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1965 H. FELTKAMP und N. C. FRANKLIN 55 Konstellationsanalyse mit Hilfe der Kernresonanzspektroskopie, I KONSTELLATIONSANALYSE AN SUBSTITUIERTEN CYCLOHEXANEN von HERBERT FELTKAMP und NORMAN C. FRANKLIN Herrn Professor Dr. Dr. h. c. Walter Huckel zum 70. Geburtstag gewidmer Aus dem Pharmazeutisch-Chemischen Institut der Universitat Tubingen Eingegangen am 1. Juli 1964 Es werden die bisher verwendeten Methoden der kernresonanzmagnetischen Konstellationsanalyse beschrieben und ihre Anwendungen zu Gleichgewichts- bestimmungen an rasch umklappenden Cyclohexan-Derivaten diskutiert. Die magnetische Kernresonanzspektroskopie wird heute allgemein als wirksamstes Hilfsmittel zur Bestimmung von Konstellationen und Konstellationsgleichgewichten an substituierten Cyclohexanen angesehen. Dabei darf aber nicht iibersehen werden, da13 exakte Beziehungen der Spektren zur Konstellation von Cyclohexanderivaten noch in mancher Hinsicht ungeklart sind. Es wird daher in der vorliegenden Arbeit versucht, die Moglichkeiten und Grenzen der verschiedenen kernresonanzmagnetischen Methoden zur Konstellationsanalyse von Cyclohexanderivaten aufzuzeigen. Bei den Cyclohexanderivaten hat man zunachst nur mit zwei Konstellationen zu rechnen, die den beiden Sesselformen des Cyclohexans entsprechen. Hinzu kommt zwar noch die Wannenform, die selbst wieder zahlreiche Konstellationen annehmen kann, doch ist eine nahere kernresonanzspektroskopische Untersuchung dieses Problems unseres Wissens noch nicht vorgenommen worden. So beschrankt sich die Konstellationsanalyse an Cyclohexanderivaten mit Hilfe der Kernresonanz bisher hauptsachlich auf die Frage, welche der beiden Sesselformen vorliegt und, falls ein Gleichgewicht zwischen diesen beiden Formen besteht, wie sich dieses zusamniensetzt. Nur von der Untersuchung der Gleichgewichte zwischen den beiden SesseIforrnen sol1 hier die Rede sein. Im folgenden werden zunachst die Informationen besprochen, die sich aus dem Kernresonanzspektrum fur eine Konstellationsanalyse gewinnen lassen. ZUR KONSTELLATIONSANALYSE GEEIGNETE INFORMATIONEN AUS KERNRESONANZSPEKTREN Lage der Signale (chemische Verschiebung) An einem substituierten Cyclohexanring konnen folgende Arten von Protonen auftreten, die bei unterschiedlichen Feldstarken absorbieren : Als tertiare Protonen werden Wasserstoffatome bezeichnet, die zusammen mit einem Substituenten an einem gemeinsamen C-Atom stehen. Sekundare Protonen

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1965 H. FELTKAMP und N. C. FRANKLIN 55

Konstellationsanalyse mit Hilfe der Kernresonanzspektroskopie, I

KONSTELLATIONSANALYSE A N SUBSTITUIERTEN CYCLOHEXANEN

von HERBERT FELTKAMP und NORMAN C. FRANKLIN

Herrn Professor Dr. Dr. h. c . Walter Huckel zum 70. Geburtstag gewidmer

Aus dem Pharmazeutisch-Chemischen Institut der Universitat Tubingen

Eingegangen am 1. Juli 1964

Es werden die bisher verwendeten Methoden der kernresonanzmagnetischen Konstellationsanalyse beschrieben und ihre Anwendungen zu Gleichgewichts-

bestimmungen an rasch umklappenden Cyclohexan-Derivaten diskutiert.

Die magnetische Kernresonanzspektroskopie wird heute allgemein als wirksamstes Hilfsmittel zur Bestimmung von Konstellationen und Konstellationsgleichgewichten an substituierten Cyclohexanen angesehen. Dabei darf aber nicht iibersehen werden, da13 exakte Beziehungen der Spektren zur Konstellation von Cyclohexanderivaten noch in mancher Hinsicht ungeklart sind. Es wird daher in der vorliegenden Arbeit versucht, die Moglichkeiten und Grenzen der verschiedenen kernresonanzmagnetischen Methoden zur Konstellationsanalyse von Cyclohexanderivaten aufzuzeigen.

