l ausgabe 5 1
DESCRIPTION
Literaturjournal des Literarischen Kreis SaarTRANSCRIPT
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Herausgeber:
Verein LKS Literarischer Kreis e. V. c/o Susanna Bur Blumenstr. 20 66111 Saarbrücken
Kontakt:
[email protected] www.literarischerkreissaar.wordpress.com
Redaktion:
Stefan Weigand Susanna Bur
Grafische Gestaltung:
Stefan Weigand Susanna Bur
Erscheinungstermine:
Das Journal erscheint vierteljährlich. Nächste Ausgabe: 15. Sept. 2014
ISSN 2197-9316
Copyright©:
Für die Inhalte der jeweiligen Texte sowie grammatikalische und stilistische Feh-ler sind die Autorinnen und Autoren selbst verantwortlich.
Das vorliegende Werk ist in all seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte und Pflichten verbleiben bei den Autorinnen/Autoren sowie Fotografinnen/Fotografen.
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grammen verwendet wurde, können weder die Autorinnen/Autoren oder Heraus-
geber für mögliche Fehler und deren Folgen eine juristische Verantwortung oder
irgendeine Haftung übernehmen.
Impressum
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort ..................................................................................................... 5
Flieder für Frau Röblitz, Flieder für Frau Röblitz, Flieder für Frau Röblitz, Andrea PfeifferAndrea PfeifferAndrea Pfeiffer ...................................................................................................................................................... 666
Die Katze Paula, Die Katze Paula, Die Katze Paula, Barbara WürtzBarbara WürtzBarbara Würtz ....................................................................................................................................................................................... 101010
Heimkehr, Heimkehr, Heimkehr, Barbara WürtzBarbara WürtzBarbara Würtz ..................................................................................................................................................................................................................... 111111
Bodengymnastik, Bodengymnastik, Bodengymnastik, Barbara WürtzBarbara WürtzBarbara Würtz .................................................................................................................................................................................... 121212
Dunkelsommer, Dunkelsommer, Dunkelsommer, Birgit BurkeyBirgit BurkeyBirgit Burkey................................................................................................................................................................................................... 131313
Uferlose Zeit, Uferlose Zeit, Uferlose Zeit, Birgit BurkeyBirgit BurkeyBirgit Burkey ............................................................................................................................................................................................................ 141414
Wenn du mich liebt, Wenn du mich liebt, Wenn du mich liebt, Birgit BurkeyBirgit BurkeyBirgit Burkey.............................................................................................................................................................................. 151515
Schwesternmorde, Schwesternmorde, Schwesternmorde, Marlian WallMarlian WallMarlian Wall....................................................................................................................................................................................... 161616
auf der fahr nach granada, auf der fahr nach granada, auf der fahr nach granada, Andreas HämerAndreas HämerAndreas Hämer....................................................................................................................................... 222222
córdoba, córdoba, córdoba, Andreas HämerAndreas HämerAndreas Hämer........................................................................................................................................................................................................................... 232323
gibralta, gibralta, gibralta, Andreas HämerAndreas HämerAndreas Hämer ........................................................................................................................................................................................................................... 242424
valencia, valencia, valencia, Andreas HämerAndreas HämerAndreas Hämer ........................................................................................................................................................................................................................ 252525
Xàtiva, Xàtiva, Xàtiva, Andreas HämerAndreas HämerAndreas Hämer ................................................................................................................................................................................................................................. 262626
Einreise nach spanien, Einreise nach spanien, Einreise nach spanien, Andreas HämerAndreas HämerAndreas Hämer......................................................................................................................................................... 272727
Späte Erkenntnis, Späte Erkenntnis, Späte Erkenntnis, Anne AdamAnne AdamAnne Adam ................................................................................................................................................................................................... 303030
Das erste Date, Das erste Date, Das erste Date, Thomas LucciThomas LucciThomas Lucci ................................................................................................................................................................................................... 363636
Gromek will lesen, Gromek will lesen, Gromek will lesen, Bodo BickelmannBodo BickelmannBodo Bickelmann ............................................................................................................................................................... 383838
(Selbst)Initiative, (Selbst)Initiative, (Selbst)Initiative, HeinzHeinzHeinz---Josef SchererJosef SchererJosef Scherer ............................................................................................................................................................ 444444
Einfache Freuden, Einfache Freuden, Einfache Freuden, HeinzHeinzHeinz---Josef SchererJosef SchererJosef Scherer ...................................................................................................................................................... 454545
Freiwilligkeit, Freiwilligkeit, Freiwilligkeit, HeinzHeinzHeinz---Josef SchererJosef SchererJosef Scherer ........................................................................................................................................................................... 464646
HeimatHeimatHeimat---Welt, Welt, Welt, HeinzHeinzHeinz---Josef SchererJosef SchererJosef Scherer .............................................................................................................................................................................. 474747
Don QuichoteDon QuichoteDon Quichote———eine Übertragung in die Neuzeit,eine Übertragung in die Neuzeit,eine Übertragung in die Neuzeit,
Dieter ArweilerDieter ArweilerDieter Arweiler ........................................................................................................................................................................................................................................................................ 484848
Trag mich hinaus, Trag mich hinaus, Trag mich hinaus, Dieter ArweilerDieter ArweilerDieter Arweiler .............................................................................................................................................................................. 515151
Iguazu, Iguazu, Iguazu, Susanna BurSusanna BurSusanna Bur ............................................................................................................................................................................................................................................. 525252
Angst, Angst, Angst, Robert BruckartRobert BruckartRobert Bruckart ................................................................................................................................................................................................................................. 565656
AutorInnenverzeichnisAutorInnenverzeichnisAutorInnenverzeichnis .................................................................................................................................................................................................................................... 787878
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Wir feiern Geburtstag!
Vor einem Jahr wurde unser Litera-
turjournal aus der Taufe gehoben. Wir
haben eine treue Anhängerschaft von
durchschnittlich 2.000 Leserinnen
und Lesern rund um den Globus, die
uns Autorinnen und Autoren auf unse-
ren literarischen Reisen begleitet.
Das Journal ist eine Online-Zeit-
schrift, das war und ist uns wichtig,
damit wir es kostenlos anbieten kön-
nen.
Zu unserem Geburtstag schenken
wir Ihnen unser Journal als E-Book –
für alle gängigen Reader und Tablets,
PCs und Macs. Jetzt können Sie uns
überhall hin mitnehmen – auch ohne
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Der Download wir auf folgenden
Webseiten angeboten:
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ss.com
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Ich bedanke mich recht herzlich bei
allen, die bei unserem Journal mitwir-
ken und wünsche den Leserinnen und
Lesern viel Vergnügen.
Susanna Bur
Foto: Susanna Bur
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Jeden Morgen war warmes, orangefarbenes Licht aus den
kleinen Fenstern des Häuschens gegenüber gedrungen. Hinter
den leicht angeschmutzten Scheiben hatte man eine Schwester
der Sozialstation, die die alte Frau Röblitz täglich versorgte, ge-
schäftig hin und her laufen sehen. Vielleicht eine Diabetessprit-
ze, vielleicht eine Handreichung beim Waschen, niemand wuss-
te das so genau.
Seit ein paar Tagen war es dunkel geblieben hinter der klei-
nen Veranda, wo sich ausgediente Küchenstühle, eine alte Holz-
bank und ein wackliger Tisch Gesellschaft leisteten; auch die
Schwester sah man nicht mehr. Langsam machte ich mir Sorgen,
ob der alten Frau etwas zugestoßen war; schließlich las man ja
immer wieder in der Zeitung von solchen Fällen. Ich mochte sie
nämlich, die etwas schmuddelige, kleine Alte aus dem Nachbar-
haus.
Als ich einige Tage später von einem Spaziergang zurück-
kam, standen zwei Nachbarinnen beieinander und unterhielten
sich. Im Vorbeigehen hörte ich, dass eine erzählte, kürzlich habe
ein Krankenwagen am Haus gegenüber gehalten. Frau Röblitz
sei wohl abgeholt worden.
Nach Anrufen bei sämtlichen Krankenhäusern und Pflegehei-
men der Umgebung hatte ich endlich in Erfahrung gebracht, wo
sie untergekommen war. Aus zarten, weißen Spireenrispen und
unserem leuchtend violetten, wunderbar duftenden Flieder, den
sie immer so bewundert hatte, band ich einen großen Strauß und
machte mich unverzüglich auf den Weg.
Flieder für Frau Röblitz Andrea Pfeiffer
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Das Heim wirkte schon von außen recht trostlos: Der hässli-
che Betonquader war von ebenso schäbigen Mauern umgeben;
den einstmals hellen und nun angegrauten Putz durchzogen hier
und da Risse. Die gardinenlosen Fenster starrten mich wie riesi-
ge leere Augenhöhlen an. Von einem Garten war hier weit und
breit nichts zu sehen. Zuhause hatte die alte Frau im Frühling
manchmal auf ihrer Bank in der Sonne gesessen, sich an der
Wärme und den leuchtend gelben Löwenzähnen gefreut, die den
schmalen Streifen Wiese zu Hunderten überzogen. Wenn aus
den schneeweißen Frühlingsblüten des Pflaumenbaumes im
Spätsommer pralle, dunkelviolette Früchte geworden waren,
war sie mit einer großen Schüssel hin und her gelaufen und hatte
die abgefallenen, überreifen Pflaumen sorgsam eingesammelt,
wie ein emsiges Huhn, das seine Körner aufpickt. Auf ihr eige-
nes Obst und Gemüse war sie immer besonders stolz gewesen.
An der Anmeldung ließ ich mir von einer mürrischen Emp-
fangsdame die Zimmernummer geben. »Da werden Sie nicht
viel Glück haben«, meinte sie, »wir müssen den Blutdruck nied-
rig halten. Die Medikamente machen sie immer sehr müde. Sie
schläft die meiste Zeit.« Im Flur kam ich an einem Aufenthalts-
raum vorbei. Ein paar alte Leute versuchten mühsam, sich die
Zeit, die ihnen noch blieb, zu vertreiben. Ein Paar steckte die
Köpfe über einem Brettspiel zusammen, eine Greisin im Roll-
stuhl sah sich mit ausdruckslosem Gesicht eine Spielshow im
Fernsehen an und ein alter Mann entzifferte angestrengt die Rie-
senlettern einer Boulevardzeitung. Außer mir gab es offensicht-
lich keine Besucher.
An der Tür mit dem handgeschriebenen Schild "Röblitz, Ly-
dia" klopfte ich leise an. Keine Antwort. Vorsichtig öffnete ich
und trat ein. Mitten im Raum stand ein Krankenbett, in dem die
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alte Frau Röblitz unter einer dünnen Decke schlief. Sie sah so
verloren aus in dem kahlen Zimmer. Fast lautlos zog ich mir ei-
nen Stuhl heran und setzte mich. Auf dem Nachttisch stand ein
beinahe schon vergilbtes Schwarzweißbild mit einem Trauerflor
in der rechten oberen Ecke. Es zeigte einen schmächtigen Jun-
gen von ungefähr zehn Jahren, der mit einem Rucksack auf dem
Rücken und einem großen Stock in der Hand auf einer sonnigen
Bergwiese aufgenommen worden war. Seine Augen strahlten
und sein begeistertes Lachen legte viele Zahnlücken bloß. Das
tat der ansteckenden Freude, die das Bild ausstrahlte, jedoch
keinen Abbruch.
Als ich schließlich wieder aufsah, blickte ich in die müden
Augen von Frau Röblitz. Ohne dass ich es gemerkt hatte, war
sie aufgewacht und sah mich still an. »Mein Karlchen«, sagte
sie traurig. »Das Bild ist in Österreich gemacht worden. Der
Doktor hatte gemeint, das Einzige, was ihm helfen könnte, wäre
eine Kur im Gebirge. Karlchen war nämlich lungenkrank, müs-
sen Sie wissen. Um die Reise zu bezahlen, liehen wir uns Geld
bei der Bank. Ein paar Monate später brach der Krieg aus. Auf
unserer Flucht aus Ostpreußen hat sich Karlchen eine Lungen-
entzündung geholt; daran ist er gestorben. Kaum war er beer-
digt, mussten wir weiter; der Russe kam immer näher.« Tränen
stiegen ihr in die Augen. »Mein Mann Rudolf fiel schließlich an
der Ostfront. Beide sind sie nun schon lange Jahre tot, und was
noch schlimmer ist: Es war kein Grab da, auf das ich hätte Blu-
men pflanzen können!«
Sie schluchzte leise. Ich schwieg. Jedes Wort des Trostes
schien mir schlichtweg überflüssig und banal. Ich nahm einfach
ihre kleine, faltige Hand in meine und drückte sie. Plötzlich
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schimmerte ein Lächeln durch die Tränen. Sie hatte den Flieder-
strauß entdeckt. Hastig griff sie nach dem Gebinde und sog den
süßen Duft der Dolden tief ein. »Wie schön! Die Blumen erin-
nern mich an meine Heimat. Wir hatten damals im Garten auch
solch prachtvollen Flieder.«
Überwältigt von Erinnerungen fing sie an zu erzählen. Die
fast schon vergessen geglaubten Geschichten ihres Lebens bra-
chen sich Bahn und vor Eifer röteten sich sogar ihre schmalen,
blassen Wangen nach und nach. Ich saß an ihrem Bett und hörte
einfach nur zu.
