menschen mit autismus in förderstätte und werkstatt
TRANSCRIPT
21.11.2014
1
Menschen mit Autismus in
Förderstätte und Werkstatt
Gelingensfaktoren aus Sicht der Praxis
Referat Fachtag „Autismus und Arbeit“
Helmut Hirner, M.A.
Assistenznehmer …
Berufseinsteiger (Übergang Schule – Beruf)
Älter werdende Menschen (Übergang in das Rentenalter)
Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf (Autistische Erwachsene mit Mehrfachbehinderung, Frühkindlichem Autismus)
Menschen ohne kognitive Einschränkungen (z.B. Menschen mit Asperger-Syndrom)
Menschen mit zusätzlichen Beeinträchtigungen (Doppeldiagnosen)
21.11.2014
2
Gelingensfaktoren = Forderungen ?
Personalschlüssel
Räumliche Bedingungen
Fachkräfte
Autismuskompetenz
PC-Arbeitsplätze
Einzelarbeitsplatz
Gelingensfaktoren = Individualität !
…
…
…
…
…
…
…
…
21.11.2014
3
Ein anderer Blick auf bestehende Thesen
und Forderungen …
Neue Aspekte …
Arbeit – der andere Blick
Arbeit ermöglicht eine Zeitstruktur, soziale
Kontakte, Kooperation, Sinnerfüllung,
Identitätsbildung, Selbständigkeit,
Selbstverantwortung und vieles mehr (Jahoda)
Arbeit ist somit nicht nur „Erwerbsarbeit“.
Arbeit erfüllt auch die Funktion, für andere
Menschen eine Bedeutung zu haben (Dörner,
Kistner)
21.11.2014
4
Arbeit – der andere Blick
Loslösung vom gängigen
Alltagsverständnis von Arbeit mit der
Kernaussage:
Arbeit ist, was wirtschaftlich
verwertbar, das heißt profitabel
„ausbeutbar“ ist.
Arbeit – der andere Blick
Anthropologische Sichtweise von Arbeit in der Behindertenpädagogik (vgl. Theunissen, Jantzen, …)
Definition nach Karl Marx: Es gibt einen Gegenstand, der mit Werkzeugen durch eine menschliche kooperative Tätigkeit auf ein vorher antizipiertes Ziel hin bearbeitet wird.
21.11.2014
5
Arbeit – der andere Blick
Ab wann sprechen wir also von Arbeit?
Das Blumenpflücken eines Kindes ist in Deutschland keine Arbeit, auf den afrikanischen Rosenplantagen, wo viele unserer Blumen herkommen, schon.
Die Pflege von Kindern, freiwillige Arbeit im Ehrenamt, Eigenarbeit des Heimwerkers oder Hausarbeit werden heute immer mehr als Arbeit anerkannt.
Arbeit – der andere Blick
Was gesellschaftlich als Arbeit bezeichnet wird, ist nicht von der konkreten Tätigkeit und auch nicht von persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten des einzelnen Menschen abhängig, sondern von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Faktoren.
Es ergibt wenig Sinn, jede menschliche Tätigkeit als Arbeit zu bezeichnen, jedoch müssen wir den Begriff weiter fassen als bisher.
21.11.2014
6
Arbeit – der andere Blick
Menschen wirken durch Arbeit auf ihre
Umwelt ein, verändern sie und zugleich
sich selbst.
Sie lernen und bilden sich.
Damit aber mit Arbeit Bildung und
Weiterentwicklung einhergehen kann,
müssen Arbeitssituationen entsprechend
gestaltet und organisiert sein.
Assistenten – der andere Blick
Personalschlüssel
Auf ersten Blick berechtigte Forderung. Menschen mit ASS haben aufgrund ihrer Besonderheiten (Bedarf an durchgängigen Angeboten ohne Pause, Verhaltensoriginalitäten wie Fluchttendenzen, Verletzendes Verhalten, Erhöhter Kommunikationsbedarf, soziale Anpassungsschwierigkeiten, …)
oft einen erhöhten Assistenzbedarf – auch am Arbeitsplatz.
Auf dem zweiten Blick …
21.11.2014
7
Assistenten – der andere Blick
Realität erfordert Kreativität und passende
(erste) Zielsetzungen …
- Selbständigkeit
- Unabhängigkeit
- Eigenbeschäftigung
- Individualität
(Selbstbewusstsein, Selbstverantwortung, Identität)
Assistenten – der andere Blick
Und … Erfahrung zeigen:
Assistenten haben bei Krankheit oder
Urlaub lieber auf „Aushilfen“ verzichtet und
in kleiner Besetzung gearbeitet.
21.11.2014
8
Assistenten – der andere Blick
Und … Erfahrung zeigen:
Viele Assistenten … verkleinern zudem den vorhandenen Raum.
