modell zur beschreibung der viskoelastischen eigenschaften von synthetischen fasern

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Die Angewandte Makromolekulare Chemie 234 (1996) 159-175 (Nr. 4094) Deutsches Textilforschungszentrum Nord-West e. V., Frankenring 2, D-47798 Krefeld Modell zur Beschreibung der viskoelastischen Eigenschaften von synthetischen Fasern Jakob Schulza, Arkadij Stalevitschb, Achim Eickmeier, Adelgund Bossmann, Eckhard Schollmeyer* (Eingegangen am 7. April 1995) ZUSAMMENFASSUNG: Zur Beurteilung des viskoelastischen Verhaltens von Synthesefasern sind zeitaufwen- dige Relaxationsuntersuchungen erforderlich. Um zu schnelleren Aussagen zu gelan- gen, werden mathematische Modelle benotigt. Charakteristisch fur Synthesefasern ist, daB bereits bei sehr kleinen Dehnungen < 1 Vo kein lineares viskoelastisches Verhalten angenommen werden kann. Es wird ein auf der Grundlage der Boltzmann-Theorie erweitertes Modell vorgestellt, welches das nichtlineare viskoelastische Verhalten von Synthesefasern beschreibt. Unter Anwendung des hier vorgestellten Modells wird das Relaxationsverhalten der Synthesefasern Nomex@und PEEK beschrieben und ein Kon- zept zur Messung und Auswertung des Ergebnisses vorgestellt. SUMMARY: The evaluation of the viscoelastic response of synthetic fibres from stress-relaxation data over a wide range of time at different strain rates is very time-consuming. Therefore, mathematical models are used to describe the viscoelastic response. The characteristic of synthetic fibres is that already at very low deformation rates like an elongation < 1 Vo a nonlinear viscoelasticity has to be considered. Based on the analytical representation of isothermal viscoelastic behaviour by Boltzmann a new model making an assertion to the nonlinear viscoelasticity is proposed. Applying this model, the calculated values of moduli and relaxation tensions of the fibres Nomex@ and PEEK are in good agreement with the experimental values. * Korrespondenzautor. a Hochschule fur Leicht- und Lebensmittelindustrie, Dshambul, Kasachstan. Hochschule fur Textil- und Leichtindustrie, St. Petersburg, RuBland. 0 1996 Huthig & Wepf Verlag, Zug CCC OOO3-3146/96/$07.00 159

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Page 1: Modell zur beschreibung der viskoelastischen eigenschaften von synthetischen fasern

Die Angewandte Makromolekulare Chemie 234 (1996) 159-175 (Nr. 4094)

Deutsches Textilforschungszentrum Nord-West e. V., Frankenring 2, D-47798 Krefeld

Modell zur Beschreibung der viskoelastischen Eigenschaften von synthetischen Fasern

Jakob Schulza, Arkadij Stalevitschb, Achim Eickmeier, Adelgund Bossmann, Eckhard Schollmeyer*

(Eingegangen am 7. April 1995)

ZUSAMMENFASSUNG:

Zur Beurteilung des viskoelastischen Verhaltens von Synthesefasern sind zeitaufwen- dige Relaxationsuntersuchungen erforderlich. Um zu schnelleren Aussagen zu gelan- gen, werden mathematische Modelle benotigt. Charakteristisch fur Synthesefasern ist, daB bereits bei sehr kleinen Dehnungen < 1 Vo kein lineares viskoelastisches Verhalten angenommen werden kann. Es wird ein auf der Grundlage der Boltzmann-Theorie erweitertes Modell vorgestellt, welches das nichtlineare viskoelastische Verhalten von Synthesefasern beschreibt. Unter Anwendung des hier vorgestellten Modells wird das Relaxationsverhalten der Synthesefasern Nomex@und PEEK beschrieben und ein Kon- zept zur Messung und Auswertung des Ergebnisses vorgestellt.

SUMMARY:

The evaluation of the viscoelastic response of synthetic fibres from stress-relaxation data over a wide range of time at different strain rates is very time-consuming. Therefore, mathematical models are used to describe the viscoelastic response. The characteristic of synthetic fibres is that already at very low deformation rates like an elongation < 1 Vo a nonlinear viscoelasticity has to be considered.