Das nächste Mal würde ich ihr Pfingstrosen mitbringen.
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Ein schwarzes Knäuel
kuschelt in der Sofaecke
Schnurrend freut sich Paula
über meine Streicheleinheiten
Sie dreht sich auf den Rücken
zeigt ihren weißen Bauch
Streckt alle vier Pfoten hoch
wartet auf weitere Zärtlichkeiten
Dann erhebt sie sich
buckelt wohlig
Schreitet zielsicher auf Omas Schoß
Rollt sich zusammen und
Genießt die Körperwärme
Die Katze Paula Barbara Würtz 2014
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Einige Kühe rannten nieder den Zaun
und waren zusammen abgehau´n
nahmen die schnelle Strecke der A8
haben die Autofahrer in Angst gebracht
Eingefangen hat sie die Polizei
nur noch eine Kuh war frei
Sie trabte allein durch Wiesen und Wald
dabei war ihr innerlich so kalt
Sie suchte und fand den Weg nach Hause
trottete einen Tag lang ohne Pause
Die anderen Kühe rannten auf sie zu
und machten „muh“.
Heimkehr Barbara Würtz 2013
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Mutter und Kind
tanzen wie der Wind
auf Zehenspitzen elegant
man sieht, sie sind verwandt
Die bunten Bänder
in die Luft geworfen hinauf
fangen sie sicher wieder auf
diese gewirbelt im Kreis
lange geübt mit viel Fleiß
Kein Fehler passiert
den 1. Preis kassiert
Bodengymnastik Barbara Würtz 2013
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Der Tag hüllt sich in Fetzen,
das Festgewand vermodert,
zwischen nässenden Wolken.
Wo ist das Licht geblieben,
stetig suche ich es,
und ertrage es doch nicht.
Ich liebe den Schatten,
der mir Schutz schenkt,
mich vorbehaltlos
mit Geborgenheit umgibt,
ohne zu fordern,
ohne Ansprüche zu stellen.
Licht und Schatten
sind Zwillingskinder.
Mond und Sonne,
Tag und Nacht,
hell und dunkel,
das eine existiert nicht
ohne das andere.
Leben ist eine Symbiose,
aus Weiß und Schwarz.
Dunkelsommer Birgit Burkey
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Ängste begleiten meine Wege
durch lichtlose Stunden.
Alle Gedanken streifen
über falsche Farbfelder,
dehnen sich ins Uferlose
und geistern davon,
in leergespülte Räume.
Grenzen verschwimmen,
Träume sinken ins Nichts.
Uferlose Zeit Birgit Burkey
15
Wenn du mich liebst,
rieselt Zeit durch meine Haut,
versinken alle Gedanken
in den Schatten unserer Nächte.
Wenn du mich liebst,
strömt Glück über meinen Körper,
verlieren alle Zweifel
die Macht über unsere Leben.
Wenn du mich liebst Birkit Burkey
16
Prolog
Schwer, so schwer.
Warum kann ich mich nicht rühren, fragte sich die junge Frau
verzweifelt. Sie kämpfte gegen den Sog des gähnenden Ab-
grunds, der sich unter ihr auftat, und die Fallwinde des Eis-
sturms drohten sie in die grauenvolle Finsternis hinab zu stoßen.
Sie klammerte sich an das zarte Bäumchen ihres Lebens, das
seinen Halt zu verlieren schien.
Ein schmerzhafter Stich an ihrem Fußrücken riss sie aus die-
sem Albtraum, verlieh ihr die Kraft, die Augen zu öffnen. Müh-
sam orientierte sie sich, erkannte ihr Schlafzimmer in der Helle
des Sommermorgens. Sie lag auf dem Bett, war fast vollständig
bekleidet. Der Schmerz an ihrem nackten rechten Fuß hatte
nachgelassen und ihr Blick fiel auf die unförmige Gestalt in dem
weißen Kunststoffoverall, die sie misshandelte. Wer ist der Ast-
ronaut in meinem Schlafzimmer, dachte sie benommen.
Die Kreatur sah auf, als habe sie ihren fragenden Blick be-
merkt. Sie nickte ihr zu, hielt ihren Fuß jedoch weiter fest um-
fangen. Sorgfältig befestigte sie ein Pflaster an der Kanüle und
sah sie fast bewundernd an. »Da bist du ja noch einmal! Ich ha-
be dein Zucken gespürt und muss sagen, du bist zäher, als ich
dachte! Die K.o.-Tropfen in deinem Kaffee hätten zwei Männer
umgehauen!« Dumpf und fremd klang die Stimme durch den
Mundschutz, der das Gesicht bedeckte.
Schwesternmorde Marlian Wall
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Nein, das kann nicht sein, flehte die Frau, als sie in dem ver-
mummten Subjekt ihren Partner erkannte. Ruhig und kon-
zentriert schloss er nun die Injektionsleitungen an.
Sie wollte schreien und sich wehren, doch ihre Muskeln,
selbst die der Zunge, waren wie gelähmt.
Als habe er die Panik in ihren Augen erkannt, ließ er nun von
ihrem Fuß ab, kam zum Kopfteil des Bettes und setzte sich ne-
ben sie, viel zu nah. Er umfing ihre Schultern und richtete sie
mit geübtem Griff auf. »Schau, mein Liebling, du darfst zuhause
in deinem Bett sterben; so, wie es sich die meisten Menschen
wünschen!«
Der kühl-ironische Tonfall seiner Stimme ließ sie noch mehr
erzittern als die Worte, deren Bedeutung sie nur schwer erfasste.
Ihr Blick fiel auf die Perfusoren neben dem Bett. Beide Geräte
waren bereits programmiert und sie sah die Frage im Display:
Starten? Nur ein Knopfdruck trennte sie noch vom Inhalt der
großen Spritzen, die in die Geräte eingespannt waren.
Der Mann war ihrem Blick gefolgt und nickte. »Ganz richtig!
Ein angenehmer und sicherer Suizid, so professionell, wie man
ihn bei einer Krankenschwester erwarten darf. Die Polizei wird
nicht genauer nachfragen, aber falls doch, werden sie keine Spur
von mir entdecken. Wie du siehst, habe ich auch hier vorge-
sorgt.« Er sah an sich herab, als wolle er damit seine Aufma-
chung erklären. »Nun trink einen Schluck für den Fall, dass sie
die Medikamente in deinem Blut nachweisen.« Grob packte er
sie, setzte ihr ein Wasserglas an die Lippen und kippte ihr die
Flüssigkeit in den Mund.
Sie konnte kaum schlucken, hustete und der grauenhaft bitte-
re Geschmack weckte die Erinnerung.
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Ganz unerwartet hatte er nach der Nachtschicht vor der Woh-
nungstür gestanden und ihr den Becher mit ihrem Lieblingskaf-
fee überreicht: »Überraschung!«
Ja, für Überraschungen war er immer gut gewesen.
Blitzartig erstanden die Bilder vor ihrem inneren Auge: Die
Überraschung, als er sie damals bei der Visite so unvermittelt
angelächelt hatte. Sie hatte kaum glauben können, dass es tat-
sächlich ihr galt, dieses hinreißende Lächeln.
Die Überraschung, als er sie zum ersten Mal zum Essen ein-
lud, die Überraschung, als er sie an ihrem Geburtstag zu einem
Kurzurlaub nach Straßburg entführte.
Und die Überraschung, als er sie in diesem liebevoll handge-
schriebenen Brief um Verzeihung bat.
Heute Morgen war sie bei seinem frühen Besuch noch ganz
trunken vor Freude über die anstehende Versöhnung. Sie hatte
den Kaffee angenommen und sein Kuss hatte den bitteren Nach-
geschmack überdeckt.
Jetzt schüttelte sie sich innerlich bei diesem Geschmack der
Flüssigkeit, der ihre Angst bis zur Übelkeit steigerte. Ich will
nicht sterben, schrie alles in ihr, bitte helft mir doch! Die Todes-
angst mobilisierte ihre letzten Reserven, ließ sie den letzten
Schluck des Medikamentencocktails ausspucken, den er ihr ein-
flößte.
Doch er hielt sie wie ein Schraubstock umfangen. Sorgfältig
darauf bedacht, den Inhalt nicht zu verschütten, stellte der Täter
das Glas wieder auf den Nachttisch und sie hörte den überhebli-
chen Klang seines Lachens. »Nun wehr dich doch nicht; es gibt
keinen anderen Weg für uns. Aber weil du rechtzeitig zum Fina-
le aufgewacht bist, darfst du zur Belohnung nun selbst die Pum-
pen starten, die dich sanft ins Jenseits führen!«
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Er nahm den willenlosen Zeigefinger ihrer linken Hand und
drückte auf die Startknöpfe. Der Kontrollton ertönte leise, das
kaum hörbare Pumpgeräusch setzte ein. Der kleine wandernde
Pfeil im Display signalisierte die einwandfreie Funktion.
Der Mörder ließ sie zurück in die Kissen sinken und strich ihr
beruhigend übers Haar. Das Latex seiner Handschuhe verur-
sachte ein elektrisch geladenes Knistern.
»Hab´ keine Angst, es wird nicht wehtun und ich bleibe bei
dir, bis du es geschafft hast. Du warst mir eine große Hilfe, mein
Engel, aber ich kann dir nicht mehr vertrauen.« Er sah prüfend
über das Bühnenbild des inszenierten Suizids hinweg und schien
zu überlegen. »Etwas fehlt noch!«
Eilig verließ er das Schlafzimmer, sie hörte ihn in der Küche
rumoren und kurz darauf kam er mit ihrem Handy zurück. Sorg-
sam wischte er über das Display, entsperrte es mit der typischen
Handbewegung. Er suchte den Adressaten, tippte schnell eine
Nachricht ein und las sie ihr vor: »Ich kann nicht mehr! Bitte
verzeiht mir!«
Er sah auf: »Kurz und bündig, nicht wahr?«
Er verschickte die SMS und wieder nahm er ihre Hand, ver-
teilte ihre Fingerabdrücke auf dem Glas des Handys, bevor er es
auf den Nachttisch neben das Wasserglas legte.
»Bis sie hier sind, ist alles vorbei. Aber du wirst sofort gefun-
den, liegst nicht tagelang hier herum, bis es für alle unangenehm
wird. Du wirst auch als Leiche noch wunderschön sein!« Er lä-
chelte höhnisch: »Man sollte auch an die Kollegen denken, das
hast du doch immer betont!«
Seine Worte verhallten in dem Rauschen in ihren Ohren. Ihre
Lider fielen zu, ein eisiges Kribbeln durchraste ihren Körper
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und sie spürte die ersten unwillkürlichen Zuckungen, die das
Ende des Kampfes ankündigten.
Ich will nicht sterben, flüsterte es noch einmal in ihrem Kopf.
Die Kälte in ihrem Innern ließ sie erzittern; der Sog des Ab-
grunds hatte sie erneut erfasst.
Wie ein Strudel zog er sie hinunter in die Schwärze, als ihre
Kraft erlahmte.
...
21
Schwesternmorde
Roman
Marlian Wall
ISBN 978 149 970 4433
Die Druckversion erscheint im Juni 2014 auf Amazon.com. Preis 12€
Auch als E-Book erhältlich. Preis: 7,49€
Höchste Stellen setzen die Polizei und den Staatsanwalt Falk Senkenfeld unter Druck. Kommissarin Dora Singer, Psychologin und Lügendetektivin, wird ins Saarland zurück-beordert, um den Freitod einer Krankenschwester zu überprüfen. Schnell stößt sie mit ihrem jungen Team auf Widersprüche und einen weiteren Todesfall.
Als erneut ein Mord geschieht, ermitteln Dora und Falk im Grenzbereich der Medizin, um einen gewissenlosen Serientäter zu überführen.
