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Maßtheorie und Integralrechnung mehrerer Variablen Jan Swoboda 29. März 2014 Inhaltsverzeichnis Einleitung 1 1 Maßtheorie 3 1.1 Messbare Räume und messbare Abbildungen .................. 3 1.2 Maße und Maßräume ................................ 5 1.3 Konstruktion von Maßen – Prämaße ....................... 7 1.4 Fortsetzung eines Prämaßes zu einem Maß .................... 11 1.5 Lebesgue-Borel-Maß ................................ 15 1.6 Bildmaße ...................................... 16 2 Integrationstheorie 18 2.1 Messbare numerische Funktionen ......................... 18 2.2 Integral von Elementarfunktionen ......................... 19 2.3 Integral nichtnegativer messbarer Funktionen .................. 20 2.4 Integrierbarkeit ................................... 24 2.5 Fast überall bestehende Eigenschaften ...................... 26 2.6 Die Räume L p (μ) .................................. 26 2.7 Konvergenzsätze .................................. 30 2.8 Produktmaße - Satz von Fubini .......................... 36 2.9 Transformationssatz ................................ 42 3 Differentialformen und der Satz von Stokes 47 3.1 Differenzierbare Mannigfaltigkeiten ........................ 47 3.2 Differentialformen .................................. 56 3.3 Zerlegung der Eins ................................. 64 3.4 Orientierungen ................................... 65 3.5 Mannigfaltigkeiten mit Rand ........................... 65 3.6 Der Integralsatz von Stokes ............................ 69 3.7 Integralsätze der klassischen Vektoranalysis ................... 72 4 Fourieranalysis 73 4.1 Fourierreihen (Fourieranalysis auf T) ....................... 73 4.2 Konvergenz in L p (T) und der Satz von Plancharel ................ 77 4.3 Fejér-Mittel ..................................... 80 4.4 Fourieranalysis auf R n ............................... 83 1

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Maßtheorie und Integralrechnung mehrerer Variablen

Jan Swoboda

29. März 2014

Inhaltsverzeichnis

Einleitung 1

1 Maßtheorie 31.1 Messbare Räume und messbare Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.2 Maße und Maßräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51.3 Konstruktion von Maßen – Prämaße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71.4 Fortsetzung eines Prämaßes zu einem Maß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111.5 Lebesgue-Borel-Maß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151.6 Bildmaße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

2 Integrationstheorie 182.1 Messbare numerische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182.2 Integral von Elementarfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192.3 Integral nichtnegativer messbarer Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202.4 Integrierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242.5 Fast überall bestehende Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262.6 Die Räume Lp(µ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262.7 Konvergenzsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302.8 Produktmaße - Satz von Fubini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362.9 Transformationssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

3 Differentialformen und der Satz von Stokes 473.1 Differenzierbare Mannigfaltigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473.2 Differentialformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563.3 Zerlegung der Eins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643.4 Orientierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653.5 Mannigfaltigkeiten mit Rand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653.6 Der Integralsatz von Stokes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 693.7 Integralsätze der klassischen Vektoranalysis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

4 Fourieranalysis 734.1 Fourierreihen (Fourieranalysis auf T) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734.2 Konvergenz in Lp(T) und der Satz von Plancharel . . . . . . . . . . . . . . . . 774.3 Fejér-Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 804.4 Fourieranalysis auf Rn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

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Einleitung

Das vorliegende Skriptum ist aus der Vorlesung Maßtheorie und Integralrechnung mehrererVariablen entstanden, die ich im Wintersemester 2012/13 an der LMU München gehaltenhabe. Eine erste Version hiervon wurde von den Studenten Kilian Lieret und MarcelSchaub erstellt, denen ich an dieser Stelle für ihre Mühe danken möchte. Für vielfälti-ge Hinweise, Anregungen und Verbesserungsvorschläge bin ich Herrn Dipl.-Math. RobertSchmidt, der als Assistent die Vorlesung betreut hat, zu großem Dank verpflichtet. Schließ-lich gilt mein herzlicher Dank Herrn Privatdozent Dr. Hartmut Weiß für die freundlicheÜberlassung der Aufzeichnungen zu seiner Vorlesung Analysis III.

Stanford, den 23. Mai 2013Jan Swoboda

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1 Maßtheorie

Grundlegende Fragestellung

Gegeben sei eine beliebige Menge A ⊆ Rn. Ist es möglich, A ein „n-dimensionales Volumen“µ(A) ∈ [0,∞] zuzuordnen? Vernünftige Forderungen an einen solchen „Inhalt“µ : P(Rn) →[0,∞]:

(i) endliche Additivität: Für A,B ⊆ Rn, A ∩B = ∅ ist µ(A ∪B) = µ(A) + µ(B).(ii) Bewegungsinvarianz1 : Sei ϕ : Rn → Rn eine Bewegung, d.h. ϕ(x) = Tx + b, mit

T ∈ O(n)2, b ∈ Rn. Dann ist µ(ϕ(A)) = µ(A) für alle A ⊆ Rn.(iii) Normiertheit: µ([0, 1]n) = 1.

Maßproblem

Gibt es ein µ : P(Rn) → [0,∞] mit den Eigenschaften (i)-(iii)? Hausdorff hat 1914 gezeigt,dass es ein solches µ für n ≥ 3 nicht geben kann. Banach konnte 1923 die Existenz für n = 1, 2nachweisen, allerdings ist sie nicht eindeutig. Eine Verschärfung des Inhaltsproblems machtdie Ersetzung von (i) zu (i’) nötig:

(i’) σ-Additivität: Seien Aj ⊆ Rn, j ∈ N, paarweise disjunkt, so ist

µ( ⋃j∈N

Aj)

=∞∑j=1

µ(Aj).

Dieses Problem entwickelte sich zum Maßproblem: Gibt es ein „Maß “µ : P(Rn) → [0,∞]mit (i’), (ii), (iii)? Die Antwort von Vitali 1905 lautet nein für n = 1. Banach und Tarskizeigten 1924 für beliebiges n:

Satz 1.1 Seien n ≥ 1, A,B ⊆ Rn mit A, B 6= ∅. Dann existieren Cj ⊆ Rn und Bewegungenϕj : Rn → Rn, j ∈ N, sodass

A =⊔j∈N

Cj und B =⊔j∈N

ϕj(Cj).

Konsequenz

Versuche, µ : A → [0,∞] mit Eigenschaften (i’), (ii), (iii) nur für geeignete Teilmengensyste-me A & P(Rn) zu konstruieren.

1.1 Messbare Räume und messbare Abbildungen

Im folgenden sei X eine Menge und P(X) die Potenzmenge von X.

Definition 1.2 Ein Teilmengensystem A ⊆ P(X) heißt σ-Algebra über X, falls1Eine Abbildung ϕ : Rn → Rn heißt (euklidische) Isometrie, falls gilt:

d(ϕ(x), ϕ(y)) = d(x, y) ∀x, y ∈ Rn.

Dabei ist d(x, y) :=` Pn

i=1 |xi−yi|2´ 1

2 der euklidische Abstand zwischen x und y. Man kann zeigen (Übung):ϕ ist eine Isometrie genau dann, wenn ϕ eine Bewegung wie in (ii) ist.

2Hierbei bezeichnet

O(n) = g ∈ Rn×n | gg> = 1 = g ∈ Rn×n | 〈gv, gw〉 = 〈v, w〉 ∀v, w ∈ Rn

die orthogonale Gruppe.

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(i) X ∈ A;(ii) A ∈ A =⇒ Ac := X \A ∈ A;(iii) sind Aj ∈ A, j ∈ N, so folgt

⋃j∈NAj ∈ A.

Für eine σ-Algebra A über X heißt das Paar (X,A) messbarer Raum, die Mengen A ∈ Amessbare Mengen.

Beispiel. Sei X eine Menge.(1) A = P(X) ist eine σ-Algebra.(2) A = ∅, X ist eine σ-Algebra.

Erinnerung: Regeln von De Morgan. Für jede Familie Ai, i ∈ I (I beliebige Indexmenge),ist ( ⋃

i∈IAi

)c =⋂i∈I

Aci ,( ⋂i∈I

Ai)c =

⋃i∈I

Aci .

Lemma 1.3 Sei A ⊆ P(X) eine σ-Algebra. Dann gilt:(i) ∅ ∈ A;(ii) A,B ∈ A =⇒ A \B ∈ A;(iii) Aj ∈ A, j ∈ N =⇒

⋂j∈NAj ∈ A.

Beweis.(i) Folgt wegen ∅ = Xc ∈ A aus Definition 1.2.(ii) Es ist A \B = A ∩Bc = (Ac ∪B)c ∈ A.(iii) Es gilt

⋂j∈NAj = (

⋃j∈NA

cj)c ∈ A.

Lemma 1.4 Seien Ai, i ∈ I (I beliebige Indexmenge), σ-Algebren über X. Dann ist auch

A :=⋂i∈IAi = A ⊆ X | A ∈ Ai ∀i ∈ I

eine σ-Algebra über X.

Beweis. Übung.

Definition 1.5 Für ein Teilmengensystem S ⊆ P(X) heißt

Aσ(S) :=⋂

S⊆A⊆P(X),

A σ-Algebra

A

die von S erzeugte σ-Algebra.

Bemerkung.(i) Aσ(S) ist eine σ-Algebra (die kleinste σ-Algebra, die S enthält).(ii) S ist eine σ-Algebra genau dann, wenn Aσ(S) = S gilt.(iii) S ⊆ T =⇒ Aσ(S) ⊆ Aσ(T ).(iv) S = ∅ =⇒ Aσ(S) = ∅, X.(v) S = A =⇒ Aσ(S) = ∅, A,Ac, X.

Erinnerung: Ein Teilmengensystem T ⊆ P(X) heißt Topologie (auf X), falls gilt:(i) ∅, X ∈ T ;

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(ii) für Ui ∈ T , i ∈ I (I beliebige Indexmenge), gilt:⋃i∈I Ui ∈ T ;

(iii) für U, V ∈ T gilt U ∩ V ∈ T .Das Paar (X, T ) heißt topologischer Raum, die Mengen U ∈ T heißen offen.

Definition 1.6 Sei (X, T ) ein topologischer Raum. Die von T erzeugte σ-Algebra

B(X) := Aσ(T )

heißt Borelsche σ-Algebra, die Mengen in B(X) heißen Borel-messbar.

Im Falle des topologischen Raumes (Rn, Tstd) schreiben wir auch Bn := B(Rn). Für eineAbbildung f : X → X ′ und A′ ⊆ P(X ′) bezeichne

f−1(A′) := f−1(A′) | A′ ∈ A′.

Ist A′ eine σ-Algebra (auf X ′), so ist f−1(A′) eine σ-Algebra (auf X): das Urbild von S′

unter f . Ist umgekehrt A ⊆ P(X) eine σ-Algebra, so auch

f∗(A) := A′ ⊆ X ′ | f−1(A′) ∈ A ⊆ P(X ′)

das direkte Bild von A unter f . Beweis: Übung.

Definition 1.7 Seien (X,A) und (X ′,A′) messbare Räume. Eine Abbildung f : X → X ′

heißt (A,A′)-messbar, falls für alle A′ ∈ A′ gilt f−1(A′) ∈ A (d.h. f heißt messbar genaudann, wenn „Urbilder messbarer Mengen messbar“ sind).

Lemma 1.8 (i) Seien (X,A) und (X ′,A′) messbare Räume. Ist A′ = Aσ(S′) für einTeilmengensystem S ′ ⊆ P(X ′), so ist f : X → X ′ bereits dann (A,A′)-messbar, fallsf−1(S′) ⊆ A.

(ii) Sind (X, T ), (X ′, T ′) topologische Räume und f : X → X ′ stetig, so ist f (B(X),B(X ′))-messbar (man sagt dann: f sei Borel-messbar).

Beweis. Übung.

1.2 Maße und Maßräume

Definition 1.9 Sei S ⊆ P(X) ein Teilmengensystem mit ∅ ∈ S. Eine Abbildung

µ : S → [0,∞]

mit µ(∅) = 0 heißt eine Mengenfunktion. Eine Mengenfunktion µ auf S heißt(i) subadditiv, falls aus A,B ∈ S, A ∪B ∈ S folgt: µ(A ∪B) ≤ µ(A) + µ(B);(ii) additiv, falls gilt: A,B ∈ S, A ∪B ∈ S, A ∩B = ∅ =⇒ µ(A ∪B) = µ(A) + µ(B);(iii) σ-subadditiv, falls gilt: sind Aj ∈ S, j ∈ N,

⋃j∈NAj ∈ S, so folgt

µ( ⋃j∈N

Aj)≤

∑j∈N

µ(Aj).

(iv) σ-additiv, falls gilt: sind Aj ∈ S, j ∈ N, paarweise disjunkt und⋃j∈NAj ∈ S, so folgt

µ( ⋃j∈N

Aj)

=∑j∈N

µ(Aj).

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Weiterhin heißt die Mengenfunktion µ endlich, falls µ(A) < ∞ für alle A ∈ S ist, undσ-endlich, falls Aj ∈ S, j ∈ N, existieren mit µ(Aj) <∞ und X =

⋃j∈NAj .

Bemerkung. Ist µ σ-subadditiv (σ-additiv), so ist µ bereits subadditiv (additiv). Dies folgtwegen ∅ ∈ S und der Annahme µ(∅) = 0.

Definition 1.10 Sei (X,A) ein messbarer Raum. Eine σ-additive Mengenfunktion

µ : A → [0,∞]

heißt Maß auf (X,A). Das Tripel (X,A, µ) heißt Maßraum. Ferner nennt man µ ein Wahr-scheinlichkeitsmaß, falls µ(X) = 1 ist.

Beispiel. Sei X eine Menge.(1) Für x ∈ X sei

δx(A) :=

0, x /∈ A,1, x ∈ A.

Dies definiert ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf P(X), das Dirac-Maß (in x).(2) Die Mengenfunktion

µ : P(X) → [0,∞], µ(A) :=

#A = |A|, A endlich,∞, A unendlich.

ist ein Maß auf (X,P(X)). Es ist endlich genau dann, wenn X endlich ist, und σ-endlichgenau dann, wenn X abzählbar ist.

Lemma 1.11 Sei (X,A, µ) ein Maßraum. Dann gilt:(i) Seien A,B ∈ A, dann ist µ(A) + µ(B) = µ(A ∪B) + µ(A ∩B).(ii) Für A,B ∈ A, A ⊆ B ist µ(A) ≤ µ(B) ( Isotonie).(iii) Seien A,B ∈ A, A ⊆ B,µ(A) <∞. Dann gilt µ(B\A) = µ(B)−µ(A) (Subtraktivität).(iv) Für jede Folge Aj, j ∈ N, in A gilt

µ( ⋃j∈N

Aj)≤

∑j∈N

µ(Aj) (σ-Subadditivität).

Beweis.(i) Aus der endlichen Additivität folgt:

µ(A \B) + µ(B \A) + µ(A ∩B) = µ(A ∪B),µ(A \B) + µ(B) = µ(A ∪B) ⇐⇒ µ(A \B) = µ(A ∪B)− µ(B),µ(B \A) + µ(A) = µ(A ∪B) ⇐⇒ µ(B \A) = µ(A ∪B)− µ(A).

Durch Kombination der Gleichungen folgt:

µ(A ∪B)− µ(B) + µ(A ∪B)− µ(A) + µ(A ∩B) = µ(A ∪B)⇐⇒ µ(A) + µ(B) = µ(A ∪B) + µ(A ∩B).

(ii) Das folgt aus (i), denn für A ⊆ B ist A ∪B = B und weiter:

µ(B \A) + µ(A) = µ(A ∪B) =⇒ µ(A) = µ(B)− µ(B \A) ≤ µ(B).

(iii) Wegen A ⊆ B ist (B \A) ∪A = B und weiter nach (i):

µ(B \A) = µ((B \A) ∪A) + µ((B \A) ∩A)− µ(A) = µ(B)− µ(A).

(iv) Übung.

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1.3 Konstruktion von Maßen – Prämaße

Ziel : Wir möchten auf einem Teilmengensystem S ⊆ P(X) eine Mengenfunktion geeig-net vorschreiben und diese dann zu einem Maß auf der von S erzeugten σ-Algebra Aσ(S)fortsetzen.

Definition 1.12 Ein Teilmengensystem R ⊆ P(X) heißt Ring über X, falls(i) ∅ ∈ R;(ii) A,B ∈ R =⇒ A \B ∈ R;(iii) A,B ∈ R =⇒ A ∪B ∈ R.

Bemerkung.(i) Jede σ-Algebra ist gleichzeitig ein Ring.(ii) A,B ∈ R =⇒ A ∩B ∈ R, denn

A ∩B = A \ (A \B)︸ ︷︷ ︸∈R

.

Definition 1.13 Sei R ⊆ P(X) ein Ring. Eine Mengenfunktion µ : R → [0,∞] heißt Prä-maß, falls µ σ-additiv ist, d.h. für Aj ∈ R, j ∈ N, paarweise disjunkt mit

⋃j∈NAj ∈ R

gilt:

µ( ⋃j∈N

Aj)

=∞∑j=1

µ(Aj).

Falls µ nur additiv ist, so nennen wir µ einen Inhalt.

Sei A1 ⊆ A2 ⊆ · · · ⊆ X eine aufsteigende Folge von Mengen in X. Wir schreiben Aj ↑ A,falls A =

⋃j∈NAj . Analog schreiben wir Aj ↓ A für eine absteigende Folge A1 ⊇ A2 ⊇ · · · ,

falls A =⋂j∈NAj ist.

Lemma 1.14 (Charakterisierung des Prämaßes) Für einen Inhalt µ auf einem RingR betrachte man folgende Eigenschaften:

(i) µ ist ein Prämaß.(ii) µ ist stetig von unten: Für jede aufsteigende Folge Aj , j ∈ N, in R mit Aj ↑ A ∈ R gilt

µ(A) = limj→∞

µ(Aj).

(iii) µ ist stetig von oben: Für jede absteigende Folge Aj ∈ R, j ∈ N, mit Aj ↓ A ∈ R undµ(Aj) <∞ für alle j ∈ N gilt:

µ(A) = limj→∞

µ(Aj).

(iv) µ ist ∅-stetig: Für jede absteigende Folge Aj ∈ R, j ∈ N, mit µ(Aj) <∞ für alle j ∈ Nund Aj ↓ ∅ gilt:

limj→∞

µ(Aj) = 0.

Dann gilt:

(i) ⇐⇒ (ii) =⇒ (iii) ⇐⇒ (iv).

Für einen endlichen Inhalt µ auf R (d.h. µ(A) <∞ für alle A ∈ R) folgt sogar

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(iii) =⇒ (ii),

d.h. in diesem Fall sind (i)-(iv) äquivalent.

Beweis.(i) ⇒ (ii) Wir setzen A0 := ∅. Dann sind die Mengen Bj := Aj \ Aj−1, j ∈ N, paarweise

disjunkt und in R enthalten. Für alle n ∈ N gilt

An = B1 ∪ · · · ∪Bn und A =⋃j∈N

Bj .

Somit folgt aus der σ-Additivität von µ:

µ(A) =∞∑j=1

µ(Bj) = limn→∞

n∑j=1

µ(Bj) = limn→∞

µ(An).

(ii) ⇒ (i) Seien Aj ∈ R, j ∈ N, paarweise disjunkt mit A =⋃j∈NAj ∈ R. Mit Bn :=

A1 ∪ · · · ∪ An gilt Bn ↑ A und daher µ(A) = limn→∞ µ(Bn). Da µ endlich-additiv ist,folgt µ(Bn) = µ(A1) + · · ·+ µ(An), mithin

µ(A) =∞∑j=1

µ(Aj),

wie behauptet.(ii) ⇒ (iii) Aus Aj ↓ A folgt (A1 \ Aj) ↑ (A1 \ A) und alle auftretenden Mengen liegen inR. Nach (ii) und aufgrund der Subtraktivität (µ(Aj) <∞) ist somit

µ(A1 \A) = limj→∞

µ(A1 \Aj)

= limj→∞

(µ(A1)− µ(Aj))

= µ(A1)− limj→∞

µ(Aj).

Damit folgt wegen µ(A1 \A) = µ(A1)− µ(A) die Behauptung.(iii) ⇒ (iv) ist klar, denn (iv) ist ein Spezialfall von (iii).(iv) ⇒ (iii) Aus Aj ↓ A folgt (Aj \A) ↓ ∅. Aus der Isotonie folgt

µ(Aj \A) ≤ µ(Aj) <∞ und µ(A) ≤ µ(Aj) <∞.

Wegen (iv) gilt dannlimj→∞

µ(Aj \A) = 0.

Da µ(Aj \A) = µ(Aj)− µ(A) ist, zeigt dies

limj→∞

µ(Aj) = µ(A),

wie behauptet.Es sei nun µ ein endlicher Inhalt. Wir zeigen (iv) ⇒ (ii). Sei Aj ∈ R, j ∈ N, Aj ↑ A ∈ R.Dann folgt (A \Aj) ↓ ∅. Da µ endlich ist, folgt hieraus

0 = limj→∞

µ(A \Aj) = µ(A)− limj→∞

µ(Aj),

und es folgt (ii).

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Im folgenden sei X = Rn. Für a = (a1, . . . , an), b = (b1, . . . , bn) ∈ Rn verwenden wir dieKonvention

a < b :⇐⇒ ai < bi für alle 1 ≤ i ≤ n,

a ≤ b :⇐⇒ ai ≤ bi für alle 1 ≤ i ≤ n.

Wir nennen die Mengen [a, b) := x ∈ Rn | a ≤ x < b (nach rechts halboffene) Intervalleim Rn. Beachte: [a, b) 6= ∅ nur, falls a < b ist. Falls a ≤ b ist, nennt man die nichtnegativeZahl

(b1 − a1)(b2 − a2) · · · (bn − an)

den n-dimensionalen Elementarinhalt von [a, b). Die Menge aller nach rechts halboffenenIntervalle in Rn bezeichnen wir mit In, und mit Fn das System der endlichen Vereinigungvon Intervallen in In. Die Elemente von Fn heißen n-dimensionale Figuren.

Lemma 1.15 Für je zwei Intervalle I, J ∈ In gilt I ∩ J ∈ In sowie J \ I ∈ Fn. Jede Figurist die Vereinigung endlich vieler, paarweise disjunkter Intervalle.

Beweis. Übung.

Satz 1.16 Fn ist ein Ring über Rn.

Beweis. Noch zu zeigen: A,B ∈ Fn =⇒ A \B ∈ Fn. Definitionsgemäß existieren IntervalleI1, . . . , Im, I

′1, . . . , I

′n mit

A =m⋃j=1

Ij , B =n⋃k=1

I ′k.

Damit ist

A \B =m⋃j=1

( n⋂k=1

Ij \ I ′k)

und es bleibt zu zeigen, dass jede der Mengen⋂nk=1 Ij \ I ′k eine Figur ist. Dies folgt, wenn

gezeigt ist, dass der Schnitt zweier Figuren

C =l⋃

j=1

I ′′j , D =l′⋃k=1

I ′′′k

eine Figur ist. Es giltC ∩D =

⋃1≤j≤l1≤k≤l′

(I ′′j ∩ I ′′′k )

woraus die Behauptung aus Lemma 1.15 folgt.

Satz 1.17 Es existiert genau ein Inhalt λ auf Fn derart, dass λ(I) für jedes I ∈ In gleichdem Elementarinhalt von I ist.

Beweis. Nach Lemma 1.15 besitzt jede Figur A ∈ Fn eine Darstellung A =⋃mj=1 Ij mit

paarweise disjunkten Intervallen Ij ∈ In. Eindeutigkeit folgt damit aus der Additivität desInhalts. Es bleibt die Existenz von λ zu zeigen.

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Schritt 1 Sei I ∈ In. Zerlegt man I durch endlich viele Hyperebenen, die parallel zu einerder Koordinatenhyperebenen sind, in paarweise disjunkte Intervalle I1, . . . , Ik, so folgt ausder Definition des Elementarinhalts, dass

λ(I) = λ(I1) + · · ·+ λ(Ik).

Schritt 2 Seien F = I1 ∪ · · · ∪ Ik = I ′1 ∪ · · · ∪ I ′l zwei Darstellungen von F ∈ Fn alsVereinigung paarweise disjunkter Intervalle. Dann gilt:

λ(I1) + · · ·+ λ(Ik) = λ(I ′1) + · · ·+ λ(I ′l). (1)

Für jedes 1 ≤ j ≤ k ist nämlich

Ij =l⋃

i=1

(Ij ∩ I ′i).

Somit (weil die Ij ∩ I ′i paarweise disjunkte Intervalls sind) folgt aus Schritt 1, dass

λ(Ij) =l∑

i=1

λ(Ij ∩ I ′i).

Analog (durch Vertauschen der Rollen von i und j) folgt für jedes 1 ≤ i ≤ l, dass

λ(I ′i) =k∑j=1

λ(I ′i ∩ Ij).

Beide Gleichungen zusammen liefern (1).

Schritt 3 Durch die Festsetzung λ(F ) :=∑k

k=1 λ(Ij) für eine Figur F = I1 ∪ · · · ∪ Ik ∈ Fn

wie oben wird λ nach Schritt 2 zu einer wohldefinierten, additiven Mengenfunktion auf Fn

fortgesetzt.

Satz 1.18 Der Inhalt λ auf Fn ist ein Prämaß.

Beweis. Da der Inhalt λ endlich ist, genügt es nach Lemma 1.14, die ∅-Stetigkeit vonλ nachzuweisen. Wir führen den Beweis durch Kontraposition. Sei F1 ⊇ F2 ⊇ · · · eineabsteigende Folge von Figuren im Fn. Es wird nun gezeigt, dass aus der Annahme

δ := limj→∞

λ(Fj) = lim infj→∞

λ(Fj) > 0

folgt, dass ⋂j∈N

Fj 6= ∅. (2)

Da jede Figur Fj ∈ Fn als endliche Vereinigung paarweiser disjunkter Intervalle Ii ∈ Indarstellbar ist, findet man durch geeignetes Verkleinern der Ii eine Figur Gj ∈ Fn mit

Gj ⊆ Fj und λ(Fj)− λ(Gj) ≤ 2−jδ.

10

Page 11: Maßtheorie und Integralrechnung mehrerer Variablenswoboda/Skript_Analysis_III.pdf · (ii) für U i∈ T , i∈ I(Ibeliebige Indexmenge), gilt: S i∈I U i∈ T ; (iii) für U,V ∈

Das Entscheidende and dieser Verkleinerung ist, dass wir nun mit abgeschlossenen MengenGj arbeiten können. Setze Hj := G1 ∩ · · · ∩ Gj ∈ Fn. Für alle j ∈ N ist dann Hj+1 ⊆Hj und Hj ⊆ Gj ⊆ Fj und damit auch⋂

j∈NHj ⊆

⋂j∈N

Fj . (3)

Es genügt also zu zeigen, dass der Schnitt der Hj nicht leer ist, um (2) zu erhalten. Da Fjbeschränkt ist, ist Hj kompakt1, also ist H1 ⊇ H2 ⊇ · · · eine absteigende Folge kompakterMengen. Angenommen, es ist Hj 6= ∅ für alle j ∈ N. Nach bekannten Aussagen aus derAnalysis2 folgt dann

⋂j∈NHj 6= ∅, also wegen (3) auch

⋂j∈N Fj 6= ∅, wie behauptet. Es

bleibt, diese Annahme zu zeigen. Dafür genügt es, die folgende Abschätzung zu beweisen:

λ(Hj) ≥ λ(Fj)− δ(1− 2−j) ∀j ∈ N, (4)

woraus wie gewünscht λ(Hj) ≥ δ − 12δ > 0 für alle j ∈ N folgt. Beweis von (4) mittels

vollständiger Induktion: Für j = 1 ist (4) richtig, denn H1 = G1 und λ(F1) − λ(G1) ≤ 12δ.

Sei (4) bereits bewiesen für ein festes j ∈ N. Wir zeigen (4) für j+ 1. Da Hj+1 = Gj+1 ∩Hj

ist, folgt

λ(Hj+1) = λ(Gj+1)︸ ︷︷ ︸≥λ(Fj+1)−2−j−1δ

+ λ(Hj)︸ ︷︷ ︸(4)≥λ(Fj)−δ(1−2−j)

− λ(Gj+1 ∪Hj)︸ ︷︷ ︸≤λ(Fj) (da Gj+1∪Hj⊆Fj)

≥ λ(Fj+1)︸ ︷︷ ︸≥δ

−δ(1− 2−j−1)

≥ 2−j−1δ,

also (4) für j + 1. Damit ist die Annahme bewiesen, der Beweis also vollständig.

Definition 1.19 Das Prämaß λ aus Satz 1.18 heißt Lebesgue-Prämaß (in Rn).

1.4 Fortsetzung eines Prämaßes zu einem Maß

Im Hinblick auf Satz 1.18 stellt sich die Frage, ob sich das Lebesgue-Prämaß λ zu einem Maßauf der Borel-σ-Algebra Bn fortsetzen läßt. Wir wollen dieses Problem gleich allgemeinerbetrachten und fragen nach der Fortsetzbarkeit eines Prämaßes auf einem Ring R (übereiner Menge X) zu einem Maß auf der von R erzeugten σ-Algebra Aσ(R).

Definition 1.20 Eine Abbildung µ : P(X) → [0,∞] heißt äußeres Maß, falls gilt:(i) µ(∅) = 0 (d.h. µ ist eine Mengenfunktion);(ii) für A ⊆ B folgt µ(A) ≤ µ(B) (Isotonie);(iii) µ

( ⋃∞j=1Aj

)≤

∑∞j=1 µ(Aj) (σ-Subadditivität).

