nmz 2013 - 02 -titel

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Magazin Themen, Rezensionen Kritik Verbände, Pädagogik ConBrio Verlagsgesellschaft Regensburg Preis (bei Einzelbezug): 4,80 E Mit den offiziellen Mitteilungen der Jeunesses Musicales, des Verbandes deutscher Musikschulen, des Deut- schen Tonkünstlerverbandes, der GMP und des vbs ISSN 0944-8136 · B12 872 Nr. 2/13 · 62. Jahrgang Kulturpolitik Seite 12 Denkfabrik Graz: Wer verändert die Gesellschaft – Finanzen oder Kultur? Schallplatten Seite 18 Die nmz-Kritiker haben gewählt: die wichtigsten Tonträger 2012 Berichte Seite 21 „What‘s Next?“ und „Jetzt“ – ein Doppelabend in Montpellier Berichte Seite 23 Zum Festival „sportstücke“ der Berliner Gesellschaft für Neue Musik Magazin Seite 3 Zur Wiederentdeckung des Kompo- nisten Aldo Finzi (1897–1945) Magazin Seite 6 Musikanten: Zum Tod von Theo Brandmüller und Peter Kiesewetter Forum Musikpädagogik Seite 31 Inklusion als Herausforderung für musikalische Bildungsinstitutionen VdM Seite 34 10.000 Besucher beim Stuttgarter Musikfest für Kinder und Jugendliche www.nmz.de http://twitter.com/musikzeitung www.facebook.com/musikzeitung Titelbild Im Weinberg des Klangs: Mo- dell des Zuschauerraums der geplanten Pariser Philharmonie. Lesen Sie hierzu unser Feature auf Seite 11. Foto: Nicolas Borel Mit großem Fortbildungskalender 4<BUEDMQ=aaeiab>:V;n DTKV Bundesverband Seite 46 Musikwerkstatt Jugend: Detailliert arbeiten und ein Wir-Gefühl schaffen DTKV Nordrhein-Westfalen Seite 49 Klavierunterricht für Blinde am Duisburger Institut für Pianistik Für Abonnenten mit Wenn die Projektitis chronisch wird Projekte können das Fördersystem vitalisieren, sie ersetzen es nicht · Von Bojan Budisavljevic „Souverän ist, wer über den Ausnahme- zustand entscheidet“, so lautet einer der berühmtesten Sätze des rechten Staatsrechtlers Carl Schmitt, oft auch als „Kronjurist des Nationalsozialismus“ bezeichnet (was seine tatsächliche Wir- kung allerdings mehr als übertreibt). Gemeint ist damit, dass nur derjeni- ge, der die Regeln, die ihm selbst zur Macht verholfen haben, zu übertreten und abzuschaffen vermag, die wahre und uneingeschränkte Macht besitzt. Wird diese in Frage gestellt, so wird abermals die Verfassung ausgesetzt, wird ein neuer Staatsstreich fällig, und so weiter. Was nun soll dieser Ausnah- mezustand zu tun haben mit der Kunst und Kultur, wo es in der Regel weni- ger um Fragen der Macht geht und der Begriff der Souveränität weniger gebunden ist an deren Ausübung als an, sagen wir mal: die „bella figura“? V ielleicht verhilft er zu erkennen, in was für einer immer weiter um sich greifenden Kultur des Aus- nahmezustands wir leben, wenn neben alternativen Wohnprojekten, Ar- beitslosenprojekten, dem Projektunter- richt und vielem anderem mehr, auch in unserem zwar kleinen, aber nicht un- bedeutenden Bereich staatlichen Han- delns, der Kultur, immer mehr zuguns- ten von Projekt- und zulasten von Strukturförderungen entschieden wird; wenn aufgrund einer immer mehr pro- jektweisenden Organisation von Leben und Handeln, natürlich auch Bildung, Kunst und Musik aus dem Bereich ei- ner beinahe alltäglichen Praxis ver- schwinden und zu einer zufälligen Ab- folge einmaliger Ereignisse werden, de- ren Bindungsqualitäten lose und die Er- lebnisqualitäten wenig nachhaltig sind. Denn das Projekt ist der Ausnah- mefall; es ist ein Plan oder Entwurf, der, weil beschränkt hinsichtlich des Ziels und der Zeit, naturgemäß un- abgeschlossen bleibt. Das Projekt ist die Ausnahme von der Regel, und so bevorzugt es den Augenblick und ver- nachlässigt die Dauer, und daher ver- liert es eines leicht aus dem Blick: die Perspektive – oder auch das Ganze. Als solches ist das Projekt natürlich und notgedrungenermaßen auch institutio- nenfeindlich, denn Institutionen orga- nisieren die Erledigung von Aufgaben sowie