Based on the analytical representation of isothermal viscoelastic behaviour by Boltzmann a new model making an assertion to the nonlinear viscoelasticity is proposed. Applying this model, the calculated values of moduli and relaxation tensions of the fibres Nomex@ and PEEK are in good agreement with the experimental values.

* Korrespondenzautor. a Hochschule fur Leicht- und Lebensmittelindustrie, Dshambul, Kasachstan.

Hochschule fur Textil- und Leichtindustrie, St. Petersburg, RuBland.

0 1996 Huthig & Wepf Verlag, Zug CCC OOO3-3146/96/$07.00 159

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J. Schulz, A. Stalevitsch, A. Eickmeier, A. Bossmann, E. Schollmeyer

Einleitung

An technische Gewebe werden vom Anwender hohe Anforderungen hin- sichtlich der mechanischen Bestandigkeit auch bei sehr hohen Belastungen gestellt. Deshalb werden diese Textilien haufig aus hochfesten synthetischen Hochleistungsfasern gefertigt. Fur einen entsprechenden Einsatz ist eine umfassende Ermittlung von Materialkennwerten erforderlich, da fur diese Tex- tilien haufig enge Toleranzen hinsichtlich ihrer mechanischen Eigenschaften festgelegt sind. Wichtige Kenngrofien neben der Hochstzugkraft sind solche wie Deformationsverhalten, Spannungsrelaxation, Ruckverformung, Krie- chen u. a. Das Verhalten der Synthesefasern gegenuber mechanischen Bean- spruchungen resultiert aus den viskoelastischen Eigenschaften der Faserpoly- meren. Die Beurteilung der Viskoelastizitat kann nur durch umfangreiche Relaxationsuntersuchungen mit hohem Zeitaufwand erfolgen. Um zu schnel- leren Aussagen uber das Verhalten der Materialien zu gelangen, sind mathe- matische Modelle zur Beschreibung der mechanischen Eigenschaften erfor- derlich. Auf der Grundlage dieser Modelle mussen experimentell nur noch ein- zelne Stutzpunkte vermessen werden, aus denen sich das zeitliche Verhalten herleiten lafit.

Charakteristisch fur das lineare viskoelastische Verhalten ist, dalj bei Bela- stungen ein konstantes Verhaltnis zwischen Spannung und Dehnung besteht, das nur eine Funktion der Zeit ist. Diese lineare Viskoelastizitat wurde von Boltzmann' mathematisch durch wenige Zustandsgleichungen beschrieben. Bei polymeren Werkstoffen - und dies gilt auch fur Faserstoffe - kann im allgemeinen nur bei sehr kleinen Dehnungen, d.h. < 1 To, ein lineares viskoela- stisches Verhalten angenommen werden. Fur eine hinreichend genaue Beschreibung des Relaxationsverhaltens bei hoheren Dehnungen gilt es daher, Theorien anzuwenden, die die nichtlineare Viskoelastizitat beschreiben.

Auf der Grundlage der Boltzmann-Theorie wurde ein erweitertes mathema- tisches Model1 zur Beschreibung einer nichtlinearen Viskoelastizitat von Persoz2 formuliert. Weitere Theorien wurden von Brute3, Yannas4 und Ferry5 entwickelt. Auf der Basis eines Zweiphasenmodells modifizierten Schapery6 und Schulz et aL7 einen Ansatz, der im nichtlinearen viskoelastischen Bereich Gultigkeit hat und durch eine dehnungsabhangige Verschiebung der Relaxa- tionsfunktion bestimmt wird.

Alle diese Theorien, die eine fur die untersuchten Anwendungsbeispiele gute Anpassung an die experimentellen Daten erbringen, benotigen jedoch Relaxa- tionsexperimente uber lange Zeiten, um den Endmodul zu bestimmen, und erfordern ferner komplizierte mathematische Methoden. Um solche zeitauf-