Eine Teilmenge A ⊆ X heißt µ-messbar, falls gilt:(iv) µ(A ∩B) + µ(B \A) ≤ µ(B) ∀B ⊆ X.

Bemerkung.1Auf Rn ist kompakt gleichbedeutend mit beschränkt und abgeschlossen.2Zum Beispiel wie folgt: Man wähle xi ∈ Hi\

Si−1j=1 Hj (funktioniert wegen Hj 6= ∅ und betrachte die Folge

(xi), die nach dem Satz von Bolzano–Weierstraß eine konvergente Teilfolge (xij ) besitzt, d.h. limj→∞ xij = x.Aber wegen (xij )j≥k ⊆ Ak und Ak kompakt, muss auch x ∈ Ak sein (Folgenkompaktheit). Da dies aber füralle k gilt, ist auch x ∈

Tk∈N Ak 6= ∅.

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Page 12: Maßtheorie und Integralrechnung mehrerer Variablenswoboda/Skript_Analysis_III.pdf · (ii) für U i∈ T , i∈ I(Ibeliebige Indexmenge), gilt: S i∈I U i∈ T ; (iii) für U,V ∈

(i) Die Eigenschaften (i) und (ii) implizieren, dass µ ≥ 0 ist.(ii) Wegen (iii) gilt sogar „=“ in (iv).

Satz 1.21 Sei µ ein äußeres Maß auf X. Dann ist das System A∗ aller µ-messbaren MengenA ⊆ X eine σ-Algebra über X. Ferner ist die Einschränkung von µ auf A∗ ein Maß.

Beweis. Aus Eigenschaften (i) und (iv) eines äußeren Maßes folgt X ∈ A∗. Wegen Symme-trie von A und Ac in (iv) ist mit A ∈ A∗ auch Ac ∈ A∗. Wir zeigen, dass mit A,B ∈ A∗auch A ∪B ∈ A∗ gilt. Mit (iv) gilt für alle Q ⊆ X

µ(Q) = µ(Q ∩A) + µ(Q ∩Ac).

Wir wenden nun (iv) an auf Q′ = Q ∩ A und Q′′ = Q ∩ Ac. Es folgt µ(Q′) = µ(Q′ ∩ B) +µ(Q′ ∩Bc) und analog für µ(Q′′). Dies ergibt eingesetzt:

µ(Q) = µ(Q ∩A ∩B) + µ(Q ∩A ∩Bc) + µ(Q ∩Ac ∩B) + µ(Q ∩Ac ∩Bc)

für alle Q ⊆ X. Ersetzt man hierin Q durch Q ∩ (A ∪B), so erhält man:

µ(Q ∩ (A ∪B)) = µ(Q ∩A ∩B) + µ(Q ∩A ∩Bc) + µ(Q ∩Ac ∩B). (5)

Beide Gleichungen zusammen liefern

µ(Q) = µ(Q ∩ (A ∪B)) + µ(Q ∩ (A ∪B)c

= µ(Q ∩ (A ∪B)) + µ(Q \ (A ∪B)).

Somit erfüllt A ∪ B die Bedingung (iv), d.h. A ∪ B ∈ A∗. Sei A,B ∈ A∗. Dann folgtAc, Bc ∈ A∗ also

A ∩B = (Ac ∪Bc)c ∈ A∗.

Wir zeigen nun, dass mit jeder Folge Aj , j ∈ N, paarweise disjunkter Mengen in A∗ auch

A :=⋃j∈N

Aj ∈ A∗

gilt. Aus (5) unter Beachtung von A1 ∩A2 = ∅ folgt für alle Q ⊆ X:

µ(Q ∩ (A1 ∪A2)) = µ(Q ∩A1) + µ(Q ∩A2).

Per Induktion folgt hieraus für alle n ∈ N, dass

µ(Q ∩ (A1 ∪ · · · ∪An︸ ︷︷ ︸=:Bn∈A∗

)) =n∑j=1

µ(Q ∩Aj).

Damit gilt

µ(Q) = µ(Q ∩Bn) + µ(Q \Bn) ≥n∑j=1

µ(Q ∩Aj) + µ(Q \A).

Nach Grenzübergang n→∞ folgt wegen (iii):

µ(Q) ≥∞∑j=1

µ(Q ∩Aj) + µ(Q \A)(iii)≥ µ(Q ∩A) + µ(Q \A). (6)

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Dies zeigt A ∈ A∗. Es folgt, dass A∗ eine σ-Algebra ist, wegen (6) und der Stabilität unterendlichen Schnitten (vgl. Übung). Da in (6) sogar Gleichheit gilt, folgt mit Wahl von Q = A,dass

µ(A) =∞∑j=1

µ(Aj),

also die σ-Additivität von µ.

Satz 1.22 (Fortsetzungssatz von Carathéodory) Jedes Prämaß µ auf einem Ring Rkann auf mindestens eine Weise zu einem Maß auf der von R erzeugten σ-Algebra Aσ(R)fortgesetzt werden.

Beweis. Für Q ∈ P(X) bezeichne U(Q) die Menge aller Folgen (Aj)j∈N in R, welche Qüberdecken, also

Q ⊆⋃j∈N

Aj

erfüllen. Wir definieren nun die Mengenfunktion µ∗ : P(X) → [0,∞] durch

µ∗(Q) =

inf

∑∞j=1 µ(Aj) | (Aj)j∈N ∈ U(Q)

, falls U(Q) 6= ∅,

∞, falls U(Q) = ∅.

Schritt 1 µ∗(Q) ist ein äußeres Maß auf P(X).

Eigenschaft (i) eines äußeren Maßes ist klar. Wegen U(Q1) ⊇ U(Q2) für Q1 ⊆ Q2 folgt (ii).Zum Beweis von (iii) können wir µ∗(Qn) < ∞ für alle n ∈ N annehmen, d.h. U(Qn) 6= ∅(denn für µ∗(Qn) = ∞ für mindestens ein n ∈ N ist (iii) trivial). Zu ε > 0 und n ∈ Nexistiert dann eine Folge (An,m)m∈N in U(Qn) mit∑

m∈Nµ(An,m) ≤ µ∗(Qn) + 2−nε.

Da die Doppelfolge (An,m)n,m∈N in U(⋃n∈NQn) enthalten ist (d.h. die Menge

⋃n∈NQn

überdeckt), gilt nach Definition von µ∗:

µ∗( ⋃n∈N

Qn)≤

∞∑m,n=1

µ(An,m) ≤∞∑n=1

µ∗(Qn) +∞∑n=1

2−nε =∞∑n=1

µ∗(Qn) + ε.

Da ε > 0 beliebig gewählt war, folgt hieraus Eigenschaft (iii) eines äußeren Maßes.

Schritt 2 Jede Menge A ∈ R ist µ∗-messbar, d.h.

µ∗(Q) ≥ µ∗(Q ∩A) + µ∗(Q ∩Ac) (7)

für alle Q ⊆ X. Die σ-Algebra der µ∗-messbaren Mengen umfaßt somit den Ring R.

Sei A ∈ R und Q ⊆ X. Wir können wieder U(Q) 6= ∅ annehmen. Sei (Aj)j∈N ⊆ R eineFolge in U(Q), also Q ⊆

⋃j∈NAj . Dann liegt (Aj ∩ A)j∈N in U(Q ∩ A) und (Aj \ A)j∈N in

U(Q \A). Hieraus folgt aus der Definition von µ∗:

µ∗(Q ∩A) + µ∗(Q \A) ≤∞∑j=1

µ(Aj ∩A) +∞∑j=1

µ(Aj \A) =∞∑j=1

µ(Aj).

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Diese Ungleichung wird von jeder Folge (Aj)j∈N ∈ U(Q) erfüllt. Damit folgt (7) aus

µ∗(Q ∩A) + µ∗(Q\A) ≤ inf∑j∈N

µ(Aj) | (Aj)j∈N ∈ U(Q)

= µ∗(Q).

Schritt 3 µ∗(A) = µ(A) für alle A ∈ R.

Sei (Aj)j∈N eine Folge in U(A), also A ⊆⋃j∈NAj . Da µ ein Prämaß ist, gilt (vgl. Übungs-

blatt 2 Aufgabe 2)

µ(A) ≤∞∑j=1

µ(Aj),

woraus µ(A) ≤ µ∗(A) folgt. Mit Wahl der trivialen Folge A1 = A und Aj = ∅ für j ≥ 2 (manbeachte, dass Aj ∈ R für alle j ∈ N ist) folgt jedoch auch die umgekehrte Abschätzung

µ∗(A) ≤∞∑j=1

µ(Aj) = µ(A),

also die behauptete Gleichheit.

Schritt 4 Abschluß des Beweises.

Nach Satz 1.21 bildet die Menge der µ∗-messbaren Mengen eine σ-Algebra, die aufgrund derAussage von Schritt 2 den RingR enthält. Damit ist aber auch die vonR erzeugte σ-AlgebraAσ(R) in der σ-Algebra der µ∗-messbaren Mengen enthalten. Gleichzeitig ist nach Schritt 3µ∗|R = µ, mithin µ∗ eine Fortsetzung des Prämasses µ auf R zu einem Maß auf Aσ(R).

Es stellt sich die Frage nach der Eindeutigkeit der in Satz 1.22 konstruierten Fortsetzungdes Prämaßes µ.

Beispiel. Sei X 6= ∅ eine Menge und R := ∅, versehen mit dem Prämaß µ : R → [0,∞],µ(∅) = 0. Dann lässt sich µ auf viele verschiedene Weisen zu einem Maß µ auf Aσ(R) =∅, X fortsetzen, zum Beispiel durch µ(X) = 0 oder µ(X) = 1, etc. Im Beweis von Satz1.22 ist µ∗(X) = ∞, da U(X) = ∅.

Erinnerung (an Definition 1.9): Eine Mengenfunktion µ : S → [0,∞] heißt σ-endlich, fallses eine Folge (Aj)j∈N in S gibt mit X =

⋃j∈NAj und µ(Aj) <∞ für alle j ∈ N.

Beispiel. Das Lebeguesche Prämaß λn auf dem Ring Fn der Figuren ist σ-endlich, dennRn =

⋃j∈N Ij für geeignete Intervalle Ij .

Satz 1.23 Jedes σ-endliche Prämaß µ auf einem Ring R kann auf genau eine Weise zueinem Maß auf die von R erzeugte σ-Algebra Aσ(R) fortgesetzt werden.

Beweis. Übung

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1.5 Lebesgue-Borel-Maß

Wie in Abschnitt 1.3 sei nun In die Menge der nach rechts halboffenen Intervalle im Rn,Fn der Ring der n-dimensionalen Figuren, λn das Lebesgue-Prämaß.

Definition 1.24 Die von Fn (bzw. gleichwertig damit, In) erzeugte σ-Algebra Bn heißtBorel-σ-Algebra von Rn.

Bemerkung. Wir werden bald sehen (vgl. Satz 1.26 unten), dass diese Definition mit De-finition 1.6 konsistent ist.

Satz 1.25 Es gibt genau ein Maß λn auf Bn, welches jedem Intervall I ∈ In seinen n-di-mensionalen Elementarinhalt zuordnet. Das Maß λn nennen wir Lebesgue-Borel-Maß (aufRn).

Beweis. Da λn auf Fn ein Prämaß ist, existiert nach Satz 1.22 eine Fortsetzung von λn zueinem Maß auf Aσ(Fn) = Bn. Wegen Satz 1.17 setzt λn den n-dimensionalen Elementarin-halt eindeutig zum Lebesgue-Prämaß auf Fn fort. Die Eindeutigkeit des Maßes λn auf Bnfolgt nun aus Satz 1.23 und der σ-Endlichkeit des Lebesgue-Prämaßes.

Bemerkung. Das Lebesgue-Borel-Maß λn ist σ-endlich, da bereits das Lebesgue-Prämaßσ-endlich ist. Ferner gilt für jede beschränkte Borel-Menge B ∈ Bn, dass λn(B) <∞. Denn:B ⊆ I für ein geeignetes Intervall I ∈ In und λn(B) ≤ λn(I) <∞.

Satz 1.26 Es bezeichne On, Cn bzw. Kn das System der offenen, abgeschlossenen bzw. kom-pakten Teilmengen von Rn. Dann gilt

Aσ(On) = Aσ(Cn) = Aσ(Kn) = Bn.

Beweis. Wegen Kn ⊆ Cn gilt Aσ(Kn) ⊆ Aσ(Cn). Da umgekehrt jede abgeschlosseneMenge die Vereinigung einer Folge von kompakten Mengen ist, gilt Aσ(Cn) ⊆ Aσ(Kn).Ferner sind die offenen Mengen die Komplemente der abgeschlossenen Mengen, worausAσ(On) = Aσ(Cn) folgt. Wir zeigen nun Aσ(On) = Bn. Wähle hierzu ein halboffenes Inter-vall [a, b) ⊆ Rn. Für eine geeignete Folge (aj , b), j ∈ N offener Intervalle ist

[a, b) =⋂j∈N

(aj , b).

Das zeigt [a, b) ∈ Aσ(On), also In ⊆ Aσ(On). Es folgt Bn = Aσ(In) ⊆ Aσ(On). Schließlichist jede offene Menge die Vereinigung abzählbar vieler offener und beschränkter Intervalle(etwa solcher mit lauter rationalen Eckpunkten). Nun ist jedes beschränkte offene Intervall(a, b) die Vereinigung

(a, b) =⋃j∈N

[aj , b)

für geeignete aj . Dies zeigt On ⊆ Aσ(In) = Bn, also die Behauptung.

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1.6 Bildmaße

Erinnerung (an Definition 1.7): Seien (X,A), (X ′,A′) messbare Räume. Dann heißt f : X → X ′

messbar, falls f−1(A′) ∈ A ist, für alle A′ ∈ A′.

Satz und Definition 1.27 Es sei f : X → X ′ (A,A′)-messbar. Dann wird für jedes Maßµ auf A durch

µ′(A′) := µ(f−1(A′)) ∀A′ ∈ A′

ein Maß µ′ auf A′ erklärt. Dieses nennen wir Bildmaß von µ unter der Abbildung f . Wirschreiben hierfür µ′ = f(µ).

Beweis. Wir zeigen, dass die Mengenfunktion µ′ σ-additiv ist. Dazu wählen wir eine FolgeA′j , j ∈ N, von paarweise disjunkten Mengen in A′. Dann gilt

µ

(⋃j∈N

A′j

)= µ

(f−1

(⋃j∈N

A′j

))

= µ

(⋃j∈N

f−1(A′j))

=∞∑j=1

µ(f−1(A′j)) (da f−1(Aj) paarweise disjunkt)

=∞∑j=1

µ′(A′j),

wie behauptet.

Bemerkung. Sei f : X → X ′ (A,A′)-messbar und f ′ : X ′ → X ′′ (A′,A′′)-messbar. Dannist f ′ f : X → X ′′ (A,A′′)-messbar und für jedes Maß µ auf (X,A) gilt

(f ′ f)(µ) = f ′(f(µ)).

Beispiel.(1) Es sei (Rn,Bn) die Borelsche σ-Algebra und λn das Lebesgue-Borel-Maß. Betrachte

zu a ∈ Rn die Translationsabbildung Ta : Rn → Rn, x 7→ x + a. Ta ist stetig unddamit messbar. Es gilt Ta(λn) = λn (Übung). Dies zeigt die Translationsinvarianz desLebesgue-Borel-Maßes.

(2) Zu γ ∈ R \ 0 und 1 ≤ i ≤ n sei

Diγ : Rn → Rn, x = (x1, . . . , xn) 7→ (x1, . . . , γxi, . . . , xn).

Dann gilt Diγ(λ

n) = |γ|−1λn (Übung). Für die Homothetie Dγ = D1γ · · · Dn

γ , x 7→ γxfolgt

Dγ(λn) = D1γ(D

2γ(. . . (D

nγλ

n) . . .))

= |γ|−nλn

(3) Für eine lineare Abbildung T ∈ GLn(R) gilt allgemeiner T (λn) = |detT |−1λn.

Bemerkung.

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(1) Aus Beispielen (1) und (3) oben folgt die Invarianz von λn unter Bewegungen

x 7−→ Tx+ a

wobei T ∈ On(R) und a ∈ Rn ist. Allgemeiner ist λn invariant unter affin-linearenTranslationen x 7→ Tx+ a, d.h. T ∈ SLn(R) und a ∈ Rn.

(2) Das Lebesgue-Borel-Maß λn ist durch folgenden Satz charakterisiert: λn ist das einzigetranslationsinvariante Maß µ auf Bn mit µ([0, 1)n) = 1.

(3) Ein analoges Maß existiert auf jeder lokalkompakten, hausdorffschen topologischen Grup-pe. Hierbei heißt eine Gruppe G topologisch, falls G eine Topologie trägt, sodass dieAbbildungen

i : G→ G, g 7→ g−1 und m : G×G→ G, (g, h) 7→ gh

stetig sind. (Hierbei sei G × G mit der Produkttopologie versehen). Die topologischeGruppe G heißt lokalkompakt, falls das Einselement e ∈ G (und damit jedes g ∈ G)eine kompakte Umgebung besitzt. Insbesondere ist (Rn,+) eine lokalkompakte abelscheGruppe. Ein Maß µ auf der Borel-σ-Algebra B(G) heißt linksinvariant, falls für alleMengen A ∈ B(G) und alle g ∈ G gilt:

µ(gA) = µ(A).

Analog erklären wir rechtsinvariante Maße. Man kann zeigen, dass jede lokalkompak-te, hausforffsche topologische Gruppe ein linksinvariantes Maß trägt. Dieses Maß heißtHaarsches Maß und ist bis auf einen Normierungsfaktor eindeutig bestimmt.

Zum Abschluß zeigen wir noch, dass nicht jede Teilmenge A ⊆ Rn Borel-messbar ist.

Satz 1.28 Es gilt Bn 6= P(Rn) für alle n ∈ N.

Beweis. Wir zeigen die Existenz einer nicht-Borelschen TeilmengeK ⊆ Rn. Hierzu betrachtedie Untergruppe Qn von Rn. Auf Rn definieren wir die Äquivalenzrelation

x ∼ y : ⇐⇒ x− y ∈ Qn.

(D.h. die Äquivalenzklassen sind die Nebenklassen von Rn modulo Qn). Jede Äquivalenz-klasse x + Qn besitzt einen Repräsentanten in [0, 1)n. Es gibt also eine Menge K ⊆ [0, 1)n

so, dass K mit jeder Äquivalenzklasse genau ein Element gemeinsam hat. Es folgt

Rn =⋃k∈K

(k + Qn) =⋃y∈Qn

(K + y).

Ferner ist für y1, y2 ∈ Qn, y1 6= y2,

(K + y1) ∩ (K + y2) = ∅. (8)

Angenommen K ∈ Bn. Wegen der σ-Additivität von λn gilt∑y∈Qn

λn(K + y) = λn(Rn) = ∞.

Aufgrund der Translationsinvarianz von λn gilt λn(K+y) = λn(K). Dies zeigt, dass λn(K) >0. Andererseits gilt K ⊆ [0, 1)n, also⋃

y∈[0,1)n∩Qn

(K + y) ⊆ [0, 1)n.

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Aus der σ-Additivität und (8) folgt∑y∈[0,1)n∩Qn

λn(K + y) ≤ λn([0, 2)n) = 2n.

Dies zeigt (wegen λn(K+ y) = λn(K)), dass λn(K) = 0. Widerspruch. Damit kann K nichtin Bn enthalten sein.

2 Integrationstheorie

2.1 Messbare numerische Funktionen

Im folgenden verwenden wir die folgenden Konventionen. Es sei R := R ∪ −∞,∞. Wirnennen eine Teilmenge A ⊆ R Borelsch, falls A∩R ∈ B(R) gilt. In diesem Fall schreiben wirA ∈ B(R). Eine Menge A ⊆ R ist damit Borelsch genau dann, wenn es eine Menge B ∈ B(R)gibt mit

A = B, A = B ∪ −∞, A = B ∪ ∞ oder A = B ∪ −∞,∞.

Für einen messbaren Raum (X,A) und eine Funktion f : X → R ist somit die (A,B(R))-Messbarkeit erklärt. Solche Funktionen nennen wir A-messbare numerische Funktionen.

Beispiel. Sei (X,A) ein messbarer Raum und A ⊆ X. Die numerische Funktion

1A(x) =

1 x ∈ A,0 x /∈ A,

heißt charakteristische Funktion von A. Es ist 1A genau dann eine A-messbare numerischeFunktion, wenn A ∈ A gilt.

Lemma 2.1 Sei (X,A) ein messbarer Raum. Eine numerische Funktion f auf X ist genaudann A-messbar, wenn gilt:

x ∈ X | f(x) ≥ α ∈ A für alle α ∈ R. (9)

Beweis. Sei f A-messbar. Da die Intervalle [α,∞] in B(R) enthalten sind, folgt (9). NachLemma 1.8 genügt es, die Eigenschaft f−1(E) ⊆ A für ein Mengensystem E mit Aσ(E) =B(R) nachzuweisen. Das System E der Mengen [α,∞], α ∈ R, besitzt diese Eigenschaft.Denn: Wegen [α,∞] ∈ B(R) folgt Aσ(E) ⊆ B(R). Da diese Mengen B(R) erzeugen, folgtB(R) = Aσ(E) ∩ R. Da auch die Mengen ∞ =

⋂j∈N[j,∞] und −∞ =

⋂j∈N[−j,∞]c in

Aσ(E) liegen, folgt die Behauptung.

Lemma 2.2 Sei (X,A) ein messbarer Raum. Gleichwertig mit A-Messbarkeit einer Funk-tion f : X → R ist jede der folgenden Eigenschaften:

(i) f ≥ α ∈ A für alle α ∈ R,(ii) f > α ∈ A für alle α ∈ R,(iii) f ≤ α ∈ A für alle α ∈ R,(iv) f < α ∈ A für alle α ∈ R.

Beweis. Übung.

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Lemma 2.3 Sei (X,A) ein messbarer Raum. Mit f, g : X → R sind auch die Funktionenf ± g (falls überhaupt definiert) und fg A-messbar.

Beweis. Übung.

Lemma 2.4 Sei (fj)j∈N eine Folge A-messbarer Funktionen. Dann ist jede der folgendenFunktionen A-messbar:

supj∈N

fj , infj∈N

fj , lim supj→∞

fj , lim infj→∞

fj .

Beweis. Sei g := supj∈N fj . Dann ist für jedes α ∈ R:

g ≤ α =⋂j∈N

fj ≤ α ∈ A,

also g messbar. Dann ist aber auch infj∈N fj = − supj∈N(−fj) eine A-messbare Funktion.Dies folgt schließlich auch für

lim supj→∞

fj = infj∈N

supk≥j

fk und lim infj→∞

fj = supj∈N

infk≥j

fk,

wie zu zeigen war.

Bemerkung. Aus Lemma 2.4 folgt, dass die Grenzfunktion f = limj→∞ fj einer punktweisekonvergenten Folge messbarer Funktionen messbar ist. Ferner folgt aus Lemmata 2.3 und2.4 die A-Messbarkeit der Funktionen |f |, f+ und f−, falls f messbar ist. Hierbei ist

f+(x) =

f(x), f(x) ≥ 0,0, f(x) < 0,

und f−(x) =

0, f(x) ≥ 0,f(x), f(x) < 0.

2.2 Integral von Elementarfunktionen

Definition 2.5 Sei (X,A) ein messbarer Raum. Eine Funktion f : X → R heißt Elemen-tarfunktion (bzw. Treppenfunktion), falls gilt:

(i) f ≥ 0,(ii) f ist A-messbar,(iii) f nimmt nur endlich viele Werte an.Wir bezeichnen mit E = E(X,A) die Menge der Elementarfunktionen auf X.

Ist f ∈ E eine Elementarfunktion mit Werten α1, . . . , αn, so sind die Mengen

Aj := f−1(αj) ∈ A, 1 ≤ j ≤ n,

paarweise disjunkt und es gilt:

f =n∑j=1

αj1Aj . (10)

Die Darstellung (10) von f nennen wir (eine) Normaldarstellung1. Umgekehrt definiert dierechte Seite von (10) zu jeder endlichen Mengen α1, . . . , αn mit αj ≥ 0 und paarweisedisjunkten Aj ∈ A eine Funktion f ∈ E(X,A). Sei nun (X,A, µ) ein Maßraum.

1Diese Darstellung ist natürlich nicht eindeutig, da einzelne „Stufen“ der Treppenfunktion „aufgespaltet“werden können.

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Proposition 2.6 Für je zwei Normaldarstellungen f =∑m

i=1 αi1Ai =∑n

j=1 βj1Bj einerFunktion f ∈ E gilt:

m∑i=1

αiµ(Ai) =n∑j=1

βjµ(Bj).

Beweis. Aus X = A1 ∪ · · · ∪Am = B1 ∪ · · · ∪Bn (disjunkte Vereinigungen) folgt

Ai =n⋃j=1

(Ai ∩Bj) und Bj =m⋂i=1

(Bj ∩Ai)

mit paarweise disjunkten Mengen Ai ∩Bj . Damit folgt:

µ(Ai) =n∑j=1

µ(Ai ∩Bj) und µ(Bj) =m∑i=1

µ(Bj ∩Ai),

und somitm∑i=1

αiµ(Ai) =∑i,j

αiµ(Ai ∩Bj) undn∑j=1

βjµ(Bj) =∑i,j

βjµ(Ai ∩Bj).

Hieraus folgt die Behauptung, denn αi = βj für alle i, j mit Ai ∩Bj 6= ∅.

Definition 2.7 Sei f ∈ E(X,A). Dann heißt die nach Proposition 2.6 von der speziellgewählten Normaldarstellung f =

∑mi=1 αi1Ai unabhängige Zahl

m∑j=1

αjµ(Aj) =:∫f dµ

das µ-Integral von f über X. Das µ-Integral ist somit eine Abbildung g : E → R+ (undg : E → R+ genau dann, wenn das Maß µ endlich ist).

Diese Abbildung besitzt die folgenden Eigenschaften (Übungsaufgabe):(i)

∫1A dµ = µ(A) für alle A ∈ A;

(ii) Homogenität:∫αf dµ = α

∫f dµ für alle f ∈ E und α ≥ 0;

(iii) Additivität:∫

(f + g) dµ =∫f dµ+

∫g dµ für alle f, g ∈ E;

(iv) Monotonie: f ≤ g ⇒∫f dµ ≤

∫g dµ für alle f, g ∈ E.

Aus (i)-(iii) folgt, dass für eine beliebige Darstellung f =∑n

j=1 αj1Aj ∈ E, wobei Aj ∈ Anicht notwendigerweise paarweise disjunkt sind, ebenfalls gilt:∫

f dµ =n∑j=1

αjµ(Aj).

2.3 Integral nichtnegativer messbarer Funktionen

Sei wie bisher (X,A, µ) ein Maßraum.

Satz 2.8 Es sei (fj)j∈N eine monoton steigende Folge von Funktionen fj ∈ E(X,A) sowief ∈ E(X,A). Dann gilt:

f ≤ supj∈N

fj ⇐⇒∫f dµ ≤ sup

j∈N

∫fj dµ .

D.h. das Supremum darf in diesem Fall vor das Integral gezogen werden.

20

Page 21: Maßtheorie und Integralrechnung mehrerer Variablenswoboda/Skript_Analysis_III.pdf · (ii) für U i∈ T , i∈ I(Ibeliebige Indexmenge), gilt: S i∈I U i∈ T ; (iii) für U,V ∈

Beweis. Sei f =∑n

i=1 αi1Ai eine Normaldarstellung von f und α ∈ (0, 1). Für jedes n ∈ Nist dann die Menge Bn := fn ≥ αf in A enthalten. Wegen fn ≥ αf1Bn

gilt∫fn dµ ≥ α

∫f 1Bn dµ (11)

für alle n ∈ N. Ferner ist∫f dµ =

m∑i=1

αiµ(Ai) = limn→∞

m∑i=1

αiµ(Ai ∩ Bn) = limn→∞

∫f 1Bn dµ .

Hierbei folgt die zweite Gleichheit aus der Stetigkeit von µ von unten und der EigenschaftAi ∩ Bn ↑ Ai für n→∞. Zusammen mit (11) folgt jetzt

supn∈N

∫fn dµ ≥ sup

n∈Nα

∫f 1Bn dµ = α lim

n→∞

∫f 1Bn dµ = α

∫f dµ .

Weil α ∈ (0, 1) beliebig gewählt war, folgt die Behauptung nach Grenzübergang α→ 1.

Korollar 2.9 Für je zwei monoton steigende Folgen (fj)j∈N und (gj)j∈N aus E gilt:

supj∈N

fj = supj∈N

gj =⇒ supj∈N

∫fj dµ = sup

j∈N

∫gj dµ .

Beweis. Für jedes i ∈ N ist gi ≤ supj∈N fj und fi ≤ supj∈N gj . Nach Satz 2.8 gilt deshalb∫gi dµ ≤ sup

j∈N

∫fj dµ und

∫fi dµ ≤ sup

j∈N

∫gj dµ

Die Behauptung folgt damit nach Übergang zum Supremum über i.

Im folgenden bezeichnen wir mit E∗ = E∗(X,A) die Menge der Funktionen f : X → R+0 ,

zu welchen eine monoton steigende Folge (fj)j∈N von Elementarfunktionen existiert mit

f = lim supj→∞

fj . (12)

Definition 2.10 Es sei f ∈ E∗ mit f = lim supj→∞ fj wie in (12). Dann heißt∫f dµ := sup

j∈N

∫fj dµ

das (µ-)Integral von f (überX). Nach Korollar 2.9 ist dieses unabhängig von der Darstellung(12) von f .