Bei den Cyclohexanderivaten hat man zunachst nur mit zwei Konstellationen zu rechnen, die den beiden Sesselformen des Cyclohexans entsprechen. Hinzu kommt zwar noch die Wannenform, die selbst wieder zahlreiche Konstellationen annehmen kann, doch ist eine nahere kernresonanzspektroskopische Untersuchung dieses Problems unseres Wissens noch nicht vorgenommen worden. So beschrankt sich die Konstellationsanalyse an Cyclohexanderivaten mit Hilfe der Kernresonanz bisher hauptsachlich auf die Frage, welche der beiden Sesselformen vorliegt und, falls ein Gleichgewicht zwischen diesen beiden Formen besteht, wie sich dieses zusamniensetzt. Nur von der Untersuchung der Gleichgewichte zwischen den beiden SesseIforrnen sol1 hier die Rede sein. Im folgenden werden zunachst die Informationen besprochen, die sich aus dem Kernresonanzspektrum fur eine Konstellationsanalyse gewinnen lassen.

ZUR KONSTELLATIONSANALYSE GEEIGNETE INFORMATIONEN AUS KERNRESONANZSPEKTREN Lage der Signale (chemische Verschiebung)

An einem substituierten Cyclohexanring konnen folgende Arten von Protonen auftreten, die bei unterschiedlichen Feldstarken absorbieren :

Als tertiare Protonen werden Wasserstoffatome bezeichnet, die zusammen mit einem Substituenten an einem gemeinsamen C-Atom stehen. Sekundare Protonen

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sind diejenigen von CH2-Gruppen. Als X-Protonen werden in dieser Arbeit tertiare Protonen dann bezeichnet, wenn der benachbarte Substituent am gleichen C-Atom kein Alkylrest ist. Sie absorbieren in der Regel bei sehr vie1 tieferem Felde als die Methylen-Protonen und werden aus diesem Grunde hauptsachlich f u r die Konstel- Iationsanalyse herangezogen. AuDerdem absorbieren aquatoriale Protonen meist bei niedrigerem Feld als axiale Protonen, die durch den Ring und benachbarte, ebenfalls axiale Protonen starker abgeschirmt sind. Das trifft sowohl fur die X- als auch fur die Methylen-Protonen zu. Dabei ist die chemische Verschiebung zwischen X-Protonen und Methylen-Protonen so grol3, daD axiale X-Protonen meistens bei niedrigerem Feld absorbieren als aquatoriale Methylen-Protonen.

Flache unter den Signalen

Die Flache unter den Signalen im Kernresonanzspektrum ist der Anzahl der Protonen proportional, durch die das Signal hervorgerufen wird. Diese Eigenschaft kann man fur die Konstellationsanalyse verwenden, wenn es gelingt, die beiden am Gleichgewicht beteiligten Konstellationen im Spektrum getrennt sichtbar zu machen.

Spin-Spin-Kopplung und Bandenbreite

Im System H'-C-C-H" ist die Kopplungskonstante zwischen den Protonen vom Winkel abhangig, den die Ebenen H'-C-C und H"-C-C miteinander bilden. Diese Abhangigkeit ist theoretischl) und experimentell 2) eingehend untersucht worden.

Im Cyclohexan, das das genannte System mehrfach enthalt, wird man danach zwei verschiedene Kopplungskonstanten erwarten: Ein axiales Proton bildet rnit einem benachbarten, ebenfalls axialen Proton einen Winkel von 180", mit einem be- nachbarten aquatorialen Proton einen Winkel von 60". Ein aquatoriales Proton bildet dagegen sowohl mit einem am benachbarten C-Atom stehenden axialen als auch mit eineni aquatorialen Proton einen Winkel von 60". Die Kopplungskon- stanten zwischen zwei axialen Protonen werden J,,, die zwischen zwei aquatorialen bzw. zwischen einem axialen und einem aquatorialen Proton entsprechend J,, und J, genannt.