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Viskoelastische Eigenschaften von synthetischen Fasern

wendigen Experimente zu vermeiden und eine vereinfachte Berechnung der Parameter des Relaxationsprozesses durchfiihren zu konnen, wurde von Stalevitsch* auf der Grundlage des Modells von Persoz2 folgender Ansatz zur Beschreibung der nichtlinearen viskoelastischen Eigenschaften von Fasern gewahlt:

t

o(t) = E0.&(t) - (E, - E,) - 1 E ( T ) * @ [ ( ~ - T), ~(7)Id.r (1) 0

Darin bedeuten 0 (t) die Spannung zur Zeit t, ~ ( z ) Dehnung zum Zeitpunkt 5, z Dehnzeit im Zeitbereich [0 - t], E, und E, Anfangs- bzw. Endmodul, @[(t - z), ~ ( z ) ] = dcp,(t - z)/d(t - z) spektrale Relaxationsfunktion unter Beriicksichtigung der Zeit und der Dehnung, cp,(t - 5) eine normierte Relaxa- tionsfunktion.

Unter Anwendung dieses mathematischen Modells werden in der vorliegen- den Arbeit die viskoelastischen Eigenschaften von Fasern wie Nomex und PEEK beschrieben. Am Beispiel einer Messung wird nachgewiesen, da13 die Ergebnisse des vorgestellten mathematischen Modells dazu eingesetzt werden konnen, das nichtlineare viskoelastische Verhalten von Synthesefasern zu erfassen. Es wird ein Konzept zur Messung und Auswertung der Dehnversuche vorgestellt .

Bestimmung der Parameter zur Beschreibung des nichtlinearen viskoelasti- schen Verhaltens

Zur Bestimmung des viskoelastischen Verhaltens wird das Prinzp der Zeit- Deformations-Analogie verwendet5. Gemalj diesem Prinzip werden die bei verschiedenen Dehnstufen experimentell ermittelten Kurven des Relaxations- moduls E (t) (durchgezogene Linien in Abb. 1) entlang der logarithmischen Zeitachse verschoben und zu einer Relaxationshauptkurve (unterbrochene Linie in Abb. 1) zusammengesetzt. So la13t sich erreichen, dalj nicht eine Rela- xationskurve uber sehr lange Zeiten aufgenommen wird, sondern eine aus einer Anzahl von n Einzelmessungen zusammengesetzt werden kann.

Zur mathematischen Behandlung des Problems nach G1. (1) miissen einige Vereinfachungen eingefuhrt werden, die es ermoglichen, eine normierte Rela- xationsfunktion cp,(t - z) zu finden, mit der die Relaxationshauptkurve in Abb. 1 approximiert werden kann. Die aus experimentellen Modulwerten berechnete normierte Relaxationsfunktion cp,(t) mu13 dabei die Eigenschaft 0 I cp,(t) I 1 besitzen, da die Relaxationshauptkurve zwischen den beiden

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glasartlg

Logarithmus der Zeit

Abb. 1. Schernatische Darstellung zur Bestimrnung der Relaxationshauptkurve (- - -) durch Verschiebung der Kurven bei unterschiedlichen Dehnungen (- 1.

Asymptoten Eo (fur t + 0) und E, (fur t --t 00) verlauft. Zunachst wird unter der Annahme einer isothermen Spannungsrelaxation (T = konst.) bei kon- stanter Dehnung ( E = konst.) G1. (1) vereinfacht zu:

Nun gilt es, Anfangs- und Endmodul E, und E, zu bestimmen sowie die Relaxationsfunktion ( P ~ (t) anzupassen. Da die experimentell bestimmte Rela- xationshauptkurve entlang einer S-Kurve abnimmt, wird die aus der Statistik bekannte Summenfunktion der logarithmischen Normalverteilung (GauR- sches Fehlerintegral) zur Anpassung herangezogen. Dabei wird sowohl die Symmetrie als auch die Moglichkeit zur Normierung des Fehlerintegrals aus- genutzt. Zur Anpassung der experimentell ermittelten Kurve an diese Sum- menfunktion wird ein Zeit-Dehnungs-Argument V (&, t) eingefuhrt, und es ergibt sich aus der standardisierten Summenfunktion (Mittelwert p = 0 und Standardabweichung a = 1) die Spannungsrelaxation:

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Viskoelastische Eigenschaften von synthetischen Fasern

E E - 200- z C .-

150- c 3 C C

rn 100- v) c 0 .- c

50- - Q IT

mit Y [V (E, t)] Summenfunktion der logarithmischen Normalverteilung, V (E, t) = (l/a) log (t/z,) Zeit-Dehnungs-Argument rnit dem Parameter a der Breite des Relaxationsprozesses und z, Relaxationsbezugszeit bei entsprechender Dehnung E.