den Einsatz entsprechender Mit- tel auf Dauer, ihr Zeithorizont ist unab- geschlossen, der Augenblick ist für sie ein Glied in einer prinzipiell endlosen Kette von Ereignissen – und das seit ih- rer Begriffsbestimmung im Römischen Recht, als in den Digesten die öffentli- chen Einrichtungen auf den Begriff des „vitam instituere“ gebracht wurden, auf die Einrichtung des Lebens nach Maß- gaben einer ebenso materiellen wie ide- ellen allgemeinen Wohlfahrt. Aufgabe von Institutionen wäre demnach die ununterbrochene Pflege (lat. cultus) von Dingen zugunsten der Allgemein- heit, und die von solcher der Musik gewidmeten ließe sich auf den sicher etwas altertümlichen Begriff der „Mu- sikpflege“ bringen. Gewiss, das Wech- selspiel von Routine und Innovation ist hierbei nicht auszublenden, auch nicht die Notwendigkeit von ausnahmear- tiger Intervention zwecks Erneuerung zuweilen dann doch „verkrusteter“ in- stitutioneller Strukturen. Aber dieser Grundzug der institutionellen Musik- pflege, der Pflege des Grundes und der Grundlagen, kann und darf nicht verlo- ren gehen. Hier sind, wenn auch mehr oder weniger innovationsbedürftig, Schulen, Musikschulen, Hochschulen, Theater und Orchester sowie der Rund- funk gleichermaßen „systemrelevant“. Bloßer und wenn auch gut gemeinter Interventionismus in dem einen oder anderen Bereich kann das System nur aus dem Lot bringen und letztlich zerstören, weil er wie die Ausrufung des Ausnahmezustands mit starken Maßnahmen und (Macht-)Mitteln die jeweils vorhandene Struktur oder „Ver- fassung“ aussetzt. Als Souverän gilt heutzutage in Deutschland das Volk über dessen gewählte Vertreter. Einige von ihnen versammelten sich Anfang Novem- ber letzten Jahres zur 73. Sitzung des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien bei einer öffentlichen Ex- pertenanhörung zum Thema „Struk- tur öffentlicher Kulturförderung in- klusive der Musikförderung“ (siehe http://www.bundestag.de/bundestag/ ausschuesse17/a22/oeffentliche_Sit zungen/73_sitzung/index.html). Natür- lich, bekannte und notwendige Partiku- larinteressen von Parteien und Verbän- den ließen sich ebenso ausmachen, wie das verfassungsrechtliche Problem des Kooperationsverbots zwischen dem Bund und den Städten und Ländern in Sachen öffentlicher Kultur und der da- raus resultierenden Aufgabenteilung: Ersterer ist zuständig für die nationale Bedeutung, letztere für die so genann- te Grundversorgung. Doch während Städte und Länder für die Förderung der Kultur und somit für diejenige der Musik beinahe 90 Prozent bereitstellen, Mittel, die wiederum zum allergrößten Teil für Fixkosten und Unterhalt ver- braucht werden, sind die übrigen 10 bis 12 Prozent des Bundes in der Regel freie Projektmittel, oder, siehe oben, Mittel für Ausnahmehandlungen. Was über alle unterschiedlichen An- sichten hinaus erfreulicherweise zu vernehmen war, war so etwas wie ein breites Bekenntnis zum System der Kultur hierzulande, zu seiner institu- tionellen Verfassung in den Städten und Ländern. Wichtiger aber war, dass allgemein die Notwendigkeit spürbar wurde, dieses auch mit Mitteln und Möglichkeiten des Bundes zu neuem Leben zu erwecken, sprich: die Aus- nahme und die Regel neu und langfris- tig ins rechte Verhältnis zu setzen. Das eindringlichste Votum für eine neue Balance zwischen Projekten und Insti- tutionen zur Verbesserung gerade der Lage Letzterer formulierte allerdings der größte Projektförderer, die Kul- turstiftung des Bundes. Ihr Vorschlag speiste sich aus der Erfahrung von zehn Jahren Projektförderung anhand von Programmen wie Tanzplan, Netz- werk Neue Musik, Doppelpass oder Kulturagenten. Diese Projekte, die nationale Bedeutung und internatio- nale Wahrnehmbarkeit erlangt haben, wären ohne Institutionen überhaupt nicht zu realisieren gewesen. So sprach Hortensia Völckers von neuen „Verant- wortungsgemeinschaften“, die