Bemerkung. Es ist E(X,A) ⊆ E∗(X,A), und das Integral aus Definition 2.10 setzt dasüber Elementarfunktionen fort. Dabei bleiben die bekannten Eigenschaften (wie Additivität,Homogenität, Monotonie) erhalten.

Satz 2.11 (Satz von der monotonen Konvergenz) Für jede monoton steigende Folge(fj)j∈N von Funktionen in E∗ ist

f := limj→∞

fj ∈ E∗ und∫f dµ = lim

j→∞

∫fj dµ .

21

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Beweis. Für jedes j ∈ N existiert nach Definition von E∗ eine monoton steigende Folge(uij)i∈N von Funktionen in E mit

fj = supi→∞

uij .

Es sei vi definiert durchvi(x) := maxui1(x), . . . , uii(x).

Es ist vi ∈ E und (vi)i∈N ebenfalls monoton steigend. Aus der Monotonie der Folge der fjfolgt vi ≤ fi für alle i ∈ N und damit supi∈N vi ≤ f . Für jedes j ∈ N folgt wegen uij ≤ vifür alle i ≥ j, dass

supi∈N

uij = fj ≤ supi∈N

vi.

Somit ist f = supj∈N fj ≤ supi∈N vi, also insgesamt f = supi∈N vi. Dies zeigt, dass f ∈ E∗

ist, sowie (per Definition des Integrals)∫f dµ = sup

i∈N

∫vi dµ .

Da außerdem vi ≤ fi für alle i ∈ N, d.h.∫vi dµ ≤

∫fi dµ ist, folgt∫

f dµ ≤ supi∈N

∫fi dµ .

Umgekehrt ist wegen fi ≤ f auch∫fi dµ ≤

∫f dµ, d.h. supi∈N

∫fi dµ ≤

∫f dµ, also

insgesamt ∫f dµ = sup

i∈N

∫fi dµ,

wie behauptet. check dµ

Korollar 2.12 Für jede Folge (fj)j∈N von Funktionen in E∗ ist

∞∑j=1

fj ∈ E∗ und∫ ( ∞∑

j=1

fj

)dµ =

∞∑j=1

∫fj dµ .

Beweis. Die Aussage folgt aus Satz 2.11, angewandt auf die Folge (f1+· · ·+fn)n∈N monotonsteigender Funktionen.

Bemerkung. Wir werden bald Funktionen betrachten, die nicht mehr unbedingt nur positi-ve Funktionswerte annehmen. Dann ist der Satz von der monotonen Konvergenz nicht mehrohne weiteres anwendbar und zunächst keine Aussage über die Grenzfunktion und derenIntegral möglich.

Beispiel.(1) Sei (X,A) ein messbarer Raum, x ∈ X, sowie das Dirac-Maß µ = δx definiert durch

durch

µ(A) :=

1 x ∈ A,0 x /∈ A.

(vgl. das Beispiel nach Definition 1.10). Dann gilt für jedes f ∈ E∗:∫f dµ = f(x).

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Es sei zunächst f ∈ E eine Elementarfunktionen, d.h. für f =∑m

j=1 αj1Aj mit paarweisedisjunkten Mengen Aj ∈ A so, dass

⋃mj=1Aj = X ist. Es folgt∫

f dµ =m∑j=1

αjµ(Aj) = αk = f(x),

wobei Ak ∈ A1, . . . , Am diejenige Menge ist, die x enthält. Für eine allgemeine Funk-tion f = supj∈N fj ∈ E∗, fj ∈ E, folgt nun∫

f dµ = supj∈N

∫fj dµ = sup

j∈Nfj(x) = f(x).

(2) Sei X = N und A = P(X). Durch die Wahl einer Folge (αn)n∈N in [0,∞] und derFortsetzung von µ(n) = αn per σ-Additivität wird ein Maß auf (X,A) erklärt. Dabeibesteht die Menge E∗ aus allen Funktionen nichtnegativen Funktionen f ≥ 0. Denn: Seif ≥ 0 und fn := f(n)1n für n ∈ N. Damit ist fn ∈ E∗ (sogar in E, falls f(n) < ∞).Wegen f =

∑∞n=1 fn folgt f ∈ E∗ und es gilt∫

f dµ =∞∑n=1

∫fj dµ =

∞∑n=1

αnf(n).

Hierbei haben wir Korollar 2.12 verwendet.

Es stellt sich die Frage, welche Funktionen die Menge E∗ umfasst.

Satz 2.13 E∗ ist die Menge der numerischen, A-messbaren Funktionen f ≥ 0 auf X.

Beweis. Da jede Elementarfunktion A-messbar ist, überträgt sich diese Eigenschaft nachLemma 2.4 auf die Funktionen aus E∗. Sei jetzt f ≥ 0 eine A-messbare numerische Funktion. check

proofZu jedem n ∈ N definieren wir die Mengen

Ajn :=

f ≥ 2−nj ∩ f < 2−n(j + 1), j = 0, . . . , 2nn− 1,f ≥ n, j = 2nn.

Die Mengen Ajn sind paarweise disjunkt und messbar. Damit ist

µn :=2nn∑j=1

j2−n1Ajn ∈ E.

Man stellt fest, dass die Folge (µn)n∈N monoton steigend ist. Ferner gilt für jedes x ∈ Xentweder

f(x) = ∞ = limn→∞

n = limn→∞

µn(x)

oderµn(x) ≤ f(x) < µn(x) + 2−n ∀n > f(x),

also auch hier f(x) = limn→∞ µn(x). Damit ist f der punktweise Grenzwert der monotonsteigenden Folge (µn)n, also f ∈ E∗.

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Beispiel. Es sei X eine überabzählbare Menge, A die σ-Algebra der Mengen A, für dieentweder A oder Ac abzählbar ist. Wir betrachten auf (X,A) das Maß µ mit

µ(A) :=

1 Ac abzählbar,0 A abzählbar.

.

Eine numerische Funktion f auf X ist genau dann messbar, wenn f konstant ist auf demKomplement einer höchstens abzählbare Menge A ⊆ X.

Zum Beweis betrachte eine solche Funktion f . Wir wählen eine abzählbare Menge A ⊆ Xso, dass f(x) = α für alle x ∈ Ac gilt. Diese Konstante α hängt dabei nicht von A ab, daAc ∩Bc 6= ∅ für jede abzählbare Menge B ⊆ X ist. Es folgt, dass für β ∈ R stets

f ≥ β ⊆ A (falls β > α) oder Ac ⊆ f ≥ β (falls β ≤ α)

gilt. Damit ist f ≥ β ∈ A, da entweder f ≥ β oder f ≥ βc abzählbar ist. DieMeßbarkeit von f folgt nun aus Lemma 2.1. Um die Umkehrung zu zeigen, sei f ≥ 0 zunächsteine Elementarfunktion, also f =

∑mj=1 αjf1Aj

mit Aj ∈ A für alle j = 1, . . . ,m. Nicht alleder Mengen Aj können abzählbar sein. Somit ist f konstant auf dem Komplement einerhöchstens abzählbaren Menge. Sei jetzt f ∈ E∗ beliebig, also fj ↑ f für eine Folge (fj)j∈N inE∗. Jede Funktion fj ist konstant auf dem Komplement einer höchstens abzählbaren MengeAj mit Wert αj . Es folgt

f(x) = supj→∞

fj(x) für alle x ∈⋂j∈N

Acj =(⋃j∈N

Aj

)c

,

weshalb f konstant ist mit Wert α = supj→∞ αj auf dem Komplement der höchstens ab-zählbaren Menge

⋃j∈NAj , wie behauptet.

Nun können wir noch∫f dµ für f ∈ E∗ bestimmen. Für f =

∑mj=1 αj1Aj ∈ E ist∫

f dµ =m∑j=1

αjµ(Aj) = αj (mit der Konstanten αj wie oben).

Für allgemeines f ∈ E∗ wie oben gilt ebenso∫f dµ = α (mit α = sup

j→∞αj wie oben).

2.4 Integrierbarkeit

Bislang haben wir das Integral∫f dµ nur für nichtnegative A-messbare numerische Funktio-

nen f ≥ 0 eingeführt. Ab jetzt sei allgemeiner f eine Funktion mit Werten in R = [−∞,∞].Wie bisher sei (X,A, µ) ein Maßraum.

Lemma 2.14 Eine numerische Funktion f auf X ist genau dann A-messbar, wenn sowohl

f+ := maxf, 0 als auch f− := (−f)+

A-messbar sind. Falls f A-messbar ist, so auch die Funktion |f |.

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Beweis. Übung.

Definition 2.15 Eine numerische Funktion f auf X heißt µ-integrierbar (kurz: integrier-bar), falls sie A-messbar ist und die Integrale

∫f+ dµ und

∫f− dµ endlich sind. Dann

heißt ∫f dµ :=

∫f+ dµ−

∫f− dµ

das µ-Integral von f über X. Diese Definition von∫f dµ ist verträglich mit der früheren

Definition des Integrals über Funktionen aus E∗(A, µ). Allerdings ist f ∈ E∗ nur dannintegrierbar (im Sinne dieser Definition), falls

∫f dµ < ∞ gilt. Im Fall µ = λn nennt

man∫f dλn das Lebesgue-Integral von f (und falls es existiert, so nennt man f Lebesgue-

integrierbar).

Wir werden später auf den Zusammenhang mit dem aus der Vorlesung Analysis I bekanntenRiemann-Integral eingehen.

Beispiel.(1) Sei (X,A) ein beliebiger messbarer Raum und wie in vorigen Beispielen µ = δx das

Dirac-Maß in x ∈ X. Dann sind genau diejenigen A-messbaren numerischen Funktionenf µ-integrierbar, für die f(x) 6= ±∞ ist. In diesem Fall ist

∫f dµ = f(x).

(2) Es sei X = N und A = P(N). Wie in einem früheren Beispiel wird durch jede Folge(aj)j∈N in [0,∞] ein Maß definiert, indem wir µ(j) = aj erklären. Genau diejenigenFunktionen f : N → R sind µ-integrierbar, für die

∑∞j=1 aj |f(j)| <∞ ist.

(3) Sei (X,A, µ) ein endlicher Maßraum (d.h. µ(X) <∞). Dann ist jede konstante reellwer-tige Funktion, und allgemeiner jede beschränkte µ-messbare Funktion µ-integrierbar.

Lemma 2.16 Seien f, g integrierbar. Dann sind auch die Funktionen αf (α ∈ R) und f+g(sofern definiert) integrierbar. Es gilt:∫

αf dµ = α

∫f dµ (Homogenität),∫

f + g dµ =∫f dµ+

∫g dµ (Additivität).

Ebenso sind die Funktionen maxf, g und minf, g integrierbar. Gilt f ≤ g, so ist∫f dµ ≤∫

g dµ. Ferner ist ∣∣∣ ∫f dµ

∣∣∣ ≤ ∫|f | dµ .

Beweis. Die Homogenität folgt für α ≥ 0 aus (αf)+ = αf+, (αf)− = αf− bzw. für α < 0aus (αf)+ = −αf− und (αf)− = −αf+. Die Additivität folgt aus

f + g = f+ + g+︸ ︷︷ ︸integrierbar

− (f− + g−)︸ ︷︷ ︸integrierbar

.

Die Integrierbarkeit der messbaren Funktionen maxf, g,minf, g folgt mit der Unglei-chung maxf, g,minf, g ≤ |f |+ |g| aus folgender Behauptung: Eine messbare Funktion fist genau dann integrierbar, wenn es eine integrierbare Funktion g gibt mit |f | ≤ g (Beweis:Übung). Seien f ≤ g integrierbar. Dann gilt f+ ≤ g+, f− ≥ g−, also

∫f dµ ≤

∫g dµ

aufgrund der Monotonie des Integrals auf E∗. Mit g = |f | (d.h. f ≤ g) und |∫f dµ | =

max±∫f dµ folgt hieraus auch

∣∣∫ f dµ∣∣ ≤ ∫

|f | dµ.

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Häufig möchte man nur reellwertige integrierbare Funktionen betrachten (also die Funk-tionswerte ±∞ ausschließen). Hierzu definieren wir

L1(µ) := f : X → R | f ist µ-integrierbar.

Aus Lemma 2.16 folgt, dass L1(µ) ein Vektorraum ist. Ferner ist die Abbildung f 7→∫f dµ

ein lineares Funktional auf L1(µ).

2.5 Fast überall bestehende Eigenschaften

Sei (X,A, µ) ein Maßraum. Eine Menge N ∈ A heißt µ-Nullmenge, falls µ(N) = 0. Esfolgt, dass jede abzählbare Vereinigung von Nullmengen eine Nullmenge ist. Ebenso ist jedemessbare Teilmenge einer Nullmenge wieder eine Nullmenge. Wir verwenden die Sprechweisef = g (µ)-fast überall bzw. |f | < ∞ (µ)-fast überall etc., falls diese Eigenschaften auf demKomplement einer µ-Nullmenge gelten.

Satz 2.17 Es sei f ∈ E∗(X,A) und µ ein Maß auf X. Dann gilt∫f dµ = 0 genau dann,

wenn f = 0 µ-fast überall ist.

Beweis. Da f messbar ist, gilt N := f 6= 0 = f > 0 ∈ A. Zu zeigen ist also∫f dµ = 0 ⇐⇒ µ(N) = 0.

Sei∫f dµ = 0. Für jedes j ∈ N definieren wir die Menge Aj := f ≥ 1

j ∈ A. Es giltAj ↑ N . Es ist µ(Aj) = 0 für alle j, denn aus f ≥ 1

j 1Aj folgt 0 =∫f dµ ≥ 1

jµ(Aj), alsoµ(Aj) = 0. Damit ist µ(N) = limn→∞ µ(Aj) = 0, da Aj ↑ N . Es sei umgekehrt µ(N) = 0.Für jede der Funktionen µj := 1N j, j ∈ N, gilt µj ∈ E(X,A) und

∫µj dµ = jµ(N) = 0. Es

sei g := limj→∞ µj ∈ E∗(X,A). Dann folgt∫g dµ = sup

j∈N

∫µj dµ = 0

per Definition des Integrals. Da 0 ≤ f ≤ g ist, folgt 0 ≤∫f dµ ≤

∫g dµ = 0, also die

Behauptung.

Satz 2.18 Seien f, g messbare numerische Funktionen und f = g µ-fast überall. Dann gilt:(i)

∫f dµ =

∫g dµ, falls f, g ≥ 0 erfüllt ist;

(ii) die Funktion f ist integrierbar genau dann, wenn g integrierbar ist. In diesem Fall ist∫f dµ =

∫g dµ.

Beweis. Übung.

2.6 Die Räume Lp(µ)

Sei (X,A, µ) ein Maßraum.

Erinnerung: Seien f, g µ-messbare numerische Funktionen. Dann ist fg nach Lemma 2.3ebenfalls µ-messbar. Im Gegensatz dazu ist aber fg nicht notwendigerweise integrierbar,wenn f, g integrierbar sind. Denn f und g sind integrierbar genau dann, wenn

∫f± dµ 6= ∞

und∫g± dµ 6= ∞ gilt, und diese Eigenschaft setzt sich nicht notwendig auf das Produkt

fort.

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Beispiel. (Vgl. mit Beispiel (2) nach Definition 2.15). Sei X = N, µ(n) = n−3. Dann istdie Funktion f : N → R, n 7→ n, µ-integrierbar mit∫

f dµ =∞∑n=1

n−3n =∞∑n=1

1n2

<∞,

nicht aber die Funktion f2 : n 7→ n2, denn∑∞

n=1 n−3 · n2 =

∑∞n=1

1n = ∞.

Ab jetzt sei p ≥ 1 eine reelle Zahl. Ist f eine messbare numerische Funktion, so sind auch|f | und |f |p messbare Funktionen; letzteres da für jedes α ∈ R die Menge

x ∈ X | |f(x)|p ≥ α =

X, α ≤ 0,

|f | ≥ α1p , α > 0,

messbar ist.

Satz 2.19 (Höldersche Ungleichung) Sei p > 1 und q > 1 (der zu p duale Exponent)definiert durch

1p

+1q

= 1.

Dann gilt für je zwei messbare numerische Funktionen f und g auf X:∫|fg| dµ ≤

(∫|f |p dµ

) 1p

·(∫

|g|q dµ) 1

q

.

Beweis. Ohne Beschränkung der Allgemeinheit können wir f, g ≥ 0 annehmen. Es seia := (

∫|f |p dµ)

1p , b := (

∫|f |q dµ)

1q . Wir nehmen noch an, dass a, b > 0 ist, denn andernfalls

folgt die Behauptung sofort. Für t ≥ 0 gilt die Bernoullische Ungleichung

(1 + t)1p ≤ t

p+ 1,

woraus für s := t+ 1 ≥ 1 folgt:

s1p ≤ s− 1

p+ 1 =

s

p− 1p

+ 1 =s

p+

1q.

Seien x, y > 0 und ohne Beschränkung der Allgemeinheit s := xy−1 ≥ 1 (andernfalls ver-tausche die Rollen von x und y). Es folgt

x1p y− 1

p ≤ xy−1

p+

1q,

also wegen y−1p = y

1q−1 = y

1q y−1

x1p y

1q ≤ x

p+y

q.

Sei z ∈ X mit f(z), g(z) < ∞. Wegen f, g ≥ 0 ist f(z), g(z) ≥ 0 und ohne Einschränkungnehmen wir f(z), g(z) > 0 an. Mit x :=

(f(z)a

)p, y :=(g(z)

b

)q folgt nun

1abf(z)g(z) ≤ f(z)p

app+g(z)q

bqq.

Nach Integration erhalten wir1ab

∫fg dµ ≤ 1

p+

1q

= 1,

und das ist genau die Behauptung.

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Im Falle p = q = 2 reduziert sich die Höldersche Ungleichung auf die Cauchy–SchwarzscheUngleichung. Diese zeigt, dass das Produkt zweier quadratintegrierbarer Funktionen inte-grierbar ist.

Satz 2.20 (Minkowskische Ungleichung) Seien f, g messbare Funktionen und f + güberall definiert. Dann gilt für jedes p ≥ 1 die Minkowskische Ungleichung(∫

|f + g|p dµ) 1

p

≤(∫

|f |p dµ) 1

p

+(∫

|g|p dµ) 1

p

.

Beweis. Da |f + g| ≤ |f |+ |g| gilt, genügt es, die Ungleichung(∫(|f |+ |g|)p dµ

) 1p

≤(∫

|f |p dµ) 1

p

+(∫

|g|p dµ) 1

p

.

zu zeigen. Ohne Beschränkung der Allgemeinheit können wir annehmen, dass die Mengeder Punkte x ∈ X mit f(x) > 0 und g(x) > 0 positives Maß hat (also keine µ-Nullmengeist), da andernfalls die behauptete Ungleichung in trivialer Weise erfüllt ist. Unter dieserAnnahme folgt

∫f dµ > 0 und

∫g dµ > 0. Weiterhin können wir annehmen, dass fp und

gp integrierbar sind. Dann ist auch (f + g)p integrierbar, denn aus f, g ≤ maxf, g folgt

(f + g)p ≤(2 max|f |, |g|

)p =

2p|f |p, |f | = max|f |, |g|2p|g|p, |g| = max|f |, |g|

≤ 2p(|f |p + |g|p).

Es sei q > 1 durch 1p + 1

q = 1 definiert. Mittels der Hölderschen Ungleichung folgt nun∫(f + g)p dµ =

∫f(f + g)p−1 dµ+

∫g(f + g)p−1 dµ

≤( ∫

fp dµ) 1

p( ∫

(f + g)q(p−1)) 1

q +( ∫

gp dµ) 1

p( ∫

(f + g)q(p−1)) 1

q .

Wegen 1p + 1

q = 1, also pq = p− 1 bzw. q(p− 1) = p folgt

∫(f + g)p dµ ≤

(( ∫fp dµ

) 1p +

( ∫gp dµ

) 1p

)·(∫

(f + g)p dµ) 1

q

.

Mit 1− 1q = 1

p folgt die Behauptung, indem wir auf beiden Seiten durch

0 <( ∫

(f + g)p dµ) 1

q <∞

dividieren.

Definition 2.21 Sei (X,A, µ) ein Maßraum. Eine Funktion f : Y → R heißt integrierbarvon der Ordnung p (bzw. p-fach integrierbar), wenn sie messbar ist und wenn die Funktion|f |p µ-integrierbar ist. Wir bezeichnen mit Lp(µ) die Menge der reellen p-fach integrierbarenFunktionen.

Satz 2.22 Lp(µ) ist ein R-Vektorraum. Sind f ∈ Lp(µ), g ∈ Lq(µ) mit 1p + 1

q = 1, so istfg ∈ L1(µ). Falls das Maß µ endlich ist, so gilt für je zwei Zahlen 1 ≤ p1 ≤ p2 die InklusionLp2(µ) ⊆ Lp1(µ).

28

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Beweis. Die Abgeschlossenheit von Lp(µ) unter Addition folgt aus der MinkowskischenUngleichung (Satz 2.20). Die übrigen Vektorraumaxiome sind klar. Sind f ∈ Lp(µ), g ∈Lq(µ), so folgt aus der Hölderschen Ungleichung (Satz 2.19), dass∫

|fg| dµ ≤( ∫

|f |p dµ) 1

p( ∫

|g|q dµ) 1

q <∞,

und damit fg ∈ L1(µ). Ist schließlich das Maß µ endlich, so folgt mittels der HölderschenUngleichung aus der Annahme 1 ≤ p1 ≤ p2, dass∫

|f |p1 dµ =∫|f |p1 · 1 dµ

≤( ∫

|f |p2 dµ) p1

p2

( ∫1

p2p2−p1 dµ

) p2−p1p2

≤ µ(X)p2−p1

p2 ·( ∫

|f |p2 dµ) p1

p2

<∞,

wie behauptet.

Definition 2.23 Es sei V ein R- oder C-Vektorraum. Eine Norm ist eine Abbildung

‖ · ‖ : V → R+0

mit den Eigenschaften(i) ‖αv‖ = |α| · ‖v‖ für alle v ∈ V und α ∈ R (bzw. α ∈ C);(ii) ‖v + w‖ ≤ ‖v‖+ ‖w‖ für alle v, w ∈ V ;(iii) ‖v‖ = 0 ⇔ v = 0.Falls nur die Eigenschaften (i) und (ii) gelten, so nennt man ‖ · ‖ eine Halbnorm.

Aus Satz 2.20 und 2.22 folgt, dass durch

‖ · ‖Lp(µ) : Lp(µ) → R+0 , f 7→ ‖f‖Lp(µ) =

( ∫|f |p dµ

) 1p

eine Halbnorm erklärt wird. Man nennt ‖ · ‖Lp(µ) die Lp(µ)-Halbnorm. Im allgemeinen istdies jedoch keine Norm, da aus ‖f‖Lp(µ) = 0 nur f = 0 µ-fast überall folgt, vgl. Satz 2.17.Ist (fj)j∈N eine Folge in Lp(µ) und f ∈ Lp(µ), so heißt (fj)j∈N Lp(µ)-konvergent gegen f ,falls

limj→∞

‖fj − f‖Lp(µ) = 0 (13)

gilt. Warnung: Der Grenzwert ist nicht eindeutig bestimmt. Konvergiert fj gegen f , so auchgegen jede Funktion f ∈ Lp(µ), die mit f µ-fast überall übereinstimmt.

In Ergänzung zu den Räumen Lp(µ) mit 1 ≤ p < ∞ führen wir noch den Raum L∞(µ)ein. Hierzu definieren wir:

L∞(µ) := f : X → R | f ist A-messbar und µ-fast überall beschränkt.

Durch‖f‖L∞(µ) := infα ∈ R+ | |f | ≤ α µ-fast überall

ist auf L∞(µ) ebenfalls eine Halbnorm definiert. Wir nennen ‖f‖L∞(µ) auch das essentielleSupremum von f . Konvergenz in L∞(µ) ist analog zu 13 erklärt.

29

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2.7 Konvergenzsätze

Im folgenden sei (X,A, µ) ein Maßraum. Konvergenzsätzefür p = ∞

Lemma 2.24 (Lemma von Fatou) Für jede Folge (fj)j in E∗(X,A) (also von A-messbarennumerischen Funktionen fj ≥ 0, vgl. Satz 2.13) gilt∫

lim infj→∞

fj dµ ≤ lim infj→∞

∫fj dµ .

Beweis. Es sei f := lim infj→∞ fj und gi := infj≥i fj (i ∈ N). Nach Lemma 2.4 sind dieFunktionen f und gi (i ∈ N) nicht-negativ und µ-messbar, und damit nach Satz 2.13 inE∗(X,A) enthalten. Aus der Definition von gi und der Monotonie des Integrals folgt∫

gi dµ ≤∫fj dµ

für alle j ≥ i, also ∫gi dµ ≤ inf

j≥i

∫fj dµ .

Wegen gi ↑ f folgt aus dem Satz von der monotonen Konvergenz, dass∫f dµ = lim

i→∞

∫gi dµ ≤ lim inf

j→∞

∫fj dµ,

wie behauptet.

Aus dem Lemma von Fatou leiten wir nun eine Reihe von Konvergenzsätzen ab, die es unsunter bestimmten Voraussetzungen erlauben werden, aus der nur punktweisen fast-überall-Konvergenz auf die Konvergenz in Lp(µ) zu schließen.

Satz 2.25 (Satz von Riesz) Sei 1 ≤ p ≤ ∞ und (fj)j eine Folge in Lp(µ), die µ-fastüberall gegen eine Funktion f ∈ Lp(µ) konvergiert. Dann gilt

limj→∞

‖fj‖Lp(µ) = ‖f‖Lp(µ) ⇐⇒ fj → f in Lp(µ) für j →∞.

Beweis. Es gelte fj → f in Lp(µ) für j → ∞. Aus der Minkowskischen Ungleichung folgtfür alle j ∈ N

‖fj‖Lp(µ) = ‖fj − f + f‖Lp(µ) ≤ ‖fj − f‖Lp(µ)︸ ︷︷ ︸→0, j→∞

+‖f‖Lp(µ)

bzw. mittels der umgekehrten Dreiecksungleichung∣∣‖fj‖Lp(µ) − ‖f‖Lp(µ)

∣∣ ≤ ‖fj − f‖Lp(µ) → 0

für j → ∞, wie behauptet. Es gelte nun umgekehrt limj→∞ ‖fj‖Lp(µ) = ‖f‖Lp(µ). Fürpositive Zahlen α, β gilt die elementare Ungleichung

|α− β|p ≤ |α+ β|p ≤ 2p(|α|p + |β|p).

Somit ist für jedes j ∈ N die Funktion

gj := 2p(|fj |p + |f |p)− |fj − f |p

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nicht-negativ und in L1(µ) enthalten. Nach Voraussetzung konvergiert die Folge (gj)j∈N fürj →∞ gegen 2p+1|f |p µ-fast überall. Daher ist auch

lim infj→∞

gj = 2p+1|f |p µ-fast überall.

Aus dem Lemma von Fatou und der Voraussetzung folgt somit

2p+1

∫|f |p dµ =

∫lim infj→∞

gj dµ

≤ lim infj→∞

∫gj dµ

= lim infj→∞

(2p

∫|fj |p dµ+2p

∫|f |p dµ−

∫|fj − f |p dµ

)Nach Voraussetzung ist limj→∞

∫|fj |p dµ =

∫|f |p dµ und deshalb

2p+1

∫|f |p dµ ≤ 2p+1

∫|f |p dµ− lim sup

j→∞

∫|fj − f |p dµ .

Es folgt 0 = − lim supj→∞∫|fj − f |p dµ, also limj→∞

∫|fj − f |p dµ = 0, wie behauptet.

Satz 2.26 (Lebesguescher Konvergenzsatz, Satz von der majorisierten Konvergenz)Sei (fj)j∈N eine fast überall konvergente Folge in Lp(µ). Es existiere ferner eine Funktiong ∈ Lp(µ), g ≥ 0, mit |fj | ≤ g für alle j ∈ N. Dann gibt es eine messbare Funktion

f : X → R mit fjj→∞−−−→ f µ-fast überall. Jede solche Funktion f liegt in Lp(µ) und die

Konvergenz fjj→∞−−−→ f ist in Lp(µ).

Beweis. Aus den Voraussetzungen folgt die Existenz einer Nullmenge N mit(i) limj→∞ fj(x) existiert für alle x ∈ X \N ;(ii) g(x) <∞ für alle x ∈ X \N .

Damit ist die durch

f(x) :=

limj→∞ fj(x), x ∈ X \N,0, x ∈ N,

definierte Funktion f reellwertig und messbar, und es gilt fj → f fast überall. Sei nun firgendeine Funktion mit diesen Eigenschaften. Dann gilt |f | ≤ g fast überall, also

∫|f |p dµ ≤∫

gp dµ < ∞ und damit f ∈ Lp(µ). Es bleibt, fjj→∞−−−→ f in Lp(µ) zu zeigen. Betrachte

hierzu die nichtnegativen Funktionen gj := |f − fj |p und h := (|f | + g)p. Wegen 0 ≤ gj ≤(|fj | + |f |)p ≤ h ist auch jede Funktion gj integrierbar. Aus dem Lemma von Fatou folgtjetzt ∫

lim infj→∞

(h− gj) dµ ≤ lim infj→∞

∫h− gj dµ =

∫h dµ− lim sup

j→∞

∫gj dµ .

Wegen fj → f fast überall ist lim infj→∞(h− gj) = h fast überall. Dies zeigt, dass∫lim infj→∞

(h− gj) dµ =∫h dµ .

Es folgt lim supj→∞∫gj dµ ≤ 0, also limj→∞

∫gj dµ = 0, was zu zeigen war.

