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BioTec 1-2/2004 28 BioTec LABOR Dr. Thomas Stange iele sehen zuerst gar nichts. Sie beugen sich über die Plexiglashaube und bli- cken angestrengt auf die kleinen Kunst- stoffteile. Kennte man die Situation nicht schon, würde sich jetzt Nervosität breit machen. Doch es lohnt, einen Moment länger zu warten. Denn plötzlich entspannt sich die Miene des Betrachters, Oberkörper und Kopf werden leicht aufgerichtet, der Blick beginnt zu wandern – der Kontakt ist geglückt. Guten Tag. So also sieht ein Lab- on-a-chip aus! Diese Szene wiederholt sich auf Messen immer wieder, zuletzt auf der Biotechnica im Oktober 2003. Im Vergleich zu dersel- ben Veranstaltung zwei Jahre zuvor war das Interesse an der Mikrotechnik dieses Mal nicht nur größer, sondern vor allem auch zielstrebiger. Kein Zweifel: zahlreiche Unternehmen der Biotech-Branche entde- cken zunehmend die Wettbewerbsvorteile, die sie sich mit der Miniaturisierung und Integration verschaffen können, um etwa händische und zeitaufwändige Laborpro- zesse zu automatisieren und zu beschleu- nigen oder diese gar vor Ort verfügbar zu machen. Für die Anbieterseite kann das natürlich nur heißen, sich noch mehr als bisher auf die Kundensicht einzulassen. Die immer wieder ausgefochtenen Glau- bensfragen, wonach die einen Silizium fa- vorisieren, die nächsten auf Glas schwören und wiederum andere Kunststoff für das beste Ausgangsmaterial halten, führen nicht zum Ziel. Kunden suchen einen Part- ner, der ihnen bei der Umsetzung ihrer Pro- duktidee zur Seite steht. Da ist keinem gedient, wenn der Kunde am Ende eine Lösung bekommt, die zwar der verwende- ten Technologie gerecht wird, nicht aber seinen Anforderungen. Kombination unterschiedlicher Materialien Anforderungen sind immer eine Mi- schung aus den erforderlichen Produktei- genschaften, der geplanten Stückzahl und dem Preis, den der Markt voraussichtlich akzeptieren wird. In vielen Fällen legen die Anforderungen Herstellungsmethode und Material nahe. Deshalb ist – in der Regel – ein Erlenmeyerkolben aus Glas, ein Ep- pendorf-Cap aus Kunststoff, und ein elek- trischer Sensor aus Silizium. Im Falle der Verbindung von Mikro- und Biotechnik stehen jedoch qualitativ neue Funktionalitäten im Vordergrund, die sich wiederum in komplexe Anforderungs- profile übersetzen. Dabei passiert es leicht, dass ein Kriterium mit einem anderen Kri- terium nur schwer vereinbar ist. In einer solchen Situation bieten sich drei Alterna- tiven: entweder streicht man die Kriterien- liste zusammen oder man sucht einen Kompromiss zwischen den widerstreiten- den Kriterien oder aber man beschreitet neue Wege – etwa, indem man hybride Mikrosysteme entwickelt. Betrachten wir dazu ein einfaches Bei- spiel: Objektträger sind Verbrauchsartikel, die nur wenig kosten (dürfen), gleichzei- tig aber gute optische Eigenschaften auf- weisen müssen. Folglich bestehen sie aus Mikrosysteme für die Biotechnologie Der Mikrotechnik kommt in den letzten Jahren eine immer größere Bedeutung auch in der Biotechnologie zu. Gesucht werden hierbei jedoch in erster Linie individuelle, kundenspezifische Lösun- gen. Bei der Verbindung von Mikro- und Biotechnik stehen völlig neue Funktiona- litäten im Vordergrund, die in der Regel in kompletten Anforderungsprofilen Niederschlag finden, was immer mehr in der Kombination unterschiedlicher Materialien mündet. Bild 1: Groß wie ein Slide, per Mikrospritzguss aus Kunststoff hergestellt und mit 96 Reaktionstöpfchen sowie einem Glasboden versehen: das Titerplatten- Slide vereinigt die Vorteile von 1536er Mikrotiterplatte und Glasobjektträger. V Hybridisierung der dritten Art Hybridisierung der dritten Art

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Page 1: Mikrosysteme für die Biotechnologie Hybridisierung der ... · PDF filea-chip – seien sie nun hybrid oder nicht ... nehmen mit hoher technologischer Flexi-bilität und eine vielseitige,

BioTec 1-2/200428

BioTecLABOR

Dr. Thomas Stange

iele sehen zuerst gar nichts. Sie beugensich über die Plexiglashaube und bli-

cken angestrengt auf die kleinen Kunst-stoffteile. Kennte man die Situation nicht

schon, würde sich jetzt Nervosität breitmachen. Doch es lohnt, einen Momentlänger zu warten. Denn plötzlich entspanntsich die Miene des Betrachters, Oberkörperund Kopf werden leicht aufgerichtet, derBlick beginnt zu wandern – der Kontakt istgeglückt. Guten Tag. So also sieht ein Lab-on-a-chip aus!