22
soweit die blicke reichen
olivenhänge
berge, wälder, felsen
bäche, bäume, schluchten
und hinter jeder windung
neue weite
unendlicher reichtum
der blicke. ich bin
ein wirbelnder punkt
im ruhlosen all
ein augenblick, glücklich
in eilender zeit, so reich
die weiten blicken
auf der fahrt nach granada Andreas Hämer
23
kleines mittelalterliches
städtchen, mit holprigem
pflaster und engen gassen
verwinkelt, voller geheimnis
und weisheit, als ob du
maimonides und muhammed
noch raunen hörst.
indessen
es gibt kein zurück
hinter die vertreibung
von 1492
nur den weg nach vorn:
freiheit für gaza
und frieden
von juden und arabern
in dem einen land
der verheißung
córdoba Andreas Hämer
24
welch ein gegensatz
oben und unten
da unten
eine hochhausstadt
geballten finanzbetruges
und läden voller killefit
überflutet von menschen
die der affe beißt
und oben
hoch auf dem felsen
djebl-at-tariq, gibraltar
zuflucht von affen
die wie menschen
taschendiebe sind
dennoch
welch ein gefühl
einmal
von europa nach afrika
herüberzuwinken
wie im traum
und wie viele träume
ertrinken vor gibraltar
gibraltar Andreas Hämer
25
wahrzeichen der stadt:
die zwei großen augen
des architekten caltrava.
das eine öffnet sich
zum sternenhimmel
in den er sich sehnt.
das andere blickt
wie leer
peinlich berührt
von den 727 millionen
die diese kunst
denen entzog, die täglich
den gürtel enger schnallen
und schließlich mit carajo
aus ihrer kleinen wohnung
im elften stock
unsanft auf der straße landen.
armes valencia
mensch caltrava
mach die augen auf!
valencia Andreas Hämer
26
jahrtausende
blicken auf euch herab
hannibal, scipio, caesar
auch bald schon auf euch
ferdinand und fünfter karl
und begraben euch alle
in den eigenen ruinen
zuletzt den kalten caudillo
nur der kaktus blüht
kackfrech, treibt früchte
und feine stacheln
aus angst
vor nähe
Xàtiva Andreas Hämer
27
anderes land
dieselbe erde
andere sprache
dieselbe gebärde
andere luft
derselbe atem
andere klänge
dasselbe fatum
andere menschen
dieselbe not
andere häuser
derselbe tod
andere arbeit
dasselbe streben
andere farben
dasselbe leben
erde und brot
arbeit und streben
not und tod
lautloses beben
klang und duft
gehen und schweben
sprache und luft
lieben und leben
Einreise nach spanien Andreas Hämer
28
Es perlen die Tage
Dr. Andreas Hämer
ISBN 978-3-935431-25-5
Ladenpreis 12,80 €
In den vielfältigen und brisanten Gedichten im Werk „Es perlen die Tage“ von Andreas Hämer geht es um Politik, Frieden, Kirche und Religion, Natur und umgedichtete Kir-chenlieder.
Ansprechende Illustrationen vom Grafiker Dietmar Fiessel erweitern die Interpretation der Gedichte.
Beim Lesen der Gedichte kann man nachdenken und auch schmunzeln. Die Polarität zwischen Aufrütteln und Träumen kann eine Spannung erzeugen, die zur Reflexion über die eigenen Sichtweisen anregt und zum Handeln motiviert.
29
Mondzauber
Texte Anne Adam
Illustrationen Susanna Bur
Erschienen im SAWA-Magazinverlag
ISBN: 3945193001
Seitenanzahl: 264
€ 9,90
www.amazon.de
Auch als E-Book erhältlich
Zauberhafte Märchen und Geschichten – nicht nur für Kinder Da ist Robert, der Regen-wurm, der sich einsam fühlt und auf der Suche nach einem Freund seinem wahren Ich begegnet oder die rührende Geschichte einer Freundschaft zwischen einem Jungen und einem Elefanten. Ein Stern, der vom Himmel fällt oder das Seepferdchen, welches gerne ein stolzer Hengst wäre – all dies finden Sie in den bezaubernden Geschichten dieses Buches.
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Ihr kurzes Röckchen schwingt bei jedem Schritt, ebenso wie
ihr langes Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hat.
Die Männer an der Baustelle, an der sie fast täglich auf dem
Weg zur Bushaltestelle vorbei muss, pfeifen ihr hinterher. Na-
türlich tut sie so, als wenn sie das nicht interessieren würde, aber
sie nimmt die bewundernden Pfiffe schon zur Kenntnis. Und
auch die Jungs in der Schule, die sie entweder plump anbaggern
oder verschämt von Weitem bewundern, sind ein Messskala. Sie
kommt an, das weiß sie. Und wie sie das weiß. Natürlich will
sie keinen von den Jungchen, die sind ihr viel zu nichtssagend.
Zu Hause steht sie oft vor dem Spiegel und übt. Sie übt ver-
führerische Blicke, sie übt arrogante Blicke, sie übt ihren Gang.
Selbst wie sie den Lehrer unschuldig und um Verzeihung bittend
anblickt, wenn sie ihre Aufgaben nicht gemacht hat, ist geübt.
Als es um den Job geht, sticht sie ihre Mitwerberinnen aus,
indem sie bei ihrem Bewerbungsgespräch genau die Kleidung
auswählt, die vermittelt, dass sie zwar bildschön ist, dies aber
nicht in den Vordergrund stellt. Ihre Ausstrahlung tut ein Übri-
ges. Sie ist nicht dumm, ist den Aufgaben durchaus gewachsen,
jedoch ist ihr auch hier ihre Schönheit mehr als nur behilflich.
Man kann sie nicht als berechnend einstufen, trotzdem rechnet
sie mit ihrem Aussehen.
Und so steigt sie die Karriereleiter schneller hinauf als ande-
re, die mindestens genauso intelligent sind. Ihre Kollegen wett-
eifern darum, wer ihre Tasche tragen darf, wer ihr die Laufzettel
bringt, wer bei Besprechungen neben ihr sitzt. Doch auch hier
Späte Erkenntnis Anne Adam
31
ist keiner auch nur annähernd gut genug, um nähere Bekannt-
schaft mit ihr zu machen.
Der Abteilungsleiter vom Wirtschaftsressort hat sie öfter mal
zum Essen eingeladen, aber so dumm ist sie nun nicht, dass sie
sich als Betthäschen abstempeln lässt. Bald trägt sie den Namen
unnahbare Gräfin.
Irgendwann ist sie Abteilungsleiterin, aber noch immer ist ihr
nicht der Mann begegnet, mit dem sie ihr Leben teilen möchte.
Als der oberhöchste Chef auf sie aufmerksam wird, und das
nicht nur wegen ihrer Fähigkeiten, glaubt sie sich kurz am Ziel
ihrer Wünsche. Schnell jedoch wird ihr klar, dass sie nur eine
von vielen sein würde, und so ist auch das Thema gestorben.
So reiht sich Jahr an Jahr, sie wird älter, ist aber immer noch
eine Schönheit. Viele ihrer Freundinnen und Kolleginnen haben
geheiratet, Kinder bekommen; nur sie ist immer noch alleine,
wartet auf den, der ihrer würdig ist. Auf der einen Seite beneidet
sie diese Frauen, auf der anderen jedoch belächelt sie diese gut-
bürgerlichen Verhältnisse. Nein, sie ist für Höheres bestimmt
und nicht dafür, dass sie einem Mann die Pantoffeln bringt und
schon gar nicht möchte sie ihre Figur wegen eines Kindes aufs
Spiel setzen.
Seit ein paar Wochen trifft sie sich regelmäßig mit Robert, ei-
nem äußerst gutaussehenden Mann und Inhaber der BOTO-
Werke; ein Unternehmen, welches auf Schönheit spezialisiert ist
und sich in der ganzen Welt mit seinen Produkten einen Namen
gemacht hat. Er ist fasziniert von ihrer Schönheit. Insgeheim
denkt er, dass sie ein perfektes Aushängeschild für seine Firma
ist, auch wenn sie zurzeit noch keine seiner Produkte benötigt.
Aber das muss ja niemand wissen.
32
Er führt sie ein in die Welt der Reichen und Schönen. Sie be-
suchen die Oper, in der er eine Loge gemietet hat. Sie besuchen
Konzerte, sie fliegen auf die Malediven, er nimmt sie mit, als
ein neues Werk in Amerika eingeweiht wird, er stellt sie seinen
Eltern vor. Endlich ist sie angekommen, endlich erhält sie das,
was ihr gebührt.
Robert ist wohl etwas kühl und lässt kaum Zärtlichkeiten zu –
in der Öffentlichkeit schon gar nicht, aber er macht ihr wertvolle
Geschenke, und ihre Kleidung kommt neuerdings aus den ange-
sagtesten Läden. Er ist dabei, wenn sie ein neues Kleid braucht
und achtet darauf, dass es seinem Geschmack entspricht.
Und dann eines Tages passiert es. Sie fühlt einen Knoten in
ihrer Brust. Ein Arztbesuch mit anschließendem Test bestätigt
den Verdacht: Brustkrebs. Nicht nur, dass ihr Busen für eine Zeit
praktisch nicht mehr vorhanden ist, auch als er nach langer Zeit
des Leidens in einer kosmetischen Operation wieder rekonstru-
iert wird, ist er bei Weitem nicht mehr das, was er einmal war.
Auf die OP folgt die Chemo. Ihr gehen die Haare aus, auch
nimmt sie dramatisch ab. Bald ist sie nur noch ein Schatten ihrer
selbst. Ihre schönen Haare, ihre zarte, glatte Haut, ihr strahlen-
der Blick – nichts ist mehr, wie es war. Ihre sonst so wachen Au-
gen blicken müde, resigniert.
Niemand ist da, der ihr Mut zuspricht, außer den Ärzten und
Schwestern, doch die haben kaum Zeit fürs Zuhören.
Ihre Bettnachbarin wird regelmäßig von ihrem Mann besucht,
der ihr immer wieder versichert, dass er sie liebt, egal wie sie
aussieht, und dass alles wieder gut wird.
Robert hat sich schon bei der Diagnose merklich zurück ge-
zogen und Arbeit vor geschürzt. Er hat sie in der Klinik ein ein-
33
ziges Mal besucht, und als sie sich in seine Arme werfen wollte,
ist er zurück geschreckt, als wenn ihre Krankheit ansteckend
wäre. Kurz danach erhielt sie einen Brief, in dem er ihre Bezie-
hung ohne ein Wort der Erklärung beendete und sie um Rückga-
be der Geschenke bat.
Nachts weint sie in ihr Kissen. Sie ist so allein.
An einem besonders trübseligen Tag erhält sie Besuch von
einem Kollegen, von Michi, dem kleinen, etwas pummeligen
Michi. Er hält unbeholfen einen Strauss Blumen in der Hand,
weiß nicht wirklich wohin damit und streckt ihr den bunten
Strauss schüchtern entgegen.
Zunächst ist sie irritiert. Was will er von ihr? Doch nach eini-
ger Zeit stellt sie fest, dass man sich sehr angeregt mit ihm un-
terhalten kann, und für ein-zwei Stunden vergisst sie, wo sie ist,
vergisst sie, warum sie überhaupt hier ist.
Sie lachen viel, er erzählt ihr Anekdoten aus dem Büro und
ein klein wenig auch von sich. Sie hört aufmerksam zu. Wieso
ist ihr niemals aufgefallen, was für ein netter Kerl Michi ist?
Von da an besucht er sie täglich. Sie wartet schon am Eingang
auf ihn, und dann gehen sie spazieren oder sitzen im Café und
reden und reden.
In der Reha besucht er sie am Wochenende und dazwischen
telefonieren sie. Sie fühlt sich so wohl in seiner Nähe. Bald
fängt sie an die Tage zu zählen, bis er wieder da ist.
Als sie wieder hergestellt ist und in ihren Job zurück kann,
treffen sie und Michi sich weiterhin. Bis sie ihm eines Tages ei-
nen Heiratsantrag macht. Er schaut sie erschrocken an – und
weist sie zurück. Er möchte nicht, dass sie ihn aus Dankbarkeit
nimmt oder vielleicht sogar aus Mitleid, denn all ihre Schönheit
34
ist zurückgekehrt; selbst ihre Augen strahlen wieder so wie frü-
her, und nur ein guter Beobachter kann erkennen, dass hinter
diesem Strahlen ein Schatten verborgen ist.
Eines Morgens kommt sie ins Büro und kein Michi begrüßt
sie. Ist er krank? Sie fragt Kollegen, die jedoch nur mit der
Schulter zucken. Michi? Keine Ahnung! Sie fragt im Personal-
büro nach und erfährt, dass er gekündigt hat und am vergange-
nen Freitag seinen letzten Arbeitstag hatte.