Trotz gleichem Winkel (60") zwischen den letztgenannten Protonen sind die Kopplungskonstanten J, und J,, voneinander verschieden3). Der Unterschied betragt

l a ) M. KARPLUS, J. chem. Physics 30, 1 1 (1959). - 1 b) H. S. GUTOWSKY, M. KARPLUS und D. M. GRANT, ebenda 31, 1278 (1959). - 1 ~ ) C. N . BANWELL und N. SHEPPARD, Discuss. Faraday SOC. 34, 115 (1962) [C. A. 58, 13324 (1963)l. - Id) M. KARPLUS, J. Amer. chern. SOC. 85, 2870 (1963).

2) Ausfuhrliche Literaturzusammenstellung bei A. C. HUITRIC, J. B. CARR, W. F. TRACER und B. J. NIST, Tetrahedron [London] 19, 2145 (1963).

3a) F. A. L. ANET, J. Amer. chem. SOC. 84, 1053 (1962). - 3b) H. BOOTH, personliche Mit- teilung.

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in den wenigen Fallen, in denen er gemessen werden konnte, ungefahr 1 Hz (Jee < Je,). Fur Bestimmungen, wie sie bei der Konstellationsanalyse erforderlich sind, rnuR dieser Unterschied jedoch berucksichtigt werden.

Fur die Kopplungskonstante J,, sind Werte gernessen worden 2), die zwischen 8 und 15 Hz liegen; die entsprechenden Werte fur J, bzw. J,, betragen 2.5-4.5 Hz. Unter- schiede, die fur Kopplungskonstanten gleichen Typs an verschiedenen Substanzen erhalten werden, konnen auf folgende Einflusse zuruckgehen : Elektronegativitat des Substituenten 4S), andersartige Atomabstande, Nachbargruppeneffekte u. a. Id).

WILLIAMS ON^) untersuchte den EinfluR der Elektronegativitat des Substituenten an einem starren Bicycloheptan-System. Dabei zeigte sich eine Abnahme der Kopplungskonstanten rnit zunehmender Elektronegativitat der Substituenten. Dieses Ergebnis braucht nicht im Wider- spruch zu Befunden von HUITRIC~) zu stehen, der gerade den umgekehrten EinfluB von elektronegativen Substituenten auf die Kopplungskonstante feststellte. Er arbeitete namlich mit wenigstens teilweise beweglichen Systemen, bei denen Uberlagerungen des Einflusses der elektronegativen Substituenten durch andere Faktoren denkbar sind. Das ist schon deshalb leicht moglich, weil der Beitrag des elektronegativen Substituenten zur GroRe der Kopplungs- konstanten in den von WiLLIAMsoN untersuchten Beispielen nicht mehr als 20 % ausmacht.

Es komrnt noch eine weitere Erklarung fur Abweichungen in den an verschiedenen Substanzen gemessenen Kopplungskonstanten hinzu. Die im X-Teil eines Spektrums erkennbaren Aufspaltungen sind nur dann den beteiligten Kopplungskonstanten gleich, wenn eine Aufspaltung erster Ordnung vorliegt. Bei den bisher untersuchten Cyclohexanring-Systemen handelte es sich oft um ABX- (I), AzBX- (11) oder A2B2X- Systeme (III), wenn man nur die Protonen an dem C-Atom berucksichtigt, das dem

I I1 111

X-Proton benachbart ist. Ob hierbei eine Aufspaltung erster Ordnung erwartet werden kann, hangt wesentlich von der GroRe des Unterschiedes zwischen den chernischen Verschiebungen der A- und B-Protonen ab. Da die Signale dieser Protonen aber meistens unter denen der anderen Ring-Protonen liegen, ist die Ermittlung ihrer chemischen Verschiebung mit groBern Aufwand verbunden.

An dem teilweise deuterierten cis-Cyclohexandiol- (1 .2) und an einigen seiner Derivate konnte gezeigt werden61, daR hier keine Aufspaltungen erster Ordnung erwartet werden konnen. Damit sind die an diesen Substanzen fur das X-Signal gemessenen Aufspaltungen nicht den beteiligten Kopplungskonstanten JAX und JBX gleichzusetzen.

4) K. L. WILLIAMSON, J . Amer. chem. SOC. 85, 516 (1963). 5 ) Vgl. Lit. 2 ) . 6) R. U. LEMIEUX und J. W. LOWN, Tetrahedron Letters [London] 1963, 1229.

