Österreich 2030

50
1 Österreich 2030 In diesem Land möchte ich leben.

Upload: vuque

Post on 14-Feb-2017

231 views

Category:

Documents


1 download

TRANSCRIPT

Page 1: Österreich 2030

1

Österreich 2030In diesem Land möchte ich leben.

Page 2: Österreich 2030

Agenda

Einführung 3

1. Werte und Wandel 5

2. Zukunftssicherung und demografischer Wandel 13

3. Bildung und Arbeit 22

4. Österreich und Europa 32

5. Frau und Mann 41

Österreich 2030

2

Page 3: Österreich 2030

3

EINFÜHRUNG

Die Welt ist in einem massiven Umbruch, der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zu einer erhöh-ten Anpassungsleistung zwingt. Um die Zukunft unseres Landes aktiv (nicht reaktiv) und verant-wortungsvoll gestalten zu können, entwickelte die Industriellenvereinigung daher im Jahr 2009 das Monitoringsystem iv.future. Strategischer Zweck dieses Früherkennungs-Modells war von Anfang an die

• Identifizierung der Treiber des Wandels • Antizipation künftiger Schlüsselthemen in Wirtschaft und Gesellschaft • Entwicklung von Lösungsansätzen.

Zur Analyse und Gestaltung wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Schlüsselthemen wurden im Rahmen von iv.future drei Formate mit jeweils spezifischer Stoßrichtung entwickelt:

 

Gestaltungsinstrumente

Visionen

Wandlungs-kräfte

BrücheTendenzen

Trends

JokerTreiber

Hebel

1. Bausteinfuture.labThink Tank

2. Bausteinfuture.forum

Veranstaltungen

3. Bausteinfuture.monitorWissenschaft

Page 4: Österreich 2030

4

Wir verdanken diesem Früherkennungs-Modell zahlreiche relevante Erkenntnisse sowie eine so-lide Datengrundlage für eine aktive Zukunftsgestaltung. Dennoch lassen wir die Initiative in ihrer bisherigen Form auslaufen und führen sie in neuen Formaten weiter. Zukunft ist immer ein work in progress.

Die wichtigsten Ergebnisse der letzten drei Jahre iv-future haben wir für Sie in nachstehendem Dossier zusammengefasst, redigiert und ergänzt von unserem Kooperationspartner ZTB Zu-kunftsbüro (www.ztb-zukunft.com).

Page 5: Österreich 2030

1. WERTE UND WANDEL

CHANGEWERTE

WERT-SCHÖPFUNG 3.0

Page 6: Österreich 2030

CHANGE

Die Welt ist im Umbruch, die Volatilität in Märkten und Gesellschaft nimmt zu. Nichts bleibt mehr, wie es war. Brüche und Umbrüche markieren das frühe 21. Jahrhundert ebenso wie das „Ende der Eindeutigkeit“: tradierte (oft scheinbare) Gegensätze lösen sich auf, allerorts verwischen die Grenzen - zwischen Stadt und Land, Arbeit und Freizeit, Öffentlichkeit und Privatheit. Der Erfolg von Menschen wie Unternehmen hängt von ihrer Anpassungsleistung an veränderte Umfeldbe-dingungen ab – je früher man künftige Entwicklungen identifiziert, desto mehr Chancen hat man, sich aktiv auf die Zukunft vorzubereiten und diese zu beeinflussen.

In dieser Kultur des disruptiven Wandels bilden die Mega-Trends – digitale Vernetzung, Urbanisie-rung, Alterung der Gesellschaft, Nachhaltigkeit u.a. – die Grundfolie für Veränderungen. Auf die-sem Humus treiben dann gesellschaftliche, technologische und Konsum-Trends ihre Blüten. Den einen Masterplan für die Zukunft gibt es nicht. Zukunft entsteht zuerst in unseren Köpfen, ist also gestaltbar. Insofern hat der Konstruktivist Heinz von Foerster recht, wenn er sagt: „Die Welt wird nicht gefunden, sondern erfunden“. Wandel erfordert ein Denken in Alternativen, es geht darum, die eigenen Optionen bei der Zukunftsgestaltung zu erweitern, aber auch Fehler und Misserfolge positiv umdeuten zu lernen – als mögliche Bausteine für eine bessere Zukunft.

Es gibt verschiedene Dimensionen von Wandel. Am längsten dauern Mentalitätswandel, diese haben für die Gesellschaft aber die größte Bedeutung. Wandel braucht immer einen Bezugspunkt - die zentrale Frage dabei lautet: „compared to what?“ (Mitchell G. Ash) und muss die vorherr-schende Trägheit überwinden.

Ein Wandel der Mentalität einer Gesellschaft ist zum Teil auch demografisch erklärbar: demo-grafischer Metabolismus bedeutet, dass sich die Gesellschaft und deren Einstellungen durch die Erneuerung der Generationen/Kohorten von selbst verändern werden. Für die nächste Generation wird durch die geänderte Sozialisierung z.B. eine neue europäische Identität erwartet.

6

Page 7: Österreich 2030

7

Wandel muss nicht immer etwas Neues sein und ist nicht unabhängig von den Akteuren, die ihn tragen. Auch spielt der kulturelle Kontext eine Rolle – so sind etwa die Bewohner mitteleuropäi-scher Länder wie Österreich im Vergleich zu den USA oder zu vielen südostasiatischen Kulturen verhaltener in Bezug auf das Neue, resistenter gegen Veränderungen. Die Grundeinstellung zur Zukunft ist in Österreich vielfach noch immer eher reaktiv denn proaktiv. Bewahren statt erneu-ern. Wandel scheint hierzulande kein positiv besetzter Wert. Die Negation des Wandels belas-tet künftige Generationen, führt zu Fehlinvestitionen und nimmt uns Zeit, rechzeitig produktive Lösungen zu finden.

Meist ist Wandel mit technologischem Fortschritt verbunden. Allerdings wird zu wenig imaginiert, welche Art des Wandels durch Technologie herbeigeführt wird und welche Auswirkungen das für die Zukunft mit sich bringt (so gibt es z.B. Technologiefolgenabschätzungen beim Bau großer Kraftwerke, nicht aber bei der Implementierung von sozialen Netzen wie Facebook & Co.).

Um Wandel herbeizuführen braucht es nicht nur Agenten des Wandels und First Mover, sondern insbesondere auch Anreize, im Großen wie im Kleinen, in der Ge-sellschaft wie im Privaten. Wenn ein Staat seine Bevölkerung auf einen Wandel einstellen will bzw. Strukturen verändern möchte, sind Anreize ein Ziel führen-der Weg. Menschen müssen aber auch bereit sein, den Wandel anzunehmen (die Flexibilisierung der Arbeitswelt zum Beispiel ist ein Bereich, bei dem man die Menschen „mitnehmen“ muss: länger arbeiten, kein fixes Pensionsantrittsalter mehr, Etablierung eines sekundären Arbeitsmarktes für Pensionisten usf.)

Page 8: Österreich 2030

8

WERTE

Werte sind Leitplanken auf der Fahrt in die Zukunft, Bojen auf bewegter See. Je unsicherer die Zeiten, desto stärker treiben in der Gesellschaft „traditionelle“ Werte wieder an die Oberfläche. In der liquiden, nomadischen Gesellschaft mit ihren vielen Umbrüchen nimmt der Bedarf an Werten mit starker Bindungskraft zu.

Folgende Werte gelten als langfristig determinierend für die Gesellschaft und ihre zukünftige Entwicklung:

SOLIDARITÄT

Die Gesellschaft wird zunehmend gespalten (in Arm - Reich, Migranten - Inländer, usw.). Es ist daher notwendig, eine Sensorik gegen Antisolidarität zu entwickeln bzw. sich der daraus resultierenden Problematik für die Entwicklung einer Gesellschaft gerade in Hinsicht einer globaler werdenden Zukunft bewusst zu sein. Dies gilt nicht nur in der unmittelbaren „Nach-barschaft“ und in überregionaler Hinsicht, sondern auch global (Stichwort Entwicklungshilfe). Der Gesamtnutzen ist größer, wenn Risiken gemeinsam getragen und Lasten geteilt werden (Stichwort Griechenland-/Eurokrise).

VERANTWORTUNG

Es gilt verstärkt, heute wie in Zukunft, Verantwortung für eigenes Handeln zu übernehmen und sich auch der externen Konsequenzen des Handelns bewusst zu sein. Im Sinne der Solidari-tät gilt es auch Verantwortung für andere (Personen, Umwelt usw.) zu übernehmen - soziale Verantwortung. Dies darf aber nicht zu einer Entmündigung von Personen/Personengruppen führen. Eigenverantwortlich zu handeln und nicht stets auf die Verantwortungsübernahme durch Andere (z.B. Staat) zu warten, ist künftig mehr denn je notwendig.

VERANTWORTUNG

FAMILIE

SOLIDARITÄT PLURALISMUS

Page 9: Österreich 2030

9

PLURALISMUS

Für die Zukunft ist die Ausprägung einer pluralistischen Gesellschaft bzw. die Verwirklichung einer solchen, speziell in Mittel- und Westeuropa, immanent. Diese kulturelle Diversität ist gerade angesichts der Herausforderungen durch die demographische Entwicklung und Globa-lisierung (Finanzierung und Erhalt der Sozialsysteme, Arbeitskräftemangel...) entscheidend. Hier gilt es speziell durch Populismus und Fehl-/ bzw. Falschinformation geschürten Ängsten und Unwissenheit zu begegnen und diese abzubauen. Dies fängt bei grundlegendem Respekt für Anderes und Andere an, geht über reflexive Toleranz, dem Zulassen anderer Meinungen und Lebensweisen und reicht bis hin zu Wertschätzung für den Input der durch dieses „Ande-re“ kommen kann und einen Beitrag zur Entwicklung einer Gesellschaft leistet. Es bedeutet aber nicht, dass alle Freiheiten akzeptiert werden müssen - denn die Freiheit des Einzelnen hört dort auf wo die Freiheit des Anderen eingeschränkt wird.

FAMILIE

Die Familie ist ein Ort des Vertrauens, der Geborgenheit und Stütze über die Generationen hin-weg und nicht nur temporäres Miteinander. Familien besitzen etwas gemeinsam Verbindendes (Family Identity). Es ist notwendig, den Familienbegriff neu und abseits der starren Ausrichtung der letzten Jahrhunderte neu zu definieren, nicht nur über Generationen hinweg, sondern auch hinsichtlich der Akzeptanz von neuen Formen der Partnerschaft. Familie bedeutet, dass min-destens zwei Personen füreinander mittel- und langfristig Verantwortung übernehmen.

Diese Werte sind heute schon im gesellschaftlichen Mindset verankert, sie werden soziale Struk-turen und wirtschaftliches Handeln künftig aber noch stärker prägen. In einer globalisierten Welt manifestiert sich beispielsweise der Pluralismus in Form von kultureller Diversität und treibt strukturelle Veränderungen voran (in der Wirtschaft ist dies z.B. die Diversität in Unternehmens-kulturen: ein strategisch gelenkter Mix von Inländern/Ausländern, Mann/Frau, Alt/Jung; aber auch das wachsende Angebot an Ethno-Produkten bzw. Ethno–Marketing greifen diesen Wert auf usf.). Auch (soziale, ökologische etc.) Verantwortung ist ein Eckpfeiler postmoderner Ökonomien – von CSR bis hin zu verantwortungsvollem und reflexivem Konsum (Fair Trade, Slow Food etc.) reicht hier die Bandbreite. Der Hyper-Egoismus der 1990er Jahre ist einem Ressourcen optimie-renden Netzwerk-Denken gewichen.

Potenzial nach oben hat in Österreich jedoch der Wert „Ei-genverantwortung“, insbesondere in der Wirtschaft. Untersu-chungen zeigen, dass Österreich in Bezug auf „unternehmeri-sche Dynamik“ den meisten Industrienationen hinterherhinkt. Selbständiges und eigenverantwortliches Handeln gehören je-doch zu den Schlüsseleigenschaften eines Unternehmers und muss daher auch in Österreich forciert werden (beginnend in der schulischen Ausbildung, die diese Werte bereits Kindern vermitteln sollte). Damit sich Entrepreneurship generell stärker in Österreich verankert, sind aber auch andere struk-turelle Barrieren zu beseitigen, etwa die starke Abhängigkeit von Bankenfinanzierung im Vergleich zur Venture Capital-Fi-nanzierung im angelsächsischen Raum.

Page 10: Österreich 2030

10

WERT-SCHÖPFUNG 3.0

Werte tragen den Wandel, sie verändern (wenn auch langsam) Verhaltensweisen der Menschen und Lebensstile, sie fließen in soziale Gemeinschaften, in neue Geschäftsmodelle und in die Pro-duktentwicklung mit ein. Die fundamentale Strukturkrise der westlichen Welt seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 führt zu einer Re-Vision gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Konzepte. Die neuen Passwörter für die Zukunft heißen: nachhaltiges Wirtschaften, wertorientierte Innovation. Wachstum ist auch in Zukunft wünschenswert, aber es soll Ressourcen schonender als bisher erfolgen.

Vor dem Hintergrund einer globalen Vernetzung und damit auch wachsender Interdependenz der Akteure sowie knapper werdender Ressourcen entstehen neue Wertschöpfungs-Netzwerke. Neue Medien fördern die gesellschaftliche Partizipation und die Kreativität. In einer Netzwerk-Ge-sellschaft verstehen sich die Nutzer (sozialisiert in Web-Communities) als Werte-Gemeinschaft, basierend auf einigen der oben beschriebenen Werte wie Verantwortung, Familie (im Sinn einer erweiterten „Familie“, der Community). Wert-Schöpfung erfolgt künftig stärker auf einer ethi-schen Achse: kollaborativ, Ressourcen allozierend, regional. Beispiele für neue Wert-Schöpfungs-modelle sind:

SHARING ECONOMY

In einer Netzwerk-Ökonomie streben die Marktteilnehmer – durchaus pragmatisch - eine Balance zwischen Ich und Wir, zwischen Gemeinnutzen und Eigennutzen an. Es zählt nur der langfristig zu den Gewinnern, der individuellen Profit mit kollektivem Nutzen verbindet. Verhal-tensbiologen wissen: der wahre Egoist kooperiert. „Sharing ist das neue Caring“.

Die kooperative Netzwerk-Kultur bringt neue fluide Geschäftsmodelle hervor, viele davon beruhen auf Teilen, auf Austausch von Gütern, Informationen und (knapper werdenden) Res-sourcen – Car-Sharing in den Städten als neue Form der Mobilität on demand ist so ein Bei-spiel. Der Zugang zu Produkten ist oft wichtiger als der Besitz. Kollaborativer Konsum wird zur Grundmelodie der digitalen Beziehungswirtschaft. In einer Netzwerk-Ökonomie werden aus Wertschöpfungsketten Wertschöpfungsnetze.

Zudem hat die Welt mit ihrer Informationsflut eine derart hohe Komplexität erreicht, die Men-schen nur gemeinsam reduzieren können, in sozialen Verbänden und Netzwerken. Der Boom der Crowd Sourcing-Plattformen erklärt sich daraus, zum wechselseitigen Nutzen wird dort die Intelligenz der Masse angezapft. Kunden und andere Stakeholder (Partner, Lieferanten etc.) werden stärker in Geschäftsprozesse integriert. Open Innovation wird inzwischen weltweit von großen Konzernen wie mittleren Unternehmen praktiziert (Kunden entwickeln auf eigenen Websites neue Produkte mit).

Soziale Geschäftsmodelle verknüpfen mobile Technologien (Apps, QR-Codes u.a.) und digita-le Infrastrukturen (Cloud) mit werteorientiertem Handeln. Neue flüssige Geschäfts-Modelle vermindern den ökologischen Fußabdruck und stärken lokale Gemeinschaften. So entstehen z.B. in der (zunehmend dezentralisierten) Energie-Wirtschaft über genossenschaftliche Betei-ligungsmodelle kommunale Biomasseanlagen, Windparks usf. Auch gemeinschaftliche Formen der Finanzierung (Crowd Funding) werden, als Ergänzung zur traditionellen Kreditvergabe der Banken und angesichts des geringen Eigenkapitals der heimischen KMU’s (im Durchschnitt 29,9%)1 vor allem für Start-ups interessant.

1) 2010/2011, Quelle: KMU Forschung AUSTRIA

Page 11: Österreich 2030

11

REGIONALE NETZWERKE

Je volatiler und unsicherer die Lage in Wirtschaft und Gesellschaft wird, desto stärker rückt die (kultur)räumliche Identität in den Vordergrund. Zukunft braucht bekanntlich Herkunft. Das Bedürfnis nach Verortung, nach Bodenhaftung, war selten so stark wie heute. Während eine europäische „Identität“ medial, politisch und in der Gesellschaft eher ironisch oder vorwiegend in Hinblick auf deren Scheitern gesehen wird, stärken regionale Projektionen offensichtlich die Identität der Bürger mehr denn je.

Diese Sehnsucht nach einer greifbaren, lokal verortbaren Wertegemeinschaft schafft auch eine Ökonomie der Nähe. Ob Handwerk oder Genussmittel, ob Slow Food und Slow Fashion – regionale Produkte werden zu Identitätsstif-tern. Eine Region ist auch ein Wertschöpfungs-Netz. Hier werden (materielle und immaterielle) Werte geschaffen – bestenfalls in Kooperation regionaler Akteure. In einer Zeit digitalisierter und (häufig) austauschbarer Massen-Pro-dukte wächst die Sehnsucht der Konsumenten nach indivi-duellen Produkten mit einer unverwechselbaren Aura.

Die regionale Zugehörigkeit ist ein Glaubensbekenntnis („small is beautiful“), ein Airbag vor den globalen Unsicherheiten und dient zudem als Gütesie-gel – regionale Labels sind inzwischen wichtiger als Bio-Labels. Mehr als die Hälfte der Euro-päer (55 Prozent) beabsichtigen laut „Europa Konsumbarometer 2013“, ihr Konsumverhalten in Zukunft an Nachhaltigkeitskriterien auszurichten, gleich 89 Prozent der Europäer möchten künftig auf die regionale Herkunft der Waren achten.

Angesichts immer kürzerer Lebenszyklen (Konsum- und Innovationszyklen, Halbwertzeit des Wissens usf.) wird Zeit zur stillen Leitwährung. Alles, was viel Zeit in der Herstellung erfordert, ist in einer beschleunigten Kultur ein hochwertiges Gut. Die Manufaktur, das gute alte Hand-werk erleben eine Renaissance, Slow-Food-Produkte werden verstärkt nachgefragt. Freie Zeit ist ein knappes Gut, ein Statussymbol – in unserer westlichen Kultur jedenfalls.

Die Werte-Diskussion in Zeiten des Umbruchs fokussiert immer stärker einen neuen Wohlstands-begriff, der nicht nur materiell zu verstehen ist. Die Lebensqualität der Zukunft beruht auf einer Verschränkung von ökonomischem, sozialen und ökologischen Wohlstand. Seit den 1970er Jah-ren gibt es zahlreiche Versuche (wie European Happy Index, Human Development Index etc.), den herkömmlichen Wohlstandsbegriff zu erweitern, also so etwas wie einen „BIP Plus“-Wohlstand-sindikator zu entwickeln. Das Bruttoinlandsprodukt allein kann den wirtschaftlichen und gesell-schaftlichen Fortschritt nicht mehr zeitgemäß abbilden. Aus diesem Grund entwickelte die OECD ein ganzheitliches Vergleichs-Instrument, den Better-Life-Index (Länder werden elf Vergleichsin-dikatoren unterzogen, darunter Bildung, Arbeit, Umwelt und Gesundheit u.a.).

 

Page 12: Österreich 2030

12

Learnings für iv.future:

u Unternehmen sollten verstärkt über die Folgen von Wandel für ihren eigenen Wirkungskreis nachdenken und versuchen, diese abzuschätzen, um besser für die Zukunft gerüstet zu sein.

u Wandel ist disruptiv und erfordert eine erhöhte Veränderungsgeschwindigkeit von Unter-nehmen, Gesellschaft und Politik. Um Wandel besser gestalten zu können, braucht es Anreize.

u Eine weitere Herausforderung für die Industrie ist die Zukunft Österreichs als Wissensstandort. Österreich braucht besser gebildete Menschen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

u Werte sind Leitplanken auf der Fahrt in die Zukunft. In der liquiden Gesellschaft mit ihren vielen Umbrüchen nimmt der Bedarf an Werten mit starker Bindungskraft zu.

u Der Wille und die Möglichkeit zu Partizipation sind derzeit allgemein und speziell in Österreich zu gering ausgeprägt. Eine Steigerung könnte erreicht werden, indem sperrige Themen für die Menschen erlebbar gemacht werden, z.B. durch Wettbewerbe, Einbeziehung Betroffener in politische Entscheidungen oder durch Institutionalisierung derzeit vorhandener, punktueller Initiativen (z.B. Schulfach „Bürger Sein“).

u Das Thema Solidarität ist in Österreich mittlerweile tendenziell negativ besetzt, das Meinungs-klima radikalisiert sich. Daher wäre es wichtig, die in Österreich besonders stark ausgepräg-te lokale Solidarität (Vereine, Freiwilligenarbeit, usw.) zu globalisieren. Hier kann der Nutzen globaler Solidarität anhand der gelebten lokalen Solidarität vor Augen geführt werden und so „globalisiert“ werden. Im Sinne der Solidarität und zur Förderung des Pluralismus gilt es so-gleich interkulturelles (Diversity-) Management zu fördern.

u Für Fortschritt, Zukunft und Entwicklung einer Gesellschaft ist es unerlässlich, Stärken und Kernkompetenzen des Einzelnen zu fördern - Generalisten alleine reichen nicht. Dies bedeutet neben Lernen lernen auch die regelmäßige Evaluierung des Erlernten.

u Das Internet und die Neuen Medien stellen eine 5te Gewalt, also eine mögliche „Kontroll-instanz“ dar. Sie bieten politisch interessierten und engagierten Menschen ein breites Spekt-rum an politischem und gesellschaftlichem Engagement.

u Vor dem Hintergrund einer globalen Vernetzung und wachsender Interdependenz der Akteure sowie knapper werdender Ressourcen entstehen neue Wertschöpfungs-Netzwerke. Die koope-rative Netzwerk-Kultur bringt neue Geschäftsmodelle hervor, viele davon beruhen auf Teilen, auf Austausch von Gütern, Informationen und Ressourcen.

u Kollaborativer Konsum wird zur Grundmelodie der digitalen Beziehungswirtschaft.

Page 13: Österreich 2030

2. ZUKUNFTS-SICHERUNG

GENERATIONENVERTRAGQUALIFIZIERTE ZUWANDERUNG

GESUNDHEIT

Page 14: Österreich 2030

GENERATIONENVERTRAG

„Was kümmert mich die ferne Zukunft. Langfristig sind wir alle tot“ (John Maynard Keynes). Zu-kunft nicht antizipieren zu wollen, beinhaltet die Gefahr der Verantwortungslosigkeit gegenüber zukünftigen Generationen und Entwicklungen. Diese haben jedoch in der Gegenwart ihre Wurzeln. Somit ist ein Teil der Zukunft steuerbar und gestaltbar.

Zukunftssicherung ist eine wichtige strategische Aufgabe auch für den Standort Österreich. Sie erfordert die Implementierung eines strategischen Früherkennungssystems, das künftige Ent-wicklungen und Trends früh auf dem Radarschirm identifiziert (Early Warning). So können Maß-nahmen rechtzeitig eingeleitet und damit Risiken minimiert und Chancen maximiert werden.

Zukunftssicherung für Österreich heißt auch, sich mit den gravierenden Auswirkungen des demo-grafischen Wandels auf Gesellschaft und Wirtschaft zu befassen. Man muss sich heute den da-durch entstehenden Herausforderungen in den verschiedenen Bereichen (Bildung, Gesundheits- und Pensionswesen, Gesellschaftspolitik) stellen und entsprechende Maßnahmen treffen.

Der Generationenvertrag ist aufgrund seit Jahren sinkender Geburten und gleichzeitig steigender Anzahl älterer Menschen auch hierzulande in Gefahr, das Sozialsystem steht unter einem starken Anpassungsdruck. In den kommenden Jahrzehnten wird die Versorgungslast für die Jungen und für die Alten auf die Schultern von immer weniger Erwerbstätigen verteilt. Die steigende Lebens-erwartung verstärkt die Problematik.

14

Page 15: Österreich 2030

Der future.monitor2 befasst sich mit vielfältigen Aspekten rund um die Zukunftssicherung des Standorts Österreich und stellt in verschiedenen Szenarien dar, welche Auswirkungen die Bevöl-kerungsentwicklung auf den künftigen Lebensalltag (Standortfrage, Daseinsvorsorge) bis zum Jahr 2050 hat. Er zeigt auch, an welchen Stellschrauben zu drehen ist, damit die Wirtschaftsleis-tung und damit verbunden die sozialen Sicherungssysteme in Österreich auch künftig erhalten werden können.

Können auch weniger Menschen künftig Wohlstand und Sozialstaat erhalten? Theoretisch: ja. Eine Volkswirtschaft kann auch mit weniger Beschäftigten immer reicher werden. Es kommt nicht darauf an, wie viele Menschen arbeiten - sondern wie produktiv sie sind. Die wenigen Produktiven müssen allerdings besonders gut ausgebildet sein. Denn ab dem Jahr 2020 stammt die Produkti-vität praktisch nur mehr aus Forschung, Innovation und technischem Fortschritt.

In einem hoch kompetitiven globalen Umfeld kann der Standort Österreich nur mit Exzellenz und Spitzenleistungen in den wissensbasierten, innovationsgetriebenen Branchen erfolgreich sein. Dazu braucht es aber eine entsprechend qualifizierte und gut ausgebildete Bevölkerung.

u Fazit 1: Reform und Ausbau unseres Bildungssystems nach finnischem Vorbild sind die Voraussetzungen dafür, den demografischen Wandel positiv zu bewältigen.

In Österreich ist das Bildungsniveau schon in den vergangenen vierzig Jahren ständig gestiegen. Selbst wenn es gelingt, diesen Trend künftig beizubehalten, sieht es kaum besser aus als im kon-stanten Szenario: Im Trendszenario gibt es zwar mehr Menschen, die eine höhere Schule abge-schlossen haben, und weniger, die nur einen Pflichtschulabschluss aufweisen können. Die Zahl der Hochschulabgänger nimmt aber kaum zu. Deutlich verändern sich die Bildungsabschlüsse erst, wenn sich Österreich an den europäischen Klassenbesten orientiert: den Finnen, Vorreiter bei der Anzahl der Personen mit tertiärem Abschluss.

DAS FINNISCHE SZENARIO3

2) Der future.monitor ist eine Kooperation zwischen Österreichischem Roten Kreuz, Industriellenvereinigung und der Wirtschaftsuniversität Wien. Die Expertise aus den Forschungsbereichen Demografie, Bildung, Migration, Humankapital, Gesundheit und Statistik stammt von Wissenschaftlern 3) Quelle: http://www.futuremonitor.at

11

15

Pflichtschule Lehre, BMS AHS, BHS Univ., FH, Hochschule

Page 16: Österreich 2030

Gelingt es, dass (wie bei den Finnen) über 80 Prozent der 30- bis 34-Jährigen einen Abschluss einer AHS, BHS, Universität, Fachhochschule oder Hochschule erlangen, würde sich die Zu-sammensetzung der Bevölkerung im Erwerbsalter deutlich zu Gunsten dieser Bildungsgruppen verschieben (Finnisches Szenario). Gleichzeitig ginge die Zahl der Menschen mit Pflichtschulab-schluss deutlich zurück.

Bei Reform und Ausbau des österreichischen Bildungssystems nach finnischem Vorbild würden deutlich mehr Menschen einen solchen höheren Bildungsabschluss erreichen (in obiger Abbil-dung dargestellt in grün und blau). Außerdem gäbe es einen Rückgang jener Menschen, die nur einen Pflichtschulabschluss aufweisen (rot).

Österreich wäre, bei diesem Szenario, fit für den Wettbewerb wissens- und innovationsbasier-ter Gesellschaften von morgen. Je besser diese Strategie mit anderen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen verzahnt ist, desto effizienter kann der Wohlstand Österreichs auch in Zukunft abge-sichert werden.

Ein wichtiger Teil eines solchen Maßnahmen-Sets ist auch, die Frauenerwerbsquote weiter zu erhöhen sowie die Lebensarbeitszeit zu verlängern. Mehr Frauen im Erwerbsleben (Szenario Frauen = Männer) würden das Verhältnis zwischen Aktiven und Nicht-Aktiven bis 2051 deutlich verbessern. Ähnliches gilt für das Szenario „Pensionsalter +5“. Die deutlichste Verbesserung bringt das Kombinationsszenario (Anhebung des effektiven Pensionsantrittsalters um fünf Jahre plus Erhöhung der Frauenerwerbsquote).

11

11

16

Pflichtschule Lehre, BMS

AHS, BHS Univ., FH, Hochschule

Page 17: Österreich 2030

Die Simulationen legen den Versuch nahe, die beiden Maßnahmen „Mehr Frauen in Erwerbstätig-keit“ (Szenario Frauen = Männer) und „Anhebung des effektiven Pensionsantrittsalters um fünf Jahre“ (Szenario „Pensionsalter +5“) miteinander zu kombinieren (Szenario Frauen = Männer UND Pensionsalter +5). Die Zahl der Aktiven würde von 4,24 Millionen heute auf 4,47 Millionen im Jahr 2030 (bei 4,45 Millionen Inaktiven) und 4,86 Millionen im Jahr 2050 (bei 4,50 Millionen Inakti-ven) steigen.

Ein alternatives Szenario – eine Erhöhung des effektiven Pensionsantrittsalters um zehn Jahre (Szenario Pensionsalter +10) bei keiner Angleichung der Erwerbsquoten zwischen Männern und Frauen – führte zu einem Verhältnis 4,58 Millionen Aktive: 4,33 Millionen Inaktive im Jahr 2030 und zu 5,04 Millionen Aktiven: 4,32 Millionen Inaktiven im Jahr 2050.

u Fazit 2: Die demografische Alterung lässt sich durch eine moderate Anpassung des Pensionsantrittsalters (Männer und Frauen gehen im Durchschnitt mit 65 Jahren in Pension) sowie durch eine Erhöhung der Frauenerwerbsquote weitgehend ausgleichen.

4) Quelle: ebenda

18

18

18

18

KOMBINATION SZENARIO „FRAUEN = MÄNNER“ + „PENSIONSALTER +5“4

17

Aktiv Inaktiv Aktiv Inaktiv

Page 18: Österreich 2030

QUALIFIZIERTE ZUWANDERUNG

Erfolgreiche Standorte sichern ihren Wohlstand auch dadurch ab, dass sie qualifizierte Arbeits-kräfte aus dem Ausland anziehen. Auch Österreich mit seinem demografisch bald ausgedünnten Arbeitsmarkt ist morgen mehr denn je auf qualifizierte Zuwanderung angewiesen. 57 Prozent der Österreicher meinen laut einer aktuellen Umfrage, Österreich müsse Fachkräfte aus dem Aus-land holen, um zukünftige Lücken auf dem Arbeitsmarkt abzufedern.5 Der Transfer von Talenten nimmt weltweit zu – 2010 wanderten 214 Millionen Menschen von einem Land ins andere.6

2011 stammten 65 Prozent der Zuwanderer aus Ländern der EU 27, die restlichen 35 Prozent aus Drittstaaten. Die Statistik Austria schätzt, dass sich der Wanderungssaldo – also die Zuzüge nach Österreich minus der Wegzüge – bis 2050 auf jährlich knapp 30.000 Personen belaufen wird.

Von Bedeutung ist aber nicht nur die Anzahl der Menschen, die nach Österreich ziehen, son-dern auch ihre Qualifikation. Höhere Qualifikation bedeutet auch höhere Produktivität. Um die Wirtschaftsleistung zu erhalten und damit die Finanzierung der Sozialsysteme sicherzustellen, benötigt Österreich also vor allem qualifizierte Zuwanderung. Gerade Österreich nimmt aber im Vergleich zu anderen EU-Ländern eher gering qualifizierte Migranten aus Drittstaaten auf. Bleibt das so, dann steigt zwar die Zahl der Menschen – aber nicht jene der besser gebildeten und damit produktiveren Personen (Szenario „Gleich bleibende Bildungsstruktur von Migranten“).

SZENARIO „GLEICH BLEIBENDE BILDUNGSSTRUKTUR VON MIGRANTEN“

5) Quelle: Bertelsmann Stiftung, TNS Emnid 20136) Quelle: UN Wanderungsstatistik7) Quelle: http://www.futuremonitor.at

23

SZENARIO „HÖHERE BILDUNGSSTRUKTUR VON MIGRANTEN“7

23

18

Pflichtschule Lehre, BMS AHS, BHS Univ., FH, Hochschule

Page 19: Österreich 2030

Im Falle qualifizierter Zuwanderung dagegen steigt die Anzahl der in Österreich lebenden Per-sonen mit einem höheren Bildungsabschluss (AHS, BHS, FH, Hochschule, Universität) über die Jahre. Im Vergleich zu einem ausgeglichenen Wanderungssaldo gäbe es bis zum Jahr 2050 gut 700.000 mehr von ihnen. Österreich kann nur durch eine proaktive Talente- und Fachkräftestrate-gie qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland anwerben, die Rot-Weiß-Rot–Karte ist – bei allen noch erfolgenden Feinjustierungen – ein erster Schritt. Eine erfolgreiche Migrationspolitik geht einher mit strategischen Maßnahmen zur Integration, interkulturelles Management ist in einer global vernetzten Gesellschaft unabdingbar.8

u Fazit 3: Die beste Lösung für eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Arbeitskräfte liegt in einer Kombination aus qualifizierter Zuwanderung und einer Bildungsoffensive für die bereits in Österreich wohnhafte Bevölkerung.

Ein strategischer Mix von einer Erhöhung der Frauenerwerbsquote wie auch der qualifizierten Zu-wanderung sichert nicht nur den Wohlstand des Standorts Österreich ab, sondern trägt auch dazu bei, eine drohende Ent-Solidarisierung zwischen Alt und Jung zu verhindern. Die soziale Sicher-heit hängt künftig stark ab von der fairen Verteilung der Lasten zwischen den Generationen.

8) Integrations-Szenarien für Österreich: siehe Österreichischer Integrationsfonds http://www.integrationsfonds.at/de/forschungsberichte/integrationsszenarien_der_zukunft/ 19

Page 20: Österreich 2030

GESUNDHEIT

Gesundheit ist bekanntlich das wichtigste Gut für Menschen, dieses Gut erlangt in einer alternden Gesellschaft mit steigender Lebenserwartung noch mehr an (individueller wie gesellschaftspo-litischer) Bedeutung. Unter Gesundheit versteht man heute weit mehr als die Abwesenheit von Krankheit oder Behinderung, nämlich ganzheitliches Wohlbefinden9.

