nachhaltiges bauen aus sicht des bundes

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© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin. Beton- und Stahlbetonbau 108 (2013), Heft 7 439 Nachhaltiges Bauen aus Sicht des Bundes Ministerialrat Dipl.-Ing. HANS-DIETER HEGNER Hans-Dieter Hegner EDITORIAL Die Bau-, Wohnungs- und Immobilienwirtschaft steht in vielfältigen Wechsel- beziehungen mit Maßnahmen und Zielen der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung. Hervorzuheben sind insbesondere der Klimaschutz und die Verbesserung der Energieeffizienz, die Verbesserung der Energie- und Roh- stoffproduktivität, die Senkung der Flächeninanspruchnahme und die Gestal- tung des demografischen Wandels. Der Gebäudebereich nimmt deshalb in der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung eine zentrale Rolle ein. Nachhaltiges Bauen zielt auf eine ganzheitliche Qualitätsverbesserung des Bauens über den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerkes ab – von den ersten Planungsschritten über die bauliche Realisierung bis hinein in die Zeit der eigentlichen Nutzung. Die Bewertungen des Beitrages von Bauwerken zur Nachhaltigkeit beziehen umfassend ökologische, ökonomische und sozio-kul- turelle Aspekte ein. Dabei ist klar, dass Nachhaltigkeit keine Floskel bleiben darf, sondern sich real messen lassen muss. In diesem Sinne hat das Bundes- ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) ein Bewer- tungs- und Zertifizierungssystem erarbeitet, das sich überwiegend auf quantita- tive Bewertungen und Beschreibungen abstützt. Das Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) ist ein freiwilliges Marktin- strument, das der Bund mit dem Leitfaden Nachhaltiges Bauen verbindlich für die Bundesverwaltungen umsetzt. Das System kann auch von privaten Anbie- tern genutzt werden. Dabei konzentriert sich BMVBS auf Gebäudekategorien, die von erheblichem öffentlichem Interesse sind. Sie werden in Arbeitsgrup- pen gemeinsam mit den Trägern öffentlicher Belange entwickelt und umge- setzt. Private Systeme, wie das der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, die auch weitergehende Gebäudekategorien ansprechen, können in einem formalen Verfahren offiziell vom BMVBS anerkannt werden. Damit soll sichergestellt werden, dass in Deutschland eine hohe Qualität der Nach- haltigkeitsbewertung breitenwirksam umgesetzt wird. Das BMVBS hat den Leitfaden Nachhaltiges Bauen, der im Jahre 2001 erst- mals aufgelegt wurde, völlig überarbeitet. Die aktuelle und letzte Fassung wurde im April 2013 vorgelegt. Der Leitfaden umfasst vier Teile, ergänzt um einen umfangreichen Anhang. In Teil A des Leitfadens werden die Allgemei- nen Grundsätze und Methoden des Nachhaltigen Bauens dargestellt. In Teil B „Neubau“ werden die Aufgaben bezogenen Grundsätze, Szenarien und Pla- nungsgrundlagen für Neubaumaßnahmen dargestellt. Sie orientieren sich dabei an der chronologischen Abfolge der Planungsphasen. Der Teil C be- schreibt das Nachhaltige Nutzen und Betreiben von Gebäuden und Teil D er- gänzt die Erläuterungen der bestehenden Leitfadenteile um die Besonderhei- ten bei der Umsetzung von Modernisierungsmaßnahmen. BMVBS hat den Leitfaden bereits im Jahre 2012 für alle großen Neubaumaß- nahmen (Investitionssumme > 2 Mio. €) verbindlich eingeführt. Die aktuelle Leitfadenversion wird nunmehr in den nächsten Wochen für die Bestands- maßnahmen eingeführt. Der Leitfaden bedient insbesondere die Gebäude- kategorien des Büro- und Verwaltungsbaus, von Bildungsgebäuden einschl. der dazugehörigen Außenanlagen. Die Systemvarianten für Laborgebäude und überbetriebliche Ausbildungsstätten befinden sich gerade in der Fertigstel-