Mit der im folgenden beschriebenen Methode konnen die Gro13en zur Beschreibung des viskoelastischen Verhaltens nach G1. (2) durch kurzzeitige Messungen der Relaxationsspannung ermittelt werden. Zur Veranschauli- chung des Modells werden die Ergebnisse von Messungen an Nomex und PEEK rnit dem Model1 verglichen. Als Konsequenz der nachfolgenden mathe- matischen Betrachtungen ergeben sich spater die G1. (16)- (21), rnit deren Hilfe die Spannungsrelaxation nach G1. (2) berechnet und mit den experimen- tellen Ergebnissen verglichen werden kann.

Abb. 2 und 3 zeigen das experimentell ermittelte Spannungs-Relaxations- verhalten von Nomex und PEEK bei verschiedenen Dehnungen. Es wurde eine Basiszeit von tl = 60 s gewahlt, da diese experimentell leicht zu handhaben ist. In Abb. 4 und 5 ist die Spannung o als Funktion der Dehnung E zum Zeit- punkt t = t, dargestellt. Die Werte wurden aus Abb. 2 und 3 ermittelt. Es ist zu erkennen, da13 schon bei kleinen Dehnungen von E = 1% keine lineare Abhangigkeit mehr gegeben ist. Das zeigt, da13 die Relaxationszeit von der

N 2501

+------+ +

-

01 -1,2 -0,6 0 03

Relaxationszeit log t I t , Abb. 2. Spannungsrelaxationskurven bei verschiedenen Ausgangsdehnungen von

Nomex; Dehnung: ( 0 ) 1 Yo, (+ ) 2070, ( W) 3 ‘70, (El) 4%, ( X ) 5 %, ( 0 ) 6%, (A) 70/o,(x) 8%, (0) 9%, (v) 10%.

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1001

-0,6 0 0,6 204 -1,2

Relaxationszeit log t I t , Abb. 3. Spannungsrelaxationskurven bei verschiedenen Ausgangsdehnungen von

PEEK;Dehnung:(~)0,5%,(+)l"lo,(~)1,5070,(0)2%,(X)2,5%,(~)3~0, (A) 3,5%, (1) 4%, (0) 4,5%.

2501

I 3 6 9 12

Oehnung in%

Abb. 4. Abhangigkeit der Isochronspannungen von Nomex als Funktion der Deh- nung; t, = 60 s.

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Viskoelastische Eigenschaften von synthetischen Fasern

1001

. 80

O 0 1 2 3 4 5 Dehnung in%

Abb. 5. Abhangigkeit der Isochronspannungen von PEEK als Funktion der Deh- nung; t, = 60 s.

GroSe der Dehnung abhangig ist. Das nichtlinear viskoelastische Verhalten ist gerade durch diese Abhangigkeit der Relaxationszeit T, von der Dehnungs- gr6fie charakterisiert. Aufgrund dieser nichtlinearen Abhangigkeit wird nun eine Dehnungsfunktion definiert:

wobei E, die Griifie der Dehnung bei t, = T, ist. Das Zeit-Dehnungs-Argu- ment laat sich damit umschreiben zu:

1 t a

V(&, t) = - -log - = ( 5 )

Mit Hilfe dieser Darstellung des Zeit-Dehnungs-Arguments 1aSt sich die normierte Relaxationsfunktion fur den Fall t = t, weiter vereinfachen. Zunachst wird G1. (2) dazu uber den Relaxationsmodul EE,t,

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beschrieben. Jetzt wird der Spezialfall ausgenutzt, daI3 die GroRe des Relaxa- tionsmoduls bei t, = T~ gerade dem Wendepunkt der Relaxationskurve ent- spricht, wenn

V(E, t,) = (l/a) * [log(60/60) + log(60/60)] = 0

ist. Fur diesen Fall wird G1. (3) zu einem bestimmten Integral, dessen Ergeb- nisse in Stange et al.9 aufgefuhrt sind. Die Summenfunktion der Normalver- teilung liefert danach fur diesen Grenzfall gerade cp,(t,) = 0,5. Dies fuhrt zu