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Wie üblich nennnen wir eine Folge (fj)j∈N in Lp(µ) Cauchy-Folge, wenn zu jedem ε > 0eine Zahl N ∈ N existiert mit

‖fi − fj‖Lp(µ) < ε

für alle i, j ≥ N . Aufgrund der Minkowski-Ungleichung ist jede in Lp(µ) konvergente Folgeeine Cauchy-Folge. Es gilt hiervon auch die Umkehrung:

Satz 2.27 (Fall p = 2: Satz von Riesz-Fischer) Es sei 1 ≤ p ≤ ∞. Jede Cauchy-Folge(fj)j∈N in Lp(µ) konvergiert in Lp(µ) gegen eine Grenzfunktion f ∈ Lp(µ). Eine Teilfolgevon (fj)j∈N konvergiert fast überall gegen f .

Beweis. Nach Voraussetzung existiert eine Teilfolge (fjk)k∈N von (fj)j∈N so, dass für jedesk ∈ N die Funktion gk := fjk+1

− fjk die Ungleichung

‖gk‖Lp(µ) ≤ 2−k

erfüllt. Es sei g :=∑∞

k=1 |gk|. Die Funktion g ist messbar und erfüllt

‖g‖Lp(µ) ≤∞∑k=1

‖gk‖Lp(µ) ≤∞∑k=1

2−k = 1.

Dies zeigt g ∈ Lp(µ). Insbesondere ist g fast überall reellwertig, d.h. die Reihe∑∞

k=1 gkkonvergiert fast überall absolut. Die k-te Partialsumme von

∑∞k=1 gk ist fjk+1

−fj1 , weswegendie Folge der Funktionen fjk fast überall konvergiert. Wegen

|fjk+1| = |fj1 + g1 + · · ·+ gk| ≤ |fj1 |+ |g|

für alle k ∈ N erfüllt (fjk)k die Voraussetzungen des Lebesgueschen Konvergenzsatzes (mitder Funktion |fj1 | + |g| als Majorante). Es existiert somit f ∈ Lp(µ) mit fjk

k→∞−−−→ f fastüberall und in Lp(µ). Da (fj)j eine Cauchy-Folge ist, existiert zu jedem ε > 0 ein N ∈ Nmit ‖fi − fj‖Lp(µ) < ε für alle i, j ≥ N . Sei k ∈ N mit jk ≥ N und ‖fjk − f‖Lp(µ) < ε. Esfolgt, dass

‖fj − f‖Lp(µ) ≤ ‖fj − fjk‖Lp(µ) + ‖fjk − f‖Lp(µ) < 2ε

für alle j ≥ N , also fjj→∞−−−→ f in Lp(µ).

Beispiel. Sei X = [0, 1), A = B∩[0, 1) | B ∈ B1, µ = λ1|A. Sei n ∈ N zerlegt in n = 2l+k,wobei 0 ≤ k ≤ 2l − 1. Sei An := [k2−l, (k + 1)2−l) ∈ A und fn := 1An . Es folgt fn

n→∞−−−→ 0in Lp(µ) (für jedes 1 ≤ p <∞), denn∫

fpn µ = (k + 1)2−l − k2−l = 2−l n→∞−−−→ 0.

Andererseits existiert für kein x ∈ X der Grenzwert limn→∞ fk(x), denn: zu jedem l ∈ N0

gibt es genau ein k ∈ 0, . . . , 2l − 1 mit x ∈ [k2−l, (k + 1)2−l). Für dieses k ist x ∈ A2l+k

und

x 6∈

A2l+k+1, k + 1 < 2l,A2l+1 , k + 1 = 2l.

Dies zeigt f2l+k(x) = 1, wohingegen f2l+k+1(x) = 0 (bzw. f2l+1(x) = 0, falls k + 1 = 2l) ist.Die Konvergenz fast überall gilt also nur nach Übergang zu einer geeigneten Teilfolge von(fn)n.

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Korollar 2.28 Es sei (fj)j eine Cauchy-Folge in Lp(µ) mit fjj→∞−−−→ f fast überall für eine

messbare Funktion f : X → R. Dann gilt f ∈ Lp(µ) und fjj→∞−−−→ f in Lp(µ).

Beweis. Nach Satz 2.27 existiert eine Funktion f ∈ Lp(µ) mit fjj→∞−−−→ f in Lp(µ) und

eine Teilfolge von (fj)j konvergiert fast überall gegen f . Die gleiche Teilfolge konvergiertnach Voraussetzung auch fast überall gegen f . Damit ist f = f fast überall, woraus dieBehauptung folgt.

Es sei 1 ≤ p ≤ ∞. Wir haben bereits festgestellt, dass für jede Funktion f ∈ Lp(µ) gilt:

‖f‖Lp(µ) = 0 ⇐⇒ f = 0 µ-fast überall.

Damit ist N := f ∈ Lp(µ) | ‖f‖Lp(µ) = 0 ein Unterraum von Lp(µ), der nicht von pabhängt. Dieser besteht aus allen messbaren reellen Funktionen, die µ-fast überall gleichnull sind. Man bildet nun den Quotientenraum

Lp(µ) :=Lp(µ)N

und versieht diesen mit der Norm ‖[f ]‖Lp(µ) := ‖f‖Lp(µ).

Übung: Zeige, dass ‖ · ‖Lp(µ) wohldefiniert ist und eine Norm auf Lp(µ) definiert.

Satz 2.27 besagt, dass Lp(µ) mit dieser Norm vollständig, also ein Banach-Raum ist. Fernerist L2(µ) sogar ein Hilbert-Raum bezüglich des Skalarproduktes

〈[f ], [g]〉 :=∫fg dµ .

Dieses ist endlich aufgrund der Cauchy–Schwarzschen Ungleichung:∫fg dµ ≤ ‖f‖L2(µ)‖g‖L2(µ).

Übung : Dieses Skalarprodukt ist wohldefiniert und die von 〈·, ·〉 induzierte Norm ‖f‖ =〈f, f〉

12 ist die L2(µ)-Norm.

Anwendungen der Konvergenzsätze

In Anwendungen trifft man häufig auf Funktionen, die als Integral

ϕ(x) :=∫f(x, y) dµ(y)

über eine Kernfunktion f : E ×X → R mit E ⊆ Rn definiert sind. Im folgenden geben wirKriterien für die Stetigkeit und Differenzierbarkeit der so definierten Funktion ϕ : E → Ran.

Lemma 2.29 (Stetigkeits-Lemma) Sei E ⊆ Rn offen (allgemeiner: E ein metrischerRaum) und f : E ×X → R eine Funktion mit

(i) y 7→ f(x, y) ist µ-integrierbar für alle x ∈ E;(ii) x 7→ f(x, y) ist stetig in x0 ∈ E für alle y ∈ X;(iii) Es existiert h ≥ 0 auf X, µ-integrierbar mit |f(x, y)| ≤ h(y) für alle (x, y) ∈ E ×X.

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Dann ist die Funktionϕ : E → R, x 7→

∫f(x, y) dµ(y)

stetig in x0.

Beweis. Sei (xj)j eine Folge in E mit xj → x0 für j → ∞. Dann ist fj : y 7→ f(xj , y) eineFolge von integrierbaren Funktionen, die wegen (ii) punktweise gegen y 7→ f(x0, y) konver-gieren. Da nach (iii) |fj | ≤ h für alle j gilt, ist der Satz von der majorisierten Konvergenz2.26 anwendbar und liefert

limj→∞

ϕ(xj) = limj→∞

∫f(xj , y) dµ(y) =

∫limj→∞

f(xj , y) dµ =∫f(x0, y) dµ = ϕ(x0),

d.h. die Stetigkeit von ϕ in x0.

Lemma 2.30 (Differentiations-Lemma) Sei I = (a, b) ein Intervall und f : I ×X → Rmit

(i) y 7→ f(x, y) ist µ-integrierbar für alle x ∈ I;(ii) x 7→ f(x, y) ist differenzierbar für alle y ∈ X;(iii) Es existiert h ≥ 0 integrierbar mit

∣∣∣∂f∂x (x, y)∣∣∣ ≤ h(y) für alle x ∈ I.

Dann ist die auf I definierte Funktion

ϕ(x) =∫f(x, y) dµ(y)

differenzierbar. Für alle x ist die Funktion ∂f∂x µ-integrierbar und es gilt

ϕ′(x) =∫∂f

∂x(x, y) dµ .

(Man kann unter dieser Voraussetzung also „unter dem Integral differenzieren“).

Beweis. Es sei x0 ∈ I und (xj)j eine Folge in I \ x0 mit xj → x0 für j → ∞. Betrachtedie Funktionenfolge

gj(y) :=f(xj , y)− f(x0, y)

xj − x0: X → R.

Für alle j ∈ N ist gj µ-integrierbar und es gilt limj→∞ gj(y) = ∂f∂x (x0, y) für alle y ∈ X.

Ferner ist |gj | ≤ h, denn für jedes y ∈ X existiert nach dem Mittelwertsatz ein ξ ∈ (xj , x0)mit

∂f

∂x(ξ, y) =

f(xj , y)− f(x0, y)xj − x0

.

Mit (iii) folgt |gj(y)| =∣∣∣∂f∂x (ξj , y)

∣∣∣ ≤ h(y) für geeignetes ξ ∈ (xj , x0). Damit ist der Satz vonder majorisierten Konvergenz anwendbar und liefert

ϕ′(x0) = limj→∞

ϕ(xj)− ϕ(x0)xj − x0

=∫

limj→∞

gj(y) dµ(y) =∫∂f

∂x(x0, y) dµ(y),

wie behauptet.

Abschließend gehen wir noch auf den Zusammenhang zwischen Riemann- und Lebesgue-Integral ein.

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Satz 2.31 Sei f : I = [a, b] → R Borel-messbar. Ist f Riemann-integrierbar (also insbeson-dere beschränkt), so ist f auch Lebesgue-integrierbar. In diesem Fall stimmen beide Integraleüberein.

Beweis. Sei a = a0 ≤ a1 ≤ · · · ≤ an = b eine Zerlegung ν von I und

γi = inf f |[ai−1,ai], Γi = sup f |[ai−1,ai]

.

Die zu ν gehörende Unter- bzw. Obersumme ist

Uν =n∑i=1

γi(ai − ai−1) und Oν =n∑i=1

Γi(ai − ai−1).

Sei Ai := [ai−1, ai]. Dann sind uν :=∑n

i=1 γi1Ai und oν :=∑n

i=1 Γi1Ai λ-integrierbareFunktionen mit Uν =

∫uν dλ und Oν =

∫oν dλ. Da f nach Voraussetzung Riemann-

integrierbar ist, gibt es eine Folge (νj)j von Unterteilungen von I, νj+1 eine Verfeinerungvon νj für alle j ∈ N, mit

ρ := limj→∞

Uνj = limj→∞

Oνj ,

und ρ ist das Riemann-Integral von f . Da die Folge (uνj )j monoton steigend und die Folge(oνj )j monoton fallend ist, existiert die Grenzfunktion q := limj→∞(oνj − uνj ). Nach demLemma von Fatou ist

0 ≤∫q dλ ≤ lim

j→∞(Oνj − Uνj ) = 0,

also q = 0 fast überall. Mit uνj ≤ f ≤ oνj folgt limj→∞ uνj = f fast überall. Da f beschränktist, existiert eine λ-integrierbare Majorante von (uνj )j (z.B. die konstante Funktion g = cfür c > 0 hinreichend groß). Der Satz von der majorisierten Konvergenz zeigt jetzt, dass fλ-integrierbar ist mit∫

f dλ =∫

limj→∞

uνj dλ = limj→∞

∫uνj dλ = lim

j→∞Uνj = ρ,

was zu zeigen war.

Satz 2.32 Sei f : R → R, f ≥ 0, Borel-messbar und über jedes kompakte Intervall Riemann-integrierbar. Die Funktion f ist Lebesgue-integrierbar genau dann, wenn das uneigentlicheRiemann-Integral

ρ = limn→∞

∫ n

−nf(x) dx

existiert. In diesem Fall stimmen beide Integrale überein.

Beweis. Sei ρn :=∫ n−n f(x) dx das Riemann-Integral über An := [−n, n]. Nach Satz 2.31

gilt ρn =∫

1Anf dλ. Wegen 1Anf ↑ f folgt aus dem Satz von der majorisierten Konvergenz,dass

supn∈N

ρn =∫f dλ

als Integral in E∗(R,B) (d.h. auch∫f dλ = ∞ ist zulässig). Dieser Ausdruck ist genau dann

endlich, wenn supn∈N ρn < ∞ gilt und somit das uneigentliche Riemann-Integral existiertoder aber, wenn

∫f dλ < ∞ ist und das Lebesgue-Integral von f existiert. In diesem Fall

ist supn∈N ρn =∫f dλ = ρ, wie behauptet.

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Bemerkung. Die Aussage des Satzes ist ohne die Voraussetzung f ≥ 0 im allgemeinenfalsch. Es gibt Funktionen f : R → R, deren uneigentliches Riemann-Integral existiert, diejedoch nicht Lebesgue-integrierbar sind, wie zum Beispiel die Funktion

f : R → R, x 7→

sin(x)x , x 6= 0,

0, x = 0,

vgl. die Übungen.

2.8 Produktmaße - Satz von Fubini

Beispiel. Wir betrachten das Rechteck A = [a0, b0] × [a1, b1] ⊆ R2. Für die (Lebesgue-integrierbare) charakteristische Funktion von A gilt:∫

1A dλ2 = (b0 − a0)(a1 − b1).

Andererseits gilt 1A = 1x[a0,b0] · 1y[a1,b1] mit

1x[a0,b0](x, y) :=

1 a0 ≤ x ≤ b0,

0 sonst,

und entsprechend für 1y[a1,b1]. Es gilt∫ (∫1x[a0,b0] · 1

y[a1,b1] dλ1(x)

)dλ1(y) =

∫1y[a1,b1]

(∫1x[a0,b0] dλ1(x)

)dλ1(y)

=∫

1y[a1,b1](b0 − a0) dλ1(y)

= (b0 − a0)(b1 − a1).

Im folgenden wird es unser Ziel sein, zu geeigneten Maßräumen (X1,A1, µ1), (X2,A2, µ2)ein Maß π auf X1×X2 mit π(A1×A2) = µ1(A1) ·µ(A2) für alle Ai ∈ Ai, i = 1, 2, zu finden.Im Beispiel: (Xi,Ai, µi) = (R,B1, λ1) und X1 ×X2 = R2, π = λ2.

Produkte von σ-Algebren

Seien (Xi,Ai), i = 1, . . . , n, messbare Räume und

pi : X := X1 × · · · ×Xn → Xi, p(x1, . . . , xn) = xi

die Projektion auf Xi. Dann definieren wir das Produkt A := A1 ⊗ · · · ⊗An der σ-AlgebrenA1, . . . ,An als die kleinste σ-Algebra auf X, für die jede der Projektionsabbildungen pi(A,Ai)-messbar ist. Ab jetzt seien (X1,A1, µ1), (X2,A2, µ2) Maßräume, (X,A) := (X1 ×X2,A1 ⊗ A2) und Q ⊆ X1 × X2 eine Menge. Für x1 ∈ X1 definieren wir den x1-SchnittQx1 ⊆ X2 von Q durch

Qx1:= x2 ∈ X2 | (x1, x2) ∈ Q,

und analog für x2 ∈ X2 durch

Qx2:= x1 ∈ X1 | (x1, x2) ∈ Q.

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Lemma 2.33 Für jedes x1 ∈ X1 (bzw. x2 ∈ X2) und jede Menge Q ∈ A = A1 ⊗ A2 giltQx1 ∈ A2 (bzw. Qx2 ∈ A1).

Beweis. Sei x1 ∈ X1. Für beliebige Teilmengen Q,Q1, Q2, . . . von X gelten die Relationen

Xx1 = X2, (X \Q)x1 = X2 \Qx1 ,

( ∞⋃j=1

Qj

)x1

=∞⋃j=1

(Qj)xj .

Weiterhin gilt für alle Ai ∈ Ai, i = 1, 2,

(A1 ×A2)x1 =

A2, x1 ∈ A1,

∅, x1 /∈ A1.

Es folgt, dass das System B der Mengen Q ⊆ X mit Qx1 ∈ A2 eine σ-Algebra ist, welchesalle Mengen A1 × A2 mit Ai ∈ Ai, i = 1, 2, enthält. Da die σ-Algebra A = A1 ⊗ A2

von geeigneten Mengen der Form A1 × A2 ∈ A1 × A2 erzeugt wird (vgl. die nachfolgendeProposition), gilt A1 ⊗ A2 = A ⊆ B, also die Behauptung für x1-Schnitte, und analog fürx2-Schnitte.

Lemma 2.34 Seien µ1 und µ2 σ-endliche Maße auf X1 bzw. X2. Dann ist für jedes Q ∈A1 ⊗A2 die Funktion

s : x1 7→ µ2(Qx1) bzw. s′ : x2 7→ µ1(Qx2)

auf X1 bzw. X2 definiert und A1- bzw. A2-messbar.

Beweis.

Schritt 1 Wir betrachten den Spezialfall µ2(X2) <∞.

Es seiD := D ∈ A1 ⊗A2 | sD : x1 7→ µ2(Dx1) ist A1-messbar.

Die Menge D ist ein Dynkin-System, denn: sX = µ2(X2), also ist X ∈ D. Wegen sX\D =sX − sD für alle D ∈ D ist auch X \D ∈ D. Aus sS

j∈N Dj=

∑∞j=1 sDj für alle Folgen (Dj)

paarweise disjunkter Mengen in D folgt⋃j∈NDj ∈ D. Außerdem enthält D alle Mengen der

Form A1 ×A2 ∈ A1 ×A2, dasA1×A2 = µ2(A2)1A1

messbar ist. Die Mengen C der Form A1 × A2 ∈ A1 × A2 erzeugen A1 ⊗ A2. Ferner ist Cschnittstabil1. Es gilt daher δC = Aσ(C) = A1 ⊗ A2

2 und somit δC ⊆ δD = A1 ⊗ A2, wiebehauptet.

Schritt 2 Allgemeiner Fall.

Im Fall, dass µ2 ein beliebiges σ-endliches Maß ist, existiert eine Folge (Bj) in A2 mitBj ↑ X2 und µ2(Bj) < ∞ für alle j ∈ N. Für jedes j ist dann A2 7→ µ2(A2 ∩ Bj) einendliches Maß µ2,j auf A2. Wie bereits gezeigt ist jede der Funktionen

x1 7→ µ2,j(Qx1) mit Q ∈ A1 ⊗A2

1(A1 ×A2) ∩ (B1 ×B2) = (A1 ∩B1)× (A2 ∩B2)2Übung 2 Aufgabe 1: Ein schnittstabiles Dynkinsystem ist eine σ-Algebra und C ⊆ D ⊆ A1 ⊗ A2 ⇔

Aσ(C) = δC ⊆ D ⊆ A1 ⊗A2

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A1-messbar. Da das Maß µ2 stetig von unten ist, gilt

µ2(Qx1) = supj∈N

µ2,j(Qx1).

Daher ist auch x1 7→ µ2(Qx1) A1-messbar. Analog beweist man die Behauptung für s′.

Proposition 2.35 Seien Ai, i = 1, . . . , n, σ-Algebren in Xi mit Erzeugern Ei, sodass zujedem i eine Folge von Mengen (Eij)j in Ei existiert mit Eij ↑ Xi. Dann gilt:

(i) Die σ-Algebra A = A1 ⊗ · · ·An wird von allen Mengen der Form E1 × · · · × En mitEi ∈ Ei, i = 1, . . . , n, erzeugt.

(ii) Gilt zusätzlich noch, dass die Erzeuger Ei schnittstabil sind und die Mengen Eij dieBedingung µi(Eij) < ∞ für alle j ∈ N erfüllen, so existiert höchtens ein Maß π auf(X,A) mit π(E1 × · · · × En) = µ1(E1) · · ·µn(En) für alle Ei ∈ Ei.

Beweis. Es sei B eine σ-Algebra in X. Wir zeigen zunächst, dass

pi : B → Ai

für alle i genau dann (B,Ai)-messbar ist, wenn E1 × · · · × En ∈ B für alle Ei ∈ Ei. NachLemma 1.8 (i) ist pi genau dann messbar, wenn p−1

i (Ei) ∈ A für alle Ei ∈ Ei.Sei obige Bedingung für alle Ei ∈ Ei erfüllt. Dann gilt

E1 × · · · × En = p−11 (E1) ∩ · · · ∩ p−1

n (En) ∈ B.

Sei umgekehrt E1 × · · · × En ∈ B für alle Ei ∈ Ei. Dann gilt insbesondere

Fj := E1,j × · · · × Ei−1,j × Ei × Ei+1,j × · · · × En,j ∈ B

für festes Ei und alle j ∈ N. Es folgt p−1i (Ei) ∈ B, denn

p−1i (Ei) = X1 × · · · ×Xi−1 × Ei ×Xi+1 × · · · × En ↑ Fj .

Nach (i) erzeugt das System E der Mengen E1 × · · · ×En, Ei ∈ Ei, die σ-Algebra A. Fernerist E schnittstabil, da

(E1 × · · · × En) ∩ (E′1 × · · · × E′n) = (E1 ∩ E′1)× · · · × (En ∩ E′n) ∈ E .

Mit Ej := E1j × · · · × Enj gilt Ej ↑ X sowie µi(Eij) < ∞. Die Eindeutigkeit eines Maßesπ mit den behaupteten Eigenschaften folgt jetzt mit demselben Beweis wie für Satz 1.20(vgl. Übung 2 Aufgabe 4).

Bemerkung. Die Voraussetzung, dass die Erzeugendensysteme Ei in Proposition 2.35 eineFolge (Eij)j mit Eij ↑ Xi enthalten, kann im allgemeinen nicht weggelassen werden.

Satz 2.36 (Produktmaße) Seien (X1,A1, µ1) und (x2,A2, µ2) σ-endliche Maßräume. Dannexistiert genau ein Maß π auf (X,A) = (X1 ×X2,A1 ⊗A2) mit

π(A1 ×A2) = µ1(A1)µ2(A2) für alle Ai ∈ Ai. (14)

Für jede Menge Q ∈ A gilt dabei, dass

π(Q) =∫µ2(Qx1) dµ1(x1) =

∫µ1(Qx2) dµ2(x2) (15)

Mit µ1 und µ2 ist auch das Maß π σ-endlich.

38

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Beweis. Sei Q ∈ A1 ⊗A2 und sQ : x1 7→ µ2(Qx1). Wir definieren

π : A1 ⊗A2 → R, π(Q) :=∫sQ dµ1 .

Es gilt s∅ = 0, also π(∅) = 0. Ist (Qj) eine Folge paarweise disjunkter Mengen in A, so gilt

sSj∈N Qj

=∞∑j=1

sQj ,

also nach dem Satz von der monotonen Konvergenz1, dass

π

(⋃j∈N

Qj

)=

∞∑j=1

π(Qj).

Die Mengenfunktion π ist damit σ-additiv, also ein Maß. Wegen sA1×A2 = µ2(A2)1A1 istπ(A1×A2) = µ1(A1)µ2(A2), d.h. es gilt (14). Die Eindeutigkeit von π folgt aus Proposition2.35 (ii), angewandt auf E1 = A1, E2 = A2. Eigenschaft (15) folgt aus der Definition von π(linke Identität) bzw. der Eindeutigkeit von π (rechte Identität), da durch

π′(Q) :=∫µ1(Qx2) dµ2

ebenfalls ein Maß mit (14) definiert wird. Es folgt π = π′. Dies zeigt (15). Die σ-Endlichkeitvon π folgt mit Aij ↑ Xi, i = 1, 2, und µi(Aij) < ∞ aus A1j × A2j ↑ X1 × X2 = X undπ(A1j ×A2j) = µ1(A1j)µ2(A2j) <∞.

Beispiel. Satz 2.36, angewandt auf das Lebesgue–Borel-Maß liefert λm+n = λm⊗λn (n,m ∈N).

Im folgenden verwenden wir die Notation

X2 → Y : x2 7→ fx1(x2) := f(x1, x2) etc.

für Abbildungen f : X1 ×X2 → Y .

Bemerkung. Sei (Y,B) ein weiterer messbarer Raum und f : X1 ×X2 → Y (A1 ⊗A2,B)-messbar. Dann ist jede der Abbildungen fx1 : X2 → Y , fx2 : X1 → Y (A2,B)- bzw. (A1,B)-messbar.

Satz 2.37 (Satz von Tonelli) Seien (X1,A1, µ1), (X2,A2, µ2) σ-endliche Maßräume undf : X := X1 ×X2 → R+

0 (A1 ⊗A2)-messbar. Dann sind die Funktionen

x1 7→∫fx1 dµ2 bzw. x2 7→

∫fx2 dµ1

A1- bzw. A2-messbar und es gilt∫f d(µ1 ⊗ µ2) =

∫ (∫fx1 dµ2

)dµ1(x1) =

∫ (∫fx2 dµ1

)dµ2(x2).

1angewandt auf die Folge der Partialsummen (vgl. Korollar 2.12)

39

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Beweis. Sei A := A1⊗A2 und π := µ1⊗µ2. Zunächst sei f =∑n

j=1 αj1Qj (αj ≥ 0, Qj ∈ A)eine Elementarfunktion. Dann ist fx2 =

∑nj=1 αj(1Qj )x2 und

∫fx2 dµ1 =

∑nj=1 αjµ1(Q

jx2).

Nach Lemma 2.34 ist x2 7→∫fx2 dµ1 A2-messbar und wegen Satz 2.36 gilt∫ (∫

fx2 dµ1

)dµ2(x2) =

n∑j=1

αjπ(Qj) =∫f dπ . (16)

Sei jetzt f eine beliebige Funktion wie in der Voraussetzung und (uj)j eine Folge von Ele-mentarfunktionen mit uj ↑ f . Für x2 ∈ X2 ist dann auch (uj,x2)j eine Folge von A1-Elementarfunktionen mit uj,x2 ↑ fx2 . Damit ist die Folge der A2-messbaren Funktionenx2 7→ ϕj(x2) :=

∫uj,x2 dµ1 monoton steigend mit Supremum

x2 7→∫fx2 dµ1 .

Diese Funktion ist A2-messbar und es gilt nach dem Satz von der monotonen Konvergenz,dass

supj∈N

∫ϕj dµ2 =

∫supj∈N ϕj dµ2 =

∫ (∫fx2 dµ1

)dµ2(x2).

Wie bereits durch (16) gezeigt, gilt∫ϕj dµ2 =

∫uj dπ für alle j ∈ N. Es folgt∫ (∫

fx2 dµ1

)dµ2 = sup

j∈N

∫ϕj dµ2 = sup

j∈N

∫uj dπ =

∫f dπ,

wie behauptet. Der zweite Teil der Behauptung folgt nach Vertauschen der Rollen von x1

und x2.

Korollar 2.38 (Satz von Fubini) Seien (X1,A1, µ1), (X2,A2, µ2) σ-endliche Maßräume.Sei f : X → R (µ1 ⊗ µ2)-integrierbar. Für µ1-fast alle x1 ist fx1 µ2-integrierbar, für µ2-fastalle x2 ist fx2 µ1-integrierbar und die µ1- bzw. µ2-fast überall definierte Funktion

x1 7→∫fx1 dµ2 bzw. x2 7→

∫fx2 dµ1

ist µ1- bzw. µ2-integrierbar mit∫f d(µ1 ⊗ µ2) =

∫ (∫fx2 dµ1

)dµ2(x2) =

∫ (∫fx1 dµ2

)dµ1(x1).

Beweis. Sei A := A1 ⊗ A2 und π := µ1 ⊗ µ2. Nach dem Satz von Tonelli gilt für dieπ-integrierbare Funktion |f | ≥ 0, dass∫ (

|fx1 | dµ2

)dµ1(x1) =

∫ (∫|fx2 | dµ1

)dµ2(x2) =

∫|f | dπ <∞.

Damit ist die µ1-integrierbare Funktion x1 7→∫|fx1 | dµ2 µ1-fast überall endlich und die

Funktionx1 7→

∫fx1 dµ2 =

∫f+x1

dµ2−∫f−x1

dµ2

40

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µ1-fast überall definiert und A1-messbar (letzteres wegen f± ≥ 0 und des Satzes von To-nelli). Angewandt auf f± ≥ 0 liefert der Satz von Tonelli nun die µ1-Integrierbarkeit dieserFunktion und∫ (∫

fx2 dµ2

)dµ1(x1) =

∫ (∫f+x2

dµ2

)dµ1(x1)−

∫ (∫f−x2

dµ2

)dµ1(x1)

=∫f+ dπ−

∫f− dπ

=∫f dπ .

Aus Vertauschung der Rollen von x1 und x2 folgt der zweite Teil der Behauptung.

Beispiel. Sei λ2 = λ1 ⊗ λ1 das Lebesgue-Borel-Maß auf R2 und A = Q × R ∈ B2. Dannerfüllt die charakteristische Funktion 1A die Voraussetzung des Satzes von Tonelli und esgilt

0 =∫

1A dλ2 =∫ ( ∫

1Q dλ1︸ ︷︷ ︸=0 ∀x2∈R

)dλ1(x2) =

∫1Q(x1)

( ∫1R dλ1︸ ︷︷ ︸

=∞ ∀x1∈Q

)dλ1(x1).

Man sieht, dass (1A)x1 nur für λ1-fast alle x1 integrierbar ist.

Bemerkung. Die Aussagen der Sätze 2.36 (Produktmaße), 2.37 (Satz von Tonelli), sowiedas Korollar 2.38 (Satz von Fubini) bleiben uneingeschränkt gültig für endliche Produktevon σ-endlichen Maßräumen (Xi,Ai, µi), i = 1, . . . , n, d.h. auf

(X,A) := (X1 × · · · ×Xn,A1 ⊗ · · · ⊗ An)

existiert ein eindeutig bestimmtes Produktmaß µ1⊗· · ·⊗µn mit allen Eigenschaften wie imFall n = 2.