Sie ist betroffen. Was ist passiert? Was hat sie getan, dass er
einfach gegangen ist, ohne ein Wort?
Es vergeht kein Tag, an dem sie ihn nicht schmerzlich ver-
misst, seine lebhafte Art, wenn er erst einmal aufgetaut ist, seine
intelligenten Kommentare, seine Herzlichkeit. Sie vermisst auch
seine wunderschönen, brauen Augen, die sie mit so viel Wärme
angeschaut haben, und ein Stich durchzuckt sie. Sie liebt ihn, sie
liebt Michi und möchte ihn wieder haben, und so macht sie sich
auf die Suche. Da ihr hier im Büro niemand weiter helfen kann,
beauftragt sie eine Detektei, und die findet ihn. Er arbeitet nun
am anderen Ende der Stadt, so weit entfernt, dass sie sich wohl
niemals auch nur zufällig über den Weg gelaufen wären. Sie
passt ihn ab als er aus dem Gebäude kommt. Er hat abgenom-
men und ist nicht mehr ganz so pummelig. Erschrocken schaut
er sie an, und bevor er auch nur eine Chance hat, etwas zu sagen
oder ihr auszuweichen, umarmt sie ihn vor all den Menschen,
die an ihnen vorbei streben, küsst ihn auf den Mund und sagt
ihm, dass sie ihn liebt, dass sie ohne ihn nicht sein möchte. Die
Leute rundum sind stehen geblieben und beobachten das Ganze
amüsiert, und als sie ihn küsst, applaudieren sie. Ein besonders
kecker, junger Mann ruft ihm zu: »Nimm sie, sonst nehme ich
sie.«
35
Wenn die Beiden verliebt Hand in Hand durch die Stadt
schlendern, drehen sich viele Köpfe nach ihnen um und manch
verständnisloser Blick trifft die große, schlanke Schönheit und
den Mann an ihrer Seite, der eher nichtssagend aussieht und ei-
nen halben Kopf kleiner ist als sie. Aber die Beiden bemerken
die Blicke nicht.
36
Zwischen den Händen versteckt
Ihr Interesse geweckt,
Ruht sein Bild.
Über die Menschen geschaut
Mit Angst, dass sie sich nicht traut,
ihn zu seh’n.
Weiß ich, wenn er mit mir spricht,
Traut er sich selber nur nicht?
Freudenschrei!
»Du bist die Lotte, nicht wahr?«
Plötzlich ist er auch schon da,
Spricht so frei.
Blicke durchdringen ihn ganz,
Suchen den magischen Glanz,
Werden wild.
Hör nur ihr Lachen, es schallt.
Vertraulich tuscheln sie bald:
»Wieder seh‘n!«
Das erste Date Thomas Lucchi
37
Der Mann auf der Parkbank
Kurzgeschichten
Thomas Lucchi
ISBN 978-3-99010-518-4
nowum publishing gmbh
,,Über das Wesen der Kurzgeschichte ist Folgendes zu sagen: Kurzgeschichten sind wie der Mensch. Sie sind am Anfang naiv, voller Fragen und ungewiss ihrer Zukunft und ihrer Wurzeln, in ihrer Mitte sinnreich, zielstrebig und dynamisch, zum Teil sogar belustigend, und am Ende blicken sie meist gelöst, gereift und weise zum Anfang zurück.“
Thomas Lucchi, 11. Mai 2011.
38
»Du willst aussteigen?« Karate machte große Augen. Ein To-
tenkopfgesicht.
»Ich hab die Nase voll!«, antwortete Gromek und drehte sein
Glas hin und her, als vollführten sein Daumen und sein Zeige-
finger einen langsamen, wiegenden Tanz damit. »Ich habe lange
genug bezahlt.«
»Bezahlt? Wofür?«
Aber Gromek winkte ab, offenbar wollte er darüber nicht re-
den.
»Du bist verrückt!«, sagte Karate und schüttelte sich. Gro-
mek war sich nicht sicher, ob das vom Schnaps kam oder von
seiner angeblichen Verrücktheit.
»Noch einen!«, rief Karate dem Kellner zu. Seine Stimme
hörte sich, wenn er lauter wurde, an wie das Krähen eines Hah-
nes, dem man den Hals umdreht. Früher hatte er eine kraftvolle
Stimme gehabt, die ihm manchen Kampf ersparte – so sagten
jedenfalls die wenigen, die sich an seine große Zeit erinnern
konnten. Jetzt zeugte diese Stimme nur noch von der Hinfällig-
keit des Alters, weshalb er meistens leise sprach, es sei denn, er
wollte was zu trinken, oder er regte sich auf. Oder, wie in die-
sem Fall, er regte sich auf und wollte was zu trinken.
Gromek streckte, als der Kellner rübersah, zwei Finger in die
Höhe. Der Kellner nickte, und Gromek kippte den Inhalt seines
Glases runter, damit er sich dem nächsten widmen konnte.
»Ein Cleaner ...«, setzte Karate an, verstummte aber gleich
wieder und warf misstrauische Blicke nach allen Seiten. Dann
Gromek will lesen Bodo Bickelmann
39
beugte er sich ganz dicht zu Gromek rüber und sprach noch lei-
ser als sonst: »Ein Profi, so wie du, wenn der nicht mehr tö-ten
will – eijeijei –, der ist selbst so gut wie tot!«
Er unterstrich seine Worte, indem er mit der rechten Hand
energisch eine waagerechte Linie durch die Luft beschrieb.
»Du weißt zu viel, du steckst zu tief drin. Dich lassen die
nicht einfach so ziehen! Da haben sie zu viel Angst, dass du sie
irgendwann verrätst. Und dann ...«
Er brach plötzlich in ein heftiges Husten aus, als hätte er sich
verschluckt. Eine Zeitlang konnte er nicht aufhören da-mit, es
wurde sogar schlimmer, und die Leute in der Kneipe drehten
sich alle nach ihm um. Gromek überlegte kurz, ob es helfen
würde, ihm auf den Rücken zu klopfen, aber er ließ es lieber
bleiben. Er wusste, Karate würde es ihm nicht danken – er hass-
te es, in der Öffentlichkeit als irgendwie hilfsbedürftig dazu-
stehen. »Ein gebrechlicher alter Mann«, hatte er einmal gesagt,
»ist wie ein kleines Kind.« Und das vertrug sich schlecht mit
seinem Stolz. Also gab Gromek der schon halb vorgestreckten
Hand schnell eine andere Richtung und be-stellte – vielleicht
würde das ja helfen – noch zwei Schnäpse.
»Und dann ...«, würgte Karate endlich zwischen mehrmali-
gem Räuspern hervor, »und dann ...« – allmählich fand seine
Stimme die gewohnte Lage – »... dann denken sie auch, ei-nem
wie dir, dem steckt das Töten im Blut. Wenn so einer auf einmal
nicht mehr töten will, dann kann was nicht stim-men, denken
sie. Und werden erst recht misstrauisch. Nein, mein Freund – du
willst aussteigen? Keine Chance!«
Gromek drehte wieder sein Glas zwischen den Fingern, dann
schaute er auf und betrachtete sein Gesicht im Spiegel hinter der
Theke. Steckte ihm das Töten im Blut? Oh, wenn sie wüssten,
40
wie weit daneben sie mit so einer Vermutung lagen! Er sah zwar
kein freundliches Gesicht: Die Lippen wa-ren zusammenge-
presst und leicht missmutig verzogen, und die dichten, schwar-
zen Brauen strebten nach unten und zur Na-senwurzel hin, als
versuche er, den Ausdruck seiner Augen in ihrem Schatten zu
verbergen. Es war das Gesicht eines Man-nes, der zwischen sich
und anderen Menschen eine Mau-er aufgebaut hat dadurch, dass
er tötete. Aber die Vorstellung, dass man ihn für jemand hielt,
der gerne tötete, brachte ihn zum Frösteln. Tatsächlich war es
für ihn jedes Mal ein Akt der Selbstbestrafung. Er beging ein
Verbrechen, und er wusste es und hasste sich dafür. Und einem
wie ihm sollte das Töten im Blut stecken?
»Ich kenne viele, die ausgestiegen sind«, sagte er schließ-lich.
»Der Kleine Lothar beispielsweise. Oder Jack der Bast-ler. Gut,
die meisten von denen sind erst ausgestiegen, nach-dem sie im
Knast waren, aber das liegt ja nur daran, dass sie es vorher nicht
versucht haben oder nicht auf die Idee gekom-men sind. Ich will
nicht warten, bis ich im Knast war. Ich stei-ge aus. Jetzt! Na ja,
bald.«
»Papperlapapp! Das waren doch alles kleine Lichter! Ich rede
von Profis! Von Leuten wie uns, die zum harten Kern ge-hören
oder gehört haben. Davon kenne ich genau einen, der wirklich
ausgestiegen ist. Alle anderen sind entweder noch aktiv, tot oder
sitzen im Knast. Oh ja, einer hat es ins Alters-heim geschafft,
aber dafür bin ich auch eine lebende Legende, hähä. Und eigent-
lich ist so ein Altersheim auch eine Art von Knast. Jedenfalls ...
der eine, dem es wirklich gelungen ist auszusteigen, den haben
sie nur ziehen lassen, weil er krank war. Lungenkrebs. Hat mit
dem Segen vom Boss einen Flug in die Karibik gebucht, und
dort ist er vier Monate später ver-reckt.«
41
»Und wer von denen hat wirklich versucht auszusteigen? Au-
ßer dem mit dem Lungenkrebs?«
Karate schaute Gromek ein paar Sekunden lang an, als ver-
stehe er die Frage nicht. Dann sagte er: »Der springende Punkt
ist der: es gibt keinen, der's geschafft hat auszusteigen und ein
neues Leben anzufangen. Du willst wirklich ausstei-gen? Dann
fang am besten wieder an zu rauchen!«
Gromek schüttelte heftig den Kopf. »Das überzeugt mich
nicht.« Er sah wieder sein Gesicht im Spiegel, und diesmal fand
er es weniger finster. Im Grunde war es ein Durch-
schnittsgesicht, ein bisschen zu breit unter den Ohren, und über
der Stirn wichen die Haare zurück. Traurig war der Blick seiner
umschatteten Augen, traurig und müde, aber nichts Bösartiges
war darin zu sehen. Er würde es schaffen! Auch ohne Lungen-
krebs. Da war immer noch einer in ihm, der ein anständiges Le-
ben führen konnte.
Karate hob sein Glas, bis etwa in Höhe der Brust, dann hielt
er inne; sein Arm zitterte leicht. Nachdenklich schaute er in die
klare Flüssigkeit, als spreche er mit ihr anstatt mit Gro-mek.
»Der springende Punkt ist ...« – seine Stimme klang jetzt wie-
der nach röchelndem Hahn, obwohl er diesmal leise sprach – »...
der springende Punkt ist: Wenn du nicht mehr da bist, wer holt
mich dann noch manchmal raus aus meinem Knast und trinkt
ein Gläschen Schnaps mit mir?«
...
42
Gromek will lesen
Kriminalroman
Bodo Bickelmann
Erschienen im Bur-Verlag
ISBN: 978-3-944306-14-8 € 11,80
Auch als E-Book erhältlich ISBN 978-3-944306-15-5
„Mein Name ist Gromek. Ich bringe Menschen um — das ist mein Job. Ich hasse es. Endlich habe ich die Chance auszusteigen. Dafür soll ich jemandem das Leben retten. Doch diesen Mann habe ich erschossen. Schon vor langer Zeit. Mit seinem Tod hatte alles angefangen.“
43
Sehnsucht nach dem innern Land
Kurzgeschichten/Erzählungen/ Stories/Gedichte/Aphorismen/Beobachtungen/ Ansichten/Autobiographisches/ Photographien von
Heinz-Josef Scherer
ISBN 978385438102-0 172 Seiten
erhältlich beim Autor email oder über den Verlag www.united-pc.eu ‘Belletristik-Sonstiges/Allerlei’ sowie im Buchhandel, über Amazon u. a.
44
Kommt das Glück nicht zu dir,
gehe
du zu ihm.
Schau nach - es wartet schon.
(Selbst)Initiative Heinz-Josef Scherer
45
Freue
dich bereits darüber, wenn es dir
- kommst du nach Hause -
gelingt,
die
Schnürsenkel
deiner Schuhe
so zu öffnen,
dass du
keinen unfreiwilligen Knoten
verursachst.
Einfach Freuden Heinz-Josef Scherer
46
Wenn du loslässt
und es kommt von selbst zurück,
dann gehört es dir wirklich.
Freiwilligkeit Heinz-Josef Scherer
47
In deiner Heimat trägst du auch Welt in dir
In der Welt auch Heimat.