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Meistens sind solche eingehenden Untersuchungen nicht durchgefuhrt worden, und es wird allgemein angenommen, daR die Spektren, vor allem die der fixierten Cyclo- hexanderivate, in ihrem X-Teil Aufspaltungen erster Ordnung zeigen. DaR dies aber nicht der Fall zu sein braucht, zeigen eindrucksvolle Beispiele in den Arbeiten von LEMIEUX~) sowie FINEGOLD 'a), VAN D o R T ~ ~ ) und FRANZUS7C) an allerdings nicht- fixierten Ringsystemen.

Obwohl diese Spektren in ihrem X-Teil keine Aufspaltung erster Ordnung zeigen, kann man die beobachtete Aufspaltung eines Teiles der Spektren als erster Ordnung erklaren, wenn man die gemessenen Aufspaltungen als Kopplungskonstanten betrachtet. Das ist aber in einem Spektrum zweiter Ordnung nicht zulassig. ABRAHAM und BERNSTEIN 8) zeigen dies am 2- Furfurol. Hier ist es allein vom Losungsmittel abhangig, ob das Spektrum eine Aufspaltung erster Ordnung zeigt oder nicht. Die beteiligten Kopplungskonstanten JAX und JBX bleiben in alien Fallen gleich, was schon daraus hervorgeht, da8 die Breite des Signales konstant ist. Dagegen andert sich die Aufspaltung.

Es gibt nun Hinweise darauf, daB ahnliche Verhaltnisse auch bei fixierten Sechs- ring-Systemen vorliegen konnten. Hierfiir kommen besonders solche Systeme in Frage, die einen Substituenten in Axiallage fixiert enthalten.

Das cis-4-tert.-Butyl-cyclohexylamin, dessen Aminogruppe axial steht, weist z. B. im Spek- trum nur eine bemerkenswert schmaleBande (von ungefahr 15 Hz) fur dieRing-Protonen auf, wahrend das trans-Isomere zwei getrennte Signale enthalt, die den aquatorialen sowie axialen Ring-Protonen entsprechen und eine chemische Verschiebung von 50-60 Hz zeigeng). So scheint das cis-Isomere eine sehr vie1 kleinere chemische Verschiebung fur die A- und B-Protonen aufzuweisen als das trans-Isomere. Damit ist aber fur das cis-Isomere die Be- dingung fur eine Aufspaltung zweiter Ordnung erfullt.

Die Beobachtung, daR in fixierten Ringsystemen mit einem axialen Substituenten die chemische Verschiebung der axialen und aquatorialen Ring-Protonen geringer ist als in solchen mit nur aquatorialen Substituenten, ist schon fruher 10) gemacht worden. Es sind aber auch Systeme bekanntll), bei denen die chemische Verschiebung der A- und B-Protonen gegenuber ihrer Kopplungskonstante hoch ist, selbst wenn axiale Substituenten am Ring vorhanden sind.

Noch verwickelter werden die Verhaltnisse, wenn man in Rechnung stellt, daR z. €3. ein bisher als AzB2X bezeichnetes System streng genommen ein A ~ B Z C ~ D ~ E F X - System ist. In diesem konnen Kopplungen der A- bis F-Protonen untereinander den X-Teil des Spektrums in ahnlicher Weise beeinflussen wie die Kopplungen der A- und B-Protonen in einem A2BzX-System.

7a) H. FINEGOLD und H. KWART, J . org. Chemistry 27, 2361 (1962). - 7 b ) H. W. VAN DORT und T. J. SEKUUR, Tetrahedron Letters [London] 1963, 1301. - 7 ~ ) B. FRANZUS und B. E. HUDSON JR., J. org. Chemistry 28, 2238 (1963).

8) R. J. ABRAHAM und H. J. BERNSTEIN, Canad. J. Chem. 39, 216 (1961). 9) H. FELTKAMP, N. C. FRANKLIN, K. D. THOMAS und W. BRUGEL, Liebigs Ann. Chem. 683,

10) N. MULLER und W. C. TOSCH, J. chem. Physics 37, 1167 (1962). 1 1 ) N. C. FRANKLIN, Dissertation Univ. Nottingham 1963.

64 (1965), nachstehend.

1965 Konstellationsanalvse mit Hilfe der Kernresonanzsmktroskouie. I 59

Zur Ermittlung der Werte fur die Kopplungskonstanten zwischen axialen bzw. aquatorialen X-Protonen und den benachbarten Protonen kann man rnit weniger Vorbehalten von der Bandenbreite des Signals Gebrauch machen. Diese ist, wenn sie zwischen den beiden BuBersten Signalen gemessen wird, nur von der Sunime der beteiligten Kopplungskonstanten abhangig und nicht von der Art und der Ordnung der Aufspaltung. Selbst wenn das Signal keine Aufspaltung zeigt, kann man die Breite der Bande wenigstens ungefahr messen.

Ehe die drei aus einem Kernresonanzspektrum erhaltenen GroBen (chemische Verschiebung, Flache unter den Signalen und Bandenbreite) auf die Analyse von Konstellationsgleichgewichten angewendet werden konnen, mu13 eine Eigenschaft des Cyclohexanrings besprochen werden, die fur die Konstellationsanalyse rnit Hilfe der Kernresonanz von grundlegender Bedeutung ist .

ANALYSE VON KONSTELLATIONSGLEICHGEWICHTEN Umklappgeschwindigkeit des Cyclohexanrings und Ubergangszeit eines angeregten Kernspins

Der Cyclohexanring liegt bei Raumtemperatur in einem Gleichgewicht zwischen seinen beiden Sesselformen vor, die durch Umklappen sehr rasch ineinander iibergehen. Diese Umklappgeschwindigkeit ist hoch gegeniiber der Ubergangszeit eines angeregten Kernspins. Wahrend der Kernspin eines angeregten Protons also einmal vom paral- lelen in den antiparallelen Zustand iibergeht, ist der Ring sehr haufig durch Umklappen aus der einen in die andere Sesselform und zuriick gelangt. Dabei ist die Zeit, die der Ring in der einen oder anderen Konstellation zubringt, lang gegeniiber der Zeit, in der er im umklappenden Zustand vorliegt. Das bedeutet, daB der angeregte Kernspin wahrend seines Uberganges den Mittelwert des Einflusses der beiden am Gleichge- wicht beteiligten Konstellationen wahrnimmt.

Fur das Signal eines X-Protons an einem rasch umklappenden Sechsring ist also nur der Mittelwert der Signale beider am Gleichgewicht beteiligter Konstellationen zu erwarten. Das gilt fiir alle Eigenschaften des Signals, fiir die chemische Verschiebung, die Spin-Spin-Kopplung (und damit die Bandenbreite) sowie fiir die Aufspaltung. Man kann daher aus diesen Informationen, die man an einem rasch umklappenden System erhalten hat, nur dann auf die Lage des Gleichgewichtes schlieoen, wenn man die betreffenden GroBen in den einzelnen, am Gleichgewicht beteiligten Konstellationen kennt 3a, 6,9912). Hierin liegt die Schwierigkeit aller Konstellationsanalysen rnit Hilfe der Kernresonanz begriindet ; denn rnit der Genauigkeit der verwendeten Bezugs- groBen steht und fallt jede Konstellationsanalyse.

Die vorhandenen Moglichkeiten, die Werte der einzelnen am Gleichgewicht betei- ligten Konstellatioiien zu ermitteln, werden im folgenden besprochen.

12a)R. J . ABRAHAM und H. J. BERNSTEIN, Canad. J . Chem. 39, 39 (1961). -- 12b) E. L. ELIEL, E. W. DELLA und T. H. WILLIAMS, Tetrahedron Letters [London] 1963,831. - 1 2 ~ ) H. FELT- KAMP, N. C. FRANKLIN und W. KRAUS, Liebigs Ann. Chem. 683, 75 (1965).

60 H. FELTKAMP und N. C. FRANKLIN Bd. 683

Tieftemperaturmessungen Durch Abkuhlen der Substanzprobe 1aRt sich die Umklappgeschwindigkeit des

Sechsrings so weit verlangsamen, daR die Verweildauer in den einzelnen Sesselformen lang wird gegenuber der Ubergangszeit eines angeregten Kernspins. 1st das Verhaltnis Verweildauer zu Ubergangszeit hoch genug, so werden die beiden am Gleichgewicht beteiligten Konstellationen im Spektrum getrennt sichtbar, und man kann diesen Signalen alle benotigten Daten, wie Lage im magnetischen Feld und GroRe der beteiligten Kopplungskonstanten, entnehmen. Diese Methode zur Ermittlung der Bezugspunkte ist zweifellos die verlaislichste, da dieselbe Substanz benutit wird, an der auch das Gleichgewicht bestimmt werden soll.

