lizentiatsarbeit
DESCRIPTION
My Diploma ThesisTRANSCRIPT
Lizentiatsarbeit der Philosophischen Fakultät
Musikalische Geschmacksbreite undsymbolische Grenzziehung im Internet
Das Beispiel last.fm
Gutachter: Prof. Dr. Jörg RösselSoziologisches Institut (SUZ)
Autor: Christoph Lutz
Hauptfach: Soziologie
1. Nebenfach: Management and Economics
2. Nebenfach: Publizistikwissenschaft
Matrikelnummer: 04-712-899
Adresse: Reggenschwilerstrasse 28
9402 Mörschwil
E-Mail: [email protected]
Betreuer: Dr. Gunnar Otte
Abgabetermin: 16. April 2010
Inhaltsverzeichnis
Tabellenverzeichnis III
Abbildungsverzeichnis IV
Abstract V
1 Einleitung 1
2 Theorie 6
2.1 Definition und Spezifizierung des Untersuchungsgegenstands . . . . . . . . . . . . 6
2.2 Breite des Musikgeschmacks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
2.3 Zusammenstellung des Musikgeschmacks mit besonderem Fokus auf symbo-
lische Grenzziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
2.3.1 Pierre Bourdieus Distinktionstheorie als Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . 14
2.3.2 Richard Petersons Omnivores-These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
2.3.3 Symbolische Grenzziehung: Diskurstheoretische Zugänge und Erkennt-
nisse aus der Subkultur-, Szene- und Jugendforschung . . . . . . . . . . . . 21
2.4 Zusammenfassung der theoretischen Grundlagen: Ein integrales Modell des
Musikgeschmacks? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
3 Forschungsfragen und Hypothesen 34
4 Datengrundlage, Methode und Operationalisierung 36
4.1 Datengrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
4.2 Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
4.3 Operationalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
4.3.1 Operationalisierung der Breite des Musikgeschmacks . . . . . . . . . . . . . 44
4.3.2 Operationalisierung der Zusammensetzung des Musikgeschmacks . . . 50
5 Resultate und Diskussion 52
5.1 Resultate zur musikalischen Geschmacksbreite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
5.1.1 Deskriptive Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
5.1.2 Hypothese 1: Alter und musikalische Geschmacksbreite . . . . . . . . . . . 54
5.1.3 Hypothese 2: Sozialkapital und musikalische Geschmacksbreite . . . . . 59
5.1.4 Hypothese 3: Alter der Musik und Präferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
I
5.2 Resultate zur Zusammensetzung des Musikgeschmacks und symbolischen Grenz-
ziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
5.2.1 Deskriptive Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
5.2.2 Hypothese 4: Genreübergreifende und genreinterne Differenzierung . . 73
5.2.3 Hypothese 5: Hochkultur vs. Populärkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
5.2.4 Hypothese 6: Frauen hören häufiger Female Artists als Männer . . . . . . 81
5.2.5 Hypothese 7: Alternative vs. Mainstream . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
5.2.6 Hypothese 8: Rap ist das dominante Musikgenre bei der jungen Bevöl-
kerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
6 Schluss 96
Literatur 102
Anhang 111
.1 Einteilung der Tags in Genres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
.2 Beschreibung der Stichprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
.3 Beschreibung der abhängigen Variablen „Musikalische Geschmacksbreite“ mit
Brutto-Regressionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
.4 Voraussetzungprüfungen der OLS Regressionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
.5 Anlage 1: CD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
.6 Anlage 2: Lebenslauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
.7 Anlage 3: Eigenständigkeitserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
II
Tabellenverzeichnis
1 Differenzierung von Formen und Schemata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
2 Formen der Omnivorizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
3 Beispiel Top20-Tags der gehörten Musik eines Users mit Prozentzahlen . . . . . 48
4 OLS Regression Musikalische Geschmacksbreite auf Alter und andere Variablen 55
5 Beschreibung der Tags 60s, 70s, 80s, 90s und 00s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
6 Kreuztabelle Alter der User und Alter der Musik mit Zeilenprozenten . . . . . . . 62
7 Korrelationen der Genres untereinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
8 Korrelationen der Genres untereinander (Fortsetzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
9 OLS Regression Genreanteile auf Alter und andere Variablen . . . . . . . . . . . . . 70
10 Tags der Ausreisser nach unten: Extreme Univore (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . 74
11 Tags der Ausreisser nach oben: Extreme Omnivore (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . 75
12 Tags der Hochkulturinteressierten mit Interesse für Jazz und Klassische Musik 80
13 Kreuztabelle Geschlecht der User und Konsum von Female Artists mit Durch-
schnittswerten, Standardabweichung und Maxima der FA-Anteile . . . . . . . . . 81
14 Korrelation Indie- und Rockanteile mit anderen Genres . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
15 OLS Regression Rock- und Indieanteile auf Alter und andere Variablen . . . . . . 87
16 Kreuztabelle Alter der User und Konsum von Rap mit Durchschnittswerten,
Standardabweichung und Maxima der Rapanteile am Musikgeschmack . . . . . 92
17 Beliebteste Genres bei den 16-20 Jährigen nach Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . 93
18 Tags ausgewählter Black Music Interessierter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
19 Übersicht über die überprüften Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
20 Einteilung der Tags in Genres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
21 Beschreibung der Stichprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
22 Beschreibung der metrischen Variablen im Datensatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
23 Kreuztabelle Altersgruppen und Geschlecht: Verteilung des Geschlechts nach
Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
24 OLS Regression übrige Genreanteile auf Alter und andere Variablen . . . . . . . . 115
25 Brutto-Modelle der übrigen OLS Regressionen Musikalische Geschmacksbrei-
te auf Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
26 VIF und Tolerance Werte für alle Regressionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
27 Shapiro-Wilk Test auf Normalverteilung der Residuen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
28 OV-Test auf Vollständigkeit des Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
29 Breusch-Pagan Test auf Heteroskedastizität für jede untersuchte Hypothese . . 121
III
Abbildungsverzeichnis
1 Zusammenhang zwischen Alter und musikalischer Geschmacksbreite . . . . . . 11
2 Musikgeschmack nach Peterson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
3 Musikgeschmack nach Bourdieu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
4 Musikgeschmack nach der tablature des goûts musicaux von Glevarec & Pinet 29
5 Integrales Modell des Musikgeschmacks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
6 Last.fm Profilkopf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
7 Last.fm Profil weitere Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
8 Beispiel Musiktabelle der meist gehörten Bands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
9 User-Suchfunktion auf last.fm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
10 Tags bei Frédéric Chopin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
11 Histogramm Geschmackskonzentration UHH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
12 Anzahl gehörter Genres mit Taganteilen grösser als 0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
13 Zusammenhang Alter und musikalische Geschmacksbreite (UHH) . . . . . . . . . 54
14 Zusammenhang Alter und Konzentration des Musikgeschmacks (UHH) ge-
trennt für Frauen und Männer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
15 Zusammenhang Freunde und musikalische Geschmacksbreite (UHH) ohne
extreme Ausreisser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
16 Verteilung der Genreanteile für Rock, elektronische Musik, Pop und Jazz . . . . . 65
17 Unterschiede zwischen Rock und Indie auf last.fm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
18 Verteilung der Genreanteile für Rap, Metal, Country, World, Indie, Soul, Punk
und Klassische Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
19 Verteilung Geschmacksgleichheit M und Hörkonzentration nach OMR und AEP 116
20 Streudiagramme metrische unabhängige Variablen Alter und Freunde auf Re-
siduen. Abhängige Variablen von links oben nach rechts unten: UHH, Anzahl
gehörte Genres, M, UHH, Anzahl gehörte Genres, M . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
IV
Zusammenfassung
In dieser Lizentiatsarbeit wurden Breite und Zusammensetzung des Musikgeschmacks
in der Schweiz untersucht. Durch die quantitative und explorativ-heuristische Analy-
se von 876 Profilen der Musik-Community last.fm lassen sich Geschmackseffekte und
Mechanismen der symbolischen Grenzziehung veranschaulichen. Als theoretische Aus-
gangslage dienen Bourdieus Distinktionstheorie, die daran anschliessende Kritik und
Weiterentwicklung in Form der Omnivores-These und mikrosoziologisch-qualitativ aus-
gerichtete Forschungsstränge. Diese werden zu einem multidimensionalen Modell des
Musikgeschmacks synthetisiert, das sich an die tablature des goûts musicaux von Gleva-
rec & Pinet anlehnt und in Teilen überprüft wird.
Sowohl das Alter als auch das Netzwerk und Geschlecht einer Person wirken sich auf
ihre musikalische Geschmacksbreite aus. Ältere Leute hören weniger Genres als jüngere
und weisen insgesamt gesehen den schmaleren Musikgeschmack auf. Gleichzeitig legen
sie ein ausgeglichenes Hörverhalten an den Tag, so dass ihre Konzentration der Genre-
präferenzen relativ gering ausfällt. Das Sozialkapital im Internet, operationalisiert als
Anzahl Freunde und Gruppenmitgliedschaften, hat dagegen einen negativen und nicht
wie erwartet positiven Einfluss auf die musikalische Geschmacksbreite. Frauen hören
gleich viele Genres wie Männer und haben insgesamt den gleich breiten Geschmack, sie
konsumieren ihre Lieblingsmelodien aber konzentrierter und mit geringerer Streuung.
Bei der Zusammensetzung des Musikgeschmacks verdeutlicht sich, dass die musikso-
ziologisch traditionell strikte Trennung von Hochkultur und Populärkultur im Internet-
kontext nicht aufrecht zu erhalten ist. Die schweizer last.fm Hörerschaft zeigt sich sehr
rock- und indiezentriert und marginalisiert Black Music und die hochkulturellen Genres
Klassische Musik und Jazz. Weitere Resultate betreffen genreinterne Differenzierungen:
Univore treffen auch innerhalb der Genres dezidierte Auswahlen und nutzen selten das
volle Spektrum einer ganzen Musikrichtung. Das Kategorisieren von Musik geschieht
vielfältig, kreativ und losgelöst von analytischen Trennungen. Es orientiert sich neben
stilistischen Kriterien besonders an der Zeit- und Geschlechtsdimension, z. T. auch an
geographischen Trennungen und der Unterscheidung von Mainstream vs. Alternative.
In Zukunft gilt es solche symbolische Grenzen in Anbetracht der Zentralität des Hierar-
chieprinzips mit seiner Gliederung in high brow und low brow vermehrt zu thematisie-
ren. Erste Schritte einer solchen Analyse fördern folgende Resultate zutage: Ältere Musik
differenziert die Hörerschaft stärker als neuere und die geschlechtsbezogene Kennzeich-
nung der Musikeridentität ist eher für weibliche Künstlerinnen als für männliche Sänger
zu konstatieren. Insgesamt lassen sich die Resultate besser mit Glevarec & Pinets aktu-
eller Konzeption des Musikgeschmacks vereinbaren als mit der Distinktionstheorie und
der Omnivores-These.
V
But don’t forget the songs Don’t need money when it’s sunny
That made you smile Don’t need anything
And the songs that made you cry Just need music and sun and laughter
When you lay in awe on the bedroom floor And no currency
Don’t forget the songs The sun on your bare shoulders
That saved your life It comes for free
Steven Patrick Morrisey Tim Wheeler
Dank
Ich danke meinem Betreuer Gunnar Otte für die wertvollen konzeptionellen Hinweise in der
Anfangsphase der Arbeit. Ausserdem schulde ich Donald E. Knuth meinen aufrichtigsten
Dank für die Entwicklung von LATEX. Gut möglich, dass ich ohne ihn heute noch am Forma-
tieren sässe. Least but not last - und in Anbetracht des Themas - muss ich all die Bands und
Artists erwähnen, die ich während dem Verfassen dieser Arbeit gehört habe. Eine nicht er-
schöpfende Liste der Songs, die diese Arbeit in den letzten sechs Monaten durch ihren Drive
mitgetragen haben, findet sich ganz am Schluss... Schliesslich sei Isabel Münzner gedankt.
Sie gab mir einen Literaturhinweis, der sich nun im Verzeichnis hervorragend macht.
Vorbemerkung: In dieser Lizentiatsarbeit werden männliche und weibliche Berufs- oder
Gruppenbezeichnungen variierend gebraucht. So kann z. B. in einem Satz von Hörerinnen
die Rede sein, in einem anderen von Hörern. Gemeint sind jeweils - wo nicht aus dem Kon-
text anders ersichtlich oder ausdrücklich gegenteilig erwähnt - sowohl weibliche als auch
männliche Personen. Diese Wahl soll die Lesbarkeit gegenüber dem Ausschreiben beider
Formen (Konsumentinnen und Konsumenten, UserInnen oder auch Leser/innen) erleich-
tern.
VI
1 Einleitung
Mit dem Aufkommen des Internets und der damit einhergehenden Verbreitung digitaler
Kommunikationsformen gewinnen symbolische und diskursive Aspekte sozialer Praxis zu-
nehmend an Bedeutung (Illouz 2006, Schelske 2007: 96-100, Turkle 1995). Neue Arten der
Selbstinszenierung werden möglich und bisweilen sogar notwendig1. Dies verändert ver-
schiedene Felder der Gesellschaft und wirkt sich z. T. bis in die intimsten Bereiche aus. Am
Beispiel der Partnersuche im Internet werden solche Transformationen deutlich: Im Gegen-
satz zum traditionellen Kennenlernen in institutionellen Settings oder über Bekanntschaf-
ten, spielt im Internet die kognitive Komponente eine wichtige Rolle. Man wägt ab, man
begutachtet Profile, man zieht so viele Informationen wie möglich heran, bevor man eine
Person kontaktiert. Dabei kommt ein Kalkül zur Anwendung, in dem Effizienz und Kosten-
Nutzen-Abwägungen zentral sind. „Das Internet strukturiert die Suche nach einem Partner
buchstäblich als einen Markt oder, genauer, es formalisiert die Suche nach einem Partner
im Sinne ökonomischer Transaktion.“ (Illouz 2006: 132) Die kognitiven Kenntnisse gehen -
im Gegensatz zum Kennenlernen ausserhalb des Netzes - den Empfindungen voran und der
„Geist der Fülle und Auswechselbarkeit“ lässt schnell „Müdigkeit und Zynismus“ bei den Su-
chenden aufkommen (ebd.: 133), so dass die Bilanz der Autorin in Bezug auf das E-Dating
am Schluss bestenfalls gemischt ausfällt. Es ist anzunehmen, dass es in anderen gesellschaft-
lichen Bereichen im Zuge der Verbreitung des Internets zu ähnlichen kommodifizierenden
Effekten gekommen ist und immer noch kommt.
Demgegenüber stehen gegenläufige Entwicklungen, z. B. bei der Informationsbeschaf-
fung, in der Kunst und insbesondere in der Musik, wo die Vernetzung von Bands und Fans er-
leichtert wurde und sich der Zugang zu neuer Musik so leicht und schrankenlos wie noch nie
gestaltet. Durch den Austausch von Informationen zwischen ähnlich gesinnten Musikinter-
essierten auf Foren wie plattentests.de, durch die freie, problemlos zugängliche Verfügbar-
keit von Rezensionen zu neuen Alben jeder Art2 und das mittlerweile kaum mehr überschau-
bare Angebot an Songs und Videos auf myspace.com oder youtube.com verändern sich die
Produktions- und Rezeptionslogiken der Musik grundlegend. Ein gutes Beispiel für diesen
Prozess liefert die Community-Site last.fm, um die es im Rahmen dieser Arbeit gehen wird.
Diese Homepage erweitert die Möglichkeiten konventionellen Musikhörens, indem sie ih-
nen vielerlei interaktive Aspekte hinzufügt, beispielsweise in der Form von Diskussionsgrup-
1Man denke beispielsweise an die heute in vielen Betrieben schon normale Online-Bewerbung (Fountaine2005).
2Auf pitchfork.com werden z. B. täglich mehrere Alben rezensiert, die das ganze Spektrum der populärenMusik abdecken. Hinzu kommen stilbildende Hypes und Bestenlisten, die diese Homepage in den letztenJahren zu den Propagandisten des guten Geschmacks machten.
1
1 EINLEITUNG
pen oder der Generierung musikalischer Nachbarn3. So kann man Konzertbesuche ankün-
digen, Tagebucheinträge schreiben oder sich mit Leuten in Verbindung setzen, die den ei-
genen Musikgeschmack teilen. Ob es dadurch zu einer Erweiterung der musikalischen Hori-
zonte der User und zu einem Empowerment der Musikerinnen kommt, bleibt eine zu beant-
wortende Frage (vgl. Martucci 2010, im Erscheinen). Jedenfalls scheinen auch bei der Musik-
suche im Internet, ähnlich wie bei der Online-Partnersuche, spezifische Kenntnisse, Fertig-
keiten oder Kapitalien eine Rolle zu spielen, die nicht losgelöst von gesellschaftlichen Bedin-
gungen und Spielregeln betrachtet werden dürfen: Ob sich die goldene Nadel im Misthaufen
des musikalischen Überangebots finden lässt, ist nämlich u. a. bildungsabhängig und bleibt
nicht ohne Konsequenzen: „In other words, it is not just knowing the right culture, or even
knowing ’new’ culture, but rather knowing things that others would also like to know about.
By acquiring new knowledge that others find useful, people can secure status and prestige.“
(Tepper & Hargittai 2009: 229) Die gleichen Autoren relativieren in ihrer Studie aber die Rolle
des Internets bei der Verbreitung neuer Musik und dem Wissen darüber, denn selbst bei den
technikaffinen College-Studenten sind persönliche Netzwerke und Mainstream-Medien die
wichtigsten Quellen und nicht etwa Online-Foren oder Community-Sites.
Ziel und Motivation der Arbeit
In das Spannungsfeld zwischen neuen Möglichkeiten der Geschmacksbildung und des Aus-
drucks kultureller Präferenzen einerseits und den sozialen Wirkkräften, Restriktionen und
Zwängen andererseits ordne ich diese Lizentiatsarbeit ein. In ihr untersuche ich die gröss-
te Online-Musik-Community last.fm auf Aspekte der musikalischen Geschmacksbreite und
symbolischen Grenzziehung hin. Die beiden titelgebenden Untersuchungsgegenstände füh-
ren zu den zentralen Forschungsfragen, die die Untersuchung im Aufbau wesentlich struk-
turieren: Wovon hängt die musikalische Geschmacksbreite der last.fm Profile in der Schweiz
ab? und Wie setzt sich der Musikgeschmack der last.fm Profile in der Schweiz genremässig zu-
sammen? Daran anschliessend tauchen viele Folgefragen auf, die ich hier nur stichproben-
weise wiedergeben kann: Wie breit ist der Musikgeschmack der Hörerinnen? Welche Kom-
positionseffekte des Geschmacks zeigen sich mit überzufälliger Häufigkeit und welche Me-
chanismen können zur Erklärung der Kombinationen beitragen? Welche Kategorien werden
gebraucht, um Musik in Genres oder Subgenres einzuteilen?
Die Arbeit ordnet sich in den Kontext der Kultursoziologie ein und versucht mit einem spe-
zifisch soziologischen Blickwinkel Praktiken des kulturellen Konsums zu erklären. Während
aus der sozialpsychologischen Forschung relativ viel über die Wirkung und Rezeption von
3Dabei handelt es sich um eine Person, die den gleichen oder einen sehr ähnlichen Musikgeschmack aufweistwie der jeweilige User.
2
1 EINLEITUNG
Musik in verschiedenen Situationen bekannt ist, während also die individuellen und per-
sönlichen Motive des Musikhörens eingehend thematisiert wurden4, fehlt es wesentlich an
Erkenntnissen und Erklärungen über die Vergemeinschaftungswirkungen kulturellen Kon-
sums. Dieses Fazit ist nicht nur in Hinblick auf den Musikgeschmack zu ziehen, sondern
betrifft den gesamten Bereich der Lebensstile. Otte (2004, 2005) sieht beispielsweise hier ein
Defizit der Lebensstilforschung: „Die relative Bedeutung von Lebensstilen als Vergemein-
schaftungsinstanz bleibt ungeklärt.“ (Otte 2005: 15, Hervorhebung im Original)
Wenn Musik- und Geschmackskulturen, taste cultures (Gans 1989) oder taste patterns (Van
Eijck 2001) unter soziologischen Gesichtspunkten behandelt wurden, dann meistens in den
Cultural Studies oder in der mikrosoziologisch-ethnographisch ausgerichteten Forschung
zu Subkulturen, Szenen und speziellen sozialen Milieus (Hebdige 1979, Muggleton 2000,
Thornton 1996). Diese Untersuchungen beleuchten zwar sehr genau, wie eine bestimmte
Community funktioniert, bleiben aber aufgrund ihres selektiven Rahmens auf eine kleine
Gruppe beschränkt5. Verallgemeinerbare Aussagen sind daraus nur mit Vorbehalten zu zie-
hen. Die Arbeit versucht deshalb den Zugang zu einer Soziologie des Musikgeschmacks (Ge-
besmair 2001) auf zwei Ebenen zu finden und die Erkenntnisse in diesem Bereich zu er-
weitern: einerseits auf der Makroebene, andererseits auf der Mikroebene. Ersteres geschieht
durch die statistische Untersuchung prozessgenerierter Daten, letzteres durch spezifisch an-
hand dieser Daten ausgewählten Profilanalysen (Bellavance 2008, Lahire 2008). Mit dieser
Kombination von Herangehensweisen können die beiden titelgebenden Spektren der Li-
zentiatsarbeit - Breite des Musikgeschmacks und symbolische Grenzziehung als Mechanis-
mus der Zusammenstellung musikalischer Präferenzen - wirkungsvoll kombiniert werden.
Es entsteht ein umfassendes Verständnis der Bedingungen und Determinanten musikali-
schen Konsums.
Da es sich beim Musikgeschmack um eine Geschmacksdimension unter vielen handelt,
stellt sich die Frage, warum gerade dieser Aspekt herausgepickt wurde und nicht etwa die
Lesegewohnheiten, Shopping, die Mode oder der Fernsehkonsum. Die Auswahl lässt sich
aus verschiedenen Gründen erklären. Einerseits handelt es sich bei der Musik, wie Bourdieu
(1982: 41, 42) sagt, um „die am meisten vergeistigte aller Geisteskünste“. Denn sie "verkör-
pert die radikalste, die umfassendste Gestalt jener Verleugnung der Welt, zumal der gesell-
schaftlichen, welche das bürgerliche Ethos allen Kunstformen abverlangt“ (ebd.: 42). Ande-
4Am Institut für Publizistik und Medienwissenschaft der Universität Zürich sind im Bereich derMedienrezeptions- und -wirkungsforschung verschiedene Ergebnisse in Bezug auf die psychologischeKomponente des Musikkonsums publiziert worden. So konnte gezeigt werden, dass Musik zum Mood-Management nicht primär rational eingesetzt wird: Häufig dient sie in schwierigen Situationen nicht derVerbesserung schlechter Laune oder der Verdrängung von Trauer, sondern wird als Stimmungsverstärkereingesetzt (Schramm 2005).
5In Deutschland gehören schätzungsweise nur 20% aller Jugendlichen einer Jugendszene an (Spiegel 2009).
3
1 EINLEITUNG
rerseits spielt die soziale Komponente beim Musikgeschmack eine deutlich wichtigere Rolle
als beispielsweise bei der Lektüre von Büchern. So sind gewisse Subkulturen und Jugend-
szenen klar an einer bestimmten Musikrichtung orientiert und stellen diese - verknüpft mit
anderen Aspekten - ins Zentrum ihres Lebensstils (Hebdige 1979, Thornton 1996). Zu nen-
nen sind die Hip-Hop-, die Punk-, aber auch die noch relativ junge Emo-Szene (Lena 2006,
Williams 2006, Rickman & Solomon 2007). Die stark alltagsstrukturierende Funktion der Mu-
sik, besonders bei Jugendlichen, zeigt sich auch darin, dass ein beträchtlicher Teil der Frei-
zeit mit musikzentrierten oder musiknahen Aktivitäten verbracht wird und dass Musikhören
zu den beliebtesten Hobbys gehört (Statista 2009a, b)6. Schliesslich kommt die persönliche
Motivlage als Erklärung für die Themenwahl der Lizentiatsarbeit hinzu. In der vorherigen
Forschungsarbeit habe ich mich mit der Lebensstilforschung und der Homogenität und He-
terogenität expressiver Muster - besonders des Freizeitverhaltens - in Haushalten auseinan-
dergesetzt (Lutz 2009). Dabei ergab sich die Problematik der Vieldimensionalität und Kom-
plexität eines so breit gefassten Begriffs, wie es der Lebensstil ist. Die Operationalisierung der
Stile in jener Arbeit war, z. T. aufgrund der Datenlage, etwas unbefriedigend und liess mich
mit dem Wunsch zurück, mit besser geeigneten Daten tiefer in einen kultursoziologisch re-
levanten Bereich der Lebensführung einzutauchen. In der spezifischeren und leichter fass-
baren Konzeption des Geschmacks im Vergleich zum Lebensstil kommt eine gesellschaftli-
che Dimension zum Tragen, die zu meinem Bedauern damals unreflektiert blieb. Somit bot
es sich an, in einer leicht anders gelagerten, aber doch zum vorherigen Thema nicht völlig
bezugsfreien Lizentiatsarbeit genau diese Aspekte auszuarbeiten und mit solidem empiri-
schem Material einer eingehenden Überprüfung zu unterziehen... Und wem das alles als
Begründung noch nicht genügt, dem seien die folgenden Seiten zur Lektüre empfohlen, um
sich selbst ein Urteil zu bilden. Mir jedenfalls hat die Verfassung der Arbeit (grösstenteils7)
Spass gemacht und mancher Satz klang wie Musik in meinen Ohren.
Aufbau der Arbeit
Diese Arbeit gliedert sich in sechs Kapitel.
Nach der Einleitung legt der theoretische Teil die Grundlage für die später präsentierten
Hypothesen und die empirische Untersuchung. Kapitel 2 ist in vier Abschnitte unterteilt:
Zunächst werden die wichtigsten Begriffe der Arbeit aufgeschlüsselt und definiert. Zentral
figurieren hier die Termini des Genres, des Geschmacks und der symbolischen Grenzziehung
6Laut Shell-Jugendstudie ist Musikhören in Deutschland noch vor Fernsehen und sich mit Freunden treffendie beliebteste Freizeitaktivität bei den 12-25 Jährigen und auch in der repräsentativen Typologie der Wün-sche Umfrage rangieren Radio hören und CDs, MP3, Kasetten hören sehr weit oben (ebd.).
7Ein exploratives Strukturgleichungsmodell ergab einen Anteilswert von 0.9, d. h. zu 90% hat mir die ArbeitSpass gemacht. Das zugehörige Modell ist leider im Zuge der Festplattenformatierung verloren gegangenund kann weder im Anhang dieser Arbeit noch sonstwo eingesehen werden... Sorry.
4
1 EINLEITUNG
(2.1). Abschnitt 2 reflektiert sodann Ansätze, die sich mit Determinanten der Breite musika-
lischer Präferenzen auseinandergesetzt haben. Spezielles Augenmerk wird auf den Zusam-
menhang von Alter und Musikgeschmack gelegt und die sozialpsychologisch ausgerichtete
Theorie unter dem Stichwort der open-earedness (Hargreaves 1982) kommt zur Sprache (2.2).
Abschnitt 3, der sich der Zusammensetzung des Musikgeschmacks widmet und den Haupt-
teil des zweiten Kapitels ausmacht, ergänzt und konstrastiert die psychologische Perspek-
tive aus Abschnitt 2 mit soziologischen Theoriesträngen und Forschungsergebnissen. Be-
handelt werden die Distinktionstheorie Bourdieus (2.3.1), die Omnivores-These von Peter-
son (2.3.2) sowie diskursive, subkulturelle und der Jugendforschung entnommene Ansätze
zur symbolischen Grenzziehung (2.3.3). Im letzten Abschnitt versuche ich eine Synthese der
unterschiedlichen Zugangsweisen zur Breite und Zusammensetzung des Musikgeschmacks:
Die tablature des goûts musicaux (Glevarec und Pinet 2009) bietet sich als ein Modell an, das
sowohl als Reflexionsgrundlage und Zusammenfassung der gewonnenen Erkenntnisse als
auch als Anregung für die Formulierung von Forschungshypothesen dient (2.4).
Kapitel 3 behandelt die Forschungsfragen und bringt die aus den Theorien abgeleiteten
Hypothesen vor.
In Kapitel 4 präsentiere und reflektiere ich die Daten der Untersuchung, bespreche die
verwendeten Methoden und gehe auf die Operationalisierung zentraler Konstrukte und Va-
riablen ein. Im ersten Abschnitt „Datengrundlage“ thematisiere ich die Datensammlung, die
Problematiken dabei und die Spezifika der Online-Community last.fm. Der Datensatz wird
mit seinen Variablen zusammenfassend dargestellt und das Stichprobenverfahren erläutert
(4.1). In Abschnitt 2 werden die multivariaten Verfahren, die zur Beantwortung der Hypo-
thesen hinzugezogen wurden soweit notwendig erklärt (4.2). Schliesslich behandle ich die
Messbarmachung der beiden zentralen Konstrukte „Musikalische Geschmacksbreite“ und
„Zusammensetzung des Musikgeschmacks“ (4.3).
Das fünfte Kapitel, welches den zentralen Teil dieser Arbeit ausmacht, beinhaltet die For-
schungsergebnisse zu den Hypothesen und sieht diese mit Hinblick auf die Theorie disku-
tiert. Es ist seinerseits in zwei Teile gegliedert. Zunächst gehe ich auf die Forschungsfragen
zur musikalischen Geschmacksbreite ein. Nach der Präsentation erster deskriptiver Befunde
werden die Hypothesen nacheinander widerlegt oder (vorläufig) bestätigt (5.1). Der gleiche
Ablauf kommt bei der Zusammenstellung des Musikgeschmacks zum Tragen. Auch hier fol-
gen die Hypothesen der deskriptiven Analyse (5.2).
Im Schlusskapitel fasse ich die Ergebnisse der Arbeit zusammen und ordne sie in den
theoretischen und empirischen Kontext ein. Methodische und konzeptionelle Limitationen
werden thematisiert und Anknüpfungspunkte für weitere Forschung geliefert. Zuletzt schlies-
se ich den Rahmen der Arbeit mit einem reflexiven Bezug zur Einleitung.
5
2 Theorie
So ähnlich wie in Träumen oder in bestimmten Kunstformen gewis-
se Dinge nicht einfach bloss Dinge waren, sondern immer auch noch
für etwas anderes standen, das man jedoch nicht eindeutig benennen
konnte.
David Foster Wallace
In diesem Kapitel wird das theoretische Grundverständnis für die Betrachtung von musi-
kalischer Geschmacksbreite (Abschnitt 2.2) und symbolischer Grenzziehung (2.3) gelegt. In
einem ersten Schritt sollen aber zentrale Konzepte der Arbeit definiert werden (2.1). Zum
Schluss des Kapitels werden die theoretischen Erkenntnisse gesammelt und mit Hinblick
auf die darauf folgenden Hypothesen synthetisiert (2.4).
2.1 De�nition und Spezi�zierung des Untersuchungsgegenstands
Eine tragende Rolle im weiteren Verlauf der Arbeit wird dem Begriff des Genres zukommen,
denn eine Möglichkeit einen breiten Musikgeschmack aufzuweisen, besteht darin Musik vie-
ler Genres zu hören8. Was aber kann man sich darunter genau vorstellen? Welche Grenzen
bestehen zwischen verschiedenen Genres und wie werden sie gezogen? Wie werden kulturel-
le Objekte einem Genre zugeordnet? All diese Fragen bedürfen der definitorischen Klärung.
In der Alltagssprache dürfte mit Genre eine Art und Weise der Gestaltung gemeint sein, die
kulturelle Güter zu einer Klasse zusammenfasst, also gegen innen vereint und gegen aussen
abgrenzt. Dies kann auf verschiedene Arten geschehen, aber als primäres Kriterium wird in
der Musik oft die Form angesehen: Rapmusik zeichnet sich durch Sprechgesang und den
Einsatz von Samples aus, im Rock werden traditionellerweise relativ kurze Stücke mit der
Instrumentierung „Bassgitarre - E-Gitarre - Drums“ sowie charakteristisch melodiösem Ge-
sang vorgetragen. Die Einteilung reflektiert dann einen spezifischen Stil, also auf welche Art
und Weise der musikalische Inhalt dargestellt wird. Der Alltagsbegriff ist jedoch ergänzungs-
bedürftig, denn ein Genre ist mehr als ein Stil oder eine Form eines Kunstwerkes. In der
wissenschaftlichen Literatur lassen sich drei Dimensionen ausmachen, anhand derer Kunst-
8Ausser Acht gelassen werden dadurch freilich die genreinternen Heterogenitäten und möglichen Differen-zierungen in der Breite der Genres selbst. So kann ein Heavy Metal Fan, der nur dieses eine Genre hört, aberinnerhalb der Stilrichtung offen gegenüber den verschiedensten Formen und Variationen ist, einen ebensobreiten Musikgeschmack aufweisen wie ein Hörer elektronischer Musik, klassischer Musik, Folk und Rap,der sich jedoch innerhalb dieser Stile nur einen einzigen Künstler rausgreift oder ganz selektiv Subgenresherauspickt. Siehe dazu mehr in Abschnitt 2.3.
6
2 THEORIE
werke in Genres eingeteilt werden können (Diaz-Bone 2002: 158): die Form, das Thema oder
der Inhalt und das Publikum. Je nach Fokus der Theorie oder empirischer Herangehensweise
werden andere Aspekte betont. Di Maggio (1987) geht z. B. stark auf den sozialen Aspekt ein,
also auf das Publikum. Seine Ansetzung des Genrebegriffs geschieht sozialstrukturell und
reflektiert sowohl die Produktions- als auch die Rezeptionsbedingungen kultureller Güter.
Genres seien inhaltlich und formal nicht kohärent genug, damit diese Dimensionen als Ein-
teilungsgrundlage dienen könnten. Erst im sozialen Zusammenhang entfalten sie ihre Wir-
kung und die Deutungen unterscheiden sich je nach Situation und räumlichen sowie zeit-
lichem Rahmen. So dienen kulturelle Güter und Genres als Markierer des Geschmacks und
erlauben Identifikation und Distinktion (dazu mehr in Abschnitt 2.3): „I consider proces-
ses by which genre distinctions are created, ritualized, and eroded, and processes by which
tastes are produced as part of the sense-making and boundary-defining activities of social
groups.“ (ebd.: 441)
Eine solche makrosoziologische Genretheorie, die die formalen und inhaltlichen Merkma-
le weitgehend ausblendet, greift jedoch in verschiedener Hinsicht zu kurz. Zum einen kann
nicht abgestritten werden, dass auch formale Kriterien in die Genrebildung mit hineinspie-
len, zum anderen müssen die sozialen Mechanismen, mittels derer Genrekonstruktionen
wirken, genauer beleuchtet werden. Das geschieht bei Crane (1992), indem sie Techniken,
soziale Rollen und besondere Qualitäten berücksichtigt. All diese Aspekte werden über die
Medien diskursiv als Genrewissen mitaktualisiert (Diaz-Bone 2002: 160). Einen besonderen
Stellenwert nehmen dabei künstlerische Konventionen ein (Becker 2008), die sich ihrerseits
in zwei verschiedene Ebenen unterteilen lassen: stilistische Konventionen und evaluative
Konventionen. Durch die Berücksichtigung diskursiver Komponenten bei der Bildung von
Genres, also durch die Integration evaluativer Komponenten in den Modellrahmen, wird die
Kontingenz und situative Bedingtheit klassifizierender Begriffe, z. B. der Genres, erst offen-
sichtlich. Diaz-Bone unterscheidet in Anlehnung an Crane ästhetische Formen von ästhe-
tischen Schemata. Erstere stellen dabei „die künstlerischen Konventionen und Formen, die
in einer Kulturwelt über die Zeit hervorgebracht worden sind“ (Diaz- Bone 2002: 162) dar,
letztere geben die Diskurse wieder, mit denen diese Formen „reflektiert und [...] problema-
tisiert werden“ (ebd.). Erst durch die Verknüpfung und Inbezugsetzung der Formen mit den
Schemata werden die Genres ästhetisiert und gewinnen Wirkkraft. Die folgende Tabelle fast
die Unterscheidung von Formen und Schemata zusammen.
Die diskursive Komponente spielt beim Wandel von Genres eine wichtige Rolle. Dement-
sprechend ist sie bei der Bewegung von Genres durch den Raum der Lebensstile - als Para-
debeispiel kann die Aufwertung des Jazz’ genannt werden (Lopes 2002) - stets mitzuberück-
sichtigen, will man eine ganzheitliche Perspektive der Genredynamiken haben.
7
2 THEORIE
Tabelle 1: Differenzierung von Formen und Schemata
Ästhetischer Aspekt enthalten in
Kulturelle Formen (Harmonien, Komposi-tionen, Stil)
kulturellen Materialien (Musiken, Bildern,Texten)
Schemata (Oppositionen, Semantiken fürBewertung, Beurteilung, Begründung)
distinktiven Diskursen
Quelle: Diaz-Bone (2002: 164)
Zusammenfassend wird unter einem Genre in dieser Arbeit Folgendes verstanden: Ein
konzeptionelles Werkzeug zur Klassifizierung kultureller Produkte, das künstlerische Aus-
drucksweisen beschreibt und damit sowohl für die Künstler selbst als auch für ihre Netzwer-
ke und ihr Publikum handlungsleitend und identitätstiftend wirkt (Lena & Peterson 2008:
697).
Ein weiterer Begriff, der der definitorischen Klärung bedarf, ist der Geschmack. Während
seine Bedeutung ursprünglich auf einen Sinneseindruck verweist und das Schmecken als
körperlichen und kognitiven Akt werturteilsfrei in sich enthält, spielt seine normative und
moralische Komponente in der Entstehungsphase - im 18. Jahrhundert - auch im Zusam-
menhang mit Musik eine entscheidende Rolle (Gebesmair 2001: 25-29). Durch das Aufkom-
men des Bürgertums, besonders in den städtischen Gebieten, etablierten sich Diskussionen
um Werke der Musik und der bildenden Kunst, die relativ losgelöst von religiösen und poli-
tischen Zwängen stattfinden konnten.
„Es formierten sich nicht nur gesellschaftliche ’Klassen’, die sich gegenseitig ei-
nes schlechten Geschmacks bezichtigten, sondern zuerst einmal geographische
Regionen, die in Abgrenzung zueinander definiert waren. [...] Und in der Tat ist
in den Auseinandersetzungen bis ins 19. Jahrhundert immer wieder vom Ge-
schmack mit Bezug auf eine spezifische Nation die Rede: vom französischen
’gout’ oder von italienischer ’Art’, von deutschen, aber auch von den in den jun-
gen slawischen Staaten entstehenden Stilen.“ (ebd.: 29)
Prägend für die weitere Diskussion im Bereich der Ästhetik und in Bezug auf die Beantwor-
tung der Frage, was denn der Geschmack sei, sollte Immanuel Kant mit seiner dritten gros-
sen Kritik werden. Es würde zu weit führen hier die philosophische Konstruktion des (Ge-
schmack)Begriffs in der „Kritik der Urteilskraft“ zu rekonstruieren (vgl. Frackowiak 1994 für
8
2 THEORIE
eine begriffsgeschichtliche Herleitung). Zentral ist jedoch die strikte Trennung von „inter-
esselosem Wohlgefallen“ als Ausdruck dessen „was gefällt“ und dem „Interesse der Sinne“,
also dem, „was vergnügt“ (Bourdieu 1982: 82). Aus diesen Überlegungen folgt dann die De-
finition des Geschmacks als „das Beurteilungsvermögen eines Gegenstands oder eine Vor-
stellungsart durch ein Wohlgefallen, oder Missfallen, ohne alles Interesse.“ (Kant 1963: 79,
zitiert nach Gebesmair 2001: 34) Die Vorstellung des Geschmacks als persönliches Urteils-
vermögen und Ausdruck subjektiver Erfahrung dürfte heute weit verbreitet sein9. Sie ist aber
nicht vollständig und referiert auf einen philosophischen Gedanken, der mit dem Alltags-
wissen und der gesellschaftlichen Erfahrung bricht. Was Geschmack hier - d. h. im sozialen
Kontext - genau bedeutet wird etwas klarer, wenn man sich vor Augen führt, welche Assozia-
tionen verschiedene Adjektive zum Geschmack in sich tragen: geschmackvoll, geschmack-
los, geschmacksneutral oder geschmäcklerisch. Stets schwingt eine latente Wertung mit und
es zeigt sich, dass der Geschmack als Zeichen und Markierer stark gesellschaftlich konstru-
iert ist. Am deutlichsten kommt dies bei Bourdieu (1982) zum Ausdruck, wie wir noch sehen
werden. Als Arbeitsdefinition scheint mir ein empirischer Geschmacksbegriff sinnvoll, der
vom oben skizzierten Konzept der Urteilsfähigkeit Abstand nimmt und die Vorlieben und
Abneigungen der Individuen beschreibend thematisiert: „Taste in this sense is the fact or
condition of liking or preferring something [...] A taste for something just is the subjective
pleasure that one takes in it.“ (Baer 2010: Abschnitt 6) Der Musikgeschmack, der eine Unter-
art des Geschmacks darstellt, trägt soziale Implikationen mit sich und unterscheidet sich da-
durch vom in der Psychologie häufig verwendeten Terminus der musikalischen Präferenzen
(Gebesmair 2001: 47). „Im Begriff ’Musikgeschmack’ kommt eben der Aspekt der sozialen
Zuordnung und Abgrenzung zum Ausdruck [...]“ (ebd.: 48)10.
Ein letzter wichtiger Begriff, der definiert werden muss, ist die symbolische Grenzziehung.
Der Ausdruck stammt aus der amerikanischen Soziologie und wurde wesentlich von Michèle
Lamont geprägt (Lamont 1992, Lamont & Molnar 2002). Neben der symbolischen Grenzzie-
hung werden zwei weitere Formen angesprochen: moralische und soziale11 Grenzziehung.
Erstere dreht sich um Einordnungen zu moralischen Fragen und Standards, also wie man
sich z. B. in Bezug auf Ehrlichkeit, Arbeitsethik und Integrität im Vergleich zu anderen Leuten
beurteilt und von ihnen abgrenzt (Lamont 1992: 4). Letztere bezieht sich auf unterschiedli-
9Dies zeigt sich beispielsweise in Interviews, wo es den Leuten schwer fällt ihren Geschmack in Worte zufassen und wo die Wahrung der Individualität stets betont wird (vgl. Muggleton 2000), z. B. durch Sätze wie„Das gefällt mir einfach“.
10Aus stilistischen Gründen wird im Laufe der Arbeit der Begriff der musikalischen Präferenzen z. T. synonymmit dem des Musikgeschmacks verwendet. Die Bedeutung wird dabei jedoch - wenn nicht anders vermerkt- stets diejenige des Musikgeschmacks sein.
11Diese Form wird von Lamont (1992: 4) auch „sozioökonomische Grenzziehung“ genannt.
9
2 THEORIE
che Positionen im sozialen Raum und läuft entlang soziologisch relevanten Merkmalen wie
Alter, Bildung, Herkunft, Einkommen oder Vermögen: Es geht also um die Verteilung gesell-
schaftlicher Ressourcen und die daran anschliessenden Verortungen. Symbolische Grenzen
schliesslich werden definiert als „conceptual distinctions made by social actors to categorize
objects, people, practices, and even time and space“ (Lamont & Molnar 2002: 168). Sie erlau-
ben es uns durch distinktive Akte eine spezifische Identität auszubilden, indem wir Elemen-
te in unser Leben integrieren, die zu uns passen, und uns von Unpassendem distanzieren.
Durch die Kategorisierung von Gütern, z. B. Musik, Kunst oder Einrichtungsgegenständen,
oder Labeling von Personen - „Punk“, „Szeni“, „Langweilerin“ - werden symbolische Gren-
zen erschaffen, gegeneinander ausgespielt und verstärkt. Über die Einbindung in verschie-
dene Gruppen und die multiple Kreuzung sozialer Kreise (Simmel 1992) sind wir dauernd
mit speziellen, z. T. sich gegenseitig widersprechenden, Grenzen konfrontiert und beteili-
gen uns an symbolischer Grenzziehung (Lamont 1992: 10). Somit sind symbolische Gren-
zen eng mit sozialen Grenzen verknüpft und stehen in einem Bedingungsverhältnis mit ih-
nen, indem sie als Voraussetzung für sie dienen: Damit soziale Grenzen wirksam werden,
müssen ihnen symbolische Markierungen und Abgrenzungen vorausgehen12. In der Musik
spiegelt sich die Grenzziehung insbesondere in Szeneidentitäten und -distinktionen, Genre-
einteilungen, medialen Diskursen und Abneigungen oder Affinitäten gegenüber bestimm-
ten Bands und Künstlerinnen wider, wie wir noch sehen werden (Thornton 1996, Diaz-Bone
2002, Bryson 1996).
