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Kleine Bibliothek der Weltweisheit 16 Die Weisheit der Upanishaden

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Kleine Bibliothek der Weltweisheit

16

Die Weisheit

der Upanishaden

Die Upanishaden sind Inbegriff altindischer Weisheit und Philoso-

phie. Sie weisen den Weg zu der Erkenntnis, daß das eigene Selbst

mit dem Urgrund der Realität identisch ist. Wer dies erkennt,

wird vom Kreislauf der Leiden und der Wiedergeburten befreit.

Wegen ihrer kulturgeschichtlichen Bedeutung wurden die Upa-

nishaden mit dem Neuen Testament verglichen. Ihre philosophi-

schen Dialoge lassen an Platon denken. «Aus jeder Seite treten uns

tiefe, ursprüngliche Gedanken entgegen, während ein heiliger

Ernst über dem Ganzen schwebt. ... Es ist die belohnendste und

erhebendste Lektüre, die auf der Welt möglich ist», bekannte

Schopenhauer, «sie ist der Trost meines Lebens gewesen und wird

der meines Sterbens sein.» Die vorliegende Auswahl in der klassi-

schen Übersetzung von Karl Friedrich Geldner versammelt die

eindringlichsten Texte aus dem umfangreichen Werk, das etwa seit

der Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends über einen lan-

gen Zeitraum entstanden ist.

KARL FRIEDRICH GELDNER (1 852-1929) war Professor für Indolo-

gie in Berlin und Marburg. Er hat zwanzig Jahre an der kritischen

Ausgabe des Avesta, des heiligen Buchs der Parsen, gearbeitet, be-

vor er sich der erst posthum in Harvard veröffentlichten Überset-

zung des Rigveda, der Sammlung altindischer Hymnen, wid-

mete — nach wie vor ein Standardwerk. Seine einnehmende

Übersetzung von ausgewählten Partien der Upanishaden erschien

erstmals 1911.

AXEL MICHAELS (geb. 1949) ist Professor für Klassische Indologie

an der Universität Heidelberg und gilt «international als einer der

kreativsten Köpfe seiner Disziplin» (Die Zeit). Bei C. H. Beck er-

schienen von ihm u. a. «Der Hinduismus» (Sonderausgabe 2006),

«Die Kunst des einfachen Lebens. Eine Kulturgeschichte der As-

kese» (2004) und «Jesus oder Buddha» (mit U. Luz, 2002) .

Die Weisheitder Upanishaden

Aus dem Sanskrit

von Karl Friedrich Geldner

Herausgegeben und mit einem Nachwort

von Axel Michaels

dtvC.H.Beck

Dezember 2006Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH&Co.KG,

München

© 2006 Verlag C.H.Beck oHG dtv, MünchenDruck und Bindung: Druckerei C.H.Beck, Nördlingen

Umschlagentwurf David Pearson, LondonPrinted in Germany

ISBN- IO: 3 423 34379 6ISBN-13: 97 8 3 42 3 34379 4

wunv.dtv.de

Inhalt

I. Die Hauptsätze der Upanishaden

7

II. Die Brahman-Atman-ErkenntnisI0

III. Die falsche und die wahre Brahmanburg20

IV. «Das bist Du» — Die Lehren des Uddalaka Aruni

33

V. «Frei von Freud und Leid» — Yajnavalkyas Lehren

46

VI. Könige als Lehrmeister

7 1

VII. Die alte und die neue Wissenschaft

75

VIII. Tod und Seelenwanderung

77

IX. Die Erlösung

8 4

X. «Von wem getrieben fliegt der Gedanke?» —

Die Kena-Upanishad

89

XI. Das große Rätsel von Tod und ewigem Leben —

Die Katha-Upanishad

94

Nachwort

von Axel MichaelsI13

Abkürzungen127

Literaturhinweise128

Stellennachweise und Anmerkungen131

Verzeichnis der übersetzten Stellen150

Glossar

153

I.

Die Hauptsätze der Upanishaden

1

«Das bist du»

2

«Ich bin das Brahman»

Im Anfang war nämlich das Brahman diese Welt. Das wußte

nur sich selbst: ich bin das Brahman. Dadurch wurde es zum

Weltall. Wer immer unter den Göttern es erkannte, der

ward zu ihm, desgleichen unter den Rishis und Menschen.

Das erschauend stimmte der Rishi Vamadeva das Lied an:

«Ich ward Manu und die Sonne» (Rigveda 4.26.1). Darum

wird auch heutigen Tages, wer also weiß: «ich bin das Brah-

man», zu diesem Weltall. Auch die Götter haben keine

Macht über ihn, daß er es nicht werde, denn er wird ja zum

eignen Selbst dieser.

3«Das Brahman ist dieser Atman»

Dieses Brahman hat nichts vor ihm und nichts nach ihm,

nichts was in ihm oder was außer ihm wäre. Das Brahman

ist dieser Atman, der sich als das All fühlt.

7

4

«Das ist deine Seele, der innere Lenker, der Unsterbliche»

Der in der Erde ruht und doch ein anderer als die Erde ist,

von der die Erde nichts weiß, dessen Körper die Erde ist,

der die Erde innerlich lenkt, das ist deine Seele, der innere

Lenker, der Unsterbliche.

5

«Er, der hier im Menschen und der dort in der Sonne ist,

der ist Einer»

6

«Erkenntnis ist die Wurzel, das Brahman ist Erkenntnis»

«Wer ist der, den wir uns als Atman vorstellen? Welcher von

beiden (der allgemeine oder der individuelle) ist der At-

man? Womit man die Form (Farbe) sieht oder womit man

den Ton hört oder womit man Gerüche riecht oder womit

man die Sprache gliedert oder womit man Süßes und Nicht-

süßes unterscheidet (i)?

Dieses Herz und Denken, dieses Bewußtsein, Wahrneh-

men, Verstehen, Erkennen, Verstand, Einsicht, Entschlos-

senheit, Nachdenken, Bedacht, Trieb, Erinnerung, Ent-

schließung, Wunsch, Lebensgeist, Liebe, Wille, alles das

sind nur Ausdrücke für die Erkenntnis (2) .

Er (der wahre Atman) ist Brahman, er ist Indra, Prajapati,

er ist all diese Götter, und diese fünf Elemente: Erde, Luft,

Raum (als feinste Substanz gedacht, der Äther), Wasser,

Licht und was sozusagen das Kleinzeug ist, die unterschied-

lichen Keime: die eigeborenen, die als Leibesfrucht gebore-

nen, die schweißgeborenen und die hervorgesprossenen

8

Rosse, Rinder, Menschen, Elefanten, alles Lebendige, was

kriecht und fliegt und was unbeweglich ist, alles das wird

von Erkenntnis gelenkt, wurzelt in der Erkenntnis: Die

Welt wird von Erkenntnis gelenkt, Erkenntnis ist die Wur-

zel, das Brahman ist Erkenntnis (d. h. nur Gegenstand der

Erkenntnis) (3).

7

«Das Brahman ist Erkenntnis, Wonne»

8

«Das Brahman ist Wahrheit, Erkenntnis ohne Ende»

Der Brahmanwissende erlangt das Höchste. Davon spricht

folgende Strophe:

Das Brahman ist Wahrheit, Erkenntnis ohne Ende. Wer

das Brahman kennt, das im Verborgenen ruht, im höchsten

Himmelsraum, der erlangt alle Wünsche zugleich mit dem

redekundigen Brahman.

9

«Eben dieser Geist (Purusha) ist das Brahman»

10

«Wahrlich, das Brahman ist dieses All»

11

«Nur Seiendes war im Anfang diese Welt, o Lieber, nur Eins

ohne ein Zweites»

II.

Die Brahman-Atman-Erkenntnis

Das Brahman

Wenn einer überzeugt ist, daß das Brahman ein Nonsens

sei, so ist er selbst nur ein Nonsens. Wenn er aber überzeugt

ist, daß das Brahman ist, von dem weiß man dann, daß er

ein Seiender ist.

Woraus diese Wesen geboren werden, durch den die gebo-

renen [Wesen] leben, in das sie verscheidend eingehen, das

suche zu erkennen, das ist das Brahman!

Das Brahman ist Speise, — das Brahman ist Odem — das

Brahman ist Denken — das Brahman ist Erkennen, — das

Brahman ist Wonne.

Vor dem die Worte umkehren samt dem Denken, ohne es

zu erfassen, wer die Wonne des Brahman kennt (die in sei-

ner vollen Erkenntnis liegt), der fürchtet sich niemals

mehr.

Nun die Veranschaulichung: Nicht ist es nicht so; denn es

gibt außer diesem nichts anderes Höheres, von dem man sa-

gen könnte: es ist nicht so. Und sein Name ist: die Wahrheit

der Wahrheit.

10

2

Die coincidentia oppositorum

Unbeweglich ist das Eine und doch schneller als der Ge-

danke, auch die Götter holen es nicht ein, wenn es voraus-

eilt. Stillstehend überholt es die anderen Läufer, der Wind-

hauch (Atman) wirkt in ihm das Werk.

Es bewegt sich und bewegt sich auch nicht, es ist fern und

auch nahe, es ist in allem diesem enthalten und zugleich

außerhalb von all dem.

Ohne Füße und ohne Hände läuft er und greift er (der At-

man oder der Purusha beziehungsweise das Brahman als

Person oder Geist gedacht), ohne Augen sieht er und hört

ohne Ohren. Er weiß alles Wißbare, und es gibt keinen, der

ihn kennt. Ihn nennen sie den großen uranfänglichen Geist.

3Die zwei Formen des Bratiman:

Als Erscheinungswelt und Ding an sich

Das Brahman hat fürwahr zwei Formen, eine körperliche

und eine unkörperliche, eine sterbliche und eine unsterbli-

che, eine stehende (bleibende) und eine gehende (wandel-

bare), die reale und die jenseitige.

4

Der Atman (Seele, Weltseele) = Brahman

Denn dieses alles ist Brahman, das Brahman ist dieser At-

man, dieser Atman ist vierfach (nämlich: der wachende,

träumende, im Tiefschlaf ruhende und der absolute) .

II

Kein inneres Bewußtsein, kein Bewußtsein der Außenwelt

habend, ohne dieses beiderseitige Bewußtsein, nicht durch

und durch Bewußtsein, nicht bewußt, nicht unbewußt, un-

sichtbar, nicht mit Worten auszudrücken, unfaßbar, unbe-

stimmbar, unvorstellbar, unbeschreibbar, ganz in der Idee

des eignen Selbstes aufgehend, die Erscheinungswelt austil-

gend, stillzufrieden, glücklich, zweitlos, das betrachten sie

als die vierte (höchste) Stufe, das ist der Atman, den soll

man erkennen.

«Aus Denken bestehend, im Odem verkörpert, lichtfarbig,

der Gegenstand der wahrhaften Wünsche, ätherisch, allwir-

kend, allwünschend, allriechend, allschmeckend, im All

aufgehend, ohne viele Worte, nicht eifernd (2), das ist meine

Seele im Herzen, kleiner als Reis oder Gerste oder Senf

oder Hirse oder ein Hirsekorn, — das ist meine Seele im In-

nern des Herzens, größer als die Erde, größer als das Luft-

reich, größer als der Himmel, größer als diese Welten (3),

allwirkend, allwünschend, allriechend, allschmeckend, im

All aufgehend, ohne viele Worte, nicht eifernd. Das ist

meine Seele im Innern des Herzens, diese ist das Brahman.

In diesem (Atman) werde ich von hinnen scheidend aufge-

hen. Wem das zur Gewißheit werden sollte, dem kommt

kein Zweifel mehr», so sprach Shandilya (einer der alten

Upanishadlehrer) (4) .

«Der Überfluß der ist Freude; nicht hat man am Mangel

Freude. Nur der Überfluß ist Freude. Den Überfluß

muß man zu erkennen suchen», (sagt der Weise Sanatku-

mara) .