E,, = 0,5*(E0 + Em) (7)

Die Gln. (6) und (7) werden ineinander eingesetzt und ergeben:

Die rechte Seite dieser Gleichung wird nun entsprechend G1. (3) durch die Summenfunktion der logarithmischen Normalverteilung ausgedruckt:

Der Vergleich mit G1. (3) liefert an dieser Stelle die Identitat:

Als nachster Schritt wird der Relaxationsmodul E als Funktion der Zeit E = f(1og t/tJ in Abb. 6 und 7 graphisch dargestellt. Es ist zu erkennen, daI3 die negative Steigung eine quasilineare Abhangigkeit des Moduls E von der Zeit darstellt und damit die Geschwindigkeit des Relaxationsprozesses charak- terisiert. Die GroRe dieser Geschwindigkeit kann mathematisch durch die Ableitung des Moduls nach der Zeit an der Stelle t = t, nach G1. (6) und G1. (3) bestimmt werden:

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Viskoelastische Eigenschaften von synthetischen Fasern

Relaxationszeit log t I t , Abb. 6.

--+

---• -------.- x-------X-x -------.- 4 I-X

.&-4

! -0,6 0 08 Relaxationszeit log t / t ,

Abb. 7.

Abb. 6.

Abb. 7.

Relaxationsmodul von Nomex als Funktion der Relaxationszeit; Dehnung: (0)1010,(+)2%,(*)3%,(0)4%,(~)5%,(+)6%,(A)7%,(~)8%,(~) 9%, (v) 10%.

Relaxationsmodul von PEEK als Funktion der Relaxationszeit; Dehnung: ( 0 ) 0,5%, (+) 1070, (*) 1,5%, (U) 2%, (x) 3%, (+ ) 3,5%, (x) 4%, (A) 4,5%.

EL, t, = dE&, t, = -(Eo - E,) d log (t/t,)

Diese Ableitung liefert wegen der Symmetrie der zugrundeliegenden Relaxa- tionsfunktion, die durch das Integral der Normalverteilung dargestellt wird, eine symmetrische parabolische Kurve. Die “Parabel” weist relativ zum Iso- chronmodul bei t = t,, d. h. E = E,,, eine Symmetrie auf (vgl. Abb. 8). Aus dem Kurvenverlauf folgt, darj das Maximum des Differentialmoduls der GroDe der oberen Grenze des Integrals V(E, tl) = 0 entspricht und damit logf,,,, + 0 fur f,,,, -+ 1 gilt. Das heirjt: E~ ist die charakteristische Dehnung und bildet somit die Basis fur die Relaxationshauptkur. Aus G1. (10) 1aDt sich das Maximum des Differentialmoduls wie folgt berechnen:

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Fur die Bestimmung des Zeit-Dehnungs-Arguments wird G1. (10) durch G1. (1 1) dividiert:

Nach der Logarithmierung gilt:

und damit

Mit der Berechnung von V(E, ti) aus den experimentell bestimmten Daten E& und EL,t, ist die obere Grenze des Integrals der Summenfunktion der Normalverteilung bekannt. Damit kann der Wert des bestimmten Integrals

Y"0; V] = Y [o; 4-q E;* t i = - f , (5) aus der Literatug entnommen werden.

bestimmt wird, findet im folgenden dafur die Abkurzung f i wendung.

einfachen Umformung der Mittelwert des Relaxationsmoduls folgt:

Da das Integral durch das Verhaltnis der Ableitungen von EL,t, und E:, Ver-

Dieser Wert kann nun in GI. (9) eingesetzt werden, aus der dann nach einer

wobei n die Anzahl der Dehnungsstufen ist. GemaI3 G1. (7) ist der Anfangsmo- dul:

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Viskoelastische Eigenschaften von synthetischen Fasern

und der Endmodul:

Damit sind der Anfangs- und der Endmodul auf experimentell verfugbare Daten zuruckgefuhrt worden. Der Parameter a - * des Relaxationsprozesses wird aus den Gln. (1 1) und (16) errechnet:

Die Dehnungsfunktion log f,,,, wird wie folgt bestimmt. Die normierte experimentelle Relaxationsfunktion (P, (ti) (s. G1. (6))

kann nun ebenfalls mit Hilfe der experimentellen Daten dargestellt werden. Daraus ergibt sich die Moglichkeit, die GroBe des Arguments V(E, ti) ange- paat auf das Experiment mit groBerer Prazision zu bestimmen. Um die GroBe des Arguments V(E, tl), d.h. die obere Grenze des Integrals, zu erhalten, wird die Tabelle der Summenfunktion der Normalverteilung benutzt. Dies erlaubt die Berechnung der Dehnungsfunktion nach G1. ( 5 ) unter der Berucksichti- gung von t = t,:

G1. (21) ergibt den Kurvenverlauf log f,,,, = f(&), dargestellt in Abb. 9, fur die verschiedenen Dehnungen. Aus der Kenntnis dieser Werte kann nun gemaB G1. ( 5 ) auch fur jeden beliebigen Zeitpunkt t V(E, t) und somit cp,(t) bestimmt werden. Damit sind alle Parameter aus den experimentellen Daten verfugbar, die fur eine Beschreibung des nichtlinearen viskoelastischen Verhaltens nach G1. (2) benotigt werden.

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N E E .

. . . ... . . .- *! -7 0.33 O ’ 1

Nomex

c .- 5 0,2 0 w

PEEK

Relaxationsmodul E, , ,, in lo3 N I mm2 Relaxalionsrncdul E, , t , in lo3 N I mm2

Abb. 8. Abhangigkeit des Differentialmoduls vom Relaxationsmodul.

-184 0 2 4 6 8 10 12

Dehnung in %

Dehnungsfunktion als Funktion der Dehnung; ( W ) PEEK, ( 0 ) Nomex. Abb. 9.

Ergebnisse und Diskussion

Im folgenden wird gepruft, ob diese Methode zur Beschreibung des visko- elastischen Verhaltens von synthetischen Fasern angewendet werden kann.

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Viskoelastische Eigenschaften von synthetischen Fasern

Dabei wird das viskoelastische Verhalten von Nomex und PEEK betrachtet. Diese Fasern sind teilkristalline Polymere, und der Glasiibergang beider Poly- merer liegt weit uber der Raumtemperatur. Durch Anwendung vieler Dehnstu- fen und kurzzeitiger Relaxationstests bei konstanter Temperatur und Feuchte konnen die Zeit-Dehnungs-Abhangigkeiten und damit die viskoelastischen Eigenschaften dieser Fasern untersucht werden und ersetzen damit langwierige Dehnversuche. Es wurden Relaxationsmessungen von 1 - 10% Dehnung fur Nomex und 0,5-4,5% Dehnung fur PEEK durchgefuhrt. Die Spannungen in den Proben wurden durch die Gleichung

berechnet, mit CJ (t) Relaxationsspannung, F (t) Kraftrelaxation, A Quer- schnittsflache.

Aus diesen Spannungsrelaxationsversuchen wurden die Kurven in den Abb. 2 und 3 jeweils fur Nomex und PEEK gemessen und gegen log t/t, auf- getragen, wobei die Basiszeit t l 60 s betrug und t die Versuchszeit ist. Der Ver- lauf der Relaxationsspannung bei verschiedenen Dehnungen und der Basiszeit ti , also in isochroner Darstellung, ist in den Abb. 4 und 5 wiedergegeben. Aus dieser Darstellung folgt, daD bei Dehnungen grijDerl Yo keine lineare Abhan- gigkeit von E , t, = f (E) mehr gegeben ist. Der isochrone Modul EE, , bei t =

t, wird aus der Gleichung

5 E , , , =

E

berechnet und ist in Tab. 1 und 2 in Spalte 2 aufgefuhrt. Abb. 6 und 7 zeigen die quasilineare Abhangigkeit des Moduls von der Zeit

bei verschiedenen Dehnungen. Die Messung der Relaxationsgeschwindigkeit EL,t, entsprechend G1. (10) erfolgt aus den experimentellen Daten durch die graphische Bestimmung der Steigung aus den Abbildungen. Die GroDe des Differentialmoduls EL, t, ist der Tangens des Winkels zwischen der x-Achse und der Tangente zur Relaxationskurve (Abb. 6 und 7). Das Ergebnis ist in Tab. 1 und 2 in Spalte 3 dargestellt.