2.2 Breite des Musikgeschmacks
Bei der Frage nach der Breite des Musikgeschmacks hat die sozialpsychologische Forschung
mit dem Konzept der open-earedness (Hargreaves 1982) einen Ausgangspunkt für die em-
pirische Untersuchung musikalischer Präferenzen gelegt. Sie beschreibt die Offenheit ge-
genüber unterschiedlichen Stilen und Kompositionen und kann im Rahmen standardisier-
ter Umfragen oder Experimente mit dem „klingenden Fragebogen“ (Karbusicky 1975) er-
hoben werden: Die Probanden bekommen verschiedene Musikausschnitte vorgespielt, die
anhand unterschiedlicher Merkmale variiert werden können, z. B. nach Genre, Komplexität
oder Tempo. Anschliessend geben die Untersuchungsteilnehmerinnen ihre Präferenzen auf
einer Likert-Skala an (hat mir gar nicht gefallen - hat mir sehr gefallen). Die open-earedness
lässt sich ermitteln, indem die Präferenzen für verschiedene Musikstile summiert werden.
12Wenn beispielsweise weisse Mittelschichtsangehörige in den USA sich symbolisch von Angehörigen ande-rer Ethnien abzugrenzen versuchen, z. B. über die Namensgebung, Konsumpraktiken und Propagierungspezieller Werte („Arbeitsethos, Fleiss“), wird die Hautfarbe oder die Herkunft zum Kriterium sozialer Un-gleichheit und damit zu einer sozialen Grenze.
10
2 THEORIE
Bei hoher Zustimmung zu verschiedenen Genres und der positiven Bewertung ganz unter-
schiedlicher Musik, ist von einem „offenen Ohr“ die Rede: Die Person weist eine hohe mu-
sikalische Toleranz auf. Zu den Geschmacksurteilen fragen die Versuchsleiter auch sozio-
demographische Merkmale ab, die in der Analyse mit dem jeweiligen open-earedness Score
in Zusammenhang gebracht werden. So hat Hargreaves herausgefunden, dass die Toleranz
gegenüber verschiedenen Musikformen stark altersabhängig ist (ebd., North & Hargreaves
2008). Während in der Pubertät noch ein enges Spektrum an gemochter Musik vorherrscht,
verbreitert sich der Geschmack danach, d. h. im jungen Erwachsenenalter ist die grösste
open-earedness festzustellen. Später nimmt die Offenheit wieder ab, so dass Alter und open-
earedness umgekehrt u-förmig zusammenhängen. Die folgende Grafik13 zeigt den Zusam-
menhang auf14:
Abbildung 1: Zusammenhang zwischen Alter und musikalischer Geschmacksbreite
Problematisch bei diesem Konzept sind besonders die methodischen Grenzen und die
damit einhergehende Alltagsferne (North & Hargreaves 2008: 107). So ist die open-earedness
nicht mit der musikalischen Geschmacksbreite gleichzusetzen. Bei letzterer handelt es sich
um eine manifeste Äusserung des Geschmacks, die im individuellen und gesellschaftlichen
Leben einer Person verankert ist und somit im Alltag konkret zum Ausdruck kommt. Die
open-earedness gibt jedoch nur auf der Einstellungsebene an, ob einem ein bestimmtes Sam-
13Alle Abbildungen sind, wenn nicht anders deklariert, eigene Darstellungen.14Die Zahlen geben beispielhafte Altersjahre an. 12 markiert die Pubertätsphase, wo die musikalische Ge-
schmacksbreite relativ gering ist, aber ansteigt, 24 markiert den Höhepunkt der Phase der Postadoleszenzund 40 steht für das Erwachsenenalter.
11
2 THEORIE
ple gefällt. Zu bedenken gilt es dabei, dass die vorgespielten Stücke losgelöst vom gesell-
schaftlichen Kontext in der isolierten Befragungs- oder Experimentsituation beurteilt wer-
den. Möglicherweise handelt es sich also um Stücke, die den Probanden gefallen, die sie aber
aus bestimmten Gründen, wie Restriktionen, fehlender Zugang, sozialer Druck etc. trotzdem
nicht hören. Andererseits konsumieren sie im Privatleben Songs, die sie nicht mögen, aber
trotzdem irgendwie aufschnappen. Hinzu kommen die bei Befragungen oft vorhandenen
Effekte der sozialen Erwünschtheit, der Beeinflussung durch den Interviewer oder der Ak-
quieszenz, um nur ein paar wenige zu nennen (Diekmann 1995: 382-403). Diese können zu
einem verzerrten Urteil führen, das mit dem Verhalten in Alltagssituationen nicht deckungs-
gleich ist. Während also die musikalische Geschmacksbreite, so wie sie in dieser Arbeit auf-
gefasst wird, angibt, was man hört, ist die open-earedness ein Indikator dafür, was einem
gefällt. Trotzdem bildet sie einen guten Ausgangspunkt zur Formulierung der Hypothesen,
da sich anhand ihrer Resultate der latente Musikgeschmack als Ausdruck dessen, was einem
gefällt, und der manifeste Musikgeschmack, als Hörverhalten im gesellschaftlichen Kontext,
vergleichen lassen. Es wird sich zeigen, ob sich die Ergebnisse, die bei der open-earedness
gefunden wurden auch für die musikalische Geschmacksbreite gültig sind.
Weitere Alterseffekte bezüglich musikalischen Präferenzen betreffen die Entstehungspha-
se der gehörten Musik (Holbrook & Schindler 1989). Musikhörende bevorzugen Songs, die
in ihrer Jugendphase aktuell waren oder sind, d. h. dann weit oben in den Charts rangierten,
gegenüber älterer oder neuerer Musik. Gemäss diesen Befunden stellen die Postadoleszenz
und das junge Erwachsenenalter entscheidende Perioden für die Ausbildung des Musik-
geschmacks und dementsprechend auch für die musikalische Geschmacksbreite dar. Auch
hier ist der Zusammenhang zwischen dem Alter und der abhängigen Variablen umgekehrt
u-förmig, nur handelt es sich bei der zu erklärenden Grösse nicht um die Geschmacksbreite,
sondern um die musikalische Präferenz. Als mögliche Erklärungsfaktoren für die Befunde
sehen die Autoren Gruppendruck, Medienkonsum und auch die Vertrautheit mit den pop-
kulturellen Mustern in der postadoleszenten Lebensphase (ebd.: 123, 124). Weil sich die Re-
sultate auf die Popmusik - und darin auf den engen Bereich von Charthits - beschränken,
bleibt die Frage, ob ähnliche Effekte auch für ein breiteres Spektrum von Musik zutreffen. So
würden wir erwarten, dass Leute, die in den 1940er Jahren geboren werden auch heute noch
besonders häufig Musik der 60s hören, solche die in den 1950er zur Welt gekommen wären
erfolgreichen Bands und Artists aus den 70s besonders zugeneigt usw. Ob dies auch für die
Schweiz und am Computer gehörte Musik zutrifft, wird eine zu beantwortende Frage sein.
12
2 THEORIE
2.3 Zusammenstellung des Musikgeschmacks mit besonderem
Fokus auf symbolische Grenzziehung
Die Zusammenstellung des Musikgeschmacks ist letztlich nur schwer von der musikalischen
Geschmacksbreite zu trennen. Wie verschiedene Genres, Bands und Künstlerinnen kom-
biniert werden, wirkt sich auch darauf aus, wie breit ein Geschmack ist. Dieser Abschnitt
erweitert deshalb die vorher gestellte Frage „Wie viele (Sub)Genres oder Künstler hört eine
Person?“ wie folgt: „In welcher Zusammenstellung von (Sub)Genres oder Künstlern hört eine
Person Musik?“ (van Eijck 2001: 1170) Hier müssen die feldspezifischen Wertigkeiten der mu-
sikalischen Güter betrachtet werden, schliesslich können (Sub)Genres und Künstler in ihrer
gesellschaftlichen Wahrnehmung je nach Feld unterschiedlich gelagert sein (Bourdieu 1993,
1999). Dementsprechend wahrscheinlich oder unwahrscheinlich ist eine Kombination ver-
schiedener Stile, Bands oder Künstler in spezifischen gesellschaftlichen Settings. Es bieten
sich deshalb soziologische Modelle zur Erklärung der Komposition des Musikgeschmacks
an.
Die tablature des goûts musicaux von Glevarec und Pinet (2009) dient mir als theoretischer
Aufhänger für die Betrachtung der Zusammenstellung des Musikgeschmacks. Im Gegensatz
zum Konzept der open-earedness handelt es sich hier um einen soziologischen Zugang. Da
sich die beiden französischen Autoren in ihrem Aufsatz eingehend mit zwei zentralen Theo-
rien der Kultur- und Musiksoziologie - der Omnivores-These von Richard Peterson und der
Distinktionstheorie von Pierre Bourdieu - auseinandersetzen, diese Ansätze jeweils kritisch
hinterfragen und ein eigenes Modell vorschlagen, das zumindest in Frankreich besser in der
Lage ist die aktuelle empirische Realität in Bezug auf musikalische Präferenzen zu fassen
als die beiden genannten, bietet es sich an dieses neue Konzept als Grundlage heranzuzie-
hen. Der kultursoziologisch wenig bewanderte Leser soll dabei die theoretische Herleitung
der tablature nachvollziehen können. Es ist deshalb unverzichtbar, sowohl Bourdieus (1982)
Konzept der Distinktion (Unterabschnitt 2.3.1) als auch Petersons (1992, Peterson & Kern
1996) Omnivores-These (2.3.2) zu besprechen.
Die angedeuteten und auf der Makroebene angesiedelten Modelle müssen ferner durch
eine mikrosoziologische Fundierung der Organisationsprinzipien von Genres ergänzt wer-
den (Sonnett 2004: 248). Dies geschieht im dritten Unterabschnitt (2.3.3) durch die Präsen-
tation verschiedener Zugriffe auf das Phänomen der symbolischen Grenzziehung. Thema-
tisiert werden diskurstheoretische Ansätze, in denen genrespezifische Diskurse15 zur Spra-
che kommen (Diaz-Bone 2002), die Integration in Szenen und Subkulturen (Muggleton 2000,
15Gemeint ist die Szeneliteratur, z. B. Musikzeitschriften oder Fanzines, wo die Genres ihre Werte und distink-tiven Funktionen zugeschrieben bekommen.
13
2 THEORIE
Hebdige 1979, Thornton 1996) sowie zusätzliche verstreute Zugänge aus der Jugendforschung
und der mikrosoziologisch-qualitativ ausgerichteten Kultursoziologie.
Die zwei musiksoziologischen Perspektiven, wie sie stichprobenartig in den Unterabschnit-
ten 2.3.1 und 2.3.2 vs. 2.3.3 zur Geltung kommen, äussern sich in unterschiedlichen empiri-
schen Methoden:
„Research on musical boundaries already reflects these two directions. One ap-
proach uses survey data to investigate patterns of inclusiveness and exclusiven-
ess in musical tastes. Another uses historical and qualitative methods to develop
understandings of the cultural mechanisms organizing cultural tastes, and re-
cent studies work on integrating these approaches.“ (Sonnett 2004: 248)
Die beiden Seite der Medaille können also in einem weiteren Schritt auf ein weisses Blatt
graviert und zusammen betrachtet werden. Allerdings ist die urpsprüngliche Trennung ana-
lytisch und idealtypisch, denn sowohl bei Bourdieu (1982) und der Omnivores-These als
auch im heterogenen Feld der mikrosoziologischen Subkultur-, Szene-, Diskurs und Grenz-
ziehungsansätze finden sich Ergänzungen durch den jeweils anderen Zugang16. Die Kom-
bination von Struktur- und Handlungsebene wurde denn auch schon mehrfach erfolgreich
umgesetzt und soll für diese Arbeit inspirierend wirken (vgl. Katz-Gerro 1999, Warde et al.
2008, van Eijck 2001 oder Bennett et al. 2008).
2.3.1 Pierre Bourdieus Distinktionstheorie als Ausgangslage
Ein zentrales Momentum in Pierre Bourdieus Gesellschaftstheorie stellt zweifellos die Di-
stinktion dar. In seinem wegweisenden kultursoziologischen Klassiker „Die feinen Unter-
schiede“ ist dieses soziale Phänomen nicht umsonst im französischen Original titelgebend:
„Die Entdeckung der grossen empirischen Untersuchung der habituell strukturierten Le-
bensstile in der französischen Gesellschaft der 60er und 70er Jahre ist der Mechanismus der
Distinktion. Materialreich demonstriert Bourdieu, wie sich die sozialen Unterschiede im Be-
reich des Geschmacks fortsetzen.“ (Diaz-Bone 2002: 31)
Indem kulturelle Güter in der Bewertung und Rezeption mit unterschiedlichen ästheti-
schen Urteilen belegt werden, erhalten sie distinktiven Wert17. Bekannt sind die Beispiele
16Bei Bourdieu (1982) geschieht dies beispielsweise durch das Einfügen von Interviewfragmenten, Aussschnit-ten aus Zeitschriftenartikeln oder Fotos und bei Thornton (1996) und Rief (2009) durch die Betrachtungrepräsentativer statistischer Daten zum Unterhaltungs-, Club und Nightlifesektor.
17Diese Komponente der sozialen Wirklichkeit spiegelt die latente Ebene der Einschätzungen und Werurteilewider und entspricht dem, was Bourdieu in seinem Habituskonzept als „Wahrnehmungs- und Denksche-mata“ bezeichnet (Bourdieu 1987: 112).
14
2 THEORIE
zur Bewertung abstrakter Kunst: Je nach kulturellem Kapital und sozialer Herkunft des Be-
trachters werden Kunstwerke unterschiedlich gedeutet. Für die Automechanikerin oder den
Bauer aus der unteren Klasse steht eher die funktionale und handwerkliche Komponente
im Vordergrund. Ein Bild sollte gefallen und man sollte darin das Können der Malerin er-
kennen. Im Gegensatz dazu werden Personen, die über ein hohes Kapitalvolumen verfügen
und durch die schulische und familiäre Ausbildung speziell viel kulturelles Kapital angehäuft
haben - also eher in der rive gauche angesiedelt sind, geht man auf den sozialen Raum Bour-
dieus (1982) zurück - das gleiche Bild stärker unter formalen oder kontextspezifischen Ge-
sichtspunkten reflektieren. Aber nicht nur die ästhetische Reflexion eines kulturellen Guts
unterscheidet sich je nach sozialem Hintergrund, sondern auch die konkrete Wahl der Ob-
jekte, die zu einem passen18. Denn die Strukturierung des sozialen Raums sorgt dafür, dass
die Individuen mit erhöhter Wahrscheinlichkeit distinktiv konnotierte kulturelle Güter wäh-
len, die nahe bei ihnen liegen und damit vertraut wirken. Somit wird der soziale Raum vom
Raum der Lebensstile überlagert, wo die kulturellen Güter als Komponente der Lebenssti-
le durch die Integration in den Alltag praktischen Wert erlangen. Es gibt also Praktiken und
Güter, welche für die gesellschaftliche Position einer Person im sozialen Raum angemessen
sind und die deshalb selbstverständlich gewählt werden und solche die nicht passen und
die man aussen vor lässt. Bezeichnenderweise fasst der Wählende selbst diesen Wahlakt als
subjektiven Ausdruck der Freiheit - des persönlichen und höchstindividuellen Geschmacks
- auf und nicht als strukturierte gesellschaftliche Zuordnung. Die Unbewusstheit und durch
Inkorporation erzeugte Selbsverständlichkeit gesellschaftlicher Praxis kommt im Konzept
des Habitus zum Ausdruck, dem Bindeglied zwischen dem Raum der sozialen Positionen
und dem Raum der Lebensstile. „Als einverleibte, zur Natur gewordene und damit als sol-
che vergessene Geschichte ist der Habitus wirkende Präsenz der gesamten Vergangenheit,
die ihn erzeugt hat“. (Bourdieu 1987: 105) An anderer Stelle ist vom Habitus als „zur Tugend
gemachten Not“ die Rede (ebd.: 100, 101). Im unbewussten Gespür für die positionale An-
gemessenheit und Zweckmässigkeit der Dinge, insbesondere der kulturellen Güter, kommt
eine Konfiguration zur Geltung, die in der deutschen Übersetzung des englischen „sense of
one’s place“ (Goffman 1951: 297) nur unzureichend wiedergegeben werden kann.
Auch Musik lässt sich zu den Gütern kulturellen Konsums zählen und distinktive Wer-
tigkeiten sind in unterschiedlichen Werken und Künstlern inkorporiert. Bourdieu zeigt auf,
dass Personen aus der herrschenden Klasse bessere Kenntnisse im Bereich der Hochkultur
und Avantgarde aufweisen und deutlich häufiger solche Musik mögen als Leute aus dem
18Diese Komponente der sozialen Wirklichkeit spiegelt die manifeste Ebene der Handlungen und Praktikenwider und entspricht dem, was Bourdieu in seinem Habituskonzept als „Handlungsschemata“ bezeichnet(Bourdieu 1987: 112)
15
2 THEORIE
Kleinbürgertum oder der unteren Klasse (Bourdieu 1982: 34-36, 54-57). Der Musikgeschmack
ist also klassenabhängig und steht in Homologie zu den Ressourcen, die eine Person auf-
weist. Die Kapitalstruktur und das Kapitalvolumen bestimmen gemäss dieser Vorstellung
weitgehend darüber, welche Musik wir präferieren und mit welchen Genres wir uns nicht
vertraut fühlen (Emmisson 2003).
In Bourdieus Theorie wird strikt zwischen Hochkultur und Populärkultur unterschieden.
In Bezug auf die Zusammenstellung des Musikgeschmacks ist eine unbeschwerte Mischung
von Genres aufgrund der starken Kopplung musikalischer Präferenzen mit der Position im
sozialen Raum und der damit einhergehenden Hieararchisierung der Musikrichtungen so-
mit unwahrscheinlich. Erwartungsgemäss finden wir spezifische Muster, je nachdem wo im
sozialen Raum wir uns befinden: In der herrschenden Klasse konsumiert man hochkulturel-
le Musik - also Werke der Klassik und z. T. auch avantgardistischer Strömungen des Jazz - und
grenzt sich strikt gegenüber Formen der populären Kultur ab. In der beherrschten Klasse ist
man der Populärkultur zugeneigt und weiss mit der Hochkultur wenig anzufangen. In der
mittleren Klasse legt man ein prätentiöses Verhalten an den Tag und versucht die herrschen-
de Klasse nachzuahmen, jedoch ohne grossen Erfolg, da diese immer wieder neue Distink-
tionen hervorbringt und sich so stets abzugrenzen vermag. In Bourdieus Gesellschaftspor-
trait Frankreichs in den 1960er Jahren stehen Ravel und Bach für den legitimen Geschmack,
Vivaldi mit den Vier Jahreszeiten für den prätentiösen und die populären Chansonniers, ins-
besondere Guétary, für den Notwendigkeitsgeschmack (Bourdieu 1982: 37).
Etwas überspitzt kann die Bourdieu’sche Distinktionstheorie mit Hinblick auf die Zusam-
menestellung des Musikgeschmacks wie folgt umrissen werden: Jeder hört das, was ihm auf-
grund seiner gesellschaftlichen Position zugewiesen wird und die Zuweisungen sind eindeu-
tig, weil Stile - Hochkultur vs. Populärkultur - und Künstler - Ravel vs. Guétary - symbolisch
aufgeladen und damit hierarchisch angeordnet sind. Die Genregrenzen sind strikt und ihre
Überschreitung stellt eher die Ausnahme als die Regel dar. Musikalische Geschmacksmuster
oder Cluster müssten sich also leicht erkennen lassen und wären trennscharf19.
2.3.2 Richard Petersons Omnivores-These
Der amerikanische Kultursoziologe Richard Peterson stellte 1992 in seinem Aufsatz „Un-
derstanding audience segmentation: from elite and mass to omnivore and univore“ und
in einem mit Kern veröffentlichten Paper (Peterson & Kern 1996) die Homologiethese von
Bourdieu in Frage. In der empirischen Analyse amerikanischer Survey-Daten kommt er zu
19Hinzugefügt werden muss, dass die Daten zu „den feinen Unterschieden“ aus den 1960er Jahren stammenund die Musikindustrie zu jener Zeit anders gegliedert war und nicht über die gleiche Angebotspalette wieheute verfügte (Glevarec & Pinet 2009: 616).
16
2 THEORIE
anderen Ergebnissen als der berühmte französische Kultursoziologe. So wie Bourdieu zwi-
schen hierarchischen Geschmacksformen - legitimer Geschmack, prätentiöser Geschmack
und Notwendigkeitsgeschmack (Müller 1992: 325-341) - unterscheidet, trennt Peterson high
brow und low brow Genres: Während sich die statushohen Omnivoren durch ein breites
Spektrum gehörter Genres und besonders durch ein Überschreiten der Grenze von high
brow und low brow auszeichnen, konzentrieren sich die statusniedrigen Personen häufig
auf einzelne low brow Genres. Dieses Modell lässt sich grafisch mit einer umgekehrten Py-
ramide veranschaulichen: Im oberen Bereich hören die Omnivoren eine breite Palette von
Musikrichtungen (sowohl high brow als auch low brow), im unteren Bereich spezialisieren
sich die Univoren auf ganz bestimmte Genres (Otte 2008: 7).
Im Anschluss an die Formulierung der Omnivores-These widmete sich eine Flut von Ver-
öffentlichungen deren empirischer Überprüfung in verschiedenen Ländern, für verschiede-
ne Medien und mit unterschiedlichen Datensätzen (vgl. in letzter Zeit Warde & Gayo-Cal
2009, Tampubolon 2008, Lizardo & Skiles 2009, Coulangeon & Lemel 2007, Rössel 2006a, Van
Rees et al. 1999 oder Peterson 2005 für einen Überblick). Die Ergebnisse fallen gemischt aus
und eine eindeutige Bestätigung und v. a. Übertragbarkeit der These auf andere Kontexte
als den amerikanischen Kulturraum lassen sich nicht erkennen. Rössel (2006a: 270) stellt
z. B. in seiner Untersuchung zum Filmgeschmack und zu Kinobesuchen fest: „Auch wenn
daher die Übertragbarkeit der Idee von Peterson und Kern nicht so deutlich zurückgewie-
sen werden kann, wie von Neuhoff (2001) vermutet, so sprechen die Ergebnisse nicht für
einen deutlichen - die Allesfresser-These bestätigenden - Unterschied zwischen hochkultu-
rinteressierten Personen und anderen Personengruppen in Deutschland.“ Auch aus kom-
parativer Perspektive sind die Befunde nicht eindeutig. So unterscheidet sich der Fernseh-
konsum in manchen Ländern zwischen den Statusgruppen kaum, in anderen hingegen zei-
gen die Statusprivilegierten ein „snobbistisches“ Konsumverhalten, indem sie Genres ab-
lehnen, die der Populärkultur zugeschrieben werden können und insgesamt ein weniger
breites Genrespektrum aufweisen als ihr statusniedrigen Landesgenossen (Lizardo & Ski-
les 2009). Dies betrifft Dänemark, Luxemburg, Frankreich und Österreich. Mit national un-
terschiedlich ausgestalteten Mediensystemen wird ein möglicher Erklärungfaktor herausge-
strichen, der sich vermittelnd auf den Zusammenhang von Status und TV-Geschmack aus-
wirkt: In stärker kommerzialisierten und privatisierten Mediensystemen legen die Leute ein
snobbistischeres Konsumverhalten an den Tag als in weniger profitorientierten. Die exem-
plarischen Ergebnisse verdeutlichen, dass noch viele Fragen in der Omnivorizitäts-Debatte
ungeklärt sind: Neben dem kurz angeschnittenen komparativen Defizit sind auch methodi-
sche Unklarheiten und gesellschaftliche Konsequenzen eines breiten Musikgeschmacks20 zu
20Dieser Punkt betrifft die Frage, ob und inwieweit der Musikgeschmack als soziales Strategem im Sinne wirk-
17
2 THEORIE
nennen (Warde & Gayo-Cal 2009: 120). Bevor also eine gesellschaftsübergreifende oder gar
allgemeingültige kultursoziologische Diagnose im Sinne von „Die Omnivoren sind die neu-
en Snobs“ gestellt werden kann, sollten diese Probleme aus dem Weg geräumt werden. Auf
die methodischen Aspekte der Diskussion werde ich später bei der Operationalisierung der
Konstrukte ausführlicher eingehen, aber im Groben lassen sich zwei Vorstellungen dessen,
was eine Allesfresserin ausmacht, feststellen: Sie hört viele Genres und sie überschreitet die
symbolische Grenze von high brow und low brow, d. h. sie hört nicht nur hochkulturelle, an-
spruchsvolle oder populäre „seichte“ Musik, sondern kombiniert diese Spektren. Die beiden
Verständnisse werden auch als Omnivorousness by Volume und Omnivorousness by Compo-
sition bezeichnet (Warde & Gayo-Cal 2009). Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über
die Begriffe:
Tabelle 2: Formen der Omnivorizität
Omnivorousness byVolume
Omnivorousness by Composition
Begriff Geschmacksbreite Zusammenstellung des GeschmacksOperationalisierung Anzahl gehörter Genres Überschreitung symbolischer GrenzenKernidee Statushohe hören viele
GenresStatushohe überschreiten Grenzen
Verbreitung Viele Studien, zuneh-mend
Einige Studien
Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Warde & Gayo-Cal (2009)
Während sich die Literatur im Zusammenhang mit der Omnivores-These wesentlich mit
der musikalischen Geschmacksbreite und der Überschreitung der Grenzen von high brow
und low brow in Abhängigkeit des Status befasst, sind vereinzelt auch Ansätze erkennbar
über diese Schwerpunkte hinauszugehen und die Zusammensetzung musikalischer Präfe-
renzen anzuschauen. Besonders hervorgetan hat sich hier van Eijck (2001). Er stellt denn
auch ein Defizit der Peterson’schen und an ihn anschliessenden Empirie in genau diesem
Bereich fest: „Although Peterson ardently argued for a thorough and ongoing study of pat-
terns of cultural choice, the omnivore-univore thesis has little to say about the way in which
consumers combine cultural products.“ (ebd.: 1166, Hervorhebung im Originial) In van Ei-
jcks empirischer Analyse werden vier Geschmacksmuster, so genannte taste patterns, ent-
deckt, die sich in ähnlicher Form in Schulzes (1992) alltagsästhetischen Schemata wiederfin-
den: pop, high brow, folk und new omnivore. Die letzte Ausprägung stellt dabei eine Kombi-
mächtigen Kapitals überhaupt zum Einsatz kommt, d. h. wie mit kulturellen Präferenzen Distinktionsge-winne erzielt werden können.
18
2 THEORIE
nation von pop und high brow dar, liegt damit nahe beim Verständnis symbolischer Grenz-
überschreitung, wie es in der Omnivores-These zum Ausdruck kommt. Das new omnivore
Muster ist positiv von der Bildung abhängig und eher bei Männern als bei Frauen zu finden.
Von der sozialen Lagerung dürfte diese Geschmacksausprägung also dem nahe kommen was
Schulze (ebd.: 312-321) mit dem „Selbstverwirklichungsmilieu“ umschreibt oder bei ande-
ren Autoren unter dem Begriff der „neuen Mittelklasse“ figuriert (Savage et al. 1992, Wynne &
O’Connor 1998). In dieser Bevölkerungsgruppe werden symbolische Grenzen mit grösserer
Selbstverständlichkeit überschritten, als dies anderswo der Fall ist. Dementsprechend breit
gelagert fällt hier die kulturelle Kompetenz und auch der Musikgeschmack aus.
Im Anschluss an Peterson versucht die amerikanische Soziologin Bettany Bryson heraus-
zufinden, ob die Allesfresser wirklich so offen gegenüber verschiedenen Genres sind oder
ob die musikalische Toleranz eher selektiv ausfällt, indem gewisse Stile komplett abgelehnt
werden. Der Titel ihres vielzitierten Aufsatzes „Anything but heavy metal“ bringt die Exklusi-
on einzelner Genres im Musikgeschmack auf den Punkt. Die Autorin fragt sich, ob es Musi-
krichtungen gibt, die von vielen überhaupt nicht gemocht werden, also sozusagen verfemte
Genres, und ob soziale Muster die musikalischen Abneigungen erklären können. Die Befun-
de sind eindeutig: Aversionen gegenüber bestimmten Musikstilen sind weit verbreitet und
nicht etwa die Ausnahme. Rap wird z. B. von 65% aller Befragten (gar) nicht gemocht und
beim Heavy Metal sind es sogar knapp drei Viertel, die (gar) nichts mit dieser Musikrichtung
anfangen können (Bryson 1997: 143). Weil in vielen Studien zur Omnivores-These jeweils
nur untersucht wurde, welche und wieviele Genres eine Person hört, nicht aber, wie stark die
Affinität oder die Aversionen ausfallen, konnten Genreabneigungen nicht ermittelt werden.
Denn das Nichthören eine Genres bedeutet nicht automatisch seine Ablehnung. Genau so
gut könnte der Nichthörerin das Genre egal sein oder vielleicht mag sie es sogar, präferiert
aber andere Stile oder hat aus unterschiedlichen Gründen keine Möglichkeit solche Musik
zu konsumieren. Erst bei der Berücksichtigung von Abneigungen wird der vollständigen Zu-
sammenstellung des Musikgeschmacks Rechnung getragen. Auch die musikalischen Alles-
fresser zeigen dabei systematische Aversionen und sind nur selektiv offen gegenüber For-
men populärer Musik. Die Stile, mit denen die Omnivoren21 am wenigsten anfangen kön-
nen, sind gleichzeitig - vom durchschnittlichen Bildungsniveau der Hörerschaft her gesehen
- am weitesten von ihnen entfernt. Es handelt sich um die traditionell eher den tieferen so-
zialen Schichten zuzuordnenden Richtungen Country, Rap, Heavy Metal und Gospel. Die
symbolische Grenzziehung und Distinktion macht also auch vor den Offensten nicht Halt.
21Bei Bryson werden alle Personen, die wenige Genres ablehnen zu den Allesfressern gezählt. Durchschnittlichlehnen die Befragten in ihrer Untersuchung sechs Genres ab - bei 18 Antwortmöglichkeiten (Bryson 1996:888-889).
19
2 THEORIE
Bei den statustiefen Univoren hingegen werden die Grenzen deutlicher gezogen und Ab-
neigungen stärker markiert als bei den Allesfresserinnen (Bryson 1997). Dabei spielen Ab-
grenzungen verschiedener Art eine Rolle. In den USA sind neben der angesprochenen Bil-
dungsvariablen als Dimension des Status22 besonders ethnische und regionale Kriterien wich-
tig. Die Präferenzunterschiede für Country zwischen tiefgebildeten Weissen und Nichtweis-
sen, d. h. insbesondere Schwarzen und Hispanics, sind beispielsweise deutlich höher als
zwischen hochgebildeten Weissen und Angehörigen anderer Ethnizitäten. Gleiches gilt für
die regionale Herkunft. Auch hier weisen tief gebildete Personen aus unterschiedlichen Re-
gionen - Norden und Süden in diesem Fall - deutlich höhere Diskrepanzen auf als hoch ge-
bildete. Hinzu kommt, dass die Wahrscheinlichkeit bestimmte Genres nicht zu mögen für
bildungstiefe Schichten fast durchwegs grösser ist als für bildungshohe, auch unter Kontrol-
le der üblichen soziodemographischen Kontrollvariablen23. Insgesamt ziehen die Univoren
also stärkere symbolische Grenzen und sind wenig offen gegenüber einer Vielzahl von Gen-
res. Zudem - und dieser Punkt ist entscheidend - wählen sie ihre Genres entlang klar erkenn-
barer sozialstruktureller Linien, wie eben Ethnizität, Alter und Geschlecht, was in Überein-
stimmung mit Bourdieu auf die gesellschaftliche Prägung des Musikgeschmacks hindeutet
und einer freien, interesse- und gleichsam schwerelosen Wahl widerspricht.
Die Aussagen der Omnivores-These in Bezug auf die Zusammensetzung des Musikge-
schmacks können wie folgt zusammengefasst werden: Es zeigt sich ein komplexeres Bild als
bei Bourdieu, aber die Statusabhängigkeit der musikalischen Präferenzen ist weiterhin ge-
geben. Symbolische Grenzüberschreiterinnen finden sich entweder bei Statusprivilegierten
(Peterson 1992, Peterson & Kern 1996) oder bei der neuen Mittelklasse (Van Eijck 2001, Sava-
ge et al. 1992, Wynne & O’Connor 1998) bzw. im Selbstverwirklichungsmilieu (Schulze 1992).
Dabei werden bis auf wenige Ausnahmen lediglich die Grenzen von Hochkultur und popu-
lärer Kultur - oder von high brow und low brow thematisiert - nicht jedoch popkulturinterne
Differenzierungen (Parzer 2008). Dieses Defizit bedarf der Revidierung.
22In diesem Punkt kommt erneut der Bourdieu’sche Homologiegedanke zum Ausdruck. Die statustiefen Uni-voren mögen von allen Genres insbesondere hochkulturelle nicht.
23Die einzige Ausnahme bildet das Genre Country. Hier haben Tiefgebildete eine grössere Chance die Musi-krichtung zu mögen als Hochgebildete. Vergleichbare Resultate liegen für die Schweiz nicht vor, doch drängtsich in Anbetracht der Lebensstilforschung und der darin gefundenen bzw. definierten Cluster - Schulzes(1992) „Trivialschema“, Klocke & Lücks (2001: 58) „Häuslicher Harmonietyp“ oder Ottes (2004) „Traditio-neller Arbeiter“ - die Vermutung auf, dass auch für deutsche Volksmusik und für schweizerdeutsche Liederanaloge Effekte auftreten.
20
2 THEORIE
2.3.3 Symbolische Grenzziehung: Diskurstheoretische Zugänge und
Erkenntnisse aus der Subkultur-, Szene- und Jugendforschung
Einen Zugang diskursiver Natur zum Musikgeschmack und insbesondere zur symbolischen
Grenzziehung wählt Diaz-Bone (2002). Er untersucht den Heavy Metal- und Technodiskurs
in zwei der meistgelesenen Fachzeitschriften im jeweiligen Feld, der Raveline im Techno
und dem Hammer im Heavy Metal. Mit der Diskursanalyse gelingt es ihm die subkulturel-
len Werte und Bereichslogiken festzumachen. Während im Heavy Metal die schweisstrei-
bende Arbeit, das Ethos des Handwerks und die kontinuierliche und stetige Entwicklung
im Rahmen der gängigen Formen und Konventionen im Zentrum steht, ist der selbstän-
dige unternehmerische und tüftelnde DJ im Heimstudio, der sein Werk auch kommerziell
verwerten möchte und die Menge im Club zum Tanzen bringt, der Prototyp der Techno-
szene. Diese einander diametral gegenüberstehenden Idealvorstellungen werden durch die
Fachzeitschriften immer wieder aufs Neue hervorgebracht oder diskursiviert und erreichen
den Konsumenten in beträchtlicher Auflage (Schmutz 2009). Die Grenzziehung zwischen
den verschiedenen Musikgenres und ihre stetige Reproduktion im Szenehandeln der betei-
ligten Akteure kann nicht aufgrund sozialer Kriterien allein erklärt werden - z. B. aufgrund
der ländlichen Herkunft, der Familienstruktur oder der Einbindung in einen bestimmten
Schultyp der Hörerinnen eine Musikstils -, sondern die vermittelnde Praxis diskursiver Ak-
teure muss stets mitreflektiert werden. Die Bourdieu’schen Räume des Lebensstils und der
gesellschaftlichen Positionen bedürfen also der Ergänzung durch einen dritten Raum: den
Diskursraum24. Interviews mit Bands und DJs, Konzertberichte und CD-Rezensionen in den
Fachzeitschriften unterscheiden sich je nach Genrekontext beträchtlich und tragen dadurch
erheblich zur Grenzziehung zwischen Diskursprovinzen, Szenen oder Subkulturen bei. Wäh-
rend geschlossene und normativ stark geladene Diskurse auf eher univore - vielleicht jedoch
genreintern differenzierte - musikalische Präferenzen der an ihnen beteiligten Produzen-
tinnen und Konsumenten hindeuten, ermöglichen offene Diskursräume und ein nicht stark
festgelegtes Set an Szenemustern, Werten und Normen in ihnen vielfältige, grenzüberschrei-
tende Geschmacksmuster. Die Offenheit eines musikalischen Diskurses ist jedoch empirisch
nur schwer zu ermitteln. Die Konsequenzen der Integration diskursspezifischer Aspekte für
die Zusammenstellung des Musikgeschmacks sind somit nicht eindeutig aus der Theorie
oder bisherigen Untersuchungen ableitbar.
Eine fundierte Grundlage zur Untersuchung der symbolischen Geschlossenheit und Of-
fenheit von Genres bietet jedoch die Sammlung, Analyse und Verdichtung der verstreuten
24Bei Bourdieu wird dieser Raum lediglich in der Feldtheorie berücksichtigt, nicht aber in den „Feinen Unter-schieden“. So lässt sich denn die Ausarbeitung des „Raums der Werke“ (Bourdieu 1999) als Versuch auffas-sen genau so einen Diskursraum zu konstruieren.
21
2 THEORIE
und heterogenen Literatur im Bereich Szeneentwicklungen, Musikgeschichte - z. B. im Zu-
sammenhang mit der Entwicklung von Künstlerkollektiven (Becker 2008, Lopes 2002) - und
Milieustudien bis hin zur Integration von Zeitungs- oder Zeitschriftenartikeln (Lena & Pe-
terson 2008). Diese Synthese der Literatur lässt folgende Phasen erkennen, die Subgenres
typischerweise der Reihe nach durchlaufen: Avant-Garde, Scene-Based, Industry-Based und
Traditionalist. Die (Sub)Genres wandeln sich also über die Zeit hinweg und werden in den
unterschiedlichen Phasen (genre forms genannt) von unterschiedlichen Akteuren getragen.
Die folgende Abbildung gibt einen Überblick über die einzelen Phasen und ihre zentralen
Merkmale.
Abbildung 2: Genreformen und ihre Merkmale (Lena & Peterson 2008: 702)
Je nach Phase sind unterschiedliche symbolische Grenzziehungen zu erwarten. So dürf-
ten bei den Scene-Based und den Traditionalist Genres striktere und restriktivere Ingroup-
/Outgroup Identifikationen vorherrschen als bei der offenen, experimentellen Avant-Garde
und den industriell-orientieren und dadurch breit und inklusiv gehaltenen Industry Based
Genres. Die Grenzziehung funktioniert in den beiden erstgenannten genre forms nach Prin-
zipien, die sich sowohl auf der genreübergreifenden als auch auf der genreinternen Ebene
restriktiv auf den Musikgeschmack auswirken. Deshalb ziehen traditionelle und szeneba-
sierte Genres strikte symbolische Grenzen und sehen sich stärker isoliert als die Avantgarde-
und Industrieformen. Wie aus Abbildung 2 ersichtlich wird, haben die Mitgliederinnen der
jeweiligen Formen anders geartete „Feindbilder“. Während bei den szenbasierten Formen
die Abgrenzung gegen andere Musikrichtungen zu einer relativ geringen genreübergreifen-
den Differenzierung führt und somit eine schmale musikalische Geschmacksbreite - gemes-
sen an der Anzahl gehörter Genres - impliziert, sind bei den traditionellen Formen noch
uniformere oder eindeutigere Identifikationen zu erwarten. Denn bei letzteren legt man be-
sonders genreintern Wert auf Konformität und sanktioniert Abweichler dementsprechend.
22
2 THEORIE
Die strikte symbolische Grenzziehung bei den traditionellen Formen führt zu einer eindeu-
tig veortbaren, und nicht sehr vielschichtigen Zusammenstellung des Musikgeschmacks. In
der empirischen Untersuchung ergäben sich dann bei den klar traditionell veortbaren Sub-
genres wenig Überschneidungen mit Subgenres des gleichen übergeordneten Genres.
Problematisch an der Konzeption der Genreformen und der damit einhergehenden Pha-
senhaftigkeit einzelner Subgenres ist die Tatsache, dass sich die betrachteten Richtungen
gleichzeitig mehreren Phasen zugeordnet sehen können. Das Subgenre West Coast Gangsta
Rap hat z. B. die Transformation Avant-Garde - Scene Based - Industry-Based durchlaufen
und innerhalb des Spektrums finden sich heterogene Anhängerschaften. Hinzu kommt die
unterschiedliche lokale Verbreitung der einzelnen Formen und die heterogene Grösse ihres
Publikums: Manche Formen können auf eine relativ verstreute und breite Hörerschaft zu-
rückgreifen, andere sind jedoch stark regional konzentriert und begrenzt.
Mikrosoziologische Versuche der Fundierung symbolischer Grenzziehung, und somit der
Zusammenstellung des Geschmacks, finden sich in der Szene- und Subkulturforschung, bei-
spielweise bei Muggleton (2000) oder Thornton (1996). Hier werden die Involvierten in quali-
tativen Interviews zu ihrer Identität und zu dem, was ihrer Meinung nach ihre Zugehörigkeit
zur Szene ausmacht, befragt. So entstehen facettenreiche Bilder, die zeigen, dass der Akt der
symbolischen Grenzziehung oftmals durch Ambivalenzen, Unsicherheiten und ein bewuss-
tes Spiel mit den Grenzen gekennzeichnet ist: Einerseits fühlt man sich zugehörig, anderer-
seits möchte man nicht ins enge Korsett der Typisierung gedrängt werden (Muggleton 2000:
55-79). Oft betonen die Interviewten auch ihre Offenheit gegenüber einer Vielzahl von Stilen,
trotz Szenezugehörigkeit (ebd.: 70, 71). Somit drängt sich die Vermutung auf, dass musika-
lische Offenheit ein szenübergreifendes Kapital darstellt. Ähnlich wie bei der Omnivores-
These stellt sich dann aber die Frage, ob die Präferenzen und Abneigungen nicht selektiv
sind und ob genreinterne Hierarchien diese Toleranz nicht ein Stück weit in den Schatten
stellen (Bryson 1996).
Aufgrund der Heterogenität der Szenen und Subkulturen und der Vielfalt an verstreuten
empirischen Befunden im Feld ergibt sich das Desiderat einer Zusammenfassung oder über-
geordneten Szene- und Subkulturtheorie, die spezifisch auf symbolische Grenzziehung ab-
zielt. Hier gibt es wenige Versuche einer Synthese der Erkenntnisse:
„To date, no one has published a systematic analysis of the characteristic forms
that music-making communities take or how they change over time. Instead,
historical surveys of popular music focus attention on charismatic performers,
analyze works within the canon, and identify cultural factors that promote the
growth of music genres [...]. In addition, hundreds of social scientists have stu-
23
2 THEORIE
died the structure of particular popular-music communities and the social con-
texts that shape them.“ (Lena & Peterson 2008: 697, 698)
Umso begrüssenswerter sind denn auch die seltenen Versuche der Konzeptionalisierung,
zumeist aus den Cultural Studies und vom Center for Contemporary Cultural Studies (CCCS)
in Birmingham. Obwohl z. B. Thornton (1996) ihr Augenmerk primär auf die Londoner Rave-
und Technoszene richtet, bietet ihr Begriff des subkulturellen Kapitals die Möglichkeit der
Übertragbarkeit auf andere Subkulturen. Dieses eng an Bourdieus Verständnis kulturellen
Kapitals angelehnte Konzept umfasst verschiedene Facetten: Zum einen geht es um Hipness
und Szenewissen, also um die inkorporierte Dimension kulturellen Kapitals, zum anderen
auch um objektiviertes Kapital in der Form von Plattensammlungen, passenden Kleidern
oder Frisuren (ebd.: 11). Im Gegensatz zum kulturellen kann das subkulturelle Kapital je-
doch nur im begrenzten Rahmen der Szene Gültigkeit erheben und wirkmächtig werden.
Dort aber ist die Möglichkeit der Umwandlung in andere Kapitalformen gegeben und so las-
sen sich bei geschicktem Einsatz der Ressource materielle oder soziale Aufstiegspotentiale
realisieren. Nicht selten zahlt sich subkulturelles Kapital aus, wie das Beispiel erfolgreicher
DJs oder Musik- und Stylejournalisten zeigt.
In Hinblick auf den Musikgeschmack bildet das subkulturelle Kapital eine genreinterne
Distinktionsachse, die wesentlich zur Strukturierung der Szenen in Insider vs. Outsider und
Alternative vs. Mainstream beiträgt (ebd.: 92 ff., Otte 2008: 15-18). So spiegeln sich in den Un-
terscheidungen zwischen MF Doom und 50 Cent, Pantha du Prince und Scooter, Stockhau-
sen und Vivaldi, Deerhoof und Bon Jovi oder auch Sunn O))) und Manowar zwei genreüber-
greifende Bedeutungsgehalte wider, deren jeweilige Kenntnis und Wertschätzung zu einem
grossen Teil - neben soziodemographischen Faktoren wie Alter und Geschlecht - durch die
ungleiche Ausstattung des Publikums mit subkulturellem Kapital erklärt werden kann: auf
der einen Seite die Kennerinnen und subkulturell gebildeten Insider auf der anderen Sei-
te der blasse, etwas plumpe und auf die Distinktionsmechanismen pfeifende Mainstream.