_
Es sorgt für dich.
Heimat—Welt Heinz-Josef Scherer
48
Neulich an einem ganz normalen Tag, ohne irgend welche
Eintrübungen der Sinnesorgane oder sonstiger Art begegnete ich
ihm — dem Don Quichote der Neuzeit.
Er befand sich auf der Straßenseite gegenüber, auf einem Mo-
torroller sitzend — auch seine Ampel war rot, wie die meinige
— sonst wäre er mir ja entgegengekommen. Nun gut, er stand
da vor seiner roten Ampel, ganz aufrecht mit seiner kerzengera-
den Rückenmuskulatur auf seinem roten Motorroller sitzend,
vor der roten Ampel — fest endschlossen sein Blick geradeaus
gerichtet. Genauso oder so ähnlich kannte ich ihn von den Dar-
stellungen des Cervantes her. Allein was ihm fehlte war seine
Rüstung, oder hatte ich mich versehen — war sie doch da —
war es ein Trugbild, eine halluzinatorische Eingebung oder
sonst etwas Merkwürdiges — denn plötzlich sah ich sie doch
die Rüstung. — Metall für Metall — wohlgeformt zu einem
Ganzen sich zusammenfindend. Und auch der Motorroller
schien sich ganz vortrefflich in dieses Bild einzufinden, besser
hätte es ein Pferd auch nicht bewerkstelligen können, auch
nicht, wenn es mit Namen Rosinante gerufen würde. Allein alle
umstehenden Personen wunderten sich offensichtlich nicht über
diesen merkwürdig aussehenden Motorrollerfahrer. Dies war
doch etwas seltsam, zwar nur unmerklich seltsam, aber dennoch
seltsam.
Was war, wenn i c h ihn diesem Erscheinungsbild wahrneh-
men konnte? Es war doch ein ganz normaler Tag und ich befind
mich, wie die Tage zuvor auch auf dem Weg zur Arbeit. Hatte
Don Quichote—eine Übertragung
in die Neuzeit Dieter Arnweiler
49
ich vielleicht heute morgen etwas ungünstiges gegessen? Oder
hatte ich meine nächtlichen Träume noch nicht richtig und voll-
ständige verarbeitet? Mir wurde plötzlich ganz flau im Magen
und vor meinen Augen begann ein seltsames Flimmern. Viel-
leicht doch etwas mit Halluzinationen? Ich versuche mich voll
und ganz zu konzentrieren — oder das, was davon noch übrig
geblieben war. Nein, es war keine Täuschung möglich, ich sah
ihn real und tatsächlich in vollem Umfang in seiner Rüstung auf
dem Motorroller.
Die Ampel schaltete um und auch er fuhr genauso wie ich,
geradeaus.
So hatte ich Gelegenheit noch einmal in voller Zusammenfas-
sung meiner sinnlichen und übersinnlichen Möglichkeiten ihn in
Augenschein zu nehmen. Don Quichote auf dem Motorroller —
ein Zweifel war ausgeschlossen. Und es kam noch dicker. Er
grüßte mich beim Vorüberfahren, indem er seine Lanze ganz
leicht und sacht in meine Richtung senkte und seitgleich damit
seine ernsthafte, nach vorne gerichtete Miene verließ, seinen
Kopf ebenfalls ganz leicht und sacht mir zuneigte und mir zulä-
chelte. Unvorstellbar, mir einem normalen Sterblichen, die Be-
rühmtheit aus einer anderen Zeit, einer anderen Welt, mir zulä-
chelte.
Ich konnte es kaum fassen.
Und bei der Fassungslosigkeit, die mich offensichtlich voll-
kommen losgelassen hatte, wäre es mir beinahe gelungen eine
etwas unsanfte Bekanntschaft mit dem mir vorüberfahrenden
Automobil zu machen, wären da nicht noch in letzter Sekunde
die Bremsen zur Stelle gewesen. Gottseidank auch kein Fahr-
zeug hinter mir, das eine Kollision mir hätte eingehen können.
So wurde ich plötzlich und ganz unsanft mit der Realität kon-
50
frontiert und versuchte mehr recht als schlecht meinen Weg fort-
zusetzen, obwohl mir Don Quichote auf dem Motorroller nicht
mehr aus dem Kopf ging. Auch auf der Arbeit — ich war gerade
dabei ein neues Computerprogramm zu entwickeln —zeigte er
sich, von Zeit zu Zeit immer wieder auf dem Monitor. Und eben
in solchen Momenten, in denen dies deutlich wurde, erinnerte
ich mich unweigerlich an mein morgendliches Unwohlsein zu-
rück und wie aus heiterem Himmel wurde es mir wieder ganz
flau im Magen.
Dies war ja noch einigermaßen in ein günstiges Zeitgefüge
hinein zu interpretieren, als diese Computer-Erscheinung zur
Mittagspause ihre Spielchen trieb, da konnte ich meinen Magen
mit unserem vorzüglichen Kantine-Essen beglücken und zu-
gleich besänftigen.
51
Trag mich hinaus ins Freie
dort, wo es gibt eine Fülle von Licht
dort, wo es sich leicht ausruhen lässt
in einem Wald voller Blumen
Gräser und Felder
trag mich hinaus
So kann ich es spür‘n
das, was mich bewegt
was mich im Tiefsten verwandelt
so ist es greifbar
ganz nah und ungebrochen
vollkommen da in mir
Nun bleibt der Stein nicht dort, wo er war
unwillkürlich bewegt er sich von dort weg
geht neue Wege, betritt ein anderes Land
und dies alles, obwohl er fest verankert
tief eingegraben in die Erde
und mit mir eins zu sein scheint
Was ist dies für eine Macht
die solche Taten vollbringt
die aus dem Unendlichen schöpft
und immer wieder Neues hervorbringt
was ist die für eine Macht
ein Feld voller Liebe
Trag mich hinaus Dieter Arnweiler
52
Ich stehe auf der Aussichtsplattform vor unserem Hotel, und
mein Blick wandert über die vor mir liegende Schlucht. Aus
dem dichten Dschungel, der sich über die Hänge erstreckt, stür-
zen Wassermassen über Terrassen in die Tiefe.
Die Wasserfälle von Iguazu.
Ich bin auf der brasilianischen Seite am Dreiländereck. Ge-
genüber liegt Argentinien, rechts von mir, jenseits eines Flusses,
Paraguay.
Links von mir beginnt der Weg über Treppen hinab in die
Schlucht. Klaus und Helga gesellen sich zu mir. Wir genießen
einige Minuten die Aussicht und beginnen mit dem Abstieg.
Iguazu Susanna Bur
53
Der Weg führt vorbei an steilen Felsen, auf denen nicht nur
die unterschiedlichsten Grünpflanzen eines Dschungels wach-
sen, sondern auch viele Blumen, einige mir bekannte Bromeli-
enarten, deren prächtige Blüten bunt schillernd strahlen. Ich ge-
he an schmalen und breiten Wasserfällen vorbei, die von der
herrlich roten Erde dieses Gebietes rostrot gefärbt sind.
Die Wassermassen donnern schäumend in die Tiefe. Ich stehe
staunend davor, schaue hinauf zum Rand der Felsenklippe, war-
te darauf, dass der unendliche Strom irgendwann aufhört, ir-
gendjemand den Hahn zudreht, denke: »Es kann doch nicht sein,
wo kommt so viel Wasser her, es muss doch mal ein Ende ha-
ben.«
Ich kann es nicht fassen, es ist ja nicht nur heute so, nicht erst
seit ein paar Tagen oder 100 Jahren, nein seit einigen tausend
Jahren ununterbrochen.
Die Luft ist heiß und feucht. Doch es liegt keine drückende
Schwüle über mir, der hauchfeine Sprühregen, den die aufpral-
lenden Wassermassen verursachen, wirkt erfrischend. Meine
dauergewellten Haare liegen in langgezogenen Locken nass wie
frisch gewaschen über meinen Schultern, das blaue Lieblings-
kleid, das ich trage, klebt feucht an mir.
Unten angekommen führt ein Holzsteg zu einer Plattform in
der Mitte der Schlucht. Die Umgebung ist atemberaubend
schön. Soweit das Auge reicht, rostrote leuchtende Wasserfälle,
dazwischen grün und bunt leuchtender Dschungel überspannt
von den Bändern großer und kleiner Regenbögen.
Vom dem herabstürzenden Wassermassen geht eine unglaub-
liche Kraft aus, die mich durchdringt. Unter mir der tosende
Fluss, der sich sein Bett zwischen vielen Felsen erkämpft, die er
irgendwann abgeschliffen haben wird. Ich fühle mich wie mag-
54
netisch angezogen, will hineinspringen , mich von den Wellen
und Strudeln treiben lassen.
Ich spüre wie noch nie: Wasser ist Leben. Aber ich bin keine
Nixe, hier hineinzuspringen wäre mein Tod. Wie klein, winzig,
unbedeutend und zerbrechlich ist ein Menschenleben in den
Händen der Naturgewalten.
Ich bleibe mit Helga und Klaus etwa eine Stunde inmitten
dieses berauschenden Naturschauspiels stehen, sauge es in mir
auf, genieße jede Sekunde, will alles verinnerlichen, um es nie
mehr loszulassen.
55
Der Orangenkrieg
wie aus einer Mücke ein Elefant wird
Satire
Susanna Bur
ISBN 978-3-944306-08-7
Seitenzahl: 96
€ 6,50
Auch als E-Book für 1€ erhältlich
Was passiert, wenn sich ein Ehepaar scheiden lassen will. Nur so, aus Spaß, weil es ihnen wie ein Abenteuer erscheint, eine Abwechslung in ihrem Ehealltag bedeutet.
Während Olivia und Lukas verliebt wie eh und je diesen Schritt geplant in Angriff neh-men und so gar keine Probleme damit haben, lösen sie in ihrem sozialen Umfeld, ja sogar in der halben Welt ein Chaos aus.
Der Grund dafür sind ihre 16 Orangenbäumchen, die sie selbst gezogen haben aus ei-ner wohl nicht ganz ungefährlichen Orange aus Málaga.
56
Ich war mal wieder in Eile, musste dringend noch in diesen
Laden!
Es war kurz vor zwölf und über Mittag hatten sie das Ge-
schäft stets geschlossen. Deshalb lief ich etwas schneller und
bog um die Ecke. Erst im allerletzten Moment nahm ich sie
wahr, versuchte ihr noch auszuweichen, doch das gelang mir
nicht wirklich. Ich streifte sie und sie drehte sich einmal um ihre
eigene Achse. Nach dieser Kollision befürchtete ich, selbst zu
stürzen, doch ich fand das Gleichgewicht wieder, blieb stehen
und blickte mein unverhofftes Gegenüber an. Ihr Koffer lag am
Boden. Daneben ihre Reisetasche. Sie war aufgeplatzt.
Dieses, in meinen Augen, bezaubernde weibliche Wesen, das
gerade eine Pirouette gedreht hatte, war nicht sehr groß. Die
junge Frau trug eine Jeans, sportliche Schuhe, ein T-Shirt und
ein Jackett darüber. Ihre Haare fielen ihr in dunkelbraunen Lo-
cken bis auf die Schultern. Die Haut ihres Gesichts war hell und
die Form ihrer Augen glichen denen einer Katze. Außerdem
strahlten diese beiden Augen wie zwei grüne Smaragde. Doch
nun blickten diese beiden Smaragde zu Boden und in den Kat-
zenaugen schienen sich Tränen zu sammeln.
Hilflos stand ich da. Irgendwie zappelte ich nervös herum,
weil ich mit meinen Händen nichts anzufangen wusste, doch
aber dringend helfen wollte. Wie ein kleiner Junge, der mal wie-
der den Teufel angestellt hatte und nun auf seine Strafe wartete.
Angst
Robert Bruckart,
57
Du solltest ihr helfen, du Esel, ging es durch meinen Kopf.
Nun mach doch schon, bevor sie richtig zu weinen beginnt und
die halbe Stadt in ihren Tränen versinkt!
Vorsichtig machte ich einen Schritt auf sie zu und bückte
mich. Umständlich umklammerten meine Arme die am Boden
liegende Tasche. Es war gar nicht so einfach, mit nur zwei Hän-
den, den Inhalt der Tasche daran zu hindern, sich auf den Bür-
gersteig zu ergießen. Mit beiden Armen musste ich die Tasche
umklammern und presste sie fest gegen meine Brust.
»Wo wollten Sie denn hin?«
Sie blickte mich an, aber es war nicht einfach nur ein Blick.
Irgendwie hatte dieser Blick etwas Strafendes und gleichzeitig
noch irgendwas ganz anderes. Dennoch sagte mir dieser Blick,
was für ein Trottel ich war. Doch das war noch nicht alles. Die-
ser Blick machte mich furchtbar nervös und ich konnte ihm
nicht standhalten, blickte immer wieder von diesen Smaragden
weg, bis mir ein neuer Gedanke durch den Kopf schoss. Für die-
se grünen Katzenaugen würde ich alles tun. Erst in diesem Au-
genblick begriff ich, dass dieses Wesen für mich unwidersteh-
lich war und was mit mir geschah. Das ging anderen Männern
bei ihr sicherlich genauso. Deshalb verstand ich nicht, wie eine
so gut aussehende Frau niemanden haben konnte, der ihr den
Koffer schleppte?
»Ich muss zum Bahnhof, sonst verpasse ich meinen Bus, der
in knapp einer Stunde fährt!«
Mir lief ein Schauer über den Rücken, als ich ihre Stimme
vernahm. Für Augenblicke ließ ich die Worte auf mich wirken,
ehe mir bewusst wurde, dass da eine Botschaft an mich gerichtet
war und die verstand ich nicht so ganz. Ich drehte mich mit dem
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aufgeplatzten Bündel in den Armen um und schaute die Straße
entlang.
»Aber der Bahnhof ist doch gerade da drüben und wenn Sie
noch fast eine Stunde Zeit haben, wie wollen Sie da den Bus
verpassen?«
Wieder wandte ich mich zu ihr und der Blick ihrer Augen ver-
riet, was sie dachte. Sie dachte nicht Trottel. Vollidiot war wahr-
scheinlich passender. Genau so blickte sie mich an. Doch plötz-
lich verwandelte sich dieser Blick, schien in Mitleid umzuschla-
gen. Ihre Augen hatten sich so verengt, wie die Linsen bei Kat-
zen und ich glaubte sogar, so etwas wie schnurren wahrnehmen
zu können.
»Nein, Sie haben das falsch verstanden! Ich wollte zu diesem
Bahnhof, um den Zug noch zu erwischen, damit ich später in
Saarbrücken den Bus bekomme, mit dem ich nach Hause fahren
werde!«
Die Tasche begann nach unten zu rutschen und ich wuchtete
sie wieder hoch, vor die Mitte meiner Brust.
»Aber das ist doch kein Problem! Ich kann Sie doch nach
Hause fahren. Mein Auto steht im Parkhaus. Wir stellen alles in
den Kofferraum, Sie sagen mir, wo die Reise hingehen soll und
wir fahren!«
Mit meinem schönsten Lächeln sah ich sie an und hoffte, sie
würde einwilligen, damit mir eine Chance blieb, mit ihr ins Ge-
spräch zu kommen. Sie blieb ernst und ihr Gesicht sagte mir,
dass sie immer noch davon überzeugt sein musste, mit einem
Vollidioten zu tun haben.
»Das glaube ich allerdings nicht, dass Sie mich nach Hause
fahren wollen!«
Plötzlich begann sie vor sich hin zu kichern.
59
»Aber was ist denn so abwegig an meiner Idee? Ich würde es
wirklich gerne machen.«
Sie war wieder ernst geworden.
»Das glaube ich Ihnen ja sehr gerne, allerdings wage ich da-
ran zu zweifeln, dass Sie spontan die Zeit aufbringen können,
um diese Reise machen zu können, denn mein Bus fährt nach
Bulgarien.«
Mir fiel die Kinnlade herunter. Ich schien ziemlich blöd zu
schauen, zumindest signalisierte ihr Lächeln mir das ganz deut-
lich. Doch ich freute mich trotzdem darüber, denn immerhin
hatte ich mich vom Vollidioten zum Clown verwandelt. Es stell-
te sich für mich die Frage, ob mir das bei ihr Positivpunkte ein-
gebracht hatte, doch ich machte mir nicht sehr viele Hoffnungen
deswegen.
Als ich ihren Blick bemerkte, versuchte ich wieder in die Re-
alität zurückzukehren. Mit diesem aufgeplatzten Bündel in mei-
nen Händen konnte sie diese Reise natürlich nicht antreten.
»Ersatz, wir brauchen Ersatz. Kommen Sie! Gehen wir da
drüben in das Kaufhaus. Sie kaufen sich eine neue Reisetasche
und derjenige, der die hier kaputt gemacht hat, wird sie Ihnen
natürlich bezahlen!«
Wieder huschte ein Lächeln über ihr Gesicht und ich trottete
hinter ihr her in Richtung Kaufhaus. Obwohl ich ganz schön mit
dem Inhalt der Tasche zu kämpfen hatte, behielt ich ihr Hinter-
teil, das sanft vor mir hin und her schwang, fest im Blick.
Anfangs kam mir die Last in meinen Armen schwer vor, doch
bei dem Anblick ihres weiblichen Pos wäre ich sicherlich bis
Bagdad hinter ihr her gelaufen.
Im Vorraum des Kaufhauses gab es Gepäckfächer. Darin stell-
ten wir den Koffer und die beschädigte Tasche ab. Ich bemerkte
60
ihre Nervosität. Immer wieder warf sie mir plötzlich wieder die-
se strafenden Blicke zu.
»Ich fahre Sie natürlich nach Saarbrücken. Sie schaffen Ihren
Bus noch. Das verspreche ich Ihnen. Wo fährt er denn überhaupt
ab?«
Sie blickte mich an und ein neuer Schauer lief mir über den
Rücken. Immer wenn sie mir direkt in die Augen sah, glaubte
ich, für einen Moment an irgendeiner Stromleitung angeschlos-
sen zu sein.
»Der Bus fährt am Bahnhof ab und er wird ganz gewiss nicht
auf mich warten!«
Es gab eine ganze Reihe von Taschen. Sie beäugte sie nachei-
nander kurz und streckte sich ganz entschlossen nach einer be-
stimmten. Die stand natürlich ganz oben in dem Regal. Ganz
dicht trat ich neben neben sie und streckte mich. Ein Schauer
überlief mich, als ich den Duft wahrnehmen konnte, der von ihr
ausging. Nun war der Schauer noch wesentlich heftiger als zu-
vor. Wie betäubt drückte ich ihr die Tasche in die Hände. Wieder
traf mich der Blick der beiden Smaragde und ich fragte mich,
was gerade mit mir geschah.
»Wie heißen Sie überhaupt?«
Diese grünen Augen blickten erneut in meine Augen und
plötzlich war mir ganz furchtbar schwindlig.
»Mariana, und Sie?«
Es schien fast so, als sei sie etwas verlegen bei der Frage.
»Ich glaube, ich heiße Mark. Ja, Mark, so ist mein Name. Den
haben meine Eltern mir damals gegeben.«
Wir lachten beide und gingen in Richtung Kasse.
Mit beiden Händen hielt ich die neue Tasche auf und Mariana
räumte den Inhalt der aufgeplatzten Tasche um. Diesmal ging
61
sie neben mir und fast bedauerte ich es ein wenig. Sehr gerne
hätte ich noch eine kleine Weile ihrem Po nachgeschaut.
Wir eilten zur Tiefgarage. Ich zahlte am Automaten die Park-
gebühren, danach räumten wir alles in den Kofferraum des Wa-
gens und fuh-ren mit ihm zur Ausfahrt.
»Was haben Sie hier in unserer Gegend gemacht, wenn ich
fragen darf?«
Diese Frage konnte ich mir nun wirklich nicht verkneifen. Ihr
Gesichtsausdruck allerdings sagte mehr als tausend Worte. Zu-
mindest hatte ich den Eindruck. Diese Mimik gab mir gerade zu
verstehen, dass mich das überhaupt nichts anging. Ich fühlte
mich ertappt und spürte, dass ich wohl gerade furchtbar rot an-
lief. Sie musste ja bei dieser blöden Fragerei sonst was von mir
denken. Doch mein roter Kopf schien ihre Stimmung zu verän-
dern. Sie konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen. Nun
fiel ihr eine Antwort auf meine freche Frage auch wesentlich
leichter, wie ich glaubte.
»Studieren!«
Kurz und knapp war ihre Antwort. Vielleicht wollte sie nichts
von sich preisgeben? Doch ich war so neugierig.
»Ich tippe mal auf Germanistik!«
Sie setzte wieder ihr breites Grinsen auf.
»Treffer!«
Es gab mir ein gutes Gefühl, dass ich richtig lag. Wenn sie
denn tatsächlich Germanistik studierte und mich nicht mit ihrer
Antwort zum Narren hielt. Doch es kam mir noch etwas ganz
anderes in den Sinn.
»Aber dann kommen Sie ja wieder! Dann sind Sie ja wahr-
scheinlich nur für kurze Zeit weg.«
62
Bei diesem Gedanken war ich plötzlich richtig nervös gewor-
den. Während der Wagen über die Autobahn fuhr, wagte ich es,
ihr für einen kurzen Moment einen Blick zuzuwerfen. Als ich
wieder nach vorne auf die Straße schaute, war mein Gesicht
wieder todernst, denn sie hatte mit dem Kopf geschüttelt.
»Ich habe mein Studium beendet und fahre nach Hause zu-
rück, um für immer dort zu bleiben!«
Ich schluckte und danach brach aus mir heraus:
»Und was wird mit mir?«
Die Worte waren einfach so aus meinem Mund geflossen. Ich
wollte sie wirklich nicht sagen. Nicht einmal den Bruchteil einer
Sekunde hatte ich darüber nachgedacht, eine solche Frage zu
stellen. Als habe sie in meinem Kopf oder in meinem Hals auf
den Stimmbändern nur darauf gelauert, einfach so und unerlaubt
aus mir heraus zu kommen. Mariana lachte laut und schüttelte
nur den Kopf. Ich wusste ganz genau, dass ich schon wieder ei-
nen roten Kopf hatte. Doch ich fing mich sehr schnell, weil mir
mal wieder bewusst wurde, wie wenig Zeit blieb, um sie mit
dieser sehr angenehmen Mitfahrerin in meinem Auto zu verbrin-
gen.
»Wie ist es in Bulgarien so?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Ich habe überhaupt gar keine Vorstellung, wie es dort ausse-
hen könnte. Wie sieht es also dort aus? Was hat Bulgarien für
Nachbarn. Ich war in Geografie so eine Pfeife, das glaubt kein
Mensch!«
Sie lehnte sich entspannt zurück und überlegte einen kurzen
Augenblick. Dann hob sie beide Hände vor ihrem Körper etwas
an. Die rechte begann an den Fingern der linken Hand abzuzäh-
len.
63
»Im Norden liegt Rumänien, im Osten das Schwarze Meer,
im Südosten die Türkei, ganz im Süden Griechenland, im Süd-
westen Mazedonien und im Westen Serbien. Im Süden gibt es
einen Gebirgszug an der Grenze zu Griechenland und in der
Mitte gibt es auch einen Gebirgszug. Beide erstrecken sich in
Ostwestrichtung. Dazwischen liegt eine große Ebene. Die
Hauptstadt heißt Sofia. Bulgarien hat etwa siebenkommasechs
Millionen Einwohner. Es gibt viele kulturelle Stätten und das
Land ist reich an Kunstschätzen. Und weil diese Frage als
nächstes kommen dürfte, nehme ich sie schon vorweg. Ich lebe
in Plovdiv, der zweitgrößten Stadt Bulgariens!«
Ich war beeindruckt.
»Machen Sie dieses Führungsprogramm denn in ihrer Heimat
auch für Besucher?«
Wieder zuckte sie nur mit den Schultern.
»Wenn ich nach Bulgarien kommen würde, würden Sie mir
dann alles zeigen?«
Sie lachte.
»Sie kommen ja doch nicht!«
Wir hatten den Bahnhof erreicht und ich fand tatsächlich noch
einen freien Parkplatz.
»Schreiben Sie mir Ihre Adresse und Ihre Telefonnummer
auf. Ich verspreche Ihnen, ich werde kommen und zwar schon
bald. Auch wenn Sie mir das nicht glauben.«
Sie blickte mich prüfend an und ich spürte, wie sich überall
an meinem Körper die Haare aufrichteten. Es war mir schon fast
unheimlich. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Noch während
ich mich über mich selbst wunderte, prüfte sie mich mit ihren
Katzenaugen. Dann öffnete sie ihre Handtasche, zog eine Visi-
64
tenkarte heraus und drückte sie mir in die Hand. Ich warf einen
Blick auf die Karte und meine Augen wurden ganz groß.
»Was ist das denn?«
Da stand schon etwas geschrieben, nur lesen konnte ich es
nicht.
»Das ist kyrillisch. Drehen Sie die Karte einfach um, da steht
es lateinisch!«
Ein zufriedenes Lächeln zeigte sich in meinem Gesicht. Wir
stiegen aus und zogen das Gepäck aus dem Kofferraum. Lang-
sam trotteten wir zu der Haltestelle und es näherte sich auch
schon ein großer weißer Bus, der seitlich einen Schriftzug trug.
Ich blickte auf das Kennzeichen des Busses.
»Für welche Stadt steht das C auf dem Kennzeichenschild?«
»Das ist kein C. Das ist der kyrillische Buchstabe S und er
steht für Sofia.«
Ich nickte verstehend. Der Steward hatte Banderolen an den
Koffer und die Tasche geklebt und diese im Gepäckraum ver-
staut. Alle beeilten sich, in den Bus zu kommen. Sie stand plötz-
lich nochmals ganz dicht vor mir, drückte mir einen Kuss auf
die Wange und hielt meine Hand. Dabei schaute sie mich an,
dass ich glaubte, gleich aufgrund versagender Beine auf das
Pflaster zu stürzen.
»Danke und bis bald! In Bulgarien!«
Sie ließ mich los und ging zum Einstieg. Ich hätte in diesem
Augenblick so gerne die verdammte Zeit angehalten.
»Wie weit ist das eigentlich und wie lange fährt der Bus!«
Sie war schon eine Stufe hinauf gegangen und drehte sich
nochmals zu mir um.
»Es sind zweitausend Kilometer und wenn alles gut läuft, bin
ich in dreiunddreißig Stunden zu Hause!«
65
Die Tür schloss sich. Ich blieb mit offenem Mund auf dem
Bürgersteig zurück. Der Bus setzte sich langsam in Bewegung.
Mariana stand im Mittelgang und winkte mir zu. Langsam rollte
der weiße Koloss auf die Ampel zu und musste davor stehen
bleiben. Ich stand noch immer an der Stelle, an der Mariana
mich zurückgelassen hatte. Mir ging in diesem Augenblick der
Gedanke durch den Kopf, wie eine einzige Stunde das Leben
eines Menschen verändern kann. Jene Gedanken, die mir noch
vor einer Stunde durch den Kopf gegangen waren, die waren mit
einem Schlag vollkommen unwichtig geworden. Jetzt gab es
ganz andere Dinge in diesem Oberstübchen und die erschienen
mir viel wichtiger. Als sei ich innerhalb einer einzigen Stunde
von einer Welt in eine ganz andere gereist. Ich trabte zu meinem
Auto, blickte auf die Uhr und begann zu rechnen. Dreiunddrei-
ßig Stunden hatte sie gesagt.
» Das wäre morgen Abend um elf!«
Ich fuhr auf die Autobahn. Der Wagen rollte gemächlich auf
der rechten Spur vor sich hin, während ich total in Gedanken
versunken war.
»Hast mal wieder ganz schön die Klappe aufgerissen. Hast
versprochen, dass du bald nach Bulgarien kommen wirst! Wie
machste das denn?«
Ich fuhr von der Autobahn ab und stellte mich an der nächs-
ten Ampel hinten an. Die Gedanken nagten an mir und ich be-
gann vor mich hin zu reden. Redete mit mir selbst, so wie mein
Großvater auch stets mit sich selbst geredet hatte und sich dabei
maßregelte.
»Noch nie in ein Flugzeug gestiegen. Und warum nicht?
Flugangst nennt man das. Flugangst, das ist jenes Gefühl, wenn
man die Hosen schon voll hat, bevor man in so einen Vogel
66
überhaupt eingestiegen ist. Und genau daran leidest du, mein
Lieber! Da sperrst du die Klappe auf und posaunst in die Welt,
dass du nach Bulgarien kommen wirst. In ein Land, das zwei-
tausend Kilometer von hier entfernt ist. Das bedeutet, dass jenes
Flugzeug, das dich vielleicht dort hin bringt, etwa zwei Stunden
in der Luft sein wird. Weißt du eigentlich, wie oft man in zwei
Stunden sterben kann? Vor Angst! Hast du darüber schon je-
mals nachgedacht? Und das ist noch gar nicht das Schlimmste.
Du musst auch wieder zurück und das dauert genau so lange mit
genau so vielen Toten!«
Verzweifelt stapfte ich die Treppe hinauf. Oben schloss ich
die Wohnungstür hinter mir und trottete ins Wohnzimmer. Vor
dem großen Fenster blieb ich stehen und blickte hinüber zum
Wald. Nur wenige Augenblicke stand ich so, dann setzte ich
mich an den Computer und tippte den Namen Bulgarien in die
Suchleiste.
Der Sitzgurt war geschlossen und dicke Schweißperlen stan-
den mir auf der Stirn. Meine Augenlider waren aufeinander ge-
presst und meine Unterarme vibrierten auf den Armlehnen.
Feuchte Hände umklammerten die Enden dieser Armlehnen.
Zwei Stunden, zwei endlos lange Stunden, würde ich nun hier
sitzen und einfach nur darauf warten müssen, was geschieht.
Vielleicht hatte ich Glück? Vielleicht würde die Maschine in
zwei Stunden landen? Vielleicht hatte ich aber auch Pech und
sie würde irgendwann innerhalb dieser Zeitspanne einfach vom
Himmel fallen? Die zerreißenden Metallteile der Maschine wür-
den meinen Körper beim Aufprall in Stücke schneiden. Eine
furchtbare Vorstellung. Ich nahm wahr, dass die Maschine sich
nun drehte. Wahrscheinlich ging sie in ihre Startposition. Ich
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spürte ganz deutlich, wie das Flugzeug nun beschleunigte und
mein Körper in den Sitz ge-presst wurde. Noch fester kniff ich
die Augen zu und meine Hände klammerten sich noch intensiver
um die Armlehnen.
»Bulgarien! Ich habe versprochen, dass ich kommen werde!
Also muss ich es auch halten! Bulgarien! Ich werde zum ersten
Mal in meinem Leben in dieses Land fliegen. Bulgarien!«
Jetzt schien die Maschine den Boden verlassen zu haben,
doch der Druck auf den Körper war immer noch da. Sie stieg
weiter aufwärts und der Steigflug schien kein Ende nehmen zu
wollen.
»Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben ein
Problem mit unseren Triebwerken. Bitte bewahren Sie Ruhe.
Wir werden Sie sofort in Kenntnis setzen, wenn die Störung be-
seitigt ist!«
Ich riss die Augen auf, als es mehrfach hintereinander einen
lauten Knall gab. Die Türen der vier Notausstiege waren weg.
Sie waren nach draußen gerissen worden und im nächsten Au-
genblick spürte ich, wie sich mein Gurt löste und ich durch den
Sog von draußen aus meinem Sitz hochgezogen wurde. Dieser
Unterdruck saugte mich immer weiter in Richtung der Öffnun-
gen im Rumpf und ich konnte nichts dagegen tun. Jeder Ver-
such, sich an einer der vor mir befindlichen Sitzlehnen festzu-
halten, scheiterte. Ich wurde weitergezogen, genau auf eine die-
ser Öffnungen zu und so sehr ich mich auch bemühte, irgendwo
Halt zu finden, es gelang mir einfach nicht. Immer weiter zog
mich der Sog, immer weiter und immer näher kam diese grausi-
ge Öffnung in der Außenhaut des Flugzeugs. Ich war mir ganz
sicher, wenn ich es nicht schaffen sollte, mich irgendwo richtig
festzuhalten, dann würde ich nach draußen gezogen und hinun-
68
ter stürzen auf die Erde. Mein Ende, mein Tod! Ich sah mich
schon dort unten, in mehr als neuntausend Metern Tiefe liegen,
mit zerschmetterten Gliedern.
Und was geschah eigentlich, wenn ich mich halten konnte?
Vielleicht würde ich mit dem Flugzeug zusammen auf die Erde
stürzen und mein Körper würde auch so zerschlagen.
Noch immer zog der Sog mich weiter. Noch immer fand ich
keinen Halt und ich war unendlich verzweifelt.
»...du hast die Haare schön, du hast die Haare schön, du hast
die Haare schön…«
Welch ein Idiot konnte in so einer Situation nur ein so blödes
Lied singen? Dieser Irre wäre besser zu mir gekommen, um
mich festzuhalten, damit ich nicht durch dieses Loch nach drau-
ßen gezogen werde, dachte ich. Zeit blieb nicht mehr viel, denn
ich war schon kurz vor der Öffnung. Doch der Irre sang immer
weiter und jetzt spielte auch noch ein Orchester im Hintergrund.
Ich riss die Augen auf und drehte meinen Kopf nach der Sei-
te. Benommen fasste ich nach dem kleinen Schalter an dem Ge-
rät und stellte den Radiowecker ab. Meine Hand schob die De-
cke zur Seite. Ich war schweißgebadet.
Den ganzen Tag verfolgte mich dieser verfluchte Traum.
Ständig daran zu denken, machte alles nur noch schlimmer. Nun
hatte ich überhaupt keinen Mut mehr.
»Nicht daran denken! Einfach nicht daran denken. Es gibt so
viele schöne Sachen an die man denken kann. Zum Beispiel an
den Popo einer jungen bulgarischen Dame mit Katzenaugen.
Wie er vor einem her gewackelt ist. Nur zum Beispiel!«
Ich musste schmunzeln. Als ich am Abend schließlich wieder
zu Hause war, da sah ich ständig auf die Uhr. Ich wartete den
Zeitpunkt ab, bis sie zu Hause angekommen sein würde. Um
69
dreiundzwanzig Uhr würde ich sie anrufen. Ich fragte mich, an
welchen Ort ich wohl anrufen würde und wie sie wohnte?
»Ob sie alleine wohnt oder bei ihren Eltern oder vielleicht bei
einem Freund, Lebensgefährten, was auch immer?«
Ich wurde nachdenklich. Sie hatte mir zum Abschied einen
Kuss auf die Wange gedrückt. Meine Hand hatte sie gehalten,
mir gewunken, als sie abgefahren war.
»Na und? Was hat das alles schon zu bedeuten? Nichts, ein-
fach nur nichts!«
Ich saß am Computer, während im Wohnzimmer der Fernse-
her lief.
»Im Süden Kroatiens ist es in den heutigen Vormittagsstun-
den zu ei-nem schweren Busunglück gekommen, bei dem …«
Mit einem Satz war ich von meinem Stuhl am Schreibtisch
aufgesprungen und ins Wohnzimmer gerannt. Die Bilder sahen
furchtbar aus. Angestrengt sah ich mir die Bilder an. Verkrampft
stand ich mitten im Wohnzimmer. Einen bedauernswerten An-
blick bot ich sicherlich in diesem Moment. Doch dann löste sich
die Verspannung.
»Nein, das ist nicht der Bus! Das ist nicht Marianas Bus! Der
hier hat eine andere Farbe und eine andere Aufschrift. Das ist
nicht ihr Bus!«
Der Ort, bei dem das Unglück geschehen war, wurde in der
Meldung genannt und sofort gab ich den Namen im Computer
ein und suchte den Ort.
»Siehst Du, mein Junge, hättest in Geografie doch ein wenig
besser aufpassen sollen, dann wäre dir sofort klar gewesen, dass
es nicht ihr Bus sein kann. So einen Umweg fährt kein Mensch.
Bist wirklich ne miese Geopfeife!«
70
Ich musste wohl eingenickt sein, doch nun war ich plötzlich
hellwach und blickte auf die Uhr. Sie musste zu Hause sein,
wenn der Zeitplan eingehalten worden war. Also nahm ich das
Telefon und kramte die Visitenkarte aus dem Geldbeutel. Es
dauerte ein kleine Weile und dann hörte ich, dass es auf der an-
deren Seite läutete. Ich spürte meinen Herzschlag bis in den
Hals. Noch einmal und ein drittes Mal und schließlich hob je-
mand auf der anderen Seite der Leitung ab. Sofort erkannte ich
ihre Stimme.
»Bist du gut angekommen?«
Ich war selbst ein wenig erschrocken, dass mir dieses du her-
ausgerutscht war, doch sie lachte auf der anderen Seite.
»Ja, das bin ich und du, bist du auch gut angekommen oder
hattest du noch einen Unfall? Ich muss ehrlich sagen, dass ich
überrascht bin, dass du tatsächlich anrufst. Damit habe ich wirk-
lich nicht gerechnet. Hab eigentlich gedacht, dass du mich sofort
wieder vergessen hast, nachdem der Bus abgefahren war.«
Ich hatte mich im Sessel zurückgelehnt, die Füße auf den
Tisch gelegt, ein Grinsen aufgesetzt und begann eine Gespräch,
das kein Ende nehmen wollte.
»Und wann kommst du jetzt?«
Plötzlich schwieg ich.
»Was ist, hat es dir die Sprache verschlagen oder hast du
mich mit deinem Versprechen nur angelogen?«
Noch eine Weile herrschte Schweigen. Ich wusste genau, nun
musste ich Farbe bekennen.
»Warum bist du eigentlich mit dem Bus gefahren und nicht
geflogen?«
Fein war es nicht gerade, eine Gegenfrage zu stellen.
»Weil ich Flugangst habe!«
71
Sie war so ehrlich! Sie war so verdammt ehrlich.
»Ich auch, Mariana!«
Jetzt war es raus, endlich war es raus.
»Dann komm doch mit dem Bus!«
Wieder kurzes Schweigen.
»Du willst mich wirklich in Bulgarien haben, mich, den du
überhaupt nicht kennst, der das größte Scheusal der Welt sein
könnte und der noch Flugangst dazu hat?«
Sie lachte wieder.
»Mein Lieber, ich war dreiunddreißig Stunden unterwegs und
hatte genügend Zeit, über einen jungen Mann nachzudenken,
der mir im wahrsten Sinne des Wortes über den Weg gelaufen ist
und mich dabei mit samt meinem Gepäck über den Haufen ge-
rannt hat. Ich weiß was ich tue und ich weiß was ich will. Wann
kommst Du?«
Ich biss mir auf die Unterlippe.
»Ich rufe dich in ein paar Minuten wieder an!«
Ohne ihr auch nur die Chance zu geben, noch ein einziges
Wort sagen zu können, hatte ich aufgelegt und war an den PC
gegangen. Es dauerte nicht lange und ich hatte gefunden, wo-
nach ich suchte. Diese Woche hatte ich noch Termine, ab der
nächsten Woche konnte ich frei machen. Und was die Fliegerei
betraf, da durfte ich gar nicht lange überlegen, sonst würde ich
es mir überhaupt nicht mehr zutrauen.
»Mariana, was hältst du von kommendem Sonntag?«
»Und wie lange bleibst du?«
Wenn ich mir weiter so auf der Unterlippe herum beißen wür-
de, dann könnte ich mir einen Eisbeutel darauf legen bis Sonn-
tag.
»Zwei Wochen, wenn ich darf!«
72
Hoffentlich hatte ich jetzt nicht übertrieben und das bezau-
bernde Wesen am anderen Ende der Verbindung in einen
Schockzustand versetzt.
»Ich freue mich. Wann bist du wo am Flughafen?«
Ich spürte wie mein Herz aufgeregt schlug.
»Die Maschine kommt aus Köln-Bonn und ist um dreizehn
Uhr in Sofia.«
»Ich werde da sein und dich abholen. Aber ich denke, bis da-
hin telefonieren wir noch!«
Ich war schon verdammt nervös, als ich an diesem Morgen
kurz vor acht Uhr in den Regionalexpress in Richtung Mann-
heim stieg. Keinen Bissen hatte ich am Morgen hinunter ge-
bracht und während der Fahrt nach Mannheim schaffte ich es
auch nicht, meinen Magen zu versorgen. Erst im ICE konnte ich
mir ein paar Bissen aufzwingen.
Es war halb eins als ich aus dem Zug stieg und mich auf den
Weg machte, um einzuchecken. Einfach bloß nicht daran den-
ken, dann war es auszuhalten. Aber wie viele Sekunden dachte
ich nicht daran und wie viele musste ich daran denken? Eigent-
lich war ich an diesem Tag überhaupt nicht ich selbst. Es war,
als laufe ich neben mir selbst her und was das Schlimmste an
der Sache war, ich konnte mir einfach diesen verdammten
Traum nicht aus dem Kopf schlagen.
Das Gate wurde geöffnet und ich trabte lustlos bis in die Ma-
schine. Langsam trottete ich den Gang entlang, den Blick immer
wieder von den Sitzplatznummern zu der Bordkarte wechselnd.
Dann blieb ich wie angewurzelt stehen. Mein Sitzplatz war ge-
nau neben einem solchen Notausstieg. Mir war danach, ganz
laut zu schreien. Ich kniff meine Augen fest zusammen, in der
73
Hoffnung, aus diesem bösen Traum endlich aufzuwachen, doch
als ich die Augen wieder öffnete, da stand ich noch immer an
genau der gleichen Stelle.
»Kann ich Ihnen helfen? Finden Sie ihren Platz nicht?«
Die Stimme der Stewardess war nett und freundlich, doch das
half mir in diesem Augenblick reichlich wenig. Im Gang hinter
mir drängelten die Leute schon. So blieb mir nichts anderes üb-
rig, als mich auf diesem Platz neben der verdammten Luke nie-
derzulassen. Ich überlegte, ob ich nicht wieder aus der Maschine
aussteigen, wieder nach Hause fahren und Mariana einfach am
Telefon sagen sollte, ich hätte den Flug verpasst. Doch noch be-
vor ich mich entschließen konnte, bemerkte ich, wie sich dieses
Ungetüm, in dessen Bauch ich nun saß, in Bewegung setzte.
»Sie müssen sich noch anschnallen. Nicht dass wir sie unter-
wegs noch verlieren!«
Die Stewardess, aus deren Mund die Worte kamen, hatte da-
bei freundlich gelächelt und mir war es eiskalt den Rücken hin-
unter gelaufen. In Gedanken sah ich mich wieder in dieser
schwebenden Haltung, die ich in meinem Traum hatte, als dieser
fürchterliche Sog versuchte mich genau aus der Öffnung heraus-
zuziehen, neben der ich jetzt saß.
»Egal, dann geht es wenigstens schnell. Luke raus, Gurt auf
und weg!«
»Was meinen Sie?«
Die ältere Dame im Sitz neben mir, sah mich fragend an.
»Oh, entschuldigen Sie, ich habe mit mir selbst geredet.«
Sie lächelte mich an mit ihrem viel zu grell geschminkten
Mund und ihrem seltsamen Hütchen auf dem Kopf.
»Sie haben Angst, nicht wahr? Da sind sie nicht alleine. Ich
sterbe auch jedes Mal hundert Tode, bis die Maschine wieder
74
am Boden ist. Dann ist jetzt keiner von uns alleine mit seiner
Angst!«
Sie tätschelte meine Hand, die um die Armlehne gekrampft
war.
»Ist sie wenigstens hübsch?«
Ich sah die alte Dame, die immer weiter in ihren Sitz hinein
zu sinken schien, fragend an. Sie lachte ein wenig.
»Wissen Sie, ich denke mir, warum sollte ein so netter und
gut aussehender junger Mann wie sie, nach Sofia fliegen? Ent-
weder um zu arbeiten oder um zu studieren oder wegen einer
Frau. Sie sehen nicht so aus, als hätten sie Geschäfte in Bulgari-
en vor, dann würde jetzt bestimmt so ein komisches Ding, das
sie Computer nennen, vor Ihnen stehen. Und wenn sie Student
wären, hätten Sie auch so etwas vor sich. Haben Sie aber nicht.
Also tippe ich auf ein Treffen mit einer Frau. Stimmts?«
Listig blickte sie mich an und noch bevor ich etwas sagen
konnte, spürte ich dieses merkwürdige Gefühl in der Magenge-
gend und wünschte mir, ich hätte doch etwas gegessen. Wir wa-
ren in der Luft. Ich flog! Zum ersten Mal in meinem Leben flog
ich und ich wollte gar nicht wissen, wie hoch die Maschine noch
steigen würde. Ich sah zu der Dame hin, die mich noch immer
anschaute mit ihren listigen kleinen Augen.
»Ja, Sie haben recht. Vor ein paar Tagen habe ich durch Zufall
eine junge Frau kennengelernt und ihr versprochen, sie zu besu-
chen. Da hat sie mich beim Wort genommen und nun sitze ich
hier in diesem Flugzeug und schwitze Blut und Wasser!«
Wieder spürte ich ihre tätschelnde Hand auf meiner.
»Sie haben so viel auf sich genommen, um sie zu besuchen
und das wird sich lohnen. Sie werden sehen! Sie wird sie glück-
lich machen! Ganz bestimmt! Warten Sie nur ab.«
75
Als sie sich erst einmal warm geredet hatte, da fand sie kein
Ende mehr. Sie erzählte mir, dass sie in Bulgarien aufgewach-
sen, jedoch bereits vor der Errichtung des Eisernen Vorhangs
nach Deutschland gekommen war. Sie erzählte mir ihre ganze
Geschichte und gab tausend Tipps, welche Orte ich unbedingt
besuchen müsse. Plötzlich war dieses Glöckchen zu hören und
ich blickte nach oben und konnte die Leuchtschrift lesen:
»fasten seat belt!«
Ich fasste vor meinen Bauch und bemerkte, dass ich immer
noch angeschnallt war. Die Maschine kippte leicht auf die linke
Seite. Zum ersten Mal traute ich mich, längere Zeit aus diesem
kleinen Fenster zu schauen. Berge waren zu sehen und nach und
nach tauchte in meinem Blickfeld ein riesiges Häusermeer auf.
Immer tiefer sank die Maschine. Im Sinken überflog sie ein
Fußballstadion, auf dessen Rängen das Wort »Levski« zu lesen
war.
Der Bus brachte uns zum Flughafengebäude. Schnell bildete
sich eine Schlange vor den drei Abfertigungsschaltern der
Grenzpolizei. Aber sie lösten sich auch dahinter genau so
schnell wieder auf. Ich trat in die Halle, in der ein Förderband
immer im Kreise lief und Koffer transportierte. Es dauerte eine
Weile, bis mein Koffer kam. Ich suchte die Umgebung nach ei-
nem bekannten Gesicht ab, doch ich konnte nur die alte Dame
aus dem Flugzeug sehen, die mit ihrem Koffer in Richtung Aus-
gang tippelte und mir zuwinkte. Endlich kam mein Koffer an
mir vorbei. Ich nahm ihn vom Band und zog das Griffstück her-
aus, um ihn hinter mir herziehen zu können. Der Zöllner blickte
mich gelangweilt an und ließ mich passieren und direkt danach
erblickte ich sie. Sie eilte auf mich zu, legte einen Arm um mei-
nen Hals und küsste mich auf den Mund.
76
»Willkommen in Bulgarien. Ich freue mich riesig!«
Nochmals küsste sie meinen Mund. Ich blickte für einen Au-
genblick in die Halle und sah die alte Dame. Sie war stehenge-
blieben und hatte uns zugesehen. Für einen Moment lächelte
und nickte sie. Dann hob sie die Hand, an der ihre schwere
Handtasche hing, winkte und tippelte weiter in Richtung Straße.
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Gesichter der Zweisamkeit
Robert Bruckart
ISBN: 978-3-944306-06-3
Seitenanzahl: 270
€ 9,90
www.amazon.de
Auch als E-Book erhältlich
Nichts beschäftigt uns Menschen in unserem Leben wahrscheinlich mehr, als in glückli-cher Zweisamkeit zu leben und trotzdem stellen wir immer wieder fest, dass es nicht gerade einfach ist, eine solche zu finden. Dabei entgeht uns oft, dass wir es meist selbst sind, die einer solchen Zweisamkeit hinderlich im Weg stehen. Und noch eins sei ge-sagt; Zweisamkeit ist nicht gleich Zweisamkeit.
Der Kurzgeschichtenband mit dreizehn verschiedenen Lebensabschnitten erzählt Episo-den aus den Leben von Menschen, bei denen Zweisamkeit und die Suche nach ihr, wie auch das Ende einer Zweisamkeit, eine wesentliche Rolle spielt.
78
Barbara Würtz
Malerin, Grafikerin, Autorin, Kaligrafin Veröffentlichung von Haiku und Ge-schichten [email protected]
Dr. Andreas Hämer
Geb. 1948, im Ruhestand seit 7/2009
Birgit Burkey
Autorin, Poetin
Susanna Bur
Jahrgang 1953 Redakteurin, Betriebswirtin, Malerin, Fotografin, Autorin
Anne Adam
Verlegerin, Redakteurin
Bodo Bickelmann
Autor
Heinz-Josef Scherer
Dipl.-Soziologe/Systemischer Thera-peut und Berater Autor, Poet [email protected]
Verzeichnis: Redaktion,
Autorinnen und Autoren
Stefan Weigand
Redaktion, Layout
Andrea Pfeiffer
Jahrgang1963 Assistentin der Geschäftsführung
Marlian Wall
Autor
Thomas Lucci
Student, Autor
Dieter Arnweiler
Autor
Robert Bruckart
Autor
79
Sie lieben die Saar, wir auch!
ISBN 978781482-3260000
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