Beispiel. Es sei (X,A, µ) = (R2,B2, λ2) und Dr := (x, y) ∈ R2 | x2 + y2 < r2 für r > 0.Für das Integral µ(Dr) =

∫1Dr dλ2 gilt nach dem Satz von Tonelli∫

1Dr dλ2 =∫ ( ∫

(1Dr)x1 dλ1(x2))

dλ1(x1)

=∫ r

−r

( ∫ √r2−x2

1

−√r2−x2

1

1 dx2

)dx1

=∫ r

−r2√r2 − x2

1 dx1.

Mittels der Substitution x1 = r sinu folgt∫ r

−r2√r2 − x2

1 dx1(∗)=

∫ π2

−π2

2r2 cos2(u) du

= 2r2[12u+

14

sin(2u)]π

2

−π2

= πr2.

Den Schritt (∗) müssen wir an dieser Stelle noch ohne Begründung hinnehmen.

———————-

41

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2.9 Transformationssatz

Erinnerung: Sind (X,A) und (X ′,A′) messbare Räume und f : X → X ′ (A,A′)-messbarund µ ein Maß auf A, so wird durch

(f∗µ)(A′) := µ(f−1(A′)) A′ ∈ A′

ein Maß erklärt, das Bildmaß von µ unter f .

Beispiel. Seien (X,A) = (X ′,A′) = (Rn,Bn) und

f : Rn → Rn, x 7−→ Tx+ b T ∈ GLn(R), b ∈ Rn.

Dann gilt für das Lebesgue-Borel-Maß λn:

f∗λn = (detT )−1λn.

Sei jetzt allgemeiner U, V ⊆ Rn offen und ϕ : U → V ein C1-Diffeomorphismus. Frage:

Wenn ϕ (BnU ,BnV )-messbar ist ⇔ ϕ∗λn = ?

Um diese Frage zu beantworten, betrachten wir zunächst Maße mit Dichten.

Lemma 2.39 Es sei (X,A, µ) ein Maßraum. Für jede Funktion f ∈ E∗(X,A) wird durch

ν(A) :=∫Af dµ :=

∫f · 1A dµ A ∈ A

ein Maß auf A erklärt.

Beweis. Es gilt ν(∅) = 0 und ν ≥ 0. Für jede Folge (Aj)j in A, Aj paarweise disjunkterMengen mit A :=

⋃j∈N gilt:

ν(A) =∫f1A dµ =

∫f( ∞∑j=1

1Aj

)dµ

=∞∑j=1

(∫1Af dµ

)=

∞∑j=1

ν(Aj)

wobei der letzte Schritt aus Korollar 2.12 folgt. Damit ist ν ein Maß auf A.

Definition 2.40 Sei f ∈ E∗(X,A). Dann heißt das Maß ν wie in Lemma 2.39 das Maß mitder Dichte f bezüglich µ. Wir verwenden hierfür die Notation ν = fµ.

Beispiel.(1) Das Maß µ hat die Dichte f = 1X bezüglich µ.(2) Es existiert kein f ∈ E∗(R,B1) mit fλ1 = δx (Dirac-Maß in x ∈ R), Übung.

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Für den Rest des Kapitels seien U, V ⊆ Rn offen (also insbesondere Elemente von Bn) undϕ : U → V ein C1-Diffeomorphismus. Dies bedeutet, ϕ ist bijektiv und stetig differenzierbarmit

(Dϕ)(x) = (∂ϕi∂xj

(x))ij∈ GLn(R) ∀x ∈ Rn.

In diesem Fall ist auch ϕ−1 : V → U stetig differenzierbar mit Dϕ−1 = (Dϕ)−1.

Satz 2.41 (Transformationssatz für Bn) Sei ϕ : U → V ein C1-Diffeomorphismus. Danngilt:

(i) ϕ ist (BnU , BnV )-messbar und es gilt

ϕ∗λn|Bn

U= |detDϕ(x)|−1 λn|Bn

V(17)

bzw. äquivalent hierzu

λn(ϕ(A)) =∫A |detDϕ| dλn ∀A ∈ BnU (18)

(ii) Für f ∈ E∗(V,BnV ) gilt∫Vf dλn =

∫U(f ϕ) · |detDϕ| dλn ∈ [0,∞].

(iii) Eine Funktion f : V → R ist genau dann λn-integrierbar über V , wenn die Funktionf ϕ : U → R über U integrierbar ist. In diesem Fall gilt∫

Vf dλn =

∫U(f ϕ) · |detDϕ| dλn ∈ R.

Beweis. Wir betrachten das System der Mengen

H := [a, b) ⊆ Rn | a ≤ b, a, b ∈⋃i∈N

2−iZn, [a, b) ⊆ U

und den von H erzeugten Ring R, d.h. das System der endlichen Vereinigungen von Mengenaus H. Es gilt Aσ(H) = Aσ(R) = BnU , denn jede offene Menge U ′ ⊆ U ist die abzählbareVereinigung von Mengen aus H.

Schritt 1 Vorbemerkung.

Da ϕ und ϕ−1 stetig sind, ist ϕ (BnU ,BnV )- und ϕ−1 (BnV ,BnU )-messbar.

Schritt 2 Für alle I ∈ H gilt

λn(ϕ(I)) ≤∫I|detDϕ| dλn .

.

Sei I ⊆ H und ε > 0. Nach Schritt 1 ist ϕ(I) ∈ BnV . Wir zerlegen disjunkt

I =k⊔ν=1

Iν (19)

43

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in Würfel Iν der Kantenlänge d > 0. Durch fortgesetzte Unterteilung durch Würfel derhalben Kantenlänge kann d beliebig klein gewählt werden. Wir wählen d > 0 wie folgt: FürI ⊆ U , kompakt und U offen gibt es ein r′ > 0, sodass Kr′(a) ⊆ U ∀a ∈ I, wobei

Kr(a) := x ∈ Rn | ‖x− a‖ ≤ r = Br(a), r > 0.

Nach Voraussetzung ist Dϕ : U → Rn ∈ GLn(R) stetig, d.h. auf K ⊆ U kompakt ist Dϕgleichmäßig stetig. Hierbei wähle K :=

⋃a∈I Kr′(a) ⊆ U (r′ wie zuvor). Damit gibt es ein

0 < r < r′, sodasssup

x∈Kr(a)‖Dϕ(x)−Dϕ(a)‖ ≤ ε

M√n

∀a ∈ I ,

wobeiM := sup

y∈I‖(Dϕ)−1(y)‖ ∈ (0,∞).

Nach Wahl von r > 0 wie oben wähle die Zerlegung (19) so fein, dass d < r√n. Dann ist für

jedes b ∈ Iν :Iν ⊆ Kr(b) ⊆ U ν = 1, . . . , k.

Für ν = 1, . . . , k wähle nun aν ∈ Iν mit

|detDϕ(aν)| = miny∈Iν

|detDϕ(y)|

und setze Mν := (Dϕ)(aν) ∈ GLn(R) sowie bν := ϕ(aν) ∈ V .

Grundidee: Approximiere ϕ|Iν durch die affin-lineare Abbildung ϕν : x 7→Mν(x− aν) + bν .

Sei a ∈ I, h : Kr(a) → Rn differenzierbar. Der Mittelwertsatz zeigt, dass

‖h(x)− h(y)‖ ≤ ‖x− y‖ sup0≤λ≤1

‖Dh(x+ λ(y − x)‖ ∀x, y ∈ Kr(a)

gilt. Wir wenden dies an auf h(x) := ϕ(x)−Mνx und x beliebig und y = aν . Dann folgt füralle x ∈ Kr(aν) ⊇ Iν :

‖ϕ(x)− ϕν(x)‖ = ‖ϕ(x)− (Mν(x− aν) + bν)‖= ‖h(x)− h(aν)‖≤ ‖x− aν‖ · sup

y∈Kr(a)‖Dϕ(y)−Mν‖

≤ ‖x− aν‖ ·ε

M√n

Für x ∈ Iν gilt aber ‖x− aν‖ ≤ d√n, d.h.

‖ϕ(x)− ϕν(x)‖ ≤εd

M∀x ∈ Iν .

Dies zeigt, dass ϕ(Iν) ⊆ ϕν(Iν) +KεdM (0). Es ist

KεdM (0) = Mν(M−1ν KεdM (0)) ≤MνKεd(0),

alsoϕ(Iν) ≤ bν +Mν(Iν +Kεd(0)− aν︸ ︷︷ ︸

≤Würfel mit Kanten-länge d(1 + 2ε)

).

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Da für affin-lineare Abbildungen A : x 7→ Tx+ b gilt: A∗λn = |detT |−1λn, folgt

λn(ϕ(Iν) ≤ dn(1 + 2ε)n|detMν |= (1 + 2ε)n|detMν |λn(Iν)

Damit ist

λn(ϕ(I)) ≤ (1 + 2ε)n ·k∑ν=1

|detMν |︸ ︷︷ ︸≤| detDν |

auf Iν

λn(Iν)

≤ (1 + 2ε)n∫I|detDϕ| dλn

Da ε > 0 beliebig gewählt war, folgt die Behauptung.

Schritt 3 Es gilt

λn(ϕ(A)) ≤∫A|detDϕ|dλn ∀A ∈ BnU .

Nach Schritt 2 gilt diese Ungleichung für Mengen A ∈ H. Damit folgt die Behauptung füralle A ∈ BnU , denn BnU wird von H erzeugt.

Schritt 4 Es gilt∫Vf dλn ≤

∫U(f ϕ)|detDϕ| dλn ∀f ∈ E∗(V,BnV ). (20)

Nach Schritt 4 folgt dies (wegen Homogenität und Additivität) für alle Treppenfunktionen.Zu f ∈ E∗(V,Bn

V ) wähle eine monoton steigende Folge (uj)j in E(V,BnV ) mit uj → (j →∞)f . Aus dem Satz von der monotonen Konvergenz folgt damit, dass∫

Vf dλn = lim

j→∞

∫Vuj dλn

≤ limj→∞

∫Vuj ϕ|detDϕ| dλn

=∫Vf ϕ|detDϕ| dλn

wie behauptet.

Schritt 5 Es gilt Gleichheit in (20).

Wende Schritt 4 an auf ϕ−1 : V → X und (f ϕ)|detDϕ| ∈ E∗(U,BnU ). Es folgt, dass∫V

(f ϕ)|detDϕ| dλn ≤∫V

(f ϕ ϕ−1︸ ︷︷ ︸=f

) |detDϕ| · |detDϕ|−1︸ ︷︷ ︸=1

dλn =∫Uf dλn .

Damit sind die Ausagen (i), (ii) gezeigt. Die Behauptung (iii) für Funktionen f : V −→ Rfolgt aus (ii), wenn wir f in f = f+ − f− zerlegen. Dann gilt: f ist λn integrierbar ⇐⇒f± ∈ E∗(V,BnV ) mit

∫V f

± dλn <∞ ⇐⇒ (wegen (ii) und der Messbarkeit von ϕ) f± ϕ ∈E∗(U,BnU ) mit

∫U (f± ϕ)|detDϕ| dλn <∞ ⇐⇒ f ϕ ist |detDϕ|λn-integrierbar über U .

Damit sind alle Aussagen des Satzes gezeigt.

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Beispiel.(1) Betrachte ebene Polarkoordinaten (r, θ). Die Transformation zu euklidischen Koordina-

ten

ϕ : (0,∞)× (0, 2π) → R2 \ (x, 0) |<≥ 0(r, θ) 7−→ (r cos θ, r sin θ)

ist ein C1-Diffeomorphismus mit

Dϕ(r, θ) =(

cos θ −r sin θsin θ r cos θ

)∈ GL2(R)

und detDϕ = r. Da (x, 0) | x ≥ 0 eine λ2 Nullmenge ist, gilt: f : R2 → R ist λ2-integrierbar genau dann, wenn f ϕ (|detDϕ|λ2)-integrierbar über (0,∞)× (0, 2π). Indiesem Fall gilt ∫

R2

f dλ2 =∫

(0,∞)×(0,2π)f(r cos θ, r sin θ)r dλ2 .

(2) Betrachte U := (0,∞) × (0, 2π) × R ⊆ R3, V := R2 \ (x, 0) | x ≥ 0 × R ⊆ R3 undϕ : U → V , (r, θ, z) 7→ (r cos θ, r sin θ, z). Es gilt

Dϕ(r, θ, z) =

cos θ −r sin θ 0sin θ r cos θ 0

0 0 1

und detDϕ(r, θ, z) = r. Es folgt∫

R3

f dλ3 =∫

(0,∞)×(0,2π)×Rf(r cos θ, r sin θ, z) · r dλ3 .

Anwendung zu Beispiel (a): Man kann nun leicht das Integral I =∫∞−∞ e−x

2dλ mit Hilfe

der Transformationsformel und des Satzes von Fubini ausrechnen:

I2 = (∫ ∞

−∞e−x

2dλ)2

=∫

R2

e−x2−y2 dλ2 =

∫e−y

2(∫e−x

2dλ) dλ1

=∫

(0,∞)×(0,2π)e−r

2r dλ2 = (

∫e−x

2dλ1)(

∫e−y

2dλ1)

= 2π∫

(0,∞)re−x

2dλ1

= 2π[−1

2e−r

2

]∞0

= π

Es folgt I =√π.

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3 Differentialformen und der Satz von Stokes

3.1 Differenzierbare Mannigfaltigkeiten

Im folgenden bedeutet „differenzierbar“ immer „unendlich-oft differenzierbar“. Erinnerung:Untermannigfaltigkein im Rn:

Definition 3.1 Eine Teilmenge M ⊆ Rn heißt k-dimensionale Untermannigfaltigkeit, fallsfür alle p ∈ M eine offene Umgebung U von p in Rn existiert mit: nach eventueller Per-mutation der Koordinaten ist U = U ′ × U ′′ für U ′ ⊆ Rk offen U ′′ ⊆ Rn−k offen undU ∩M = graph (f) für eine differenzierbare Abbildung f : U ′ −→ U ′′.

Beispiel. Sn ⊆ Rn+1 (n-dimensionale Einheitsphäre) ist Untermannigfaltigkeit von Rn+1.

Wir definieren ϕ : U −→ Rn, x = (x′, x′′) 7→ (x′, x′′ − f(x′)). Durch ϕ wird ein Diffeomor-phismus ϕ : U −→ ϕ(U) mit der Eigenschaft

ϕ(U ∩M) = ϕ(U) ∩ ϕ(Rn × 0)

induziert. Eine solche Abbildung ϕ heißt Untermannigfaltigkeitskarte um p. Die Einschrän-kung

ψ := ϕ|U∩M : U ∩M −→ ϕ(U ∩M)(off.)⊆ Rn

ist ein Homöomorphismus und heißt Karte um p.

Abbildung 1: Karte und Kartengebiet

Definition 3.2 Sei X ein topologischer Raum. Ein Homöomorphismus ϕ : U −→ ϕ(U)zwischen offenen Teilmengen U ⊆ X und ϕ(U) ⊆ Rn heißt (n-dimensionale) Karte. DieMenge U heißt Kartengebiet.

Abbildung 2: Karte

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Sind ϕ : U −→ ϕ(U) ⊆ Rn, ψ : V −→ ψ(V ) ⊆ Rn n-dimensionale Karten von X (imfolgenden gelte stets U ∩ V 6= ∅), so heißt der Homöomorphismus

ψ ϕ−1|ϕ(X∩V ) : ϕ(U ∩ V ) −→ ψ(U ∩ V )

der Kartenwechsel von ϕ nach ψ.

Abbildung 3: Kartenwechsel

Eine Menge A n-dimensionaler Karten heißt (n-dimensionaler) Atlas, falls die KartengebieteX überdecken. Der Atlas A heißt differenzierbar, falls aus ϕ,ψ ∈ A folgt:

ψ ϕ−1|ϕ(U∩V ) : ϕ(U ∩ V ) −→ ψ(U ∩ V )

ist ein Diffeomorphismus. Zwei differenzierbare Atlanten A,B heißen äquivalent, falls A∪Bwieder ein differenzierbarer Atlas ist. Eine Äquivalenzklasse D differenzierbarer Atlantenheißt (n-dimensionale) differenzierbare Struktur auf X. Für eine differenzierbare Struktur Dsetzen wir Amax :=

⋃A∈DA und nennen Amax den maximalen Atlas bezüglich D.

Bemerkung. Es ist Amax ∈ D und Amax enthält alle Karten, die mit einem gegebenenAtlas A0 ∈ D (und damit mit allen Atlanten A ∈ D) differenzierbare Kartenwechsel haben.Durch Übergang zu Amax können wir zum Beispiel sicherstellen, dass Einschränkungen vonKarten auf kleinere Definitionsgebiete wieder im Atlas liegen.

Erinnerung: Ein topologischer Raum (X, T ) heißt hausdorffsch, falls für alle p, q ∈ X, p 6= qoffene Umgebungen U von p und V von q mit U ∩V = ∅ existieren. Der Raum (X, T ) erfülltdas zweite Abzählbarkeitsaxiom, falls er eine abzählbare Umgebungsbasis besitzt. Das heißtes gibt ein abzählbares Teilmengensystem in B ⊆ T , sodass jede offene Menge (abzählbare)Vereinigung von Mengen aus B ist.

Im folgenden werden wir nur topologische Räume betrachten, die diese beiden Eigenschaftenerfüllen (Grund hierfür: Vermeide „Pathologien“ – d.h. nicht-metrisierbare Mannigfaltigkei-ten oder solche, die sind nicht in Rn einbetten lassen...).

Definition 3.3 Eine (n-dimensionale) differenzierbare Mannigfaltigkeit ist ein Paar (M,D),wobei M ein Hausdorffraum ist, der das zweite Abzählbarkeitsaxiom erfüllt, zusammen miteiner differenzierbaren Struktur D.

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Beispiel. Betrachte die Sphäre S2 = x ∈ R3 | ‖x‖ = 1. Wir sehen Sn als topologischenRaum mit der von (R3, Tstd) induzierten Topologie. Ein differenzierbarer Atlas A ist z.B.gegeben durch die Karten ϕ±i : U±i → V ±i , i = 1, 2, 3

U±1 := (x1, x2, x3) ∈ S2|x1 ≷ 0 ϕ±1 : (x1, x2, x3) 7−→ (x2, x3)

U±2 := (x1, x2, x3) ∈ S2|x2 ≷ 0 ϕ±2 : (x1, x2, x3) 7−→ (x1, x3)

U±3 := (x1, x2, x3) ∈ S3|x1 ≷ 0 ϕ±3 : (x1, x2, x3) 7−→ (x1, x2)

Für einen Atlas müssen wir uns noch überzeugen, dass die Differenzierbarkeit aller Karten-wechselabbildungen gegeben ist. Für den Fall, dass U±i ∩ U±j 6= ∅ gilt1, betrachten wir

ϕ±j (ϕ±i )−1 : ϕ±i (U±i ∩ U±j ) → ϕ±j (U±i ∩ U±j ) i, j = 1, 2, 3.

Zum Beispiel für

ϕ+3 (ϕ+

1 )−1 : ϕ+1 (U+

1 ∩ U+3 ) → ϕ+

3 (U+1 ∩ U+

3 )

(y1, y2) 7→ (√

1− y21 − y2

2 , y1 rk

mit

ϕ+1 (U+

1 ∩ U+3 ) = (y1, y2) ∈ R2 | y2

1 + y22 < 1, y2 > 0

ϕ+3 (U+

1 ∩ U+3 ) = (z1, z2) ∈ R2 | z2

1 + z22 < 1, z1 > 0

Dieser Kartenwechsel ist (unendlich oft) differenzierbar. Analog zeigt man die Differenzier-barkeit aller anderen Kartenwechsel. Somit ist A = ϕ±i , i = 1, 2, 3 ein differenzierbarerAtlas auf S2. Den zugehörigen maximalen Atlas erhalten wir unter Hinzunahme aller wei-teren Karten, sodass Kartenwechsel mit Karten aus A differenzierbar sind.

Eine differenzierbare Struktur erlaubt es, Konzepte der Analysis in Rn auf Mannigfaltigkei-ten zu übertragen.

Definition 3.4 Eine Funktion f : M → R heißt differenzierbar in p ∈M , wenn eine Karteϕ um p existiert, sodass die Funktion f ϕ−1 : ϕ(U) → R differenzierbar ist.

Diese Definition hängt nicht von der Wahl der Karte um p ab, denn: Ist ψ : V → ψ(V ) eineweitere solche Karte, so ist

ψ ϕ−1∣∣ϕ(U∩V )

: ϕ(U ∩ V ) → ψ(U ∩ V )

ein Diffeomorphismus und somit ist f ψ−1 differenzierbar in ψ(p) genau dann, wenn f ϕ−1 differenzierbar in ϕ(p) ist (da f ϕ−1|ϕ(U∩V ) = f ψ−1 (ψ ϕ−1|ϕ(U∩V )) nach derKettenregel).Eine ähnliche Definition können wir für Abbildungen f : M → N zwischen Mannigfaltigkei-ten treffen:

1In dieser Konstruktion gibt es offensichtlich Hemisphären die sich nicht schneiden, zum Beispiel

U+1 ∩ U−

1 = ∅

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p

U

R f ϕ−1

ϕ

ϕ(U)

ϕ(p)

f

Abbildung 4: Kartenwechsel

Definition 3.5 Eine stetige Abbildung f : M → N heißt differenzierbar in p ∈ M , fallsKarten ϕ um p und ψ um f(p) existieren mit f(U) ⊆ V und die Komposition

ψ f ϕ−1 : ϕ(U) → ψ(V )

differenzierbar in ϕ(p) ist.

ϕ(U) ⊆ Rn

ψ(U) ⊆ Rmψ f ϕ−1

ψ

f

Np f(p)U

M

Abbildung 5: Kartenwechsel

Bemerkung.(i) Wir oben zeigt man die Unabhängigkeit dieser Definition von der Wahl der Karten ϕ

und ψ.(ii) Eine differenzierbare Funktion f : M → R entspricht in Definition 3.5 dem Spezialfall

N = R.

Definition 3.6 Zwei differenzierbare Kurven γ1 : (−ε1, ε1) → M , γ2 : (−ε2, ε2) → M mitγ1(0) = γ2(0) = p heißen tangential äquivalent in p, falls für eine (und dann alle) Karten ϕum p gilt:

ddt

(ϕ γ1)(t)∣∣∣∣t=0

= ddt

(ϕ γ2)(t)∣∣∣∣t=0

∈ Rn.

Tangentiale Äquivalenz ∼tang definiert eine Äquivalenzrelation auf der Menge der differen-zierbaren Kurven γ : (−ε, ε) →M durch p.

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pU γ1

γ2

ϕ

ϕ(p)

ϕ γ1

ϕ γ2ϕ(U) ⊆ Rn

Abbildung 6: Kartenwechsel

Definition 3.7 Wir setzen

T geomp M := γ : (−ε, ε) →M differenzierbar | γ(0) = p|∼tang

T geomp M heißt der Tantentialraum an M in p.

Ziel : Wir möchten T geomp M zu einem R-Vektorraum machen. Das ist mit Definition 3.7 nicht

direkt möglich.

Definition 3.8 Zwei Funktion f : U → R, g : V → R, U, V ⊆ M offen, p ∈ U ∩ V heißenäquivalent in p, falls eine offene Umgebung W von p existiert, W ⊆ U ∩ V , mit f |W = g|W .Die Äquivalenzklassen heißen Keime differenzierbarer Funktionen in p. Die Menge der Keimein p wird mit Ep(M) bezeichnet.

Bemerkung. In der Notation unterscheiden wir nicht zwischen f und [f ] ∈ Ep(M). Mit derDefinition [f ] + [g] = [f + g] und [f ] · [g] = [fg] (man muss sich natürlich von der Wohldefi-niertheit überzeugen) wird die Menge Ep(M) eine R-Algebra in offensichtlicher Weise.

Definition 3.9 Ein Tangentialvektor (in p) ist eine Derivation auf der R-Algebra Ep(M),d.h. eine R-lineare Abbildung

v : Ep(M) → R

mit v(fg) = v(f) · g(p) + f(p)v(g) ∀f, g ∈ Ep(M). Der R-Vektorraum dieser Derivationenbezeichnen wir mit TpM und heißt Tangentialraum an M in p.

Wir kennen bereits solche Derivationen, denn jede partielle Ableitung ∂f∂xi

∣∣∣p, i = 1, . . . , n

definiert eine Derivation, da

∂xi

∣∣∣∣p

(fg) =∂f

∂xi(p) · g(p) + f(p)

∂g

∂xi(p).

Etwas allgemeiner: Alle Richtungsableitungen∑n

i=1 vi∂∂xi

∣∣∣p, v = (v1, . . . , vn) ∈ Rn sind

Derivationen. Wir werden sehen, dass dies bereits alle Derivationen sind, da der Raum derDerivationen von den Richtungsableitungen aufgespannt wird. Schaut man sich dazu eineReihenentwicklung von f an, so stellt man das eben gesagte fest (heuristisch):

f(x) = f(0) +n∑i=1

xifi(0) +O(|x|2).

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Sei γ : (−ε, ε) → Rn, γ(0) = p = 0. Die tangentiale Äquivalenzklasse [γ] definiert eineDerivation v[γ] durch

v[γ] =n∑i=1

( ddt

∣∣∣∣t=0

γ rki∂

∂xi

∣∣∣∣p

.

Äquivalenz der Definitionen 3.7 und 3.9

Wir konstruieren eine Abbildung T geomp M → TpM . Repräsentiert γ : (−ε, ε) → M ein Ele-

ment in T geomp , so wird durch

v : Ep(M) → R, f 7−→ ddt

∣∣∣∣t=0

(f γ)(t)

ein Tantentialvektor definiert. Die Eigenschaft einer Derivation folgt hier aus der Produktre-gel. Der Tangentialvektor hängt nur von der tangentialen Äquivalenzklasse von p ab. Denn:Sei γ1 ∼tang γ2. Dann gilt (nach Wahl einer Karte ϕ : U → Rn um p):

ddt

∣∣∣∣t=0

(f γ1)(t) = ddt

∣∣∣∣t=0

(f ϕ−1) (ϕ γ1)(t)

= D(f ϕ−1)(ϕ(p)) ddt

∣∣∣∣t=0

(ϕ γ1)(t)

= D(f ϕ−1)(ϕ(p)) ddt

∣∣∣∣t=0

(ϕ γ2)(t)

= ddt

∣∣∣∣t=0

(f γ2)(t)

Nun konstruieren wir eine Abbildung TpM → T geomp . Sei v ∈ TpM ein Tangentialvektor.

Wir wählen eine Karte ϕ = (x1, . . . , xn) : U → Rn um p. OBdA ist ϕ(p) = 0.Ziel : Entwickle den Vektor v nach der Basis

∂x1

∣∣∣∣p

, . . . ,∂

∂xn

∣∣∣∣p

mit∂

∂xi

∣∣∣∣p

(f) :=∂

∂xi(f ϕ−1)(ϕ(p)) ∀f ∈ Ep(M).

Diese sind linear unabhängig, denn mit xj : U → R folgt dies aus

∂xi

∣∣∣∣p

(xj) =∂

∂xi(xj ϕ−1)(ϕ(p)) = δij .

Die lineare Unabhängigkeit folgt dann, weil in einer Nullsumme jeweils der j-te KoeffizientNull ist und insgesamt dann, dass die Nullsumme bereits Nullkoeffizienten hatte.

Lemma 3.10 Die Menge B mit

B = ∂

∂x1

∣∣∣∣p

, . . . ,∂

∂xn

∣∣∣∣p

ist eine Basis von TpM . Insbesondere gilt dimTpM = n.

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Beweis. Es bleibt zu zeigen, dass TpM von der Menge B erzeugt wird. Dazu verwendenwir die folgende Behauptung: Sei f : Br(0) → R (r > 0) differenzierbar und f(0) = 0. Dannexistieren differenzierbare Funktionen fi : Br(0) → R, i = 1, . . . , n mit

f(x) =n∑i=1

xifi(x) für x = (x1, . . . , xn) ∈ Br(0).

Es gilt nach dem Hauptsatz der Differential - und Integralrechnung, dass

f(x) =∫ 1

0

ddt

∣∣∣∣t=0

f(tx1, . . . , txn) dt

=∫ 1

0

n∑i=1

(∂f

∂xi(tx1, . . . , txn) rk ·(d(txi)

dt|t=0)

=∫ 1

0

n∑i=1

xi∂f

∂xi(tx1, . . . , txn) dt

Setze fi :=∫ 10

∂f∂xi

(tx1, . . . , xn) dt. Dies zeigt die Behauptung. Wir wenden dies an auf f :=f ϕ−1 (oBdA ist ϕ(p) = 0 (⇒ xi(p) = 0, i = 1, . . . , n) und f(p) = 0). Es folgt

(f ϕ−1)(x) =n∑i=1

xifi(x)

mit geeigneten Funktionen fi. Damit ist f =∑n

i=1 xifi ϕ. Nach der Linearität und derProdukteigenschaft von v folgt nun

v(f) = v

( n∑i=1

xifi ϕ)

=n∑i=1

v(xi · (fi ϕ))

=n∑i=1

v(xi) · fi(ϕ(p)︸︷︷︸=0

) + xi(p)︸ ︷︷ ︸=0

·v(fi ϕ)

=n∑i=1

v(xi)fi(0)

Andererseits ist

∂xj|p(f) =

∂xj(f ϕ−1)(ϕ(p))

=∂

∂xj

n∑i=1

xifi(ϕ(p))

=n∑i=1

∂xi∂xj

fi(0) + xi ·∂fi(0)∂xj

=n∑i=1

δij fi(0) + xi ·∂fi∂xi

· ∂xi∂xj︸︷︷︸=0

=n∑i=1

δij fi(0) = fj(0)

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Da f beliebig gewählt war, folgt v =∑n

i=1 vi∂∂xi

∣∣p

mit vi := v(xi) woraus die Aussage desLemmas folgt.