Zwar ist diese Trennung hoffnungslos überspitzt dargestellt25, aber sie soll die Aufmerk-
samkeit auf einen in der kultursoziologischen Tradition viel zu wenig beachteten wunden
Punkt legen, nämlich die genreübergreifenden, aber insbesondere genreintern gültigen Dif-
ferenzierungsstrategien und -praktiken. Denn die MF Doom, Pantha du Prince, Stockhau-
sen, Deerhoof und Sunn O))) Fans dürften untereinander homologer sein als mit den Fans
am anderen Ende des Mainstream/Insider-Spektrums innerhalb der Genres Rap, elektro-
25Daneben gibt es denn auch eine Vielzahl von Sängerinnen und Bands, deren Beurteilung fast durchs Bandpositiv oder negativ ausfällt, die also kaum Distinktionspotential in sich tragen. Oft handelt es sich dabeium „Klassiker“: Im Popbereich sind z. B. die Beatles und Michael Jackson zu nennen, im Rap Run DMC oderim Indie-Bereich Sonic Youth.
24
2 THEORIE
nische Musik, klassische Musik, Rock und Metal. Symbolische Grenzziehung findet damit
nicht nur zwischen Genres statt, sondern auch und insbesondere innerhalb von ihnen (Par-
zer 2008: 132-135). Thornton stellt für die Reflexion solcher genreinternter Dynamiken eine
ausgezeichnete Bezugsquelle dar und bietet ein Set an geeigneten Begriffe für ihre Analy-
se. Demnach lassen sich im Zusammenhang mit subkulturellem Kapital drei oppositionelle
Diskurslinien und wirkkfräftige Gegensatzpaare zeichnen (Rief 2009: 10):
• Authentizität vs. Aufgesetztheit
• Underground vs. Medien
• Hip vs. Mainstream
Szeneinsiderinnen versuchen sich z. B. mit authentischen Symbolen und Praktiken vom
Mainstream abzugrenzen. Unter Mainstream wird jedoch nicht ein einheitliches Bild subsu-
miert, sondern es kursieren verschiedene Vorstellungen davon, je nach Szene oder Subkul-
tur. Während im Hip-Hop beispielsweise die Lyrics ein wichtiges Differenzierungskriterium
zwischen Underground und Charts darstellen (Lena 2006) und Insider sich von unglaubwür-
digen (Stichwort credibility) und unechten (Stichwort realness) „Posern“ abzugrenzen versu-
chen, diente in der englischen Rave-Szene die Mecca Disco-Kette mit ihrer Klientel und dem
eng an sie gebundenen Sound als Idealtypus des Mainstreams. Mit eingängigen Stereotypen,
die die Aufgesetztheit zu evozieren suchen, markieren die Szeneinvolvierten ihre Positionen:
„the oft-repeated, almost universally accepted stereotype of the chartpop disco was that it
was a place where ’Sharon and Tracy dance around their handbags’. This crowd was consi-
dered unhip and unsophisticated.“ (Thornton 1996: 99)
Auch der zweite Punkt - also die Unterscheidung Underground vs. Medien - ist es wert kurz
diskutiert zu werden. Thornton betont, dass ein Verständnis der Subkulturen und Szenen
ohne die Betrachtung der Rolle der Medien nicht möglich sei. Sie widmet denn auch ein gan-
zes Kapitel von Club Cultures diesem Thema (ebd.: 116-162). Ihre Untersuchung beschreibt,
wie Subkulturen und Medien in einer eigentümlichen Beziehung stehen: „The media do not
just represent but participate in the assembly, demarcation and development of music cul-
tures.“ (ebd.: 160) Die Kenntnis und der richtige Umgang mit Medien machen einen grossen
Teil des Szenewissens aus (Otte 2008: 16) und die Szenemitglieder gebrauchen ihr subkultu-
relles Kapital um sich hier zu verorten und abzugrenzen. Das kann beispielsweise durch die
Lektüre von Fanzines oder den Konsum von Nischensendungen im Radio positiv gesche-
hen, aber auch negativ, z. B. durch die Kritik an Berichten der Massenmedien. Wenn man
das Internet als Medium begreift, dürften mediale Aspekte bei der Identitätsausbildung von
Subkulturen und damit einhergehend der symbolischen Grenzziehung in den letzten Jahren
25
2 THEORIE
noch an Bedeutung gewonnen haben (Williams 2006). Thornton geht so weit und schreibt,
dass Subkulturen erst durch das Labeling von aussen eine eigene Identität ausbilden und
sich somit als solche überhaupt verstehen. „Given this scenario, I am forced to conclude
that subcultures are best defined as social groups that have been labelled as such.“ (Thorn-
ton 1996: 162) Die Medien spielen bei diesem Etikettierungsprozess eine zentrale Rolle, wie
zahlreiche historische Beispiele zeigen26.
Weitere Anknüpfungspunkte im Bereich der symbolischen Grenzziehung finden sich in der
Jugendforschung. Da sich Jugendliche besonders stark der Populärkultur zuwenden und Mu-
sik bei ihnen einen grossen Stellenwert einnimmt, sind sie wertvolle Untersuchungssubjek-
te für die Musiksoziologie. Verschiedene Aufsätze und Mongraphien zum Musikgeschmack
konzentrieren sich denn auch ausschliesslich oder insbesondere auf junge Leute (vgl. Tan-
ner et al. 2008, Mulder et al. 2006, Bennett 2000, 2001).
Im Gegensatz zu früher ist nicht mehr Rock, sondern Rap das dominierende Genre bei
Teenagern (Spiegel 2009). „We are currently witnessing a revolution in musical taste - becau-
se rap has now eclipsed rock as the musical choice of today’s teenagers.“ (Tanner et al. 2008:
121) Daneben können aber ganz verschiedene Genres für sich in Anspruch nehmen Anhän-
gerinnen bei einer beträchtlichen Zahl von Jugendlichen zu finden. Bei kanadischen High-
School Schülern aus Toronto halten sich auch bei Reggae, Techno und Pop die Zuneigung
und Abneigung in etwa die Waage. Bei hochkulturellen und rockorientierten Genres (Hea-
vy Metal, Alternative) hingegen liegt die Ablehnungsrate deutlich höher als bei den zuvor
genannten. Zwei Drittel bis drei Viertel aller Befragten mögen keinen Jazz, keine klassische
Musik, keine traditionelle Musik und keine rockorientierten Genres (ebd.: 129). Ob diese Er-
gebnisse der Sozialstruktur der Grossstadt Toronto geschuldet sind oder ob bei Jugendli-
chen aus anderen Settings ähnliche Resultate zutage treten, bleibt eine offene Frage. Je nach
unterschiedlicher Präferenzneigung zu den einzelnen Genres können jedenfalls spezifische
Hörstile oder Geschmacksmuster herausgearbeitet werden, wie sie für die Zusammenstel-
lung des Musikggeschmacks charakteristisch sind. Die gewonnenen Gruppen entsprechen
in etwa taste patterns (van Eijck 2001), taste publics (Gans 1989) oder Clustern (Bennett 2008)
und stellen übergeordnete musikalische Schemata dar. Während die Gruppen bei grossen,
repräsentativen Umfragen zum Kulturverhalten und zu musikalischen Präferenzen relativ
unspezifisch und grob sind27, bietet sich bei Jugendlichen die Möglichkeit feinere Cluster
26Die Kette reicht von Künstlergruppen, wie den Impressionisten, die ihre Bezeichnung von einer negativenZeitungsrezension übernahmen, bis hin zu Musikszenen. In den britischen Punk- und Rave-Szenen trugdie Berichterstattung in den Massenmedien wesentlich zur Ausbildung einer eigenen Identität bei.
27Van Eijck (2001) macht zum Beispiel nur vier Schemata fest, bei Bourdieu (1982) sind es drei Geschmäckerund bei Gans (1989) gar nur zwei Formen: Hochkultur und Populärkultur.
26
2 THEORIE
zu bilden. Dies geschieht bei Tanner et al. (2008), indem sieben Gruppen unterschieden
werden: Club Kids, Black Stylists, New Traditionalists, Hard Rockers, Musical Abstainers, Eth-
nic Culturalists und Musical Omnivores. Zu einer ähnlichen Einteilung kommen Mulder et
al. (2006) bei einer vergleichbaren Stichprobe holländischer High-School Schüler. Sie fin-
den ebenfalls sieben Cluster und benennen sie: Middle-of-the-road, Urban, Exclusive Rock,
Rock-pop, Elitist, Omnivores und Low Involved. Bis auf die Club Kids und Ethnic Culturalists,
die bei Mulder et al. keine Entsprechung finden und den Rock-pop und Middle-of-the-road
Mustern, die bei Tanner et al. nicht in ähnlicher Form vorkommen, lassen sich in zwei unter-
schiedlichen Kontexten folgende fünf Geschmackskulturen festmachen: Black Music, (Hard)
Rock, Hochkultur (Traditionalisten, Elitisten), Alleshörerinnen (Omnivores) und Abstinente
bzw. Wenighörer. Auch in Australien zeigen sich bei Lehramtstudenten im Alter von 18-25
die genannten Muster, wobei Rap und Black Music im Vergleich mit den allerdings etwas
jüngeren kanadischen Jugendlichen deutlich unterrepräsentiert sind (De Vries 2006). Diese
Resultate deuten darauf hin, dass es international verbreitete und zu einem grossen Teil iso-
morphe musikalische Konsumcluster gibt. Die schweizerische last.fm-Community sollte in
diser Hinsicht keine Ausnahme sein.
Die in diesem Abschnitt präsentierten Theoriestränge können folgendermassen zusam-
mengefasst werden: Im Gegensatz zur Omnivores-These und zu Bourdieus Distinktions-
theorie beschäftigten sich die Diskurs-, Szene- und Grenzziehungsansätze mit Identitäten
und Zugehörigkeiten auf der Individualebene sowie spezifischen Diskursen auf der Meso-
ebene. Die Zusammensetzung des Musikgeschmacks vollzieht sich durch die Beschäftigung
mit den Symbolen und Praktiken unterschiedlicher Diskurse und durch die Ivolviertheit in
peer groups, Szenen und Subkulturen. Dieser Fokus auf das Individuum und die oft qua-
litativen Forschungsmethoden erlauben es genreinterne Differenzierungen festzumachen.
Dabei spielt subkulturelles oder szenespezifisches Kapital eine zentrale Rolle, denn je nach
unterschiedlicher Ausstattung damit werden andere Grenzen gezogen. Wichtige genreinter-
ne Distinktionsachsen stellen die Unterscheidungen von Mainstream vs. Alternative, Under-
ground Medien vs. Massen- oder Mainstream-Medien sowie Authentizität (realness) vs. Auf-
gesetztheit (Posertum, fakeness, phoniness) dar28. Die negativ aufgeladenen Kontrastbegriffe
enthalten oftmals stereotype Idealbilder, die in der Wirklichkeit selten in dieser Form anzu-
treffen sind. Sie dienen aber als Identitätsmarkierer und stellen somit wichtige symbolische
Grenzen dar. Das Ausgeschlossene, von dem man sich dezidiert abgrenzt, macht also einen
28Eine zusätzliche symbolische Grenze, die besonders von Bourdieu (1999) herausgearbeitet wird und in derHochkultur von grosser Bedeutung ist, stellt die Unterscheidung „Avantgarde - konventionelle Kunst“ dar.Da für die Betrachtung solcher Dynamiken die Ausstattung der Kulturproduzenten und -rezipienten mitkulturellem Kapital zentral ist und in dieser Arbeit keine entsprechenden Daten bereitstehen, wird diesesymbolische Grenze nur am Rande thematisiert.
27
2 THEORIE
wesentlichen Teil des Musikgeschmacks aus und sollte bei dessen Analyse mitberücksichtigt
werden, sei es auf genreübergreifender Ebene oder genreintern.
2.4 Zusammenfassung der theoretischen Grundlagen: Ein
integrales Modell des Musikgeschmacks?
Glevarec und Pinet (2009) greifen die musiksoziologischen Erkenntnisse in Zusammenhang
mit der in Frankreich zentralen Distinktionstheorie Pierre Bourdieus und der daran anschlies-
senden Debatte um die Omnivores-These auf, reflektieren die beiden Ansätze kritisch und
präsentieren schliesslich ein eigenes soziologisches Modell des Musikgeschmacks. Dieses
wird an französischen Umfragedaten überprüft und dient als Anknüpfungspunkt zur Ent-
wicklung von Hypothesen im Rahmen dieser Lizentiatsarbeit. Im Gegensatz zu Bourdieu
und Peterson gehen Glevarec und Pinet nicht von einer strengen Hierarchisierung der Gen-
res aus29, sondern sehen diese als gleichwertig nebeneinander gestellt. Evidenz für den zu-
nehmenden Verlust der Deutungshoheit hochkultureller Genres erkennen sie an verschie-
denen Stellen: Zum einen zeigt die empirische Untersuchung, dass junge Leute praktisch
keine klassische Musik hören. Die Dominanz der popkulturellen Genres bei den jüngeren
Kohorten ist - was die Omnivores-These in Frage stellt - nicht statusbedingt, d. h. auch in
den höchsten Bildungsschichten wird so gut wie keine hochkulturelle Musik gehört. Erst mit
zunehmenden Alter finden sich häufiger Allesfresser, definiert als Leute, welche die symboli-
schen Grenzen von populärer Kultur und Hochkultur überschreiten. Zum anderen wird auch
in institutionellen Settings wie der Schule die strikte Trennung von Hochkultur und Popkul-
tur zunehmend fragwürdig. Als Beispiel bringen die Autoren die Curiccula der französischen
Gymnasien. In den letzten Jahren wurden im Musikunterricht mehr und mehr Werke in den
Lehrplan aufgenommen, die nicht eindeutig der Hochkultur zuzuordnen sind. Die Bezüge
reichen vom Jazz, der mit Edward Heymans Body and Soul vertreten ist, über Weltmusik
(Musik in Bali und Java und Vertretung der chinesischen Komponistin Xu Yi) bis hin zu Jimi
Hendrix, als Vertreter des Rock und somit der Populärmusik.
Wenn die Dichotomie „Hochkultur - populäre Kultur“ keine gesellschaftliche Wirkkraft
mehr besitzt und auch durch die Institutionen nicht mehr so stark wie früher markiert wird,
müssen andere Erklärungsmodelle her. Die tablature des goûts musicaux ist so eines, denn
es vereinigt sowohl genreinterne Hierarchien in sich als auch die Möglichkeit seinen Ge-
schmack genreübergreifend zusammenzustellen. Abbildung 4 gibt das Modell wieder und
29Bourdieus Beschreibung des (Musik)Geschmacks als Klassengeschmack enthält schon in der Benennung derFormen - „legitimer Geschmack“, prätentiöser Geschmack, „Notwendigkeitsgeschmack“ - eine eindeutige(vertikale) Gliederungsvorstellung. Petersons Unterscheidung von high brow und low brow impliziert eben-falls eine normative Wertigkeit der Genres.
28
2 THEORIE
stellt es den Vorstellungen von Bourdieu (Abbildung 3) und Peterson (Abbildung 2) gegen-
über.
Omnivore
Univore
Status
Musikalische Geschmacksbreite
Abbildung 2: Musikgeschmack nach Peterson
Obere Klasse
Untere Klasse
Kapital-volumen
Kapitalstruktur
Pop, Chanson
Einfache Klassik
Hochkultur
Abbildung 3: Musikgeschmack nach Bourdieu
Interne DifferenzierungAlternative - MainstreamInvestitionsniveauSubkulturelles Kapital
Genreübergreifende Differenzierung
Pop Jazz Rap Rock Klassik...
Abbildung 4: Musikgeschmack nach der tablature des goûts musicaux von Glevarec & Pinet
Möglich werden die so genannten archipels de goûts, die Geschmacksmustern oder taste
patterns (van Eijck 2001) ähneln. Darunter kann man sich Geschmackszusammenstellun-
gen vorstellen, die sich sowohl genreinterner als auch genreübergreifender Konstruktionslo-
giken bedienen. Wie genau diese Geschmacksmuster aussehen, ist letztlich eine empirische
Frage. Glevarec und Pinet zeigen eine mögliche Fassung anhand einer Cluster- und Korre-
spondenzanalyse. Sie finden acht archipels, die allerdings eher traditionellen Genres glei-
chen als übergreifenden Kombinationen. Nicht überraschend kommt die teilweise Überein-
stimmung mit den zuvor dargestellten Gruppen aus der Jugendforschung (Unterabschnitt
29
2 THEORIE
2.3.3, Seite 27) . Werden die Cluster mit den soziodemographischen Variablen in Verbindung
gebracht, so zeigt sich das bekannte Bild: Jazz und klassische Musik wird vorwiegend von
älteren Personen gehört, elektronische Musik und Rap von jüngeren. Daneben existiert ei-
ne Affinität der 30-39 jährigen und höher gebildeten Männer für Rock und Chanson und es
gibt eine Gruppe, die überhaupt keine Musik mag und ihre Anhängerschaft vorwiegend bei
Pensionierten rekrutiert.
Der Mehrwert der tablature liegt allerdings nicht so sehr in der empirischen Überprüfung,
sondern in der theoretischen Konzeptionalisierung und Herleitung, denn an dieses Schema
anlehnend kann in der Folge eine Kapitaltheorie des Musikgeschmacks formuliert werden,
die sowohl genrübergreifende als auch genreinterne Differenzierungen zu erklären versucht.
Diese Theorie geht davon aus, dass drei Untersorten kulturellen Kapitals zur Erklärung musi-
kalischer Präferenzen besonders fruchtbar sind. Neben dem institutionalisierten kulturellen
Kapital, in dem sich die Bildungsabhängigkeit musikalischen Konsums widerspiegelt, tra-
gen auch das multikulturelle Kapital (Bryson 1996) und das subkulturelle Kapital (Thornton
1996) einer Person zun Musikgeschmack bei. Während das subkulturelle oder szenespezi-
fische Kapital als Distinktionskriterium Unterschiede innerhalb eines Genres zur Geltung
bringt, sorgt das multikulturelle Kapital dafür, dass genreübergreifende Realisationen des
Geschmacks zustande kommen.
Das subkulturelle Kapital wurde bereits im letzten Abschnitt besprochen, aber das letzt-
genannte Konzept bedarf einer kurzen Erläuterung. Es reflektiert die immer noch nicht aus-
reichend beantwortete Frage, ob musikalische und kulturelle Offenheit als neue Form kultu-
rellen Kapitals gesehen werden können. Bryson (1996) bejaht und liefert mit dem Begriff des
„multikulturellen Kapitals“ das Schlagwort dazu. Im Gegensatz zu traditionellem kulturellen
Kapital, das seine begrifflichen Wurzeln in Frankreich hat und stark mit dem dortigen gesell-
schaftlichen Kontext verknüpft ist, spielt multikulturelles Kapital in den USA eine wichtige
Rolle, besonders in der oberen Mittelschicht (Lamont 1992). Es lässt sich am besten als Pres-
tige beschreiben, das einer grossen kulturellen Geschmacksbreite und Toleranz entspringt:
„the social prestige afforded by familiarity with a range of cultural styles that is both broad
and predictably exclusive.“ (Bryson 1996: 888) Durch multikulturelles Kapital kann man sich
zwar nicht so direkt wie mit subkulturellem Kapital Vorteile in sozialer und ökonomischer
Hinsicht verschaffen, dafür geniesst es eine breitere Anerkennung, ist also - um den Ver-
gleich mit einer Devise zu ziehen - in vielen Ländern anerkannt, weist aber im Gegenzug
weniger Kaufkraft in einem einzelnen Land auf. Wer einen schweren Rucksack an multikul-
turellem Kapital mit sich trägt, kann in vielen Situationen mitreden und hält sich somit ein
potentiell grosses Netzwerk offen (Lizardo 2006), das zu einem späteren Umstand auch Vor-
teile ökonomischer Art mit sich bringen kann (Otte 2008: 6). Hinzu kommt, dass Musik ein
30
2 THEORIE
wichtiges informelles Gesprächsthema darstellt, besonders wenn sich Personen kennenler-
nen, und dass sich der Musikgeschmack in Situationen mit wenig Informationen über die
Interaktionspartnerin gut als Indikator für die Beurteilung der ganzen Persönlichkeit eignet
(Rentfrow & Gosling 2005).
Ganz im Sinne des Doppelcharakters des Habitus als „strukturierte Struktur (opus ope-
ratum)“ und „strukturierende Struktur (modus operandi)“ (Bourdieu 1982: 279), steht der
strukturierenden Funktion des Musikgeschmacks seine soziale Strukturiertheit gegenüber:
Kulturelle und musikalische Präferenzen werden neben dem Alter, dem Geschlecht (Chris-
tenson & Peterson 1988), der Bildung, dem Status, dem Medienzugang, der zeitlichen Inves-
tition in die Suche oder Rechercheaufwand (Mark 1998) und noch einer weiteren Reihe von
Variablen, die sich im kulturellen Kapital sowie in psychologischen, persönlichen Motiven
(Rentfrow & Gosling 2003) widerspiegeln, auch vom Freundes- und Bekanntenkreis beein-
flusst: Ein breites und diverses Netzwerk wirkt sich positiv auf die kulturelle Kompetenz und
Toleranz aus (Erickson 1996). Das Modell auf der nächsten Seite versucht diese Kapitaltheo-
rie des Musikgeschmacks grafisch zu veranschaulichen.
Auf der linken Seite befinden sich Wirkkräfte, die den Musikgeschmack als strukturieren-
de Faktoren beeinflussen und somit für seine Strukturiertheit sorgen. Auf der rechten Seite
wird die strukturierende Wirkung des Musikgeschmacks selbst thematisiert, indem dieser
als Einsatz und Ressource - je nach Feld und dort wertvollem symbolischen Kapital (SyK)
- Einfluss auf das soziale (SoK) und mithin auch ökonomische Kapital (ÖK) nehmen kann.
Das kulturelle Kapital (KK) wird seinerseits aus zwei Quellen gespeist: der sozialen Herkunft
in Form des Familienhintergrunds, der Bildung und des Berufsprestiges der Eltern einer-
seits und der Schule andererseits. Während eine hochkulturelle oder bildungsbürgerliche
Herkunft tendenziell mit objektiviertem und inkorporiertem kulturellen Kapital einhergeht,
sorgt die Schule für die Verteilung des institutionalisierten Kapitals in Form von Bildungsab-
schlüssen und Titeln. Hinzu kommen die beiden besprochenen Formen des subkulturellen
und multikulturellen Kapitals, die in Szenen und spezifischen Situationen eingesetzt wer-
den und sich positiv auf die musikalische Geschmacksbreite auswirken. In Bezug auf die
Zusammensetzung des Musikgeschmacks trägt die Gesamtheit des kulturellen Kapitals zur
Verfeinerung und Ausdifferenzierung der Kenntnisse bei und geht somit mit dem situativ
angepassten Einsatz des (Musik)Wissens als Ressource einher. Um die Stärke des Einflus-
ses der einzelnen Faktoren auf die Breite und Zusammensetzung des Musikgeschmacks zu
überprüfen, bräuchte es zusätzliche Informationen zum kulturellen Kapital, zu den Motiven
des Musikhörens und zum Netzwerk. In dieser Arbeit können nur Alters- und Geschlechts-
effekte sowie - bedingt - Netzwerkeffekte untersucht werden. Dafür birgt die hier gebrauchte
Datenbasis im Gegensatz zu Umfragedaten den Vorteil eines sehr soliden Instruments für
31
2 THEORIE
Alter Musikgeschmack
KK
SyK
ÖKNetzwerk
Geschlecht SoK
Motive
Herkunft Schule
-/+/- Feldspezifik
+
subkulturell, multikulturell, institutionalisiert
+
+
+
Genreeffekte
+/-
+
objektiviert, inkorporiert +
Abbildung 5: Integrales Modell des Musikgeschmacks
den Musikgeschmack selbst. Die Blackbox „Musikgeschmack“, die im Zentrum des präsen-
tierten multifaktoriellen Modells steht, kann somit solide aufgeschlüsselt werden. Näheres
dazu werden wir im nächsten Kapitel erfahren.
Um das skizzierte Kapitalmodell des Musikgeschmacks in seiner Ganzheit zu überprüfen,
braucht es ausserdem die Verbindung qualitativer und quantitativer Methoden. Erstere eig-
nen sich zur Untersuchung der strukturierenden Wirkung des Musikgeschmacks (vgl. Parzer
2008, Ollivier 2008), also der rechten Seite in der obigen Abbildung, letztere für die Sichtbar-
machung seiner Strukturiertheit (linke Seite). Ein solcher Methodenmix kann hier leider nur
angedeutet werden, bietet aber Anschlussfähigkeit für zukünftige empirische Arbeiten.
Die dargestellten theoretischen Grundpositionen verdeutlichen die zweifellos gegebene
32
2 THEORIE
soziologische Relevanz der Thematik. Und obwohl in der kultursoziologischen Forschung
der letzten 30 Jahre viele Erkenntnisse über Breite und Zusammensetzung des Musikge-
schmacks gewonnen wurden, lassen sich an verschiedenen Stellen Forschungsdefizite aus-
machen. Zahlreiche Aspekte der symbolischen Grenzziehung und der Zusammenstellung
musikalischer Präferenzen sind bislang nicht vollständig geklärt. Dies betrifft besonders gen-
reinterne Prozesse, bis hin zur unterschiedlichen Relevanz von Bands, Künstlern oder Songs
in Alltagskontexten (DeNora 2000). Während sich die klassische Trennung von Hochkultur
und Populärkultur zunehmend ihrer sozialen Basis entzogen sieht, und besonders bei den
jüngeren Kohorten eine Hegemonie der Genres populärer Musik durch alle sozialen Lagen
hinweg konstatiert werden muss, tun sich neue Grenzlinien auf und verdrängen mehr und
mehr die alte, zu starre Dichotomie von Hochkultur und Populärkultur (Parzer 2008). In An-
betracht der popkulturellen Vielfalt und deren Vormacht insbesondere bei den jungen und
technikaffinen Generationen gilt es die feinen Unterschiede noch weiter zu verfeinern und
die Nahrung der Allesfresser genauer nach ihrer Zusammensetzung, nach ihrem Nährstoff-
gehalt und nach ihrer stärkenden oder schwächenden Wirkung hin zu untersuchen. Eine So-
ziologie des Musikgeschmacks muss sich von groben, undifferenzierten Genrezusammen-
würfen verabschieden und stattdessen auf das eingehen, was die Leute wirklich tun: Songs
hören, Bands hören, DJs hören, Subgenres hören, vielleicht auch einzelne Genres als Ganzes
hören, über Alben sprechen, musikalisches Wissen als Strategie einsetzen oder einfach als
Genussmittel.
33
3 Forschungsfragen und Hypothesen
Zwei Forschungsfragen stehen im Zentrum der Lizentiatsarbeit: Wovon hängt die musikali-
sche Geschmacksbreite der last.fm Profile in der Schweiz ab? und Wie setzt sich der Musikge-
schmack der last.fm Profile in der Schweiz genremässig zusammen?. Die Fragen orientieren
sich an der im Titel und Theorieteil gemachten Trennung von „Breite des Musikgeschmacks“
und „Zusammensetzung des Musikgeschmacks“ und umfassen jeweils einzelne zielgerich-
tete Hypothesen, die aus der Theorie oder empirischen Untersuchungen abgeleitet werden.
Während die ersten drei Hypothesen relativ strikt auf den ersten Teil des Titels der Arbeit ver-
weisen, nehmen sich die übrigen fünf Hypothesen mehr Freiheit heraus und versuchen auf
primär explorativer Basis symbolische Grenzziehungen auszumachen. Damit behandeln sie
den zweiten Aspekt des Titels der Arbeit (symbolische Grenzziehung). Folgende Hypothesen
lassen sich in Bezug auf die musikalische Geschmacksbreite formulieren:
• Das Alter und die musikalische Geschmacksbreite hängen umgekehrt u-förmig zu-
sammen. (H1)
• Je grösser das soziale Kapital im Internet, desto breiter der Musikgeschmack. (H2)
• Gegenüber Musik, die in der späten Jugend und in der frühen Erwachsenenphase ak-
tuell war, weist man höhere musikalische Toleranz auf als gegenüber Klängen, die vor-
her oder nachher aktuell waren. (H3)
Theoretisch stützen sich diese Hypothesen auf die sozialpsychologische Forschung zur
open-earedness (Hargreaves 1982), auf die Verlinkung von Netzwerken und Geschmack (Mark
1998, Lizardo 2006) sowie auf Untersuchungsergebnisse von Holbrook & Schindler (1989).
Folgende Hypothesen lassen sich aus den Theorien zur symbolischen Grenzziehung und
zur Zusammenstellung des Musikgeschmacks herausfiltern. Sie beziehen sich nicht mehr,
wie bei der musikalischen Geschmacksbreite (H1-H3), auf eine Vielzahl von Genres und auf
eine übergeordnete abhängige Variable, sondern versuchen mittels mehrerer Mikrohypo-
thesen soziologische Kompositionseffekte des Musikgeschmacks festzumachen:
• Ein breites Spektrum an gehörten Genres geht mit einer geringen genreinternen Dif-
ferenzierung einher. Wenige gehörte Genres bedeuten dagegen geringe genreinterne
Spezialisierung und hohe Differenzierung innerhalb der Musikrichtung. (H4)
Diese Hypothese stützt sich auf die Überlegungen zu den Genreformen (Lena & Peter-
son 2008) und auf die tablature des goûts musicaux (Glevarec & Pinet 2009).
34
3 FORSCHUNGSFRAGEN UND HYPOTHESEN
• Hochkultur und Populärkultur lassen sich symbolisch und sozialstrukturell klar un-
terscheiden. Mit zunehmendem Alter steigt der Anteil an hochkulturellen Genres im
Vergleich zu populärkulturellen Genres im Musikgeschmack. (H5)
Diese Hypothese wird aus der Distinktionstheorie (Bourdieu 1982) und aus der Omni-
vores-These (Peterson 1992) abgeleitet, wo Genres hierarchisch angeordnet sind und
sich relativ klar unterscheiden lassen.
• Frauen hören häufiger Sängerinnen als Männer, d. h. sie weisen höhere Anteile female
artists in ihrem Musikgeschmack auf als Männer. Diese haben ihrerseits die höheren
Anteile male artists. (H6)
Diese Hypothese sieht sich von den wenigen Studien inspiriert, die Geschlechtseffekte
bei musikalischem und kulturellem Geschmack erforschen (Christenson & Peterson
1988, Schmutz 2009)
• Genreinterne symbolische Grenzziehung vollzieht sich entlang der Achse „Mainstream
- Alternative“. (H7)
Hier berufe ich mich auf die Subkultur- und Szeneansätze, besonders auf Thornton
(1996). Ebenfalls präsent sind diskurstheoretische Zugänge, die symbolische Grenz-
ziehung festzumachen versuchen (Diaz-Bone 2002, Schmutz 2009).
• Rapmusik ist das dominante Genre bei der jüngeren Hörerschaft. (H8)
Gestützt wird Hypothese 8 von empirischen Befunden aus der Jugendforschung (Tan-
ner et al. 2008, Mulder et al. 2006).
35
4 Datengrundlage, Methode und Operationalisierung
In diesem Kapitel präsentiere ich die Daten der Untersuchung (Abschnitt 4.1) und doku-
mentiere die verwendeten statistischen Verfahren (4.2) sowie die Operationalisierung der
zentralen Konstrukte (4.3).
4.1 Datengrundlage
Die verwendeten Daten habe ich vom 22. November 2009 bis 3. Dezember 2009 selbst übers
Internet erhoben. Es wurde also kein vorgefertigter Datensatz zur Beantwortung der For-
schungsfragen herangezogen. Eine Reihe von Gründen war dafür ausschlaggebend: An ers-
ter Stelle steht die Tatsache, dass es sich bei den verwendeten protokollierten Daten um
ein natürliches Forschungsinstrument handelt und die Informationen standardisiert und
einheitlich sind30. Somit entfallen Interviewer- und Erinnerungseffekte, die selbst bei den
sorgfältigsten Umfragen unvermeidbar sind (Lewis et al. 2008: 331). Bisherige Untersuchun-
gen zum Musikgeschmack in der Schweiz wurden zudem mit Umfragedaten durchgeführt,
die oft nur unzureichende Informationen zu musikalischen Präferenzen bereitstellen. Das
schweizerische Haushaltspanel z. B. enthält die Frage, wie oft jemand Musik macht31, nicht
aber wie oft man diese konsumiert, geschweige denn welche Genres man bevorzugt. Eine
vom BFS durchgeführte Studie fragt zwar Genrepräferenzen ab, die Kategorien sind jedoch
sehr fragwürdig und v. a. im Bereich der Populärkultur unglücklich gewählt. So wurden z. B.
Rock und Pop als Stil zusammengefasst und der bei Jugendlichen äusserst beliebte und ei-
ne eigenständige Jugendkultur ausbildende Hip-Hop wurde der Kategorie „Dance, Techno,
House“ zugeordnet (BFS 2009: 15). In anderen Ländern existieren zwar umfangreichere Da-
tensätze mit Items zum Musikgeschmack, z. B. die Outfit 4 Studie in Deutschland (Otte 2008:
9), der General Social Survey 1993 in den USA und die Daten aus der Untersuchung von Ben-
nett et al. (2008) in Grossbritannien, diese sind aber entweder schon relativ alt, wiederum zu
unspezifisch oder nur schwer zugänglich.
Da musikalische Präferenzen auch international selten auf mehrstufigen Skalen, sondern
meistens auf dichotomer Basis („Hören Sie Jazz: Ja - Nein?“ oder „Bitte kreuzen Sie alle Mu-
sikstile an, die sie regelmässig hören?“) abgefragt werden, ist die Ermittlung der Breite und
Zusammensetzung des Musikgeschmacks bei Umfragedaten mit einem grossen Informati-
onsverlust verbunden: Zum einen ist nämlich unbekannt, einen wie grossen Anteil das ange-
30Zur ausführlichen Besprechung der Vor- und Nachteile nicht-reaktiver Daten siehe Parzer (2008: 103-113).31Die genaue Frage und die dazugehörigen Antworten lauten: „Ich zähle jetzt verschiedene Freizeitaktivitäten
auf. Sagen Sie mir bitte, wie häufig Sie in Ihrer Freizeit die Beschäftigungen machen. Musizieren, z. B. selberein Instrument spielen, Singen.“ (Swisspanel 2010)
36
4 DATENGRUNDLAGE, METHODE UND OPERATIONALISIERUNG
kreuzte Genre an der Gesamtheit der gehörten Musik ausmacht32, zum anderen weiss man
auch nicht genau, was die Leute unter einem Genre verstehen bzw. ob sie den jeweiligen Be-
griff überhaupt kennen33. Ein breiter Musikgeschmack kommt für die Befragte schnell und
ungezwungen zustande: Sie kreuzt einfach möglichst viele Genres an.
Bei mehrstufigen Skalen kann zusätzlich eine Präferenzintensität angegeben werden. Im
Gegensatz zur dichotomen Abfrage stellt diese Form einen Informationsgewinn dar, da auch
Abneigungen berücksichtigt werden (Bryson 1996, 1997). Wesentliche Defizite bleiben aber
auch hier: So geben die Präferenzen nur Auskunft über die Geschmacksneigung, bilden al-
so die latente Dimension ab, sagen jedoch wenig über das tatsächliche Hörverhalten aus
(Chan & Goldthorpe 2007: 3). Erneut spielen vielfältige Verzerrungsfaktoren mit hinein und
so kann die angegebene (latente) musikalische Geschmacksbreite im Gegensatz zur tatsäch-
lichen als Anzahl gehörter und nicht nur gemochter Musikrichtungen auf beide Seiten hin
verzerrt sein: sowohl zu eng als auch zu breit. Ausserdem treten bei der Zusammensetzung
des Musikgeschmacks u. U. falsche Verbindungen und Analogien auf. Dies geschieht bei-
spielsweise, wenn negativ konnotierte Genres selektiv schlechter bewertet werden als ange-
sehene, obwohl sich diese Bewertung nicht im Hörverhalten widerspiegelt. Es kann zu ei-
nem Hochkulturbias kommen, so dass klassische Musik beliebter und Schlager unbeliebter
ist als in Wirklichkeit - d. h. im richtigen Hörverhalten. Das sich daraus ergebende Bild des
Zusammenspiels der Musikrichtungen entspricht dann nicht der sozialen Realität. Solche
Probleme lassen sich mit natürlichen Daten lösen. Es handelt sich dabei um protokollierte
Informationen, die das tatsächliche und nicht das angegebene Verhalten aufzeichnen. Bei-
spiele dafür sind Tonband- oder Videoaufnahmen, wie sie in der Ethnomethodologie ver-
wendet werden (Francis & Hester 2004: 25).
Es bot sich an, selbst solche Prozessdaten zu erheben, zumal das Internet dazu ausge-
zeichnete und bisher nur wenig genutzte Möglichkeiten bereitstellt. Die Daten kommen von
der Homepage last.fm34, einer Community-Site, die sich speziell der Musik verschrieben hat.
Im Zentrum steht das Kennenlernen neuer Musik und das Interesse an Personen mit einem
ähnlichen Geschmack. Last.fm bietet viele unterschiedliche Funktionen und Applikationen,
u. a. das Schicken von Nachrichten, der Zugang zu allen anderen Profilen, das Schliessen
von Freundschaften, den Austausch über Bands und musikalische Themen in Diskussions-
32So kann eine Person einmal im Monat das Volksmusik-Radio einschalten und bei der Befragung trotzdem„Ja“ angeben, obwohl dieses Genre prozentual gesehen vielleicht nur 2% ihrer gehörten Musik ausmacht.
33Obwohl bei Fragen zum Hörverhalten und zu den Genrepräferenzen meist eine Kategorie „Weiss nicht“ oder„Ist mir nicht bekannt“ angekreuzt werden kann, dürften verschiedene Effekte dazu führen, dass es bei denAngaben Verzerrungen selektiver Art gibt, z. B. in der Form von Ja-Angaben bei Items, die man eigentlichnicht kennt oder Nein-Angaben bei Items, die man falsch beurteilt, aber eigentlich hört.
34Für einen ersten Überblick über die Website eignet sich der Wikipedia-Eintrag zur Homepage gut (Wikipedia2009). Die eigentliche Homepage ist unter www.last.fm abrufbar.
37
4 DATENGRUNDLAGE, METHODE UND OPERATIONALISIERUNG
gruppen und Foren, das Kategorisieren von Musik (wie wir noch sehen werden eine wichtige
Funktion für diese Arbeit), einen Kalender mit Konzertbesuchen, das Berechnen musikrele-
vanter Statistiken und vor allem das Scrobbeln. Das letztgenannte Prinzip bildet die Basis
für die Ermittlung des Musikgeschmacks und wird deshalb etwas genauer erläutert. Unter
Scrobbeln kann man sich das automatische Hochladen gehörter Titel vorstellen. Es handelt
sich um die Protokollierung der am Computer durch einen Media-Player gehörten Songs35.
Damit dies geschehen kann, muss der User ein kleines Programm namens Audioscrobbler
runterladen und auf seinem PC installieren. Durch die Eingabe des Usernamens bei der Re-
gistrierung des Programms werden die im Media-Player abgespielten Titel mit dem Profil des
Users verknüpft und dort automatisch gespeichert. Die Tabellen mit den gehörten Künstlern
und Bands sind dann an zentraler Stelle im Profil in standardisiertem Layout dargestellt. Die
Abbildung unten zeigt ein last.fm Profil.
Abbildung 6: Last.fm Profilkopf
Das zentrale Erkennungszeichen auf last.fm ist der Username, der entsprechend gross
und prominent dargestellt wird. Er ist einzigartig und erlaubt die problemose Identifikation
jedes Community-Mitglieds. Wie man sieht, kann die Userin ein Foto auf ihr Profil hochla-
den, wobei nicht jeder Teilnehmende diese Möglichkeit wahrnimmt und auch eine beträcht-
liche Zahl unspezifischer Fotos gewählt wird, z. B. von Landschaften oder Comicfiguren. Vie-
le, aber nicht alle Userinnen geben ihr Alter, ihr Geschlecht und ihr Land an. Diese Angaben
erscheinen dann ganz oben, direkt neben dem Foto und unterhalb des Usernamens. Aus-
35„Hört ein Nutzer von Last.fm einen Musiktitel, so wird dessen Bezeichnung (Titelzeile und Interpret) anLast.fm übertragen und dort im Nutzerprofil gespeichert und anderweitig statistisch ausgewertet. DiesenÜbertragungsvorgang bezeichnet Last.fm als ’scrobbeln’.“ (Wikipedia 2009)
38
4 DATENGRUNDLAGE, METHODE UND OPERATIONALISIERUNG
serdem wird standardmässig die musikalische Kompatabilität angezeigt, also wie stark der
eigene Musikgeschmack mit demjenigen der Userin übereinstimmt. Unter dem Bild bieten
sich weitere Optionen an: Man kann dem Mitglied z. B. eine Nachricht schreiben oder sie
als Freundin hinzufügen. In jedem Profil werden sodann die kürzlich gehörten Tracks, die
Freunde, geplanten Konzerte und Gruppen angegeben (siehe nächste Abbildung).
Abbildung 7: Last.fm Profil weitere Informationen
In diesem Fall ist die Userin kein Mitglied einer Gruppe, sonst würde die entsprechende
Information nämlich direkt unter den Freunden angezeigt. Sie besucht aber zwei Konzerte
in der nahen Zukunft36. Auch prominente Vertreter der Musikbibliothek werden aufgelis-
tet. Zudem besteht die Option, selbst musikalische Einteilungen vorzunehmen, indem man
Musikstücke und Künstler tagt. Die verwendeten Tags werden im Profil angezeigt. In diesem
Fall hat die Userin eine Band als canadian markiert. Last.fm zählt alle auf der Homepage ver-
gebenen Tags automatisch und die am meisten verwendeten dienen als Orientierungshilfe
bei der Musiksuche, indem sie angeben welchen Stil die last.fm Benutzer der Musik einer
Gruppe oder Künstlerin zuordnen. Schliesslich können auch die geliebten Songs eingese-
hen werden, denn als User hat man die Möglichkeit Songs, die man mag als loved track zu
markieren.
Ein Kernelement des Profils bilden die Tabellen mit der gescrobbelten Musik. Wie unten
ersichtlich, werden alle gescrobbelten Bands aufgelistet und gezählt. Anhand der gehörten
Titel und Bands ergibt sich somit ein musikalisches Portrait der Userin, das automatisch mit
ähnlichen Profilen - den Nachbarn - in Verbindung gebracht wird und somit indirekt die Ent-
deckung unbekannter Musik erlaubt. Es lassen sich verschiedene Zeiträume angeben, für die
36Datum der Verfassung dieser Zeilen: Mitte Dezember 2009.
39
4 DATENGRUNDLAGE, METHODE UND OPERATIONALISIERUNG
die Tabellen mit der gehörten (gescrobbelten) Musik einsehbar sind. So können die Gruppen
und Künstler der letzten sieben Tage genauso analysiert werden, wie die Charts des ganzen
letzten Jahres oder der kompletten Verweildauer auf last.fm. Diese Daten ermöglichen al-
so die Beobachtung der musikalischen Entwicklung über die Zeit hinweg und könnten für
Längsschnittstudien verwendet werden.
Abbildung 8: Beispiel Musiktabelle der meist gehörten Bands
Die Tabellen bilden die Ausgangslage für die Ermittlung der Genrepräferenzen und so-
mit des Musikgeschmacks. In ihnen spiegelt sich die gehörte Musik wider, also das effektive
Hörverhalten der Userinnen auf last.fm. Allerdings wird ein Teil der gehörten Musik nicht
gescrobbelt, dann nämlich, wenn keine Verbindung zum Internet besteht oder wenn man
Musik mit einem Media-Player hört, für den man Audioscrobbler nicht heruntergeladen hat.
Die Tabellen und Statistiken bilden also nur einen Ausschnitt der total gehörten Musik einer
Person ab, der je nach Person unterschiedlich gross ist. Diese Einschränkung sollte die Lese-
rin bei der Betrachtung der Resulate im Hinterkopf behalten.
Aufgrund der lockeren Lizenzen und Nutzungsbedingungen von last.fm bietet sich die
40
4 DATENGRUNDLAGE, METHODE UND OPERATIONALISIERUNG
Möglichkeit, die Daten für nichtkommerzielle Zwecke zu nutzen37. Eine weitere Art gehör-
te Songs zu speichern ist das last.fm-spezifische Radio. Dort kann man einen Band- oder
Künstlernamen eingeben und es werden ähnliche Songs gespielt, womit sich einfach neue
Musik entdecken lässt. Auch genrespezifische Radiokonfigurationen sind möglich, so dass
man z. B. Songs im Bereich Singer/Songwriter oder Soul hören kann. Da die Radiofunktion
für kleinere Länder wie die Schweiz jedoch konstenpflichtig ist und nur eine Minderheit al-
ler Mitgliederinnen den Service abonniert hat, wurde der Grossteil der tabellierten und hier
analysierten Musik gescrobbelt, also am Media-Player gehört.
Für die Lizentiatsarbeit wurden die Daten mittels so genannter Feeds gesammelt (siehe
Abbildung 8, kleiner Button in der rechten oberen Bildhälfte). Dabei werden die 50 meist ge-
hörten Bands und die jeweilige absolute Häufigkeit als XML-File downloadbar gemacht. Die
Tabelle mit den gehörten Künstlern wird also automatisch in Datenform gebracht. Die so-
ziodemographischen Variablen „Alter“ und „Geschlecht“ habe ich bei der Datengewinnung
über das Suchverfahren gesammelt. Da die Homepage keine Zufallsauswahl aller Userinnen
für ein einzelnes Land erlaubt, bzw. maximal 400 Personen aufs Mal angibt und die Listung
intransparent ist, habe ich ein Quotenverfahren zur Auswahl der Stichprobe angewandt. In
einem ersten Schritt wurden über das Suchfenster für jedes Altersjahr und jede Geschlechts-
ausprägung die schweizerischen last.fm User gesucht (siehe Abbildung unten).