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Page 1: Nachhaltiges Bauen aus Sicht des Bundes

© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin. Beton- und Stahlbetonbau 108 (2013), Heft 7 439

Nachhaltiges Bauen aus Sicht des Bundes

Ministerialrat Dipl.-Ing. HANS-DIETER HEGNER

Hans-Dieter Hegner EDITORIAL

Die Bau-, Wohnungs- und Immobilienwirtschaft steht in vielfältigen Wechsel-beziehungen mit Maßnahmen und Zielen der Nachhaltigkeitsstrategie derBundesregierung. Hervorzuheben sind insbesondere der Klimaschutz und dieVerbesserung der Energieeffizienz, die Verbesserung der Energie- und Roh-stoffproduktivität, die Senkung der Flächeninanspruchnahme und die Gestal-tung des demografischen Wandels. Der Gebäudebereich nimmt deshalb in derNachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung eine zentrale Rolle ein.

Nachhaltiges Bauen zielt auf eine ganzheitliche Qualitätsverbesserung desBauens über den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerkes ab – von den erstenPlanungsschritten über die bauliche Realisierung bis hinein in die Zeit der eigentlichen Nutzung. Die Bewertungen des Beitrages von Bauwerken zurNachhaltigkeit beziehen umfassend ökologische, ökonomische und sozio-kul-turelle Aspekte ein. Dabei ist klar, dass Nachhaltigkeit keine Floskel bleibendarf, sondern sich real messen lassen muss. In diesem Sinne hat das Bundes-ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) ein Bewer-tungs- und Zertifizierungssystem erarbeitet, das sich überwiegend auf quantita-tive Bewertungen und Beschreibungen abstützt.

Das Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) ist ein freiwilliges Marktin-strument, das der Bund mit dem Leitfaden Nachhaltiges Bauen verbindlich fürdie Bundesverwaltungen umsetzt. Das System kann auch von privaten Anbie-tern genutzt werden. Dabei konzentriert sich BMVBS auf Gebäudekategorien,die von erheblichem öffentlichem Interesse sind. Sie werden in Arbeitsgrup-pen gemeinsam mit den Trägern öffentlicher Belange entwickelt und umge-setzt. Private Systeme, wie das der Deutschen Gesellschaft für NachhaltigesBauen, die auch weitergehende Gebäudekategorien ansprechen, können ineinem formalen Verfahren offiziell vom BMVBS anerkannt werden. Damitsoll sichergestellt werden, dass in Deutschland eine hohe Qualität der Nach-haltigkeitsbewertung breitenwirksam umgesetzt wird.

Das BMVBS hat den Leitfaden Nachhaltiges Bauen, der im Jahre 2001 erst-mals aufgelegt wurde, völlig überarbeitet. Die aktuelle und letzte Fassungwurde im April 2013 vorgelegt. Der Leitfaden umfasst vier Teile, ergänzt umeinen umfangreichen Anhang. In Teil A des Leitfadens werden die Allgemei-nen Grundsätze und Methoden des Nachhaltigen Bauens dargestellt. In Teil B„Neubau“ werden die Aufgaben bezogenen Grundsätze, Szenarien und Pla-nungsgrundlagen für Neubaumaßnahmen dargestellt. Sie orientieren sichdabei an der chronologischen Abfolge der Planungsphasen. Der Teil C be-schreibt das Nachhaltige Nutzen und Betreiben von Gebäuden und Teil D er-gänzt die Erläuterungen der bestehenden Leitfadenteile um die Besonderhei-ten bei der Umsetzung von Modernisierungsmaßnahmen.