I2

«Ich wünsche, Hochwürden», (sagt Narada), «den Über-

fluß zu erkennen» (23) .

«Wo man nichts anderes sieht, nichts anderes hört, nichts

anderes erkennt, da ist Überfluß. Und wo man etwas ande-

res sieht, etwas anderes hört, etwas anderes erkennt, da ist

Mangel. Der Überfluß ist das Unsterbliche, der Mangel das

Sterbliche.»

«Worauf, Hochwürden, ist der (Überfluß) gegründet?»

«Auf seine eigene Größe oder auf gar keine Größe. Als

Größe bezeichnen sie in dieser Welt Rind und Roß, Elefan-

ten und Gold, Diener und Frauen, Ländereien und Woh-

nungen. Ich sage nicht so, sage nicht so, also sprach (der

Lehrer), denn eins ist auf das andere gegründet (24) . Er (der

wahre Überfluß) ist unten, er ist oben, er ist hinten, er

vorne, er ist rechts, er links. Er ist dieses All. Nun seine Ver-

anschaulichung an der Ich-Vorstellung: Ich bin unten, ich

oben, ich hinten, ich vorne, ich rechts, ich links. Ich bin

dieses All. Nun seine Veranschaulichung am Atman: Der

Atman ist unten, der Atman oben, der Atman ist hinten,

der Atman vorne, der Atman ist rechts, der Atman links.

Der Atman ist dieses All. Der also Schauende, also Den-

kende, also Erkennende freut sich am Atman, spielt mit

dem Atman, paart sich mit dem Atman, hat seine Lust am

Atman. Er wird sein eigener Herr, bewegt sich nach Wunsch

in allen Welten. Die ihn aber anders als so verstehen, die

werden abhängig, haben nur eine vergängliche Welt und

können sich nicht in allen Welten nach Wunsch bewegen

(25). Für den nämlich, der also schaut, also denkt, also er-

kennt, kommt aus dem Atman der Lebenshauch, aus dem

Atman die Hoffnung, aus dem Atman die Erinnerung, ...

1 3

aus dem Atman dieses All. Darüber gibt es einen Merk-

vers:

Der Schauende schaut nicht den Tod, nicht Krankheit,

nicht Leidwesen. Der Schauende schaut ja alles, erlangt

alles vollständig... (26).

Er ist der ungesehene Seher, der ungehörte Hörer, der un-

gedachte Denker, der unerkannte Erkenner. Nicht gibt es

außer ihm einen anderen Seher, einen anderen Hörer, einen

anderen Denker, einen anderen Erkenner: Er ist deine

Seele, der innere Lenker, der unsterbliche. Alles andere au-

ßer diesem ist hinfällig.

Dieses (All) war damals noch ungeschieden, es schied sich

nach Namen und Gestalt: so und so heißt er, die und die

Gestalt hat er. Auch heutigen Tages wird dies (alles) nach

Namen und Gestalt geschieden: so und so heißt er, die und

die Gestalt hat er. Er (der Atman als Weltseele und Einzel-

seele) ging in dieses ein bis in die Nagelspitzen. Wie wenn

ein Schermesser im Futteral steckt, oder das Feuer in dem

Feuergehäuse (dem Reibholz), so sieht man ihn nicht, denn

er ist nicht der Ganze. Atmend heißt er Atem, sprechend

Rede, sehend Auge, hörend Ohr, denkend Verstand. Das

sind alles nur Namen für seine Tätigkeit. Wer davon nur das

eine oder das andere sich vorstellt, der kennt (ihn) nicht,

denn er ist es nicht als der Ganze, sondern nur mit je einem

Teil davon. Nur als Atman soll man sich ihn vorstellen, denn

in diesem werden alle jene zur Einheit. Was dieser Atman

ist, der ist die Wegspur zum All (d. h. der Schlüssel und die

Lösung des Welträtsels), denn durch ihn versteht man dieses

z4

All, gerade so wie man durch die Fußspur etwas (Versteck-

tes oder Verlorenes) auffindet. Ruhm und klangvollen Na-

men erlangt, wer solches weiß (7) .

Denn dieser Atman ist etwas lieberes als der Sohn, etwas

lieberes als Geld, etwas lieberes und dem Herzen näherste-

hendes als alles andere. Wenn man von einem, der einen an-

deren als den Atman für lieb erklärt, sagte: er wird noch ein

Liebes beweinen, so könnte es wirklich so geschehen. Nur

den Atman soll man sich als sein Liebes vorstellen. Wer nur

den Atman als sein Liebes sich vorstellt, dem wird nie ein

Liebes wegsterben» (8) .

5

Im eignen Innern zu erkennen

Wie Öl in den Sesamkörnern, wie Butter in der Butter-

milch, wie Wasser in den Flüssen und Feuer in den Reib-

hölzern, so wird jener Atman im eignen Atman erfaßt, wer

nach ihm mit Wahrhaftigkeit und heißem Bemühen

forscht.

6

Einheit in und mit Atman-Brahman

Wer aber alle Wesen nur im Atman (im Selbst) sieht und in

allen Wesen den Atman (das Selbst), vor dem sucht er (der

Atman) sich nicht mehr zu verstecken (6). In dem alle We-

sen zum eignen Selbst des Erkennenden geworden sind,

welche Täuschung, welchen Schmerz sollte es für den ge-

ben, der in ihm die Einheit erschaut (7)?

IS

7

Keine anderen Götter neben Atman!

Und wer eine andere Gottheit (außer dem Atman, dem

Selbst) verehrt, indem er denkt: jener (Gott) ist ein anderer

und ich bin ein anderer, der weiß nicht Bescheid. Er ist für

die Götter wie ein Stück Vieh. So wie viele Haustiere dem

Menschen zum Nutzen gereichen, so gereicht jeder ein-

zelne Mensch den Göttern zum Nutzen. Wenn auch nur

ein Stück Vieh weggenommen wird, so ist das unange-

nehm, um wie viel mehr wenn viele! Darum ist jenen (den

Göttern) das nicht angenehm, daß die Menschen dieses (das

Geheimnis des Atman) wissen.

8

Bratiman-Atman ist der Gott (Ishvara)

Die einen Weisen nennen es Natur, andere gleichfalls irrend

nennen es Zeit. Dies ist vielmehr des Gottes Allmacht, wo-

durch dieses Brahmanrad (der Kreislauf: Samsara) in der

Welt sich umdreht (6.1).

Von dem dieses All ja ewig umschlossen ist, er ist der

(Welt-) Intellekt, der Zeitmacher, mit den Gunas behaftet,

allwissend. Von ihm regiert, entfaltet sich das Werk (die em-

pirische Welt) als Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther: so

muß man es denken (6.2) .

Nachdem er dieses Werk getan, zieht er es ein, wieder

eins werdend mit dem Sein des Seins (dem absoluten

Sein) ... (6.3) .

Nicht gibt es in der Welt einen Herren und Gebieter über

ihm. Ohne Kennzeichen ist er; er ist die Ursache (der Welt),

i6

der oberste Lenker der Sinneswerkzeuge. Nicht hat er einen

Erzeuger und Oberherrn (6.9) .

Der wie eine Spinne mit seinen aus dem Urstoff ent-

standnen Fäden sich von selbst (in die Welt) einspinnt, der

möge uns das Aufgehen in Brahman erwirken (6.10) .

Wenn die Menschen sich einmal den Raum wie ein Fell

umlegen werden (d. h. wenn sie zu ätherischen Wesen ge-

worden sind, oder wenn einmal das Unmögliche möglich

sein wird), dann wird auch ohne den Gott erkannt zu ha-

ben, das Ende des Leides da sein (6.20).

Alles trägt der Gott in sich vereint: das Vergängliche und

Unvergängliche, das Entfaltete und Unentfaltete. Die Seele

ohne Gott bleibt gebunden, weil sie ein Genießer (der an

der Sinnlichkeit hängt) bleibt. Wer den Gott erkannt hat,

wird von allen Banden erlöst (1.8) .

Wer den Gott erkannt hat; streift alle Fesseln von sich und

mit den geschwundenen Leiden streift er (Wieder) geburt

und Tod ab (I.11).

Ihn, der höher als dieser steht, das höchste Brahman, den

großen, Leib für Leib in allen Wesen verborgenen (als Ein-

zelseele), den einen Umhüller des Alls, den Gott erkannt

habend, wird man unsterblich (3.7).

Ich kenne diesen Geist, den großen, den sonnenfarbigen

jenseits des Dunkels (der Unwissenheit). Wer den erkannt

hat, entrinnt dem Tod: es gibt keinen andern Weg zum

Vorwärtskommen (3.8).

17

Es gibt nichts über ihm, nichts unter ihm, nichts kleineres,

nichts größeres. Fest wie ein Baum steht der Eine im Him-

mel. Von diesem Geist ist das Weltall erfüllt (3.9)

9Atman-Brahman (der Gott) und die Welt

In dem der Himmel und die Erde und das Luftreich einge-

woben sind und das Denken samt allen Lebensorganen, ihn

kennet ihr als die einzige Seele, gebt die anderen Worte auf;

er ist die Brücke zur Unsterblichkeit.

Wie die Spinne (die Fäden) ausspinnt und einzieht, wie auf

der Erde die Kräuter hervorwachsen, wie aus dem Men-

schen, so lang er lebt, die Haupt- und Leibeshaare, so wächst

aus dem Ewigen diese ganze Welt hier hervor.

10

Die empirische Welt ist nur eine Illusion

Man wisse, daß die Natur nur Blendwerk ist und der große

Gott der Blender. Aber die ganze Welt ist erfüllt von Ele-

menten, die nur Teilchen von ihm sind.

Die Vielheit, falls sie überhaupt bestünde, würde ohne

Zweifel aufhören (wenn die wahre Erkenntnis im Men-

schen zum Durchbruch kommt). Diese Zweiheit (Gott und

die Welt) ist (aber) nur ein Blendwerk, im höchsten Sinne

gibt es keine Zweiheit (17).

Die Doppelheit (Gott und Welt) würde aufhören (wenn

die wahre Erkenntnis im Menschen zum Durchbruch

kommt), wenn sie von einem behauptet wird. Jene Behaup-

tung stammt aus dem Unterricht (ist nur der besseren An-

schaulichkeit halber aufgestellt). Wenn (das Brahman) er-

kannt ist, gibt es keine Zweiheit mehr (i8).

III.

Die falsche und die wahre Brahmanburg

Das Thema dieses achten und letzten Kapitels der Chandogya-

Upanishad wird in 8.1.1 und 8.1.E angegeben und in 8.7.1 noch-

mals zusammengefaßt. Ähnlich der Kena-Upanishad (Kapitel X)

zerfällt es in zwei Teile, einen mehr theoretischen über die Wege

und Ziele der Brahman-Atman-Erkenntnis und eine Geschichte

(7-12), in der die falsche und die wahre Atman-Erkenntnis veran-

schaulicht wird.

z . Was nun in dieser Brahmanburg (dem Leib) diese kleine

Lotusblume (das Herz) als seine Behausung und darin der

kleine Raum ist, was darin enthalten ist, das soll man su-

chen, das fürwahr soll man kennen lernen (1) .

Wenn (die Schüler) ihn fragen sollten: «Was in dieser

Brahmanburg diese kleine Lotusblume als seine Behausung

ist und darin der kleine Raum ist, was befindet sich

dort, das man suchen, das man fürwahr kennen lernen soll»

(2)?

So soll er sagen: «So groß nämlich dieser (Welt)raum ist,

so groß ist dieser Raum im Herzen. In ihm sind beide,

Himmel und Erde vereinigt, beide, Feuer und Luft, beide

Sonne und Mond, Blitz und Gestirne, und was einer

hienieden hat und was er nicht hat, das alles ist in ihm ver-

einigt» (3).

Wenn sie zu ihm sagen sollten: «Wenn dies alles in der

Brahmanburg vereinigt ist, und alle Geschöpfe und alle

20