Im nächsten Schritt wurden von den angezeigten Suchergebnissen per Zufallsauswahl
zehn Profile ausgewählt. Somit standen pro Altersjahr jeweils zehn Frauen und zehn Män-
ner zur Verfügung. Als letztes Kriterium verlangte ich von den Daten, dass die gewählten
Personen mindestens 1000 Songs gehört haben müssen, eine Zahl, ab der eine genrebasier-
te Analyse des Musikgeschmacks sinnvoll ist. Da in den Altersjahren ab ca. 40 nicht mehr
durchgehend zehn oder mehr Profile vorhanden waren, die diese Bedingung erfüllten, wur-
den dort alle Userinnen38 gesampelt. Um im gesamten Datensatz gleich viele Männer wie
Frauen zu haben, wurden in den tiefen Jahren Userinnen nachgesampelt. Somit sind von
16-36 mehr Frauen als Männer im Datensatz, und ab 37 mehr Männer. Insgesamt sind für
die Schweiz 876 Fälle zusammengekommen, die angesichts des Suchvorgangs und aufgrund
der altersmässigen Streuung die Vielfalt der Profile auf last.fm einigermassen wiedergeben
dürften.
Auch erhoben wurden die Variablen „Anzahl Freunde“, „Anzahl Gruppen“, „Bild“ und
„total gescrobbelte Songs“ (später einfach „Songs“ genannt). Die beiden ersten werden ge-
37Die Nutzungsbedingungen können unter http://www.last.fm/api/tos eingesehen werden.38Dieses Problem betraf praktisch ausschliesslich Frauen, d. h. bei den Altersjahrgängen 1970 und darunter
war ein starker Männerüberschuss festzustellen, so dass in den Daten bei den älteren Personen deutlichmehr Männer als Frauen vertreten sind. Im Anhang findet sich eine Kreuztabelle, in der die Geschlechts-verteilung nach Alter ersichtlich wird.
41
4 DATENGRUNDLAGE, METHODE UND OPERATIONALISIERUNG
Abbildung 9: User-Suchfunktion auf last.fm
braucht um ein Netzwerk- oder Sozialkapitalmass zu bilden, das für Hypothese 2 als unab-
hängige Variable figuriert. „Bild“ und „Songs“ können als Proxy für die Aktivität und das In-
volvement auf last.fm betrachtet werden. Die Variable „Bild“ weist drei Ausprägungen auf: 0 -
die Userin hat kein Profilbild hochgeladen, 1 - der User hat zwar ein Profilbild hochgeladen,
dieses ist aber kein Selbstportrait, 2 - die Userin hat ein Bild von sich selbst hochgeladen.
Tabelle 21 im Anhang .2 gibt eine Übersicht über die erhobenen Merkmale39.
4.2 Methoden
Die verwendeten Methoden sind quantitativ-hypothesenprüfender, deskriptiver und teil-
weise auch explorativer Natur. Es kommen sowohl uni- als auch bivariate und multivariate
Herangehensweisen vor. Bei den uni- und bivariaten Statistiken, die v. a. deskriptiven Zwe-
cken dienen, greife ich auf einfache Häufigkeitsauszählungen, Lage- und Streuungsmasse
sowie Korrelationsmasse zurück. Da es sich bei den Genreanteilen um metrisch skalierte
Werte handelt, wird der Pearson’s Korrelationskoeffizient als geeignetes Zusammenhangs-
mass herangezogen. Seine Berechnung40 und Interpretation werden hier nicht näher erläu-
39Für eine genauere Beschreibung der metrischen Variablen mit Lage- und Streuungsmassen siehe ebenfallsAnhang .2, Tabelle 22
40Der Vollständigkeit halber: Die Formel lautet r = cov (X ,Y )s (X )∗s (Y ) .
42
4 DATENGRUNDLAGE, METHODE UND OPERATIONALISIERUNG
tert, da die Verwendung in den Sozialwissenschaften weit verbreitet ist und seine Kenntnis
zum statistischen Grundwissen gehört. Bei nominalem Skalenniveau stütze ich mich aufχ2-
basierte Masse, deren Gebrauch im Kontext der jeweiligen Hypothesen erläutert wird.
Bei den multivariaten und primär hypothesenprüfenden Verfahren kommt mit der linea-
ren Regression eine in den Sozialwissenschaften häufig gebrauchte Prozedur zur Anwen-
dung. Dabei schätzt ein Statistikprogramm den linearen Zusammenhang zwischen den er-
hobenen unabhängigen Variablen und der abängigen Grösse, versucht also Kausaleffekte
festzumachen (Kohler & Kreuter 2008: 188-192, Backhaus et al. 2006: 46). Die folgende Glei-
chung zeigt den Funktionszusammenhang für die Regressionen in dieser Arbeit:
y =α+β1 ∗a l t e r +β2 ∗a l t e r 2+β3 ∗a l t e r g e s c hl e c ht +β4 ∗b i l d 1+β5 ∗b i l d 2+
β6 ∗ g e s c hl e c ht +β7 ∗ g r u p p e n +β8 ∗ f r e u nd e +β9 ∗ son g s
Je nach Hypothese unterscheidet sich die geschätzte abhängige Variable y , die unabhängi-
gen Variablen bleiben aber die gleichen. Für die Hypothesen zur musikalischen Geschmacks-
breite wurden OLS-Regressionen mit den abhängigen Variablen „Konzentration des Musik-
geschmacks“, „Anzahl gehörter Genres“ und „Gleichheit der Genreanteile“ gerechnet. Bei
der Zusammensetzung des Musikgeschmacks sind die Genreanteile die zu erklärende Grös-
se. In den Tabellen werden jeweils die unstandardisierten Koeffizienten mit robusten Stan-
dardfehlern angegeben41.
Im zweiten Abschnitt des Resultateteils, wo es darum geht Kompositionseffekte des Mu-
sikgeschmacks zu entdecken, kommen explorative Verfahren zum Zuge. Bei manchen Hypo-
thesen stütze ich mich auf die Beschreibung und Analyse von Profilen mit speziellen Merk-
malen, bei Hypothese 4 werden z. B. Personen betrachtet, die einen genremässig sehr breiten
oder sehr schmalen Musikgeschmack aufweisen. Wo nötig werden die verwendeten Metho-
den an entsprechender Stelle direkt bei den Befunden besprochen.
4.3 Operationalisierung
Für die Beantwortung der Forschungsfragen und zur Untersuchung der Hypothesen mit den
bestehenden Daten, müssen insbesondere zwei Konstrukte messbar gemacht werden: die
Breite des Musikgeschmacks und die Zusammensetzung des Musikgeschmacks. Die Opera-
tionalisierung der beiden Konzepte wird gesondert erläutert.
41Die Umsetzung der Analysen mit entsprechender SPSS- und STATA-Syntax wird auf der CD dokumentiert,die dieser Arbeit beigefügt ist.
43
4 DATENGRUNDLAGE, METHODE UND OPERATIONALISIERUNG
4.3.1 Operationalisierung der Breite des Musikgeschmacks
Die Breite des Musikgeschmacks wird in der empirischen Sozialforschung oft mittels der
Anzahl gehörter, gemochter oder tolerierter Genres gemessen (vgl. Warde et al. 2008, Bryson
1996, Coulangeon & Lemel 2007, Lizardo & Skiles 2009). Dieses Verfahren spiegelt sich im
Begriff der Omnivorousness by Volume wider (Warde & Gayo-Cal 2009, siehe auch Tabelle 2
im Unterabschnitt 2.3.2) und spielt besonders in Studien zur Omnivores-These eine wichtige
Rolle. Je mehr Genres eine Person hört - oder besser gesagt: angibt zu hören -, desto breiter
ist ihr Musikgeschmack. Diese Operationalisierung weist eine Reihe von Problemen auf, z.
T. befragungstechnischer Art, wie bei der Beschreibung der Datengrundlage ersichtlich wur-
de, z. T. auch operationaler Art (Peterson 2005: 263-266). Wie oben schon erwähnt, lassen
sich viele Probleme befragungstechnischer Natur durch prozessgenerierte Daten lösen. Was
bleibt, sind die Überlegungen operationaler Art, konkret die Frage, ob die Anzahl gehörter
Genres tatsächlich ein valides Messinstrument für die musikalische Geschmacksbreite dar-
stellt. Es kann argumentiert werden, dass ein genrespezifisches Mass die einzige Möglichkeit
ist, solche Effekte im begrenzten Raum, den musikspezifische Fragen in breit angelegten so-
zialstrukturellen Umfragen überhaupt eingeräumt bekommen, zu messen. Als Kontrast dazu
bieten sich spezifisch für musikalische Geschmackseffekte konstruierte kultursoziologische
Studien an. Bei Bourdieu (1982) wurde nicht auf der Ebene von Genres, sondern anhand ein-
zelner musikalischer Werke versucht musikalische Präferenzen festzumachen. Im Gegensatz
zu späteren Studien konzentrierte sich die Untersuchung aber nicht auf die musikalische
Geschmacksbreite, sondern die soziale Bedingtheit, besonders die Klassenspezifik, des Ge-
schmacks. Spätere Studien (Warde & Gayo-Cal 2009, Warde et al. 2008) nutzen ein ähnliches
Instrumentarium, beschränken sich aber nicht auf musikalische Items, sondern fragen die
Leute nach der Kenntnis einer Vielzahl von kulturellen Gütern. Sowohl musikalische Subge-
nres (z. B. Modern Jazz oder Electronic dance music, including techno and house) als auch
einzelne Stücke (z. B. Mahler Symphony no. 5, Kind of blue oder Wonderwall) werden nach
Präferenz und Kenntnis abgefragt. Die Gesamtheit aller gemochten Items gibt dann die kul-
turelle Geschmacksbreite wieder.
Auf last.fm existieren verschiedene Möglichkeiten den Eklektizismus, die musikalische To-
leranz oder die Breite des Musikgeschmacks zu messen42. Die meisten Verfahren beruhen
42Die Gruppe last.fm stats widmet sich der Konstruktion, Sammlung und Besprechung von Applikationen,die sich mit Musikstatistik beschäftigen. Auf http://www.last.fm/group/Stats findet sich eine Vielzahl vonTools zur Berechnung von Kennwerten und Ausgabe von Grafiken, welche das Musikprofil - d. h. die gehör-ten Songs und Bands - übersichtsartig darstellen oder bestimmmte Aspekte des Musikgeschmacks betonen.So kann man sich mit dem Mainstream-O-Meter die (Un)Gewöhnlichkeit des eigenen Geschmacks im Ver-gleich zum Mainstream-Geschmack auf last.fm ausgeben lassen oder mit der Songs per Day Applikation diedurchschnittliche Anzahl gehörter Songs pro Tag abfragen. Weitere Tools befassen sich mit musikalischen
44
4 DATENGRUNDLAGE, METHODE UND OPERATIONALISIERUNG
auf der Varianz der Anzahl gespielter Titel in den Top50, also auf der Hörhäufigkeit und Ver-
teilung der Bands und Künstlerinnen. Steht auf Platz 1 als meist gehörte Band z. B. Radio-
head mit 1000 gespielten Titeln und auf Platz 50 Mozart mit gerade mal 10 Titeln gäben diese
Statistiken eine geringe musikalische Geschmacksbreite an. Hätte ein User jedoch 1000 Ti-
tel von 50 Cent auf dem ersten Platz und 800 Songs von Ludacris auf Platz 50 gehört - und
dazwischen sehr homogene Musik aus der Sparte Chartrap -, dann zeigten die Statistiken
trotzdem sehr hohe Werte bei den Masszahlen an, obwohl so ein Geschmack kaum als breit
gelten dürfte. Die so erstellten Statistiken (OMR, AEP) sind also unempfindlich gegenüber
stilistischen Merkmalen und musikalischen Genres und beruhen nur auf numerischen Ver-
fahren, die die Konzentration des Hörverhaltens in Bezug auf die Verteilung der gehörten
Künstler abbilden. Deshalb werden die Kennzahlen AEP und OMR43 im weiteren Verlauf der
Arbeit nur ergänzend als Mass für die musikalische Geschmacksbreite herangezogen.
In dieser Arbeit benutze ich Konzentrationsmasse, wie sie in der Industrieökonomik zur
Ermittlung der Konzentration von Märkten und der Bestimmung der Monopolmacht ein-
zelner Unternehmen herangezogen werden, als Operationalisierung der musikalischen Ge-
schmacksbreite. Der Musikgeschmack der Personen wird dabei als Markt betrachtet und
die Genres stellen die beteiligten Unternehmen dar. Je nach gewähltem Konzentrations-
mass und Anzahl und Marktanteil der Unternehmen oder Genres fällt der Indexwert hoch
oder tief aus. Ein geeignetes Mass zur Bestimmung der Konzentration oder Diversität des
Musikgeschmacks sollte standardisiert, einfach und informationsreich sein. Der Herfindahl-
Hirschmann Index (HH) erfüllt diese Kriterien. Seine Berechnung gestaltet sich nach der fol-
genden Formel (Coulter 1989: 67, 69ff.):
HH =n∑
i=1
P2i
Pi steht dabei für die relativen Anteile der einzelnen Marktteilnemer oder Musikgenres. Je
ungleicher die Marktanteile verteilt sind, desto grösser fällt der Wert des HH Index’ aus (un-
ter Konstanthaltung der Anzahl Marktteilnehmer), d. h. die Marktkonzentration ist positiv
mit der Differenz der Marktanteile korreliert. Bei Gleichverteilung der Marktanteile führen
zusätzliche Marktteilnehmer zu einer Verringerung des Indexwertes, d. h. die Marktkonzen-
tration ist negativ mit der Anzahl Marktteilnehmer korreliert, sofern diese Anteile grösser als
Nachbarn, z. B. mit der Frage, ob diese vom Durchschnittsalter und Geschlecht her zu einem „passen“, odermit Grafiken über den Zeitverlauf hinweg (Group Tag Cloud)
43AEP ist auf http://www.davethemoonman.com/lastfm/aep.php dokumentiert. OMR wird nicht sau-ber beschrieben. Für die wenigen vorhandenen Informationen siehe: http://www.last.fm/user/pirate-pl/journal/2009/01/07/2dpiql_omr_calculation_methods
45
4 DATENGRUNDLAGE, METHODE UND OPERATIONALISIERUNG
0 aufweisen44. Da im Folgenden stets die gleiche Anzahl an Genres für alle Personen voraus-
gesetzt wird, stellt die Nichtberücksichtigung von 0-Anteilen jedoch kein Vergleichsproblem
dar. Der Wertebereich von HH liegt zwischen 1k
und 1, wobei 1k
für minimale und 1 für ma-
ximale Konzentration steht, d. h. eine Marktteilnehmerin verfügt in letzterem Fall über den
kompletten Markt. Wir befänden uns hier in einer Monopolsituation. Übertragen auf den
Musikgeschmack hört ein Monopolist nur ein Genre, z. B. nur Reggae oder nur Schlager. Ein
solcher Hörer entspräche dem Univoren, der sich nur von einer Nahrungssorte ernährt. Das
Gegenteil davon, also die perfekte Allesfresserin, erhält man, wenn eine Person jedes Genre
zu gleichen Anteilen hört. Bei zehn Genres nimmt HH dann den Minimalwert 0.1 an und
bei 20 Genres 0.05. Damit die Polarität des Index’ in die gewünschte Richtung zeigt, wurde
er umgepolt, denn hohe Werte sollten für einen breiten und wenig konzentrierten Musikge-
schmack stehen. Dazu subtrahiert man HH von 1, so dass der umgepolte HH Index entsteht
(UHH):
UHH = 1−HH = 1−n∑
i=1
P2i
Ein zweites Mass der Geschmacksbreite kommt aus der soziologischen Ungleichheitsfor-
schung, wo es darum geht die Gleichmässigkeit der Ressourcenverteilung - z. B. von Ein-
kommen oder Vermögen - in einer Gesellschaft zu messen. Mayer’s Index of Uniformity (M)
stellt einen geeigneten Indikator für diese Aufgabe dar, weil er sowohl die Ungleichheit als
auch die Konzentration misst, einfach und standardisiert ist und die Informationen der Da-
ten gut braucht (Coulter 1989: 39). Die standardisierte Formel, die im Folgenden gebraucht
wird, sieht so aus:
M = 1−∑
(Pi −1/K )2
1−1/K
Die Masszahl ist für die vorhandenen Daten gut geeignet, weil sie Anteilswerte verwen-
det, so wie sie bei den Genreanteilen vorkommen. Im Gegensatz zu HH berücksichtigt M die
Ausprägungen aller Kategorien, also auch 0-Anteile. 1k
stellt dabei den durchschnittlichen
relativen Anteil über alle Kategorien hinweg dar. In einer Kommunalwahl mit drei Parteien
44Bei der Betrachtung der Marktkonzentration macht es durchaus Sinn 0-Anteile nicht zu berücksichtigen, daAnbieter ohne Markanteil nicht überlebensfähig sind. „Components that are totally deprived are totally ex-cluded. Remember, however, that Herfindahl and Hirschmann intended HH as a measure of concentration,not inequality. A component without any units is a component without any concentration of units, so HHis operationally true to its originators’ conceptualization.“ (Coulter 1989: 72)
46
4 DATENGRUNDLAGE, METHODE UND OPERATIONALISIERUNG
A, B und C, in der Partei A 60% der Stimmen erhält, B 30% und C 10%, beträgt 1k
33.3% oder13
( 60%+30%+10%3
resp. 0.6+0.3+0.13
). K gibt die Anzahl Gruppen oder Untersuchungseinheiten wie-
der, wobei diese nominal skaliert sind. Es kann sich also um Parteien, Bevölkerungsgruppen
oder auch um Musikgenres handeln. Pi steht für die relativen Häufigkeiten oder Anteile der
jeweiligen Gruppe. Im Parteibeispiel wäre P1 60%, P2 30% und P3 10%. Je grösser M ausfällt,
desto gleicher ist die Verteilung und desto geringer die Konzentration. In unserem Beispiel
ergibt sich ein Wert von 0.81, was für eine gleichförmige Verteilung spricht. Bei Hinzunahme
von 0-Anteilen verringert sich die Gleichheit der Verteilung. Kommt bei der betrachteten Lo-
kalwahl eine vierte Partei D hinzu, die keine einzige Stimme erhält, ergibt sich ein Wert von
0.79. Die Berücksichtigung von 0-Anteilen zeigt sich auch darin, dass die Anzahl gehörter
Genres und M positiv korrelieren. Das standardisierte M nimmt den Minimalwert 0 bei kom-
pletter Ungleichverteilung oder Konzentration der Anteile und unendlich vielen 0-Anteilen
an, den Maximalwert 1 bei kompletter Gleichverteilung, egal wie viele Kategorien es gibt. Im
Beispiel mit drei Parteien resultiert ein M von 1, wenn jede Partei genau ein Drittel aller Stim-
men auf sich vereinigt. Als kleinst möglichen Wert erhalten wir 23
(1− (1−1/3)2−(0−1/3)2−(0−1/3)2
1−1/3).
Im Falle des Hinzukommens der Partei D mit ihrem 0-Anteil sinkt der Minimalwert von M
auf 0.5 und bei 18 Musikgenres, wie sie in dieser Arbeit erstellt wurden, liegt er bei 0.11. Aus-
prägungen von M sollten also stets in Relation zum Minimum interpretiert werden, genauso
wie dies bei UHH der Fall ist.
Um das Konzentrationsmass HH und das Gleichheitsmass M zu berechnen, müssen die
Genreanteile am Musikgeschmack jedes Users (Pi ) bestimmt werden. Dabei habe ich das fol-
gende mehrstufige Verfahren angewandt: Zunächst wurden für die Top50-Liste der gehörten
Künstler die 20 meist gebrauchten Tags automatisch generiert und festgehalten. Unter Tags
kann man sich Etikettierungen der Musik einer Band oder Künstlerin vorstellen. Meistens
handelt es sich dabei um Genres und Subgenres, seltener auch um geographische (italian,
greek, brazil oder japanese) epochenspezifische (60s, 80s, 00s) oder geschlechtsbezogene Be-
zeichnungen (female artists, male artists). Die last.fm-User vergeben die Tags selbst und die
am häufigsten verwendeten sind beim Portrait einer Musikerin einsehbar (siehe Abbildung
10 auf der nächsten Seite).
Durch dieses Verfahren, also durch die Einteilung der Musik durch die Hörer selbst, kann
sicher gestellt werden, dass die Genrebezeichnungen einigermassen adäquat sind (Atton
2009: 56). Die Tags liessen sich mit einer Applikation ermitteln und zählen, die es erlaubt
für jede last.fm Userin anhand ihres Namens die entsprechenden Informationen zu generie-
ren45. Zu den einzelnen Tags werden zusätzlich die Prozentzahlen angegeben, also wieviele
45Die Applikation OMR ist auf http://omr.musiqum.net/generate.php abrufbar... wenn sie sich nicht gerade -wie so oft während der Lizentiatsarbeit - in Wartung befindet.
47
4 DATENGRUNDLAGE, METHODE UND OPERATIONALISIERUNG
Abbildung 10: Tags bei Frédéric Chopin
Prozent aller Tags in den Top50 die genannten Markierungen ausmachen. Im untenstehen-
den Beispiel eines Users wird das Prinzip klarer: Von den 50 am meisten gespielten Bands
und Artists lassen sich viele mit der Bezeichnung „Rock“ umschreiben. Ferner gehört ein
beträchtlicher Teil - zumindest in der Beurteilung der last.fm-Community - den Richtungen
„Pop“, „Alternative“ und „Metal“ an. Schliesslich scheint die gehörte Musik eher neueren
Datums zu sein und auch einen Teil weibliche Künstler zu umfassen, wie die Tags 80s, 90s
und female vocalists vermuten lassen.
Tabelle 3: Beispiel Top20-Tags der gehörten Musik eines Users mit Prozentzahlen
Tags 1-5 % Tags 6-10 % Tags 11-15 % Tags 16-20 %
rock 11.68 hard rock 5.78 punk 4.38 male vocalists 3.15pop 7.35 alternative rock 5.74 heavy metal 3.84 punk rock 3.10alternative 7.10 classic rock 5.65 80s 3.71 house 3.03metal 6.59 dance 5.34 emo 3.58 female vocalists 2.84electronic 5.95 indie 4.95 90s 3.41 indie rock 2.79
Quelle: eigene Darstellung
Bei der Analyse der Bands bestätigt sich das rocklastige Bild: Zu oberst rangieren AC/DC
mit 1450 gespielten Titeln, gefolgt von HIM (887) und Guns ’n’ Roses (728). Für den Popanteil
dürften u. a. Enya, Madonna und James Blunt verantwortlich sein und auch der Metalanteil
lässt sich durch Bands wie Slipknot, Iron Maiden oder System of a Down leicht erklären. Wie
das zufällig ausgewählte Beispiel zeigt, geben die Top20-Tags die gehörte Musik ziemlich
adäquat wieder und vermögen das stilistische Spektrum der 50 am meisten gehörten Bands
48
4 DATENGRUNDLAGE, METHODE UND OPERATIONALISIERUNG
und Künstlerinnen einigermassen zu repräsentieren.
Da es für die meistgehörten Bands und Artists mehr Tags gibt als in den Top20 angege-
ben werden können, bleibt jeweils eine Restmenge, die als einzelne kleine Prozentzahlen
aufsummiert doch eine beträchtlichen Anteil aller Tags ausmacht. Diese Residualkategorie
wird von der OMR-Applikation als other angegeben und kann für jede Musikhörerin berech-
net werden, indem die aufsummierten Prozentzahlen oder Tagcounts von 100 subtrahiert
werden. Im Folgenden gilt es zu beachten, dass bei den Berechnungen zu den Genreantei-
len jeweils nicht die volle Bandbreite aller Tags berücksichtigt werden konnte. Die Verwen-
dung der Top20-Tagliste und nicht etwa der Top50- oder Top100-Tagliste, die auch verfügbar
sind, ist der Übersichtlichkeit und Beschränkung aus Wesentliche geschuldet. Eine weiterge-
hende Liste an Tags brächte nur noch marginalen Informationsgewinn, denn je geringer die
Tagcounts, desto ausgefallener, exotischer und willkürlicher werden die Kategorisierungen
und desto schwerer fällt dann eine Genreverortung.
In einem weiteren Schritt wurden die Tags in Genres umcodiert. Dies geschah für alle Tags,
die eine eindeutige Zuordnung zulassen. Bei der Einteilung der Tags in musikalische Genres
habe ich mich an bisherigen Studien und an der besprochenen Literatur im Bereich Sub-
kulturen, Szenen und Jugendforschung orientiert und besonders den popkulturellen Dis-
kurs und dessen Zusammenfassungen, Einordnungen und Verschachtelungen angeschaut
(Bennett 2000, 2001, Lena & Peterson 2008). Bei Unklarheiten orientierte ich mich zudem an
den Beschreibungen auf last.fm, so dass ein Grossteil aller Tags in Genres umcodiert werden
konnte46. Diejenigen, die keine Zuordnung zuliessen, konnten bei der Recodierung nicht
weiter berücksichtigt werden und bilden damit die Residualkategorie „Rest“. Folgende Gen-
res liessen sich anhand der Daten bilden: Rock, Rap, Elektronische Musik, Klassische Musik,
Pop, (Heavy) Metal, Jazz, World, Country & Folk, Punk & Ska & Hardcore, Schlager, Reggae,
Deutsche Volksmusik & Schlager, Soul & R’n’B & Funk & Blues, Indie & Alternative, Gothic
& Darkwave, Female Vocalists, Other: Hörbuch & Podcast & Soundtrack & TV sowie Christli-
che Musik & Gospel. Die Hinzunahme von stilistisch nicht oder nur schwer einzuordnenden
Kategorien, wie z. B. 80s, female artists, easy listening oder christian, zur Residualkategorie
„Other“ erschien wenig ratsam, da diese sonst zu heterogen geworden wäre.
Nach der Umcodierung der Tags in Genres wurden die Prozentanteile, also die Tagcounts,
für jedes Genre aufsummiert. So liess sich der Anteil jedes Genres am Musikgeschmack des
jeweiligen Hörers festmachen, also beispielsweise der Rockanteil, der Jazzanteil, der Klas-
sikanteil, der Soulanteil etc. Mit diesen Genreanteilen wurden sodann das Konzentrations-
mass HH und das Gleichheitsmass M konstruiert.
46Die vollständige Liste der Umcodierungen findet sich in Anhang .1
49
4 DATENGRUNDLAGE, METHODE UND OPERATIONALISIERUNG
4.3.2 Operationalisierung der Zusammensetzung des Musikgeschmacks
Die Zusammensetzung des Musikgeschmacks ist noch schwieriger empirisch festzumachen
als die Breite, da hier zusätzliche Verzerrungsfaktoren mit hinein spielen können und vie-
le Kombinationen möglich sind. In der musiksoziologischen Forschung wird oft das Über-
schreiten der symbolischen Grenze von Hochkultur und Populärkultur als entscheidendes
Differenzierungskriterium betrachtet. Diese Messung spiegelt sich im Begriff der Omnivor-
ousness by Composition wider (Warde & Gayo-Cal 2009, siehe auch Tabelle 2 auf Seite 18).
Meist werden dann Grenzüberschreiter von Nicht-Grenzüberschreitern unterschieden. Dar-
überhinaus bieten Konstruktionen übergeordneter Schemata, taste publics oder taste pat-
terns durch Cluster- und Korrespondenzanalysen oder ähnliche multivariate Verfahren eine
Möglichkeit Muster und Abgrenzungen zu erkennen. Auch in dieser Arbeit drängt sich eine
genre- und subgenrebasierte Operationalisierung auf. Es geht insbesondere darum intrain-
dividuelle Kompositionsmuster festzumachen (Lahire 2008) und Genreaussagen im Stile von
„im Durchschnitt beträgt der Rockanteil am Musikgeschmack 20%“ oder „die Streuung des
Rapanteils am Musikgeschmack ist grösser als diejenige des Metalanteils“47 zu treffen. Mit
den Genreanteilen, deren Konstruktion im vorigen Unterabschnitt erläutert wurde, lassen
sich Korrelationen rechnen, so dass ersichtlich wird, welche Genres zusammenpassen oder
weit voneinander entfernt liegen. Stark negative Korrelationen stehen für klare symbolische
Grenzen zwischen den Genres, stark positive für Affinitäten. In letzterem Fall werden die
Musikrichtungen häufig kombiniert, d. h zusammen gehört.
Für die unterschiedlichen Hypothesen zur Zusammensetzung des Musikgeschmacks exis-
tieren jeweils unterschiedliche abhängige oder interessierende Variablen. Teilweise handelt
es sich um einzelne Genres, zum Teil um mehrere Genres, Tags oder Differenzierungen. Um
die genreinterne Differenzierung zu messen, wurden bei Hypothese 4 Tags und Bandprä-
ferenzen auffälliger Profile genauer unter die Lupe genommen. Da die Tags oft Subgenres
markieren, eignen sie sich gut zur Analyse des Hörverhaltens innerhalb von einzelnen Gen-
res.
Bei Hypothese 5 wurden Personen analysiert, die viel hochkulturelle Musik hören, also
Klassik und Jazz. Operationalisiert wird diese Musik über die Tags. Hier kommen die glei-
chen Vorgehensweisen wie bei Hypothese 4 zur Anwendung, indem explorativ erkundet
wird, ob sich spezielle Merkmale der Hörerinnen feststellen lassen. Die auffälligen oder ex-
tremen Profile habe ich anhand der gehörten Bands oder mittels Zusatzinformationen wie
Gruppenmitgliedschaften, Shouts oder Eigenkommentaren untersucht. Das Verfahren sollte
47Das hiesse dann - rein hypothetisch - z. B., dass sich Rap eher zur Ergänzung des Musikgeschmacks eig-net als Metal und dass letzteres Genre in homogenerer Häufigkeit gehört würde, dass also klarere Musterfestzustellen sind, im Sinne von „ganz oder gar nicht“.
50
4 DATENGRUNDLAGE, METHODE UND OPERATIONALISIERUNG
Mechanismen der Kategorisierung und Verortung, besonders aber der Abgrenzung, festma-
chen.
Hypothese 6 geht auf das geschlechtsspezifische Hörverhalten ein. Dabei muss ein Indika-
tor für das Geschlecht der gehörten Musikerin oder Band gefunden werden. Das Tag female
artist eignet sich für diese Aufgabe, da es einigermassen häufig vergeben wird und bei man-
chen Hörenden in den Top20-Tags vorkommt. Erneut werden Personen, die hohe Anteile FA
aufweisen, auf ihre spezifischen Profilmerkmale hin untersucht.
Zur Überprüfung der vorletzten Hypothese habe ich die Unterscheidung und den Ver-
gleich der beiden Genres „Rock“ und „Indie“ gewählt. Rock lässt sich als Mainstream-Ausprägung
gitarrenfokussierter Musik begreifen, Indie als Alternative-Ausprägung. Die Untersuchung
der beiden Richtungen soll eine spezifische genreinterne Differenzierungsachse in den Vor-
dergrund rücken. Es werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den symbolischen Gren-
zen zu den übrigen Genres und den soziale Grenzen in Form der Soziodemographie der Hö-
renden gesucht und veranschaulicht. Die Bestimmung der dafür nötigen Rock- und Indie-
anteile gestaltet sich nach dem oben beschriebenen Vorgehen.
Bei Hypothese 8 untersuche ich schliesslich Userinnen, die jung sind und grosse Rapan-
teile in ihrem Musikgeschmack aufweisen. Erneut habe ich die Genreanteile als Operationa-
lisierung für die Präferenzen gewählt. Hohe Rapanteile im Musikgeschmack verweisen auf
eine Rapaffinität. Das Fehlen solcher Tags zeigt dagegen eine Indifferenz oder gar Abneigung
an.
51
5 Resultate und Diskussion
„Ich kann euch sagen, warum es ganz schwer ist, Indie auf einen
klaren Nenner zu bringen: Die Bands, die man allgemein dort ein-
ordnet, verbinden völlig unterschiedliche Genres miteinander also
wollen auch garnicht in irgendeine vorgegebene Schublade. Allge-
mein kann ich nur empfehlen Genres und Begriffe nicht als unver-
änderbar zu verstehen, sondern einfach mal auf den Wortsinn zu
achten und sich selbst was basteln.“
„Indieaner grenzen sich in sogenannten Reservaten vom System des
(scheinbar) weisen Mannes ab!"
„für mich ist indie pavement. alles was wie pavement klingt ist also
indie.“
Antworten auf die Frage „Was ist Indie?“ auf plattentests.de
In diesem Kapitel werden zunächst die Hypothesen zur musikalischen Geschmacksbreite
überprüft (Abschnitt 5.1). Anschliessend kommen die Ergebnisse zur Zusammensetzung des
Musikgeschmacks zur Sprache (5.2).
5.1 Resultate zur musikalischen Geschmacksbreite
5.1.1 Deskriptive Befunde
Wie in Kapitel 3 ersichtlich wurde, befinden sich im Datensatz gleich viele Frauen wie Män-
ner. Die altersmässige Streuung zeigt eine Überrepräsentation junger Leute an und die An-
zahl Freunde liegt deutlich tiefer als bei nicht auf Musik spezialisierten Community-Sites,
besonders facebook.com (Lewis et al. 2008: 333).
Die abhängige Variable „musikalische Geschmacksbreite“, gemessen mit dem umgepol-
ten Herfindahl-Hirschmann Index (UHH) und Mayer’s Uniformitätsmass (M), ist nicht nor-
malverteilt, sondern linksschief. Das Histogramm auf der folgenden Seite veranschaulicht
die Streuung von UHH.
Sehr tiefe Werte werden selten erreicht und selbst solche unter 0.7 sind eine Ausnahme. Es
gibt also viele Leute mit relativ breitem Musikgeschmack und wenige mit schmalem. Diese
Konzentration auf die oberen Bereiche ist bei UHH stärker ausgeprägt als bei M48. Der Grund
dafür dürfte in der Konstruktionslogik der Masse liegen. Betrachtet man die Anzahl gehörter
48Siehe dazu den Anhang, wo weitere Masse zur musikalischen Geschmacksbreite und Zusammensetzung desMusikgeschmacks dokumentiert sind.
52
5 RESULTATE UND DISKUSSION
Abbildung 11: Histogramm Geschmackskonzentration UHH
Genres, operationalisiert als diejenigen Genres, die über die Top20-Tags hinweg einen Anteil
grösser als 0 aufweisen, so sieht man ein etwas anderes Bild.
Abbildung 12: Anzahl gehörter Genres mit Taganteilen grösser als 0
Diese Variable ist annähernd normalverteilt, mit einem Minimum von 1, also einem per-
fekt univoren Hörverhalten, und einem Maximum von 10 von 18 möglichen Genres. Die
meisten Userinnen hören zwischen vier und acht Genres, mit einem Modus von 6 und ei-
nem arithmetischen Mittelwert von 6.1 Die Standardabweichung beträgt 1.5, also ca. zwei
Drittel der untersuchten Profile liegen im Bereich 4.5 bis 7.5 gehörte Genres, was bedeutet,
53
5 RESULTATE UND DISKUSSION
dass die Streuung relativ gering ist und dass extreme Univoren eher die Ausnahme als die
Regel auf last.fm darstellen.
5.1.2 Hypothese 1: Alter und musikalische Geschmacksbreite
Die bivariate Korrelation zwischen Alter und musikalischer Geschmacksbreite ist mit 0.27
zwar nicht besonders hoch, aber stark signifikant von 0 verschieden. Je älter eine Person,
desto weniger konzentriert sind ihre Genreanteile und somit ihr Musikgeschmack. Im Streu-
diagramm zeigt sich der leicht positive Zusammenhang für das Konzentrationsmass UHH.
Abbildung 13: Zusammenhang Alter und musikalische Geschmacksbreite (UHH)
Als nächstes wurden die bivariaten Analysen durch lineare Regressionen ergänzt um auf
Drittvariableneinfluss zu kontrollieren. Zur Überprüfung des von der Hypothese erwarteten
umgekehrt u-förmigen Effekts habe ich das Alter quadriert. Die sich ergebende Multikol-
linearität zwischen Alter und quadriertem Alter liess sich durch die Standardisierung der
Variablen beseitigen, so dass nur noch schwache und unkritische Beeinflussung der unab-
hängigen Grössen untereinander besteht49.
Nach dem Bruttomodell (1) wurden die vorhandenen Kontrollvariablen eingefügt (2). Als
abhängige Variable figuriert in den ersten beiden Modellen UHH, also die umgepolte Kon-
49Siehe dazu die tolerance- und VIF-Tabelle im Anhang .4. Alle weiteren Voraussetzungsprüfungen der Regres-sionen sind ebenfalls dort zu finden.
54
5 RESULTATE UND DISKUSSION
Tabelle 4: OLS Regression Musikalische Geschmacksbreite auf Alter und andere Variablen
(1) (2) (3) (4)UHH UHH Genres M
Al t e r 0.0015*** 0.0010*** -0.0164** -0.0016***(0.0002) (0.0003) (0.0080) (0.0005)
Al t e r 2 0.0000 0.0000 -0.0014*** -0.0001***(0.0000) (0.0000) (0.0004) (0.0000)
Al t e r ∗G e s c hl e c ht 0.0012*** 0.0248** 0.0018**(0.0004) (0.0104) (0.0105)
Bi l d (Ref.: Kein Bild) -0.0064 0.0738 0.0116(0.0078) (0.1700) (0.0105)
Se l b s t por t r a i t -0.0088 -0.0206 0.0015(0.0076) (0.1640) (0.0102)
G e s c hl e c ht (Ref.: Frau) -0.0135*** -0.0682 -0.0058(0.0050) (0.1110) (0.0068)
G r u p p e n 0.0010** 0.0095 0.0006(0.0004) (0.0080) (0.0005)
F r e u nd e -0.0005*** -0.0071* -0.0005**(0.0002) (0.0041) (0.0002)
Son g s -0.0001 0.0050* 0.0002*(0.0001) (0.0026) (0.0001)
Kons t a nt e 0.8470*** 0.8630*** 6.2290*** 0.7940***(0.0031) (0.0082) (0.1650) (0.0104)
N 876 876 876 876R2 0.071 0.100 0.032 0.051
Unstandardisierte Koeffizienten, Robuste Standardfehler in Klammern Quelle: eigene Darstellung
*** p<0.01, ** p<0.05, * p<0.1
zentration des Musikgeschmacks. Ein positives Vorzeichen beim Alterskoeffizienten bedeu-
tet einen weniger konzentrierten Musikgeschmack mit jedem Jahr, ein negativer Koeffizient
impliziert zunehmende Konzentration. Allerdings beziehen sich die Werte in allen kontrol-
lierten Modellen mit Interaktionseffekt auf die Geschlechts-Referenzkategorie, in unserem
Fall die Frauen (Kohler & Kreuter 2008: 34). Der globale Alterseffekt berechnet sich als Mit-
telwert von Alterskoeffizient und Alterskoeffizient+ Interaktionseffekt. Bei UHH bezieht sich
z. B. der Wert 0.0010 bei der unabhängigen Variable „Alter“ auf die Frauen, 0.0022 (0.0010 +
55
5 RESULTATE UND DISKUSSION
Interaktionseffekt) auf die Männer und der globale Alterseffekt entspräche 0.0016: Mit jedem
Altersjahr steigt die Gleichverteilung der Genreanteile, und zwar bei Männern und Frauen,
wenn auch unterschiedlich stark. Beim quadrierten Alter steht ein negativer Wert für den
gesuchten umgekehrt u-förmigen Verlauf. Dann tritt nämlich ein Sättigungseffekt ein und
die Steigung des Zusammenhangs „Alter - musikalische Geschmacksbreite“ nimmt mit zu-
nehmendem x ab und kann sogar negativ werden, wie es H1 fordert. Positive Effekte sind
dagegen ein Indiz für nicht mehr linear steigende Geschmacksbreite mit dem Alter, son-
dern für quadratische oder sogar exponentielle Zunahmen, also eine Verstärkung statt Ab-
schwächung des Zusammenhangs. Im dritten Schritt berücksichtige ich die Anzahl gehör-
ter Genres als abhängige Variable (3) und im vierten Modell verwende ich schliesslich das
Gleichheitsmass M, das von der Konstruktionslogik her eine Mischung von UHH und den
gezählten Genres darstellt, da es sowohl 0-Anteile als auch die Konzentration der Verteilung
beachtet. Die Tabelle auf der vorherigen Seite beinhaltet die unstandardisierten Koeffizien-
ten für die vier Modelle.
Wie man sieht, ist die Erklärungskraft der unabhängigen Variablen sehr gering. Nur maxi-
mal 10% der Streuung der abhängigen Variable werden duch die erklärenden Grössen aufge-
schlüsselt. Trotzdem ist der Alterseffekt für alle berücksichtigten abhängigen Variablen signi-
fikant von 0 verschieden, mindestens auf dem 5%-Niveau. Dies zeigt, dass ein unterschied-
liches Hörverhalten und eine andere Zusammenstellung von Genres je nach Alter auftreten,
d. h. dass der Musikgeschmack altersabhängig ist. Im Gegensatz zum Bruttomodell ohne
Kontrollvariablen verliert der Einfluss an Stärke, wenn die Kontrollvariablen hinzukommen
(Modell 1 vs. Modell 2). Somit ist der Alterseffekt nicht „rein“ oder allgemeingültig, sondern
zu einem beträchtlichen Teil über andere Grössen vermittelt. Eine intervenierende Variable
stellt das Geschlecht dar, denn der Interaktionseffekt von Alter und Geschlecht ist stark signi-
fikant. Es bestehen also für Frauen und Männer unterschiedliche Alterseffekte. Die Grafik auf
der folgenden Seite veranschaulicht die Alterseinflüsse auf die musikalische Geschmacks-
breite getrennt für Männer und Frauen.
Trotz der unterschiedlichen Altersverteilung von Frauen und Männern in der Stichpro-
be lassen sich Effekte erkennen, die nicht aufs Sampling allein zurückzuführen sind. So ist
die Streuung der musikalischen Geschmacksbreite für Männer grösser als für Frauen, selbst
wenn man aufs Alter kontrolliert. Das Bild bestätigt sich bei der Betrachtung der Standarab-
weichungen für die umgepolte Konzentration des Musikgeschmacks (UHH). Während Män-
ner einen Wert von 0.73 haben, ist die Streuung bei den Frauen mit 0.63 deutlich tiefer. Der
Test auf Varianzhomogenität bestätigt dieses Bild und die Nullhypothese, dass Frauen und
Männer die gleiche Standardabweichung aufweisen, kann mit 1%iger Fehlerwahrscheinlich-
keit verworfen werden. Bei Männern gibt es also ein weniger einheitliches Hörverhalten in
56
5 RESULTATE UND DISKUSSION
Abbildung 14: Zusammenhang Alter und Konzentration des Musikgeschmacks (UHH) getrennt fürFrauen und Männer
Bezug auf Genrepräferenzen als bei Frauen: Ein Teil der männlichen last-fm User ist univor
veranlagt und bevorzugt wenige Nahrungssorten, ein anderer Teil dagegen allesfresserisch,
besonders im höheren Alter. Diese Erkenntnis deckt sich mit den Resultaten von Glevarec
& Pinet (2009), die ebenfalls hauptsächlich bei den älteren Kohorten omnivores Hörverhal-
ten orten. Bei den Userinnen dagegen fällt die Streuung geringer aus und wir finden unab-
hängig vom Alter weniger Ausreisserinnen gegen unten und oben mit sehr konzentriertem
oder extrem gleich verteiltem Geschmack. Das positive Vorzeichen und die starke Signifi-
kanz des Interaktionseffekts bei Modell (2) untermauern das Gesagte und beweisen, dass
der Alterseffekt bei den Frauen schwächer ausfällt als bei den Männern. Dem Alterskoeffzi-
enten nach zu urteilen, der sich auf die Referenzkategorie der Frauen bezieht, ist die Stei-
gung bei den Userinnen allerdings weiterhin stark signifikant und positv, wenn auch nur
halb so gross wie bei den männlichen Usern. Zudem beträgt der Unterschied der Varianz-
aufklärung 10% zwischen Frauen und Männern, wie die geschlechtsgetrennte Berechnung
der Regressionsmodelle verdeutlicht. Während im weiblichen Regressionsmodell mit allen
erhobenen unabhängigen Variablen 5% der Streuung von UHH aufgeklärt werden, sind es
bei den Männern 15%. Bei den Frauen ist die musikalische Geschmacksbreite, gemessen an
der Konzentration, unbestimmter und weniger von den betrachteten Grössen, insbesondere
Alter und Netzwerk, abhängig als bei Männern.