Viele Assistenten … bedeutet unter Umständen Unklarheit der Zuständigkeiten
Viele Assistenten … bedeutet, Menschen mit ASS müssen sich auf jeden einzeln einstellen. Daraus folgt auch: Besser geringere Mitarbeiteranzahl mit höheren Wochenarbeitszeiten.
Assistenten – der andere Blick
Qualifikation
Auf ersten Blick berechtigte Forderung. Menschen mit ASS sind aufgrund ihrer Besonderheiten (Bedarf an durchgängigen Angeboten ohne Pause, Verhaltensoriginalitäten wie Fluchttendenzen, Verletzendes Verhalten, Erhöhter Kommunikationsbedarf, soziale Anpassungsschwierigkeiten, …)
auf pädagogisch ausgebildete Assistenten angewiesen. Zudem ist ein Wissen um autismusbedingte Besonderheiten Voraussetzung für eine gelingende Begleitung – ein Verstehen.
Auf dem zweiten Blick …
21.11.2014
9
Assistenten – der andere Blick
Erfahrungen zeigen: Entscheidend ist die
Mitarbeiterpersönlichkeit.
Qualifizierung kann nachgeholt werden.
Günstigstenfalls sogar klientenbezogen.
Raum – der andere Blick
Dem „Arbeitsgruppenraum“ angegliederte „Individual- und Rückzugsräume“
Auf dem ersten Blick berechtigte Forderung. Menschen mit ASS haben oftmals Schwierigkeiten sich in einer Gemeinschaft aufzuhalten, zeigen soziale Schwierigkeiten, neigen zu Rückzug.
Auf dem zweiten Blick …
21.11.2014
10
Raum – der andere Blick
Erfahrungen zeigen:
„Stärkung“ der Rückzugstendenzen führen zu Isolation.
Andauernde räumliche Separation(smöglichkeit) verhindert „Lernfelder“ und Informationszugänge.
Raum – der andere Blick
Einzelarbeitsplätze / Arbeitskabinen
Auf dem ersten Blick berechtigte Forderung. Menschen mit ASS sind oftmals aufgrund ihrer Wahrnehmungsbesonderheiten, insbesondere einer anders funktionierenden Reizfilterung, hoch ablenkbar und zeigen Überforderungstendenzen durch bspw. Reizüberflutung.
Auf dem zweiten Blick …
21.11.2014
11
Raum – der andere Blick
Erfahrungen zeigen:
Kein generelles Bedürfnis!
Arbeitskabinen bedeuten Einschränkung speziell visueller Informationsaufnahme und der Bewegungsfreiheit.
Einzelarbeitsplätze verhindern „Lernfelder“. Zum Beispiel Partner-Aktivität.
Förderstätte
Per Definition: Förderstätten sind Einrichtungen für schwerst- und mehrfach behinderte Erwachsene, die im alltäglichen Leben umfassende Begleitung und Hilfestellung benötigen.
Gleichzeitig sind sie durch das Ausmaß ihrer Behinderung noch nicht bzw. nicht mehr in der Lage, in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) zu arbeiten.
Diesem Personenkreis soll durch die dort geleisteten Hilfen eine Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglicht und ein sogenannter "zweiter Lebensraum" eröffnet werden.
Bezirk Schwaben
21.11.2014
12
Förderstätte – am Anfang …
„Individualplanung“ statt „Gruppenplanung“
Zuerst der Mensch, dann das Konzept!
Förderstätte – Der Weg als Ziel!
Lebensqualität
Selbständigkeit soziale und personale
Integration
Anregung zu Aktivität
Förderung des Selbstbewusstseins
Schaffen von Gemeinschafts-
erlebnissen
Kommunikations- wege
erschließen
Ganzheiltliche Förderung
Kompetenz- erweiterung
Vermittlung von Wissen
(kognitiv)
Training von Fertigkeiten
(aktional)
21.11.2014
13
Anregung zu Aktivität
Interesse wecken
Anreize bieten
Materialien Zugänglich
machen
Selbstbewusstsein fördern
Erfolgserlebnisse schaffen
Stärken ausbauen
Schwächen akzeptieren
21.11.2014
14
Schaffen von Gemeinschaftserlebnissen
Gruppenangebote Gegenseitiges Kennenlernen
Zusammenarbeit
Kommunikationswege erschließen
Erkennen von Kommunikativen Signalen
Unterstützte Kommunikation GUK, ABA,
PECS, Gebärden, FC
Basale Kommunikation
21.11.2014
15
Ganzheitliche Förderung
Einheit von Geist, Seele und Körper
Unterstützung bei Identitätsbildung
Training von Fertigkeiten
Visualisierung und Strukturierung nach
TEACCH
Konditionierung
Vorhandene Fertigkeiten Wiederholen/neues
Methodisch-didaktisch Aufbereiten (schrittweise)
21.11.2014
16
Werkstatt (WfbM)
Per Definition:
Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) sollen denjenigen behinderten Menschen, die wegen der Art und Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können, eine angemessene berufliche Bildung und eine Beschäftigung gegen ein angemessenes Entgelt ermöglichen.