Sei v ∈ TpM wie oben. Wir können v mit Lemma 3.7 darstellen als

v =n∑i=1

vi∂

∂xi|p

mit geeeigneten vi ∈ R, i = 1, . . . , n. Dann definieren wir

γ : (−ε, ε) →M, γ(t) := ϕ−1

(t

n∑i=1

viei

)wobei ei die Standardbasis von Rn ist. Die tangentiale Äquivalenzklasse von γ definiertein Element in T geom

p M . Dieses ist unabhängig von der Wahl der Karte ϕ (also allein durchv ∈ TpM bestimmt). Denn: Sei ψ : V → ψ(V ), ψ : (y1, . . . , yn) eine weitere solche Karte (ump mit ψ(p) = 0). Dann gilt nach der Kettenregel:

∂yi|p(f) =

∂yi(f ψ−1)(ψ(p))

=∂

∂yi((f ϕ−1) (ϕ ψ−1))(ψ(p))

=n∑j=1

∂xj(f ϕ−1)(ϕ(p)) · ∂xj

∂yi(ψ(p))

Definition von∂

∂xj|p → =

n∑j=1

∂xj|p(f) · ∂xj

∂yi(ψ(p))

Mit v =∑n

i=1 vϕi

∂∂xi

∣∣∣p

=∑n

i=1 vψi

∂∂yi

∣∣∣p

gilt somit

v =n∑

i,j=1

vψi∂xj∂yi

(ψ(p))∂

∂xj|p.

Ein Koeffizientenvergleich mit obiger Darstellung von v ergibt

vϕi =n∑i=1

∂xi∂yj

(ψ(p))vψjTransformationsformel fürKomponenten von Tangentialvektoren (21)

Die behauptete Unabhängigkeit folgt jetzt aus der Kettenregel und (21)

ddt

∣∣∣∣t=0

(ϕ γψ)(t) = ddt

∣∣∣∣t=0

ϕ ψ−1

(t

n∑i=1

vψi ei

)

=n∑i=1

vϕi ei

= ddt

∣∣∣∣t=0

(ϕ γϕ)(t)

Übungsaufgabe: Man zeige, dass obige Konstruktionen zueinander invers sind und wir somiteine kanonische (d.h. kartenunabhängige) Bijektion T geom

p ⇔ TpM hergestellt haben.

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Definition 3.11 Sei F : M → N differenzierbar in p ∈M . Die Abbildungen

dgeomp F : T geom

p M → T geomF (p) N, [γ] 7−→ [F γ],

bzw.dp F : TpM 7−→ TF (p)N, v 7−→ (dp F )(v)

mit (dp F )(v)(f) = v(f F ) für f lokal um F (p) definiert heißen (geometrisch definiertes)Differential von F im Punkt p.

M

F

F (p)F γ

N

Bemerkung.(i) Das Differential dp F ist R-linear.(ii) Das Diagramm

T geomp

dgeomp F

//

1: 1

T geomF (p) N

TpM

dp F // TF (p)N

ist kommutativ, d.h beide Definitionen des Differentials sind mit der IdentifikationT geomp M =TpM verträglich (Übung).

(iii) Es gilt die Kettenregel dp(G F ) = dF (p)G dp F .

Im folgenden verwenden wir die Notation TM :=∐p∈M TpM , wobei wir hiermit die dis-

junkte Vereinigung meinen.

Definition 3.12 Eine Abbildung X : M → TM mit X(p) ∈ TpM fügür alle p ∈ M istein Vektorfeld auf M . Das Vektorfeld X heißt differenzierbar in p ∈ M , falls eine Karteϕ = (x1, . . . , xn) : U → ϕ(U) um p mit

X|U =n∑i=1

Xi∂

∂xi

für Xi : U → R differenzierbar in p (für i = 1, . . . , n) existiert.

Bemerkung. Für eine weitere Karte ψ = (y1, . . . , yn) : V → ψ(V ) um p gilt

X|U∩V =n∑i=1

Xϕi

∂xi=

n∑i=1

Xψi

∂yi

mit (vgl. (∗) oben) Xϕi =

∑nj=1X

ψj∂xi∂yj

ψ. Da xi differenzierbar von yj abhängt, ist dieDifferenzierbarkeit von X (in p) unabhängig von der Wahl der Karte.

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3.2 Differentialformen

Seien nun V bzw. W endlich-dimensionale R-Vektorräume (dimV = n, dimW = m).

Definition 3.13 Sei k ∈ N. Eine alternierende k-Form ω auf V ist eine k-fach multilineareAbbildung

ω : V × · · · × V︸ ︷︷ ︸k Faktoren

→ R

mit der Eigenschaft

ω(vσ1 , . . . , vσk) = sgnσ · ω(v1, . . . , vk) ∀v1, . . . , vn ∈ V

und σ ∈ Sk (symmetrische Gruppe mit k-Elementen). Wir bezeichnen mit Altk V den R-Vektorraum der alternierenden k-Formen auf V . Ferner setzen wir Alt0 V := R.

Bemerkung.(i) Alt1 V = V ∗

(ii) Jede lineare Abbildung f : V →W induziert eine lineare Abbildung

f∗ : AltkW → Altk V

mit f∗ω(v1, . . . , vk) = ω(fv1, . . . , fvk) für v1, . . . , vk ∈ V . (Für k = 1 ist f∗ die dualeAbbildung zu f).

(iii) Ist vi = vj , i 6= j, so folgt ω(v1, . . . , vk) = 0, denn:

ω(v1, . . . , vi, . . . , vj , . . . , vk) = −ω(v1, . . . , vj , . . . , vi, . . . , vk) = 0.

Sind allgemeiner v1, . . . , vn linear abhängig, so folgt ω(v1, . . . , vk) = 0 (Übung).

Beispiel.(1) Sei V = R3 mit dem Kreuzprodukt (v1, v2) 7→ v1×v2. Dieses ist komponentenweise eine

alternierende 2-Form.(2) V = Rn, det : V n → R ist eine alternierende n-Form.(3) Für jede alternierende k-Form ω (k ≥ 1) und v ∈ V wird durch

η(v1, . . . , vk−1) := ω(v, v1, . . . , vk−1) v1, . . . , vk−1 ∈ V

eine alternierende (k − 1)-Form η erklärt.

Lemma 3.14 Es gilt

dim Altk V =

(nk

)0 ≤ k ≤ n,

0 sonst..

Beweis. Sei zunächst 1 ≤ k ≤ n und ω ∈ Altk V . Sei e1, . . . , en eine Basis von V undvi =

∑nj=1 vijej , i = 1, . . . , k. Aus der Multilinearität von ω folgt1

ω(v1, . . . , vk) =n∑

j1=1

· · ·n∑

jk=1

v1j1 · · · vkjk · ω(ej1 , . . . , ejk)

=∑

1≤j1<···<jk≤n

( ∑σ∈Sk

sgnσ · v1jσ(1)· · · vkjσ(k)

)· ω(ej1 , . . . , ejk) (22)

1Es reicht hier, die aufsteigende Reihenfolge von Indizes zu betrachten, da ansonsten ω(ej1 , . . . , ejk ) = 0ist, falls jl = ji für i 6= l für 2 Indizes gilt.

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Also ist ω durch die(nk

)Zahlen ωj1···jk := ω(ej1 , . . . , ejk) (1 ≤ j1 < · · · < jk ≤ n) bestimmt.

Sind umgekehrt Zahlen ωj1···jk ∈ R gegeben, so definieren diese durch (22) eine alternierendek-Form ω auf V . Dies zeigt die Behauptung für 1 ≤ k ≤ n. Da für k > n jedes k-Tupelvon Vektoren v1, . . . , vk linear abhängig ist, folgt für alle ω ∈ Altk V stets ω(v1, . . . , vk) = 0,also ist ω = 0, d.h. die Behauptung in diesem Fall. Für k = 0 folgt dies aus der DefinitionAlt0 V = R.

Bemerkung. Aus Lemma 3.14 folgt insbesondere dim Altn V =(nn

)= 1 Sei f ∈ EndV .

Dann ist f∗ : Altn V → Altn V , ω 7→ det(f) · ω.

Beweis. Übung (Hinweis: Es gilt f∗ω = cf ·ω für ein cf ∈ R und alle ω ∈ Altn V . Außerdemist cfgω = (f g)∗ω = g∗f∗ω = cg · cf · ω, also cfg = cg · cf und Id∗ω = ω, also cId = 1).

Ab jetzt: Sei M eine differenzierbare Mannigfaltigkeit. Wir setzen

Altk TM :=∐p∈M

Altk TpM.

Definition 3.15 Eine Abbildung ω : M → Altk TM mit ω(p) ∈ Altk TpM für alle p ∈ Mheißt Differentialform vom Grad k (oder kurz k-Form). Die k-Form ω heißt differenzierbarin p, falls für eine Karte ϕ = (x1, . . . , xn) : U → ϕ(U) von p gilt: Die Abbildung

ω(∂

∂xi1, . . . ,

∂xik) : U → R

ist differenzierbar in p (für alle 1 ≤ i1 < · · · < ik ≤ n). Wir bezeichnen mit Ωk(M) denR-Vektorraum der differenzierbaren k-Formen auf M .

Definition 3.16 Es sei ω ∈ Altr V , η ∈ Alts V . Dann heißt die durch

(ω ∧ η)(v1, . . . , vr+s) :=1r!

1s!

∑σ∈Sr+s

sgnσ · ω(vσ(1), . . . , vσ(r)) · η(vσ(r+1), . . . , vσ(r+s))

definierte alternierende Multilinearform ω ∧ η ∈ Altr+s V das Dachprodukt der Formen ωund η. Die so definierte (r + s)-fache Multilinearform ist alternierend. (Übung).

Lemma 3.17 Das Dachprodukt ∧ : Alt∗ V × Alt∗ V → Alt∗ V (∗ bedeutet freie Wahl desIndex) besitzt folgende Eigenschaften:

(i) Der R-Vektorraum⊕∞

k=0 Altk V (infakt kommt ab irgendeinem k nur noch der Null-raum hinzu) wird durch ∧ zu einer graduierten, antikommutativen R-Algebra mit 1,d.h.(1) ∧ : Altr V ×Alts V → Altr+s V ist bilinear,(2) ∧ ist assoziativ,(3) ∧ ist graduiert-antikommutativ, d.h. für alle ω ∈ Altr V , η ∈ Alts V gilt

ω ∧ η = (−1)rs · η ∧ ω ∈ Altr+s V,

(4) 1 ∈ Alt0 V = R erfüllt 1 ∧ ω = ω für alle ω ∈⊕∞

k=0 Altk V .(ii) ∧ ist natürlich, d.h. für jede lineare Abbildung f : V →W gilt

f∗(ω ∧ η) = f∗ω ∧ f∗η ∀w ∈ Altr, η ∈ AltsW.

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Beweis.(i) Die graduierte Antikommutativität folgt aus

(η ∧ ω)(v1, . . . , vr+s) =1r!

1s!sumσ∈Sr+s sgnσ · η(vσ(1), . . . , vσ(r)) · ω(vσ(r+1), . . . , vσ(r+s))

=1r!s!

∑σ∈Sr+s

sgn(στ) · η(vστ(1), . . . , vστ(s)) · ω(vστ(s+1), . . . , vστ(s+r))

= (−1)rs(ω ∧ η)(v1, . . . , vr+s)

wobei

τ :=(

1 · · · s s+ 1 · · · s+ rr + 1 · · · r + s 1 · · · r

).

Die Assoziativität folgt ähnlich. Bilinearität und Eigenschaft der 1 folgen unmittelbaraus der Definition von ∧.

(ii) Natürlichkeit gilt wegen

f∗(ω ∧ η)(v1, . . . , vn) = (ω ∧ η)(fv1, . . . , fvr+s)

=1r!

1s!

∑σ∈Sr+s

sgnσ · ω(fvσ(1), . . . , fvσ(r)) · η(fvσ(r+1), . . . , fvσ(r+s))

=1r!

1s!

∑σ∈Sr+s

sgnσ · f∗ω(vσ(1), . . . , vσ(r)) · f∗η(vσ(r+1), . . . , vσ(r+s))

= (f∗ω ∧ f∗η)(v1, . . . , vr+s)

wie gewünscht.

Sei e1, . . . , en eine Basis von V und e∗1, . . . , e∗n die dazu duale Basis von V ∗ = Alt1(V ),d.h. e∗i (ej) = δij . Dann ist

e∗i1 ∧ · · · ∧ e∗ik

(ej1 , . . . , ejk) =

0 i1, . . . , ik 6= j1, . . . , jk,sgn τ τ ∈ Sk, τ(jl) = il, l = 1, . . . , k.

(23)

Dies folgt aus der Definition des Dachprodukts, Übung.

Lemma 3.18 Die(nk

)Formen e∗i1 ∧ · · · ∧ e

∗ik

(1 ≤ i1 < · · · < ik ≤ n) bilden eine Basis vonAltk(V ).

Beweis. Vergleiche Lemma 3.14. Es sei ω ∈ Altk(V ). Dann gilt

ω =∑

1≤i1<···<ik≤nωi1···ik · e

∗i1 ∧ · · · ∧ e

∗ik

mit ωi1···ik = w(ei1 , . . . , eik). Somit wird Altk(V ) von den Formen e∗i1 ∧ · · · ∧ e∗ik

erzeugt. Dadiese linear unabhängig sind, folgt die Behauptung.

Beispiel. Sei V = Rn. Es ist det ∈ Altn V . Da det 6= 0 und dim Altn V = 1, also Altn V =R · det. Andererseits ist auch Altn V = R · e∗1 ∧ · · · ∧ e∗n, vgl. Lemma 3.18. Tatsächlich istdet = e∗1 ∧ · · · ∧ e∗n, wie aus (23) folgt.

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Definition 3.19 Wie in Definition 3.15 bezeichne Ωr(M) den Vektorraum der differenzier-baren r-Formen auf M . Wir definieren das Dachprodukt

∧ : Ωr(M)× Ωs(M) → Ωr+s(M), (ω, η) 7−→ w ∧ η

punktweise durch (ω ∧ η)(p) := ω(p) ∧ η(p) ∀p ∈M .

Bemerkung.(i) Die algebraischen Eigenschaften aus Lemma 3.17 gelten entsprechend für das Dach-

produkt auf Differentialformen.(ii) Ist ϕ = (x1, . . . , xn) : U → ϕ(U) eine Karte, so bezeichnen wir mit dx1, . . . ,dxn das

Basenfeld von T ∗M |U dual zu ∂∂x1, . . . , ∂∂xn, d.h.

dxi|p( ∂

∂xj

∣∣p

)= δij ∀p ∈ U.

Dann gilt für w ∈ Ωk(M):

ω|U =∑

1≤i1<···<ik≤nwi1···ik · dxi1 ∧ · · · ∧ dxik

mit geeigneten differenzierbaren Funktionen ωi1···ik : U → R (Komponentenfunktionenvon ω bezügüglich ϕ).

Bemerkung. Wir verwenden im folgenden die Notationen d |U = dU synonym als Ein-schränkung der Abbildung d auf das Kartengebiet U .

Satz 3.20 (und Definition (äußeres Differential)) Es sei M eine differenzierbare Man-nigfaltigkeit, n = dimM . Dann existiert zu jedem k ∈ N0 genau eine R-lineare Abbildung

d = dk : Ωk(M) → Ωk+1(M)

mit den folgenden Eigenschaften:(i) Für f ∈ Ω0(M) stimmt df mit dem geometrischen Differential dp f : TpM → R (p ∈

M), aufgefasst als Element in T ∗pM , überein.(ii) Die Sequenz linearer Abbildungen

0 → Ω0(M) d0→ Ω1(M) d1→ Ω2(M) d2→ · · ·

ist ein Komplex, d.h. d2 = dk+1 dk = 0 für alle k ∈ N0.(iii) Es gilt die Leibnizsche Produktregel

d(ω ∧ η) = dω ∧ η + (−1)rω ∧ d η

für alle ω ∈ Ωr(M) und η ∈ Ω∗(M).Die durch (i) - (iii) eindeutig bestimmt lineare Abbildung d heißt äußeres Differential (oderCartanableitung), obige Sequenz heißt de Rham-Komplex.

Vorbemerkung (äußeres Differential einer Funktion f ∈ Ω0(M)). Sei ϕ : U → ϕ(U), ϕ =(x1, . . . , xn) eine Karte um p, oBdA ϕ(p) = 0. Dann gilt mit γ : t 7→ ϕ−1(tei):

dp f(∂

∂xi) = d

dt|t=0(f γ)(t)

= ddt|t=0(f ϕ−1)(tei)

=∂(f ϕ−1)

∂xi(0)

=∂(f ϕ−1)

∂xi(ϕ(p))

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Dies sind die Koeffizienten in der Entwicklung in T ∗pM . Also

dU f =n∑i=1

∂(f ϕ−1)∂xi

ϕ · dxi (24)

(Darstellung der 1-Form d f ∈ Ω1(M) bzgl. der Karte ϕ).

Beweis.[Beweis von Satz 3.20] Wir führen den Beweis in zwei Schritten.

Schritt 1 Beweis für ein Kartengebiet.

Sei ϕ = (x1, . . . , xn) : U → ϕ(U) eine Karte. Für ω ∈ Ωk(U) gilt

ω =∑

1≤i1<···<ik≤nωi1···ik · dxi1 ∧ · · · ∧ dxik

mit differenzierbaren Funktionen ωi1···ik : U → R. Wir definieren

dU w :=∑

1≤i1<···<ik≤ndU (ωi1···ik) ∧ dxi1 ∧ · · · ∧ dxik (25)

wobei d(ωi1···ik) wie in (24) zu verstehen ist. Die lineare Abbildung dU erfüllt die Eigen-schaften (i) - (iii), denn:

(i) folgt sofort aus (24).(ii) Zu zeigen ist dU (dU ω) = 0 für alle ω ∈ Ωk(U). Fügvgvr ω = f ∈ Ω0(U) rechnen wir

dazu noch:

dU (dU f)(24)= dU

n∑i=1

∂f

∂xidxi (mit

∂f

∂xi:=

∂(f ϕ−1)∂xi

ϕ)

(25)=

n∑i=1

dU (∂f

∂xirk∧dxi

(24)=

n∑i,j=1

∂2f

∂xj∂xi· dxj ∧ dxi

= 0

denn∂2f

∂xj∂xi· dxj ∧ dxi = − ∂2f

∂xi∂xj· dxi ∧ dxj

für alle i, j. Der Fall k ≥ 1 reduziert sich mittels der Leibnizregel und (25) auf den Fallk = 0, d.h. es ist hier ebenfalls dU (dU ω) = 0.

(iii) OBdA können wir ω = f · dxi1 ∧ · · · ∧ dxir , η = g · dxj1 ∧ · · · ∧ dxjs mit f, g ∈ C∞(U)annehmen. Nach (25) gilt

dU (ω ∧ η) = dU (fg)︸ ︷︷ ︸(dU f)·g+f ·dU g

∧ dxi1 ∧ · · · ∧ dxir ∧ dxj1 ∧ · · · ∧ dxjs

= (dU f) ∧ dxi1 ∧ · · · ∧ dxir ∧ g · dxj1 ∧ · · · ∧ dxjs+ (−1)rf · dxi1 ∧ · · · ∧ dxir ∧ dU g ∧ dxj1 ∧ · · · ∧ dxjs

= (dU ω) ∧ η + (−1)rω ∧ (dU η)

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Schritt 2 Beweis für „ganz“ M .

Zur Existenz des äußeren Differentials d sei ω ∈ Ωk(M) und p ∈M . Für eine Karte ϕ : U →ϕ(U) um p definieren wir

(dω)p := (dU ω|U )p

mit dU wie in Schritt 1. Diese Definition ist unabhängig von der Wahl der Karte um p(Übung). Zur Eindeutigkeit: Zu zeigen ist: Ist d eine äußere Ableitung, so gilt

(dω)p = (dU ω|U )p

für alle p ∈ M , ω ∈ Ωk(M) und eine Karte ϕ : U → ϕ(U) um p wie oben. Wir zeigendie Eindeutigkeit von d. Dazu sei (d: Ωk(M) → Ωk+1(M))p ein äußeres Differential, d.h. derfügülle (i) - (iii). Weiter sei ω ∈ Ωk(M) und p ∈M . Zu zeigen ist: (dω)p = (dU ωU )p.

p

U

ϕ ϕ(p)

ϕ(U)ε1

ε2

ε3

Wähle 0 < ε1 < ε2 < ε3, sodass

Bε1(ϕ(p)) ⊆ Bε2(ϕ(p)) ⊆ Bε3(ϕ(p)) ⊆ ϕ(U).

Wir setzen Ui := ϕ−1(Bεi(ϕ(p))), i = 1, 2, 3. Sei

ω|U =∑

1≤i1<···<ik≤nwi1···ik · · ·dxi1 ∧ · · · ∧ dxik

mit geeigneten Funktionen ωi1···ik : U → R. Wähle C∞-Funktion τ : U3 → [0, 1] mit τ |U1:= 1,

τ |U3\U2:= 0 und setze

ai1···ik :=

τ(q)wi1···ik(q), q ∈ U3,

0, q ∈M \ U3,

ϕi(q) :=

τ(q)xi(q), q ∈ U3,

0, q ∈M \ U3.

sowieω :=

∑1≤i1<···<ik≤n

ai1...ik · · ·dϕi1 ∧ · · · ∧ dϕik ∈ Ωk(M).

Wegen Aussagen (i) - (iii) gilt

d ω =∑

1≤i1<···<ik≤nd ai1...ik ∧ dϕi1 ∧ · · · ∧ dϕik .

Insbesondere gilt

(d ω)p =∑

1≤i1<···<ik≤n(dωi1···ik)p ∧ (dxi1)p ∧ · · · ∧ (dxik)p = (dU ω|U )p

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nach Definition von ai1···ik und ϕi1 , . . . , ϕik . Es bleibt zu zeigen: (dω)p = (d ω)p.Wähle hierzu σ ∈ C∞(M) mit σ|M\U1

:= 1, σ(p) = 0 und (ω − ω) = σ(ω − ω). Damit folgt

d(ω − ω) = d(σ(ω − ω))= dσ ∧ (ω − ω) + σ ∧ d(ω − ω)= dσ ∧ σ(ω − ω) + σ ∧ d(ω − ω)

also (d(ω − ω))p = 0 bzw. (d ω)p = (dω)p, wie behauptet.

Bemerkung. Der Beweis zeigt, dass d lokal ist: Für alle ω ∈ Ωk(M) hängt (dω)p nur abvon ω|U , U eine beliebige Umgebung von p.

Definition 3.21 Eine Differentialform ω ∈ Ωk(M) nennen wir geschlossen, falls dω = 0gilt. Wir nennen ω ∈ Ωk(M) exakt, falls η ∈ Ωk−1(M) existiert mit d η = ω.

Bemerkung. Jede exakte Differentialform ω = d η ist geschlossen, denn dω = d(d(η)) = 0(d2 = 0). Die Umkehrung gilt im allgemeinen nicht: nicht jede geschlossene Differentialformω ist exakt. Im Fall k = n ist jedes ω ∈ Ωk(M) geschlossen, da Ωn+1(M) = 0. Eine 0-Form (d.h. Funktion) f ∈ Ω0(M) (M zusammenhängend) ist geschlossen genau dann, wennf konstant ist.

Beispiel.(1) Sei M = R2 \ 0. Sei r =

√x2 + y2 ((x, y) ∈ M). Die Windungsform ω ∈ Ω1(M) ist

ω := 1r2

(xd y − y dx). Sie ist geschlossen wegen

dω = d( xr2

)∧ d y − d

( y

r2

)∧ dx

=∂

∂x

( xr2

)· · ·dx ∧ dx−

∂y

( y

r2

)· · ·d y ∧ dx

=x2 + y2 − x · · · 2x

(x2 + y2)2· · ·dx ∧ d y −

x2 + y2 − y · · · 2y(x2 + y2)2

· · ·d y ∧ dx

=−x2 + y2

(x2 + y2)2· · ·dx ∧ d y +

x2 − y2

(x2 + y2)2· · ·dx ∧ d y

= 0

Die Windungsform ist nicht exakt, da kein f ∈ C∞(M) existiert mit d f = ω (Übung).Aber:

d(arctan

y

x

)=

∂x

(arctan

y

x

)dx+

∂y

(arctan

y

x

)d y

=− yx2

1 +( yx

)2 dx+1x

1 +( yx

)2 d y

= − y

x2 + y2 dx+x

x2 + y2 d y

=1r2

(−y dx+ xd y)

= ω.

Dies ist aber kein Widerspruch, da f = arctan yx nicht als glatte Funktion aufM definiert

werden kann (aber jedoch zum Beispiel aufM∗ = M\(0,∞), und da ist ω|M∗ geschlossenund exakt).

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(2) Sei M = R3 \ 0, r =√x2 + y2 + z2 ((x, y, z) ∈M). Die Gravitationsform ist

ω = − 1r3

(xdx+ y d y + z d z) ∈ Ω1(M).

Die Funktion f := 1r ist ein Potential von ω, d.h. ω = d f . Es ist nämlich

d f =∂

∂x

(1r

)dx+

∂y

(1r

)d y +

∂z

(1r

)d z

= −12· · · 2x

(x2 + y2 + z2)32 dx−12· · · 2y

(x2 + y2 + z2)32 d y −12· · · 2z

(x2 + y2 + z2)32 d z

= − 1r3

(xdx+ y d y + z d z)

= ω.

Damit ist ω exakt und insbesondere geschlossen, dω = d(d f) = 0.

Lemma 3.22 (Natürlichkeit von d) Es sei f : M −→ N differenzierbar. Dann gilt f∗(dω) =d(f∗ω) für alle ω ∈ Ωk(N).

Beweis. Im Fall ω ∈ Ω0(N), d.h. f∗ω = ω f , folgt aus der Kettenregel:

(d(f∗ω)p = d(ω f)p = df(p) ω dp f = (f∗(dω))p.

Sei jetzt k ≥ 1, ω ∈ Ωk(N). In lokalen Koordinaten ist

ω =∑

1≤i1<···<ik≤nωi1···ik · · ·dxi1 ∧ · · · ∧ xik ,

dω =∑

1≤i1<···<ik≤ndωi1···ik ∧ dxi1 ∧ · · · ∧ dxik .

Aus der Natürlichkeit des Dachprodukts folgt

f∗ω =∑

1≤i1<···<ik≤nf∗ωi1···ik · f

∗(dxi1) ∧ · · · ∧ f∗(dxik),

also

d(f∗ω) =∑

1≤i1<···<ik≤nd f∗ωi1,...,ik ∧ f

∗ dxi1 ∧ · · · ∧ f∗ dxik

+ f∗ωi1,...,ik ∧ d(f∗ dxi1 ∧ · · · ∧ f∗ dxik)︸ ︷︷ ︸=0

=∑

1≤i1<...ik≤nf∗ dωi1,...,ik ∧ f

∗ dxi1 ∧ · · · ∧ f∗ dxik

= f∗∑

1≤i1<···<ik≤ndωi1,...,ik ∧ dxi1 ∧ · · · ∧ dxik =

= f∗ dω

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3.3 Zerlegung der Eins

Definition 3.23 Eine differenzierbare Zerlegung (oder Partition) der Eins auf M ist eineFamilie differenzierbarer Funktionen (τi)i∈I , τi : M −→ [0, 1], mit

(i) Es sei suppf := x ∈M | f(x) 6= 0. Die Familie (suppτi)i∈I ist lokalendlich, d.h. zujedem p ∈ M existiert eine Umgebung U von p mit U ∩ suppτi 6= ∅ für höchstensendlich viele i ∈ I.

(ii)∑

i∈I τi = 1.Die Zerlegung der Eins (τi)i∈I heißt einer offenen Überdeckung (Uj)j∈J von M untergeord-net, falls für alle i ∈ I ein j(i) ∈ J existiert mit suppτi ⊆ Uj(i).

Lemma 3.24 Die Mannigfaltigkeit M besitzt eine kompakte Ausschöpfung, d.h. eine Fol-ge offener, relativkompakter1 Teilmengen (Ωn)n∈N mit Ωn ⊆ Ωn+1 für alle n ∈ N und⋃n∈N Ωn = M .

Beweis. Wir konstruieren eine abzählbare Überdeckung von M wie folgt. Sei p ∈ M ,ϕ : U −→ ϕ(U) eine Karte von M . Sei ε > 0 (abhängig von p) so, dass Bε(ϕ(p)) ⊆ ϕ(U).Definiere die offene Menge Vp := ϕ−1(Bε(ϕ(p)) ⊆ U . Die Mengen Vpp∈M überdecken M .Da M eine abzählbare Basis der Topologie besitzt, können wir zu einer abzählbaren Teil-überdeckung Vii∈N von Vpp∈M übergehen. Ferner sei Bi := V i, i ∈ N. Per Konstruktionsind die Mengen Bi (als Urbilder der relativkompakten Bälle) kompakt2.Rekursiv sei die Funktion N0 −→ N0, k 7→ nk definiert durch n0 = 0 und die folgende Fest-setzung. Sei bereits nk definiert und Ak :=

⋃kj=0Bj . Ak ist kompakt als endliche Vereinigung

kompakter Mengen. Es existieren also endlich viele Mengen aus Vii∈N, die Ak überdecken.Wähle nk+1 ≥ nk + 1 so, dass

Ak ⊆nk+1⋃j=0

Vj ⊆nk+1⋃j=0

Bj =: Ak+1.

Setze Ωk := Ak. Dann gilt Ωk ⊆ Ak ⊆ Ak+1 = Ωk+1 und⋃k∈N

Ωk+1 ⊇⋃k∈N

Ak = M.

Damit ist Ωkk∈N die gewünschte kompakte Ausschöpfung von M .

Satz 3.25 Zu jeder offenen Überdeckung (Uj)j∈J von M existiert eine dazu untergeordneteZerlegung der Eins (τi)i∈I mit kompakten Trägern suppτi, i ∈ I und abzählbarer IndexmengeI.

Beweis. Sei (Ωn)n∈N eine kompakte Ausschöpfung von M wie in Lemma 3.24.Zu p ∈ Ωn \ Ωn−1 wähle offene Umgebung Vp ⊆ Ωn+1 \ Ωn−2 (offen) und λp : M → [0,∞)differenzierbar mit suppλp ⊆ Vp und λp(p) > 0. Das System der offenen Mengen λp > 0,p ∈ Ωn \ Ωn−1, überdeckt die kompakte Menge Ωn \ Ωn−1. Da M von den Mengen Ωn

ausgeschöpft wird, folgt die Existenz von Punkten pi ∈M, i ∈ N, so dass gilt:i) (λpi > 0)i∈N ist eine offene Überdeckung von Mii) (Vpi)i∈N ist ein lokalendliches Mengensystem.

Betrache die Funktion λ :=∑

i∈N λpi : M −→ (0,∞). Die Funktionen τ := λpiλ bilden eine

differenzierbare Zerlegung der Eins. Um diese einer Überdeckung (Uj)j∈J unterzuordnen,wähle Vp oben so, dass Vp ⊆ Uj(p) für geeignetes j(p) gilt.

1Eine Menge ist relativkompakt, falls ihr Abschluss kompakt ist.2Wir benutzen im Beweis mehrfach, dass ϕ als Homöomorphismus kompakte (offene) Mengen auf kom-

pakte (offene) Mengen abbildet

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3.4 Orientierungen

Sei v ein R-Vektorraum, 1 ≤ n := dimR V < ∞. Zwei Basen e1, . . . , en und f1, . . . , fnvon V heißen gleichorientiert, falls für die lineare Abbildung g : V −→ V definiert durchg(ei) = fi, i = 1, . . . , n gilt: det g > 0 (bzw. äquivalent hierzu g ∈ Gl+(V ), Zusammen-hangskomponente von Gl(U) mit 1 ∈ Gl+(V )). Auf diese Weise wird eine Äquivalenzrela-tion auf der Menge der Basen von V mit genau zwei Äquivalenzklassen erklärt. Die Aus-wahl einer Äquivalenzklasse heißt Orientierung von V , die darin enthaltenen Basen hei-ßen positiv orientiert (die anderen entsprechend negativ orientiert). Konvention für n = 0(V = 0): Orientierung korrespondiert zur Auswahl eines Vorzeichens „+“ oder „−“. Ist0 6= ω ∈ Altn(V ), so wird durch e1, . . . , en eine positiv orientierte Basis definiert genaudann, wenn ω(e1, . . . , ek) > 0 eine Orientierung auf V definiert.

Beispiel. Sei V = Rn. Die Orientierung von V bezüglich derer die Standardbasis e1, . . . , enpositiv orientiert ist, heißt Standardorientierung von Rn. Diese wird induziert durch die al-ternierende Multilinearform ω = e∗1 ∧ · · · ∧ e∗n ∈ Altn Rn.

Sind V,W n-dimensionale R-Vektorräume, so heißt ein Vektorraumisomorphismus orientie-rungserhaltend, falls er positiv orientierte Basen auf positiv orientierte Basen abbildet.

Definition 3.26 Sei M eine differenzierbare Mannigfaltigkeit. Eine Orientierung von M isteine simultane Orientierung aller Tangentialräume TpM , p ∈ M , die lokal verträglich sindim folgenden Sinn: Für alle p ∈M existiert eine Karte ϕ = (x1, . . . , xn) : U −→ ϕ(U) um pso, dass für alle q ∈ U :

∂x1

∣∣∣∣q

, . . . ,∂

∂xn

∣∣∣∣q

eine positiv orientierte Basis von TqM ist. Falls M zusammenhängend ist, gibt es genau zweiOrientierungen.

Beispiel. S2, T 2 sind orientierbare Mannigfaltigkeiten, nicht jedoch das Möbiusband.

Definition 3.27 Ein Diffeomorphismus f : M −→ N zwischen orientierten n-dimensionalenMannigfaltigkeiten heißt orientierungserhaltend, falls d fp : TpM −→ Tf(p)M ein orientie-rungserhaltender Vektorraumisomorphismus ist für alle p ∈M .

3.5 Mannigfaltigkeiten mit Rand

Es sei Hn := x = (x1, . . . , xn) ∈ Rn | x1 ≤ 0 der abgeschlossene Halbraum,

Hn = x = (x1, . . . , xn) ∈ Rn | x1 < 0 sein Inneres

und

∂Hn = x = (x1, . . . , xn) ∈ Rn | x1 = 0 sein Rand.

Im folgenden verwenden wir Hn als lokales Modell einer Mannigfaltigkeit mit Rand. Wirnennen f : Hn −→ Rn differenzierbar im Punkt p ∈ Hn, falls es eine offene UmgebungU ⊆ Rn von p in Rn gibt und eine in p differenzierbare Funktion f : U −→ Rn mit f |U∩Hn =f |U∩Hn .

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Definition 3.28 SeiX ein topoplogischer Hausdorff-Raum, der das 2. Abzählbarkeitsaxiomerfüllt. Eine Hn-wertige Karte ist ein Homöomorhpismus ϕ : U → ϕ(U) zwischen offenenTeilmengen U ⊆ X und ϕ(U) ⊆ Hn (bzgl. der Relativtopologie1 auf Hn ⊆ Rn). Ein AtlasHn-wertiger Karten heißt differenzierbar, falls die Kartenwechselabbildungen

ψ ϕ−1∣∣ϕ(U∩V )

: ϕ(U ∩ V ) → ψ(U ∩ V )

differenzierbar im obigen Sinne sind.

M

U

V

ϕ

∂M

ψ

Hn

Hn

ϕ(U)

ϕ(U ∩ V )

ψ(U ∩ V )

ψ(V )

Wie zuvor sind die Begriffe „differenzierbare Struktur“, „maximaler Atlas“, „n-dimensionaledifferenzierbare Mannigfaltigkeit“, Tangentialraum TpM , Differential dp f , usw. erklärt.Ferner definieren wir

M = p ∈M | ϕ(p) ∈ Hn für eine Karte ϕ : U → ϕ(U) ⊆ Hn um p

als das Innere von M und

∂M := p ∈M | ϕ(p) ∈ ∂Hn für eine Karte ϕ : U → ϕ : U → ϕ(U) ⊆ Hn um p

als den Rand von M . M und ∂M sind unabhängig von der Wahl der Karte ϕ in obigerDefinition. Der Rand ∂M trägt die Struktur einer (n − 1)-dimensionalen Mannigfaltigkeit(ohne Rand).

Beispiel. Sei n ≥ 1 und D = x ∈ Rn | ‖x‖ ≤ 1. D ist eine n-dimensionale Mannigfaltigkeitmit der (n− 1)-dimensionalen Einheitsshäre ∂M = Sn−1 = x ∈ Rn | ‖x‖ = 1 als Rand.

Ist M eine orientierte Mannigfaltigkeit (ohne Rand), so ist ∂M orientierbar. Wir geben ∂Mdie folgende Orientierung. Im Fall n ≥ 2, p ∈ ∂M , zeigt v ∈ TpM nach außen, falls bezüglicheiner Randkarte um p seine ∂

∂x1-Komponente positiv ist (entsprechend heißt v ∈ TpM nach

innen zeigend, falls −v nach außen zeigt).Als Konvention für die Orientierung von ∂M führen wir ein: Wir nennen v2, . . . , vn alsBasis von Tp∂M (p ∈ ∂M) positiv orientiert, falls v, v2, . . . , vn eine positiv orientierteBasis von TpM für (jedes) nach außen zeigende v ∈ TpM ist. Im Fall n = 1 nennen wirp ∈ ∂M2 positiv orientiert, falls (jeder) nach außen zeigende Tangentialvektor v ∈ TpM einepositiv orientierte Basis von TpM bildet.

Beispiel.1Das bedeutet, dass eine Menge offen im Sinne der Relativtopologie heißt, falls sie durch Schnitt mit

einer geeigneten Teilmenge des Rn entsteht.2∂M ist hier eine diskrete Menge, da 0-dimensional

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(1) Sei M = D2 = x ∈ R2 | ‖x‖ ≤ 1. Dann ist

∂M = S1 = x ∈ R2 | ‖x‖ = 1.

Die Standardorientierung von D2 induziert die übliche Orientierung von S1 (entgegendes Uhrzeigers).

(2) Sei M = [a, b] ⊆ R, dann ist ∂M = a, b. Die Standardorientierung von M induziertauf ∂M die Orientierung:

a ∈ ∂M hat die Orientierung −b ∈ ∂M hat die Orientierung +

Sei M eine n-dimensionale orientierte Mannigfaltigkeit, evtl. mit Rand ∂M . Wir definierenΩn

kp(M) := ω ∈ Ωn(M) | suppω ist kompakt als die n-Formen mit kompaktem Träger.Ziel: Wir wollen ein Integral definieren

∫M ω für ω ∈ Ωkp(M). Sei U ⊆ Hn offen, Hn (und

somit U) versehen mit der Stardardorientierung. Zu ω = f · · · dx1 ∧ · · · ∧ dxn ∈ Ωnkp(U),

f ∈ C∞kp(U) definieren wir ∫

Uω :=

∫Uf dλn.

Lemma 3.29 (Invarianz des Integrals unter Koordinatentransformationen) SeienU, V ⊆ Hn offen, F : U → V ein orientierungserhaltender Diffeomorphismus und ω ∈Ωn

kp(V ). Dann gilt: ∫UF ∗ω =

∫Vω.

Beweis. Sei ω = f · · ·d y1 ∧ · · · ∧d yn, f ∈ C∞kp(V ). Hierbei versehen wir V mit kartesischen

Koordinaten y1, . . . , yn, U sei versehen mit (kartesischen) Koordinaten x1, . . . , xn. Demnachist

F ∗ω(∂

∂x1, . . . ,

∂xn) = ω(dF (

∂x1rk, . . . ,dF (

∂xnrk)

= ω(n∑i=1

∂Fi∂x1

∂yi F, . . . ,

n∑i=1

∂Fi∂xn

∂yi F )

=n∑

i1=1

· · ·n∑

in=1

∂Fi1∂x1

· · · ∂Fin∂xn

· · ·ω(∂

∂yi1 F, . . . , ∂

∂yin F rk

= (f F ) · · ·det(∂Fi∂xj

)ij

Damit gilt

F ∗ω = (f F )(det dF ) · · · dx1 ∧ · · · ∧ dxn (26)

Nun folgt aus der Transformationsformel und der Tatsache, dass F orientierungserhaltend

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ist: ∫Vω =

∫Vf dλn

=∫U(F f) |det dF |︸ ︷︷ ︸

=det dF

dλn

=∫U(F f) det dF dλn

=∫U(F f) det dFdx1 ∧ · · · ∧ dxn

=∫UF ∗ω

Sei jetzt allgemeiner M eine orientierte differenzierbare Mannigfaltigkeit (evtl. mit Rand).Für eine orientierungserhaltende Karte ϕ : U → ϕ(U) ⊆ Hn und ω ∈ Ωn

kp(M) mit suppω ⊆U setze ∫

Mω :=

∫ϕ(U)

(ϕ−1)∗ω.

Nach Lemma 3.29 ist∫M ω unabhängig von der Wahl der Karte ϕ. Ist nämlich ψ : V →

ψ(V ) ⊆ Hn mit suppω ⊆ V , so folgt∫ψ(V )

(ψ−1)∗ω =∫ϕ(U)

(ψ ϕ−1)∗(ψ−1)∗ω

=∫ϕ(U)

(ϕ−1)∗ψ∗(ψ−1)∗ω

=∫ϕ(U)

(ϕ−1)∗(ψ−1 ψ)∗ω

=∫ϕ(U)

(ϕ−1)∗ω

Sei jetzt ω ∈ Ωnkp(M) beliebig. Wir wählen eine Zerlegung der Eins (τi)i∈I mit kompakten

Trägern suppτi und offene eine Überdeckung (Uj)j∈J aus Kartengebieten orientierungser-haltender Karten, sodass die gewählte Zerlegung der Eins der Überdeckung untergeordnetist. Wegen suppτi ⊆ Uj(i) (kompakt) ist

∫M τiω wohldefiniert. Wir setzen nun∫

Mω :=

∑i∈I

∫Mτiω.

Diese Summe ist endlich, da wegen der Lokalendlichkeit der Zerlegung der Eins (τi)i∈I nurendlich viele der Mengen suppτi mit dem Kompaktum suppω nichtleeren Schnitt haben.Die Definition von

∫M ω ist unabhängig von der gewählten Überdeckung (Uj)j∈J und der

dazu untergeordneten Zerlegung der Eins (τi)i∈I . Ist nämlich (Vβ)β∈B eine weitere solcheÜberdeckung mit untergeordneter Zerlegung der Eins (σα)α∈A, so gilt∑

α∈A

∫Mσαω =

∑α∈Ai∈I

τi

∫Mσαω

=∑α∈Ai∈I

∫Mτiσαω︸ ︷︷ ︸

=:X

68

Page 69: Maßtheorie und Integralrechnung mehrerer Variablenswoboda/Skript_Analysis_III.pdf · (ii) für U i∈ T , i∈ I(Ibeliebige Indexmenge), gilt: S i∈I U i∈ T ; (iii) für U,V ∈

X ist wohldefiniert, da suppτiσαω ∈ Uj(i) ∩ Vβ(α)

=∑α∈Ai∈I

σα

∫Mτiω

=∑i∈I

∫Mτiω

Bemerkung. Das Integral∫γ ω einer 1-Form (bzw. eines Vektorfeldes) ω in Rn längs eines

Weges γ : [a, b] → Rn, vgl. Analysis II ist als Spezialfall

ω =∫

[a,b]γ∗ω

in obiger Definition enthalten.

3.6 Der Integralsatz von Stokes

Satz 3.30 (Satz von Stokes) Es sei M eine n-dimensionale orientierte Mannigfaltigkeitmit Rand ∂M (evtl. ∂M = ∅). Für jede Differentialform η ∈ Ωn−1

kp (M) gilt∫M

d η =∫∂M

η.

Hierbei fassen wir∫∂M η als

∫∂M i∗η mit i : ∂M →M der Inklusionsabbildung.

Beweis. Wir zeigen den Satz zunächst fügür M = Hn. Es sei

η =n∑i=1

fi · · · dx1 ∧ · · · ˆdxi ∧ · · · ∧ dxn =:n∑i=1

ηi ∈ Ωn−1kp (Hn)

mit fi ∈ C∞kp(H

n), wobei man den i-ten Faktor ˆdxi auslässt. Damit ist

d ηi = (−1)i−1 ∂fi∂xi

· · · dx1 ∧ · · · ∧ dxn.

Es folgt, dass ∫Hn

d η1 =∫Hn

∂f1

∂x1dx1 ∧ · · · ∧ dxn

(∗)=

∫∂Hn

(∫ 0

−∞

∂f1

∂x1(x1, . . . , xn)dx1

)dx2 · · · dxn

(∗∗)=

∫∂Hn

f1(0, x2, . . . , xn) dx2 · · · dxn

(∗∗∗)=

∫∂Hn

η1

Hierbei haben wir in (∗) den Satz von Fubini, in (∗∗) den Hauptsatz der Differential- undIntegralrechnung (zusammen mit suppf1 kompakt) sowie in (∗ ∗ ∗) die Definition von∫

∂Hn

η1 =∫∂Hn

i∗η1

69

Page 70: Maßtheorie und Integralrechnung mehrerer Variablenswoboda/Skript_Analysis_III.pdf · (ii) für U i∈ T , i∈ I(Ibeliebige Indexmenge), gilt: S i∈I U i∈ T ; (iii) für U,V ∈

verwendet. Für i ≥ 2 folgt analog∫Hn

d ηi = (−1)i−1

∫Hn

∂fi∂xi

dx1 ∧ · · · ∧ dxn

= (−1)i−1

∫ ∞

−∞· · ·

∫ ∞

−∞· · ·

(∫ ∞

−∞

∂fi∂xi

dxi︸ ︷︷ ︸=0, da suppfi

kompakt

)dx2 · · · ˆdxi · · · dxn

= 0

Ebenso ist∫∂Hn ηi =

∫∂Hn i

∗ηi = 0, da i∗ηi = 0. Letzteres folgt wegen

i∗ηi(∂

∂x2, . . . ,

∂xnrk = fi · dx1 ∧ · · · ∧ ˆdxi ∧ · · · ∧ dxn(

∂x2, . . . ,

∂xnrk︸ ︷︷ ︸

=0

= 0

Dies beweist den Satz für M = Hn. Sei jetzt (Uj)j∈J eine offene Überdeckung von M mitKartengebieten, M eine beliebige orientierte Mannigfaltigkeit mit Rand. Es sei (τi)i∈I einedazu untergeordnete Zerlegung der Eins. Aus der Definition des Integrals einer n-Form folgtnun ∫

Md η =

∑i∈I

∫M

d(τiη)

=∑i∈I

∫ϕ(Ui)

(ϕ−1i )∗ d(τiη)

(∗)=

∑i∈I

∫∂(ϕi(Ui))

(ϕ−1i )∗τiη

=∑i∈I

∫∂M

τiη

=∫∂M

η

Wobei in (∗) der obige Schritt und die Natürlichkeit des Differentials verwendet wurde. Dieszeigt Satz von Stokes im allgemeinen Fall.

Beispiel.(1) Es sei U ⊆ R2 ein beschränktes Gebiet mit glattem Rand ∂U (d.h. U ist eine zweidimen-

sionale differenzierbare Mannigfaltigkeit mit Rand). Wir betrachten die Flächenform

ω = dx1 ∧ dx2 ∈ Ω2(U) (= Ω2kp(U)).

Diese ist exakt, denn ω = d η für η = xd y (da d η = ∂x∂xdx∧d y = dx∧d y = ω). Ebenso

beispielsweise auch für η = −y dx etc. Damit ist nach dem Satz von Stokes.

λ2(U) =∫Uω =

∫∂Uη.

Sei ∂U parametrisiert (in orientierungserhaltender Weise, d.h. so, dass U „links“ liegt)durch γ : [a, b] → R2, γ = (γ1, γ2). Dann lässt sich

∫∂U η schreiben als

λ2(U) =∫∂Uη =

∫[a,b]

γ1(t)γ2(t) dt .

70

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(2) Es sei U ⊆ R2 ein beschränktes Gebiet mit glattem Rand ∂U (d.h. U ist eine zweidi-mensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit mit Rand). Sei

η =1r2

(xd y − y dx) ∈ Ω1kp(U)

die Windungsform (r =√x2 + y2). U sei entsprechend der Standardortientierung von

R2 orientiert. Da d η = 0 gilt, folgt aus dem Satz von Stokes, dass

0 =∫U

d η =∫∂Uη.

Sei γ = γ4 parametrisiert durch t 7→ (R cos t, R sin t), 0 ≤ t < 2π. Dann folgt mitϕ : γ∗ = γ \ (R, 0) → (0, 2π) = I (Homöomorphismus), dass∫

γη =

∫γ∗

1r2

(xd y − y dx)

=∫I(ϕ−1)∗(

1r2

(xd y − y dx) rk

=∫I

1R2

(R cos tR cos t+R sin t ·R sin t) dt

=∫I1 dt

= 2π

Wobei ϕ−1 : t 7→ (R cos t, R sin t) = (x, y) und es ist

D(ϕ−1)(t) = R

(− sin tcos t

).

Damit folgt

(ϕ−1)∗ dx = −R sin t dt

(ϕ−1)∗ dy = R cos t dt

Korollar 3.31 Es sei M eine n-dimensionale, orientierte, kompakte Mannigfaltigkeit ohneRand und N eine weitere differenzierbare Mannigfaltigkeit. Ferner sei

F : M × [0, 1] → N

differenzierbar und f0 := F (·, 0), f1 := F (·, 1) (d.h. F ist eine Homotopie zwischen f0 undf1). Dann gilt für jede geschlossene Form ω ∈ Ωn(N), dass∫

Mf∗0ω =

∫Mf∗1ω.

Beweis. Dies folgt aus dem Satz von Stokes, denn (dη = 0):

0 =∫M×[0,1]

F ∗(dω)

=∫M×[0,1]

d(F ∗ω)

=∫M×1

F ∗ω −∫M×0

F ∗ω

=∫Mf∗1ω −

∫Mf∗0ω

71

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Satz 3.32 (Brouwersche Fixpunktsatz) Es sei f : Dn −→ Dn, n ≥ 1, eine glatte Abbil-dung (Dn = x ∈ Rn | ‖x‖ ≤ 1). Dann hat f einen Fixpunkt.

Beweis. Ohne Einschränkungen sei n ≥ 2 (der Fall n = 1 folgt aus dem Zwischenwertsatz).Widerspruchsannahme: f(x) 6= x für alle x ∈ Dn. Wir betrachten die Abbildung

g : Dn −→ Sn−1

x 7−→ g(x)

wobei g(x) der Schnittpunkt des Strahls von f(x) durch x mit Sn−1 sein soll. Man beachte,dass diese nur durch die Annahme f(x) 6= x ∀x ∈ Dn wohldefiniert ist. Weiter sei

F : Sn−1 × [0, 1] −→ Sn−1

(x, t) 7−→ g(tx).

Es ist f0 := F (· · · , 0) = g(0) = const. und f1 := F (· · · , 1) = IdSn−1 . Es sei ω ∈ Ωn−1(Sn−1)die Differentialform, die einer orientierten Orthonormalbasis von TpSn−1 den Wert 1 zuord-net. Damit folgt nach Korollar 3.31, dass

0 =∫Sn−1

f∗0ω =∫Sn−1

f∗1ω =∫Sn−1

ω = |Sn−1| 6= 0

Somit hat f einen Fixpunkt, wie behauptet.

Bemerkung. Die Aussage bleibt auch für lediglich stetige Abbildungen f bestehen.

3.7 Integralsätze der klassischen Vektoranalysis

Sei U ⊆ R3 offen. Es bestehen folgende (C∞(X)-lineare) Isomorphismen von Vektorräumen:

i1 : C∞(U,R3) −→ Ω1(U), u = (u1, u2, u3) 7−→ u1 dx1 + u2 dx2 + u3 dx3

i2 : C∞(U,R3) → Ω2(U), u = (u1, u2, u3) 7−→ u1 dx2 ∧ dx3 − u2 dx1 ∧ dx3 + u3 dx1 ∧ dx2

i3 : C∞(U,R3) → Ω3(U), u 7−→ u dx1 ∧ dx2 ∧ dx3

Die Operationen der klassichen Vektoranalysis:

gradu =(∂u

∂x1,∂u

∂x2,∂u

∂x3

)rot(u1, u2, u3) =

(∂u2

∂x2− ∂u2

x3,∂u1

∂x3− ∂u2

∂x1,∂u2

∂x1− ∂u1

∂x2

)div(u1, u2, u3) =

∂u1

∂x1+∂u2

∂x2+∂u3

∂x3.

sowie die äußere Ableitung Ωk(U) → Ωk+1(U), k = 0, 1, 2, 3, entsprechen sich in folgendemkommutativen Diagramm:

0 // Ω0(U) d // Ω1(U) d // Ω2(U) d // Ω3(U) // 0

0 // C∞(U)grad //

=

OO

C∞(U,R3) rot //

∼= i1

OO

C∞(U,R3) div //

∼= i2

OO

C∞(U) //

∼= i3

OO

0

Es ist d2 = 0 ⇐⇒ rot grad = 0, div rot = 0. Der Satz von Stokes (für Differentialformen)ügüberträgt sich mittels dies kommutativen Diagramms in die Integralsätze der klassischenVektoranalysis.

72

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Satz 3.33 (Integralsatz von Gauß). Sei M3 ⊆ U eine kompakte orientierte Mannigfaltigkeitmir Rand ∂M und F ∈ C∞(U,R3) ein Vektorfeld. Dann gilt∫

MdivF dV =

∫∂M〈F, v〉 dA.

Hierbei bezeichnen v : ∂M −→ R3 das nach außen zeigende Einheitsnormalenfeld,

dV = dx1 ∧ dx2 ∧ dx3

die (euklidische) Volumenform und dA = dV (v, · · · , · · · ) das (euklidische) Flächenelement.

Satz 3.34 (Integralsatz von Stokes). Sei M2 ⊆ U eine kompakte orientierte Mannigfaltigkeitmit Rand ∂M und F ∈ C∞(U,R3) ein Vektorfeld. Dann gilt:∫

M〈rotF, v〉 dA =

∫∂M〈F, T 〉 dL.

Hierbei sind v und dA wie im Satz 3.33 und T das positiv orientierte Einheitsnormalenfeldauf ∂M der (euklidischen) Länge 1. Ferner bezeichnet dL das (euklidische) Längenelementauf ∂M , d.h. dL ∈ Ω1(∂M) mit dL(T ) = 1.

4 Fourieranalysis

4.1 Fourierreihen (Fourieranalysis auf T)

Erinnerung (an Analysis II): Für eine 2π-periodische, (Riemann-) integrierbare Funktionf : R → C definiere

ck :=12π

∫ 2π

0f(x)e−ikx dx

als den k-ten Fourierkoeffizient, k ∈ Z. Jetzt setzen wir etwas allgemeiner T := R2πZ undfür 1 ≤ p ≤ ∞ betrachte die Menge

Lp(T) = f : T → C messbar | ‖f‖Lp(Tbb) <∞,

wobei

‖f‖Lp :=

(12π

∫ 2π0 |f(x)|p dx

)1p 1 ≤ p <∞,

esssupx∈T |f(x)| p = ∞..

Bemerkung. Es ist

esssupx∈T := infa ∈ R | µ(|f | ≥ a) = 0.

Wie oben definieren wir f(k) := ck ∈ C, k ∈ Z für eine Funktion f ∈ L1(T) und nennen dieformale Reihe ∑

k∈Zcke

ikx (27)

die Fourierreihe von f . Dabei ist unklar, ob und in welchem Sinne die Reihe (27) konvergiert.Im Falle der Konvergenz ist nicht offensichtlich, dass die Grenzfunktion mit f übereinstimmt.Wir wissen bereits aus Analysis II

73

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1. Für f ∈ L2(T) konvergiert (27) im quadratischen Mittel gegen f .2. Ist f stetig und stückweise differenzierbar, so konvergiert (27) gleichmäßig gegen f .Diese Aussagen wollen wir im folgenden verallgemeinern

Definition 4.1 Für f, g ∈ L1(T) definieren wir die Faltung f ∗ g ∈ L1(T) durch

(f ∗ g)(x) :=12π

∫ 2π

0f(x− y)g(y) dy.

Bemerkung. Nach dem Satz von Tonelli ist für fast alle x ∈ T der Integrand

y 7−→ f(x− y)g(y)

eine Funktion in L1(T), und f ∗ g ist ebenfalls in L1(T) mit

‖f ∗ g‖L1(T) ≤ ‖f‖L1(T) · · · ‖g‖L1(T),

siehe Lemma 4.2 unten.

Lemma 4.2 Für alle f ∈ L1(T), g ∈ Lp(T) mit 1 ≤ p ≤ ∞ ist f ∗ g ∈ Lp(T) und es gilt

‖f ∗ g‖Lp(T) ≤ ‖f‖L1(T) · ‖g‖Lp(T).

Ferner ist (f ∗ g)(k) = f(k) · g(k) für alle k ∈ Z.

Beweis. Wir oben bemerkt ist für fast alle x ∈ T die Funktion y 7→ f(x− y)g(y) in L1(T).Für jedes solche x ∈ T gilt nach der Hölderschen Ungleichung

|(f ∗ g)(x)| ≤ 12π

∫ 2π

0|f(x− y)| · |g(y)| dy

=12π

∫ 2π

0|f(x− y)|

1p · |f(x− y)|

1q · |g(y)| dy

≤ (12π

∫ 2π

0|f(x− y)| · |g(y)|p dy)

1p (

12π

∫ 2π

0|f(x− y)| dy)

1q

≤ ‖f‖1q

L1(T)(

12π

∫ 2π

0|f(x− y)| · |g(y)|p dy)

1p

mit 1p + 1

q = 1. Daraus folgt

‖f ∗ g‖pLp(T) =12π

∫ 2π

0|(f ∗ g)(x)|p dx

≤ 14π2

∫ 2π

0

∫ 2π

0|f(x− y)| · |g(y)|p dy dx · ‖f‖pq

L1(T)

≤ ‖f‖pqL1(T)

· 14π2

∫ 2π

0|f(z)| dz︸ ︷︷ ︸

2π‖f‖L1(T)

·∫ 2π

0|g(y)|p dy︸ ︷︷ ︸

2π‖g‖pLp(T)

= ‖f‖L1(T) · ‖g‖pLp(T)

74

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Die letzte Aussage folgt mittels des Satzes von Fubini und der Substitutionsregel aus

(f ∗ g)(k) =1

4π2

∫ 2π

0

∫ 2π

0f(x− y) g(y) e−ikx dy dx

=1

4π2

∫ 2π

0

∫ 2π

0f(x− y) e−ik(x−y) dx g(y) e−iky dy

=12π

∫ 2π

0f(z) · eikz dz · 1

∫ 2π

0g(y) · e−iky dy

= f(k) · g(k)

Bemerkung. Die Faltung erfüllt f ∗g = g∗f , (f ∗g)∗h = f ∗(g∗h), f ∗(g+h) = f ∗g+f ∗hfür alle f, g, h ∈ L1(T) (Übung).