57
5 RESULTATE UND DISKUSSION
Gleichzeitig existiert eine Geschlechtsgleichheit der Mittelwerte bei der musikalischen
Geschmacksbreite, denn kontrollierte Geschlechtseffekte sind nur für die reine Konzentra-
tion des Musikgeschmacks UHH, nicht aber für die Anzahl gehörte Genres und die Kom-
bination von Konzentration und Breite (M) ersichtlich. Frauen und Männer haben global
gesehen die gleich breiten Präferenzen, obwohl es zwischen den abhängigen Konstrukten
zu unterscheiden gilt. Weibliche Userinnen hören ihre bevorzugten Genres zwar geballter,
also ungleichmässiger verteilt, sind aber nicht selektiver in ihrer Wahl als männliche User.
Dynamiken, die dafür mitverantwortlich sind, werden wir im nächsten Abschnitt bei der Be-
trachtung der Zusammensetzung des Musikgeschmacks finden.
Das unterschiedliche Vorzeichen für die abhängigen Variablen kommt auf den ersten Blick
überraschend. Während die Konzentration des Musikgeschmacks mit zunehmenden Alter
sinkt, d. h. ein weniger stark auf bestimmte Genres ausgerichtetes Hörverhalten zu beobach-
ten ist, und sich dieser Effekt auch nicht abschwächt - denn das quadrierte Alter spielt in den
ersten beiden Modellen keine Rolle -, deutet der negative Koeffizient bei der Anzahl Genres
und beim Gleichheitsmass M auf eine sinkende musikalische Geschmacksbreite mit jedem
Altersjahr hin. Zudem sorgt der negative quadratische Term für eine Verstärkung des Zusam-
menhangs bei älteren Userinnen. Sie hören also noch weniger Genres als mit dem linearen
Effekt voraussgesagt, so dass sich die Kurve leicht nach unten biegt. Allerdings verliert dieser
Effekt seine Biegung, sobald man die extremen Ausreisser nach unten ausschliesst.
Offenbar stellen die Konzentration des Musikgeschmacks als Ungleichverteilung der Gen-
reanteile und die Breite als Anzahl gehörter Genres verschiedene Konzepte dar, die es zu
trennen gilt. Bestätigt wird dies durch die ebenfalls gerechneten, aber hier nicht aufgeführ-
ten Regressionen mit den last.fm spezifischen reinen Konzentrationsmassen AEP und OMR50:
Wie bei UHH stellen sich die Alterskoeffizienten als leicht positiv heraus, d. h. auch beim
Hörverhalten auf Bandebene - und nicht mehr auf Genreebene - wirkt sich das Alter positiv
auf die Geschmacksgleichheit aus, obwohl die Effekte nichtlinear sind und sich zunehmend
abschwächen, so dass hier annähernd ein umgekehrt u-förmiger Zusammenhang heraus-
kommt.
Deshalb, und in Anbetracht der weiter oben erzielten Erkenntnisse, kann die Hypothese
nicht pauschal angenommen oder abgelehnt werden. Stattdessen wirkt sich das Alter diffe-
renziert auf die musikalische Geschmacksbreite aus, je nachdem, ob es sich dabei um die
Anzahl oder Konzentration der gehörten Genres handelt. Zunehmende Altersmilde führt zu
einer Gleichbehandlung der „musikalischen Freunde“, aber auch zu grösserer Selektivität.
Um den Vergleich mit einem Freundeskreis zu ziehen, wobei die Genres Freunde darstellen:
Ältere Leute haben zwar weniger Freunde als ihre jüngeren Zeitgenossen, behandeln diese
50Diese Regressionen sind in der beigelegten Syntax vermerkt.
58
5 RESULTATE UND DISKUSSION
aber untereinander gleicher: Sie laden ihre drei Freunde je zweimal pro Jahr einzeln zum
Essen, zum Bowling und zum Konzert ein. Unsere jüngeren Hörerinnen haben zwar sechs
Freundinnen, drei davon kennen sie aber nur oberflächlich und unternehmen fast nie was
mit ihnen. Was die anderen drei betrifft, so gehen sie mit einer von ihnen zweimal pro Jahr
essen und anschliessend auch noch zum Bowling. Mit den beiden anderen besuchen sie ge-
meinsam die zwei Konzerte. In diesen unterschiedlichen Mustern spiegeln sich überspitzt
gesagt jugendliche Differenziertheit und Probiermentalität auf der einen Seite und alters-
weise Stabilität und Abgeklärtheit wider.
5.1.3 Hypothese 2: Sozialkapital und musikalische Geschmacksbreite
Für die Operationalisierung des Sozialkapitals wurden die Variablen „Freunde“ und „Grup-
pen“ berücksichtigt. Diese korrelieren stark untereinander (Pearson’s Korrelationskoeffizi-
ent von 0.71), was darauf schliessen lässt, dass es sich um ähnliche Konzepte handelt, die
mit der Aktivität auf last.fm in Zusammenhang stehen: Je mehr Zeit man auf der Homepage
verbringt, desto eher tritt man in Gruppen ein oder schliesst Freundschaften. Obwohl die
Anzahl total gescrobbelter Songs, also die Variable „Songs“ in den Regressionsmodellen, nur
ein unzureichender Indikator für die Aktivität und das zeitliche Investitionsniveau in last.fm
darstellt, zeigen die beträchtlichen und stark signifikanten Korrelationen dieser Variable mit
der Anzahl Freunde (0.39) und Gruppen (0.37), dass sich die Involviertheit in einem breiteren
Netzwerk und häufigeren Gruppenmitgliedschaften äussert.
Gemäss bivariater Korrelation existiert aber kein Zusammenhang zwischen Sozialkapital
und Breite des Musikgeschmacks und auch der Scatterplot erlaubt keine Schlüsse auf den
Effekt der Anzahl Freunde auf die musikalische Geschmacksbreite. Höchstens heteroske-
dastische Tendenzen sind erkennbar (siehe Abbildung 15 auf der nächsten Seite).
Das Gleiche gilt bei der Berücksichtigung der Anzahl gehörter Genres als abhängiger Va-
riabe oder der Verwendung des Gleichheitsmasses (M) statt des Konzentrationsmasses. Auch
hier sind die bivariaten Zusammenhänge allesamt unter 0.1 und nicht signifikant von 0 ver-
schieden. Als Indiz für einen Zusammenhang zwischen dem Sozialkapital im Internet und
der musikalischen Geschmacksbreite kann jedoch die Regression aus dem vorherigen Un-
terabschnitt gewertet werden. Wie aus Tabelle 4 auf Seite 55 ersichtlich wird, sind die Koef-
fizienten zur Anzahl Freunde und zur Anzahl Gruppen signifikant von 0 verschieden, wenn
auch nicht sehr stark und auf unterschiedlichem Niveau. Den stärksten Einfluss finden wir
bei UHH als abhängiger Variable, also der Konzentration. Je mehr Freunde auf last.fm ein
User hat, desto weniger diversifiziert ist sein Musikgeschmack. Dies betrifft alle abhängi-
gen Variablen, d. h. verschiedene Fassungen des Konzepts musikalische Geschmacksbreite.
59
5 RESULTATE UND DISKUSSION
Abbildung 15: Zusammenhang Freunde und musikalische Geschmacksbreite (UHH) ohne extreme Aus-reisser
So wird auch deutlich, dass Leute mit vielen Freunden keineswegs übermässig viele Genres
hören. Die Ausreisserinnen in Bezug auf die Anzahl Freunde bewegen sich alle im Mittelfeld
mit fünf bis sieben gehörten Genres, während Personen ohne Freunde eine grosse Varianz in
ihrer musikalischen Geschmacksbreite aufweisen. Das heteroskedastische Bild zeigt sich für
alle betrachteten Indikatoren der Breite des Musikgeschmacks und spricht damit für die All-
gemeingültigkeit des Befundes. Möglicherweise versuchen Leute mit einem gewöhnlichen
oder durchschnittlichen Geschmack vielfältige Anschlüsse an verschiedene Netzwerke zu
schaffen, was ihnen auch gelingt, während Personen mit sehr schmalen oder breiten Prä-
ferenzen selektiver in der Wahl ihrer Freunde sind. Bei omnivoren Hörern steht vermutlich
auch nicht so sehr die soziale Funktion von last.fm im Vordergrund, sondern die informative
und investigative.
Der negative Koeffizient in der Regression widerspricht der formulierten Hypothese, die
behauptet, dass das Netzwerk und die musikalische Geschmacksbreite positiv zusammen-
hängen. Hypothese 2 muss somit verworfen werfen: Das soziale Kapital oder Netzwerk auf
der Community-Site übt keinen positiven, sondern einen negativen Einfluss auf die Breite
des Musikgeschmacks aus. Unter Umständen schliessen viele User Freundschaften mit Leu-
ten, die einen sehr ähnlichen Musikgeschmack haben, wodurch musikalische Empfehlun-
gen häufiger konfirmatorischen Charakter annähmen als explorativen. So geben vielleicht
60
5 RESULTATE UND DISKUSSION
Metal- oder Jazz-Fans mit einem grossen, aber geschmackshomogenen Netzwerk einander
(Insider)Tipps, die vorwiegend innerhalb des Genres zu verorten sind und damit nicht als
Geschmackserweiterung im Sinne eines Genreverständnisses der open-earedness betrachtet
werden können. Die Empfehlungen wirken dann als Bestätigung der Vorliebe für die bevor-
zugte Musik.
In einem weiteren Schritt gälte es nicht nur die Breite des Netzwerks zu überprüfen, son-
dern auch seine Beschaffenheit. Dies könnte mittels Homogenitätsmassen, z. B. in Bezug
auf den Wohnort (Sprache), Alter, Geschlecht und weitere Charakteristika der Freunde ge-
schehen. Dann wären Aussagen möglich wie: „Je grösser die altersmässige und geographi-
sche Streuung des Freundeskreises auf last.fm, desto grösser die musikalische Geschmacks-
breite“ oder „Je gleichmässiger die Geschlechtsverteilung der Freunde, desto grösser die
musikalische Geschmacksbreite“. Eine solche Analyse beleuchtet den Zusammenhang zwi-
schen dem Netzwerk und der musikalischen Geschmacksbreite eingehend und trägt dazu
bei, Geschmacks- und Sozialkapitaleffekte im Internet und deren Verbindung besser zu ver-
stehen.
5.1.4 Hypothese 3: Alter der Musik und Präferenz
Laut dieser Hypothese hören wir bevorzugt Musik, die im Jugendalter aktuell war oder ist.
Die ältesten Personen im Datensatz (55-64 Jährige), die etwa zwischen 1945 und 1955 gebo-
ren wurden, müssten höhere Anteile 60s aufweisen als die späteren Geburtskohorten und
zwischen 1956 und 1965 geborene last.fm Userinnen (heute 45-54 Jahre alt) hörten beson-
ders viel Musik mit dem 70s Tag usw.
Die Hypothese wurde überprüft, indem ich die Tags für die Jahrzehnte - 60s, 70s, 80s, 90s,
00s - mit dem Alter in Verbindung brachte. Ähnlich wie bei den Genreanteilen stehen die
Dekadenangaben in Relation mit den übrigen Tags der Top50 Bands und Artists. Weist eine
Userin beispielsweise den Wert 6 bei 80s auf, bedeutet dies, dass von den Tags der 50 meist
gehörten Künstlerinnen und Bands 6% 80s sind. Ob das viel oder wenig ist, ergibt sich erst
aus dem Zusammenhang der Daten und aus der Kenntnis der übrigen Taghäufigkeiten. In
Tabelle 5 sehen wir die Dekadenangeben und ihr durchschnittliches Vorkommen mit Streu-
ung und Maxima. Das Minimum beträgt für alle abgebildeten Tags 0, also kein Hören von
Musik aus der entsprechenden Zeit.
80s ist das am häufigsten gebrauchte Tag, was sowohl vom höchsten Mittelwert als auch
vom grössten Maximum verdeutlicht wird. Offenbar hat Musik aus diesem Jahrzehnt den
spezifischsten Charakter und geht am eindeutigsten als eigenständige stilistische Kategorie
durch. Sonst wird neuere Musik eher epochen- oder zeitspezifisch eingeordnet als alte, ob-
61
5 RESULTATE UND DISKUSSION
Tabelle 5: Beschreibung der Tags 60s, 70s, 80s, 90s und 00s
Mittelwert Standardabweichung Maximum
Anteil 60s 0.21 0.91 6.73Anteil 70s 0.34 1.08 6.01Anteil 80s 1.31 2.20 11.10Anteil 90s 0.78 1.43 6.71Anteil 00s 0.90 1.44 4.27
N = 876 Quelle: eigene Darstellung
wohl die absoluten Zahlen damit zu tun haben dürften, dass insgesamt mehr neue als alte
Musik auf last.fm gehört wird.
In der folgenden Tabelle sieht man den Zusammenhang zwischen dem Alter der Personen
und dem Alter der gehörten Musik.
Tabelle 6: Kreuztabelle Alter der User und Alter der Musik mit Zeilenprozenten
60s 70s 80s 90sAlterskategorie Nein Ja Nein Ja Nein Ja Nein Ja Total16 bis 20 129 4 127 6 103 30 108 25 133% 96.99 3.01 95.49 4.51 77.44 22.56 81.20 18.80 100
21 bis 30 252 21 240 33 186 87 199 74 273% 92.31 7.69 87.91 12.09 68.13 31.87 72.89 27.11 100
31 bis 40 218 17 209 26 157 78 174 61 235% 92.77 7.23 88.94 11.06 66.81 33.19 74.04 25.96 100
41 bis 50 131 2 124 9 100 33 107 26 133% 98.50 1.50 93.23 6.77 75.19 24.81 80.45 19.55 100
51 bis 64 96 6 95 7 69 33 77 25 102% 94.12 5.88 93.14 6.86 67.65 32.35 75.49 24.51 100
Total 826 50 795 81 615 261 665 211 876% 94.29 5.71 90.75 9.25 70.21 29.79 75.91 24.09 100
Quelle: eigene Darstellung
Mit angegeben werden die Zeilenprozente, also wieviele Prozent der jeweiligen Alters-
gruppe über Tags aus den obenstehenden Dekaden verfügen. „Nein“ steht für eine Person
ohne so getagte Musik in ihren Top50, „Ja“ für eine mit. Der Kürze halber wurden die Rand-
häufigkeiten nicht für jede Zeitangabe aufgeführt, sondern nur einmal in der Spalte ganz
rechts. Die gelb markierten Felder sollten jeweils die höchsten Prozentzahlen aufweisen, d.
h. dies sind die Zellen, die laut Hypothese am besten besetzt sein müssten. Die rot markier-
ten Felder stellen dagegen die Zellen dar, die tatsächlich über den höchsten Höreranteil von
62
5 RESULTATE UND DISKUSSION
Musik aus der jeweiligen Dekade verfügen. Bei den Jahrzehntangaben ohne rote Felder fallen
die von der Hypothese postulierten mit den tatsächlichen Modalkategorien zusammen, was
für eine Bestätigung spricht. Dies ist bei den neueren Tags 80s und 90s der Fall. Bei Musik aus
den 00s, die hier aus Platzgründen nicht aufgeführt wird, zeigen sich keine bemerkenswer-
ten Alterseffekte, d. h. jede Altersgruppe hört ungefähr gleich viel neue Musik. Knapp 30%
der untersuchten User hat eine solche Markierung in seinen Top20-Tags, fast gleich viele al-
so wie bei 80s. Im Vergleich dieser Befunde mit den Resultaten aus Tabelle 5, ergibt sich ein
konzentrierteres oder geballteres Hörverhalten von 80s Musik gegenüber 00s.
Bemerkenswert ist auch der sprunghafte Anstieg der Anzahl Hörerinnen von 70s auf 80s.
Der totale Unterschied beträgt hier 20%, ist also ziemlich drastisch: Auf last.fm tummeln sich
demnach mehr Liebhaber neuer Musik als alter und der Übergang von 60s und 70s zu 80s
und neueren Klängen stellt eine symbolische Grenze dar, die sich im Hörverhalten klar abge-
bildet sieht. Es wäre interessant herauszufinden, inwieweit sich diese Kluft auch ausserhalb
von last.fm beobachten lässt und mit welchen Identitäten, Abneigungen oder Referenzen die
jeweiligen Dekaden behaftet sind. Eine solche Analyse der symbolischen Ladung einzelner
Epochen würde aber qualitativ-ethnographische Zugänge erfordern (Grazian 2004: 202, 203)
und übersteigt damit den Fokus dieser Arbeit.
Bestätigt wird der Schnitt auch durch die bivariaten Korrelationen der Dekadenanteile.
Benachbarte Tags korrelieren erwartungsgemäss stärker positiv als nicht benachbarte, aber
bei älterer Musik fallen die Werte ungleich höher aus als bei neuen. So weisen 60s und 70s
ein Pearson’s r von 0.58 auf und 70s und 80s korrelieren mit 0.42. Signifikant negative Korre-
lationen finden sich fast ausschliesslich bei 00s, also neuer Musik. Dabei nehmen die Werte
aber nicht stetig ab, je weiter man in die Vergangenheit geht, sondern die striktesten Grenzen
bestehen zwischen 00s und 80s, gefolgt von 70s und erst dann 60s.
Zudem hören die 21-30 Jährigen in drei von vier Fällen am meisten epochenspezifische
Musik. Das sind genau die Leute, für die sich die Hypothese besonders interessiert, denn sie
befinden sich in der Postadoleszenz, der Phase also, während der sich der Musikgeschmack
entscheidend ausprägt und sich danach kaum noch verändert (Holbrook & Schindler 1989).
Die hier aufgeführten Zahlen widersprechen dem und legen den Schluss nahe, dass in der
Postadoleszenz die grösste epochenspezifische Offenheit herrscht. Keinesfalls beschränken
sich die 21-30 Jährigen nur auf aktuelle oder nicht allzu alte Musik. Vielmehr sind sie die-
jenigen, die am stärksten in der Tiefe der musikalischen Vergangenheit graben und aktu-
elle Musik dabei nicht vernachlässigen. Um genaue Zeiteffekte festzumachen, bräuchte es
Längsschnitt- oder Paneldaten. Ob sich das Nachlassen dieses „archivarischen“ Explorati-
onsinteresses tatsächlich aufgrund von Alterseffekten abspielt oder ob nicht eher Perioden-
effekte dafür verantwortlich sind, kann mit dieser Datenbasis nicht überprüft werden.
63
5 RESULTATE UND DISKUSSION
Um die auf den ersten Blick gegen die Hypothese sprechenden Resultate aus der Kreuz-
tabelle genauer zu untersuchen, wurden χ2-basierte Zusammenhangsmasse und Tests be-
rechnet. Der Test ist für die obenstehende Kreuztabelle zwar problematisch, weil er aufgrund
des nominalen Skalenniveaus der verwendeten Tags keinen Schluss auf die Richtung des Zu-
sammenhangs zulässt und gewisse Zellen Häufigkeiten unter 5 aufweisen, wird aber trotz-
dem verwendet. Je stärker die beobachteten von den erwarteten Häufigkeiten abweichen,
desto grösser fällt der χ2-Wert aus und desto stärker kann die Nullhypothese, dass kein Zu-
sammenhang zwischen den Variablen besteht, verworfen werden. In unserem Fall bewegen
sich alle p-Werte über 0.05, sind also höchstens auf dem 10%-Niveau signifikant. Dabei stei-
gen die χ2-Werte mit zunehmendem Alter der Musik: Bei 60s und 70s liegen sie bei 9, bei 80s
betragen sie 7, bei 90s 5 und bei 00s 4. Die abnehmende Differenz zwischen beobachteten
und erwarteten Häufigkeiten lässt auf zunehmende Indeterminiertheit der Musik durch das
Alter schliessen. Ältere Musik differenziert stärker und lässt striktere Grenzen zu als neuere.
Es sind aber nicht die älteren Leute über 40, die sich für diesen Zusammenhang verantwort-
lich zeigen, sondern die 21-40-Jährigen. Auch das χ2-basierte Zusammenhangsmass Cra-
mer’s V, das Werte von 0 bis 1 annehmen kann (Kühnel & Krebs 2001: 356), bestätigt diese
Tendenz. Obwohl keine Korrelation 0.1 überschreitet, sind die Kennzahlen bei der älteren
Musik am höchsten.
Auch diese Hypothese muss zumindest teilweise verworfen werden. Nur für die 80er- und
90er-Jahre sind leichte Tendenzen erkennbar, die die aufgestellte Behauptung bestätigen.
Userinnen aus den Altersgruppen 21-30 und 31-40 konsumieren häufiger in ihrer Postado-
leszenz aktuelle Klänge als ältere und jüngere Untersuchte. Die 21-30 Jährigen offenbaren
dabei die grösste epochenspezifische Offenheit. Sie hören Musik unterschiedlicher Dekaden
und schrecken deutlich seltener vor älterer Musik zurück als ihre Hörgenossinnen im Alter
von 16-20. In der Postadoleszenz wird demnach am ehesten mit verschieden alten Sounds
experimentiert. Danach scheint es aber nicht zu einer Fokussierung auf genau diese Musik
zu kommen, denn auch in gehobenem Alter bevorzugt man auf last.fm aktuelle Musik ge-
genüber älteren Sounds. Indessen gilt es im Hinterkopf zu behalten, dass es sich hier um
das tatsächliche Hörverhalten handelt und nicht etwa um musikalische Präferenz, wie sie
im Offline-Kontext bei der hier zentral referierten Studie (Holbrook & Schindler 1989) abge-
fragt wurde. Zudem bestehen die Tags nur zu einem geringen Teil aus epochenspezifischen
Einteilungen, womit klar wird, dass die zeitmässige Einordnung kultureller Güter lediglich
eine Nebendimension und keine Hauptachse der Distinktion im Internet darstellt.
64
5 RESULTATE UND DISKUSSION
5.2 Resultate zur Zusammensetzung des Musikgeschmacks und
symbolischen Grenzziehung
5.2.1 Deskriptive Befunde
Nach der Überprüfung der Hypothesen zur musikalischen Geschmacksbreite kann nun die
Zusammensetzung des Musikgeschmacks in Angriff genommen werden. Bei den Genrean-
teilen weist last.fm in der Schweiz eine sehr rock- und indiezentrierte Hörerschaft auf. Tabel-
le 22 im Anhang beschreibt die anteilsmässige Verteilung aller Genres über alle untersuch-
ten Userinnen hinweg mit den jeweiligen Durchschnittswerten und Standardabweichungen
und Abbildung 16 veranschaulicht die Verteilung ausgewählter Genres.
Abbildung 16: Verteilung der Genreanteile für Rock, elektronische Musik, Pop und Jazz
Auch elektronische Musik, Pop und Punk sind gut vertreten. Im Gegensatz dazu hört nur
ein geringer Teil der untersuchten Personen klassische Musik51, Rap oder Jazz. Das schlechte
Abschneiden von Rap und Black Music allgemein erstaunt, zumal diese Musikrichtungen bei
der jüngeren Bevölkerung grosse Beliebtheit geniessen. Die Daten weisen also im Vergleich
51Siehe Abbildung 18 im Anhang für die anteilsmässige Verteilung weiterer Genres.
65
5 RESULTATE UND DISKUSSION
zur Gesamtbevölkerung einen selektiven Bias auf, der rockähnliche Genres überrepräsen-
tiert und dadurch zustande kommt, dass last.fm Musikinteressierte aus diesem Lager eher
anzieht als solche aus anderen Richtungen. Den ähnlich hohen Maximalwerten bei allen
Genres nach zu urteilen, existieren aber durchaus Hörer, die einzelne, auf last.fm weniger
stark vertretene, Genres intensiv hören. Obwohl z. B. drei Viertel aller Profile überhaupt kein
Rap hört, macht dieses Genre bei einzelnen Userinnen den Grossteil der gehörten Musik
aus52.
Um zu überprüfen, wie die Genres untereinander zusammenhängen, habe ich Korrelatio-
nen mit den jeweiligen Genreanteilen berechnet.
Tabelle 7: Korrelationen der Genres untereinander
Rock Rap Elektro Klassik Pop Metal Jazz World
Rap -0.24***Elektro -0.41*** 0.01Klassik -0.08** -0.06* -0.05Pop 0.12*** -0.10*** -0.11*** -0.06*Metal 0.18*** -0.10*** -0.24*** -0.05 -0.35***Jazz -0.21*** -0.07** 0.01 0.04 -0.07** -0.05World -0.14*** -0.03 -0.06* 0.01 0.02 -0.07* 0.04Country -0.02 -0.17*** -0.22*** -0.02 0.06* -0.17*** -0.04 0.03
*** p<0.01, ** p<0.05, * p<0.1 Quelle: eigene Darstellung
N = 876, gelb markierte Felder: |r|>0.2
Die auffälligsten Werte zeigen sich zwischen Rock und elektronischer Musik, Metal und
elektronischer Musik, Pop und Metal sowie Rock und Rap. Die negativen Ausprägungen deu-
ten auf eine Aversion hin, die in der unterschiedlichen Produktionslogik begründet liegen
könnte: auf der einen Seite der am Handwerk orientierte Gestus des Rocks, bei dem die Band
im Zentrum des Interesses steht, auf der anderen die Individualität, Synthetik und Tüftler-
mentalität elektronischer Musik (Diaz-Bone 2002). Die im Theorieteil angetroffene Grenz-
ziehung sieht sich also bestätigt.
Klassische Musik weist dagegen mit keinem der anderen Genres hohe Korrelationen auf,
was auf ihren Charakter als inklusives und nicht exklusives Genre schliessen lässt: Auf last.fm
scheint das Hören hochkultureller Musik kein Distinktionsinstrument zu sein, was der Bour-
52Bei allen Anteilen muss berücksichtigt werden, dass erstens nicht alle Tags der Top50-Künstler in den Top20Tags abgebildet sind und zweitens nicht alle generierten Tags in Genres recodiert werden konnten. DieRestmenge an nicht beschriebenen Anteilen ist im Anhang ersichtlich und reicht von 2% (fast perfekte Be-schreibung des Musikgeschmacks durch die gebildeten Genres) bis zu 81% (sehr schlechte Beschreibungdes Musikgeschmacks durch die gebildeten Genres) mit einem Mittelwert von 29%, d. h. durchschnittlichkonnten 70% der gehörten Top50 Bands und Künstlerinnen mit den Genres abgebildet werden.
66
5 RESULTATE UND DISKUSSION
dieu’schen (1982) Konzeption des Musikgeschmacks widerspricht. Auch Rap und in abge-
schwächter Form Pop sind keine eindeutig exklusiven Genres, wie die tiefen, aber z. T. noch
signifikanten Korrelationen mit den übrigen Richtungen andeuten. Im Gegensatz dazu ge-
stalten sich die Grenzen zwischen Metal und anderen Genres als trennscharf. Besonders die
stark negative Korrelation mit Pop fällt ins Auge, aber auch von elektronischer Musik grenzt
man sich dezidiert ab. Insgesamt offenbaren diese ersten Korrelationen drei grobe Muster:
rocklastige Genres (Rock, Metal), elektronisch beeinflusste Genres (Rap, elektronische Mu-
sik) und übrige, eher inklusive Genres (Pop, World, Jazz, Klassische Musik).
In der nächsten Tabelle sehen wir die Korrelationen zwischen weiteren Genres, die jedoch
geringere Anteile auf sich vereinigen. Man kann diesbezüglich auch von Nischengenres spre-
chen.
Tabelle 8: Korrelationen der Genres untereinander (Fortsetzung)
Country Punk Schlager Reggae Soul Gothic FA
Punk -0.17***Schlager -0.01 -0.04Reggae -0.01 0.04 -0.02Soul -0.00 -0.25*** -0.01 0.03Gothic -0.10*** -0.04 -0.03 -0.04 -0.11***FA 0.09** -0.14*** -0.03 -0.05 0.12*** -0.01Christlich -0.03 0.02 -0.01 -0.02 -0.01 -0.01 -0.02
*** p<0.01, ** p<0.05, * p<0.1, FA = Female Artists Quelle: eigene Darstellung
N = 876, gelb markierte Felder: |r|>0.2
Entsprechend sind hier weniger klare Effekte ersichtlich als vorher bei den Hauptgenres.
Mit einem Wert von -0.25 stossen sich Soul und Punk am stärksten ab und auch Punk und
Country sowie Female Artists (FA) und Punk sind negativ korreliert, mit einer Signifikanz, die
mindestens auf dem 1%-Niveau von Null verschieden ist. Überraschenderweise gibt es zwi-
schen der szenebasierten Musik Gothic und den anderen Genres keine übermässig hohen
negativen Korrelationen. Trotz ausschliesslich negativer Werte - was auf Exklusivität hin-
deutet - sind nur die Verhältnisse zu Soul und Country signifikant, nicht aber zu Reggae
und Schlager (inkl. Mundart). Allerdings hören im Sample auch nur wenige Personen Gothic,
denn der durchschnittliche Anteil dieser Musikrichtung am Musikgeschmack beträgt 0.75%.
Weitere relativ hohe Korrelationen betreffen die Musikrichtung Indie. Diese Zusammenhän-
ge werden anschliessend gesondert betrachtet (siehe Unterabschnitt 5.2.5 zu Hypothese 7).
Um die Soziodemographie der Genres zu untersuchen, habe ich Korrelationen zwischen
den Genreanteilen und den erhobenen metrischen Variablen „Alter“, „Freunde“, „Gruppen“
67
5 RESULTATE UND DISKUSSION
und „gespielte Songs“ berechnet. Die Werte fallen grösstenteils gering aus und die stärksten
Korrelationen lassen sich beim Alter ausmachen. Rap, Pop, Jazz, Klassische Musik, Soul, In-
die und Metal kovariieren mittelstark und signifikant mit dem Alter. Dabei weisen Jazz, Klas-
sische Musik und Soul (inklusive Blues, Funk und R’n’B) eine eher ältere Hörerschaft auf,
die übrigen genannten Genres eine jüngere. Am stärksten ausgeprägt sind die positiven Al-
terseffekte für Jazz mit einem Pearson’s Koeffizienten von 0.30 und Soul (0.23), die negativen
für Indie (-0.36), Punk (-0.35) und Rap (-0.23). Etwas überraschend kommen die zwar immer
noch negativen, aber nicht sehr starken Korrelationen bei den Genres Metal und Gothic. Hier
hätte man aufgrund der Jugendzentriertheit der beiden Subkulturen auf höhere Korrelatio-
nen schliessen können, aber offensichtlich gibt es einige ältere Semester, die sich mit diesen
Musikrichtungen beschäftigen.
Bei der Anzahl Freunde sind die Korrelationen deutlich geringer als beim Alter. Lediglich
Pop verfügt über einen absoluten Wert grösser als 0.1. Bemerkenswerterweise ist dieser ne-
gativ, so dass viele Freunde mit einem geringen Anteil Pop im Musikgeschmack einherge-
hen oder umgekehrt: Ein grosser Popanteil geht mit wenigen Freunden einher. Demnach
haben sich Userinnen mit einem breiten Netzwerk und viel auf last.fm vebrachter Zeit zu-
nehmend von Mainstream-Musik entfernt oder besetzen (Nischen)Genres, die nicht chart-
orientiert sind. Ich möchte diese Tendenz mit dem Schlagwort der „Musikexperten-These“
umschreiben. Sie besagt, dass sich auf last.fm viele User tummeln, die sich ganz gezielt für
nicht chartorientierte Sounds interessieren und dort Expertenwissen anhäufen, das sowohl
mit zeitlicher Investition und dem Austausch über die bevorzugte Musik als auch mit der Ak-
kumulation von Sozialkapital in Form von Freunden auf der Homepage einhergeht. In die-
sem Zusammenhang kann in Anlehnung an Thornton (1996) und Rössels und Brombergers
(2009: 496, 497) Erläuterungen über die Spezifik kulturellen Kapitals auch von internetspezi-
fischem subkulturellem Kapital gesprochen werden. Die unterschiedliche Logik des Online-
und Offline-Musikkonsums - zu einem beträchtlichen Teil wohl durch Selbstselektionspro-
zesse begründet - ist auch in den last.fm Charts ersichtlich, also den Songs, Bands und Ar-
tists, die über alle Länder-, Alters- und Geschlechtsgrenzen hinweg auf last.fm am meisten
gehört werden. Obwohl gewisse Parallelen der Charts53 zu den Billboard Charts nicht aus-
bleiben, äussert sich v. a. bei den Bands - und weniger bei den Songs - die unterschiedliche
Konsumtionslogik. Hier bestätigt sich nämlich das rock- und indielastige Bild, wie es für die
schweizer Hörerschaft festgestellt wurde. Mit den Beatles, Radiohead, The Killers oder Vam-
pire Weekend rangieren Bands weit oben, die genau diesem Spektrum zuzordnen sind. Auch
die beträchtliche Anzahl „toter“ Profile dürfte für den negativen Zusammenhang zwischen
53Die last.fm Charts lassen sich auf http://www.last.fm/charts einsehen und können für verschiedene Zeiträu-me betrachtet werden.
68
5 RESULTATE UND DISKUSSION
poplastigem Musikgeschmack und Community-Freunden mitverantwortlich sein. Gemeint
sind damit User, die ihr Profil schon lange nicht mehr besucht haben oder deren Aktivität
auf last.fm nur probeweiser und vorübergehender Natur war, die sich also kaum mit den
last.fm spezifischen Recherchemöglichkeiten auseinandersgesetzt haben und sich eher aus
Neugier dort anmeldeten. Die hier skizzierte Expertismus-These steht aber in einem klei-
nen Widerspruch zur im vorherigen Abschnitt gemachten Beobachtung, dass sich Personen
mit sehr grossem Netzwerk weder durch einen besonders breiten noch durch einen sehr
spezifischen Musikgeschmack auszeichnen, sondern im Mittelfeld aller Beobachtungen an-
zusiedeln sind. Was die Zusammensetzung des Geschmacks anbelangt, hören die Ausreisser
nach oben in Bezug auf die Anzahl Freunde weniger poporientierte Musik als der Durch-
schnitt, wie zuvor ersichtlich wurde. Damit sind sie weder Omnivores by Volume noch Om-
nivores by Taste, falls man das Überschreiten der Grenze von Mainstream und Alternative als
Ausprägung der Omnivorousness by Taste auffasst. Verdeutlicht wird hiermit, wie die unter-
schiedliche Konzeptionen musikalischer Toleranz zu unterschiedlichen Schlüssen führen:
Ein genremässig breiter oder gleichmässig verteilter Geschmack geht nicht automatisch mit
dem Überschreiten symbolisch relevanter distinktiver Grenzen einher.
Die Mitgliedschaft in Gruppen wirkt sich dagegen nicht bedeutend auf die Genrepräfe-
renzen aus. Alle Korrelationen zwischen dieser Variable und den Genreanteilen sind sehr
schwach ausgeprägt und bis auf diejenigen mit Pop und Metal nicht signifikant. Erneut fällt
die negative Ausprägung zwischen dem Popanteil und der Anzahl Gruppen ins Auge. Hier
wirken wohl die gleichen Kräfte wie bei den Freunden, womit verfestigt wird, dass ein gros-
ses soziales Netzwerk auf der Homepage zwar mit einer Präferenz für weniger chartorien-
tierten Sound einhergeht, aber weder mit einem besonders breiten Geschmack noch mit
einem Verständnis die symbolische Grenze von Mainstream und Alternative unbekümmert
zu überschreiten.
Um die bivariaten Ergebnisse auf ihre Gültigkeit im multivariaten Fall hin zu überprüfen,
wurden lineare Regressionen der einzelnen Genreanteile auf die vorhandenen unabhängi-
gen Variablen gerechnet. In Tabelle 9 auf der nächsten Seite sind die unstandardisierten Ko-
effizienten für die ersten acht Genres angegeben. Regressionen für die restlichen Genres fin-
den sich entweder im Anhang in Tabelle 24 (Seite 115) oder in den Unterabschnitten zu den
einzelnen Hypothesen.
Wie aus Tabelle 9 ersichtlich wird, sind die Alters- und Geschlechtskoeffizienten für fast
alle Genres signifikant von 0 verschieden. Genrepräferenzen sind also teilweise von sozio-
demographischen Merkmalen abhängig, was die gesellschaftliche Unstrukturiertheit des Mu-
sikgeschmacks widerlegt und sich mit den Befunden aus der bisherigen Forschung deckt:
Auch im Internet setzen sich soziale Geschmackseffekte fort und werden keineswegs nivel-
69
5 RESULTATE UND DISKUSSIONTa
bell
e9:
OLS
Reg
ress
ion
Gen
rean
teil
eau
fAlt
eru
nd
and
ere
Var
iabl
en
Ro
ckR
apE
lekt
roK
lass
ikP
op
Met
alJa
zzW
orl
d
Alt
er
-0.0
52-0
.087
**0.
214*
**0.
049*
**0.
053*
*-0
.133
***
0.12
4***
0.07
0**
(0.0
42)
(0.0
27)
(0.0
65)
(0.0
16)
(0.0
26)
(0.0
46)
(0.0
40)
(0.0
34)
Alt
er2
0.00
00.
007*
**0.
025*
**0.
003*
**-0
.003
***
0.01
1***
0.00
4***
0.00
1(0
.002
)(0
.002
)(0
.004
)(0
.002
)(0
.001
)(0
.003
)(0
.002
)(0
.001
)
Alt
er∗G
esc
hle
cht
0.11
9**
-0.2
17**
*-0
.085
-0.0
170.
090*
**-0
.211
***
0.01
0-0
.046
(0.0
60)
(0.0
62)
(0.0
88)
(0.0
23)
(0.0
34)
(0.0
75)
(0.0
55)
(0.0
42)
Gru
pp
en
-0.0
060.
0513
-0.0
72-0
.009
0.00
50.
015
-0.0
45-0
.004
(0.0
40)
(0.0
68)
(0.0
69)
(0.0
11)
(0.0
24)
(0.0
64)
(0.0
29)
(0.0
13)
Fre
un
de
-0.0
32-0
.019
0.06
4*0.
008
-0.0
27**
-0.0
040.
020
-0.0
01(0
.018
)(0
.023
)(0
.037
)(0
.008
)(0
.013
)(0
.026
)(0
.014
)(0
.007
)
Bil
d(R
ef.:
Kei
nB
ild)
0.24
1-0
.155
2.37
30.
216
-0.6
940.
109
-0.2
10-0
.033
(1.0
16)
(0.9
03)
(1.5
59)
(0.4
89)
(0.4
90)
(0.7
29)
(0.6
87)
(0.4
17)
Se
lbst
po
rtra
it-0
.666
0.25
72.
366
-0.4
58-0
.777
*1.
200
0.03
520.
279
(0.9
82)
(0.8
77)
(1.5
31)
(0.4
45)
(0.4
95)
(0.7
41)
(0.7
03)
(0.4
10)
Ge
sch
lech
t(R
ef.:
Frau
)1.
433*
*2.
462*
**1.
960*
*-0
.172
-0.8
00**
*1.
750*
*0.
132
-0.1
31(0
.608
)(0
.535
)(1
.073
)(0
.175
)(0
.321
)(0
.650
)(0
.464
)(0
.380
)
Son
gs
0.02
2-0
.012
-0.0
39*
-0.0
050.
013*
0.02
9*0.
013
0.00
0(0
.000
)(0
.000
)(0
.000
)(0
.000
)(0
.000
)(0
.000
)(0
.000
)(0
.000
)
Ko
nst
an
te11
.640
***
0.84
912
.020
***
0.55
37.
570*
**0.
366
1.89
0***
0.76
8*(0
.985
)(0
.822
)(1
.576
)(0
.419
)(0
.469
)(0
.684
)(0
.661
)(0
.445
)
N87
687
687
687
687
687
687
687
6R
20.
028
0.12
40.
084
0.06
90.
100
0.10
20.
102
0.02
2
Un
stan
dar
dis
iert
eK
oef
fizi
ente
n,R
ob
ust
eSt
and
ard
feh
ler
inK
lam
mer
nQ
uel
le:e
igen
eD
arst
ellu
ng
***
p<
0.01
,**
p<
0.05
,*p<
0.1
70
5 RESULTATE UND DISKUSSION
liert. Die Einflusskraft des quadrierten Alters verdeutlicht die Nichtlinearität der Alterseffek-
te und damit die Verstärkung oder Abschwächung von Genrepräferenzen mit zusätzlichen
Lebensjahren. Bis auf Pop sind alle quadrierten Alterseffekte positiv, d. h. die Regressionskur-
ve verläuft in den meisten fällen konvex, sei es nun mit positiver oder negativer Steigung. Ju-
gendzentrierte Genres werden zwar mit zunehmendem Alter seltener gehört, die Abnahme
ist aber ihrerseits abnehmend, d. h. es bestehen keine starren und strengen Dichotomien.
Beim Geschlechtseffekt wird deutlich, dass es Unterschiede zwischen Frauen und Männern
gibt, bzw. Genres, die eher männlich konnotiert sind und solche, die eher von Frauen ge-
hört werden. Da Geschlecht als Dummy in die Regression aufgenommen wurde, lassen sich
die Koeffizienten als kontrollierte Mittelwertsdifferenzen interpretieren: Eine Frau mit der
gleichen Anzahl Freunde und Gruppen, der identischen Bildausprägung, dem selben Alter
und gleich vielen gespielten Songs wie ein entsprechender Mann hört z. B. fast 2.5% weniger
Rap und 2% weniger elektronische Musik in den Top50 als dieser. Umgekehrt hört der Mann
weniger Pop und auch ein kleines bisschen weniger klassische Musik als seine musikalische
Zwillingsschwester. Aufgrund der Überrepräsentation und Stärke der positiven und damit
männlichen Geschlechtseffekte ist davon auszugehen, dass die Frauen bei anderen Genres
punkten, schliesslich summieren sich die Anteile auf 100 auf, d. h. die Unterschiede gleichen
sich am Schluss über die Geschlechter hinweg aus.
Der Interaktionseffekt von Alter und Geschlecht deutet weitere Genreeinflüsse an. Es exis-
tieren unterschiedliche Alterseffekte für Männer und Frauen bei Rock, Rap, Pop und Metal.
Ein positives Vorzeichen bedeutet dabei einen grösseren Effekt bei Männern als bei Frauen,
ein negatives einen kleineren. Beispielsweise „wächst“ der Popanteil sowohl bei den Höre-
rinnen - wie der positive und signifikante Alterskoeffizient von 0.053 anzeigt - als auch bei
den Hörern (0.053 + Interaktionseffekt = 0.143) mit jedem Jahr, aber für letztere trifft das
stärker zu als für erstere. Die Zunahme chartorientierter Sounds mit dem Alter geht mit ei-
nem nachlassenden Interesse für extreme, aussergewöhnliche oder alternativ konnotierte
Genres und Bands einher und lässt sich allenfalls lebenszyklisch begründen. Ältere Leute
interessieren sich nicht mehr in gleichem Masse für Musik wie ihre jungen Zeitgenossen,
was sich auch in der Untervertretung älterer Userinnen auf last.fm äussert - z. T. sicherlich
begründet durch die technologischen und motivationalen Barrieren des Internets (Zillien
2006, Van Dijk 2005). Rock verhält sich gleich wie Pop, insofern als auch hier der Alterseffekt
bei Usern grösser ausfällt als bei Userinnen, obgleich er insgesamt gering und nicht signifi-
kant ist. Bei Metal ist es umgekehrt: Hier nimmt der Anteil mit zunehmendem Alter ab, für
Männer jedoch stärker als für Frauen. Bei den weiblichen Userinnen sind die Unterschiede
im Metalanteil zwischen älteren und jungen Hörerinnen damit geringer als bei männlichen
Usern, was auf ein stärker segmentiertes Bild bei letzteren hinweist. Gleiches gilt für Rap,
71
5 RESULTATE UND DISKUSSION
denn die Alters- und Geschlechtseffekte sowie deren Interaktion sind identisch für Rap und
Metal. Obwohl die Genres untereinander negativ korreliert sind und symbolische Grenzen
zwischen ihnen bestehen, teilen sie ein geschlechts- und altersmässig ähnliches Publikum.
Symbolische Grenzen manifestieren sich demnach nicht zwangsläufig in sozialen Grenz-
ziehungen, was die Wichtigkeit der Berücksichtigung diskursiver Aspekte unterstreicht und
eine Einbeziehung des Diskursraums bei der Analyse kultureller Güter nahelegt (vgl. Diaz-
Bone 2002). Vergleicht man diese Ergebnisse mit dem von Bryson (1996) gezogenen Schluss,
dass Rap und Heavy Metal die beiden Musikrichtungen sind, die von den Omnivoren am
stärksten abgelehnt werden und gleichzeitig eine durchschnittlich weniger gebildete Hörer-
schaft aufweisen als die meisten anderen Genres, so überrascht die Homologie aber kaum
mehr.
Die Anzahl Freunde hat nur auf den Popanteil einen signifikanten Einfluss, nicht jedoch
auf die übrigen Genres. Das bestätigt das Bild der bivariaten Korrelationen. Wie oben spielen
die Gruppenmitgliedschaften keine Rolle und auch die gespielten Songs als Indikator für
die Aktivität auf last.fm bleiben ohne Einfluss auf die Genrepräferenzen: Es gibt also keine
Genres, die speziell bei Viel- oder für Wenighörern beliebt sind. Wenig relevant für die hier
betrachteten Genreanteile ist schliesslich die Selbstpräsentation in Form des Bildes. Keine
Musikrichtung zeichnet sich durch das Vorhandensein eines besonders offenherzigen oder
bedeckten Darstellungsmodus’ aus, wie die allesamt nicht oder kaum signifikanten und sehr
geringen Koeffizienten bei den Variablen „Bild“ und „Selbstportrait“ klar machen.