BMVBS hat den Leitfaden bereits im Jahre 2012 für alle großen Neubaumaß-nahmen (Investitionssumme > 2 Mio. €) verbindlich eingeführt. Die aktuelleLeitfadenversion wird nunmehr in den nächsten Wochen für die Bestands-maßnahmen eingeführt. Der Leitfaden bedient insbesondere die Gebäude -kategorien des Büro- und Verwaltungsbaus, von Bildungsgebäuden einschl.der dazugehörigen Außenanlagen. Die Systemvarianten für Laborgebäudeund überbetriebliche Ausbildungsstätten befinden sich gerade in der Fertigstel-

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lung. Das Bewertungssystem gliedert sich in eine Anzahl von Kriterien, für dieMessmethoden und Benchmarks in sog. Kriterien-Steckbriefen klar beschrie-ben sind. Ziel war es, alle bauordnungsrechtlichen Anforderungen und sonsti-gen öffentlich-rechtlichen Regelungen einzubeziehen. Im ökologischen Be-reich wird zusätzlich zu den im Zuge der Planung ohnehin abzulieferndenNachweisen eine Ökobilanz verlangt. Bei den ökonomischen Qualitäten sindnicht nur die Investitionskosten, sondern die Lebenszykluskosten zu ermit-teln. Die zusätzlichen Anforderungen an Nachweispflichten sind eher gering,wenn im normalen Planungsprozess bereits übergreifende Überlegungen undDokumentationen zur Nachhaltigkeit realisiert wurden. Die Ausrichtung derPlanung auf Übererfüllung und erhebliche Qualitätskontrolle sind das eigent -liche Merkmal einer Zertifizierung. In der Zusammenfassung der Bewertungs-ergebnisse werden eine „Gebäudenote“ vergeben und die Standortmerkmalebeschrieben. BMVBS fordert in seinem Erlass vom Mai 2012 die Erfüllung dessog. „Silberstandards“ (65 % Erfüllungsgrad) und die Unterschreitung der An-forderung der Energieeinsparverordnung von bis zu 30 %. Das normale Bau -geschehen in Deutschland liegt bei einem Erfüllungsgrad von bis zu 50 %. DerBund als großer öffentlicher Bauherr will hier Vorbildwirkung entfalten undhofft auf eine möglichst breite Anwendung des Leitfadens Nachhaltiges Bauenauch durch andere große Marktteilnehmer, wie Immobiliengesellschaften, an-dere öffentliche Bauherrn, wie Länder und Kommunen und private Bauherrn.

Im Zuge der Etablierung des neuen Leitfadens hat das BMVBS auch für priva-te Systemanbieter eine Reihe von Arbeitshilfen erarbeitet und kostenfrei imInternet zur Verfügung gestellt. Es handelt sich insbesondere um

– Daten für die Ökobilanzierung von Bauprodukten und -prozessen (Natio-nale Datenbank „ÖkoBau.dat“),

– Daten für die Nutzungsdauer von Bauteilen,– Bauprodukt- und Gefahrstoffinformationssysteme,– Dokumentationshandbuch,– Systematik für Nachhaltigkeitsanforderung in Planungswettbewerben

(SNAP-Broschüre).

Ein Überblick zu Instrumenten des Nachhaltigen Bauens, den Datenbankenund Informationssystemen ermöglicht das entsprechende Internet-Portal desBundes www.nachhaltigesbauen.de.

Weitere Systeme im Wohnungsbau oder bei Infrastrukturmaßnahmen werdensich mit Unterstützung des Bundes zusätzlich etablieren. So haben z. B. dieSpitzenverbände der Wohnungswirtschaft mit wissenschaftlicher Unterstüt-zung des BMVBS Regeln entwickelt, um die Nachhaltigkeit von Wohngebäu-den praxisgerecht ausweisen zu können. Zur bundesweiten Umsetzung habendie Verbände einen Verein zur Förderung der Nachhaltigkeit im Wohnungs-bau (NAWO) gegründet. Hier wird die Nachhaltigkeit von Wohnprojektenzertifiziert. Im Bereich der Infrastrukturmaßnahmen hat die Bundesanstalt fürStraßenbau (BASt) die Federführung für die Erarbeitung eines Systems über-nommen.

Ministerialrat Dipl.-Ing. HANS-DIETER HEGNER, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung,Leiter des Referates Bauingenieurwesen, Nachhaltiges Bauen, Bauforschung

EDITORIAL