kritik zweier sätze des hrn. w. wien

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764 14. Kritik xweier Satxe des Hm. W. Wden; von Xax Planck. Im letzten Heft dieser Annalen hat Hr. W. Wien') einige kritische Betrachtungen zur Theorie der Strahlung schwarzer Korper angestellt, zu denen ich mir hier beziiglich zweier Punkte, in denen meine Ansicht besonders stark von der sei- nigen abweicht, eine kurze Bemerkung erlauben m8chte. Zunachst das vermeintliche magneto-optische Paradoxon. Hr. Wien halt gegenuber den Darlegungen des Hrn. Brillouina), welche , wie mir scheint , im Wesentlichen mit dem iiberein- stimmen, was ich selber vor kurzem, ohne von letzterer Arbeit etwas zu wissen, gegen die Existenz cles Paradoxons anfiihrteY), an der Ansicht fest, dass die magnetische Drehung der Polarisationsebene in einem diathermanen Medium im Wider- epruch stehe mit dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, bez. eine bisher unbekannte Compensation erfordere. Er hat freilich seine friihere Berechnung 4, der uncompensirten Ver- wandlung, gegen die allein der Einwand gerichtet sein konnte, vollstandig fallen lassen, und zwar ohne ein Wort, der Erlauterung dazu zu geben; dafur benutzt er aber, um das Paradoxon nachzuweisen, eine andere Berechnungsart, und auch eine neue Vorrichtung, namlich die Spiegel S, 6), welche dazu bestimmt sind, die von der Flache ds, ausgesandten an ds, vorbeigehen- den Strahlen wieder nach d sa zuriickimreflectiren. Allein auch die neue Deduction erweist sich bei naherer Ueberlegung als unzulanglich. Denn einem jeden Strahl, der von den Spiegeln S, 1) W. Wien, Ann. d. Phys. 3. p. 530. 1900. 2) M. Brillonin, Lbclairage Blectrique 15. p. 265. 1898. 3) M. P l a n c k , Verhandl. d. Deutsch. Physikal. Gesellsch. 2. 4) W. Wien, Wied. Ann. 52. p. 143. 1894. 5) W. Wien, Ann. d. Phys. 3. p. 533. 1900. Fig. 2. p. 206. 1900.

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Page 1: Kritik zweier Sätze des Hrn. W. Wien

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14. Kritik xweier Satxe des H m . W. Wden; von X a x Planck .

I m letzten Heft dieser Annalen hat Hr. W. Wien ' ) einige kritische Betrachtungen zur Theorie der Strahlung schwarzer Korper angestellt, zu denen ich mir hier beziiglich zweier Punkte, in denen meine Ansicht besonders stark von der sei- nigen abweicht, eine kurze Bemerkung erlauben m8chte.

Zunachst das vermeintliche magneto-optische Paradoxon. Hr. W i e n halt gegenuber den Darlegungen des Hrn. Bri l louina) , welche , wie mir scheint , im Wesentlichen mit dem iiberein- stimmen, was ich selber vor kurzem, ohne von letzterer Arbeit etwas zu wissen, gegen die Existenz cles Paradoxons anfiihrteY), an der Ansicht fest, dass die magnetische Drehung der Polarisationsebene in einem diathermanen Medium im Wider- epruch stehe mit dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, bez. eine bisher unbekannte Compensation erfordere. Er hat freilich seine friihere Berechnung 4, der uncompensirten Ver- wandlung, gegen die allein der Einwand gerichtet sein konnte, vollstandig fallen lassen, und zwar ohne ein Wort, der Erlauterung dazu zu geben; dafur benutzt er aber, um das Paradoxon nachzuweisen, eine andere Berechnungsart, und auch eine neue Vorrichtung, namlich die Spiegel S, 6), welche dazu bestimmt sind, die von der Flache ds, ausgesandten an ds, vorbeigehen- den Strahlen wieder nach d sa zuriickimreflectiren. Allein auch die neue Deduction erweist sich bei naherer Ueberlegung als unzulanglich. Denn einem jeden Strahl, der von den Spiegeln S,

1) W. Wien, Ann. d. Phys. 3. p. 530. 1900. 2) M. Bri l lonin, Lbclairage Blectrique 15. p. 265. 1898. 3) M. Planck, Verhandl. d. Deutsch. Physikal. Gesellsch. 2.

4) W. Wien, Wied. Ann. 52. p. 143. 1894. 5 ) W. Wien, Ann. d. Phys. 3. p. 533. 1900. Fig. 2.

p. 206. 1900.

Page 2: Kritik zweier Sätze des Hrn. W. Wien

Kritik zweier Satze des Hm. W ; Wien. 765

herkommend auf ds, trifft und dort absorbirt wird, ent- spricht notwendigerweise auch umgekehr t ein Strahl , der von ds, in der Richtung gegen S, emittirt wiird. Diese Strahlen fallen nun aber nicht etwa auf S,, sondern sie gehen nach wieder- holten Reflexionen zum grossen Teil an S, aussen vorbei in den freien Raum hinaus, und dies l a s t sich nicht andern, wie gross auch S, genommen werden moge, wenn man nicht aber- mals eine andere Anordnung ersinnen will. Bei der Wien'- schen Betrachtung werden nun die genannten, in den freien Raum hinausgehenden Strahlen gar nicht beriicksichtigt, die Rechnung enthalt daher eine wesentliche Liicke, und man braucht kein Prophet zu sein, um gerade den vernachlassigten Strahlen die Rolle der von dem zweiten Hauptsatz geforderten Compensation zuzuweisen und somit auch dem neuen Para- doxon die Existenzberechtigung abzusprechen.

Der zweite Punkt betrifft die Frage der Reversibilitat der freien Ausbreitung strahlender Energie. Ich habe in meiner elektromagnetischen Theorie irreversibler t3trahlungsvorgange den Satz aufgestellt, und, wie ich meine, aiich bewiesen, dass jede Ausbreitung von Strahlung, die nicht mit diffuser Reflexion, Emission, Absorption oder Beugung verburiden ist , sich voll- standig reversibel verhalt. Hr. Wien fulirt dagegen einen Vorgang an, bei welchem radiale Strahlung, die sich innerhalb einer spiegelnden Halbkugel R, befindet, plotzlich durch Be- seitigung der spiegelnden Flache auf ein grosseres, von der concentrischen Halbkugel R, begrenztes Volumen gebracht wird. Dann ,,wird ein neuer Gleichgewichtszustand hergestellt, bei dem die Strahlung nicht dieselbe Dichte hat, als wenn d s (im Centrum gelegen) mit der urspriinglichen Temperatur gegen R, strahlen wiirde. Es entspricht dies einer Temperatur- erniedrigung , fur die keine Compensation geleistet ist. Der Vorgang ist also nicht umkehrbar".

Denn wenn die Beseitigung von Bl wirklich plotzlich erfolgt, so behalt jedes Strahlenbundel genau seine fruhere Intensitat bei ; nur ver- teilt die Strahlung sich nicht etwa, wie Hr. .Wien anzunehmen scheint, gleichmassig auf den ganzen Radius von R,, sondern es giebt iminer Stellen auf dem Radius, wo uberhaupt gar keine

Diese Behauptungen sind nicht zutreflend.

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766 M. Planck. Kritik zweier Satze des Hm. W. Vim.

Strahlung nach einer Seite vorhanden ist. Zu periodisch wieder- kehrenden Zeiten ist der zwischen R, und .71, befindliche Raum ganz von Strahlung entblosst, und ]man hat es stets in der Hand, durch momentanes Vorschieben des Spiegels den Vor- gang ohne Arbeitsleistung vollstandig riickgangig zu machen. Von einer Temperaturanderung der Strahluug ist also bei diesem Vorgang nicht die Rede.

Auf das Gesetz der Energieverteilung im Normalspectrum werde ich sehr bald an anderer Stelle aiusfiihrlich zuruckkommen.

(Eingegangen 20. November 1900.)