Alles in allem demonstrieren die deskriptiven Befunde, dass der Musikgeschmack teilwei-
se von soziodemographischen Variablen abhängig ist. Allerdings lässt sich nur ein kleiner
Anteil der gehörten Musik mit den betrachteten Variablen erklären. Um höhere Erklärungs-
gewinne zu erzielen, müssten zusätzlich Variablen des kulturellen Kapitals sowie Motive und
Restriktionen des Musikhörens berücksichtigt werden. Da ich die Genres untereinander bis
jetzt nur oberflächlich untersucht und mit ihrer Hörerschaft in Verbindung gebracht habe,
kommen in den folgenden Unterabschnitten einzelne zielgerichtete Hypothesen zur Spra-
che. So soll die Zusammenstellung des Musikgeschmacks genauer beleuchtet werden, wo-
bei es insbesondere darum geht die in den Korrelationen zwischen den Genres angedeute-
ten symbolischen Grenzen zu verstehen und Logiken der Zusammenstellung des Musikge-
schmacks nachzuvollziehen.
72
5 RESULTATE UND DISKUSSION
5.2.2 Hypothese 4: Genreübergreifende und genreinterne Di�erenzierung
Um diese Hypothese zu überprüfen wurden die Ausreisser nach oben und unten, d. h. Per-
sonen mit besonders vielen und besonders wenigen gehörten Genres, auf die Zusammen-
stellung ihres Musikgeschmacks hin untersucht. Als Ausreisserin nach unten oder extreme
Univore definiere ich eine Userin, die maximal zwei Genres hört und einen M Wert von klei-
ner als 0.7 aufweist. Zwölf Personen erfüllen diese Kriterien. Im Gegensatz dazu bezeichne
ich einen User, der mindestens neun Genres hört und zudem ein M von grösser 0.9 hat als
Ausreisser nach oben. Dieses Kriterium erfüllen 18 Personen, so dass insgesamt 30 Leute für
diese Hypothese zur Verfügung stehen.
Die extremen Unvioren sind entweder Elektro-, Rock-, Metal-, Jazz-, Gothic- oder Punk-
hörer. Die Hälfte der betrachteten User ist elektronischer Musik zugeneigt, gefolgt von Jazz
mit zwei Usern und den restlichen genannten Genres mit je einer betrachteten Hörerin.
Keine ausschliesslich gehörten Genres sind Pop, Indie, Rap, klassische Musik und Soul, ob-
wohl letzteres Genre mit Jazz zusammen eine semi-univore Kombination ausbildet, eben-
so wie Rock mit Metal. Elektronische Musik wird am seltensten mit irgendeinem anderen
Genre kombiniert, tritt also am häufigsten als singuläres Genre auf. Vier von sechs Elektro-
Univoren hören kein anderes Genre nebendran.
Wie stark differenziert ist nun der Musikgeschmack der Univoren innerhalb ihrer Genres?
Spezialisieren sie sich auf wenige Subgenres oder nutzen sie das volle Spektrum der Musik
des Genres? Bei elektronischer Musik hiesse das z. B., dass die User von Ambient, über Hou-
se, Trance, Electropop und Minimal vielen Spielarten offen gegenüber ständen. Um diese
Hypothesen zu überprüfen, wurden die Tags und dazugehörigen Prozentzahlen der Univor-
en untersucht und mit den gehörten Bands und Artists gegengeprüft. Zuerst einmal lassen
sich verschiedene Formen elektronischer Univorizität feststellen. Tabelle 10 auf der nächs-
ten Seite zeigt acht der zwölf extremen Ausreisser nach unten und die gehörte Musik nach
Tags.
Wie ersichtlich wird, sind bei der elektronischen Musik im Groben drei Muster erkennbar:
Trance-orientierte Hörer (28, 37, 854), Chillout und Ambient (30, 39) sowie Minimal (9). Ein
durchgehend genreintern-omnivores Muster, das die unterschiedlichen Spielarten elektro-
nischer Musik auf sich vereinigt, ist nicht auszumachen. Am ehesten lässt sich aber Userin
854 so charakterisieren, auch was die Ausgeglichenheit der Tagcounts angeht, also die Kon-
zentration der betrachteten Subgenres. Beim Jazz verfügt die erste Hörerin (es handelt sich
um zwei Frauen) über einen etwas differenzierteren Geschmack in Bezug auf die gehörten
Subgenres als die zweite. Beide sind sich aber relativ ähnlich, denn auch bei Userin 31 fol-
gen die Tags fusion und blues auf den nächsten Rängen, die hier der Übersichtlichkeit wegen
73
5 RESULTATE UND DISKUSSION
Tabelle 10: Tags der Ausreisser nach unten: Extreme Univore (Auswahl)
Elektronische Univoren Jazz UnivorenUser 9 28 30 37 39 854 11 31
Tag1 minimal(19.8)
trance(16.8)
el.(14.1)
psytrance(17.5)
ambient(15.5)
el.(12.4)
jazz(18.9)
jazz(19.1)
Tag2 techno(14.9)
el.(10.1)
chillout(12.3)
goa(9.8)
chillout(11.7)
psytrance(8.2)
fusion(6.9)
piano(10.2)
Tag3 el.(12.5)
dance(7.9)
ambient(11.6)
psych.(9.1)
el.(9.8)
pr. tr.(6.6)
funk(5.4)
j. p.(8.8)
Tag4 minimaltechno(12.1)
pr. tr.(7.1)
electro-nica(10.1)
psy. tr.(8.9)
down-tempo(7.3)
minimal(6.3)
bebop(5.2)
bebop(5.4)
Tag5 electro-nica(5.0)
electro-nica(5.6)
idm(7.6)
el.(8.2)
psychill(6.5)
electro-nica(5.9)
blues(5.1)
instr.(5.1)
Tagcounts in Klammern, el. = electronic, pr. tr. = progressive trance, psych. = psychedelic, psy. tr. =
psychedelic trance, j. p. = jazz piano, N = 8 Quelle: eigene Darstellung
nicht abgebildet werden.
Tabelle 10 lässt damit erahnen, dass die extremen Univoren keineswegs automatisch eine
grosse genreinterne Differenzierung aufweisen, sondern sich innerhalb der Genres weiter
auf wenige Richtungen spezialisieren. Die breit gefassten Überbegriffe electronic und elec-
tronica lassen sich aber nicht genau einordnen und könnten verschiedene Spektren elek-
tronischer Musik beinhalten. Dann fiele die genreinterne Differenzierung doch stärker aus,
als auf den ersten Blick vermutet. Die Analyse der Tags muss also noch weiter verfeinert
werden, um völlige Klarheit zu erhalten. Dies geschieht durch die Betrachtung der am meis-
ten gehörten Bands und Artists. Erst wenn hier eine gewisse Einheitlichkeit über die obers-
ten Ränge hinweg herrscht, kann von einer grossen genreinternen Spezialisierung die Rede
sein. Eine solche künstlerbasierte Analyse erfordert jedoch die genaue Kenntnis der jeweili-
gen Genres, Subgenres und darin ablaufender Distinktions- und Zuordnungsvorgänge und
müsste die Spielregeln des entsprechenden Feldes (Bourdieu 1993) berücksichtigen, etwas
was über den Fokus dieser Arbeit hinausgeht. Als illustrierende Beispiele werden deshalb
nur zwei Univoren zwei Omnivoren gegenübergestellt. So soll demonstriert werden, wie sich
verschiedene Hörgewohnheiten in den Tagmustern niederschlagen und wie unterschied-
lich die Zusammenstellung des Musikgeschmacks ausfallen kann, obwohl sie auf den ersten
Blick genremässig ähnlich erscheint. Als Illustration habe ich die beiden Jazz-Univoren ge-
wählt. Die Ergebnisse dieser künstlerbasierten Analyse finden sich weiter unten, im direkten
Vergleich mit den Omnivoren.
74
5 RESULTATE UND DISKUSSION
Um die gesehenen Resultate in den Kontext der Hypothese zu stellen, werden zunächst
aber die extremen Omnivoren thematisiert. Sie weisen laut Hypothese eine deutlich ober-
flächlichere und weniger differenzierte genreinterne Tagstruktur auf als ihre wählerischen
Fress- oder Hörkollegen. Zur Überprüfung der Behauptung bin ich wiederum zuerst auf die
Tags, dann selektiv auf die Künstler eingegangen. Das von der Hypothese gezeichnete Bild
bestätigt sich in der Analyse. Am besten lässt sich dies an den elektronischen Genres er-
kennen: Obwohl alle 18 betrachteten omnivoren Profile elektronische Musik konsumieren,
vereinigen nur wenige Userinnen spezielle Subgenre-Tags, wie house, trance oder minimal,
auf sich und die meisten untersuchten Personen verfügen lediglich über die Kategorie elec-
tronic oder electro, die sie als Hörerinnen elektronischer Musik ausweist. Ähnlich sieht es
bei rockzentrierten Spielarten aus. Hier dominieren ebenfalls unspezifische, übergeordnete
Tags, wie sie vorwiegend mit etablierten Bands und Mainstream-Künstlerinnen einherge-
hen. In der folgenden Tabelle werden Allesfresser aufgeführt, die viel Jazz und elektronische
Musik hören, um den Kontrast mit den oben betrachteten Univoren zu verdeutlichen. Zu-
dem sind weitere exemplarische omnivore Profile gelistet.
Tabelle 11: Tags der Ausreisser nach oben: Extreme Omnivore (Auswahl)
User 205 652 257 304 844 613 320 306 587
Tag1 jazz(9.9)
jazz(9.2)
pop(9.0)
mundart(11.5)
reggae(13.1)
soundtrack(8.5)
hip-hop(7.3)
rock(10.6)
rock(10.3)
Tag2 s.-s.(6.8)
f.a.(8.2)
f.a.(9.0)
folk(9.7)
dub(8.9)
ambient(6.3)
french(7.1)
pop(8.4)
alt.(7.8)
Tag3 rock(6.2)
pop(8.2)
rock(8.0)
pop(8.7)
rock(7.4)
el.(6.2)
reggae(7.0)
alt.(7.9)
indie(7.0)
Tag4 indie(6.1)
rock(8.1)
s.-s.(8.0)
rock(8.2)
punk(6.9)
instr.(6.1)
pop(6.9)
indie(6.5)
s.-s.(6.9)
Tag5 el.(6.1)
s.-s(7.0)
folk(6.8)
s.-s(7.0)
alt.(6.8)
rock(6.1)
hip hop(6.0)
jazz(5.5)
jazz(6.4)
Tagcounts in Klammern, s.-s. = singer-songwriter, f.a. = female artists, alt. = alternative, el. =
electronic, instr. = instrumental, N = 9 Quelle: eigene Darstellung
Auf den ersten Blick erkennt man, dass die Tags weniger spezifisch sind als bei den extre-
men Univoren. Die beiden Jazz-Omnivoren 205 und 652 verfügen z. B. über kein Subgenre
in ihren Top5-Tags und auch bei den Top10-Tags taucht keine genauere Bezeichnung auf
- im Gegensatz zu vorher, wo wir Formen wie bebop oder jazz piano beobachten konnten.
Auch die elektronischen Omnivoren 613 und - mit Abstrichen - 844 fallen nicht durch über-
mässig differenzierte Markierungen auf, obwohl sich mit dub zumindest ein klares Subgenre
in den Top5 befindet. Ferner ist das Tag pop bei den Omnivoren reichlich vertreten, im Ge-
gensatz zu den Univoren, wo man die Mainstream-Markierung vergeblich sucht: Von den 18
75
5 RESULTATE UND DISKUSSION
Omnivoren hört nur ein einziger überhaupt keine Musik, die als pop getagt wurde in seinen
Top50-Bands und Artists.
In Bezug auf die Hypothese lässt sich vorsichtig - denn für den endgültigen Schluss bräuch-
te es die Feinanalyse von deutlich mehr Profilen - darauf schliessen, dass die Allesfresser
oberflächlich durch die Genres hüpfen und sich oft repräsentative und bekannte Künstler
herauspicken statt in die Tiefe zu graben. Der folgende Vergleich der Jazz-Univoren mit den
Jazz-Omnivoren in Bezug auf die gehörten Bands und Künstlerinnen zeigt genauer auf, in-
wiefern dies der Fall ist.
Zunächst ist nicht ersichtlich, woher die Omnivoren ihren Jazz-Anteil beziehen. Bei ge-
nauerem Hinschauen lüftet sich das Geheimnis und es wird deutlich, dass insbesondere
weibliche Solo-Sängerinnen wie Diana Krall, Norah Jones, Melody Gardot, Madeleine Pey-
roux, Billie Holiday oder Nina Simone diesen Anteil ausmachen, allesamt Künstlerinnen, die
an der Schnittstelle von Jazz mit anderen Genres stehen - sei es Pop, Country oder Blues
und Soul. „Reinen“, instrumentalen Jazz sucht man bei diesen beiden Usern vergeblich. Im
Gegensatz dazu zeichnen sich die Univoren durch eine weitgehende Abwesenheit vokalen
Jazz’ aus. Sie konsumieren fast ausschliesslich das, was man landläufig mit dem Etikett Jazz
versehen würde: Bill Evans, Miles Davis, Thelonious Monk, Dave Brubeck oder Keith Jarrett.
Während die ersten Plätze hier für die Klassiker reserviert sind, folgen auf den hinteren Rän-
gen zeitgenössische Jazz-Musiker, wie Gonzalo Rubalcaba, Michael Brecker oder das Esbjörn
Svensson Trio. Es ist also eine relativ klare (Rang)Ordnung ersichtlich: Zuerst die Klassiker,
dann das, was Bourdieu „avantgardistische Strömungen“ nennt. Demgegenüber zeichnen
sich die Omnivoren durch ein „wildes Durcheinandergewürfel“ ihrer Jazz-Musik aus. Man-
che Jazz-Künstlerinnen erscheinen weit vorne, manche im Mittelfeld der Top50, andere im
hinteren Bereich. Es ist jedenfalls keine eindeutige Clusterung oder Ordnung erkennbar, was
den ergänzenden und oberflächlicheren Konsumstil im Vergleich mit den Univoren unter-
mauert.
Diese Hypothese kann nicht vollständig abgelehnt werden. Obwohl sich einige Aspekte
bestätigt haben, treffen andere nicht zu: Während die Omnivoren tatsächlich einen Musik-
geschmack mit geringer genreinterner Differenzierung aufweisen - z. T. begründet durch die
Untersuchungsanlage in der Form eines restringierten Datensatzes - und sich dieser Teil der
Hypothese bestätigt sieht, spezialisieren sich auch die Univoren genreintern. Am Beispiel
der elektronischen Musik konnte ich aufzeigen, dass sie dezidierte Spezialisierungen tref-
fen, indem sie sich z. B. bewusst auf Minimal oder Trance fokussieren und andere Spielarten
elektronischer Musik vernachlässigen. Beim Jazz, wo eine Unterteilung des Genres in weite-
re trennscharfe Subgenres schwer fällt, stellt offenbar die Differenz von rein instrumentaler
und damit mehr dem Ideal der Improvisation und des Jams verpflichteter Musik und Vocal
76
5 RESULTATE UND DISKUSSION
Jazz, wie er im Studio produziert und mit anderen Genres gemischt wird, eine bedeutende
symbolische Grenze dar. Während die Omnivoren eher - auch über Genregrenzen hinweg -
an bekannten Künstlern interessiert sind, spezialisieren sich die univoren Jazz-Kennerinnen
auf instrumentalen Jazz.
5.2.3 Hypothese 5: Hochkultur vs. Populärkultur
Gemäss dieser Hypothese sind Hochkultur und Populärkultur symbolisch und sozialstruktu-
rell klar unterscheidbar und v. a. ältere Leute hören hochkulturelle Musik, während Populär-
kultur den jüngeren Kohorten zuzuordnen ist. Als Hochkultur werden die Genres „Klassische
Musik“ und „Jazz“ verstanden.
Wie die Regression aus Unterabschnitt 5.2.1 klar macht, stechen die hochkulturellen Gen-
res nur altersmässig aus den übrigen Richtungen heraus. Sowohl klassische Musik als auch
Jazz zeichnen sich durch ein älteres Publikum aus als alle übrigen dort betrachteten Genres
mit Ausnahme elektronischer Musik. Der positive quadrierte Alterseffekt bei beiden Musi-
krichtungen bedeuet - verglichen mit der linearen Zunahme - einen übererwartet häufigen
Konsum mit jedem zusätzlichen Lebensjahr, so dass der Funktionszusammenhang konvex
ausfällt. Offenbar differenzieren sich ältere last.fm Nutzer, so dass es eine gewisse Dichoto-
mität gibt: Bis etwa 30 hören die betrachteten Personen wenig hochkulturelle Genres, dann
fängt das Interesse aber relativ schnell und sprunghaft an. Eine sonstige spezielle Position
der Hochkulturgenres - z. B. in Bezug auf Freunde oder Aktivitätsniveau auf last.fm - kann
nicht erkannt werden. Dies steht wahrscheinlich mit der Datenbasis im Zusammenhang,
zumal Indikatoren des kulturellen Kapitals auf last.fm nicht abgefragt werden und hochkul-
turelle Musik allgemein untervertreten ist: Der durchschnittliche Anteil klassischer Musik
am Musikgeschmack beträgt gerade mal 0.5%, derjenige von Jazz 2.5%. Zudem stellt sich bei
klassischer Musik das Problem, dass die Tags differenziert, um nicht zu sagen zerfasert und
oft genug völlig willkürlich sind. Franz Schubert wird z. B. von classical, über romantic und
piano auch mit 19th century, classic rock (sic), indie, dead, gay, baroque und jazz umschrie-
ben. Bei populärkultureller Musik ist die Beliebigkeit deutlich tiefer und die Kategorien er-
scheinen treffender. Des Weiteren wird klassische Musik oft schlecht beschriftet und das ein-
deutige „Band - Songtitel“-Schema, wie es in der populären Musik bei der Wiedergabe durch
den Media-Player Standard ist, lässt sich nur schwer reproduzieren, weil Komponist und In-
terpret (Orchester, Dirigent) meist nicht identisch sind und manchmal das eine, manchmal
das andere in den Vordergrund gerückt werden soll. Dies verringert das Identifikationspo-
tential klassischer Musik auf last.fm weiter, denn aufgrund der uneinheitlichen Beschriftung
der Musik tauchen Komponisten oder Interpreten, die von der Hörhäufikgeit in die Top50
77
5 RESULTATE UND DISKUSSION
gehörten nicht dort auf und fallen aus der Analyse raus.
Trotzdem konsumieren vereinzelte Hörerinnen viel klassische Musik und Jazz. Diese User
möchte ich genauer betrachten. Insgesamt sieben Profile haben sowohl einen Jazz- als auch
einen Klassikanteil, der über 5% liegt, 22 User einen Klassikanteil über 5%, nicht aber einen
entsprechenden Jazzanteil, und 126 Personen überschreiten zwar bei Jazz nicht aber klassi-
scher Musik die 5%-Hürde. Diese Häufigkeiten legen nahe, dass klassische Musik und Jazz
nicht allzu häufig kombiniert werden und damit unabhängig voneinander stehen. Von ei-
ner einheitlichen Hochkultur aus Klassik und Jazz kann im last.fm Kontext nicht die Rede
sein. Die sieben Kombinierer von Jazz und klassischer Musik sind zwischen 32 und 58 Jahre
alt, geschlechtsmässig gleich verteilt, mit vier Männern und drei Frauen, haben mindestens
einen Freund auf last.fm und hören neben klassischer Musik und Jazz zwischen zwei und
sieben zusätzliche Genres. Die maximal gehörte Anzahl Genres der betrachteten Personen
beträgt also 9, die minimale 4, mit zwei Modi von 7 und 8 (je zwei Personen). Während ih-
re Konzentration des Musikgeschmacks gering ist - die Mehrheit verfügt über ein UHH von
deutlich über 0.9 -, zeigen die mittelhohen M Werte eine nicht allzu hohe oder tiefe mu-
sikalische Geschmacksbreite an. Wiederum bestätigt sich die in den Korrelationen bereits
manifestierte Tendenz, dass klassische Musik und Jazz auf last.fm nicht exklusive, sondern
ergänzende Genres darstellen und die analytische Trennung von high brow und low brow
keine entscheidende Rolle für die Zusammensetzung des Musikgeschmacks spielt.
Somit sieht sich die last.fm spezifische Omnivorizität nicht primär mit der Überschrei-
tung der Grenze von Populärkultur und Hochkultur konfrontiert, sondern stützt sich vor-
wiegend auf andere Bezüge. Immer wenn symbolisch besonders aufgeladene und strikte
Grenzen überschritten werden, sei es indem z. B. elektronische Musik mit Rock kombiniert
wird oder indem bei Liebhaberinnen alternativer und avantgardistischer Musik eine Aus-
einandersetzung mit Chartsound stattfindet, kommt diese durch die Zugänge des Internets
wesentlich mitgetragene Allesfresserei zur Geltung. Die verschiedenen Formen der Omni-
vorousness by Composition laufen entlang unterschiedlicher Achsen, von denen diejenige
des Status, wie er in der Kultursoziologie so zentral thematisiert wurde, nur eine von meh-
reren darstellt (Han 2003: 453). Hinzu kommen die Zeitachse (Klassiker vs. Avantgarde), die
angesprochene genreinterne Differenzierungsachse (Alternative vs. Mainstream) und weite-
re manifeste Trennungen geographischer (einheimische Volksmusik vs. internationale Pop-
musik) oder vielleicht auch geschlechtlicher Natur (Sängerinnen vs. Sänger). Eine empirisch
fundierte Theorie symbolischer Grenzziehung sollte diese Mehrdimensionalität berücksich-
tigen.
Zwei der sieben betrachteten Userinnen sind subscriber, haben also das last.fm Radio
abonniert. Auch die Anzahl gespielter Titel lässt kein herausstechendes Muster erkennen,
78
5 RESULTATE UND DISKUSSION
wobei Wenighörer bzw. weniger Aktive leicht übervertreten sind. Fünf der sieben Hochkul-
turellen haben weniger als 10000 Titel gescrobbelt, die restlichen beiden bewegen sich über
dem Durchschnitt, der 12600 abgespielte Songs beträgt. In Bezug auf die Selbstpräsentation,
wie sie durch das Bild bzw. Selbstportrait eingefangen werden soll, und die Anzahl Grup-
penmitgliedschaften offenbaren sich die hochkulturell Orientierten ebenfalls nicht ausser-
gewöhnlich. Auffällig ist dagegen die Tatsache, dass sich die betrachteten Profile eher selbst
exponieren, als dies in der Gesamtheit der Profile auftritt: Sie geben ihren Vor- und/oder
Nachnamen an oder haben zusätzliche Kommentare in der About me Spalte. Auf vier Profilen
sind die Namen klar ersichtlich, so dass auf die Identität ausserhalb des Netzes geschlossen
werden kann und ein männlicher User schreibt, er sei Psychiater oder Psychoanalyst von
Beruf, obwohl er seinen Namen nicht angibt. Betrachtet man ferner die ausschliesslichen
Klassikkonsumentinnen, als User, die einen Anteil von über 10%54 auf sich vereinigen und
wenig Jazz hören, so bleiben gerade mal zehn Profile übrig. Davon geben neun ihren vollen
Namen oder ihren Vornamen an, wobei in zwei Fällen angezweifelt werden kann, ob die An-
gaben stimmen. Trotzdem erstaunt dieses Resultat, in Anbetracht der Tatsache, dass bei den
jüngeren last.fm Usern sehr wenige ihren Namen nennen. Eigenbeschreibungen sind dage-
gen seltener vorhanden als bei den Jazz- und Klassik-Hochkulturorientierten. Eine weibliche
Userin gibt ihre Berufsbezeichnung an - Landwirtin - und ein männlicher User führt ein Ta-
gebuch, hat jedoch nur einen Eintrag verfasst. Offenbar legen die Klassik-Hochkulturellen
ein etwas anderes Selbstpräsentationsverständnis an den Tag als die übrigen und v. a. jün-
geren User. Dieses Verständnis orientiert sich, wie die Befunde jedoch nur oberflächlich an-
deuten, an Offline-Praxisaspekten mit eindeutiger Identifizierbarkeit.
Tabelle 12 auf der nächsten Seite beleuchtet die genaue Zusammenstellung des Musikge-
schmacks der Jazz- und Klassikhörerinnen. Keineswegs beschränken sich die hochkulturell
Orientierten auf klassische Musik und Jazz, denn daneben konsumieren sie weitere Genres.
Die Tags eletronica bzw. electronic und instrumental fallen dabei am stärksten ins Gewicht.
So wie die Jazz-Univoren im vorigen Unterabschnitt bevorzugen die hier betrachteten User
instrumentale gegenüber vokaler Musik. Unterstrichen wird dieser Schluss durch die an ers-
ter Stelle stehenden Tags piano und brass band, die ebenfalls dem instrumentalen Spektrum
zuzuordnen sind. Bei den reinen Klassikhörerinnen ohne Jazz, deren Tags hier nicht aufge-
führt werden, aber in der Syntax betrachtet werden können, ist dieses Bild noch deutlicher:
Hier sind praktisch keine vokalen Tags mehr zu finden und auch Pop ist kaum vertreten.
Stattdessen tauchen ungewöhnliche Markierungen wie lesser known yet streamable artists,
bach performance oder historically informed performance auf, die auf die oben angespro-
chene Fragmentiertheit der Klassiktags verweisen. Sehr selten kommt bei den reinen Klas-
54Angesichts der oben genannten Probleme in Bezug auf klassische Musik auf last.fm ist das schon viel.
79
5 RESULTATE UND DISKUSSION
Tabelle 12: Tags der Hochkulturinteressierten mit Interesse für Jazz und Klassische Musik
User 16 40 42 406 412 586 652
Tag1 electronic(10.0)
jazz(18.8)
classical(8.7)
piano(10.0)
pop(10.3)
b. b.(14.4)
jazz(9.2)
Tag2 classical(8.9)
classical(11.1)
electronic(8.3)
s.-s.(8.1)
rock(9.1)
st.(12.4)
fem. voc.(8.2)
Tag3 ambient(8.5)
piano(7.6)
jazz(7.6)
instr.(6.5)
fem. voc.(8.4)
instr.(6.3)
pop(8.2)
Tag4 electro.(7.0)
instr.(6.9)
instr.(6.8)
rock(6.0)
jazz(7.0)
jazz.(6.3)
rock(8.1)
Tag5 jazz(7.0)
guitar(6.9)
chillout(6.5)
classical(5.8)
classicrock (6.1)
classical(6.1)
s.-s.(5.8)
Tagcounts in Klammern, s.-s. = singer-songwriter, fem. voc. = female vocalists, electro. = electronica
instr. = instrumental, st. = soundtrack, b. b. = brass band, N = 7 Quelle: eigene Darstellung
sikhörern das opera Tag vor und bei den Kombiniererinnen von Jazz und klassischer Musik
sucht man dieses Label vergeblich. Wenn überhaupt klassische Musik über last.fm gescrob-
belt wird, dann handelt es sich um instrumentale Klänge, so dass diese hochkulturinterne
Grenze durchaus relevant scheint und sich der eingehenderen Betrachtung würdig erweisen
dürfte.
Die in diesem Unterabschnitt vorgebrachte Evidenz reicht nicht aus, um die Hypothe-
se zu bestätigen. Auf last.fm lassen sich die hochkulturellen Genres und deren Hörerinnen
nicht eindeutig von anderen, der Popkultur zuzuordnenden, Musikrichtungen unterschei-
den. Die wenig ausgeprägten symbolischen Grenzen zu den anderen Genres, wie sie sich in
den schwachen Korrelationen manifestieren, schlagen sich kaum in sozialen Grenzen nie-
der. Obwohl sich klassische Musik mit einem Durchschnittsalter der Konsumenten55 von
42.5, also fast zehn Jahre mehr als das Mittel des Datensatzes, und Jazz (Durchschnittsalter
37.5) etwas von den übrigen Genres abheben, genügen diese Differenzierungen nicht, um
von einer separaten Logik zu sprechen. Die Einzelprofilanalyse hat jedoch ergeben, dass Per-
sonen, die sowohl Jazz als auch klassische Musik konsumieren, eher bereit sind sich zu expo-
nieren, beispielsweise mit ihrem wirklichen Namen oder aufschlussreichen Eigenkommen-
taren. Zudem deutet sich eine symbolisch relevante Trennung von instrumentaler und voka-
ler Musik an. Jazz- und Klassik-Konsumentinnen - beides grossteils gesangslose Musikrich-
tungen - ergänzen ihren Musikgeschmack häufig durch primär instrumentale (Sub)Genres.
55Um das Durchschnittsalter der Genres zu berechnen, wurden alle Personen berücksichtigt, bei denen dieentsprechende Musikrichtung Anteile grösser als 0 ausmacht. Sobald jemand also irgendeine Band odereinen Künstler in den Top50 hat, der es mit einem entsprechenden Tag in die Top20-Tagliste geschafft hat,wird das Genre und somit die Hörerin gezählt.
80
5 RESULTATE UND DISKUSSION
5.2.4 Hypothese 6: Frauen hören häu�ger Female Artists als Männer
Laut dieser Hypothese zeigen sich geschlechtsspezifische Künstlerpräferenzen je nach Ge-
schlecht der Hörenden: Frauen hören häufiger female artists (FA) als Männer, letztere öfter
male artists. Weil der Anteil male artists hörender Profile sehr gering ist und diese Kategori-
sierung ganz im Gegensatz zu FA auf last.fm keine grössere Beachtung findet, konzentriere
ich mich bei der Überprüfung vorwiegend auf die Kategorie der weiblichen Künstlerinnen.
Eine erste Kreuztabelle offenbart keine eklatanten Hörunterschiede zwischen Frauen und
Männern in Bezug auf FA (siehe Tabelle 13 weiter unten). Jeweils etwa zehn Prozent aller
Userinnen und User haben ein geschlechtsbezogenes Tag in ihren Top20-Markierungen.
Bei den Frauen liegt der Anteil 2.5% höher, was einem totalen Weiblichkeitsüberschuss von
elf Hörerinnen entspricht. Auch der χ2-Test ergibt keinen signifikanten Unterschied zwi-
schen beobachteten und erwarteten Häufigkeiten und widerlegt damit einen Geschlechts-
einfluss auf die Künstlerpräferenzen. Wie sieht es aber anteilsmässig aus? Konsumieren FA-
Hörerinnen mehr solche Musik als ihre männlichen Hörgenossen? Der t-Test auf Mittelwert-
differenz verneint dies eindeutig. Es ist kein bedeutender Unterschied zwischen Männern
und Frauen in ihrer Hörintensität festzustellen, wie ebenfalls aus der folgenden Tabelle er-
sichtlich wird.
Tabelle 13: Kreuztabelle Geschlecht der User und Konsum von Female Artists mit Durchschnittswerten,Standardabweichung und Maxima der FA-Anteile
Nein Ja Durchschnitt Stdabw. Maximum Total
F r a u 392 46 0.45 1.46 11.74 438% 89.50 10.50 - - - 100
M a nn 403 35 0.39 1.44 8.85 438% 92.01 7.99 - - - 100
Total 795 81 0.42 1.45 11.74 876% 90.75 9.25 - - - 100
Quelle: eigene Darstellung
Wie wir aus dem deskriptiven Teil zur Zusammenstellung des Musikgeschmacks in Unter-
abschnitt 5.2.1 gesehen haben, sind die Korrelationen von FA mit den übrigen Nischengen-
res schwach ausgeprägt. Am ehesten erkennt man eine Identifikation mit Soul und Country
und am deutlichsten fällt die Abgrenzung von Punk aus. Ob sich daraus eine Maskulinität
des Punkgenres ableiten lässt, bleibt offen. Jedenfalls stände dieser Schluss in Einklang mit
Untersuchungen aus den Cultural Studies (vgl. Hebdige 1979), die bei der Rock ’n’ Roll- und
Punkszene v. a. männliche Beteiligung orteten und ein Szene-Involvement bei Frauen selte-
81
5 RESULTATE UND DISKUSSION
ner thematisieren konnten (Willis 1978, Bannister 2006, vgl. auch Otte 2008: 16 zum unter-
schiedlichen Engagement von Männern und Frauen in Jugend- und Clubszenen). Weibliche
Aspekte wurden am CCCR marginalisiert, was auch Kritik an den klassischen Autoren und
ihren Studien (Hall & Jefferson 1986, Willis 1978, Hebdige 1979) auslöste und zur Postulie-
rung einer weiblich geprägten bedroom-culture führte (McRobbie 1993). Aus dieser Perspek-
tive gälte es zu fragen, ob sich die Verlagerung subkultureller Aspekte ins Internet (Williams
2006) als Ausweitung dieser bedroom-culture und damit Feminisierung sozialer Praxis ver-
stehen lässt oder als eigenständige Entwicklung. Die empirischen Befunde deuten eher auf
letzteres hin: „[...] a new type of subculturalist is emerging - one whose subcultural partici-
pation is limited to the internet.“ (ebd.: 173)
Bei den Hauptgenres kovariiert FA am stärksten mit Pop, und zwar positiv. Das Pearson’s
r beträgt 0.27 und ist damit eines der höchsten im gesamten Datensatz. Offenbar sind diese
beiden „Genres“ - falls man bei FA von einem eigenen Genre sprechen kann - nahe beiein-
ander und weisen Parallelen auf. Die explorative Durchschau einiger bekannter Popkünstle-
rinnen wie Madonna, Britney Spears, Lady Gaga oder Rihanna zeigt denn auch, dass diese
an prominenter Stelle mit dem Etikett female vocalists oder female artists getagt wurden. Bei
bekannten männlichen Popsängern ist das geschlechtsspezifische Tagen weniger verbrei-
tet. Michael Jackson oder Lionel Richie werden beispielsweise selten als male artist getagt.
Neuere populäre Sänger, wie Robbie Williams oder Justin Timberlake, sehen sich zwar als
male vocalist markiert, jedoch nicht so häufig wie ähnlich gelagerte Sängerinnen. Bei Musi-
kerinnen wählen die Userinnen demnach andere Differenzierungen als bei Musikern, womit
das Geschlecht des Produzenten durchaus eine Rolle bei der Einordnung von Musik spielt.
Die unterschiedliche Betonung der Geschlechtsidentität bei Frauen und Männern gilt es zu
hinterfragen und mit den Produktionsprozessen der Musik in Verbindung zu bringen; inwie-
fern geschlechtsbezogene Identitäten für die Künstler selbst Relevanz geniessen, bzw. ob die
hier angedeuteten Trennungen für sie selbst erkennbar und handlungsleitend sind, stellen
anregende Forschungsfragen dar, die meines Wissens noch der Beantwortung harren.
Um die Profile der FA-Hörer genauer bestimmen zu können, wurden diese separat be-
trachtet. Während nur bei einer einzigen Hörerin mehr als 10% der Top20-Tags einen Ge-
schlechtsbezug aufweisen, sind es immerhin 31 Personen, die mehr als 5% ihrer meist ge-
hörten Musik als female artist benannt sehen. Im Durchschnittsalter, der Anzahl Freunde
und der Mitgliedschaft in Gruppen unterscheiden sie sich nicht gravierend vom Mittel auf
last.fm. Obwohl sie zwar ein etwas schmaleres Netzwerk aufweisen und geringfügig älter
sind, fallen sie nicht auffällig aus dem Rahmen. Die Regression im Anhang (Tabelle 24 auf
Seite 115) macht aber deutlich, wie der Interaktionseffekt und der quadrierte Alterseffekt auf
das Hörverhalten wirken: Bei den Männern fällt die Alterswirkung deutlich grösser aus als
82
5 RESULTATE UND DISKUSSION
bei den Frauen. Der Konsum von FA hängt bei letzteren überhaupt nicht vom Alter ab, denn
der Koeffizient - der sich auf die Referenzkategorie der weiblichen Userinnen bezieht - be-
trägt 0. Männliche Profile entwickeln dagegen mit zunehmendem Lebensalter eine Vorliebe
für die FA-Kategorie. Das stärkere Ansteigen bei den Männern könnte mit der steigenden
Präferenz für weichere Musik - und damit oft auch für Mainstream-Klänge oder weibliche
Sängerinnen, wie sie durch FA eingefangen werden - erklärt werden. Bei männlichen Usern
fiele die Spannweite in der Härte damit grösser aus und veränderte sich stärker mit dem Alter
als bei weiblichen.
Wie die Analyse der Tags der Ausreisser mit mehr als 5% FA-Anteil zeigt, kommt die Be-
zeichnung female vocalists mit Abstand am häufigsten in unmittelbarer Nähe von pop vor.
Auch mit den Tags singer/songwriter und folk bestehen Parallelen. Schliesslich ist auch das
Black Music-Genre „Soul und R’n’B“ in der Umgebung von FA zu finden.
Bei der Durchsicht der am häufigsten gehörten Bands und Artists verdeutlicht sich das
hier gezeichnete Bild. Auf Platz 1 der Top50 meist gehörten Acts befinden sich bei den 31 er-
wähnten Hörern lediglich vier Sänger und auch auf den folgenden Rängen dominieren klar
die weiblichen Künstlerinnen. Ähnlich wie bei klassischer Musik geben Userinnen, die viel
FA hören häufig ihren richtigen Namen an. 23 der 31 betrachteten Profile tun dies. Zudem
ergibt die lineare Regression mit den erhobenen unabhängigen Variablen einen negativen
Einfluss der Bildvariablen auf die FA-Anteile, der stark signifikant von 0 verschieden ist. Im
Vergleich zur Referenzkategorie „Kein Bild“ hören Personen mit einem Bild deutlich seltener
Musik weiblicher Sängerinnen. Die gleichen Differenzen sind bei „Selbstportrait“ ersicht-
lich: Auch hier deutet sich ein beträchtliches Gefälle zwischen Usern ohne und mit Bild an.
Die Selbstpräsentation mit dem eigenen Namen stellt also eine andere identitätsrepräsen-
tative Erklärungsdimension dar als die visuelle Darstellung durch ein aussagekräftiges Foto
und es gilt die Konzepte zu trennen. Obwohl der Einfluss der visuellen Selbstpräsentation
auf die Präferenz für FA nicht unmittelbar erklärbar ist, lassen sich verschiedene Adhoc-
Überlegungen ableiten: Zum einen könnten sich weniger exponierte und gleichzeitg intro-
vertierte User softere Musik reinziehen, zum anderen investieren sie vermutlich weniger Zeit
in die Pflege ihres Profils und Online-Netzwerks und verfügen deshalb über einen poporien-
tierten radiokompatiblen Geschmack mit vielen Sängerinnen, die sowohl dem Pop- als auch
dem FA-Bereich zugeordnet werden. Schliesslich sprechen andere nur dem verwegenen und
analytisch-reinen Denker - der ich zu meinem grossen Bedauern nicht bin - zugängliche
Gründe dafür.
In dieser Form kann die Hypothese verworfen werden. Das Geschlecht des Musikkon-
sumenten wirkt sich nicht auf die Präferenz für männliche oder weibliche Künstlerinnen
aus. Aus der Überprüfung lassen sich aber verschiedene Anschlussüberlegungen anbringen.
83
5 RESULTATE UND DISKUSSION
Dass die deutlich stärkere Betonung weiblicher Musikeridentität im Gegensatz zur männli-
chen nicht mit einer Überrepräsentation weiblicher Künstlerinnen im Musikgeschmack ein-
hergeht, versteht sich von selbst und wird u. a. von Schmutz’ (2009) Befunden erhärtet. Er
demonstriert, wie die Verbreitung des Internets keineswegs zur Einebnung maskuliner Do-
minanz in der Musikberichterstattung geführt hat: Nach wie vor nehmen Zeitungsberich-
te über männliche Musiker den grössten Teil der Feuilleton-Spalten ein und auch in den
Charts ist eine Überrepräsentation männlicher Künstler zu konstatieren (Dowd et al. 2005).
„Thus, as musical hierarchies shift, social boundaries based on gender are reproduced, with
male actors receiving the most media attention in the central genres of the musical field.“
(Schmutz 2009: 299) Erst die gesonderte künstlerbasierte Analyse der meist gehörten Bands
und Artists erhärtet, wie die Geschlechtsverhältnisse auf last.fm genau aussehen und be-
antwortet die Frage, ob sich die symbolische Grenze der Kategorisierung in der manifesten
Verhaltensäusserung widerspiegelt. Konkret ginge es darum zu zählen, wieviele Prozent der
gehörten Titel von Frauen, Männern oder gemischten Ensembles stammen. Diese Zahlen er-
gäben im Vergleich mit den Tag-Häufigkeiten und dem Geschlecht der Userinnen das wirk-
liche Bild sozialer Gender-Repräsentationen aus last.fm. Es ist anzunehmen, dass sich die
stärkere Betonung weiblicher Identität aus der Aussenseiter-Rolle ergibt, die Frauen in der
Musikwelt immer noch zukommt. Zudem könnte die symbolisch-diskursive Komponente,
wie sie durch die Markierung der Musik zum Ausdruck kommt, durch die Feldspezifik des
Internets beeinflusst sein.
5.2.5 Hypothese 7: Alternative vs. Mainstream
Diese Hypothese versucht Effekte der genreinternen Differenzierung festzumachen und fragt
danach, wie innerhalb von Genres symbolische Grenzen gezogen werden. Hier interessiert
besonders die Grenzziehung zwischen Indie und Rock, da diese Genres stilistische Ähnlich-
keiten aufweisen und eine Trennung nach rein inhaltlichen und formalen Kriterien schwer
fällt56. Zieht man die Definition im Theorieteil heran, haben wir es bei Rock und Indie aber
streng genommen mit zwei unterschiedlichen Genres zu tun: Es handelt sich um Musikrich-
tungen, die sich primär in Bezug aufs Publikum und auf das Selbstverständnis der Musi-
kerinnen unterscheiden. Mit etwas Abstraktionsvermögen können Rock als Mainstream-
Ausprägung gitarrenorientierter Musik und Indie als Alternative-Ausprägung als Beispiel der
Unterscheidung „Mainstream - Alternative“ betrachtet werden, obwohl dieses Spektrum viel
differenzierter ausfällt, als es mit den beiden Genrekategorien abgebildet werden kann (Hib-
56Beiden ist die Fokussierung auf die Live-Performance und das Konzept der Band gemein. Zudem steht so-wohl beim Rock als auch beim Indie - den man vielleicht am ehesten als eine spezielle Spielart oder Unter-form des Rock betrachten könnte - die E-Gitarre im Zentrum der Songs (Bannister 2006: 69).
84
5 RESULTATE UND DISKUSSION
bett 2005). Aufgrund der Datenlage bieten sich diese Formen gut an, um interne Differenzie-
rungsprozesse aufzuzeigen. Genauso gut hätte ich ähnliche Unterscheidungen in der elek-
tronischen Musik als Grundlage für die Untersuchung genreinterner Differenzierung neh-
men können oder Underground Rap vs. Gangsta Rap und Chartrap, aber hier bestand die
Problematik darin, dass elektronische Musik und Rap auf last.fm in der Schweiz untervertre-
ten sind und bei der vorhandenen Datenbasis Zufallseffekte mit hinein gespielt hätten.
Wie wir im deskriptiven Teil gesehen haben, bestehen zwischen Rock und elektronischer
Musik strikte Grenzen: Last.fm-User mit hohen Rockanteilen in ihrem Musikgeschmack hö-
ren selten elektronische Musik und umgekehrt. Mit -0.41 haben wir es bei dieser Korrelation
mit der stärksten von allen zu tun. Überraschenderweise zeigen sich zwischen Indie und
elektronischer Musik nicht annähernd so starke Zusammenhänge. Wie aus der folgenden
Tabelle ersichtlich wird, ist der Effekt schwach, obwohl auf dem 5%-Level von 0 verschie-
den. Diese Erkenntnis bezeugt, dass die Grenzen zwischen Indie und elektronischer Musik
keinesfalls so strikt sind wie zwischen Rock und elektronischer Musik.
Tabelle 14: Korrelation Indie- und Rockanteile mit anderen Genres
Rock Rap Elektro Klassik Pop Metal Jazz World
Indie 0.13 -0.18 -0.08 -0.17 -0.07 -0.19 -0.31 -0.21Rock - -0.24 -0.41 -0.08 0.12 0.18 -0.21 -0.14
Country Punk Schlager Reggae Soul Gothic FA
Indie 0.10 0.27 -0.12 -0.08 -0.35 -0.11 -0.12Rock n. s. 0.21 n. s. n. s. -0.10 n. s. -0.14
Alle angezeigten Korrelationen mindestens auf 5% Niveau signifikant, n. s. = nicht signifikant
N = 876, gelb markierte Felder: bedeutende Differenzen Quelle: eigene Darstellung
Gleichzeitig sind sich Indie und Rock weniger ähnlich, als man auf den ersten Blick anneh-
men könnte. Die Korrelation gestaltet sich zwar positiv, ist aber mit 0.13 nicht übermässig
stark. Die grössten Unterschiede zwischen den beiden Genres sehen wir in ihrem Verhält-
nis zu Pop und Metal. Bei beiden Korrelationen fällt das unterschiedliche Vorzeichen in den
Blick. Während Rock mit Pop positiv korreliert ist, steht Indie in einem negativen Verhältnis.