diese Projekte gestiftet haben, um das jewei- lige Genre zukunftsfähig zu machen. Und um in dieser Art umfassend zu wirken, stellte sie die Idee einer kultu- rellen Exzellenzinitiative in den Raum, die – vergleichbar mit den großen Pro- grammen des Bundes zur Förderung von Wissenschaft und Forschung an deutschen Hochschulen – „im Kul- turbereich über fünf oder zehn Jahre Strukturen stimulieren und auf den Weg bringen könnte“. Oder anders ge- sagt: Projekte vitalisieren das System, sie ersetzen es nicht. Wer das verwech- selt, der verlängert den permanenten Ausnahmezustand. Wirklich souverän ist, wer ihn jedoch beendet. Der Autor war künstlerischer Leiter des Netzwerk Neue Musik Keil-Teil Kommt Ihnen das Bild auf dieser Ti- telseite auch bekannt vor? Zwangsre- krutierte Mitglieder der Gesellschaft, die als entrechtetes Hörvieh ihr Dasein in einem fensterlosen, offenbar der Musikdarbietung dienlichen Saal fris- ten? Nur ein Modell, sagen Sie? Umso schlimmer – da werden die Experi- mente am lebenden Objekt offenbar akribisch vorbereitet! Am effizientesten lässt sich das Publikum nach neuesten Erkenntnissen anscheinend durch eine Anordnung akustisch knechten, die einem Weinberg nachempfunden ist. Die Metapher sitzt: Wenn man auf allen Plätzen gleich gut hört, kann man die Brieftaschen des zahlenden Publikums auch gleichmäßig entsaften … Wie dem auch sei, dass Konzert- saalbauten sich innen immer stärker einander annähern, daran hat man sich mittlerweile gewöhnt. Dass sie sich nun aber auch in ihrer äußeren Erscheinungsform zu ähneln beginnen, gibt doch zu denken. Schlagen Sie mal die Seiten 10/11 auf: Fesch, wie sich der Typus „Zerborstener Keil“ mühelos je- der Umgebung anpasst! Ob in den Tiro- ler Voralpen oder am Rande der Pariser Stadtautobahn – das Ding macht ein- fach was her. Und da in beiden Fällen auch finanziell alles in Butter zu sein scheint, drängt sich die Frage auf, wa- rum es woanders um neue Säle immer so ein unsägliches Gedöns gibt. Wo bleibt die Firma, die das Ge- schäftsmodell „Konzerthaus von der Stange“ endlich konsequent anpackt? Die den Münchnern, den Bochumern, den Saarbrückern (siehe Seite 10 un- ten) und all den anderen Zauderern und Jammerlappen das Keil-Teil mit Weinberg-Funktionalität einfach zum Fixpreis hinstellt? Auch neue Märkte ließen sich ganz schnell erschließen. Flugs ist undercover ein Förderverein gegründet, der in einer Stadt oder Ge- meinde so lange auf die Pauke haut, bis man dort das günstige Pauschal- angebot mit Kusshand nimmt. Und für den Fall dass dann niemand so recht weiß, was man mit dem neuen Dingsda eigentlich anstellen soll, gibt’s noch das optional buchbare Programmpaket mit Lang-Lang-Garantie obendrauf. Wie meinen? Publikum zum Beschal- len und Entsaften gibt’s da möglicher- weise gar nicht? In diesem betrüblichen Fall hilft nur noch eins: Der steinige Weg der Nichthörer-Forschung muss beschritten werden (siehe Seite 17). Sollte sich beim Schließen dieser wis- senschaftlichen Lücke herausstellen, dass diese bedauernswerte Bevölke- rungsschicht den Besuch keilförmiger Gebäude grundsätzlich ablehnt, müsste das Firmenportfolio eben ausnahms- weise um eine architektonische Vari- ante erweitert werden. Falls Sie sich wundern, warum diese Gebrauchsanweisung für das Start-up eines künftigen Erfolgsunternehmens auf Seiten der nmz-Ausgabe verweist, die Sie gerade in der Hand halten, so hat das vor allem einen Grund: um Ih- nen die Orientierung in unserer Zeitung zu erleichtern, die wir gemäß den Er- gebnissen unserer langjährigen Leser- und Nichtleserforschungen ein wenig umgestaltet haben. Diese haben näm- lich ergeben, dass sich ein Musikfach- blatt idealerweise in vier Bücher in der Rhythmisierung lang-kurz-lang-kurz gliedert und im 70er-Raster gedruckt ist. Wir hoffen, sie liest sich von allen Plätzen aus gleich gut. Juan Martin Koch