Für N ∈ N0 sei die N -te Partialsumme der Fourierreihe von f ∈ L1(T) definiert durch

SNf(x) =∑|k|≤N

f(k)eikx.

Definition 4.3 Für N ∈ N0 definiere die Dirichletsche Kernfunktion DN : T → C durch

DN (x) :=∑|k|≤N

eikx.

Lemma 4.4 Es gilt

DN (x) = 1 + 2N∑k=1

cos(kx) =sin((N + 12)x)

sin(x2).

Beweis. Die erste Identität ergibt sich direkt aus der Zerlegung

DN (x) = 1 +N∑k=1

eikx +N∑k=1

e−ikx

= 1 +N∑k=1

eikx + e−ikx

= 1 + 2N∑k=1

cos(kx)

75

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Die zweite Identität beweisen wir per Induktion nach N . Sei N = 0, dann ist 1 = sin(x2)sin(x2) .

Die Aussage gilt also für N = 0. Induktionsschritt: Es ist

DN (x) = 1 + 2N+1∑k=1

cos(kx)

=sin((N + 12)x)

sin(x2)+ 2 cos((N + 1)x)

=sin((N + 12)x) + 2 cos((N + 1)x) sin(x2)

sin(x2)

=sin((N + 12)x) + 2(cos((N + 12)x) cos(x2)− sin((N + 12)x) sin(x2) rk sin(x2)

sin(x2)

=sin((N + 12)x)

=cos(x)︷ ︸︸ ︷(1− 2 sin2(x2)) + cos((N + 12)x) ·

=sin(x)︷ ︸︸ ︷2 cos(x2) sin(x2)

sin(x2)

=sin((N + 12)x) cos(x) + cos((N + 12)x) sin(x)

sin(x2)

=sin((N + 1 + 12)x)

sin(x2)

Lemma 4.5 Für jede Funkion f ∈ L1(T) und alle N ∈ N0 gilt SNf = DN ∗ f (als Funk-tionen in L1(T)).

Beweis. Sei ek := eikx für k ∈ Z. Dann gilt f(k)ek = f ∗ ek, denn

f ∗ ek(x) =12π

∫Teik(x−y)f(y) dy = eikxf(k).

Somit folgt

SNf =∑|k|≤N

f(k)ek

=∑|k|≤N

f ∗ ek

= f ∗∑|k|≤N

ek

= f ∗DN

Bemerkung. Im Gegensatz zum Fall p = 2 gilt für f ∈ L1(T) im allgemeinen nicht, dassSnf → f in L1(T) für N →∞. Heuristisch folgt dies aus

‖DN‖L1(T)→L1(T) := supf∈L1(T),‖f‖L1=1

‖DN ∗ f‖L1(T) ≈ logN Übung (28)

d.h. limN→∞ ‖DN‖L1(T)→L1(T) = ∞. Die Existenz (mindestens) einer Funktion f ∈ L1(T)mit

limN→∞

‖SNf‖L1(T) = limN→∞

‖DN ∗ f‖L1(T) = ∞

folgt aus (28) zusammen mit dem Prinzip der gleichmäßigen Beschränktheit (vgl. VorlesungFunktionalanalysis).

76

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4.2 Konvergenz in Lp(T) und der Satz von Plancharel

Im folgenden sei X := Lp(T), 1 ≤ p ≤ ∞ oder X = C(T)1. Es bezeichne

‖DN‖L(X) := supf∈X,‖f‖X=1

‖DN ∗ f‖X

die Operatornorm des linearen Operators f 7→ DN ∗ f = SNf : X → X. Nach Lemma 4.1(für X = Lp(T), analog für X = C(T)) gilt

‖DN ∗ f‖X ≤ ‖DN‖L1 · ‖f‖X ,

weshalb ‖DN‖L(X) ≤ ‖DN‖L1 <∞ ist (DN ∈ L1(T) gilt, da DN sogar glatt ist).

Lemma 4.6 SeisupN∈N0

‖DN‖L(X) <∞.

Dann gilt SNf → (N →∞)f in X für alle f ∈ X.

Beweis. Sei f ∈ X. Da die trigonometrischen Polynome (d.h. Funktionen g =∑

|k|≤N ckeikx)

dicht inX liegen, gibt es eine Folge (gj)j∈N von trigonometrischen Polynomen mit grad gj ≤ jund gj → f in X für j →∞. Somit folgt für jedes ε > 0 und j hinreichend groß, dass

‖f − Sjf‖X = ‖f − gj + gj + Sjgj − Sjgj − Sjf‖X≤ ‖f − gj‖X︸ ︷︷ ︸

+ ‖gj − Sjgj=gj

‖X︸ ︷︷ ︸=0

+ ‖Sj(f − gj)‖X︸ ︷︷ ︸≤‖Dj‖L(X)·‖f−gj‖X

<‖Dj‖L(X)ε

≤ (1 + ‖Dj‖L(X)) · ε< M · ε

für eine geeignete Konstante M , unabhängig von j. Da dies für alle ε > 0 und j > j(ε) gilt,folgt limj→∞ Sjf = f in X.

Definition 4.7 Wir definieren supk∈Z |ak| = ‖(ak)k∈Z‖l∞(Z).

Satz 4.8 (Satz von Plancharel) Es sei X = L2(T). Dann gilt ‖DN‖L(X) = 1 für alleN ∈ N0. Insbesondere ist für alle f ∈ L2(T)

limN→∞

SNf = f

in L2(T). Ferner gilt

‖(f(k))k∈Z‖2l2(Z) =

∑k∈Z

|f(k)|2 =12π

∫T|f(x)|2 dx = ‖f‖2

L2(T).

Beweis. Aus L2 Orthogonalität der Funktionen ek = eikx folgt durch kurze Rechnung(vgl. Lemma 11.2 aus Analysis II), dass

‖f − SNf‖2L2(T) = ‖f‖2

L2(T) −∑|k|≤N

|f(k)|2 ≥ 0 (29)

1Dies ist der Banachraum der stetigen Funktionen auf X mit der Supremumsnorm.

77

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für alle N ∈ N0. Deshalb gilt:

‖Snf‖2L2(T) =

∑|k|≤N

|f(k)|2 ≤ ‖f‖2L2(T) (30)

woraus ‖DN‖L(L2(T)) ≤ 1 folgt. Für die spezielle Wahl f = 1 folgt in (30) sogar Gleichheit,d.h. ‖DN‖L(L2(T)) = 1. Aus Lemma 4.6 folgt, dass

limN−→∞

SNf = f in L2(T)

gilt. Die behauptete Identität folgt nun aus (29), wenn man zum Grenzübergang N → ∞übergeht.

Bemerkung. Die Ungleichung ‖Snf‖L2(T) ≤ ‖f‖L2(T) für alle N ∈ N0 und f ∈ L2(T) heißtBesselsche Ungleichung.

Definition 4.9 Es sei X ein Banachraum wie oben und h ∈ T. Wir definieren die Transla-tion von h durch

τh : X −→ X

f 7−→ τhf,

wobei τhf(x) = f(x+ h). Ein Operator T ∈ L(X) heißt translationsinvariant, falls

τh(Tf) = T (τhf)

für jedes h ∈ T und für alle f ∈ X.

Bemerkung. Für jedes h ∈ T ist τh ∈ L(X) mit Operatornorm ‖τh‖L(X) = 1.

Satz 4.10 Es sei T ∈ L(L2(T)) ein translationsinvarianter Operator. Dann gibt es eineFolge (mk)k∈Z in C mit |mk| ≤ ‖T‖L(L2(T)) für alle k ∈ Z so, dass

Tek = mkek für alle k ∈ Z.

Insbesondere ist

Tf(x) =∑k∈Z

mkf(k)eikx in L2(T) (31)

und es gilt:‖T‖L(L2(T)) = ‖(mk)k∈Z‖l∞(Z).

Umgekehrt wird für alle (mk)k∈Z ∈ l∞(Z) durch (31) ein translationsinvarianter OperatorT ∈ L(L2(T)) definiert.

Beweis. Sei T ∈ L(L2(T)) translationsinvariant und gk = Tek für k ∈ Z. Es folgt

τhgk = T (τhek) = T (eihkek) = eihkTek = eihkgk.

Damit istgh(x+ h)− gk(x)

h=eihk − 1

hgk(x).

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Nach Grenzübergang h −→ 0 folgt:

g′k(x) = ikgk(x) für fast alle x ∈ T. (32)

Da gk(x + h) = eihxgk(x) ist, folgt, dass gk auf ganz T differenzierbar ist. Somit gilt (32)sogar für alle x ∈ T. Aus der Eindeutigkeit der Lösung des Anfangswertporblems (32) folgtgk(x) = mke

ikx = mkek, wie behauptet. Ferner gilt (32) und (wegen ‖ek‖L2(T) = 1):

|mk| = ‖mkek‖L2(T) ≤ ‖T‖L(L2(T))‖ek‖L2(T) = ‖T‖L(L2(T))

für alle k ∈ Z. Dies zeigt:‖(mk)k∈Z‖l∞(Z) ≤ ‖T‖L(L2(T)).

Umgekehrt folgt aus Satz 4.8 zusammen mit (31), dass

‖Tf‖2L2(T) =

∑k∈Z

|mk|2|f(k)|2 ≤ ‖(mk)k∈Z‖l∞Z∑k∈Z

|f(k)|2︸ ︷︷ ︸=‖f‖2

L2(T)

(33)

und somit‖T‖L(L2Z) ≤ ‖(mk)k∈Z‖l∞(Z).

Schließlich sei (mk)k∈Z ∈ l∞(Z) und Tf durch (31) definiert. Aus (33) folgt T ∈ L(L2(T))und T ist translationsinvariant, da für alle h ∈ T, f ∈ L2(T).

τh(Tf) =∑k∈Z

mkf(k)eik(x+h)

=∑k∈Z

mk · eikhf(k)eikx

=∑k∈Z

mk · τkf(k)eikx

Definition 4.11 Ein Operator T wird wie in Satz 4.10 wird Fourier-Multiplikationsoperatorgenannt. Die Folge (mk)k∈Z heißt Symbol des Operators T . Der Satz zeigt, dass alle be-schränkten, translationsinvarianten Operatoren T : L2(T) −→ L2(T) Fourier-Multiplika-tionsoperatoren mit einem Symbol (mk)k∈Z ∈ l∞Z sind und umgekehrt.

Beispiel. T = Id : L2(T) −→ L2(T) ist Fourier-Multiplikationsoperator mit Symbol

(. . . , 1, 1, 1, . . . ).

TN : L2(T) −→ L2(T), f 7−→ Snf (N ∈ N0) ist Fourier-Multiplikationsoperator mit Symbol

(. . . , 0, 1, 1, . . . , 1, 1︸ ︷︷ ︸k=−N,...,N

, 0, . . . ).

Im folgenden betrachten wir den durch die Folgemk = −ß sgn k definierten Fourier-MultiplikationsoperatorH : L2(T) → L2(T),Hf(x) = −ß

∑k∈Z sgn(k)f(k)eßkx. Wir nennenHf Hilbert-Transformation

von f .

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Satz 4.12 Es sei 1 ≤ p <∞. Angenommen, es gibt eine Konstante M > 0 mit

‖Hf‖Lp(T) ≤M‖f‖Lp(T)

für alle f ∈ Lp(T) ∩ L2(T). Dann existiert eine Konstante M ′ > 0 mit

‖SNf‖Lp(T) ≤M ′ · ‖f‖Lp(T)

für alle f ∈ Lp(T) und alle N ∈ N0. (D.h. ‖DN‖L(Lp(T)) ≤ M ′ für alle N ∈ N0. Folglichkonvergiert dann SNf → f für N →∞ in Lp(T) für alle f ∈ Lp(T).

Beweis. Es sei f ∈ L2(T) und Tf =∑∞

k=0 f(k)eßkx. Dann gilt

Tf =12(f + ßHf) +

12f(0).

Aus der Voraussetzung folgt, dass

‖Tf‖Lp(T) ≤ C‖f‖Lp(T)

für eine Konstante C > 0 und alle f ∈ Lp(T) ∩ L2(T). Für N ∈ N0 ist

SNf = e−ßNxT (eßNxf)− eß(N+1)xT (e−ß(N+1)xf).

Damit existiert eine Konstante M ′ > 0 mit

‖SNf‖Lp(T) ≤M ′‖f‖Lp(T)

für alle f ∈ Lp(T)∩L2(T). Da Lp(T)∩L2(T) dicht in Lp(T) liegt, folgt die Ungleichung füralle f ∈ Lp(T).

Bemerkung. Man kann zeigen, dass für f ∈ C1(T) Hf dargestellt werden kann als Integral

Hf(x) = limε→0

∫ε≤|y|≤π

f(x− y)tan(fracy2)

dy x ∈ T

Dabei ist die Kernfunktion

K(x) :=1

tan(x2 )=

2x

+O(1)

nicht in L1(T) enthalten, weshalb ‖Hf‖Lp(T) nicht direkt mittels Lemma 4.2 durch ‖f‖Lp(T)

abgeschätzt werden kann. Mit Hilfe der Theorie der singulären Integraloperatoren kannjedoch H ∈ L(Lp(T)) für 1 < p <∞ beschränkt werden.

4.3 Fejér-Mittel

Wir beweisen Konvergenzsresultate für die Fejér-Mittel

σNf =1

N + 1

N∑j=0

Snf =N∑

k=−N(1− |k|

N + 1rk f(k)eßkx

der Partialsummen der Fourierreihe von f ∈ L1(T).

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Bemerkung. Konvergenz der SNf (bezüglich irgendeiner Norm) impliziert Konvergenz derσNf . Die Umkehrung gilt im allgemeinen nicht.

Proposition 4.13 Es sei f ∈ L1(T) und N ∈ N0. Dann gilt

σNf = KN ∗ f für fast alle x ∈ T

wobei

KN (x) =N∑

k=−N(1− |k|

N + 1rk eßkx =

1N + 1

(sin(N+1

2 · x rksin(x2 )

)2

den N -ten Fejér-Kern bezeichnet. Außerdem ist KN ≥ 0 und

12π

∫ 2π

0KN (x) dx = 1 lim

N→∞sup

δ<x<2π−δ|KN (x)| = 0.

Beweis. Aus Lemma 4.5 folgt σNf(x) = KN ∗ f(x) für fast alle x ∈ T mit

KN (x) =N∑

k=−N(1− |k|

N + 1rk eßkx.

Mit (sin x2 )2 = −1

4eßx + 1

2 −14e

ßx folgt

(sinx

2)2

N∑k=−N

(1− |k|N + 1

eßkx rk =1

N + 1(−1

2eß(N+1)x +

12− 1

4eß(N+1)x rk

=1

N + 1(sin(

N + 12

· x rk rk2

Damit ist auch Kn ≥ 0 gezeigt. Wegen∫ 2π0 eßkx dx = 0 für k 6= 0 folgt

12π

∫ 2π

0KN (x) dx = 1.

Schließlich ist|KN (x)| ≤ 1

N + 11

(sin δ2)2

∀δ ≤ x ≤ 2π − δ.

Hieraus folgt die letzte Aussage.

Definition 4.14 Eine Folge von Funktionen kN ∈ L1(T), N ∈ N0 heißt approximativeIdentität, falls gilt:

(i) 12π

∫T kN (x) dx = 1 für alle N ∈ N0

(ii) supN∈N0

12π

∫T |kN (x)| dx <∞

(iii) limN→∞∫ 2π−δδ |kN (x)| dx = 0 für alle 0 < δ < π.

Bemerkung. Proposition 4.13 zeigt, dass die Folge KN der Fejér-Kerne eine approximativeIdentität ist.

Lemma 4.15 Sei (kN )N∈N0 eine approximative Identität. Dann gilt für alle f ∈ X, wobeiX = Lp(T), 1 ≤ p <∞, oder X = C0(T), dass

limN→∞

kN ∗ f = f in X.

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Beweis. Es sei M := supN∈N0

12π

∫T |kN (x)| dx. Betrachte zunächst den Fall X = C0(T). Sei

ε > 0. Da f ∈ C0(T) gleichmäßig stetig ist, existiert δ > 0 mit |f(x) − f(y)| ≤ ε2M für x, y

mit |x− y| < δ. Wegen (iii) existiert N0 ∈ N mit

2‖f‖C0(T)12π

∫ 2π−δ

δ|kN (y)| dy ≤ ε

2

für alle N ≥ N0. Wegen (i) gilt

f(x)− (kN ∗ f)(x) =12π

∫ 2π

0kN (y)(f(x)− f(x− y)) dy.

Für N ≥ N0 folgt daraus, dass

|f(x)− kN ∗ f(x)|

≤ 12π

∫ δ

−δ|kN (x)| · |f(x)− f(x− y)|︸ ︷︷ ︸

≤ ε2π

dy +12π

∫ 2π−δ

δ|kN (y)| · |f(x)− f(x− y)|︸ ︷︷ ︸

≤2‖f‖C0(T)

dy

≤ ε

2M12π

∫ 2π

0|kN (y)| dy + 2‖f‖C0(T)

∫ 2π−δ

δ|kN (y)| dy

≤ ε

Hieraus folgt die Behauptung. Sei jetzt X = Lp(T), 1 ≤ p <∞. Aus Lemma 4.2 folgt

‖kN ∗ f‖Lp(T) ≤M‖f‖Lp(T)

für eine Konstante M (unabhängig von N) und alle f . Die Folge der Operatoren

kN ∗ : Lp(T) → Lp(T)

ist demnach gleichmäßig beschränkt. Außerdem gilt kN ∗ f → f für N → ∞ für alle f ∈Lp(T) ∩ C0(T). Damit folgt die Behauptung aus folgendem Lemma.

Lemma 4.16 Es sei Ak ∈ L(X) eine Folge beschränkter Operatoren auf dem BanachraumX mit

(i) supk∈N ‖Ak‖L(x) <∞(ii) limk→∞Akx = Ak für alle x ∈ D und D ⊆ X eine dichte Teilmenge, erfüllt ist.

Dann existiert ein beschränkter Operator A ∈ L(X) mit

limk→∞

Akx = Ax

für alle x ∈ X.

Beweis. Übung.

Satz 4.17 (Konvergenz der Fejér-Mittel) Es sei X = Lp(T), 1 ≤ p < ∞ oder C0(T).Dann gilt

limN→∞

σNf = f in X

für alle f ∈ X.

Beweis. Dies folgt direkt aus Proposition 4.13 und Lemma 4.15.

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Korollar 4.18 (Eindeutigkeitssatz) Es sei f ∈ L1(T). Falls f(k) = 0 für alle k ∈ Z gilt,so ist f = 0 fast überall.

Beweis. Ist f(k) = 0 für alle k ∈ Z, so folgt σNf = 0 fvr alle N ∈ N0. Daraus folgt nachSatz 4.17, dass f = limN→∞ σNf = 0 in L1(T), wie behauptet.

Korollar 4.19 (Approximationssaz von Weierstraß) Jede Funktion f ∈ C0(T) kanndurch trigonometrische Polynome approximiert werden.

Beweis. Nach Satz 4.17 gilt σNf → f für N →∞, in C0(T), woraus die Behauptung folgt,denn die σNf sind trigonometrische Polynome.

Korollar 4.20 (Satz von Riemann-Lebesgue) Für alle f ∈ L1(T) gilt

lim|k|→∞

|f(k)| = 0.

Beweis. Sei ε > 0. Wegen σNf → f für N →∞ in L1(T) existiert N ∈ N0 mit

‖f − σNf‖L1(T) < ε.

Außerdem ist f(k) = ( f − σNf)(k) für |k| ≥ N + 1. Somit folgt

|f(k)| ≤∞∑j=k

|f(k)| ≤ ‖f − σNf‖L1(T) < ε

für alle |k| ≥ N + 1. Da ε beliebig gewählt war, folgt die Behauptung.

4.4 Fourieranalysis auf Rn

Sei f ∈ L1(Rn). In Analogie zu Fourierreihen definieren wir die Fouriertransformierte f :Rn → C durch

f(ξ) := F(f)(ξ) :=∫

Rn

f(x)e−ßξ·x dx,

wobei ξ · x =∑n

j=1 ξixi ist. f(ξ) ist wohlfefiniert, da |f(x)e−ßξ·x| = |f(x)| integrierbar ist.Wir fassen einige Eigenschaften der Fouriertransformierten zusammen.

Lemma 4.21 (i) F : L1(Rn) → Cb(Rn) ist ein beschränkter linearer Operator (hierbei istCb(Rn) = f ∈ C(Rn) | f beschränkt, versehen mit der Supremumsnorm).

(ii) Ist f : Rn → C stetig differenzierbar in xj, j = 1, . . . , n mit f ∈ L1(Rn), ∂xjf ∈L1(Rn), so gilt

F(∂xjf) = ßξj f .

(iii) Ist f ∈ L1(Rn) und xjf ∈ L1(Rn) für ein 1 ≤ j ≤ n, so ist f stetig differenzierbar undes gilt

∂ξj f = −ßxjf.

(iv) Sei f ∈ L1(Rn) und (τyf)(x) = f(x+ y), y ∈ Rn. Dann gilt

F(τyf) = eßyξF(f).

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(v) Sind f, g ∈ L1(Rn), so giltF(f ∗ g) = F(f)F(g)

mit (f ∗ g)(x) =∫

Rn f(x− y)g(y) dy.(vi) Ist f ∈ L1(Rn) und (ρεf)(x) := f(εx), ε > 0. Dann gilt

F(ρεf)(ξ) = ε−nf(y

ε)

für alle ξ ∈ Rn.

Beweis.(i) Es gilt

‖F(f)‖L∞(Rn) = supξ∈Rn

|f(ξ)| ≤ supξ∈Rn

∫Rn

|f(x)e−ßξx| dx = ‖f‖L1(Rn).

Somit ist die Funktion F(f) beschränkt. Sei g(x, y) = f(x)eßξx. Dann ist g stetig inξ für alle x ∈ Rn und nach Voraussetzung messbar in x für alle ξ ∈ Rn. Ferner ist|g(x, ξ)| = |f(x)| für alle x ∈ Rn und |f | ist integrierbar. Damit folgt aus Lemma 2.29(Stetigkeitslemma), dass f stetig ist.

(ii) folgt ähnlich unter Verwendung von Lemma 2.30 (Differentiationslemma)(iii) folgt ähnlich unter Verwendung von Lemma 2.30 (Differentiationslemma)(iv) folgt aus dem Transformationssatz(v) Mittels des Satzes von Fubini und des Transformationssatzes (analog zum Beweis von

Lemma 4.2) ‖f ∗ g‖L1(Rn) ≤ ‖f‖L1(Rn) · ‖g‖L1(Rn). Damit existiert F(f ∗ g). Die zweiteAussage erhält man durch Nachrechnen.

(vi) folgt aus dem Transformationssatz.

Ähnlich wie bei Fourierreihen besteht folgender Zusammenhang zwischen Differenzierbar-keit von f und dem Abfallverhalten von f . Nach Lemma 4.21 (i) und (ii) folgt für stetigdifferenzierbares f ∈ L1(Rn) mit ∂xjf ∈ L1(Rn) für alle 1 ≤ j ≤ n, dass

(1 + |ξ|) · |f(ξ)| ≤ C ⇐⇒ |f(ξ)| ≤ C

1 + |ξ|

für eine Konstante C ∈ R. Allgemein: Ist f ∈ L1(Rn) m-fach stetig differenzierbar mit∂αx f ∈ L1(Rn) für alle |α| ≤ m (α ∈ Nk

0 ist ein Multiindex), so folgt

|f(ξ)| ≤ C

(1 + |ξ|)m.

Definition 4.22 Es sei S(Rn) der Schwarz-Raum der schnell fallenden, glatten Funktionenf : Rn → C so, dass für alle α ∈ Nn

0 und N ∈ N0 eine Konstante Cα,N > 0 existiert mit

|∂αx f(x)| ≤Cα,N

(1 + |x|)N.

Zu m ∈ N0 definieren die Norm

‖f‖m,S := sup|α|+|β|≤m

supx∈Rn

|xα∂βxf(x)|.

Achtung: Der Schwarz-Raum ist nicht vollständig bezüglich dieser Norm! Seien fk, f ∈S(Rn), k ∈ N. Wir definieren

fk → (k →∞)f in S(Rn) :⇐⇒ ‖f − fk‖m,S → (k →∞)0 ∀m ∈ N0.

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Bemerkung. Es gilt C∞kp(Rn) & S(Rn) & C∞b (Rn)

Beispiel. Es sei f : Rn → C, f(x) = e−|x|22 . Dann ist f ∈ S(Rn). Eine Rechnung ergibt

f(ξ) = (2π)n2 e−

|ξ|22 .

Bemerkung. Für alle f ∈ S(Rn) gilt

‖f‖m,S ≤ Cm‖f‖m+n+1,S <∞.

für eine Konstante Cm (unabhängig von f). Insbesondere gilt f ∈ S(Rn), falls f ∈ S(Rn).

Es sei f ∈ S(Rn). Eine formale Rechnung zeigt, dass

1(2π)n

∫Rn

f(ξ)eßyξ · e−ε2|ξ|2

2 d ξ =1

(2π)n

∫Rn

∫Rn

f(x)e−ßξx dxeßyξ d ξ

=1

(2π)n

∫ n

R

∫ n

Rf(x)eß(y−x)ξ−

ε2|ξ|22 d ξ dx

mit der Substitution η := εξ und z := ε−1(x− y) folgt

=1

(2π)n

∫Rn

f(y + εz)∫

Rn

e−ßzηe−|η|22 d η︸ ︷︷ ︸

F(e−|η|22 )(z)=(2π)fracn2e−

|z|22

dz

Nach Grenzübergang ε→ 0 folgt

1(2π)n

∫Rn

f(ξ)eßyξ d ξ = f(y)1

(2π)n2

∫Rn

e|z|22 dz︸ ︷︷ ︸

(2π)2n

= f(y).

Die formale Rechnung motiviert den folgenden Satz

Satz 4.23 Sei f ∈ S(Rn). Dann gilt

f(x) = F−1(f)(x)

für alle x ∈ Rn. Hierbei ist F−1 : S(Rn) → S(Rn)

F−1(g)(x) :=1

(2π)n

∫Rn

g(ξ)eßx·ξ d ξ.

Insbesondere ist F : S(Rn) → S(Rn) ein Vektorraumisomorphismus.

Beweis. Übung (rechtfertige alle Zwischenschritte der obigen Rechnung mittels des Satzesvon Fubini und des Satzes von der majorisierten Konvergenz).

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Beispiel. Wir betrachten die Wärmeleitungsgleichung

∂u

∂t−∆u = 0 ∆u =

n∑j=1

∂2u

∂x2j

(34)

auf (t, x) ∈ R+ × Rn mit der Anfangsbedingung

u(0, x) = f(x) (35)

wobei wir f ∈ S(Rn) annehmen. Die Fouriertransformation von (34) (in x) liefert nachLemma 4.21 die gewöhnliche Differentialgleichung

∂u

∂t+ |xi|2u = 0.

Mit der Anfangsbedingung U(0, ξ) = f(ξ) ∈ S(Rn) besitzt die eindeutige Lösung

u(t, ξ) = e−t|ξ|2f(ξ).

Es ist u ∈ S(Rn) und folglich wegen Satz 4.23 und Lemma 4.21 die eindeutige Lösungu ∈ S(Rn) des Anfangswertproblems (34), (35) gegeben durch

u(x, t) = (2π)−n2 Gt ∗ f(x),

wobei Gt(ξ) := (4πt)−n2 e−

|x|24t . Die Funktion Gt ∈ S(Rn) heißt Wärmeleitungskern. Sie

erfüllt (∗) für t > 0 und limt0 Gt(x) = δ(x) (in geeignetem Sinne...siehe Vorlesung partielleDifferentialgleichungen).

Satz 4.24 (Satz von Plancharel) Für alle f, g ∈ S(Rn) gilt∫Rn

f(x)g(x) dx =1

(2π)n

∫Rn

f(ξ)g(ξ) d ξ.

Insbesondere ist‖f‖L2(Rn) =

1(2π)

n2

‖f‖L2(Rn) ∀f ∈ S(Rn).

Ferner lässt sich F zu einem (bis auf den Faktor (2π)n2 isometrischen) Isomorphismus F :

L2(Rn) → L2(Rn) fortsetzen.

Beweis. Seien f, g ∈ S(Rn). Unter Anwendung des Satzes von Fubini folgt

1(2π)n

∫Rn

f(ξ)g(ξ) d ξ =1

(2π)n

∫Rn

f(x)(∫

Rn

g(ξ)eßξx d ξ rk dx

=1

(2π)n

∫Rn

f(x)g(x) dx

Hierbei wurde im letzten Schritt Satz 4.23 angewandt. Mit f = g folgt die zweite Identität.Damit ist insbesondere

F : S(Rn) → S(Rn)

beschränkt (bezüglich der L2-Norm). Da S(Rn) ⊆ L2(Rn) dicht liegt, lässt sich F wiebehauptet fortsetzen.

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Literatur

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[Jä] K. Jänich, Vektoranalysis. Fünfte Auflage. Springer-Lehrbuch. Springer-Verlag, BerlinHeidelberg New York, 2005.

[Kö] K. Königsberger, Analysis 2. Springer-Lehrbuch. Springer-Verlag, Berlin, 1993.

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