Indiehörer, die gleichzeitig Pop hören sind also deutlich unwahrscheinlicher als Rockhöre-
rinnen mit einer Schwäche für Pop. Hier kommt die im Theorieteil besprochene Unterschei-
dung von Mainstream und Alternative zur Geltung: Die Indiehörerinnen widersetzen sich in
ihrem Geschmack einer Kombination dieser Spektren, indem sie sich von Pop abgrenzen,
85
5 RESULTATE UND DISKUSSION
die Rockhörer durch die Ablehnung des eher alternativ konnotierten Genres der elektroni-
schen Musik. Geht man davon aus, dass sich Pop als chartorientierte Musik klar dem Main-
stream zuordnen lässt, so macht das unterschiedliche Vorzeichen durchaus Sinn. Ähnlich
sieht es bei Metal aus: Hier ziehen indiezentrierte Hörer symbolische Grenzen, die Rockaf-
fine nicht ziehen. Als Rock getagte Musik ist einerseits näher bei Pop und Metal, anderer-
seits weiter entfernt von elektronischer Musik als Indie. Eine bedeutende Differenz lässt sich
auch in Bezug auf klassische Musik erkennen. Die leichte bis mittelhohe negative Korrelati-
on zwischen Indie und klassischer Musik deutet eine seltenere Kombination dieser beiden
Musikrichtungen an, als man aufgrund ihrer Position im sozialen Raum annehmen könnte.
Bemerkenswert ist zudem die starke Grenze zwischen Indie und den traditionell schwar-
zen Genres Jazz und Soul. Hier sind die Verhältnisse - relativ gesehen zu allen betrachteten
Korrelationen - beträchtlich, und zwar negativ: Jemand, der Indie und Alternative zugeneigt
ist, hört wenig Soul und Jazz und Jazz-Liebhaberinnen und Soul-Fans können mit Indie we-
nig anfangen. Auch innerhalb weniger chartorientierter Musik existieren damit grosse Un-
terschiede und symbolische Grenzen, die sich wohl an verschiedenen Produktionslogiken
orientieren und auch ethnisch aufgeladen sind.
Indie steht seinerseits mit Punk in einem Symbioseverhältnis. Dies dürfte mit der jungen
Klientel und Gitarrenfokussiertheit beider Genres zu tun haben. Zudem betont sowohl Indie
als auch Punk die DIY-Ethik und beide Richtungen sind weiss und besonders mit britischem
Musikschaffen und Hintergrund konnotiert (Bannister 2006). Diese Charakteristika teilt die
Musikrichtung mit Rock, der auch mit Punk positiv kovariiert. Die negative Korrelation bei-
der Genres mit dem FA-Tag zeigt an, dass die Musikrichtungen auf der Produktionsseite eher
männerdominiert sind. Was die Dekadenangaben angeht, so ist nur eine Korrelation signifi-
kant von 0 verschieden, nämlich diejenige zwischen Indie und 70s. Alle anderen Werte liegen
sehr nahe bei 0, womit weder Rock noch Indie eine besonders epochenspezifische Musi-
krichtung ist.
Um die Soziodemographie der Hörerschaft von Rock und Indie besser zu verstehen, habe
ich Korrelationen mit den metrischen Variablen im Datensatz und den erwähnten Genres
gerechnet. Auf Anhieb fällt der Altersunterschied der beiden Musikrichtungen auf. Während
das Alter und der Indieanteil mit einem Pearson’s r von -0.36 im Rahmen des Datensatzes
und der darin vorkommenden Korrelationen gesehen stark negativ korreliert sind und der
Indieanteil im Musikgeschmack mit jedem Altersjahr abnimmt, stellt Rock ein Genre für äl-
tere Leute dar. Denn hier steigt der Anteil mit der Zeit, obwohl die Korrelation mit 0.08 nicht
allzu hoch ausfällt und nur auf dem 5%-Signifikanzniveau von 0 verschieden ist. Die Alters-
unterschiede zwischen Rock und Indie decken sich mit Ottes (2008: 11) Differenzierung von
„älterem“ und „neuerem Rock“ und lassen auf eine kontextunabhängige Gültigkeit der Ko-
86
5 RESULTATE UND DISKUSSION
hortengrenze als symbolisch relevantes Prinzip schliessen. In Bezug auf die Anzahl Freunde,
die Gruppenmitgliedschaften und die gespielten Songs sind keine relevanten Effekte festzu-
stellen, weil alle Korrelationen sowohl bei Rock als auch bei Indie nahe bei 0 liegen.
Tabelle 15 enthält die kontrollierten Effekte und beschreibt damit die soziale Strukturiert-
heit der beiden Genres.
Tabelle 15: OLS Regression Rock- und Indieanteile auf Alter und andere Variablen
Indie Rock
Al t e r -0.428*** -0.052(0.064) (0.042)
Al t e r 2 -0.018*** 0.000(0.003) (0.002)
Al t e r ∗G e s c hl e c ht 0.290*** 0.119**(0.082) (0.060)
G r u p p e n -0.029 -0.006(0.062) (0.040)
F r e u nd e 0.015 -0.032(0.036) (0.018)
Bi l d (Ref.: kein Bild) 2.824** 0.241(1.350) (1.016)
Se l b s t por t r a i t 1.147 -0.666(1.285) (0.982)
G e s c hl e c ht (Ref.: Frau) -4.321*** 1.433**(0.917) (0.608)
Son g s 0.017 0.022(0.000) (0.000)
Kons t a nt e 20.90*** 11.640***(1.342) (0.985)
N 876 876R2 0.204 0.028
*** p<0.01, ** p<0.05, * p<0.1 Robuste Standardfehler in Klammern
Quelle: eigene Darstellung
Ähnlich wie das Alter differenziert auch das Geschlecht die Musikrichtungen Rock und
Indie stark. Wie die geschlechtsgetrennte Berechnung des Mittelwertes demonstriert, un-
87
5 RESULTATE UND DISKUSSION
terscheiden sich Männer und Frauen um nicht weniger als 8.4% beim durchschnittlichen
Indieanteil - und zwar zugunsten der Frauen. Frauen im Sample hören also deutlich mehr
Indie als Männer. Bereinigt man den Geschlechtseffekt um das Alter und die übrigen erhobe-
nen Variablen, ist die Differenz im Indieanteil zwischen Frauen und Männern mit 4.3% nur
noch halb so gross, aber immer noch beträchtlich. Der deutliche Männerüberschuss, den
fast alle Genres aufweisen, wird praktisch im Alleingang von Indie wettgemacht. Im Gegen-
satz zu empirischen Befunden, die v. a. bei Männern szenespezifisches Kapital orteten (Otte
2008: 16) oder Indie als eher männerlastige Musikrichtung betrachteten (ebd.: 11, Bannister
2006), deuten diese Ergebnisse an, dass im Internet andere Regeln gelten als beim Ausgehen
oder subkulturellen Engagement, denn last.fm zieht viele junge Frauen an, die Alternative
und Indie hören.
Wie bei der vorherigen Hypothese können verschiedene Mutmassungen über das Zustan-
dekommen des Unterschieds angestellt werden. Szenetheoretisch lässt sich mit der Verlage-
rung subkultureller Aspekte ins Internet und der bedroom-culture argumentieren (McRob-
bie 1993, Williams 2006): Demnach haben weibliche Jugendliche mit Online-Foren und Co-
mmunity-Sites eine Möglichkeit gefunden ihr bisher eher privat gelebtes und daher - von
der empirischen Forschung - kaum beobachtetes Szeneinteresse und -wissen manifest ein-
zubringen und offenzulegen. Eine andere, bedeutend näher liegende Erklärung hat mit der
Datenbasis und Selektionsaspekten zu tun. Wie im vorherigen Kapitel erläutert, lassen das
Sampleverfahren und die nicht genaue bekannte last.fm-Grundgesamtheit nur sehr vorsich-
tige Schlüsse auf Praktiken ausserhalb des Netzes zu. Zwar liegt die Konzentration des Mu-
sikgeschmacks der angemeldeten Männer tiefer als diejenige der Frauen - wohl entschei-
dend verursacht durch die Musikrichtung Indie -, aber dieser Befund könnte über die An-
meldungsentscheidung vermittelt sein: Weil die Vertrautheit mit computer- und internet-
spezifischem Wissen sowohl bildungs- als auch alters- und geschlechtsabhängig ist (Zillien
2006: 225, Marr 2005: 141-143), meldet sich bei den Männern vermutlich eine bildungsmäs-
sig breiter gestreute Hörerschaft auf last.fm an als bei den Frauen. Bei letzteren sind es wohl
hauptsächlich Hochgebildete, zum grossen Teil Studentinnen oder sich noch in der Ausbil-
dung Befindliche. Damit haben wir es mit einem relativ homogenen Sample zu tun, in dem
sich Indie grosser Beliebtheit erfreut. Die altersmässig breitere Streuung der Männer, wie
sie beim Suchvorgang zum Ausdruck kam, trägt ihr Übriges zur heterogeneren Mischung im
Gegensatz zu den Frauen auf der Community-Site bei. Schliesslich lassen sich zeitgeschicht-
liche Faktoren als Erklärungsgrundlage hinzuziehen. Nach dieser Adhoc-Hypothese haben
sich die Rezeptionsstrukturen von Rock und Indie in den letzten Jahren verändert. Im Alter
von 16-20 und in der frühen Erwachsenenphase hätte Indie besonders bei den Frauen vie-
le neue Hörerinnen erreicht, die sich mit zunehmendem Alter aber relativ schnell anderen
88
5 RESULTATE UND DISKUSSION
Musikrichtungen zuwenden.
Als mögliche theoretische Erklärung für den Unterschied zwischen dem Online- und Off-
line-Verhalten oder die geschlechtsmässig bedingte Selektion bietet sich die Differenz von
„Hochkostensituationen“ und „Niedrigkostensituationen“ an (Rössel 2006b: 458). Während
die Anmeldung auf einer Community-Site wie last.fm mit geringem Aufwand verbunden ist
und damit eine Niedrigkostensituation darstellt, handelt es sich beim längerfristigen und
zeitintensiven Szeneengagement um eine Hochkostensituation. Dort spielen Zugangs- und
Ressourcenfragen stark mit hinein und so können sich die traditionell männlich konnotier-
ten Normen und Werte über die Zeit hinweg halten. Eine Bestätigung dieser Vermutung
in der Form eines systematischen Vergleichs zwischen Online- und Offline-Praxisaspekten
brächte einiges an Erkenntnisgewinn.
Was das Alter angeht, bestätigen sich die unterschiedlichen Einflüsse, die bei der biva-
riaten Korrelation zutage traten, in der Kontrolle durch die Regression teilweise. Indie ist
bei jüngeren Userinnen beliebt, Rock dagegen global gesehen nur schwach altersabhängig.
Allerdings gilt es hier nach Geschlecht zu differenzieren: Die leicht positive Korrelation zwi-
schen dem Alter und dem Rockanteil, die oben angeführt wurde, ensteht ausschliesslich auf-
grund der Männer. Bei ihnen wirken sich zusätzliche Lebensjahre signifikant positiv auf den
Konsum von Rockmusik aus, bei den Hörerinnen dagegen nicht. Letztere hören unabhängig
von ihrem Alter weniger Rock als Männer, dies dafür aber auf konstantem Niveau, d. h. ohne
Veränderung über die Zeit hinweg. Während sich der Alterseffekt bei Rock linear gestaltet
und keine Vergrösserung oder Verkleinerung mit jedem Jahr zu beobachten ist, sinken die
Anteile bei Indie konkav: Ältere Leute hören weniger Indie, als dies unter linearer Abnahme
vermutet werden könnte. Zugleich deutet der Interaktionseffekt eine Parallelität der Alters-
und Geschlechtskombinationen für beide Musikrichtungen an. Sowohl die Mainstream- als
auch die Alternative-Form weisen grössere Alterseffekte für Männer als für Frauen auf. Bei
Indie-Hörerinnen lässt die Präferenz für ihre Lieblingsmusik schnell nach, bei Indie-Hörern
ist die Vorliebe etwas nachhaltiger.
Ein letzter bedeutender Effekt in der obigen Regression betrifft das Bild. Während die vi-
suelle Selbstpräsentation bei den meisten übrigen Genres keinen signifikanten Einfluss auf
den Höranteil ausübt, spielt diese Variable bei Indie eine Rolle, denn der durchschnittliche
Indieanteil zwischen Usern mit und ohne Bild beträgt fast 3% und ist auf dem 5%-Niveau si-
gnifikant. Damit deutet sich eine offenere Selbstdarstellung bei Indiekonsumenten an, als es
bei den übrigen Musikrichtungen der Fall ist. Da sich auf last.fm viele Rock- und Indiehöre-
rinnen tummeln, könnte dieses Resultat durch eine „natürliche Geborgenheit“ in einem ver-
trauten Habitat begründet sein: Unter seinesgleichen ist man eher bereit sich zu exponieren
als in einer fremden Umgebung, die last.fm beispielsweise für chartorientierte Sounds und
89
5 RESULTATE UND DISKUSSION
FA-Hörer darstellt.
Schliesslich sticht der Unterschied in der erklärten Varianz zwischen den beiden Gen-
res ins Auge. Er bedeutet eine ungleiche Determiniertheit der Hörerschaft, so dass Rock ei-
ne breitere, übergeordnetere und sozialstrukturell weniger fassbare Musikrichtung als Indie
darstellt. Von allen in dieser Arbeit betrachteten Genres ist Indie dasjenige mit dem gröss-
ten R2. Einerseits hat dies sicherlich mit dem Datensatz und dem Charakter von last.fm als
indielastige Community zu tun, andererseits spricht einiges dafür, dass solche Strukturiert-
heiten in abgeschwächter Form auch ausserhalb des Netzes zutage treten. Wir dürften auch
dort symbolische Grenzen antreffen, die sich in sozialen Grenzen manifestieren, so wie das
hier der Fall ist.
Rock
Ältere undmännliche
Hörerschaft
Mainstream
Abrenzung:Elektroni-
sche Musik
Indie
Junge undweibliche
Hörerschaft
Alternative
Abgrenzung:Black Music
Abbildung 17: Unterschiede zwischen Rock und Indie auf last.fm
Abbildung 17 veranschaulicht die in den Daten angetroffenen symbolischen und sozialen
Grenzen zwischen Rock und Indie. Ein Teil der unterschiedlichen Logik ist wohl auf die Re-
codierung zurückzuführen, denn die Rockgenres umfassen v. a. ältere Formen gitarrenorien-
tierter Musik (classic rock, glam rock und progressive rock), während Indie eher mit stilistisch
neuerem Schaffen einhergeht57.
Zusammenfassend sehe ich diese Hypothese als bestätigt an. Es gilt aber im Hinterkopf zu
behalten, dass sie lediglich beispielhaft an einer auf last.fm populären Genreunterscheidung
überprüft wurde. Eine tiefgreifendere Bestätigung erfordert die Analyse anderer Genrekon-
texte, z. B. im Rap oder in der elektronischen Musik. Kombiniert mit den lose angedeuteten
57So lässt sich die Entstehung der meisten von mir dort eingeordneten Tags - grunge, britpop, post-rock oderpost-punk - eindeutig in die 80er und 90er Jahre des letzten Jahrhunderts verorten, während die Rockgenresfrüher entstanden.
90
5 RESULTATE UND DISKUSSION
Befunden zu Hypothese 5 (Hochkultur vs. Populärkultur) und Hypothese 6 (FA) sieht sich
die Multidimensionalität musikalischer Distinktion bestätigt. Die Achse „Mainstream - Al-
ternative“ spielt im Internet zwar eine Rolle, wird aber teilweise von anderen Kriterien - z.
B. der Zeitdimension - überlagert und kontrolliert. In der zukünftigen Untersuchung soll-
te herausgearbeitet werden, wie stark diese Interpenetration ausgeprägt ist. Zudem müsste
man klären, ob die gefundene sozialstrukturelle Trennung ihrerseits strukturierend wirkt,
z. B. in der Form von Freundeskreisen, Geschmackskulturen oder gar sozialer Schliessung.
Im skizzierten multidimensionalen Modell des Musikgeschmacks müsste also einerseits die
Feldspezifik der "Mainstream - Alternative“ Unterscheidung berücksichtigt werden, ande-
rerseits sollten die manifesten Verhaltensweisen mit dem sozialen Kontext verknüpft und
die diskursiven Ladungen über qualitative Verfahren ergründet werden (vgl. Atton 2009).
Das dem Kapitel vorangestellte Zitat aus einem Musikforum macht nämlich klar, wie viel-
fältig und verschiedenartig gesellschaftliche Akteure musikalische Kategorien auffassen und
in ihren Alltag einbringen.
5.2.6 Hypothese 8: Rap ist das dominante Musikgenre bei der jungen
Bevölkerung
Tanner et al. (2008: 121) sagen, dass Rap heute das dominante Genre bei den Jugendlichen
ist und Rock damit abgelöst hat. Sind diese Ergebnisse auch für last.fm in der Schweiz halt-
bar? Wie die deskriptive Analyse verdeutlicht, wird Rap selten ergänzend gehört. Fast 80%
aller untersuchten Profile hat kein entsprechendes Tag in seinen Top20, hört also sehr we-
nig oder gar keinen Rap. Die übrigen 20% verteilen sich relativ gleichförmig auf Anteile von
1% bis 50%. Mit elf Profilen mit einem Rapanteil grösser 40% vereinigen nur wenige Profi-
le univore oder quasi-univore Hörmuster auf sich. Damit wird die zuvor schon angetönte
Marginalisierung dieser Musikrichtung - und von Black Music allgemein - auf last.fm be-
stätigt, wenn auch bei der jungen Hörerschaft weniger stark als bei der älteren. Auffällig ist
die identische Verteilung von Metal und Rap auf last.fm (siehe Abbildung 18 im Anhang).
Beide Musikrichtungen stellen die gleich hohe Anzahl Nichthörer und auch bei den Höre-
rinnen deckt sich das Muster fast perfekt. Die in den Korrelationen zwischen beiden Gen-
res gefundene symbolische Grenze geht also weder mit einer sozialstrukturellen noch mit
einer (hör)verhaltensmässigen Trennung einher. Auch hier könnte sich die Integration von
bereichsspezifischen Diskursen in den Analyserahmen lohnen.
Um die in der Hypothese angesprochene Jugendlichkeit des Rap zu überprüfen, wurden
die 16-20-jährigen Userinnen gesondert betrachtet. Als Referenzkategorie dient die nächst-
gelegene Altersgruppe der 21-30-Jährigen. Von den 133 16-20-Jährigen haben 46 Personen
91
5 RESULTATE UND DISKUSSION
mindestens ein rapbezogenes Tag in ihren Top20. Mit rund einem Drittel der Alterskategorie
ist das anteilsmässig deutlich mehr als im gesamten Datensatz. Der durchschnittliche Ra-
panteil bei den 16-20 Jährigen beträgt 6.5% und liegt damit 4% über dem Gesamtwert. Bei
den 46 Raphörern beträgt der Durchschnitt 18.8%. Exklusive Raphörerinnen sind also eben-
so selten wie ergänzende.
Tabelle 16: Kreuztabelle Alter der User und Konsum von Rap mit Durchschnittswerten, Standardabwei-chung und Maxima der Rapanteile am Musikgeschmack
Nein Ja Durchschnitt Stdabw. Maximum Total
16 bis 20 87 46 6.50 12.36 50.65 133% 65.41 34.59 - - - 100
21 bis 30 179 70 3.24 8.64 54.21 273% 71.89 28.11 - - - 100
Total 266 116 4.31 10.11 54.21 382% 69.63 30.37 - - - 100
Quelle: eigene Darstellung
Von denjenigen, die fast ausschliesslich Rap hören und einen Anteil von mehr als 40% auf-
weisen, sind auffällig viele männlich: nur eine Frau befindet sich unter den elf Usern, für die
dies zutrifft. Auch altersmässig bilden die Rap-Univoren eine homogene Gruppe, denn alle
Betrachteten sind jünger als 30, mit einem Maximalalter von 28 und einem arithmetischen
Mittel von 22. Die relative Jugendlichkeit des Rap-Genres lässt sich kaum bestreiten.
Die Regression in Tabelle 9 (Seite 70) bestätigt die Jugendlichkeit, denn der Alterseffekt ist
für Frauen und Männer stark signifikant von 0 verschieden und negativ ausgeprägt. Weil der
Rapanteil bei Männern schneller abnimmt als bei Frauen und der kontrollierte Geschlechts-
unterschied eindeutig zugunsten der männlichen Profile ausfällt, kann die Hypothese nicht
in gleichem Mass für beide Geschlechter verworfen werden. Bei den jüngeren männlichen
Usern stellt Rap ein wichtiges Genre dar. Nach Indie, Metal und Rock ist es die viertbeliebtes-
te Musikrichtung, wobei die Abstände nicht allzu gross ausfallen. Eine eindeutige Hegemo-
nie einer bestimmten Musikrichtung ist somit nicht zu konstatieren, so dass die ursprüngli-
che Hypothese folgendermassen modifiziert werden kann: „Rap gehört zusammen mit an-
deren Genres zu den dominanten Musikformen bei der jungen männlichen Hörerschaft.“
Allerdings stehen viele gitarrenlastige Richtungen weit oben, so dass auf der Ebene der Me-
tagenres oder taste patterns ein anderes Bild zu zeichnen ist. Hier dominieren auch bei den
Jüngsten rockorientierte Richtungen und Black Music läuft unter ferner Liefen. Ganz anders
als bei den männlichen Usern sieht es bei den Userinnen in der Altersgruppe der 16-20-
Jährigen aus: Hier ist eindeutig Indie das Genre der ersten Wahl und Rap verfügt über klaren
92
5 RESULTATE UND DISKUSSION
Nischenstatus. Somit muss die Hypothese für junge Frauen vollständig verworfen werden.
Tabelle 17: Beliebteste Genres bei den 16-20 Jährigen nach Geschlecht
Rang Männer Frauen
1 Indie (16.21) Indie (21.44)2 Metal (13.68) Rock (13.33)3 Rock (12.30) Punk (8.40)4 Rap (10.84) Metal (7.62)5 Punk (10.66) Pop (5.46)6 Elektronische Musik (4.40) Elektronische Musik (5.28)7 Pop (3.31) Rap (3.88)
N = 876, durchschnittliche Genreanteile in Klammern
Quelle: Eigene Darstellung
Wie stellen die Rap-Univoren ihren Musikgeschmack zusammen und in welchen subgenre-
und genrebasierten Mischungen erhärten sich die oben aufgeführten Makroresultate auf der
Mikroebene, d. h. wie wirken sich die symbolischen Grenzen geschmackskonstituierend auf
die Präferenzen einzelner Individuen aus? Um dieser Frage nachzugehen und damit den
Stellenwert von Rap bei den jüngeren Usern genauer zu ermitteln, habe ich ein vergleichen-
des Verfahren gewählt und dabei Soul- und Rap-Vielhörerinnen einander gegenübergestellt:
Weil die Musikrichtung Soul in dieser Arbeit von Rap getrennt wurde und somit von einer
einheitlichen Black Music nicht die Rede sein kann, möchte ich kurz auf die Unterschiede
und Gemeinsamkeiten der beiden Genres eingehen. Es wäre schliesslich möglich, dass die
Hypothese in abgeschwächter Form für Black Music zutrifft und die Berücksichtigung der
rapnahen Tags rnb und soul Erkenntnisgewinne über die Konsummuster der last.fm User-
innen zuliesse. Am besten manifestieren sich die Grenzen zwischen den beiden Musikrich-
tungen in den Tags und Künstlerpräferenzen. Wie Tabelle 18 auf der nächsten Seite andeutet,
sind Rap und Soul symbolisch unterscheidbar, obwohl Überlappungen bestehen. Bestätigt
wird dieser Befund auch durch die mittelhohe Korrelation von 0.15 zwischen den beiden
Genres.
Während die Rap-Univoren58 - mit der Ausnahme von reggae und rnb - über keine rapfrem-
den (Sub)Genres in ihren Top5-Tags verfügen, offenbaren die Soul-Affinen59 ein differenzier-
teres Bild. Sie kombinieren Soul sowohl mit der anderen Black Music Richtung (Rap) als auch
58Als Kriterium für Rap-Univorizität wurde die oben angesprochene 40% Hürde gewählt, womit elf Hörer die-ser Gruppe angehören.
59Hier liegt die Hürde mit 25% etwas tiefer, weil Soul-Tags seltener mit hohen Anteilen vorkommen als Rap-Tags. Insgesamt neun Profile erfüllen das Kriterium.
93
5 RESULTATE UND DISKUSSION
Tabelle 18: Tags ausgewählter Black Music Interessierter
Rap UnivorenUser 1 7 29 313 404 658 719
Tag1 hip-hop(22.2)
hip-hop(18.2)
hip-hop(17.1)
rap(15.2)
hip-hop(17.2)
hip-hop(16.1)
rap(18.6)
Tag2 hip hop(15.8)
rap(16.8)
rap(14.5)
hip-hop(14.8)
rap(13.7)
rap(13.3)
hip-hop(16.5)
Tag3 rap(10.6)
hip hop(11.7)
hip hop(11.1)
hip hop.(11.1)
hip hop(11.0)
hip hop(10.6)
hip hop(12.5)
Tag4 un. h-h.(9.1)
hiphop(6.0)
hiphop(5.6)
rnb(7.0)
un. h-h.(6.5)
hiphop(4.9)
gan. rap(6.6)
Tag5 reggae(5.3)
un. h-h.(5.6)
un. h-h.(5.3)
gan. rap(5.5)
jazz(4.7)
gan. rap(4.3)
hiphop(5.9)
Soul UnivorenUser 34 79 134 186 570 614 623
Tag1 funk(17.4)
soul(12.2)
soul(12.7)
blues(23.7)
funk(9.7)
hip-hop(12.6)
rnb(12.3)
Tag2 soul(14.4)
rnb(7.5)
jazz(12.2)
rock(7.9)
pop(8.6)
soul(12.1)
soul(11.9)
Tag3 jazz(12.4)
hip-hop(7.3)
rnb(6.5)
jazz(7.1)
soul(8.6)
hip hop(7.0)
pop(6.5)
Tag4 el.(6.0)
jazz(6.6)
chillout(6.4)
bl. rock(6.6)
jazz(7.6)
rnb(7.0)
hip-hop(6.5)
Tag5 nu jazz(5.4)
fem. voc.(5.7)
funk(6.0)
cl. rock(5.6)
rock(7.2)
rap(7.0)
fem. voc.(6.1)
Tagcounts in Klammern, und. h-h. = underground hip-hop, gan. rap = gangsta rap, el. = electronic, fem.
voc. = female vocalists, bl. rock = blues rock, cl. rock = classic rock, N = 14 Quelle: eigene Darstellung
mit eher weiss konnotierten Genres, wie elektronischer Musik oder klassischem Rock. Mit FA
und Pop sind zudem mainstreamlastige Genres weit oben in der Präferenzliste. Innerhalb
von Soul bestehen distinktive Konnotationen, die durch das Zusammennehmen verschie-
dener Subgenres in eine übergeordnete Kategorie verloren gehen: So weisen die Tags soul
und rnb Affinitäten mit Rap auf, was sich im Kombinieren der Markierungen bei den Usern
79, 614 und 623 äussert. Im Gegensatz dazu zeichnen sich Hörerinnen von Blues und Funk
durch die Abwesenheit von Rap-Tags aus. Gleichzeitig konsumieren sie Jazz und Rock - zwei
Richtungen, die bei den Rap-Univoren und auch bei den R’n’B- und Soul-Orientierten feh-
len.
Damit bestätigt sich die im vorherigen Unterabschnitt bei Hypothese 7 gefundene interne
Trennung nach der Altersachse auch für Black Music. Auf der einen Seite finden wir mit Rap
94
5 RESULTATE UND DISKUSSION
und R’n’B zwei bei der jüngeren Hörerschaft anzusiedelnde Genres, auf der anderen Seite
stehen mit Funk und Blues zwei bei älteren Leuten beliebte Richtungen. Die Soul-Kategorie
stellt ein Mittelding dar, da sie bei den unterschiedlichen hier betrachteten Black Music-
Formen Anschluss findet und sich nicht eindeutig verorten lässt. Innerhalb der jüngeren
Ausprägung mit Rap und R’n’B finden sich geschlechtsspezifische Ladungen. Die Männer
sind eher Rap-Liebhaber, die Frauen dagegen R’n’B-Freundinnen. Letzteres verdeutlicht sich
in der Tatsache, dass von den 14 Personen mit einem Soulanteil grösser als 20% nur die weib-
lichen Profile überhaupt über das rnb Tag verfügen.
Mit Hinblick auf die zuvor konstatierte Dominanz von Rock und Indie auf last.fm kann von
einer Bestätigung der Hypothese insgesamt nicht die Rede sein. Obwohl die hier betrachte-
te Hörerschaft aufgrund der Altersgrenze von 16 Jahren auf last.fm nicht eindeutig mit der
jüngeren Stichprobe von Tanner et al. (2008) vergleichbar ist, hätten doch höhere Rapanteile
in der jüngsten Kohorte erwartet werden können. Stattdessen stellt die Analyse Rap auf eine
Ebene mit Metal, denn beides sind Genres, die selten ergänzend gehört werden und damit
als Nischenrichtungen fungieren. Andererseits wäre es naiv aus den Daten zu folgern, dass
Indie das dominante Genre bei der jungen Bevölkerung darstellt. Für last.fm in der Schweiz
mag dies - besonders bei den weiblichen Userinnen - zutreffen, aber ausserhalb dieses be-
grenzten Rahmens sind die Resultate kaum haltbar. Vielmehr drängt sich der Schluss auf,
dass keine Dominanz einzelner Genres herrscht, sondern ein Nebeneinander mit gelegent-
lichen Mischungen. Jüngere Userinnen sind dabei durchaus selektiv, was die Wahl spezifi-
scher Genres angeht und Vorbehalte gegenüber anderen Gruppen äussern sich in den z. T.
strikten symbolischen Grenzen. Um Hypothese 8 eingehender zu überprüfen, könnten in
Zukunft spezielle Samples bestehend aus lediglich 16-18-Jährigen gesammelt werden.
95
6 Schluss
Diese Lizentiatsarbeit hat gezeigt, dass sich symbolische Grenzziehungen im Internet nicht
völlig anders gestalten als im Offline-Kontext. Es gilt jedoch gewichtige Unterschiede zu ver-
merken, die sich in der vollständigen oder teilweisen Widerlegung aller Hypothesen ausser
einer manifestieren. Wie in der folgenden Tabelle ersichtlich wird, konnte nur Hypothese 7
komplett bestätigt werden. Drei Behauptungen wurden in Aspekten widerlegt, teilweise aber
auch bestätigt, und vier musste ich ganz verwerfen. Auf die zentralen Befunde der Arbeit und
ihre theoretischen Implikationen möchte ich nun eingehen.
Tabelle 19: Übersicht über die überprüften Hypothesen
H1 H2 H3 H4 H5 H6 H7 H8
Resultatp/ X X
p/ X
p/ X X X
pX
p= Bestätigung, X =Widerlegung,
p/ X = teilweise Bestätigung
Die musikalische Geschmacksbreite ist auf last.fm zwar altersabhängig, aber der Zusam-
menhang gestaltet sich nicht umgekehrt u-förmig, wie erwartet. Während ältere User einen
weniger konzentrierten Musikgeschmack aufweisen als ihre jüngeren Hörgenossinnen, sind
sie gleichzeitig selektiver. Kurz, sie hören weniger Genres, behandeln diese untereinander
aber ähnlicher. Im gemischten Effekt, wie er durch Mayer’s Index of Uniformity eingefangen
wird, überwiegt der Selektivitätsaspekt, denn hier bleibt ein negativer Regressionskoeffizient
beim Alter60. Versteht man unter einem breiten Musikgeschmack also die Präferenz für viele
Genres, so sinkt der Eklektizismus mit jedem Jahr, wenn auch nicht stark. Mögliche Gründe
dafür könnten lebenszyklischer oder netzwerkbezogener Art sein: Mit zunehmendem Alter
spielt Musik im Freundeskreis nicht mehr die gleiche Rolle und es treten andere Belange, wie
Arbeit, Familie oder Altersheim in den Vordergrund.
Vollständig widerlegt wurde der angenommene positive Zusammenhang zwischen dem
Netzwerk im Internet und der musikalischen Geschmacksbreite. Personen mit vielen Freun-
den oder Gruppenmitgliedschaften verfügen keineswegs über einen aussergewöhnlich brei-
ten Musikgeschmack. Im Gegenteil: Das Sozialkapital wirkt sich negativ auf die betrachteten
Geschmacksindikatoren aus. Mit der konfirmatorischen Natur von Geschmacksnetzwerken
habe ich einen möglichen Grund für diese Tendenz vorgebracht.
Eine wichtiger Schluss, den die Untersuchung nahelegt, lautet: „Don’t forget gender!“ Ana-
lysiert man musikalische Präferenzen und Geschmackseffekte, muss das Geschlecht als er-
60Die Brutto-Modelle für die anderen abhängigen Variablen der musikalischen Geschmacksbreite (Anzahl ge-hörte Genres, M, OMR und AEP) finden sich in Anhang .3 in Tabelle 25
96
6 SCHLUSS
klärende Variable berücksichtigt werden (Ollivier et al. 2009: 457). So sind etwa bei Frauen
die Alterseffekte z. T. anders gelagert als bei Männern und auch in Bezug auf die Genreprä-
ferenzen zeigen sich mitunter beträchtliche Geschlechtsunterschiede: Am meisten fällt der
häufige und intensive Indie-Konsum weiblicher last.fm Userinnen auf. Im Lichte bisheri-
ger Untersuchungen ausserhalb des Netzes erstaunt dieses Resultat, weil es genau anders
gerichtet ist, als in der Subkultur-, Szene- und Jugendforschung angezeigt. Hier hat man
nämlich angenommen, dass sich männliche Szenemitglieder mehr am Underground orien-
tieren, während Frauen eher dem Mainstream zugeneigt sind (Thornton 1996). Betrachtet
man Indie als alternative Musikrichtung, deren Kenntnis subkulturelles Kapital verlangt, so
ist fraglich, ob im Internet dieselben Logiken gelten wie z. B. in der Partyszene, bei Konzerten
oder beim Plattenkauf. Mit der Unterscheidung von „Hochkostensituationen“ und „Nied-
rigkostensituationen“ (Rössel 2006b: 458) liegt eine plausible Erklärung für die erwähnten
Differenzen vor.
Was die Zusammensetzung des Musikgeschmacks und symbolische Grenzziehung be-
trifft, so deuten sich viele fliessende Übergänge an. Die stärkste Spaltung besteht zwischen
Rockmusik und elektronischer Musik. Im Gegensatz dazu gestalten sich die Beziehungen
zwischen Indie und elektronischer Musik freundlicher. Kombiniert mit der schwachen Kor-
relation von Rock und Indie untereinander, kann man mit einiger Berechtigung von zwei
eigenständigen Genres sprechen. Bei Black Music - besonders Soul, Funk und Blues - sind
die Zusammenhänge genau umgekehrt wie bei elektronischer Musik: Hier bestehen grössere
Affinitäten zu Rock als zu Indie.
In der detaillierten Analyse der Omnivoren offenbart sich, dass sie oft oberflächlich durch
die Genres wandeln und selten spezifische, genau verortbare Subgenres hören. Gleichzeitig
sind aber auch die meisten Univoren nicht mit der vollen Bandbreite ganzer Genres vertraut.
Wie die Taganalyse demonstriert, picken sie sich selektiv Subgenres heraus und vernachläs-
sigen andere Spielarten. Die Spezialisierung und Fokussierung widerspricht der formulier-
ten Hypothese, die damit verworfen werden musste. Bei der zukünftigen umfragebasierten
Untersuchung von Genrepräferenzen sollte der genreinternen Differenziertheit Rechnung
getragen werden, z. B. indem Kategorien für Subgenres angegeben werden oder die Proban-
den innerhalb der Genres ihre bevorzugten Subgenres aufschreiben können.
Das Kategorisieren von Musik geschieht vielfältig, kreativ und losgelöst von analytischen
Trennungen. Es orientiert sich neben stilistischen Kriterien besonders an der Zeit-und Ge-
schlechtsdimension, z. T. auch an geographischen Trennungen und der Unterscheidung von
Mainstream vs. Alternative. In Zukunft gilt es diese symbolischen Grenzen in Anbetracht
der Zentralität des Hierarchieprinzips mit seiner Gliederung in high brow und low brow ver-
mehrt zu thematisieren. Erste Schritte einer solchen Analyse fördern folgende Resultate zu-
97
6 SCHLUSS
tage: Ältere Musik differenziert die Hörerschaft stärker als neuere und die geschlechtsbezo-
gene Kennzeichnung der Musikeridentität ist eher für weibliche Künstlerinnen als für männ-
liche Sänger zu konstatieren.
Bei allen betrachteten Resultaten sollte man aber bedenken, dass es sich bei der gezo-
genen Stichprobe um ein speziell gelagertes Publikum handelt. Einerseits sind musikinter-
essierte, technikaffine, junge und vermutlich auch gut gebildete Personen im Vergleich zur
Gesamtbevölkerung auf last.fm übervertreten, andererseits ist die Hörerschaft, wie wir gese-
hen haben, sehr rock- und indiezentriert. Strömungen der Black Music und klassische Musik
werden dagegen marginalisiert. Darüberhinaus umfasst die Gesamtheit aller angemeldeten
last.fm User - zumindest in der Schweiz - mehr Männer als Frauen, was die Vergleichbar-
keit mit musiksoziologischen Studien weiter schmälert. Neben diesen verzerrenden Limi-
tationen, die die Stichprobe betreffen, besteht auch das Problem der ungenügenden Abfra-
ge persönlicher Daten. Weder Indikatoren zum kulturellen Kapital noch Angaben zum öko-
nomischen Kapital oder zum Offline-Netzwerk sind auf der betrachteten Community-Site
verfügbar. Dementsprechend schwach ausgeprägt war denn auch die Erklärungskraft der
Regressionsmodelle. Bei Hinzunahme zusätzlicher Informationen, wie Schulbildung, fami-
liäre Herkunft, Zeitgestaltung, Medienkonsum oder Motive des Musikhörens hätte sicherlich
mehr Varianzaufklärung in der Breite und genremässigen Zusammensetzung des Musikge-
schmacks erreicht werden können.
Im Anschluss an diese Arbeit gälte es also die im Theorieteil skizzierte Multidimensionali-
tät des Musikgeschmacks und die vielfältigen auf ihn wirkenden Einflüsse gezielter zu fassen,
im besten Fall mit einem eigens dafür konstruierten Fragebogen. Eine Möglichkeit die sozia-
le Strukturiertheit des Musikkonsums zu ergründen, besteht darin, die gesampelten Userin-
nen zu kontaktieren und persönlich zu befragen oder sie einen Online-Fragebogen ausfüllen
zu lassen, in dem die fehlenden Daten erhoben werden. Es ist allerdings unsicher, ob eine
befriedigende Rücklaufquote erreicht wird, da viele User unregelmässig und mit geringem
Involvement auf last.fm aktiv sind. Schwerer fällt es, die strukturierende Wirkung des Musik-
geschmacks zu erforschen: Welche Vorteile bringt der Eklektizismus und die Kenntnis eines
breiten Spektrums populärer Musik? Ist es nicht besser sich auf wenige (Sub)Genres zu kon-
zentrieren, sich dort aber gut auszukennen? Wie wird der Musikgeschmack als Ressource
eingesetzt? Wie gestaltet sich die Thematisierung musikalischer Präferenzen in verschiede-
nen sozialen Feldern? Um diese Aspekte herauszuarbeiten, braucht es qualitative Methoden
wie die Diskursanalyse oder narrative Interviews (Diaz-Bone 2002, Schmutz 2009). So könn-
ten beispielsweise ausgewählte Diskussionsgruppen und Foren auf last.fm untersucht und
mit den daran beteiligten Akteuren in Verbindung gebracht werden.
98
6 SCHLUSS
Weitere Möglichkeiten die Datenbasis last.fm für soziologische Analysen zu nutzen61, lie-
gen im komparativen Bereich. Denkbar sind Ländervergleiche, die z. B. folgende Fragen be-
antworten: Unterscheidet sich die musikalische Geschmacksbreite und die Zusammenset-
zung des Musikgeschmacks je nach nationalem Kontext? Sind in manchen Ländern höhe-
re Quoten einheimischer Musik zu verzeichnen als in anderen, d. h. hören beispielsweise
Schweden prozentual mehr schwedische Musik als Schweizerinnen schweizerische Musik?
Wie unterscheiden sich die Freunde und Anzahl Gruppen auf last.fm je nach Land?
Schliesslich eignet sich last.fm ausgezeichnet für Netzwerkanalysen, denn die eingebaute
Funktion der musikalischen Nachbarn erlaubt es Geschmacksnetzwerke festzumachen. Da-
bei lässt sich ermitteln, inwieweit die musikalischen Freunde mit richtigen Freunden aus-
serhalb des Internets übereinstimmen, d. h. wie geschlossen oder offen Präferenzgruppen
sind. Auch Hypothesen zur Homophilie sind relativ leicht zu überprüfen, beispielsweise die
Frage, ob musikalische Nachbarn geschlechts- und altersmässig homogene Gruppen bilden
oder heterogen zusammengewürfelt sind.
All diese angedeuteten Potentiale lassen die Vielzahl und thematische Breite der offe-
nen Fragen erahnen. Die theoretische Ausrichtung sollte aber stets im Hinterkopf behalten
werden, denn mit der Distinktionstheorie Pierre Bourdieus, der Omnivores-These und den
Subkultur- und Szeneansätzen bestehen wertvolle Fundamente, auf die es sich aufzubau-
en lohnt. Erst mit Bezug auf diese kultursoziologischen Herangehensweisen lassen sich die
Resultate der Arbeit sinnvoll interpretieren. So zeigt sich, dass die strenge Unterteilung von
Hochkultur und Populärkultur, wie sie von Bourdieu gemacht und auch bei der Omnivores-
These beibehalten wird, im Online-Kontext der Musik-Community last.fm nicht haltbar ist.
Die Eigenheiten von klassischer Musik reichen nicht aus, um eine spezifische Distinktions-
achse zu erkennen. Noch weniger ist dies bei Jazz der Fall, so dass die Genres gleichwertig
nebeneinander stehen, wie von der tablature des goûts musicaux (Glevarec & Pinet 2009)
postuliert. Stattdessen deutet die Differenz von vokaler und instrumentaler Musik eine wich-
tige symbolische Grenze an, die die ursprüngliche Trennung von high brow und low brow
teilweise überdeckt und bei unterschiedlichen Musikrichtungen - auch populärkultureller
Färbung - trennscharf wirkt.
Gleichzeitig kann die Entkopplungsthese, wonach musikalische Präferenzen und die So-
zialstruktur unabhängig voneinander stehen und sich jeder seinen Geschmack nach Gut-
dünken zusammenstellt oder -bastelt (Polhemus 1994), auch im Internet verworfen werden.
Es gibt sehr wohl gesellschaftliche Strukturierungseffekte nach Alter und Geschlecht, auch
61Erste Versuche und Ergebnisse liegen bereits vor, sind aber nicht systematisiert und in Theoriezusammen-hang gebracht. Für die entsprechende Diskussion siehe: http://www.last.fm/group/Last.fm+Research undhttp://www.last.fm/group/Sociologists+on+last.fm
99
6 SCHLUSS
wenn sie nicht durchgehend stark ausgeprägt sind, oder eben „fein“, um die Bourdieu’sche
Terminologie zu verwenden. Innerhalb der populären Musik bestehen dabei symbolische
Grenzen, die sich teilweise in sozialen Grenzen niederschlagen. Allerdings muss das nicht
immer der Fall sein, wie das Beispiel Rap und Metal verdeutlicht hat.
Des Weiteren werden soziale Wandlungsprozesse - hier des Musikgeschmacks - mit den
besprochenen kultursoziologischen Theorien im Hinterkopf adäquat verständlich und so-
ziologisch interpretierbar. Der Theoriebezug ermöglicht eine Reflexion und Interpretation
der Forschungsergebnisse, die bei einem rein datengetriebenen empirizistischen Vorgehen
verloren gingen. Nicht umsonst sind die drei in dieser Arbeit zentralen soziologischen Ver-
ständnisse des Musikgeschmacks (siehe Abbildung 2-4, Seite 29) durch einen Zeitabstand
von jeweils 15-20 Jahren gekennzeichnet: Mit der Veränderung der Sozialstruktur und neuen
technologischen Möglichkeiten ergeben sich auch veränderte Beschreibungen sozialer Pro-
zesse und damit andere theoretische Modelle. Obwohl die genannten datentechnischen Pro-
bleme die direkte Vergleichbarkeit mit den soziologischen Konzepten und den in Anschluss
an sie erzielten Befunden erschweren, ist doch eine gewisse Linie in der zeitlichen Entwick-
lung festzuhalten. Während Bourdieus Portrait des 1960er Jahre Frankreichs eine klassenspe-
zifische und ökonomisch und kulturell zum grossen Teil determinierte Ausprägung des Ge-
schmacks ortet und Petersons Omnivores-These die hierarchische Ordnung etwas lockert,
aber gleichzeitig eine klare Statusabhängigkeit beibehält, spiegelt die Konzeption von Gle-
varec & Pinet einen weiteren Schritt wider. Dieses Modell entspricht den in den Daten ge-
fundenen Ergebnissen und scheint für das Internet einen Gewinn an Erklärungskraft bereit
zu stellen.