Die Abhangigkeit EL,t, = f (E, , , ) ist in Abb. 8 dargestellt. Der Extrem- punkt des Differentialmoduls und der entsprechende Wert des Isochronmo- duls I EL,,, I = I E:, I wurden aus den graphischen Auftragungen bestimmt (Abb. 8). Sie betragen:

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Tab. 1.

Deh- Modul bei Differential- Relaxations- Zeit- Dehnungs- nung der Basiszeit modul EL,t, funktion Dehnungs- funktion E E&,t (aus Abb. 8) cp,(t,) Argument log f,,,,

Berechnete Daten des Relaxationsprozesses von Nomex.

(1 0’ N/mm2) ( lo3 N/mm2) V(E, tl)

1 2 3 4 5 6

1 6,65 2 6,17 3 4,67 4 3,93 5 3,32 6 2,93 7 2,65 8 2,43 9 2,40 10 2,06

0,35/0,27 0,33 0,38 0,36 0,33 0,28/0,29 0,27 0,25 0,22 0,19

0,209 0,279 0,536 0,606 0,696 0,735 0,795 0,827 0,83 1 0,881

-0,81 -0,59 0,09 0,27 0,51 0,69 0,82 0,94 0,96 1,18

-5,86 -4,27 0,65 1,95 3,67 4,99 5,93 6,80 6,95 8,54

Xb. 2. Berechnete Daten des Relaxationsprozesses von PEEK.

Deh- Modul bei Differential- Relaxations- Zeit- Dehnungs- nung der Basis- modul EL,t, funktion Dehnungs- funktion E (Yo) zeit E, , , (aus Abb. 8) cp,(t,) Argument log f,,, ,

(1 O3 N/mm2) (1 O3 N/mm2) V(E, 4)

1 2 3 4 5 6

0,s 5,58 1,0 4,61 1,s 3,58 2,O 3,21 2,5 2,73 3,O 2,41 3,s 2,16 4,O 2,15 4,5 2,04

0,12 0,22/0,21 0,21 0,20 0,17 0,17/0,15 0,14/0,13 0,14/0,13 0,12

0,086 0,296 0,519 0,599 0,703 0,772 0,827 0,829 0,854

-1,37 - 034

0,05 0,25 0,54 0,76 0,94 0,95 1,06

- 12,03 -4,74 0,44 2,19 4,74 6,67 8,25 8,34 9,30

E;, (Differentialmodul) fur Nomex 0,38 lo3 N/mm2, fur PEEK 0,22 - lo3

E,, (Isochronmodul) fur Nomex 4,7 * lo3 N/mm2, fur PEEK 3,7 - lo3 N/mm2;

N/mm2.

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Viskoelastische Eigenschaften von synthetischen Fasern

Mit Hilfe der nun bekannten GroRen des Dehnprozesses ist es moglich, den Bereich des Relaxationsprozesses nach GI. (16) zu berechnen. Die Mittelwerte sind fur

Nomex: E = (Eo - E,) = 6,83 * lo3 N/mm2,

PEEK: E = (E, - Em) = 4,62- lo3 N/mm2.

Ebenso wurden aus den Gln. (17) und (1 8) die Anfangs- und Endmodule errechnet; sie betragen fur

Nomex: Eo = 8,07 * lo3 N/mm2

PEEK: Eo = 5,98 * lo3 N/mm2

Em = 1,25 - lo3 N/mm2,

Em = 1,36 - lo3 N/mm2.

Der Parameter a, der die Breite des Relaxationspozesses darstellt und in G1. (3) die Bedeutung der Standardabweichung hat, wurde nach G1. (19) errechnet:

Nomex: a-l = 0,139,

PEEK: a- ' = 0,119.

Die normierte Relaxationsfunktion cp,(tl) wurde fur die entsprechenden Dehnungen nach G1. (20) errechnet, das Ergebnis ist in Tab. lund 2 in Spalte 4 zusammengefaflt. Das Zeit-Dehnungs-Argument V(E, t,) wurde fur die ent- sprechenden Werte der normierten Relaxationsfunktion aus der Literatur9 entnommen (s. Tab. 1 und 2, Spalte 5) . Nach GI. (21) wurde die Dehnungs- funktion log fE,+ errechnet (s. Tab. 1 und 2, Spalte 6) und die Kurven log f,,,, = f ( E ) aufgetragen (Abb. 9).