Leider stehen diesem theoretisch gunstigen Verfahren erhebliche experimentelle Schwierigkeiten im Wege. Nur in den seltensten Fallen gelingt eine vdlige Trennung der am Gleichgewicht beteiligten Konstellationen. Oft ist die erreichbare Abkiihlung nicht ausreichend, um die Konstellationen vollig ,,einzufrieren", oder die Substanzen kristallisieren vorher aus den Losungen aus. So gelingt es nur, die beginnende Auf- spaltung des ,,Mittelwertsignals" in die einzelnen Konstellationen sichtbar zu machen. Kopplungskonstanten konnen in solchen Fallen nicht bestimmt werden, und die cheniische Verschiebung der aquatorialen und axialen X-Protonen rnuR nach Me- thoden berechnet werden, die, gemessen an den Anforderungen der Konstellations- analyse, recht ungenau sind13). Es wird daher zur Ermittlung der Bezugswerte meist eine zweite Methode angewendet.

Konstellativ einheitliche Bezugssubstanzen Da es praktisch nicht moglich ist, die Werte fur die beteiligten Konstellationen an

den zu untersuchenden Molekulen selbst zu bestimmen, behilft man sich. indem man die BezugsgroRen an Cyclohexanderivaten ermittelt, die auf Grund ihrer Substitution nicht mehr umklappen konnen, also in einer bestimmten Konstellation fixiert sind. Fur die Zwecke der Konstellationsanalyse an beweglichen Cyclohexanderivaten kommen dafur nur Sechsringe in Frage, die in einer der beiden Sesselformen vorliegen, nicht dagegen gespannte Bicyclen. Haufig wurden zu diesem Zweck substituierte tert.-Butyl-cyclohexane oder trans-Decaline verwendet 3 7 9 , 12b, c).

Als Regel hat dabei zu gelten, daR zur Ermittlung der Bezugswerte Systeme ver- wendet werden mussen, die der zu untersuchenden Subsianz so ahnlich wie moglich sein sollen. Das hat besonders fur die funktionelle Gruppe zu gelten. Aber auch die Alkylsubstituenten mussen in derselben Stellung stehen. So sollte z. B. die Gleich- gewichtskonstante fur das cis-4-Methyl-cyclohexylamin mit Bezugswerten ermittelt werden, die an den beiden 4-tert.-Butyl-cyclohexylaminen erhalten worden sind. Das trans-3-Methyl-cyclohexylaniin sollte dagegen auf Werte des 3-tert.-Butyl-cyclohexyl-

13) F. R. JENSEN, D. S. NOYCE, C. H. SEDERHOLM und A. J. BERLIN, J . Amer. chem. SOC. 84, 386 (1962).

1965 Konstellationsanalyse mit Hilfe der Kernresonanzspektroskopie, I 61

amins bezogen werden. Die Anwendung dieser Verfahren auf 2-substituierte Cyclo- hexane muB mit groBer Vorsicht erfolgen, da die unterschiedliche GroBe des Nachbar- substituenten in deli fixierten Systemen und in dem beweglichen System, deren Glcich- gewichtskonstante ermittelt werden soll, erhebliche Storungen bewirken kanii9).

Selbst bei Einhaltung dieser VorsichtsmaBregeln ist es bisher aber nicht sicher, ob die an den Vergleichssubstanzen erhaltenen Werte genau genug sind, um bei einer Konstellationsanalyse des beweglichen Systems brauchbare Daten fur das Gleich- gewicht zu liefern 11). So ist noch immer die Frage offen, ob nicht der Cyclohexanring durch einen sperrigen Rest, wie ihn z. B. die tert.-Butyl-Gruppe darstellt, etwas defor- miert wird. Eine solche Deformation wurde sich auf den Wickel auswirken, den das X-Proton mit den benachbarten Protonen bildet, und damit wurden sich die Kopp- lungskonstanten andern. Eine Beantwortung dieser fur die Anwendung der Kern- resonanz auf die Analyse von Konstellationsgleichgewichten grundlegenden Frage ist erst bei sehr vie1 mehr experimentellen Ergebnissen zu erhoffen, als sie bisher vorliegen.

Konstellationsanalyse mit Hilfe der Flache unter den Signalen

Diese Methode ist von allen kernresonanzspektroskopischen Verfahren zur Kon- stellationsanalyse dann am geeignetsten, wenn es gelingt, durch Abkuhlen den X-Teil der beiden am Gleichgewicht beteiligten Konstellationen im Spektrum ge- trennt sichtbar zu machen, was nach den voranstehenden Erorterungen (S. 60) nur in den seltensten Fallen moglich ist15).

Man kann aber auch dann eine Analyse nach dieser Methode versuchen, wenn die Trennung der beiden Signale zwar noch nicht vollstandig, aber doch schon so weit fortgeschritten ist, daB die beiden Banden deutlich sichtbar sind. Hierzu mussen die sich uberlappenden Flachen der beiden Signale moglichst genau extrapoliert werden. Aus dem Vergleich der Flachen unter den beiden Signalen erhalt man dann das Verhaltnis der beiden am Gleichgewicht beteiligten Konstellationen bei der MeBtem- peratur. Wenn es gelingt, diese Messungen bei verschieden tiefen Temperaturen durchzufuhren, so ist gleichzeitig die Temperaturabhangigkeit des Konstellations- gleichgewichtes ermittelbar. Daraus 1aBt sich die Gleichgewichtslage bei beliebigen Temperaturen errechnen.

REEVES und S T R ~ M M E haben auf diese Weise die Gleichgewichtslage der Konstellation im Mono-brom- und im Mono-chlor-cyclohexan 16) sowie im 1.2-Dibrom- und 1.2-Dichlor- cyclohexan 15) gemessen.

14) Eine Diskussion dieses Problems findet sich bei Lit.9). 15) L. W. REEVES und K. 0. S T R 0 M M E , Trans. Faraday soc. 57, 390 (1961) [C. A. 55, 25800

(1 96 l)]. 16) L. W. REEVES und K. 0. STRBMME, Canad. J. Chem. 38, 1241 (1960) [ c . A. 55, 20992

(1961)l.

62 H. FELTKAMP und N. C. FRANKLIN Bd. 683

Konstellationsanalyse rnit Hilfe der chemischen Verschiebung

Die Cleichgewichtskonstanle K ist nach (1) definiert, wobei m der Molenbruch ist. m K = -

1 -m

Sie kann nach Formel (2) 12b) errechnet werden. Darin ist T die chemische Verschiebung der X-Protonen der im Gleichgewicht vorliegenden Substanz; T= und 5, geben die chemische Verschiebung der X-Protonen in den konstellativ einheitlichen Bezugs- substanzen wieder. e und a bezeichnen die Aquatorial- bzw. Axialstellung des Sub- stituenten, nicht die der X-Protonen.

Das Zentrum eines Signals laRt sich meist auch dann genau bestimmen, wenn das Signal nicht oder nur unvollkommen aufgelost ist. Lediglich wenn das Signal breit und flach ist und keine Auflosung zeigt, ist eine Messung des Zentrums schwierig.

ELIEL l2 b, benutzt fur die Bestimmung der Gleichgewichtskonstanten an Cyclohexanolen und an Cyclohexylaminen die entsprechenden tert.-Butyl-cyclohexane, ebenso FELTKAMP~) bei Gleichgewichtsmessungen an den Aminen. Die so gewonnenen Daten stehen in guter Ubereinstimmung rnit Werten, die rnit anderen Methoden erhalten worden sind.

Dieses Analysenverfahren kann also, obgleich die genannten grundsatzlichen Bedenken gegen die Verwendung von Bezugssubstanzen bestehen, bei deren sorg- faltiger Auswahl doch brauchbare Werte liefern. Dabei hat man den Vorteil, daI3 diese Methode der Konstellationsanalyse experimentell einfach durchzufuhren und niit weniger theoretischen Vorbehalten belastet ist als z. B. die Analyse der Spin- Spin-Kopplung.