Im Gesundheitswesen gibt es einen Konflikt durch unterschiedliche Ziele: Versorgungs- und Ge-sundheitsziele (Qualität, Effizienz, Fairness) versus ökonomische Ziele (Wirtschaftlichkeit, Rendi-te). Das erschwert konzentriertes Vorgehen – auch bei Finanzierungsreform. Derzeit befindet sich das System in einer Übergangsphase vom Versorgungs- zum Vorsorge-Prinzip. Im Gesundheits-system der Zukunft ist Selbstverantwortung ein zentraler Wert.

Vor dem Hintergrund sozialer Sicherung und Finanzierbarkeit gesundheitlicher Leistungen wer-den exogene Einflussfaktoren für die Gesundheit wie Lebensstil, Bildung etc. immer wichtiger. Ein verantwortungsvoller Lebensstil und eine bessere Bildung wirken sich in vielerlei Hinsicht positiv auf die Gesundheit und auch auf die Langlebigkeit aus. Das Bewusstsein der Menschen hin zu einem eigenverantwortlichen Lebensstil kann nur durch Anreizsysteme verändert werden. Versi-cherungs-Modelle werden hier künftig verstärkt lenkend eingreifen: z.B. zahlen Raucher mehr als Nichtraucher, stark Übergewichtige mehr als durchschnittliche Menschen, Sportler weniger als Nicht-Sportler usf.

Im Sinn der Zukunftssicherung befasst sich der future.monitor mit den Zusammenhängen zwi-schen Bildung und Gesundheit. Kombiniert man die bildungsspezifischen Raten mit den Bildungs-szenarien, dann lässt sich die Zahl der Personen vorausschätzen, die zukünftig an einer dauerhaf-ten Beeinträchtigung leiden werden.

Zwei Erkenntnisse zeigen sich: Erstens ergibt sich zwischen 2006 und 2051 unabhängig von der Definition ein Anstieg der absoluten Zahl der dauerhaft beeinträchtigten Personen. Zweitens liegen die Schätzungen, die die Bildungsstruktur berücksichtigen, durchwegs unter denen, die al-leine nach Geschlecht und Alter differenzieren. Die Bildungseffekte werden nach 2051 noch deut-licher zum Tragen kommen, denn dann kommen die Kohorten mit der besseren Bildungsstruktur vermehrt in die höheren Altersklassen.

9) Vgl. Definition WHO

27

600,000

650,000

700,000

750,000

800,000

850,000

900,000

950,000

1,000,000

1,050,000

1,100,000

2006

2011

2016

2021

2026

2031

2036

2041

2046

2051

Konstantes Szenario

Trendszenario

finnisches Szenario

ohne bildungs-spezifische Raten

20

Page 21: Österreich 2030

21

u Fazit 4: Durch höhere Bildung sinkt die Zahl der Menschen mit Beeinträchtigungen und Pflegebedarf. Bildung ist also auch eine langfristig wirksame Investition in die Gesundheit.

Learnings für iv.future:

u Die österreichische Bevölkerung wird sich in den nächsten Jahrzehnten in Hinsicht auf ihre demographische Zusammensetzung gravierend verändern. Schon heute muss man sich den dadurch entstehenden Herausforderungen in den verschiedenen Bereichen (Bildung, Gesund-heits- und Pensionswesen, Gesellschaftspolitik) stellen und Maßnahmen treffen.

u Vorrangigste Ziele sind Zukunftssicherung, Sozialsicherung, die Vermeidung von Ungleichge-wichten und die Verbesserung des politischen Systems.

u Um die Finanzierbarkeit unseres Pensionssystems auch in Zukunft gewährleisten zu können, ist es wichtig, sich grundsätzlichen mit der österreichischen Kultur und ihrer Einstellung zu Arbeit und Pension zu befassen.

u Im Gesundheitssystem müssen persönliche Anreize geschaffen werden, die die Menschen motivieren, sich zu bilden und auf ihre Gesundheit zu achten. Durch Bewusstsein bildende Maßnahmen soll jeder/jede Einzelne angeregt werden, selbst Verantwortung zu übernehmen. Der Wert der Gesundheit muss durch Motivation statt durch Verbote gesteigert werden. Anrei-ze könnten sein: Berücksichtigung der Lebensweise bei Versicherungsprämien, Motivation zu mehr Sport und Bewegung. Gesundheit sollte in allen Ressorts verankert werden z.B. Bildung, Transportwesen („Health in all policies“).

u Es muss schick und modern werden, sich fit und gesund zu halten – bzw. sich zu bilden (Bsp. Asien). Nötige Schritte: Imagekampagne zur Verbesserung des Images von guter Bildung, In-tellektualität in der Gesellschaft in Kooperation mit den österreichischen Medien, Entwicklung eines Gesundheits- und Bildungspasses.

u Angesichts des demografischen Wandels sind auch nationale Strategiepläne für sich stark verbreitende Krankheiten wie Alzheimer etc. erforderlich.

u Eine Ent-Solidarisierung der Gesellschaft muss vermieden bzw. ihr entgegen gewirkt werden, dies ist auch in Hinblick auf die steigende Notwendigkeit für Politik „gegen“ Mehrheiten wich-tig.

u Es braucht New Approaches statt Reform: z.B. integrierte Versorgung, neue Rollendefinition, Teambildung, informierte Patienten.

Page 22: Österreich 2030

3. BILDUNG UND ARBEIT

• ARBEITFlex Work

• Wertewandel • Work-Life-Balance• Kampf um Talente

BILDUNGBildung in der

Informationsgesellschaft• Individualisiertes Lernen• Kreativität

Page 23: Österreich 2030

23

FLEX WORK

In einer global vernetzten Wirtschaft unterliegt die Arbeitswelt einem rasanten Strukturwandel. Die Anpassungsfähigkeit an Veränderung entscheidet über den Erfolg von Individuen und Unter-nehmen. Die Fragmentierung des Arbeitsmarkts geht weiter voran, die Schere zwischen (Hoch-)Qualifizierten und schlecht Ausgebildeten geht auseinander. Der „Lebensarbeitsplatz“ wird in Zukunft immer seltener, die Job-Mobilität der Arbeitskräfte nimmt zu.

Auf die Arbeitswelt der Zukunft wirken als große Einflussfaktoren10 u gesellschaftlicher Wandel, u Neue (Informations-)Technologien sowie die u Globalisierung ein.

GESELLSCHAFTLICHER WANDEL:

Zunehmend nomadische Biografien (Flex Living, Patchwork-Familien), demografischer Wandel (Alterung, Feminisierung etc.) und eine stärkere kulturelle Diversität (Migration) verändern die Arbeitswelt von morgen.

Da in Zukunft Lebensläufe immer weniger linear, sondern von hoher Mobilität gekennzeichnet sind (Jobwechsel, Berufsumstiege, Sabbaticals etc.), werden sich auch Arbeitszeitmodelle weit stärker als bisher flexibilisieren (Jahres- und Lebensarbeitszeit-Modelle, inkl. Beamte) und an den individuellen Lebensphasen und Bedürfnissen der Mitarbeiter orientieren. So werden bei-spielsweise bedarfsorientierte Zeitmodelle („Semi-Retirement“) für die älteren Arbeitnehmer (die ja künftig viel länger im Berufsleben stehen) implementiert. Spezielle Fördermaßnahmen für Ältere (Age-Management) werden in alternden Belegschaften unerlässlich. Aber auch Teil-zeit-Arbeit (Job-Sharing) für Manager (etwa der zweiten Ebene) kann den spezifischen Bedürf-nissen in bestimmten Lebensphasen entsprechen.

10) Zu den Gestaltungsinstrumenten der Zukunft siehe unser future.lab Modell: http://www.iv-future.at/bm12

Page 24: Österreich 2030

24

NEUE (INFORMATIONS-)TECHNOLOGIEN:

Neue Technologien erhöhen die Produktivitätszuwächse und verändern den Informations- und Kommunikationsfluss. In einer vernetzten Informations-Gesellschaft, die zunehmend mo-bil kommuniziert, weichen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit immer mehr auf. In der 24-Stunden-Ökonomie wird der digitale Nomade zur Leitfigur – immer und überall „connec-ted“. Die On- und Offline-Welt konvergieren. Privatheit verändert sich - nicht nur in Hinblick auf Arbeit, gerade durch neue Medien und deren Einflüsse (z.B. Social Media, Facebook etc.). Die Zunahme der Medialisierung führt zu einer Fragmentierung der Gesellschaft.

Der Transfer von Informationen und Ideen erfolgt jederzeit und an jedem Ort, neue Technologi-en wie Cloud Computing und Machine-to-Machine-Kommunikation verstärken diese Entwick-lung. Aber nicht nur die Arbeit wird – in den wissensbasierten Berufen (nicht aber in Produkti-on und vielen Dienstleistungen) – ortsunabhängiger. Auch privat nimmt der mobile Zugriff aufs Netz zu – bereits heute sind 56% der Österreicher zwischen 16-74 Jahren via Handy, Tablet etc. außer Haus im Netz.11

GLOBALISIERUNG:

In einer globalisierten Wirtschaft verschieben sich die Wachstumszonen immer wieder und setzen damit eine weltweite Wanderungsspirale in Gang, einen Transfer von Investitionen, Pro-duktionsstätten und Arbeitskräften in die jeweils dynamisch wachsenden Regionen.

Weltweit gab es, laut UN, 214 Millionen Migranten im Jahr 2010. In Österreich leben aktuell über 1,5 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund.12 Kulturelle Diversität, das Managen kultureller Unterschiede, wird für einen Wirtschaftsstandort somit zu einer strategischen Ker-naufgabe. Integrationspolitik wird in einer alternden Gesellschaft zu einem wichtigen Instru-ment für Talente-Marketing.

11) Quelle: Statistik Austria, 12/1212) Q: Statistik Austria, Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung 3/2013

Page 25: Österreich 2030

25

WERTEWANDEL

Werte verschieben sich auch in der Arbeitswelt, wenngleich sehr langsam. Jene, die morgen an den entscheidenden Hebeln in Wirtschaft und Gesellschaft sitzen, sind die Angehörigen der Generation Y (geb.1980-1995). Diese Generation ist die erste, die mit dem Computer und Internet aufgewachsen ist. Diese „Digital Natives“ sind die Kinder der Netzwerk-Kultur, sie gehen nicht „ins Internet“, sie leben gleichermaßen in der virtuellen wie in der physischen Welt (ihre Nachfol-ger-Generation, die Generation Z noch selbstverständlicher).

Die Generation Y hat ein anderes Werteset als ihre Vorgänger-Generation, im Vordergrund stehen für sie:

• selbstbestimmtes Arbeitsleben• persönliche Entwicklung & Sinnstiftung • Balance Arbeit-Freizeit.

Die steigende Komplexität der Informationsgesellschaft verstärkt das Netzwerk-Denken und die Projektorientierung. Arbeiten werden zunehmend in Netzwerken (externe Mik-ro-Unternehmen ergänzen in konkreten Aufgabenstellungen Kernteams des Unterneh-mens) sowie in übergreifenden Teams projektorientiert erledigt, der Angestellte wird zu einem „Intrapreneuer“, einem Entrepreneur im Unternehmen.

WERTEWANDEL IN DER ARBEITSWELT13

Digital Immigrants Digital Natives

Arbeit Pflicht Selbstverwirklichung

Arbeitszeit Starr geregelt Möglichst flexibel

Werte Vernunft, Ordnung, Vorsorge

Emotion, Erlebnis, Hier und Jetzt

Anpassungs-bereitschaft

Hoch (Arbeitsplatz sicher)

Niedrig (Wechsel bei Unzufrie-denheit)

Autorität Vorgezeichnet Selbst gebaut

Karriere Senioritätsprinzip Leistung zählt

13) Quelle: Maren Lehky, Leadership 2.0: Wie Führungskräfte die neuen Herausforderungen im Zeitalter von Smartphone, Burn-out & Co. managen, Frankfurt New York 2011

Page 26: Österreich 2030

26

WORK-LIFE-BALANCE Die Generation Y, legt stark Wert auf Individualität und damit auch auf individuelle Bedin-gungen am Arbeitsplatz. Sie hat bei ihren Eltern erlebt, dass Zeit eine heimliche Leitwäh-rung ist – die gesellschaftliche Spaltung zeigt sich darin, dass die einen viel Zeit und wenig Geld haben, die anderen wenig Zeit und viel Geld. Diese Widersprüche in neuen, individuali-sierten und Performance-orientierten Arbeitsformen aufzulösen, ist der jungen Generation, den immer stärker mobil arbeitenden Digital Natives, wichtig.

Die Produktivität eines Unternehmens steigt mit der Zufriedenheit der Mitarbeiter. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeits- und Frei-Zeit ist künftig ein wesentlicher Bestandteil einer attrak-tiven Unternehmens-Kultur. Dies schließt auch eine Erweiterung des Arbeitsbegriffes um Bürgerarbeit sowie ehrenamtliche Tätig-keiten mit ein - im Sinne gesellschaftlicher Verantwortung.

KAMPF UM TALENTE Angesichts des demografischen Wandels und des damit auch für Österreich prognostizierten künftigen Fachkräftemangels kommt dem Recruiting eine entscheidende Rolle zu. Talente-Mar-keting wird zu einer zentralen strategischen Aufgabe im Unternehmen (Menschen müssen zum Unternehmen passen). Auch das Image eines Unternehmens (Employer Brand) und damit seine Unternehmens-Kultur sind im Wettbewerb um Qualifizierte strategisch zu pflegende Wettbe-werbsstärken der Zukunft. Talente-Marketing adressiert sich aber nicht nur an die Jungen, in Zu-kunft werden auch ältere Arbeitnehmer mit ihren spezifischen Kompetenzen in den Unternehmen gehalten werden müssen (derzeit sind nur 16 Prozent der Österreicher über 60 Jahre berufstätig, in Deutschland arbeitet jeder Zweite in dieser Altersgruppe).

Die Generation Y macht ihre Loyalität und ihre Bindung an ein Un ternehmen stark von der Erfül-lung ihrer Werte ab – dazu gehören künftig Kernarbeitszeiten ergänzt durch flexible Arbeitszeiten („Vertrauensarbeitszeit“), eine Tätigkeit, die die eigene Persönlichkeit weiter entwickelt, sowie eine individuelle Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben. Auch die Job-Rotation ist ein wichti-ger Faktor des zukünftigen Arbeitsplatzes. Dadurch kann Job-Hopping vermieden werden, zudem entsteht ein hohes Lernpotential durch abwechslungsreiche Tätigkeiten.

 

Page 27: Österreich 2030

27

BILDUNG IN DER INFORMATIONSGESELLSCHAFTIn einer zunehmend wissensbasierten Gesellschaft ist Wissen ein „Grundnahrungsmittel“, der einzige Rohstoff, der bei Gebrauch nicht weniger wird, sondern sich vermehrt. Bildung wird zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor für Menschen und Standorte und ist damit eines der Schlüs-selthemen der Zukunft.

In den industrialisierten Ländern nimmt der Anteil an Informations- und Knowledge-Workern zu, aber auch die sinkende Zahl der „Routine Worker“ muss – im globalen Wettbewerb stehend - ihr Bildungsniveau erhöhen. Die Qualifikationsanforderungen (fachliche, technologische und soziale Kompetenz) steigen generell für alle Berufsgruppen. Auch wächst der Bedarf an Arbeitskräften mit einer abgeschlossenen betrieblichen Lehre (duale Ausbildung).

Der Bildung – und der Weiterbildung – kommt ein entscheidender Stellenwert zu, sowohl für die Karriere wie auch für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Standorten. Dabei ist ne-ben der Ausbildung aber auch die Bildung wichtig – generell fokussiert unsere Gesellschaft zwar die Ausbildung, wobei Bildung das „wertvollere“ Gut ist (und der persönlichen Entfaltung und der Orientierung in einer komplexen Welt dient).

Page 28: Österreich 2030

28

Investition in die Ausbildung muss schon im Kindergarten beginnen, wollen wir unsere Kinder auf die Qualifikations- und Bildungsanforderungen der Zukunft vorbereiten. Kindergarten-Pädagogen werden aufgewertet – sie bereiten schließlich den Boden für die Talente von morgen. Kinder und Jugendliche müssen in der globalisierten Wirtschaft von morgen über ein breiteres Kompetenz-spektrum als je zuvor verfügen, und sie werden Berufe ausüben, die heute noch gar nicht existie-ren.

Auch wenn die MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) über Wachs-tum und Innovationskraft eines Landes entscheiden, sind künftig auch weiche Faktoren bedeut-sam - generalistisches und interdisziplinäres Denken, aber auch Soft Skills, das Erlernen von Konfliktmanagement und Teamfähigkeit, von Eigenverantwortung und Innovationsfähigkeit („Mut zum Scheitern“) sowie Medien-Kompetenz als neue Kulturtechnik („digitales Klassenzimmer“). Ein wichtiger Erfolgsfaktor (für die eigene Persönlichkeitsentwicklung wie für den Unterneh-mensstandort) wird künftig die Förderung von Kreativität und die Entfaltung der eigenen Talente. Die Qualifikationen in der Wirtschaft von morgen erfordern ein Umdenken in Struktur, Inhalten und Organisation des österreichischen Schulsystems, im Sinne von „Schule 2020“. Wirtschaft und Bildungseinrichtungen werden sich weit stärker als bisher verschränken, der Übergang vom Bil-dungssystem zum Arbeitsmarkt wird flüssiger, Bildung wird praxisorientierter und messbarer.

INDIVIDUALISIERTES LERNEN

Individualität wird auch in der Bildung wichtiger, Individalität braucht dort Orte und Rahmenbedingungen, in und unter denen sie sich entfalten kann.

Bildung wird sich künftig stärker mit der biografischen Mobilität (Lebenspha-sen) verzahnen und sich dabei nicht nur auf die Vermittlung von (Fach-)Wissen beschränken, sondern auch Fähigkeiten vermitteln, die der Persönlichkeits-entwicklung dienen. Bildung ist ein persönlicher Prozess und kann daher nicht im herkömmlichen Sinne „hergestellt“ werden.

Angesichts gesellschaftlicher Veränderungen und flexibler Arbeitsmarkt (so-ziale Fragmentierung, Migration, alternde Gesellschaft etc.) wird sich Bildung/Weiterbildung künftig stärker an den Bedürfnissen spezieller Zielgruppen ausrichten:

• Bildung für „bildungsferne Gruppen“ (derzeit sind ca. sieben Prozent der 16-24-Jährigen in Österreich „NEET“ (Not in Education, Employment or Training)14, vor allem Menschen mit Migrationshintergrund fallen unter diese Risikogruppe. Insbesondere die „Early school leavers“, die frühen Schulabbrecher, müssen durch Qualifizierungsmaßnahmen ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen

14) Quelle: Institut für Soziologie der Universität Linz

 

Page 29: Österreich 2030

29

• Wiedereinsteigerinnen (Weiterqualifizierung, aber auch Steigerung des Frauenanteils in technischen Berufen)

• Silver Learning: die steigende Lebensarbeitszeit macht ein lebenslanges Lernen unabdingbar, gerade auch ältere Arbeitnehmer müssen über spezielle Weiterbildungs- maßnahmen fit gemacht werden

• Blended Learning: technologiebasiertes Lehren und Lernen, neue Web-Formate wie Massive Open Online Courses und frei zugängliche Online-Vorlesungen ermöglichen vielfältige und mobile Zugänge zu Wissen. Blended Learning (Präsenztermine und Selbstlernphasen) ein wichtiger Teil der Wissensvermittlung in der mobilen Informationsgesellschaft von morgen.

KREATIVITÄTIn einer hoch kompetitiven Informationsgesellschaft sind neue Kultur-Techniken erforderlich, die Nachfrage nach Kreativität – als Katalysator für Innovationen - steigt. In einer globalen Wirtschaft können sich westliche Wirtschafts-Standorte künftig nur durch gesteigerte Wertschöpfung und Innovations-Leistungen als Hochlohn-Standort behaupten.

Je stärker neue Wachstumsregionen weltweit Investoren und Talente ansaugen, desto wichtiger werden als Erfolgsfaktoren Wissens-Exzellenz und Kreativität. Wertschöpfung wird vor allem durch kreativen Wissens-Transfer erzielt („Die Welt bewegt sich vom Kapitalismus zum Talen-tismus“)15. Wettbewerbsvorteile erzielt, wer aus Information Wissen generiert und dieses dann – mittels Kreativität – in innovative Produkte übersetzt. Kreativität ist die DNA einer innovativen, wettbewerbsfähigen Gesellschaft.

In einer wissensbasierten Ökonomie verschwimmen die Grenzen zwischen Produktion, Dienst-leistung und Konsum. Kreativität wird dabei zu einem zentralen Produktivitätsfaktor. Sie entsteht in kreativen Hubs im Umfeld von Produktion, F&E, kulturellen und subkulturellen Szenen sowie innovativen Dienstleistern.

14) Quelle: Institut für Soziologie der Universität Linz15) Quelle: Klaus Schwab, Präsident des Weltwirtschaftsforums

INFORMATION WISSEN INNOVATION

KREATIVITÄT

Page 30: Österreich 2030

30

Die Kreativwirtschaft, die Creative Economy, ist in vielen Volkswirtschaften ein ebenso starker Wachstumssektor wie Imagefaktor und wird - in regionalen Cluster-Initiativen – vorangetrieben. Kreative Innovations-Leistungen verdichten sich vor allem in den „urbanen Korridoren“ (Richard Florida) – so machen die Umsatz-Leistungen der Kreativwirtschaft in Wien 59 Prozent der gesam-ten heimischen Branche aus. In Österreich gehört jedes zehnte Unternehmen zur Kreativwirt-schaft, 4 Prozent der Erwerbstätigen sind in ihr beschäftigt, ihr Anteil am heimischen BIP macht 2,1 Prozent aus.16

Der Kreativitäts-Index einer Gesellschaft zeichnet sich auch im smarten Umgang mit neuen Technologien und neuen Arbeitskulturen aus. In einer wissensbasierten Ökonomie steigt die Kom-plexität – viele Tätigkeiten erfordern ein Zusammenarbeiten in Netzwerken und eine Interaktion divergenter Leistungsträger im Unternehmensumfeld. Crowd Sourcing im Netz (Unternehmen nutzen die Kreativität und die Fähigkeiten der Kunden bei der Produktgestaltung etc.) wird zur Grundmelodie der digitalen Ökonomie.

16) Quelle: Fünfter österreichischer Kreativwirtschaftsbericht, creativ wirtschaft austria 2013

Page 31: Österreich 2030

31

Learnings für iv.future:

u Lebensläufe werden mobiler, Arbeitszeitmodelle werden flexibler und orientieren sich an den individuellen Lebensphasen der Mitarbeiter (Jahres- und Lebensarbeitszeit-Modelle, Semi-Re-tirement-Modelle für ältere Arbeitnehmer usf). Diversität prägt die Unternehmenskultur von morgen.

u Werte verschieben sich auch in der Arbeitswelt. Für die morgen tonangebende Generation Y (geb.1980-1995) sind ein selbstbestimmtes Arbeitsleben (Mitarbeiter als Entrepreneur im Un-ternehmen), persönliche Entwicklung sowie eine ausgewogene Balance Arbeit-Freizeit wichtig.

u Die Produktivität eines Unternehmens steigt mit der Zufriedenheit der Mitarbeiter. Zu einem motivierenden Arbeitsumfeld gehören Eigenverantwortung, Work-Life-Balance, Corporate He-alth-Programme (Stressmanagement, Burn-Out-Prävention etc.). Spezielle Fördermaßnahmen für ältere Arbeitnehmer (Age-Management) werden in alternden Belegschaften unerlässlich.

u In einer wissensbasierten Gesellschaft wird Bildung zu einem Schlüsselthema. Bildung – und Weiterbildung – ist sowohl für die Karriere eines Einzelnen wie auch für die Wettbewerbsfä-higkeit von Standorten entscheidend. Neben der Ausbildung ist aber auch die Bildung wichtig – unsere Gesellschaft fokussiert zwar die Ausbildung, dabei ist Bildung das „wertvollere“ Gut (sie dient der persönlichen Entfaltung und der Orientierung in einer komplexen Welt).

u Investition in die Ausbildung muss schon im Kindergarten beginnen, wollen wir unsere Kinder auf die steigenden Qualifikations- und Bildungsanforderungen der Zukunft vorbereiten. Indi-vidualität wird auch in der Bildung wichtiger, sie braucht Orte und Rahmenbedingungen zur Entfaltung.

u Bildung wird sich künftig stärker mit der biografischen Mobilität verzahnen und sich nicht nur auf die Vermittlung von (Fach-)Wissen beschränken, sondern auch Fähigkeiten vermitteln, die der Persönlichkeitsentwicklung dienen. Talente wollen entwickelt werden.

u Angesichts gesellschaftlicher Veränderungen wird sich Bildung stärker an den Bedürfnissen spezieller Zielgruppen ausrichten: „bildungsferne Gruppen“, Wiedereinsteigerinnen, Silver Worker, Blended Learning (Online-Lernen).

u In einer kompetitiven Informationsgesellschaft steigt die Nachfrage nach Kreativität als Katalysator für Innovationen. Wettbewerbsvorteile erzielt, wer aus Information Wissen ge-neriert und dieses – mittels Kreativität – in innovative Produkte übersetzt. Heimische Wirt-schafts-Standorte können sich künftig nur durch kreative Innovations-Leistungen als Hoch-lohn-Standort behaupten.

Page 32: Österreich 2030

4. ÖSTERREICH UND EUROPA

• STANDORT ÖSTERREICH• METROPOLE WIEN• ÖSTERREICH UND EUROPA

Page 33: Österreich 2030

STANDORT ÖSTERREICH

Österreich ist eines der reichsten Industrieländer (mit dem siebtstärksten BIP pro Kopf weltweit), eine relativ gut gebildete breite Mittelschicht hat dem Wirtschaftsstandort Österreich in der Ver-gangenheit zu seiner Stärke verholfen. Seit einigen Jahren fällt Österreich jedoch in internationa-len Standort-Rankings zurück, etwa im „World Competitiveness Ranking“ des IMD (aktuell Platz 23, vor drei Jahren war es noch Rang 14).

Länder stehen in einem verschärften weil globalen Wettbewerb um Talente und Investoren. Auf-grund niedrigerer Produktionskosten findet eine Abwanderung von Produktionsstätten aus Öster-reich statt. Auch ist davon auszugehen, dass langfristig Forschungs- und Entwicklungseinrichtung den Produktionsstätten „nachziehen“ werden.

Um die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Österreich (der in ausgesuchten Berei-chen Weltspitze ist) in Zukunft gewährleisten zu können, ist eine Konzentration auf Spitzenleis-tungen in Zukunftstechnologien (wie Green Technologies, IKT u.a.) und Nischenbereichen erfor-derlich. Österreich kann nur durch Exzellenz wettbewerbsfähig bleiben – dazu gehört auch die strategische Pflege einer Start-up-Kultur (laut Global Entrepreneurship Monitor liegt Österreich mit seinen Unternehmensgründungen weltweit auf dem fünften Platz der innovationsbasierten Länder). Die Wachstumsfelder der Zukunft müssen durch Innovations-, Forschungs- und Bil-dungsförderungen gestützt, entsprechende Maßnahmen jedoch schon heute eingeleitet werden, da sich Investitionen in Bildung erst in 10-20 Jahren rechnen.

Wachstum bedeutet Leistungsfähigkeit. Eine Ökonomie der Nachhaltigkeit zeichnet sich aus durch eine Diversifizierung der Wirtschaft (Vermeidung von Klumpenrisiken), stärkeres Inves-tment in Humankapital, eine Erhöhung der Forschungsintensität. Der Staat ist ein schlechter Innovator, seine Aufgabe ist es, gute Rahmenbedingungen (für Start-ups etc.) zu schaffen.

Der Wohlstand in Österreich ist relativ fair verteilt, Österreich liegt mit Finnland, Schweden und den Niederlanden im Spitzenfeld bezüglich der Vermögensverteilung (Gini-Koeffizient). Auch ist der Anteil der „verfestigten“ Armut in Österreich gering: nur 26 Prozent der Menschen, die zu den zehn Prozent mit den geringsten Einkommen zählten, verharrten in ihrer prekären Situation. Drei Viertel von ihnen schafften den Aufstieg.17

3317) Quelle: Statistik Austria; IV

 

Page 34: Österreich 2030

GESELLSCHAFTSPOLITIK

Für die Erhaltung des Wohlstands in Österreich sind neben wirtschaftlichen Spitzenleistungen nicht nur eine höhere Qualifikation der Menschen und ein arbeitsmarktpolitisches Maßnah-men-Set (z.B. qualifizierte Zuwanderung, Silver Work u.a.) unabdingbar, sondern auch eine strukturelle Anpassung der (gesellschafts-) politischen Rahmenbedingungen. Auch Verteilungs-gerechtigkeit und soziale Fairness sind bestimmende Faktoren der Gesellschaft von morgen. Die Absicherung des Wohlstands beschäftigt auch die jungen Österreicher - mehr als drei Viertel der 14-29-Jährigen denken pessimistisch über die gesellschaftliche Zukunft – ihre eigene Zukunft hingegen sehen 65 Prozent der Jungen „eher optimistisch“ bis „sehr optimistisch“.18

Gesellschaftspolitisch ist die Verteilung von öffentlichen und privaten Aufgaben neu zu justieren, somit auch die Rolle der Zivilgesellschaft – ist diese eine „dritte Kraft“ zwischen Staat und Privat? Die Rolle der Zivilgesellschaft, also einer Gruppe von sich gesamtgesellschaftlich artikulierenden Menschen, die bestimmt wie „de iure“ in „de facto“ umgewandet wird, ist sowohl in Konkurrenz- als auch in Konkordanzdemokratien gleich, der politische Rahmen aber muss stimmen. In Öster-reich ist der strukturelle Rahmen für diese dritte Kraft traditionell sehr eng gesteckt.

18) Quelle: Integral, T-Factory: Sinus-Milieu-Jugendstudie, Wien 201334

Page 35: Österreich 2030

Angesichts der immer dichteren sozialen Vernetzung (Social Media, Crowd Sourcing etc.) bahnen sich neue partizipative Modelle in Gesellschaft und Wirtschaft ihren Weg, z.B. Social Investment.19

So können etwa Sozialentrepeneure in jenen Bereichen Lösungen anbieten, für die der Staat allei-ne nicht mehr aufkommt, allerdings muss die Bedeutung sozialer Investitionen erst stärker in die Köpfe der Bürger gelangen.

Die „liquide Moderne“ (Zygmunt Bauman) löst starre Zeit- und Raum-Strukturen ebenso auf wie die Grenzen zwischen Öffentlich und Privat. Die Grenzen zwischen Leistungsgesellschaft und Eigenverantwortung der Bürger stehen auf dem Prüfstand - Leistungsgedanke versus soziale Gerechtigkeit bzw. Leistungsgerechtigkeit versus Chancengerechtigkeit. Aber auch die Vertei-lung der Aufgaben zwischen Staat und Privat ist zu überdenken. Gewisse Aufgaben müssen in der Hand des Staates bleiben, aber in anderer Form als bisher durchgeführt werden. In vielen Be-reichen hat der Staat die Grundaufgabe, Rahmenbedingungen zu definieren (z.B. im Bildungsbe-reich: Inhalte soll der Staat festlegen, aber nicht Schulen selbst führen; ausgelagert gehören z.B. Erwachsenenbildung, Schulerhaltung/-errichtung etc.). Eine Reihe von Aufgaben, die bislang vom Staat wahrgenommen werden, kann entweder an private Personen/Institutionen/Unternehmen oder zivilgesellschaftliche Institutionen wie z.B. Vereine ausgelagert werden (z.B. Museen).

Für Österreich wäre ein verstärktes Bottom-Up-System wünschenswert: der Staat springt nur dann ein, wenn das Individuum nicht kann. Partizipation hängt sehr stark von der Qualität der Prozesse ab – die Kultur einer direkten Demokratie muss sich in der Bevölkerung erst entwickeln, dazu gehört auch eine gut funktionierende Medienlandschaft. Auch stellt die Stärkung der Zivil-courage ein besonders wichtiges Ziel dar, sie muss im gesellschaftspolitischen Wirken stärker forciert und gefördert werden.

Die Eigenverantwortlichkeit der Bürger ist auch in Hinblick auf die Sicherung der sozialen Stan-dards wichtig. Eine moderne Netzwerk-Gesellschaft beruht auf einem starken sozialen Kapital. Freiwilligenarbeit und Ehrenamt bedeuten auch eine Partizipation an gesellschaftlichen Prozes-sen. Besetzt Österreich beim politischen Engagement der Bürger (Mitgliedschaft in politischen Vereinigungen, Teilnahme an politischen Veranstaltungen u.a.) einen Platz im europäischen Spitzenfeld hinter den skandinavischen Ländern, so liegt es bei der Freiwilligenarbeit im Mittel-feld. Untersuchungen zeigen, dass in Ländern mit langjähriger demokratischer Tradition, starkem Sozialsystem und geringer sozialer Ungleichheit auch ein höheres Partizipationsniveau besteht.20

19) Ein Beispiel für Social Investment in Österreich ist die Zweite Bank - ein von der Erste Stiftung (Erste Bank) gegründeter Verein, der Menschen Zugang zu Finanzdienstleistrungen bietet, die sonst keine Chance dazu haben20) Quelle: Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, Freiwilliges Engagement in Österreich. 1. Freiwilligenbericht, Wien 2011 http://bmsk2.cms.apa.at/cms/freiwilligenweb/attachments/9/4/3/CH1074/CMS1292589117805/freiwilligenbericht_letztf.3_(2)[1].pdf 35

Page 36: Österreich 2030

NATION BRANDING

Die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Österreich hängt künftig, angesichts des demografischen Wandels, insbesondere auch vom Zustrom qualifizierter Migranten und interna-tionaler Investoren ab. Damit Österreich erfolgreich um globale Talente und Investitionen werben kann, braucht es neben einem starken wirtschaftlichen Profil auch ein attraktives Image „draußen in der Welt.“ Vor dem Hintergrund eines jedoch (besonders bei Jungen nachweislich) schwachen Images Österreichs wurde in einem Nation Branding-Prozess eine neue Marke für den Standort Österreich entwickelt.

Eine starke Marke ist ein wichtiges Kommunikations-Instrument im Standort-Wettbewerb und dient als Hebel zur Schärfung von Profilthemen. Die neu entwickelte Standort-Marke für Öster-reich beruht auf der Markenessenz: „Brückenbauer für die Welt“ und soll die „Brückenfunktion zwischen etablierten und sich entwickelnden Märkten“ (Südosteuropa, Zentralasien, Nordafrika etc.) betonen.21

Die Produkte und Menschen eines Landes sind seine besten Marken-Botschafter. Österreich be-herbergt eine Reihe von Weltmarktführern und Hidden Champions, diese Unternehmen sind aber international oft nicht hinreichend bekannt. Die privatwirtschaftliche Initiative „21st Austria“ - ein Zusammenschluß von sechzehn börsennotierten Konzernen – will dies ändern und bewirbt Öster-reich speziell im angloamerikanischen Raum als innovativen Standort mit starker technologischer Kompetenz.