Reflektiert man die in der Einleitung angedeutete gesteigerte Relevanz symbolischer und
diskursiver Aspekte sozialer Praxis und stellt die zentralen Befunde der Arbeit in diesen Er-
fahrungszusammenhang, so kann im Musikbereich - im Gegensatz zum dort erwähnten E-
Dating (Illouz 2006) - ein vorsichtig positives Fazit gezogen werden. Die Internetplattform
last.fm sorgt für einen spielerisch-interaktiven Umgang mit Musik und kann eingerastete
soziale Differenzierungen zumindest auflockern, wie die Beteiligung von weiblichen Akteu-
ren an der Indie Musikrichtung klar macht. Auch die Kategorisierung der Musik durch die
beteiligten Hörerinnen selbst ist positiv zu bewerten. Denn dabei stülpen nicht aussenste-
hende Akteure oder Wissenschaftler ihre Bedeutungsgehalte der Praxis über, sondern die
Praxis spricht gleichsam selbst. „Man muss der Praxis eine Logik zuerkennen, die anders ist
als die Logik der Logik, damit man der Praxis nicht mehr Logik abverlangt, als sie zu bieten
hat.“ (Bourdieu 1987: 157) Durch die Berücksichtigung der Deutungsschemata der Individu-
en selbst lässt sich der „Theoretisierungseffekt“ vermeiden und es treten Aspekte hervor, die
sich sonst der „theoretischen Erfassung entziehen“ (ebd.). Als Beispiel ist das geschlechtsbe-
100
6 SCHLUSS
zogene Tagen der Musik zu nennen, das bei rein formal-stilistischer Reflexion wahrschein-
lich vergessen worden wäre. Schliesslich kommt der erfreuliche Befund hinzu, dass sich das
Musikinteresse und die Hörpräferenzen nicht quasi-deterministisch durch das Alter der Hö-
rer und der Musik bestimmt sehen. Jüngere User beschäftigen sich genauso mit älterer Mu-
sik, wie ältere Userinnen aktueller Musik zugeneigt sind. Von altersbedingten Vorurteilen,
Misstrauen oder gar generationeller Segregation ist auf last.fm wenig zu spüren.
So, und nun genug gelabert und wie versprochen die in der Danksagung angetönte Liste.
Zuvor aber möchte ich mit einem Zitat schliessen, das die Unbestimmtheit, Ambivalenz und
Unergründlichkeit der Musik - und damit einen ihrer zentralen Reize - auf den Punkt bringt.
Robert Walser62, der sich in dieser Hinsicht zu David Foster Wallaces Worten auf Seite 6 ge-
sellt, schrieb einmal: „Die Worte über die Kunst da oben muss man nur nicht ernst nehmen.
Sie treffen so gewiss nicht zu, als mich heute noch kein Ton getroffen hat. Mir fehlt etwas,
wenn ich keine Musik höre, und wenn ich Musik höre, fehlt mir erst recht etwas. Dies ist das
Beste, was ich über Musik zu sagen weiss.“ Dem bleibt nur noch mit dem gleichen Autor
anzufügen: „Und damit basta.“
62Gemeint ist der Schriftsteller Robert Walser (http://en.wikipedia.org/wiki/Robert_Walser_(writer)) und nichtder Musikwissenschaftler Robert Walser (http://en.wikipedia.org/wiki/Robert_Walser_(musicologist)) - dervielleicht auch gut in den Zusammenhang gepasst hätte.
101
Literatur
ATTON, CHRIS (2009): Writing about listening: alternative discourses in rock journalism. In:
Popular Music, Vol. 28 (1), 53-67.
BACKHAUS, KLAUS; ERICHSON, BERND; PLINKE, WULFF; WEIBER, ROLF (2006): Multivariate Ana-
lysemethoden. Eine anwendungsorientierte Einführung. Berlin / Heidelberg: Springer (11.
Auflage).
BANNISTER, MATTHEW (2006): White Boys, White Noise: Masculinities and 1980s Indie Guitar
Rock. Aldershot: Ashgate.
BECKER, HOWARD (2008): Art Worlds. Berkeley: University of California Press.
BELLAVANCE, GUY (2008): Where’s high? Who’s low? What’s new? Classification and stratificati-
on inside cultural „Repertoires“. In: Poetics, Vol. 36 (2-3), 189-216.
BENNETT, ANDY (2000): Popular Music and Youth Culture: Music, identity and place. London:
Macmillan.
BENNETT, ANDY (2001): Cultures of Popular Music. Buckingham: Open University Press.
BENNETT, TONY (2008): Tensions of the musical field. In: Bennett, Tony et al. (Hrsg.): Culture,
Class and Distinction. London: Routledge.
BOURDIEU, PIERRE (1982): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft.
Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
BOURDIEU, PIERRE (1987): Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Frankfurt a. M.:
Suhrkamp.
BOURDIEU, PIERRE (1993): Über einige Eigenschaften von Feldern. In (ders.): Soziologische Fra-
gen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
BOURDIEU, PIERRE (1999): Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes.
Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
BRYSON, BETHANY (1996): Anything but heavy metal: symbolic exclusion and musical dislikes.
In: American Journal of Sociology, Vol. 102 (3), 884-899.
102
Literatur
BRYSON, BETHANY (1997): What about the univores? Musical dislikes and group based identity
construction among Americans with two levels of education. In: Poetics, Vol. 25 (2-3), 141-
156.
BUNDESAMT FÜR STATISTIK (2009): Kulturverhalten in der Schweiz. Erhebung 2008: Musik.
Neuchatel: BFS Publikation.
CHAN, TAK WING; GOLDTHORPE, JOHN (2007): Social Stratification and Cultural Consumption:
Music in England. In: European Sociological Review, Vol. 23 (1), 1-19.
CHRISTENSON, PETER; PETERSON, BRIAN (1988): Genre and Gender in the Structure of Music
Preferences. In: Communication Research, Vol. 15 (3), pp. 282-301.
COULANGEON, PHILIPPE; LEMEL, YANNICK (2007): Is ’distinction’ really outdated? Questioning
the meaning of the omnivorization of musical taste in contemporary France. In: Poetics,
Vol. 35 (2-3), 93-111.
COULTER, PHILIP (1989): Measuring Inequality. A Methodological Handbook. Boulder: West-
view Press.
CRANE, DIANA (1992): The Production of Culture. Media and the Urban Arts. Newbury Park:
Sage.
DE VRIES, PETER (2006): The digital generation: The influence of portable music listening ha-
bits of first year pre-service education students on their future practice as primary school
teachers. In: Australian Online Journal of Arts Education, Vol. 2 (1), 1-11.
DI MAGGIO, PAUL (1987): Classification in Art. In: American Sociological Review, Vol. 52 (4),
440-455.
DENORA, TIA (2000): Music in everyday life. Cambridge: Cambridge University Press.
DIAZ-BONE, RAINER (2002): Kulturwelt, Diskurs und Lebensstil. Eine diskurstheoretische Er-
weiterung der Bourdieu’schen Distinktionstheorie. Opladen: Leske + Budrich.
DIEKMANN, ANDREAS (1995): Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendun-
gen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt (11. Auflage, 2004).
DOWD, TIMOTHY; LIDDLE, KATHLEEN; BLYLER, MAUREEN (2005): Charting gender: the success of
female acts in the US mainstream recording market 1940-1990. In: Research in the Sociolo-
gy of Organizations, Vol. 23 (1), 81-123.
103
Literatur
EMMISSON, MICHAEL (2003): Social class and cultural mobility. Reconfiguring the cultural om-
nivore thesis. In: Journal of Sociology, Vol. 39 (3), 211-230.
ERICKSON, BONNIE (1996): Culture, Class and Connections. In: American Journal of Sociology,
Vol. 102 (1), 217-251.
FOUNTAINE, CHRISTINE (2005): Finding a Job in the Internet Age. In: Social Forces, Vol. 83 (3),
1235-1262.
FRACKOWIAK, UTE (1994): Der gute Geschmack. Studien zur Entwicklung des Geschmacksbe-
griffs. München: Wilhelm Fink Verlag.
FRANCIS, DAVID; HESTER, STEPHEN (2004): An Invitation to Ethnomethodology. Language, So-
ciety and Interaction. Newbury Park: Sage.
GEBESMAIR, ANDREAS (2001): Grundzüge einer Soziologie des Musikgeschmacks. Wiesbaden:
Westdeutscher Verlag.
GLEVAREC, HERVÉ; PINET, MICHEL (2009): La tablature des goûts musicaux : un modèle de struc-
turation des préférences et des jugements. In: Revue francaise de sociologie, Vol. 50 (3), 599-
640.
GOFFMAN, ERVING (1951): Symbols of Class Status. In: The British Journal of Sociology, Vol. 2
(4), 294-304.
GRAZIAN, DAVID (2004): Opportunities for ethnography in the sociology of music. In: Poetics,
Vol. 32 (3-4), 197-210.
HALL, STUART; JEFFERSON, TONY (1986): Resistance Trough Rituals: Youth Subcultures in Post-
War Britain. London: Hutchinson.
HAN, SHIN-KAP (2003): Unraveling the Brow: What and How of Choice in Musical Preference.
In: Sociological Perspectives, Vol. 46 (4), 435-459.
HARGREAVES, DAVID (1982): The development of aesthetic reactions to music. In: Psychology of
Music, Special Issue, 51-54.
HEBDIGE, DICK (1979): Subculture: The Meaning of Style. London: Routledge.
HIBBETT, RYAN (2005): What is Indie Rock? In: Popular Music & Society, Vol. 28 (1), 55-77.
HOLBROOK, MORRIS; SCHINDLER, ROBERT (1989): Some Exploratory Findings on the Develop-
ment of Musical Tastes. In: The Journal of Consumer Research, Vol. 16 (1), 119-124.
104
Literatur
ILLOUZ, EVA (2006): Gefühle in Zeiten des Kapitalismus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
KANT, IMMANUEL (1963): Kritik der Urteilskraft. Stuttgart: Reclam.
KARBUSICKY, VLADIMIR (1975): Empirische Musiksoziologie. Erscheinungsformen, Theorie und
Philosphie des Bezugs „Musik - Gesellschaft“. Wiesbaden: Breitkopf & Härtel.
KATZ-GERRO, TALLY (1999): Cultural Consumption and Social Stratification: Leisure Activities,
Musical Tastes, and Social Location. In: Sociological Perspectives, Vol. 42 (4), 627-646.
KLOCKE, ANDREAS; LÜCK, DETLEV (2001): Lebensstile in der Familie. Bamberg: ifb Staatsinstitut
für Familienforschung an der Universität Bamberg.
KOHLER, ULRICH; KREUTER, FRAUKE (2008): Datenanalyse mit Stata. Allgemeine Konzepte der
Datenanalyse und ihre praktische Anwendung. München: Oldenbourg.
KOLLOCK, PETER; SMITH, MARC (1998): Online Communities and Cyberspace. London: Rout-
ledge.
KÜHNEL, STEFFEN; KREBS, DAGMAR (2001): Statistik für die Sozialwissenschaften. Grundlagen,
Methoden, Anwendungen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt (3. Auflage, 2006).
LAHIRE, BERNARD (2008): The individual and the mixing of genres: Cultural dissonance and
self-distinction. In: Poetics, Vol. 36 (2-3), 166-188.
LAMONT, MICHÈLE (1992): Money, Morals & Manners. The Culture of the French and the Ame-
rican Upper-Middle Class. Chicago: The University of Chicago Press.
LAMONT, MICHÈLE; MOLNAR, VIRAG (2002): The Study of Boundaries in the Social Sciences. In:
Annual Review of Sociology, Vol. 28, 167-195.
LENA, JENNIFER; PETERSON, RICHARD (2008): Classification as Culture: Types and Trajectories of
Music Genres. In: American Sociological Review, Vol. 73 (5), 697-718.
LEWIS, KEVIN; KAUFMAN, JASON; GONZALEZ, MARCO; WIMMER, ANDREAS; CHRISTAKIS, NICHOLAS
(2008): Tastes, ties, and time: A new social network dataset using Facebook.com. In: Social
Networks, Vol. 30 (4), 330-342.
LIZARDO, OMAR (2006): How Cultural Tastes Shape Personal Networks. In: American Sociolo-
gical Review, Vol. 71 (5), pp. 778-807.
LIZARDO, OMAR; SKILES, SARA (2009): Highbrow omnivorousness on the small screen? Cultural
industry systems and patterns of cultural choice in Europe. In: Poetics, Vol. 37 (1), 1-23.
105
Literatur
LOPES, PAUL (2002): The Rise of a Jazz Art World. Cambridge: Cambridge University Press.
LUTZ, CHRISTOPH (2009): Lebensstile in Haushalten. Zürich: Festplatte des Autors.
MARK, NOAH (1998): Birds of a Feather Sing Together. In: Social Forces, Vol. 77 (2), 453-485.
MARR, MIRKO (2005): Internetzugang und politische Informiertheit. Zur digitalen Spaltung der
Gesellschaft. Konstanz: UVK.
MARTUCCI, ANGELA (2010): Musik, Musiker und Musikindustrie im Internetzeitalter. Zürich:
Verlag noch nicht bekannt.
MCROBBIE, ANGELA (1993): Shut Up and Dance: Youth Culture and Changing Mode of Femi-
ninity. In: Cultural Studies, Vol. 7 (3), 406-426.
MUGGLETON, DAVID (2000): Inside Subculture. The postmodern meaning of style. Oxford: Berg
Publishing.
MULDER, JUUL; TER BOGT, TOM; RAAIJMAKERS, QUINTEN; VOLLEBERGH, WILMA (2006): Music Tas-
te Groups and Problem Behavior. In: Journal of Youth and Adolescence, Vol. 36 (3), 313-324.
MÜLLER, HANS-PETER (1992): Sozialstruktur und Lebensstile. Der neuere theoretische Diskurs
über soziale Ungleichheit. Franfurt a. M.: Suhrkamp.
NEUHOFF, HANS (2001): Wandlungsprozesse elitärer und populärer Geschmackskultur? Die
„Allesfresser-Hypothese“ im Ländervergleich USA/Deutschland. In: Kölner Zeitschrift für
Soziologie und Sozialpsychologie, Vol. 53 (4), 751-772.
NORTH, ADRIAN; HARGREAVES, DAVID (2008): The Social and Applied Psychology of Music. Ox-
ford: Oxford University Press.
OLLIVIER, MICHÈLE (2008): Modes of openness to cultural diversity: Humanist, populist, prac-
tical and indifferent. In: Poetics, Vol. 36 (2-3), 120-147.
OLLIVIER, MICHÈLE; GAUTHIER, GUY; HIEU TRUONG, ALEXIS (2009): Cultural classifications and
social divisions: A symmetrical approach. In: Poetics, Vol. 37 (5-6), 456-473.
OTTE, GUNNAR (2004): Sozialstrukturanalysen mit Lebensstilen. Eine Studie zur theoretischen
und methodischen Neuorientierung der Lebensstilforschung. Wiesbaden: VS Verlag für So-
zialwissenschaften.
106
Literatur
OTTE, GUNNAR (2005): Hat die Lebensstilforschung eine Zukunft? Eine Auseinandersetzung
mit aktuellen Bilanzierungsversuchen. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsy-
chologie, Vol. 57 (1), 1-31.
OTTE, GUNNAR (2008): Lebensstil und Musikgeschmack. In: Gensch, Gerhard; Stöckler, Eva
Maria; Tschmuck, Peter (Hrsg.): Musikrezeption, Musikdistribution und Musikproduk-
tion. Der Wandel des Wertschöpfungsnetzwerks in der Musikwirtschaft. Wiesbaden:
Gabler.
(Die in dieser Arbeit zitierte Version des Artikels stützt sich auf
den zuletzt online verfügbaren Text und dessen Seitenzahlen:
http://www.suz.uzh.ch/otte/publikationen/handbuch_musikwirtschaft.pdf)
PARZER, MICHAEL (2008): Musikgeschmack in der Popularkultur. Eine kultursoziologische Spu-
rensuche in Online-Foren (Dissertation an der Universität Wien). Wien: Universitätsbiblio-
thek.
Online: http://othes.univie.ac.at/2255/ (Februar 2010)
PETERSON, RICHARD (1992): Understanding audience segmentation: from elite and mass to
omnivore and univore. In: Poetics, Vol. 21 (4), 243-258.
PETERSON, RICHARD (2005): Problems in comparative research: The example of omnivorous-
ness. In: Poetics, Vol. 33 (5-6), 257-282.
PETERSON, RICHARD; KERN, ROBERT (1996): Changing highbrow taste: from snob to omnivore.
In: American Sociological Review, Vol. 61 (4), 900-907.
POLHEMUS, TED (1994): Streetstyle: From Sidewalk to Catwalk. London: Thames & Hudson.
RENTFROW, PETER; GOSLING, SAMUEL (2003): The Do Re Mi’s of Everyday Life: The Structure and
Personality Correlates of Music Preferences. In: Journal of Personality and Social Psychology,
Vol. 84 (6), 1236-1256.
RENTFROW, PETER; GOSLING, SAMUEL (2005): Message in a Ballad. The Role of Music Preferences
in Interpersonal Perception. In: Psychological Science, Vol. 17 (3), 236-242.
RICKMAN, TRACY; SOLOMON, MICHAEL (2007): Anomie goes Online. The Emo Microculture. In:
Advances in Consumer Research, Vol. 34 (1), 417-418.
RÖSSEL, JÖRG (2006a): Allesfresser im Kinosaal? Distinktion durch kulturelle Vielfalt in
Deutschland. In: Soziale Welt, Vol. 57 (3), 259-272.
107
Literatur
RÖSSEL, JÖRG (2006b): Kostenstruktur und Ästhetisierung? Zur Erklärungskraft von Lebenssti-
len. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Vol. 58 (3), 453-467.
RÖSSEL, JÖRG; BROMBERGER, KATHI (2009): Strukturiert kulturelles Kapital auch den Konsum
von Populärkultur ? In: Zeitschrift für Soziologie, Vol. 38 (6), 494-513.
SAVAGE, MIKE; BARLOW, JAMES; DICKENS, PETER; FIELDING, TONY (1992): Property, Bureaucracy
and Culture. Middle-Class Formation in Contemporary Britain. London: Routledge.
SCHELSKE, ANDREAS (2007): Soziologie vernetzter Medien. München: Oldenbourg.
SCHMUTZ, VAUGHN (2009): Social and symbolic boundaries in newspaper coverage of music,
1955-2005: Gender and genre in the US, France, Germany, and the Netherlands. In: Poetics,
Vol. 37 (4), 298-314.
SCHRAMM, HOLGER (2005): Mood Management durch Musik. Die alltägliche Nutzung von Mu-
sik zur Regulierung von Stimmungen. Köln: Herbert von Halem Verlag.
SCHULZE, GERHARD (1992): Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt
a. M./New York: Campus.
SIMMEL, GEORG (1992): Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung.
Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
SONNETT, JOHN (2004): Musical Boundaries: Intersections of Form and Content. In: Poetics,
Vol. 32 (3-4), 247-264.
TAMPUBOLON, GINDO (2008): Revisiting omnivores in America circa 1990: The exclusiveness of
omnivores? In: Poetics, Vol. 36 (2-3), 243-264.
TANNER, JULIAN; ASBRIDGE, MARK; WORTLEY, SCOT (2008): Our favourite melodies: musical con-
sumption and teenage lifestyles. In: British Journal of Sociology, Vol. 59 (1), 117-144.
TEPPER, STEVEN; HARGITTAI, ESZTER (2009): Pathways to music exploration in a digital age. In:
Poetics, Vol. 37 (3), 227-249.
THORNTON, SARAH (1996): Club Cultures: Music, Media and Subcultural Capital. Middletown:
Wesleyan University Press.
TURKLE, SHERRY (1995): Life on the Screen. Identity in the Age of the Internet. New York: Simon
& Schuster.
108
Literatur
VAN DIJK, JAN (2005): The deepening divide: Inequality in the Information Society. Newbury
Park: Sage.
VAN EIJCK, KOEN (2001): Social Differentiation in Musical Taste Patterns. In: Social Forces, Vol.
79 (3), 1163-1184.
VAN REES, KEES; VERMUNT, JEROEN; VERBOORD, MARC (1999): Latent Class Analysis of Highbrow
and Lowbrow Reading. In: Poetics, Vol. 26 (5-6), 349-365.
WARDE, ALAN; GAYO-CAL, MODESTO (2009): The anatomy of cultural omnivorousness: The case
of the United Kingdom. In: Poetics, Vol. 37 (2), 119-145.
WARDE, ALAN; WRIGHT, DAVID; GAYO-CAL, MODESTO (2008): The omnivorous orientation in the
UK. In: Poetics, Vol. 36 (2-3), 148-165.
WILLIAMS, PATRICK (2006): Authentic Identities: Straightedge Subculture, Music, and the Inter-
net. In: Journal of Contemporary Ethnography, Vol. 35 (2), 173-200.
WILLIS, PAUL (1978): Profane Culture. London: Routledge.
WYNNE, DEREK; O’CONNOR, JUSTIN (1998): Consumption and the Postmodern City. In: Urban
Studies, Vol. 35 (5-6), 841-864.
ZILLIEN, NICOLE (2006): Digitale Ungleichheit. Neue Technologien und alte Ungleichheiten in
der Informations- und Wissensgesellschaft. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
109
Literatur
Onlinequellen
BAER, NOELLE (2010): The University of Chicago: Theories of Media Keywords Glossary: taste.
(März 2010)
http://csmt.uchicago.edu/glossary2004/taste.htm
SPIEGEL (2009): Die 00er-Generation. „HipHop ist die letzte große Jugendkultur“. Interview von
Carola Padtberg mit Klaus Farin, Leiter des Archivs für Jugendkulturen in Berlin. (Dezem-
ber 2009)
http://www.spiegel.de/schulspiegel/leben/0,1518,666113,00.html
STATISTA (2009A): „Was machen Sie üblicherweise in Ihrer Freizeit?“ Frage aus der Shell-
Jugendstudie. (Dezember 2009)
http://de.statista.com/statistik/diagramm/studie/86055/umfrage/freizeit-aktivitaeten/
STATISTA (2009B): „Was machen Sie in Ihrer Freizeit häufig?“ Frage aus der Typologie der
Wünsche Umfrage. (Dezember 2009)
http://de.statista.com/statistik/diagramm/studie/105319/umfrage/haeufig-betriebene-
freizeitaktivitaeten/
SWISSPANEL (2010): Freizeit: Instrument, singen: Häufigkeit. Frage aus dem SHP-Fragebogen,
S. 360. (Januar 2010)
http://www.swisspanel.ch/file/doc/q_pdf/QuestionML-P-W10.pdf
UCLA (2010): Stata Web Books: Regression with Stata, Chapter 2 - Regression Diagnostics. (Fe-
bruar 2010)
http://www.ats.ucla.edu/stat/stata/webbooks/reg/chapter2/statareg2.htm
WIKIPEDIA (2009): Last.fm. (November 2009)
http://en.wikipedia.org/wiki/Last.fm
110
Anhang
.1 Einteilung der Tags in Genres
Tabelle 20: Einteilung der Tags in Genres
Genre Tags
Rock rock, classic rock, glam rock, hard rock, progressiverock
Rap, Hip-Hop rap, hip hop, hip-hop, gangsta rap, underground hip-hop, swiss hip-hop
Elektronische Musik electro, electronica, electronic, house, trance, techno,trip-hop, dub, dubstep, dance, idm, minimal techno,minmal, chillout, downtempo, ambient
Klassische Musik classic, classical, opera, baroque, renaissance, classicalorgan music
Pop pop, chanson, chanson francaise, easy listening, fahr-stuhlmusik, oldies
(Heavy) Metal metal, heavy metal, death metal, melodic death me-tal, black metal, speed metal, power metal, folk metal,doom metal, trash metal, hair metal, metalcore, nu me-tal, pagan metal
Jazz jazz, smooth jazz, nu jazz, acid jazz, contemporary jazz,free jazz, vocal jazz, jazz piano, saxophone, bebop, jazzfusion
World Music, Latin latin, bachata, brasil, brazilian, african, world music,balkan, spanish, greek, celtic, serbian, albanian, samba,japanese, russian, korean, belgian, greek, portuguese
Country, Bluegrass, Folk country, bluegrass, folk, modern country, acoustic, alt-country
Punk, Ska punk, punk rock, ska, deutschpunk, hardcore, emo,screamo
Schlager, Volksmusik, Mundart schlager, volksmusik, mundart, schweizerdeutschReggae reggae, dancehall, ragga, roots reggaeSoul, Funk, Blues, R’n’B soul, rnb, funk, blues, chicago bluesIndie, Alternative indie, indie rock, indie pop, alternative, alternative
rock, grunge, britpop, brit, post-punk, post-rock, post-hardcore
Gothic, Darkwave, Industrial gothic, gothic metal, goth, industrial, darkwave, ebmFemale Vocalists female, female volcalists, female vocalist, female vocal,
female voiceHörbuch, Podcast, Soundtrack, TV soundtrack, podcast, audiobook, tv, film scoreChristliche Musik, Gospel christian, worship, christian rock, praise and worship,
gospel
111
.2 Beschreibung der Stichprobe
Tabelle 21: Beschreibung der Stichprobe
Absolute Häufigkeit Prozent
GeschlechtMann 438 50.0Frau 438 50.0Gesamt 876 100
Alter16 bis 20 133 15.221 bis 30 273 31.231 bis 40 235 26.841 bis 50 133 15.251 bis 64 102 11.6Gesamt 876 100
Anzahl FreundeKeine 251 28.71 bis 5 325 37.16 bis 10 124 14.211 bis 20 97 11.121 bis 50 60 6.8Mehr als 50 19 2.2Gesamt 876 100
Anzahl GruppenKeine 529 60.41 bis 5 247 28.26 bis 20 77 8.8Mehr als 20 23 2.6Gesamt 876 100
BildKein Bild 103 11.8Bild (kein Selbstportrait) 315 36.0Selbstportrait 458 52.3Gesamt 876 100
112
Tabelle 22: Beschreibung der metrischen Variablen im Datensatz
Mittelwert Stdabw. Minimum Maximum N
Alter 33.416 11.846 16 64 876Anzahl Freunde 7.721 17.978 0 273 876Anzahl Gruppen 2.697 8.994 0 151 876Gespielte Songs 12600.364 21133.477 1000 343153 876Rockanteil 12.357 7.932 0 42.018 876Rapanteil 2.592 7.422 0 54.214 876Elektroanteil 11.246 13.603 0 68.185 876Klassikanteil 0.535 3.118 0 40.357 876Popanteil 6.178 4.17 0 27.112 876Metalanteil 3.416 9.468 0 61.046 876Jazzanteil 2.667 6.26 0 55.96 876Worldanteil 0.837 3.706 0 36.744 876Countryanteil 3.214 4.886 0 46.645 876Punkanteil 3.606 6.71 0 39.763 876Schlageranteil 0.388 2.674 0 39.727 876Reggaeanteil 0.434 2.331 0 43.859 876Soulanteil 3.008 5.232 0 45.186 876Indieanteil 18.7 13.792 0 54.497 876Gothicanteil 0.736 3.792 0 42.898 876Femaleanteil 0.418 1.445 0 11.743 876Anteil Other 0.417 2.222 0 37.355 876Anteil Gospel 0.212 2.547 0 49.739 876Restanteil 29.038 11.664 2.353 81.256 876
Tabelle 23: Kreuztabelle Altersgruppen und Geschlecht: Verteilung des Geschlechts nach Alter
Frau Mann Total
16 bis 20 83 50 13321 bis 30 173 100 27331 bis 40 135 100 23541 bis 50 33 100 13351 bis 64 14 88 102
Total 438 438 876
113
Abbildung 18: Verteilung der Genreanteile für Rap, Metal, Country, World, Indie, Soul, Punk und Klas-sische Musik
114
Tabe
lle
24:O
LSR
egre
ssio
nü
brig
eG
enre
ante
ile
aufA
lter
un
dan
der
eV
aria
blen
Co
un
try
Pu
nk
Sch
lage
rR
egga
eSo
ul
Go
thic
FAO
ther
Alt
er
0.05
3-0
.241
***
0.03
2-0
.016
0.05
3**
-0.0
260.
000
-0.0
01(0
.036
)(0
.032
)(0
.034
))(0
.011
)(0
.032
)(0
.022
)(0
.007
)(0
.008
)
Alt
er2
0.00
20.
009*
**0.
002
0.00
00.
001
0.00
0-0
.001
**-0
.001
***
(0.0
02)
(0.0
02)
(0.0
01)
(0.0
00)
(0.0
01)
(0.0
01)
(0.0
00)
(0.0
00)
Alt
er∗G
esc
hle
cht
0.05
8-0
.062
-0.0
160.
001
0.05
9-0
.002
0.02
0**
0.00
0(0
.046
)(0
.045
)(0
.047
)(0
.014
)(0
.040
)(0
.023
)(0
.008
)(0
.010
)
Gru
pp
en
0.04
1**
-0.0
62*
-0.0
020.
014
-0.0
210.
016
0.01
50.
029
(0.0
19)
(0.0
35)
(0.0
04)
(0.0
15)
(0.0
27)
(0.0
24)
(0.0
12)
(0.0
19)
Fre
un
de
-0.0
110.
006
-0.0
00-0
.009
*0.
006
0.00
5-0
.006
-0.0
09(0
.009
)(0
.020
)(0
.002
)(0
.005
)(0
.011
)(0
.012
)(0
.004
)(0
.006
)
Bil
d(R
ef.:
Kei
nB
ild)
0.08
9-0
.515
-0.3
290.
290*
*-0
.075
0.33
5-0
.625
**-0
.085
(0.6
09)
(0.7
71)
(0.2
97)
(0.1
39)
(0.6
17)
(0.2
66)
(0.2
43)
(0.3
02)
Se
lbst
po
rtra
it-0
.205
-0.7
95-0
.050
0.36
4**
-0.0
700.
346*
-0.5
25**
-0.3
62(0
.559
)(0
.755
)(0
.362
)(0
.168
)(0
.560
)(0
.192
)(0
.244
)(0
.270
)
Ge
sch
lech
t(R
ef.:
Frau
)-1
.560
***
1.06
4**
-0.0
290.
240
0.13
5-0
.233
-0.1
55-0
.043
(0.3
94)
(0.4
40)
(0.2
92)
(0.1
86)
(0.4
06)
(0.2
70)
(0.1
01)
(0.1
63)
Son
gs
0.00
60.
009
-0.0
05**
0.00
10.
012
-0.0
06-0
.003
*0.
002
(0.0
00)
(0.0
00)
(0.0
00)
(0.0
00)
(0.0
00)
(0.0
00)
(0.0
00)
(0.0
00)
Ko
nst
an
te3.
583*
**2.
507*
**0.
437
0.02
82.
653*
**0.
530*
*1.
077*
**0.
771*
**(0
.582
)(0
.735
)(0
.306
)(0
.120
)(0
.606
)(0
.223
)(0
.246
)(0
.277
)
N87
687
687
687
687
687
687
687
6R
20.
071
0.17
40.
029
0.01
00.
059
0.01
50.
036
0.02
0
Un
stan
dar
dis
iert
eK
oef
fizi
ente
n,R
ob
ust
eSt
and
ard
feh
ler
inK
lam
mer
nQ
uel
le:e
igen
eD
arst
ellu
ng
***
p<
0.01
,**
p<
0.05
,*p<
0.1
115
.3 Beschreibung der abhängigen Variablen �Musikalische
Geschmacksbreite� mit Brutto-Regressionen
Abbildung 19: Verteilung Geschmacksgleichheit M und Hörkonzentration nach OMR und AEP
Tabelle 25: Brutto-Modelle der übrigen OLS Regressionen Musikalische Geschmacksbreite auf Alter
Genres M OMR AEP
Al t e r -0.0025 -0.0006** 0.3120*** 0.0214***(0.0046) (0.0003) (0.0948) (0.0047)
Al t e r 2 -0.0011*** -0.0001*** -0.0304*** -0.0005(0.0003) (0.0000) (0.0070) (0.0004)
Kons t a nt e 6.258*** 0.798*** 105.000*** 2.770***(0.0709) (0.0039) (1.3490) (0.0658)
N 876 876 876 873R2 0.017 0.028 0.024 0.025
Robuste Standardfehler in Klammern Quelle: eigene Darstellung
*** p<0.01, ** p<0.05, * p<0.1
116
.4 Voraussetzungprüfungen der OLS Regressionen
Multikollinearität
Da alle OLS Regressionen, bis auf das Brutto Modell zu Hypothese 1, die gleichen unabhän-
gigen Variablen beinhalten, unterscheiden sich die Multikollinearitäts-Statistiken zwischen
den Regressionen nicht. Deshalb wird hier nur eine Tabelle aufgeführt. Je nach Quelle wer-
den VIF-Werte ab 5 oder 10 als kritisch betrachtet.
Tabelle 26: VIF und Tolerance Werte für alle Regressionen
Unabhängige Variable VIF Tolerance ( 1V I F)
Alter * Geschlecht 3.89 0.256791Alter 3.62 0.276514Selbstportrait 2.72 0.367183Bild 2.71 0.369501Freunde 2.15 0.464143Gruppen 2.10 0.475928Alter2 1.54 0.649328Geschlecht 1.25 0.799845Songs 1.23 0.811603
Normalverteilung der Residuen
Obwohl die Verletzung der Normalverteilungsannahme keinen verzerrenden Einfluss auf die
Koeffizienten selbst ausübt, gilt es diese Annahme zu überprüfen, da die Schätzverfahren
(F-Test, Standardfehler und damit einhergehend: p-Wert und Signifikanzniveau) sonst feh-
lerbehaftet und bei wenigen Beobachtungen (N < 40) ungültig sein können (Backhaus et al.
2006: 92-94). Für die Prüfung wurde der Shapiro-Wilk Test auf Normalverteilung verwendet
(UCLA 2010). Der p-Wert dieses Tests geht von der Annahme aus, dass die untersuchte Grös-
se (in diesem Fall die Residuen) in der Grundgesamtheit normalverteilt ist. Tiefe p-Werte -
nahe bei 0 - sprechen für eine Widerlegung der Nullhypothese, die besagt, dass Normalver-
teilung herrscht: In unserem Fall sind die Residuen eindeutig nicht normalverteilt, denn die
p-Werte liegen sehr nahe bei 0. Die Verletzung der Annahme stellt aber kein gravierendes
Problem dar, da die Fallzahl mit 876 ausreichend gross für konsistente Schätzungen ist und
zudem robuste Standardfehler verwendet wurden.
117
Tabelle 27: Shapiro-Wilk Test auf Normalverteilung der Residuen
Abhängige Variable der Regression Empirisches Z Signifikanz
UHH Brutto (1) 7.31 0.000UHH Kontrolliert (2) 4.37 0.000Anzahl Genres (3) 0.05 0.821Mayer’s Index Of Uniformity (4) 9.61 0.000Rockanteil 7.98 0.000Rapanteil 13.00 0.000Elektroanteil 10.82 0.000Klassikanteil 14.54 0.000Popanteil 7.79 0.000Metalanteil 13.34 0.000Jazzanteil 13.31 0.000Countryanteil 14.49 0.000Indieanteil 5.074 0.000
Linearität und Ausreisserdiagnostik
Die Linearität des Zusammenhangs der Regressoren auf den Regressanden kann grafisch
überprüft werden. Hier wurden die interessierenden metrischen Variablen in Zusammen-
hang mit den Residuen der jeweiligen Regression gebracht. Nichtlineare Streuung in solchen
Scatterplots deutet auf die Verletzung der Linearitätsannahme hin (UCLA 2010). Wie die Ab-
bildungen auf der folgenden Seite zeigen, sind die Zusammenhänge teilweise eher quadra-
tisch als linear, besonders was die abhängige Variable Mayer’s Index of Uniformity (M) anbe-
langt. Als Lösung bieten sich die Transformation von Variablen und die Aufnahme quadrati-
scher oder kubischer Terme an (Kohler & Kreuter 2008: 215). Dies wurde durch die Berück-
sichtigung des quadrierten Alters realisiert. Nicht quadriert wurde die Anzahl Freunde. Ein
entsprechender explorativer Versuch ergab keine bedeutende Verbesserung der Erklärungs-
kraft und der Modellparameter. Deshalb und aus Mulitkollinearitätsgründen wurde auf die
Aufnahme weiterer quadratischer oder gar kubischer Ausdrücke verzichtet. Für die Genre-
regressionen wurde die Linearität ebenfalls überprüft, aber aus Platz- und Relevanzgründen
nicht dokumentiert. Die entsprechenden Diagnosen sind aber in der Syntax vermerkt.
Da keine extremen Ausreisser in Bezug auf die abhängigen Variablen vorhanden waren,
entschied ich mich gegen den Ausschluss von Leuten.
118
Abbildung 20: Streudiagramme metrische unabhängige Variablen Alter und Freunde auf Residuen. Ab-hängige Variablen von links oben nach rechts unten: UHH, Anzahl gehörte Genres, M, UHH, Anzahlgehörte Genres, M
119
Vollständigkeit des Modells und Autokorrelation
Aufgrund der restringierten Datenlage kann nicht ausgeschlossen werden, dass erklärungs-
kräftige Variablen in der Modellspezifikation fehlen. Der Omitted Variables-Test (OV-Test)
versucht solche Fehlspezifikationen festzumachen (UCLA 2010). Tiefe p-Werte - nahe bei 0 -
deuten eine Unvollständigkeit des Modells und damit Unterspezifikation an. Für die durch-
geführten Regressionen sind die Werte in der folgenden Tabelle ersichtlich. Es zeigt sich, dass
verschiedene Regressionen unterspezifiziert sind, besonders was die Genreanteile angeht.
Fehlende erklärungskräftige Informationen zum kulturellen Kapital, den Restriktionen und
Motiven des Musikkonsums wurden im Laufe der Arbeit reflektiert. Sie führten vermutlich
zu einer Verbesserung der Testergebnisse.
Autokorrelation stellt dagegen kein Problem dar, da es sich nicht um Zeitreihendaten han-
delt und die Beobachtungen aufgrund der Zufallsauswahl zum grossen Teil unabhängig von-
einander sind (keine Klumpenstichproben o. ä., Kohler & Kreuter 2008: 227-228).
Tabelle 28: OV-Test auf Vollständigkeit des Modells
Abhängige Variable der Regression F-Wert Signifikanz
UHH Brutto (1) 3.93 0.0201UHH Kontrolliert (2) 0.99 0.3956Anzahl Genres (3) 1.50 0.2128Mayer’s Index Of Uniformity (4) 1.34 0.2599Rockanteil 0.80 0.4928Rapanteil 10.30 0.0000Elektroanteil 3.10 0.0262Klassikanteil 5.50 0.0010Popanteil 8.74 0.0000Metalanteil 7.43 0.0001Jazzanteil 3.68 0.0118Countryanteil 4.97 0.0020Indieanteil 6.19 0.0004
120
Heteroskedastizität
Um auf Varianzhomogenität zu testen, habe ich den Breusch-Pagan Test verwendet (UCLA
2010). Tabelle 29 zeigt die χ2-Werte und die dazugehörigen Signifikanzen. Die Nullhypothe-
se lautet: „Es besteht konstante Varianz über die Ausprägungen von x hinweg“ und bei hohen
χ2-Werten muss die Nullhypothese der Homoskedastizität mit geringer Fehlerwahrschein-
lichkeit verworfen werden, womit wir Heteroskedastizität haben. Wie sich zeigt, sind fast al-
le Regressionen heteroskedastisch, z. T. sehr stark. Deshalb wurden bei den entsprechenden
Hypothesen robuste Standardfehler geschätzt, so dass die inferenzstatistischen Ergebnisse
nicht verfälscht sind.
Tabelle 29: Breusch-Pagan Test auf Heteroskedastizität für jede untersuchte Hypothese
Abhängige Variable der Regression χ2 Signifikanz
UHH Brutto (1) 0.00 0.978UHH Kontrolliert (2) 2.36 0.125Anzahl Genres (3) 0.05 0.821Mayer’s Index Of Uniformity (4) 29.09 0.000Rockanteil 27.59 0.000Rapanteil 865.42 0.000Elektroanteil 51.36 0.000Klassikanteil 2226.11 0.000Popanteil 19.40 0.000Metalanteil 464.04 0.000Jazzanteil 710.07 0.000Countryanteil 246.83 0.000Indieanteil 23.63 0.000
121
.5 Anlage 1: CD
Auf der beigelegten CD befinden sich folgende Dinge:
• Der Datensatz als STATA- und SPSS-File
• Die einzelnen gesammelten Daten im XML-Format und in teilaggregierten EXCEL-
Files: Somit kann der komplette Datensammlungsprozess nachvollzogen werden
• Die SPSS-Syntax zur Recodierung der Tags in Genreanteile
• Die STATA-Syntax mit den in der Arbeit gerechneten Modellen und Statistiken
• Diese Arbeit als latex-File
.6 Anlage 2: Lebenslauf
.7 Anlage 3: Eigenständigkeitserklärung
122
Lebenslauf Christoph Lutz
Persönliche Informationen
Name Christoph Wolfgang Lutz
Geburtsdatum 09.12.1985
Geburtsort Sankt Gallen
Bürgerort Altstätten
Ausbildung
Seit 2004 Studium der Soziologie, Wirtschaftswissenschaften (Schwerpunkt
Management & Economics) und Publizistikwissenschaft an der Universität
Zürich
1998-2004 Gymnasium mit Schwerpunkt Latein in Mörschwil, Sankt Gallen
Berufstätigkeit
Seit 2009 Redakteur bei der Studentenzeitschrift „Studiversum“
Seit 2007 Freie redaktionelle Mitarbeit im Ressort Regionalkultur der Zeitschrift
„Zürcher Oberländer“
2009-2010 Mitarbeit bei den IPMZ-Projekten „Evaluation Kinderfernsehen“ und
„Migrantenkinderprojekt“ am Lehrstuhl von Prof. Dr. Heinz Bonfadelli
2008-2010 Tutor für Statistik am Lehrstuhl von Prof. Dr. Marc Szydlik
2008-2009 Mitarbeit beim NCCR-Projekt 22 zu kulturellen Einflüssen auf die
Medienberichterstattung (Prof. Dr. Frank Esser): Tätigkeit als Codierer „FAZ“
und „Rheinische Post“
2006-2008 Tätigkeit als Nachhilfelehrer
Sprachkenntnisse
Deutsch Muttersprache
Englisch Sehr gute Kenntnisse in Schrift und Sprache
Französisch Gute Kenntnisse in Schrift und Sprache
Spanisch Grundkenntnisse in Schrift und Sprache
Latein Kenntnisse in Schrift
Universität Zürich Philosophische Fakultät
Selbstständigkeitserklärung zur wissenschaftlichen Arbeit am Soziologischen Institut der Universität Zürich Originalarbeit Ich erkläre ausdrücklich, dass es sich bei der von mir eingereichten schriftlichen Arbeit mit dem Titel ..........................................................................................................................................
..........................................................................................................................................
um eine von mir selbst und ohne unerlaubte Beihilfe sowie in eigenen Worten verfasste Originalarbeit handelt. Sofern es sich dabei um eine Arbeit von mehreren Verfasserinnen oder Verfassern handelt, bestätige ich, dass die entsprechenden Teile der Arbeit korrekt und klar gekennzeichnet und der jeweiligen Autorin oder dem jeweiligen Autor eindeutig zuzuordnen sind. Ich bestätige überdies, dass die Arbeit als Ganze oder in Teilen weder bereits einmal zur Abgeltung anderer Studienleistungen an der Universität Zürich oder an einer anderen Universität oder Ausbildungs-einrichtung eingereicht worden ist noch inskünftig durch mein Zutun als Abgeltung einer weiteren Stu-dienleistung eingereicht werden wird. Verwendung von Quellen Ich erkläre ausdrücklich, dass ich sämtliche in der oben genannten Arbeit enthaltenen Bezüge auf frem-de Quellen (einschliesslich Tabellen, Grafiken u. Ä.) als solche kenntlich gemacht habe. Insbesondere bestätige ich, dass ich ausnahmslos und nach bestem Wissen sowohl bei wörtlich übernommenen Aus-sagen (Zitaten) als auch bei in eigenen Worten wiedergegebenen Aussagen anderer Autorinnen oder Autoren (Paraphrasen) die Urheberschaft angegeben habe. Sanktionen Ich nehme zur Kenntnis, dass Arbeiten, welche die Grundsätze der Selbstständigkeitserklärung verletzen – insbesondere solche, die Zitate oder Paraphrasen ohne Herkunftsangaben enthalten –, als Plagiat betrachtet werden und die entsprechenden rechtlichen und disziplinarischen Konsequenzen nach sich ziehen können (gemäss §§ 7ff der Disziplinarordnung der Universität Zürich sowie § 36 der Rahmenord-nung für das Studium in den Bachelor- und Master-Studiengängen der Philosophischen Fakultät der Uni-versität Zürich). Ich bestätige mit meiner Unterschrift die Richtigkeit dieser Angaben. Name: Vorname:
Matrikelnummer:
Datum: Unterschrift: