luftwiderstand
Kräfte und Momente am FahrzeugTrägheitsprinzipJeder Körper ist bestrebt, entweder in sei-nem Ruhezustand zu verharren oder seinenBewegungszustand beizubehalten. Um eineÄnderung des jeweiligen Zustands herbeizu-führen, muss eine Kraft aufgewendet bzw.übertragen werden. Wird z. B. bei Glatteisversucht, in einer Kurve zu bremsen, rutschtdas Fahrzeug geradeaus weiter, ohne merk-lich langsamer zu werden und auf Lenkbe-wegungen zu reagieren. Auf Glatteis könnennämlich nur sehr geringe Reifenkräfte über-tragen werden.
MomenteDrehbewegungen von Körpern werdendurch Momente beeinflusst. So wird z. B. dieDrehbewegung der Räder durch das Brems-moment verzögert und durch das Antriebs-moment beschleunigt.
Auch auf das gesamte Fahrzeug wirkenMomente. Befindet sich das Fahrzeug zumBeispiel mit der einen Seite auf einer glattenFahrbahn (z. B. Glatteis), mit der anderenSeite auf normal haftender Fahrbahn (z. B.Asphalt), so kommt es beim Bremsen zu ei-ner Drehbewegung des Fahrzeugs um dieHochachse (μ-split-Bremsung). Diese Dreh-
bewegung wird duch das Giermoment ver-ursacht, das durch die unterschiedlich ho-hen Kräfte an den Fahrzeugseiten entsteht.
Einteilung der KräfteAuf ein Fahrzeug wirken neben dem Fahr-zeuggewicht (verursacht durch die Schwer-kraft) unabhängig von seinem Bewegungs-zustand Kräfte ganz verschiedener Art (Bild 1). Einerseits handelt es sich dabei um � Kräfte in Längsrichtung (z. B. Antriebs-
kraft, Luftwiderstand oder Rollreibung),andererseits um
� Kräfte in Querrichtung (z. B. Lenkkraft,Fliehkraft bei Kurvenfahrt oder Seiten-wind). Die Reifenkräfte in Querrichtungwerden auch als Seitenführungskräftebezeichnet.
Die Kräfte in Längs- und in Querrichtungwerden auf die Reifen und schließlich aufdie Fahrbahn „von oben“ oder „von derSeite“ übertragen. Dies geschieht über� das Fahrgestell (z. B. Windkraft),� die Lenkung (Lenkkraft),� den Motor und das Getriebe (Antriebs-
kraft) oder über die� Bremsanlage (Bremskraft).
In der anderen Richtung wirken die Kräfte„von unten“ von der Fahrbahn aus auf die
Kräfte am Fahrzeug1
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2D
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24 Ӏ Grundlagen der Fahrphysik Ӏ Kräfte und Momente am Fahrzeug
Reifen und damit auf das Fahrzeug. Denn:jede Kraft erzeugt eine Gegenkraft.
Grundsätzlich muss die antreibende Kraftdes Motors (Motordrehmoment) – damitsich das Fahrzeug in Bewegung setzen kann – alle Fahrwiderstände (alle Längs-und Querkräfte) überwinden, die z. B. durchFahrbahnlängs- und -querneigung verur-sacht werden.
Für die Beurteilung der Fahrdynamikoder auch der Fahrstabilität eines Fahrzeugsmüssen die Kräfte bekannt sein, die zwi-schen den Reifen und der Straße wirken,also über diese Kontaktflächen (auch „Rei-fenaufstandsfläche“ oder „Latsch“ genannt)übertragen werden.
Mit zunehmender Fahrpraxis lernt ein Auto-fahrer, immer besser auf diese Kräfte zu rea-gieren: sie sind für ihn sowohl bei Beschleu-nigungen und Verzögerungen als auch beiSeitenwind oder Glätte spürbar. Bei sehrhohen Kräften, also sehr starken Bewe-gungszustandsänderungen, sind diese Kräfteauch gefährlich (Schleudern) oder zumin-dest durch quietschende Reifen vernehmbar(z. B. Kavalierstart) und erhöhen den Mate-rialverschleiß.
ReifenkräfteNur über die Reifenkraft lässt sich gezielteine gewollte Bewegung bzw. Bewegungsän-derung erreichen. Die Reifenkraft setzt sichaus folgenden Komponenten zusammen(Bild 2):
UmfangskraftDie Umfangskraft FU entsteht durch denAntrieb bzw. das Bremsen. Sie wirkt inLängsrichtung auf die Fahrbahnebene(Längskraft) und ermöglicht es dem Fahrer,das Auto über das Gaspedal zu beschleuni-gen und über das Bremspedal abzubremsen.
Reifenaufstandskraft (Normalkraft)Die Kraft zwischen Reifen und Straße (Fahr-bahnoberfläche) senkrecht zur Fahrbahnwird als Reifenaufstandskraft oder auchNormalkraft FN bezeichnet. Sie wirkt immerauf die Reifen, unabhängig vom Bewegungs-zustand des Fahrzeugs und damit auch beiFahrzeugstillstand.
Die Aufstandskraft wird durch den Anteildes Fahrzeuggewichts plus Zuladung, derauf die einzelnen Räder entfällt, bestimmt.Sie ist auch von dem Steigungs- oder Gefäll-winkel der Straße, auf der das Fahrzeugsteht, abhängig. Den höchsten Wert für dieAufstandskraft ergibt sich auf ebener Fahr-bahn.
Weitere Kräfte auf das Fahrzeug (z. B.größere Zuladung) erhöhen oder verringerndie Aufstandskraft. Bei Kurvenfahrt werdendie kurveninneren Räder entlastet und diekurvenäußeren Räder zusätzlich belastet.
Durch die Reifenaufstandskraft wird dieKontaktfläche des Reifens auf der Fahrbahnverformt. Da die Reifenseitenwände auchvon dieser Verformung betroffen sind, kannsich die Aufstandskraft nicht gleichmäßigverteilen. Es entsteht eine trapezförmigeDruckverteilung (Bild 2). Die Seitenwändedes Reifens nehmen Kräfte auf, und der Rei-fen verformt sich je nach Belastung.
Bild 2FN Reifenaufstands-
kraft, auch als Nor-malkraft bezeichnet
FU Umfangskraft(positiv: Antriebs-kraft; negativ:Bremskraft)
FS Seitenkraft
FN
FU
FS
Komponenten der Reifenkraft und Druckverteilung in der Aufstandsfläche eines Radialreifens
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