21) Quelle: http://www.bmwfj.gv.at/Aussenwirtschaft/nationbrandingaustria/Seiten/default.aspx; http://www.bmwfj.gv.at/Aussenwirtschaft/ nationbrandingaustria/Documents/Austria%20Competitive%20Identity%20Project%20-%20Final%20Report%20GER.pdf

36

Page 37: Österreich 2030

METROPOLE WIEN

Das 21. Jahrhundert ist das Zeitalter des urbanen Raums. Seit 2008 leben erstmals in der Ge-schichte weltweit mehr Menschen in der Stadt als auf dem Land. Die Ursachen liegen meist im vermehrten Arbeitsplatzangebot sowie in der freieren Gestaltungsmöglichkeit des Lebensstils („Stadtluft macht frei“). Demzufolge wird sich die Verstädterung der Welt auch in den nächsten Jahrzehnten fortsetzen. Die UNO schätzt, dass sich im Jahr 2030 das Verhältnis von Stadt- zu Landbewohnern (noch weiter) auf 60 zu 40 verschieben wird.

Auch in Wien nimmt die Einwohnerzahl stetig zu. Bereits im Jahr 2038 wird die 2-Millionen-Einwohner-Grenze überschrei-ten22. Diese Entwicklungen bringen neue Herausforderungen für den Arbeits- und Lebensraum Wien mit sich. Zudem erfordert ein effizienter und effektiver Urbanisierungsprozess auch die Miteinbeziehung des regionalen Umfelds. Wien kann diesbezüg-lich auch als Metropolregion verstanden werden, die die Rolle eines nationalen Motors für Österreich und die Nachbarregionen in CEE einnimmt. Im künftig forcierten Wettbewerb der Regi-onen zählen die Metropol-Regionen zu den Gewinnern - dank ihrer verdichteten Infrastruktur, ihrer Verzahnung von Industrie, F&E-Zulieferern und Dienstleistern („Agglomerations-Ökono-mie“).

In den großen städtischen Agglomerationen ballen sich weltweit nicht nur Bewohner und Unter-nehmen (die 600 größten Städte der Welt generieren heute bereits die Hälfte der globalen Wirt-schaftsleistung, Tendenz steigend), sondern auch massive Probleme: Verkehrsstau, CO2-Emis-sionen, Kampf um Ressourcen jeglicher Art usf. Daher stehen Städte weltweit vor einem dramatischen Strukturwandel hin zur nachhaltigen und intelligenten Stadt (Smart City). In den großen urbanen Knotenpunkten entscheiden Infrastruktur und logistische Intelligenz über die Lebensqualität der Bewohner ebenso wie über die wirtschaftliche Performance. Menschen und Waren müssen effizient (also möglichst ohne Stau) und Ressourcen schonend bewegt werden. Wien liegt seit einigen Jahren im weltweiten Stadtlebensqualität-Ranking (Mercer Human Re-source Consulting) auf dem 1. Platz. Lebensqualität – in ihrer ökonomischen, ökologischen und sozialen Verschränkung – ist ein strategisches Thema im Standort-Wettbewerb der Städte. Integ-rierte Stadtplanung ist ein zentraler Pfeiler städtischer Lebensqualität.

Städte der Zukunft organisieren sich nachhaltig, sind durchmischt und smart. Durchmischung bedeutet nicht nur soziale Durchmischung, sondern auch Integration von Wohnen, Arbeiten und Freizeit. Um eine soziale Durchmischung auch morgen zu ermöglichen, ist ein breites Angebot an Arbeitsplätzen erforderlich, das der Dienstleitungsbereich allein nicht bieten kann – Produk-tion ist auch im städtischen Gebiet ein Job-Motor – gerade die innovationsbasierten Zukunfts-branchen wie Clean Tech, IKT oder Logistik bieten hier zahlreiche Chancen. Damit Wien auch in Zukunft ein attraktiver Wohn- und Arbeitsort bleibt, müssen die Stärken als Standort für Leitbe-triebe gefördert und jene Möglichkeiten genutzt werden, die sich für Wien als potentieller mittel-europäischer Logistikknotenpunkt bieten.

22) Quelle: Statistik Austria

37

Page 38: Österreich 2030

Für die auch künftig erfolgreiche Profilierung Wiens bedarf es Innovationsimpulse, u.a. von Seiten der Industrie, beispielsweise für die zukünftige Stadtgestaltung und der Zusammenarbeit zwischen urbanen Akteuren, auch über Eigentümergrenzen hinweg. Erfolgreiche internationale Beispiele für ein übergreifendes Engagement städtischer Akteure sind etwa die BID’s (Business Improvement Districts, wie sie etwa auch in deutschen Städten, vor allem in Hamburg) gepflegt werden: in einem räumlich klar definierten Geschäftsgebiet arbeiten Handel, Gewerbetreibende und Immobilieneigentümer - selbst organisiert – zusammen, um z.B. die Aufenthaltsqualität in einer Geschäftsstraße zu verbessern.

In einer wissensbasierten Gesellschaft sind Wissen und Kreativität sowie die daraus generier-ten Innovationen die Erfolgs- und Wachstumsfaktoren von morgen. In vielen Städten entstehen neue Formate, die Wissen spielerisch kommunizieren und Wissenschaft zum Anfassen anbieten (Science Festivals, Science Center, Science Busters (Motto: „Wer nichts weiß, muss alles glau-ben“), in Deutschland gibt es die Auszeichnung „Stadt der Wissenschaft“, ein begehrtes Label im Standort-Marketing. Im Wettbewerb um kreative Köpfe und Investitionen ist die Wissenschaft ein zentraler Impulsgeber für Städte. Damit Wien eine führende Innovations- und Bildungsmetropole wird, muss in technische- und naturwissenschaftliche Bereiche investiert werden.

Die Bildungsstruktur der Wiener Bevölkerung ist schon heute eine deutlich andere als die in Österreich: Der Anteil der 20- bis 64-Jährigen, die mindestens Matura als höchsten Bildungs-abschluss besitzen, liegt gut 10 Prozentpunkte über dem Durchschnitt Österreichs (41 Prozent im Vergleich zu 30 Prozent). Gleichzeitig ist der Anteil derer mit maximal Pflichtschulabschluss jedoch auch höher: 23 Prozent in Wien, 19 Prozent in Österreich. Die Entwicklungen im Bereich Migration in Wien verlaufen ähnlich wie in Gesamt-Österreich, beginnen aber auf einem höheren Niveau. Da der Anteil der 20- bis 64-Jährigen mit einem höheren Bildungsabschluss schon heute über dem österreichischen Durchschnitt liegt und der Anteil der Zuwanderer aus Drittstaaten in Wien größer ist, würde eine gesteuerte Zuwanderung höher Qualifizierter bis 2050 sogar zu einem Anteil von knapp 60 Prozent führen.23

Vorausschauende Konzepte zu Themen wie Migration/Integration, Bildung/Ausbildung und Er-werbstätigkeit werden in Bezug auf eine Absicherung des Lebens- und Wirtschaftsraums Wiens immer wichtiger - auch für die Industrie in Wien.

23) Quelle: Wittgenstein Centre / IV, Future Monitor. Wien und Österreich-Monitor im Vergleich

25

0.20

0.30

0.40

0.50

0.60

0.70

0.80

2010

2015

2020

2025

2030

2035

2040

2045

2050

Qualifizierter Zuzug

Wanderungssaldo=Null

Konstantes Szenario

0.20

0.30

0.40

0.50

0.60

0.70

0.80

2010

2015

2020

2025

2030

2035

2040

2045

2050

Qualifizierter Zuzug

Wanderungssaldo=Null

Konstantes Szenario

VERGLEICH MIGRATIONSSZENARIEN: ANTEIL DER 20- BIS 64-JÄHRIGEN MIT HÖHEREM BILDUNGSABSCHLUSS (B3 ODER B4)).

38

Page 39: Österreich 2030

ÖSTERREICH UND EUROPA

Die Weltwirtschaft ist fragmentiert wie selten zuvor, das Wachstum verläuft spätestens seit der Finanzkrise asynchron. In den vergangenen Jahrzehnten wies Europa ein lineares Wirtschafts-wachstum auf, mittlerweile ist aber eine Abflachung der Wachstumskurve deutlich bemerkbar. Asiatische Staaten konnten bisher hauptsächlich durch ihre leichte Verfügbarkeit einer großen Anzahl billiger Arbeitskräfte in ihrer Wirtschaftskraft gegenüber Europa und den USA stark aufholen. Durch die zunehmende Anzahl gut ausgebildeter Menschen und aufgrund großer Fort-schritte im Bereich Bildung in Asien verlieren Europa und Österreich aber immer mehr an Boden. Europa (und Österreich) kann im Wettbewerb mit den dynamischen Wachstumsländern nur mit Spitzenleistungen in Wachstumsbranchen (Hochtechnologie, Clean Tech, Life Science etc.) und gut ausgebildeten Arbeitskräften bestehen.

Durch eine uneinheitliche und unkoordinierte Wirtschafts- und Außenpolitik der Europäischen Union besteht weiters die Gefahr im „Währungskampf“ mit China und den USA aufgerieben zu werden und mittelfristig auf der Strecke zu bleiben, dies gilt ebenso für den wirtschaftlich- und außenpolitischen „Wettstreit“.

Was in den kleinen und großen Krisen seit 2008 deutlich wurde: die wachsende Komplexität und Vernetzung erhöhen die Anfälligkeit eines Standorts für systemi-sche Risiken. „Weltprobleme schaffen transnationale Gemeinsamkeiten. Wer die nationale Karte zieht, verliert.“24 Globale Probleme können in einer vernetzten Welt nur gemeinsam gelöst werden (Finanzkrise etc.). „In einer so dichten, interdepen-denten Welt können Nationalstaaten allein nicht länger bestehen“… Sie „finden sich allmählich in kooperativen Netzwerken zusammen, um den Realitäten einer globalisierten Hoch-risiko-Gesellschaft gerecht zu werden. Die Europäische Union ist das am weitesten fortgeschrit-tene Beispiel für neue, transnationale Regierungsmodelle…“25 Mit zeitlichem Abstand zur Finanz-krise muss mittlerweile jedoch erkannt werden, dass diese als Anstoß für tief greifende Reformen des Finanzmarktes (Regulierungsinstrumente, Ratingagenturen...) in Europa nicht genutzt wurde.

Im Prozess der weltweiten gesellschaftlichen Vernetzung kommt den sozialen Medien (Social Media wie Facebook, Twitter etc.) wachsende Bedeutung zu. So zeigten etwa die Ereignisse im nordafrikanischen Raum („Arabischer Frühling“) den Einfluss der Medien als Treiber von Umbrü-chen in Politik und Gesellschaft.

In einer global vernetzten Wirtschaft verteilen sich Chancen und Risiken immer wieder aufs Neue. In Europa nimmt die Fragmentierung zu, der Graben zwischen den hoch verschuldeten Staaten im Süden und den prosperierenden im Norden wächst. Für die schwer angeschlagenen Süd-Staaten (in Griechenland und Spanien sind mehr als die Hälfte der unter 25-Jährigen ohne Arbeit) ist die dramatisch hohe Arbeitslosigkeit folgenreich: vor allem junge Hochqualifizierte verlassen man-gels Perspektiven ihr Land. Noch nie hat es eine so gut ausbildete Generation an Zuwanderern (an Fachkräften wie an Akademikern) gegeben, wie viele ihrer Altersgenossen in Europa interna-tional ausgerichtet – Europa ist den Jungen durch Erasmus und Praktika sprachlich wie kulturell vertraut. 84 Prozent der Jungen, so die Shell-Jugendstudie, verbinden mit Globalisierung vor allem die Freiheit, in der ganzen Welt reisen, studieren und arbeiten zu können.