Diese Szene wiederholt sich auf Messenimmer wieder, zuletzt auf der Biotechnicaim Oktober 2003. Im Vergleich zu dersel-ben Veranstaltung zwei Jahre zuvor wardas Interesse an der Mikrotechnik diesesMal nicht nur größer, sondern vor allemauch zielstrebiger. Kein Zweifel: zahlreicheUnternehmen der Biotech-Branche entde-cken zunehmend die Wettbewerbsvorteile,die sie sich mit der Miniaturisierung undIntegration verschaffen können, um etwahändische und zeitaufwändige Laborpro-zesse zu automatisieren und zu beschleu-nigen oder diese gar vor Ort verfügbar zumachen. Für die Anbieterseite kann das

natürlich nur heißen, sich noch mehr alsbisher auf die Kundensicht einzulassen.Die immer wieder ausgefochtenen Glau-bensfragen, wonach die einen Silizium fa-vorisieren, die nächsten auf Glas schwörenund wiederum andere Kunststoff für dasbeste Ausgangsmaterial halten, führennicht zum Ziel. Kunden suchen einen Part-ner, der ihnen bei der Umsetzung ihrer Pro-duktidee zur Seite steht. Da ist keinemgedient, wenn der Kunde am Ende eineLösung bekommt, die zwar der verwende-ten Technologie gerecht wird, nicht aberseinen Anforderungen.

Kombination unterschiedlicherMaterialien

Anforderungen sind immer eine Mi-schung aus den erforderlichen Produktei-genschaften, der geplanten Stückzahl unddem Preis, den der Markt voraussichtlichakzeptieren wird. In vielen Fällen legen dieAnforderungen Herstellungsmethode undMaterial nahe. Deshalb ist – in der Regel– ein Erlenmeyerkolben aus Glas, ein Ep-pendorf-Cap aus Kunststoff, und ein elek-trischer Sensor aus Silizium.

Im Falle der Verbindung von Mikro-und Biotechnik stehen jedoch qualitativneue Funktionalitäten im Vordergrund, diesich wiederum in komplexe Anforderungs-profile übersetzen. Dabei passiert es leicht,dass ein Kriterium mit einem anderen Kri-terium nur schwer vereinbar ist. In einersolchen Situation bieten sich drei Alterna-tiven: entweder streicht man die Kriterien-liste zusammen oder man sucht einenKompromiss zwischen den widerstreiten-den Kriterien oder aber man beschreitetneue Wege – etwa, indem man hybrideMikrosysteme entwickelt.

Betrachten wir dazu ein einfaches Bei-spiel: Objektträger sind Verbrauchsartikel,die nur wenig kosten (dürfen), gleichzei-tig aber gute optische Eigenschaften auf-weisen müssen. Folglich bestehen sie aus

Mikrosysteme für die Biotechnologie

Der Mikrotechnik kommt in den letztenJahren eine immer größere Bedeutungauch in der Biotechnologie zu. Gesuchtwerden hierbei jedoch in erster Linieindividuelle, kundenspezifische Lösun-gen. Bei der Verbindung von Mikro- undBiotechnik stehen völlig neue Funktiona-litäten im Vordergrund, die in der Regelin kompletten AnforderungsprofilenNiederschlag finden, was immer mehrin der Kombination unterschiedlicherMaterialien mündet.

Bild 1: Groß wie ein Slide,

per Mikrospritzguss aus

Kunststoff hergestellt und

mit 96 Reaktionstöpfchen

sowie einem Glasboden

versehen: das Titerplatten-

Slide vereinigt die Vorteile

von 1536er Mikrotiterplatte

und Glasobjektträger.

V

Hybridisierung der dritten ArtHybridisierung der dritten Art

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dünnem, unstrukturierten Glas. Bestehtnun der Wunsch, einen Objektträger wieeine Nanotiterplatte zu strukturieren, umanschließend zahlreiche Proben zu mikro-skopieren, kann die Kombination der obi-gen Anforderungen – geringer Preis undgute optische Eigenschaften – in Glasallein nur schwerlich realisiert werden.Was man bräuchte, um solche neuartigenTiterplatten-Slides herzustellen, wäre einHybrid: eine Lösung aus zwei verschiede-nen Materialien wie Kunststoff und Glas(Bild 1).

Kunststoffchips mit Metall-ElektrodeÄhnlich sieht es aus, wenn Kunden an

der Messung elektrischer Größen interes-siert sind, um beispielsweise Zelleigen-schaften zu bestimmen oder die Hybridi-sierung von Biomolekülen labelfrei nach-zuweisen. Hier kann es sinnvoll sein, Elek-troden aus Gold, Nickel oder Platin aufmikrofluidischen Kunststoffchips aufzu-bringen (Bild 2).