Konstellationsanalyse rnit Hilfe der Spin-Spin-Kopplung und der Bandenbreite

Bei Versuchen, die Gleichgewichtskonstante aus der GroI3e der Spin-Spin-Kopplung zu bestimmen, wird folgende Uberlegung benutzt : Die im Spektrum eines rasch umklappenden Cyclohexan-Derivates sichtbaren Aufspaltungen mussen Mittelwerte der Kopplungskonstanten beider beteiligter Konstellationen sein. In einem ABX-System ergibt sich der Mittelwert der Aufspaltung zwischen den Protonen X und A nach

(3) J m = m . J,, + (1 - m) . J,, J ~ ~ = r n . J , , + ( l - m ) . J , , (4)

Gleichung (3), derjenige zwischen den Aufspaltungen der Protonen X und B nach Gleichung (4). Dabei bedeutet m den Molenbruch der Konstellation rnit aquatorialem Substituenten. Fur jedes andere System konnen die Mittelwerte der Kopplungs- konstanten ebenso geschrieben werden I2a).

1965 Konstellationsanalyse mit Hilfe der Kernresonanzspektroskopie, I 63

Wenn man rnit Hilfe der Gleichungen (3) und (4) den Wert von m errechnen will, dann mussen sowohl die Kopplungskonstanten J,,, J,,, J,, und J,, sehr genau bekannt sein als auch die gemessenen mittleren Aufspaltungen JAX und JBX . Erstere vier Kopplungskonstanten sind aus den S. 60 angefiihrten Griinden rnit Hilfe von Vergleichssubstanzen zu ermitteln. Es ist aber in den fixierten Bezugssystemen rnit axialen Substituenten durchaus nicht immer sicher, daR eine Aufspaltung erster Ordnung vorliegt und somit die gemessenen Aufspaltungen den Kopplungskonstanten gleichgesetzt werden konnen. Noch unsicherer ist das fur die rasch umklappenden Cyclohexan-Derivate, deren Gleichgewichtslage gemessen werden soll. Deshalb kann eine Analyse des Konstellationsgleichgewichtes nur niit Hilfe der gemessenen Auf- spaltungen nicht mit der notigen Sicherheit vorgenommen werden.

Vie1 sicherer ist dagegen die Konstellutionsunulyse mit HiIfe der Bunderibreite des X-Teiles eines Spektrums. Sie kann nach Formel (5) vorgenommen werden, wobei sich die Bandenbreiten W, analog den Werten fur 7 in Gleichung (2) definiert, aus Gleichung (6) ergeben:

Wa-W K=- W- We

Selbstverstandlich kann man die Ausdrucke We und W, durch die Summe der betei- ligten Kopplungskonstanten ersetzen. Der Vorteil der Gleichungen (5) und (6) besteht aber darin, daB die GroBen We und W, unabhangig von der Aufspaltung sind17).

Die Notwendigkeit, auch hier Bezugssubstunzen zu verwenden, bringt zwar dieselben Einschrankungen rnit sich wie bei den vorher besprochenen Verfahren, jedoch ist die Bandenbreite sehr vie1 unabhangiger von auReren Einflussen (Losungs- mittel-, Substituenteneinflusse). Dagegen werden sich alle Einfliisse, die die Kopplungs- konstanten andern, auch in der Bandenbreite bemerkbar mdchen. Die bisherigen Kenntnisse reichen nicht aus, um die Abweichungen zu erklaren, die in den Kopp- lungskonstanten und Bandenbreiten 2-substituierter Cyclohexun-Derivute auftreten l 2 c).

Es ist denkbar, daR sie durch eine Deformation des Ringes zustandekommen. Die Analyse von Konstellationsgleichgewichten rnit Hilfe der Bandenbreite oder der Kopp-

lungskonstanten ist am Cyclohexanol3a), am Cyclohexandiol-(l.2)6), an Cyclohexylaminen9) und an Decalolen 126) vorgenommen worden.

Nach dem gegenwartigen Stand unserer Kenntnisse erscheint die Analyse der Bandenbreite als brauchbarste kernresonanzspektroskopische Methode fur die Er- mittlung von Konstellationsgleichgewichten.

Wir danken der DEUTSCHEN FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT fur die groRzugige Unterstutzung dieser Arbeit und dem DEPARTMENT OF SCIENTIFIC AND INDUSTRIAL RESEARCH fur die Ge- wahrung eines NATO Post-doctoral Research Fellowship an N. C. FRANKLIN.

17) Anmerkung bei der Korrektur (22. 1 . 65): Inzwischen erhielten wir von einer Arbeit Kenntnis, in der zur Bestimmung des Konstellationsgleichgewichtes im Bromcyclohexanon ein ahnliches Verfahren verwendet wird; E. W. GARBISCH, J. Amer. chem. SOC. 86, 1780 (1964).