Die so berechneten GroRen erlauben das viskoelastische Verhalten von Nomex und PEEK mit folgenden Gleichungen zu beschreiben:

Nomex: 0 (t) = 8,07 * lo3. E - 6,83 lo3 * E . cp,(t),

Die Moglichkeit, mit diesen Gleichungen den RelaxationsprozeR bei ver- schiedenen Zeiten und Dehnungen zu beschreiben, wird am folgenden Beispiel aufgezeigt :

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J. Schulz, A. Stalevitsch, A. Eickmeier, A. Bossmann, E. Schollmeyer

Gesucht ist die Spannung fur Nomex bei E = 1070 nach einer Relaxationszeit t = 6 s. Alle Parameter des Relaxationsprozesses sind in Tab. 1 aufgelistet. Zunachst wird der Wert fur log f,,,, bei einer Dehnung von E = 1% (vgl. auch Abb. 9) in Tab. 1 (Spalte 6 ) aufgesucht. Dort ist die entsprechende GroDe der Dehnungsfunktion log f,,,, = -5,86 zu finden. Im allgemeinen muD dieser Wert jedoch aus Abb. 9 entnommen werden. Nach G1. (5) wird jetzt das Zeit-Dehnungs-Argument fur die jeweils interessierende Zeit berechnet.

V(E, t) = (l/a) * [log t/t, + log f,,,,] = 0,139. (log 6/60 - 5,86) = -0,946

Mit dieser oberen Integrationsgrenze kann die GroDe der normierten Funk- tion cp,(t) = 0,174 aus der Literaturg entnommen werden. Damit sind alle GroI3en bekannt, um die Relaxationsspannung bei der Dehnung von E = 1 'Yo nach der Zeit t = 6 s zu berechnen:

0 (t) = 8,07 - lo3 0,Ol - 6,83 . lo3 .0,01 * 0,174 = 0,067. lo3 N/mm2

WJ -1.2 0 ,6 0 0,6 1,2 1.8

Relaxationszeit log t I t

Abb. 10 Abb. 11.

Relaxationszeit log t I t

Abb. 10.

Abb. 11.

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Experimentelle (- ) und berechnete (- - -) Daten des Relaxations- prozesses von Nomex bei verschiedenen Dehnungen: ( + ) 1 Yo, ( W ) ~ Y O , ( 0 ) 3%, (A) 5%.

Experimentelle (- ) und berechnete (- - -) Daten des Relaxations- prozesses von PEEK bei verschiedenen Dehnungen: (A) 1 %, ( W ) 2%,( 0 ) 4%.

Page 17: Modell zur beschreibung der viskoelastischen eigenschaften von synthetischen fasern

Viskoelastische Eigenschaften von synthetischen Fasern

Dieser Wert kann mit dem gemessenen Wert bei E = 1 Yo und t = 6 s vergli- chen werden und zeigt eine sehr gute Ubereinstimmung. An dieser Stelle bietet sich der Vergleich der Messungen zu den Experimenten an, die nicht bei der Basiszeit von t, = 60 s gemessen wurden. Abb. 10 und 1 1 zeigen die Ergeb- nisse der anderen experimentell ermittelten und zum Vergleich berechneten Werte der Spannungsrelaxation von Nomex und PEEK bei den verschiedenen Dehnungsstufen. Es ergibt sich dabei in keinem Fall eine nennenswerte Abwei- chung der berechneten von den experimentellen Werten.

Zusammenfassend kann also gesagt werden, daR dieses Model1 zur Beschreibung des nichtlinearen viskoelastischen Verhaltens herangezogen wer- den kann. Durch die kurzzeitige Messung von Spannungen bei unterschiedli- chen Dehnungen kann dabei die Dauer der Versuchsdurchfiihrung erheblich reduziert werden.

Wir danken dem Forschungskuratorium Gesamttextil fur die finanzielle Forderung dieses Forschungsvorhabens (AIF-Nr. 9662), die aus Mitteln des Bundeswirtschaftsministeriums uber einen ZuschuR der Arbeitsgemeinschaft Industrieller Forschungsvereinigungen (AIF) erfolgte.

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