Als Alternative dazu wird oftmals Sili-zium angesehen. In der Tat kann man esgut mikrostrukturieren und zugleich elek-trische Funktionen auf dem Chip integrie-ren. Der entscheidende Nachteil sind dieHerstellungskosten, die direkt mit der be-nötigten Fläche zusammenhängen. Mikro-fluidische Chips haben eher die Ausdeh-nung von Objektträgern als von winzigenMikrochips, so dass auch hier ein hybriderAnsatz Vorteile bietet. Indem man das Si-lizium auf die elektrische Funktionalitätbeschränkt und die fluidischen Strukturen

in Kunststoff realisiert, ergebensich sowohl Kostenvorteile alsauch Freiheitsgrade für die In-tegration weiterer Funktionali-täten, die in einem einzigen Ma-terial nicht abgebildet werdenkönnen.

Eine Investition, die sichlohnen soll

Die Entwicklung eines Lab-on-a-chip ist eine Investition,bei der den Chancen ein techni-sches und damit finanzielles Ri-siko gegenüber steht. Dieses Ri-siko kann man durch die sorg-

fältige Auswahl des Technologiepartnersminimieren: Hat dieser Partner Kompetenzin der Umsetzung biotechnischer Prozessein mikrostrukturierte Systeme? Und kanner eine skalierbare Technologie vorwei-sen, die schon der Entwicklung zugrundegelegt wird und bei größeren Stückzahlenentscheidende Kostenvorteile bietet?

Es gibt aber noch eine zweite Mög-lichkeit, das Risiko zu minimieren, wennman nämlich in einem Zwischenschrittzunächst das Funktionsprinzip verifiziert(„Proof of principle“), bevor man die Inte-gration in Angriff nimmt. Zu diesem Zweckentwickelt die thinXXS GmbH gemeinsammit drei weiteren Firmen sowie einem In-stitut einen Mikrofluidik-Baukasten(Akronym: µ-FLUBAK). Dazu werden Mo-dule realisiert, die auf der Fläche eines Ob-jektträgers bestimmte Funktionen der zuintegrierenden Prozesse abbilden. ÜberFluidverbinder können bis zu vier solcherModule innerhalb eines Titerplattenrah-mens mit- einander kombiniert werden.Weitere Komponenten und Peripheriegerä-te können ebenfalls angeschlossen werden.

Auf der Biotechnica konnten die Besu-cher einen möglichen Aufbau des Systemsbetrachten (Bild 3): im ersten Modul (vonlinks) kann eine Probe aufgereinigt wer-den, die im dritten Modul konzentriert

wird. Der Waste sammelt sich im zweitenModul, während die zwei Mikropumpen imvierten Modul abwechselnd Probenflüssig-keit und Spülflüssigkeit durch die Kanälesaugen.

Die abgebildeten Module sind aus demKunststoff Topas® (i.e. ein Cyclo-olefinCopolymer, kurz: COC) hergestellt, einchemisch beständiges Polymer mit sehrguten optischen Eigenschaften. Somitkönnte die angereicherte Probe anschlie-ßend aus dem Rahmen entnommen undbeispielsweise in einer neuen Konfigura-tion per PCR amplifiziert und per Gelelek-trophorese analysiert werden, währenddas zweite Modul mit dem Abfallreservoireinfach entsorgt würde. Natürlich sollenauch andere Prozessschritte realisiert wer-den. Insbesondere im Bereich der DNA-,Protein- und Zellanalytik wird der Baukas-ten helfen, viele zeit- und arbeitsintensiveLaborprozesse zu automatisieren, zu par-allelisieren und auf wenige Kubikzentime-ter zu verkleinern. Gespräche mit interes-

sierten Anwendern laufen bereits.Es ist klar, dass biotechnische Labs-on-

a-chip – seien sie nun hybrid oder nicht– nur dann Erfolg haben werden, wenn sieneue Marktchancen eröffnen beziehungs-weise bestehende Verfahren wesentlichvereinfachen und verbessern. Damit siedas können, müssen sie zu vertretbarenKosten herstellbar sein. Deutschland hathier zwei wichtige Wettbewerbsvorteile:eine Reihe innovativer Biotechnik-Unter-nehmen mit hoher technologischer Flexi-bilität und eine vielseitige, gut entwickelteMikrotechnik-Branche. Die Beobachter,wie Thomson Derwent oder Frost & Sul-livan, sind sich einig, dass der „Hybridi-sierung“ dieser beiden Technologiesträn-ge hohe Wachstumsraten beschieden seinwerden.■

Kontakt:

Dr. Thomas Stange, ThinXXS, Mainz

www.thinxxs.de

Bild 3: Der Mikrofluidikbaukasten erlaubt

die flexible Kombination von bis zu vier

Modulen auf der Fläche einer Titerplatte.

Damit können verschiedene Probenprozes-

sierungsschritte in einem mikrofluidischen

System realisiert werden: die Vorstufe zu

einem integrierten Lab-on-a-Chip.

Bilder: thinXXS

Bild 2: Dieser Kunststoffchip weist 16 Mikrokapillaren

auf, an deren Rändern Platinelektroden aufgebracht

wurden. Ziel des Kunden ist es, Eigenschaften von

Zell-Clustern elektronisch zu messen.

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