Darüber hinaus sollen sie zur Erhaltung, Entwicklung oder Wiedergewinnung der Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit beitragen.
Bezirk Schwaben
WfbM – die Arbeitnehmer …
Bei vielen Menschen mit ASS ist die
Handlungskompetenz etwas geringer einzuschätzen als die kognitive Leistungsfähigkeit
Bei vielen Menschen mit ASS liegt oftmals eine Fixierung auf Spezialinteressen vor, die in der Arbeitswelt nicht immer vorteilig genutzt werden können
21.11.2014
17
WfbM – die Arbeitnehmer …
Gescheiterte / abgebrochene Ausbildung
Keine Tagesstruktur nach der Schulzeit
Absolvierte Ausbildung mit jahrelang
gescheiterter Suche nach einer Anstellung
auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt
WfbM - Problemfelder
Menschen mit ASS ohne geistige
Behinderung sehen sich oftmals
(erstmalig) mit „Behinderten“
konfrontiert und grenzen sich davon ab,
weil sie sich nicht als „behindert“ erleben
und wahrnehmen.
21.11.2014
18
WfbM - Problemfelder
Menschen mit ASS ohne geistige
Behinderung erklären die Arbeit in einer
Werkstätte für „minderwertig“ mit
folgender Entwicklung einer geringen
„Arbeitshaltung“ und
„Leistungsbereitschaft“.
WfbM - Problemfelder
Menschen mit ASS haben häufig
Schwierigkeiten sich (langfristig) unter
vielen Menschen aufzuhalten
21.11.2014
19
WfbM - Problemfelder
Berufsbildungsbereich
Wechsel zwischen Arbeitsplatz und
Berufsbildungsbereich.
Kennen lernen verschiedener Arbeitsfelder
WfbM - Lösungsansätze
Kreative Suche nach Arbeitsaufträgen
Aufklärung
Vermittlung von Wertigkeit
Flexible Arbeitszeiten / Kantine im Schichtbetrieb
Individuelle Lösungen im Berufsbildungsbereich (Verzicht auf Wechsel, ausschließlicher Arbeitseinsatz, …)
Soziales Kompetenztraining
21.11.2014
20
WfbM - Lösungansätze
Aquise (Nischen-)Arbeitsplätzen auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt
Vermittlung in Praktika
Vermittlung auf Außenarbeitsplätze
Erörterung von Förderungen und
Maßnahmen zum Übergang von der WfbM
auf den allgemeinen Arbeitsmarkt (UB, Integrationsfirmen, Zeitarbeit, Eingliederungszuschüsse,
Minderleistungsausgleich, Arbeitsassistenz, …)
Allgemeine Empfehlungen
Homogene Systeme
Fachlich speziell qualifiziertes Personal
Gegenseitiges Verständnis
Erhöhte Mobilität der „Gruppe“
Dennoch Vielfalt!
21.11.2014
21
Allgemeine Empfehlungen
Einsatz von Strukturierungs- und
Visualisierungshilfen nach TEACCH
Unabhängig vom Niveau
Flexibilität
Unabhängigkeit und Selbständigkeit
Frage nach wie, nicht ob!
Allgemeine Empfehlungen
Vermeidung von Routineabläufen und
-handlungen
Routinen (gleicher Tagesablauf, gleiche
Zuständigkeiten, ….) können zu Zwängen
erwachsen.
21.11.2014
22
Allgemeine Empfehlungen
So normal wie möglich, so besonders wie
nötig
Vermeidung von Symptomstärkung
Self-fulfilling prophecy
Verbesserung von Teilhabechancen
Allgemeine Empfehlungen
Einsatz von Fachdiensten zur
Teambegleitung und –beratung
Außensicht
Vermeidung von Überforderung
21.11.2014
23
Allgemeine Empfehlungen
Entwicklung nach oben betrachten
„Zufriedenheit“ als Kriterium – nicht
„Wertigkeit“
Positive Entwicklung ermöglichen
Negative Entwicklung vermeiden
Zu Letzt …
Wann beschreiben wir die Arbeitssituation autistischer Menschen als gelungen?
Wer entscheidet? Assistenznehmer, oder doch Assistent?
Was entschiedet? Wirtschaftlich verwertbare Arbeit, Unauffälligkeit, Erreichen von Förderzielen … oder Zufriedenheit und Anspruchserfüllung der Arbeitnehmer
Was kommt dann? Wechsel in WfbM, Wechsel auf allgemeinen Arbeitsmarkt
21.11.2014
24
Vielen Dank
für Ihre Aufmerksamkeit!
Helmut und Sandra Hirner - Autismus Beratung, Förderung, Fortbilung
Ahornstraße 31 c, 86558 Hohenwart
Telefon 08443 9188644
Mail [email protected]