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Titelseite der nmz 2013

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  • Magazin Themen, Rezensionen Kritik Verbnde, Pdagogik

    ConBrio VerlagsgesellschaftRegensburgPreis (bei Einzelbezug): 4,80 E

    Mit den offiziellen Mitteilungen der Jeunesses Musicales, des Verbandes deutscher Musikschulen, des Deut-schen Tonknstlerverbandes, der GMP und des vbs

    ISSN 0944-8136 B12 872

    Nr. 2/13 62. Jahrgang

    Kulturpolitik Seite 12Denkfabrik Graz: Wer verndert die Gesellschaft Finanzen oder Kultur?

    Schallplatten Seite 18Die nmz-Kritiker haben gewhlt:die wichtigsten Tontrger 2012

    Berichte Seite 21Whats Next? und Jetzt ein Doppelabend in Montpellier

    Berichte Seite 23Zum Festival sportstcke der Berliner Gesellschaft fr Neue Musik

    Magazin Seite 3Zur Wiederentdeckung des Kompo-nisten Aldo Finzi (18971945)

    Magazin Seite 6Musikanten: Zum Tod von Theo Brandmller und Peter Kiesewetter

    Forum Musikpdagogik Seite 31Inklusion als Herausforderung fr musikalische Bildungsinstitutionen

    VdM Seite 3410.000 Besucher beim Stuttgarter Musikfest fr Kinder und Jugendliche

    www.nmz.de

    http://twitter.com/musikzeitungwww.facebook.com/musikzeitung

    TitelbildIm Weinberg des Klangs: Mo-dell des Zuschauerraums der geplanten Pariser Philharmonie. Lesen Sie hierzu unser Feature auf Seite 11. Foto: Nicolas Borel

    Mit groem Fortbildungskalender

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    DTKVBundesverband Seite 46Musikwerkstatt Jugend: Detailliert arbeiten und ein Wir-Gefhl schaffen

    DTKV Nordrhein-Westfalen Seite 49Klavierunterricht fr Blinde am Duisburger Institut fr Pianistik

    Fr Abonnentenmit

    Wenn die Projektitis chronisch wirdProjekte knnen das Frdersystem vitalisieren, sie ersetzen es nicht Von Bojan BudisavljevicSouvern ist, wer ber den Ausnahme-zustand entscheidet, so lautet einer der berhmtesten Stze des rechten Staatsrechtlers Carl Schmitt, oft auch als Kronjurist des Nationalsozialismus bezeichnet (was seine tatschliche Wir-kung allerdings mehr als bertreibt). Gemeint ist damit, dass nur derjeni-ge, der die Regeln, die ihm selbst zur Macht verholfen haben, zu bertreten und abzuschaffen vermag, die wahre und uneingeschrnkte Macht besitzt. Wird diese in Frage gestellt, so wird abermals die Verfassung ausgesetzt, wird ein neuer Staatsstreich fllig, und so weiter. Was nun soll dieser Ausnah-mezustand zu tun haben mit der Kunst und Kultur, wo es in der Regel weni-ger um Fragen der Macht geht und der Begriff der Souvernitt weniger gebunden ist an deren Ausbung als an, sagen wir mal: die bella figura?

    V ielleicht verhilft er zu erkennen, in was fr einer immer weiter um sich greifenden Kultur des Aus-nahmezustands wir leben, wenn

    neben alternativen Wohnprojekten, Ar-beitslosenprojekten, dem Projektunter-richt und vielem anderem mehr, auch in unserem zwar kleinen, aber nicht un-bedeutenden Bereich staatlichen Han-delns, der Kultur, immer mehr zuguns-ten von Projekt- und zulasten von Strukturfrderungen entschieden wird; wenn aufgrund einer immer mehr pro-jektweisenden Organisation von Leben und Handeln, natrlich auch Bildung, Kunst und Musik aus dem Bereich ei-ner beinahe alltglichen Praxis ver-schwinden und zu einer zuflligen Ab-folge einmaliger Ereignisse werden, de-ren Bindungsqualitten lose und die Er-lebnisqualitten wenig nachhaltig sind.

    Denn das Projekt ist der Ausnah-mefall; es ist ein Plan oder Entwurf, der, weil beschrnkt hinsichtlich des Ziels und der Zeit, naturgem un-

    abgeschlossen bleibt. Das Projekt ist die Ausnahme von der Regel, und so bevorzugt es den Augenblick und ver-nachlssigt die Dauer, und daher ver-liert es eines leicht aus dem Blick: die Perspektive oder auch das Ganze. Als solches ist das Projekt natrlich und notgedrungenermaen auch institutio-nenfeindlich, denn Institutionen orga-nisieren die Erledigung von Aufgaben sowie den Einsatz entsprechender Mit-tel auf Dauer, ihr Zeithorizont ist unab-geschlossen, der Augenblick ist fr sie ein Glied in einer prinzipiell endlosen Kette von Ereignissen und das seit ih-rer Begriffsbestimmung im Rmischen Recht, als in den Digesten die ffentli-chen Einrichtungen auf den Begriff des vitam instituere gebracht wurden, auf die Einrichtung des Lebens nach Ma-gaben einer ebenso materiellen wie ide-ellen allgemeinen Wohlfahrt. Aufgabe von Institutionen wre demnach die ununterbrochene Pflege (lat. cultus) von Dingen zugunsten der Allgemein-heit, und die von solcher der Musik gewidmeten liee sich auf den sicher etwas altertmlichen Begriff der Mu-sikpflege bringen. Gewiss, das Wech-selspiel von Routine und Innovation ist hierbei nicht auszublenden, auch nicht die Notwendigkeit von ausnahmear-tiger Intervention zwecks Erneuerung zuweilen dann doch verkrusteter in-stitutioneller Strukturen. Aber dieser Grundzug der institutionellen Musik-pflege, der Pflege des Grundes und der Grundlagen, kann und darf nicht verlo-ren gehen. Hier sind, wenn auch mehr oder weniger innovationsbedrftig, Schulen, Musikschulen, Hochschulen, Theater und Orchester sowie der Rund-funk gleichermaen systemrelevant. Bloer und wenn auch gut gemeinter Interventionismus in dem einen oder anderen Bereich kann das System nur aus dem Lot bringen und letztlich zerstren, weil er wie die Ausrufung

    des Ausnahmezustands mit starken Manahmen und (Macht-)Mitteln die jeweils vorhandene Struktur oder Ver-fassung aussetzt.

    Als Souvern gilt heutzutage in Deutschland das Volk ber dessen gewhlte Vertreter. Einige von ihnen versammelten sich Anfang Novem-ber letzten Jahres zur 73. Sitzung des Bundestagsausschusses fr Kultur und Medien bei einer ffentlichen Ex-pertenanhrung zum Thema Struk-tur ffentlicher Kulturfrderung in-klusive der Musikfrderung (siehe http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a22/oeffentliche_Sit zungen/73_sitzung/index.html). Natr-lich, bekannte und notwendige Partiku-larinteressen von Parteien und Verbn-den lieen sich ebenso ausmachen, wie das verfassungsrechtliche Problem des Kooperationsverbots zwischen dem Bund und den Stdten und Lndern in Sachen ffentlicher Kultur und der da-raus resultierenden Aufgabenteilung: Ersterer ist zustndig fr die nationale Bedeutung, letztere fr die so genann-te Grundversorgung. Doch whrend Stdte und Lnder fr die Frderung der Kultur und somit fr diejenige der Musik beinahe 90 Prozent bereitstellen, Mittel, die wiederum zum allergrten Teil fr Fixkosten und Unterhalt ver-braucht werden, sind die brigen 10 bis 12 Prozent des Bundes in der Regel freie Projektmittel, oder, siehe oben, Mittel fr Ausnahmehandlungen.

    Was ber alle unterschiedlichen An-sichten hinaus erfreulicherweise zu vernehmen war, war so etwas wie ein breites Bekenntnis zum System der Kultur hierzulande, zu seiner institu-tionellen Verfassung in den Stdten und Lndern. Wichtiger aber war, dass allgemein die Notwendigkeit sprbar wurde, dieses auch mit Mitteln und Mglichkeiten des Bundes zu neuem Leben zu erwecken, sprich: die Aus-

    nahme und die Regel neu und langfris-tig ins rechte Verhltnis zu setzen. Das eindringlichste Votum fr eine neue Balance zwischen Projekten und Insti-tutionen zur Verbesserung gerade der Lage Letzterer formulierte allerdings der grte Projektfrderer, die Kul-turstiftung des Bundes. Ihr Vorschlag speiste sich aus der Erfahrung von zehn Jahren Projektfrderung anhand von Programmen wie Tanzplan, Netz-werk Neue Musik, Doppelpass oder Kulturagenten. Diese Projekte, die nationale Bedeutung und internatio-nale Wahrnehmbarkeit erlangt haben, wren ohne Institutionen berhaupt nicht zu realisieren gewesen. So sprach Hortensia Vlckers von neuen Verant-wortungsgemeinschaften, die diese Projekte gestiftet haben, um das jewei-lige Genre zukunftsfhig zu machen. Und um in dieser Art umfassend zu wirken, stellte sie die Idee einer kultu-rellen Exzellenzinitiative in den Raum, die vergleichbar mit den groen Pro-grammen des Bundes zur Frderung von Wissenschaft und Forschung an deutschen Hochschulen im Kul-turbereich ber fnf oder zehn Jahre Strukturen stimulieren und auf den Weg bringen knnte. Oder anders ge-sagt: Projekte vitalisieren das System, sie ersetzen es nicht. Wer das verwech-selt, der verlngert den permanenten Ausnahmezustand. Wirklich souvern ist, wer ihn jedoch beendet.

    Der Autor war knstlerischer Leiter des Netzwerk Neue Musik

    Keil-TeilKommt Ihnen das Bild auf dieser Ti-telseite auch bekannt vor? Zwangsre-krutierte Mitglieder der Gesellschaft, die als entrechtetes Hrvieh ihr Dasein in einem fensterlosen, offenbar der Musikdarbietung dienlichen Saal fris-ten? Nur ein Modell, sagen Sie? Umso schlimmer da werden die Experi-mente am lebenden Objekt offenbar akribisch vorbereitet! Am effizientesten lsst sich das Publikum nach neuesten Erkenntnissen anscheinend durch eine Anordnung akustisch knechten, die einem Weinberg nachempfunden ist. Die Metapher sitzt: Wenn man auf allen Pltzen gleich gut hrt, kann man die Brieftaschen des zahlenden Publikums auch gleichmig entsaften

    Wie dem auch sei, dass Konzert-saalbauten sich innen immer strker einander annhern, daran hat man sich mittlerweile gewhnt. Dass sie sich nun aber auch in ihrer ueren Erscheinungsform zu hneln beginnen, gibt doch zu denken. Schlagen Sie mal die Seiten 10/11 auf: Fesch, wie sich der Typus Zerborstener Keil mhelos je-der Umgebung anpasst! Ob in den Tiro-ler Voralpen oder am Rande der Pariser Stadtautobahn das Ding macht ein-fach was her. Und da in beiden Fllen auch finanziell alles in Butter zu sein scheint, drngt sich die Frage auf, wa-rum es woanders um neue Sle immer so ein unsgliches Gedns gibt.

    Wo bleibt die Firma, die das Ge-schftsmodell Konzerthaus von der Stange endlich konsequent anpackt? Die den Mnchnern, den Bochumern, den Saarbrckern (siehe Seite 10 un-ten) und all den anderen Zauderern und Jammerlappen das Keil-Teil mit Weinberg-Funktionalitt einfach zum Fixpreis hinstellt? Auch neue Mrkte lieen sich ganz schnell erschlieen. Flugs ist undercover ein Frderverein gegrndet, der in einer Stadt oder Ge-meinde so lange auf die Pauke haut, bis man dort das gnstige Pauschal-angebot mit Kusshand nimmt. Und fr den Fall dass dann niemand so recht wei, was man mit dem neuen Dingsda eigentlich anstellen soll, gibts noch das optional buchbare Programmpaket mit Lang-Lang-Garantie obendrauf.

    Wie meinen? Publikum zum Beschal-len und Entsaften gibts da mglicher-weise gar nicht? In diesem betrblichen Fall hilft nur noch eins: Der steinige Weg der Nichthrer-Forschung muss beschritten werden (siehe Seite 17). Sollte sich beim Schlieen dieser wis-senschaftlichen Lcke herausstellen, dass diese bedauernswerte Bevlke-rungsschicht den Besuch keilfrmiger Gebude grundstzlich ablehnt, msste das Firmenportfolio eben ausnahms-weise um eine architektonische Vari-ante erweitert werden.

    Falls Sie sich wundern, warum diese Gebrauchsanweisung fr das Start-up eines knftigen Erfolgsunternehmens auf Seiten der nmz-Ausgabe verweist, die Sie gerade in der Hand halten, so hat das vor allem einen Grund: um Ih-nen die Orientierung in unserer Zeitung zu erleichtern, die wir gem den Er-gebnissen unserer langjhrigen Leser- und Nichtleserforschungen ein wenig umgestaltet haben. Diese haben nm-lich ergeben, dass sich ein Musikfach-blatt idealerweise in vier Bcher in der Rhythmisierung lang-kurz-lang-kurz gliedert und im 70er-Raster gedruckt ist. Wir hoffen, sie liest sich von allen Pltzen aus gleich gut.

    Juan Martin Koch