Auch hierzulande glauben die Jungen an das europäische Projekt: mehr als zwei Drittel der 14-22-jährigen Österreicher meinen, dass die EU ihnen zahlreiche Chancen bietet.26 Während an der europäischen Peripherie ganze Landstriche ausdünnen, profitiert die Wirtschaft in den Wachstumsländern von der mediterranen Wanderungsbewegung.

24) Ulrich Beck, Edgar Grande, Das kosmopolitische Europa, Frankfurt/Main 200425) Jeremy Rifkin, Der Europäische Traum. Die Vision einer leisen Supermacht, Frankfurt/Main 200426) Quelle: Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE)

 

39

Page 40: Österreich 2030

Die Einstellung der österreichischen Bevölkerung zur Migration verändert sich allmählich: 67 Prozent der Österreicher glauben laut einer aktuellen Bertelsmann-Studie, dass es zwischen Ös-terreich und anderen hochentwickelten Ländern einen Wettbewerb um Fachkräfte gibt, 57 Prozent meinen, Österreich muss diese Fachkräfte aus dem Ausland gewinnen: vor allem im Pflege- und Gesundheitsbereich, aber auch im Bereich Elektrotechnik und Maschinenbau werden die größten Lücken befürchtet.27

Learnings für iv.future:

u Die Wachstumsfelder der Zukunft müssen durch Innovations- und Forschungsförderungen gestützt, entsprechende Maßnahmen jedoch schon heute eingeleitet werden.

u Eine aktive Zukunftsgestaltung erfordert eine intensive Vernetzung von Wirtschafts- und Wissenschaftselite zur gegenseitigen Bereicherung.

u Für die Erhaltung des Wohlstands in Österreich sind neben wirtschaftlichen Spitzenleistungen eine höhere Qualifikation der Menschen und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen unabdingbar, aber auch strukturelle Anpassungen der (gesellschafts-) politischen Rahmenbedingungen. Auch Verteilungsgerechtigkeit und soziale Fairness sind bestimmende Faktoren von morgen.

u Social Media als Form gesellschaftlicher Vernetzung ist mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

u Die Verteilung der Aufgaben zwischen Staat und Privat ist zu überdenken. Gewisse Aufgaben müssen in der Hand des Staates bleiben, aber in anderer Form als bisher durchgeführt wer-den.

u Das Thema Bildung rückt auch bei der Diskussion darüber, wie viel Staat und Privat in gewissen Bereichen nötig und gewünscht ist, sehr stark in den Vordergrund.

u Eine moderne Netzwerk-Gesellschaft beruht auf einem starken sozialen Kapital. Die Rolle der Zivilgesellschaft in Österreich ist zu klären. Neue partizipative Modelle wie z.B. Social Invest-ment werden wichtiger. Auch die Stärkung der Zivilcourage ist ein sehr wichtiges Ziel, sie muss im gesellschaftspolitischen Wirken stärker forciert und gefördert werden.

u Die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Österreich hängt auch vom Zustrom qualifizierter Migranten ab. Österreich braucht für sein Talente-Marketing eine starke Stand-ort-Marke (Nation Brand).

u Die Metropolregion Wien hat die Rolle eines nationalen Motors für Österreich und die Nachbar-regionen in CEE. Städte der Zukunft sind nachhaltig, durchmischt und smart. Damit Wien auch in Zukunft ein attraktiver Wohn- und Arbeitsort bleibt, müssen die Stärken als Standort für Leitbetriebe gefördert und innovationsbasierte Zukunftsbranchen wie Clean Tech, IKT oder Logistik forciert werden.

u Europa (und Österreich) kann im Wettbewerb mit den dynamischen Schwellenländern nur mit Spitzenleistungen in wissensintensiven Branchen und mit gut ausgebildeten Arbeitskräften bestehen.

u Die Jungen (in Österreich wie in Europa) glauben an das europäische Projekt. Die Migration der jungen, gut ausgebildeten Jungen aus der südlichen Peripherie ist eine große Chance für das Zusammenwachsen der Kulturen in Europa.

27) Quelle: Bertelsmann Stiftung, TNS Emnid 40

Page 41: Österreich 2030

5. FRAU UND MANN• FAMILIE IM WANDEL• BERUFS- UND PRIVATLEBEN• FRAUEN UND KARRIERE

Page 42: Österreich 2030

42

FAMILIE IM WANDEL

Der Individualisierungsschub der letzten Jahrzehnte hat die sozialen Beziehungen (Partnerschaf-ten/Familien) nachhaltig verändert. Vielfältige Lebens- und Beziehungsformen fächern heutige postmoderne Biografien auf - die traditionelle Familie besteht zwar weiterhin, aber häufig seriell, in wechselnder Zusammensetzung, in der „Normalisierung der Brüchigkeit“28.

Der Familienbegriff wird neu definiert, Familien werden bunter, ausdifferenzierter: neben die traditionelle Kernfamilie - Vater-Mutter-Kind(er) - treten neue Formen familialen und partner-schaftlichen Zusammenlebens: Patchwork-Familien, Partnerschaften, living together apart-Be-ziehungen, Ein-Eltern-Familien (in Österreich leben 287.000 Ein-Eltern-Familien mit Kindern aller Altersstufen)29.

Die pluralistischen Lebensentwürfe und vielfältigen Beziehungsmuster haben das (Zusammen-)Leben von Frauen und Männern stark verändert. Der Veränderungsdruck ging dabei in den letzten Jahrzehnten insbesondere von den Frauen aus – die verstärkte Berufstätigkeit und eine steigen-de Qualifikation der Frauen sind dabei wesentliche Treiber. Frauen sind – jenseits von medialen Stereotypen wie Power Frauen etc. – Game Changer, Agenten des Wandels.

Frauen sind heute überwiegend (zu mehr als zwei Dritteln) erwerbstätig, wodurch sie sich auch aus gewissen (personellen, finanziellen etc.) Abhängigkeitsverhältnissen befreit haben. Das hat auch stark spürbare Auswirkungen auf die demographische Entwicklung - österreichische Frauen bekommen im Schnitt 1,44 Kinder (eine der niedrigsten Raten in der EU) – und sie bekommen die Kinder immer später.

28) Quelle: Elisabeth Beck-Gernsheim, Was kommt nach der Familie? Einblick in neue Lebensformen, München 199829) Quelle: Statistik Austria

Page 43: Österreich 2030

43

Frauen sind heute höher gebildet als früher - Bildung ist (bis zum Doktorat) europaweit durch-wegs weiblich dominiert. Im EU-Durchschnitt erwerben 43,2 Prozent der Frauen und 27,5 Prozent der Männer einen Universitätsabschluss. In Österreich wurden 2010/11 57,7 Prozent der Reife-prüfungen von Frauen abgelegt und 55,5 Prozent der universitären Studienabschlüsse von Frauen erworben (bei den Doktoraten überwiegen dann wiederum die Männer).30

Der allmähliche Aufstieg der Frauen, der Female Swing, ist im Alltagsleben schon deutlich sicht-bar: Frauen sind meist Entscheiderinnen in ihren Familien - 90 Prozent der Kaufentscheidungen bei Fast Moving Consumer Goods und 80 Prozent bei langfristigen Gütern entfallen auf Frauen. Steigende Qualifikation führt zu steigender (nicht nur finanzieller) Unabhängigkeit.

Entwicklung Erwerbstätigenquote

Mit höherem Qualifikations- und Ausbildungsniveau der Frauen verschiebt sich auch das durch-schnittliche Fertilitätsalter der Frauen weiter nach oben (das Durchschnittsalter bei der Geburt des ersten Kindes beträgt aktuell 28,1 Jahre (1988 lag es bei 24,6 Jahren).31 Diese Entwicklung wird sich auch in den nächsten Jahren fortschreiben und die demografische Entwicklung zusätz-lich verschärfen.

Was kommt nach der Familie? Die Familie! - aber in vielfältiger und ausdifferenzierter Form, für die oftmals die institutionellen Rahmenbedingungen erst angepasst werden müssen. In einer indi-

vidualisierten Gesellschaft ändert sich der Lebenszyklus von Partnerschaf-ten und Familien. Die Familie hat – wie auch die romantische Liebe - weder als Mythos, noch als soziales Leitbild ausgedient, wird aber (wie die Ge-sellschaft insgesamt) immer wieder reorganisiert. Angesichts vorwiegend serieller Beziehungsmuster - Ehen auf Zeit - müssen Eltern heute einen Fair Deal aushandeln – lebenslange Elternschaft kommt vor lebenslanger Partnerschaft. Aber auch neue Beziehungs-Modelle sind „durchzuspielen“, bei denen man die Kinder „heiratet“ (die einzig garantierte lebenslange Be-ziehung) und nicht den Partner. Diese Idee (inszeniert mit eigenem Zeremo-niell, bei dem die Eltern dem Kind ihre Elternschaft auf ewig geloben) wurde Ende der 1990er Jahre vom britischen Think Tank Demos als eine mögliche Variante des familiären Zusammenlebens diskutiert.

30) Quelle: Bundesministerin für Frauen und Öffentlichen Dienst im Bundeskanzleramt Österreich, Frauenbericht 2010, Statistik Austria31) Quelle: Statistik Austria

 

50

60

70

80

in 2001 in 2008 in 2011

76,6 76,9 77,8

66,5

63,5

59,9

Quelle: Statistik Austria

Frauen

Männer

Page 44: Österreich 2030

44

BERUFS- UND PRIVATLEBEN

Die Berufstätigkeit beider Geschlechter und sich verändernde Rollenbilder stellen Mann und Frau vor vielfache Herausforderungen bei der Gestaltung des Paar- bzw. Familienlebens.

In Ermangelung klar vordefinierter Rollen (wie dies noch ein, zwei Generationen vorher der Fall war) müssen Entscheidungen und Zuständigkeiten jeweils neu ausgehandelt und mit den jewei-ligen Umfeldbedingungen abgeglichen werden („Verhandlungsfamilie“). Dieser Gender-Deal, das partnerschaftliche Ausbalancieren von Interessen und Kompetenzen, von Pflichten und freiwillig übernommenen Aufgaben ist eine Herausforderung für jede Beziehung.

Während Frauen die letzten Jahrzehnte über lernten, sich in neuen (privaten wie gesellschaft-lichen und beruflichen) Rollen zu erproben, sind Männer ihren tradierten Rollenbildern bislang meist immer noch überwiegend verhaftet. Frauen haben jedoch ihre Ansprüche an Männer ver-ändert, Männer müssen heute Teile der familialen Fürsorge und andere Verantwortungen über-nehmen. Eine Rollenfindung, die vielfältiger ist als jene vom tradierten Ernährer und Beschützer - und für die unsere Gesellschaft auch die nötigen Rahmenbedingungen und kulturellen, pädago-gischen etc. Vorleistungen bereitstellen muss.

Heute stehen Frauen oft zwischen Familie und Beruf, was zu Spannungen und Erfahrungen des Ungenügens führen kann, da entweder der öffentliche oder der private Bereich vernachlässigt wird. Eine große Herausforderung für moderne Frauen ist das Leben in zwei Welten und das Setzen von Prioritäten, um diesen Spagat zu meistern. Die Berufstätigkeit beider Geschlechter und damit die geringere Verfügbarkeit der Frauen bringt neue Herausforderungen betreffend die Betreuung von Kindern und Alten mit sich.

Die kontinuierlich steigende Erwerbstätigenquote der Frauen in Österreich auf zuletzt 77,8 Pro-zent ist in erster Linie auf den Anwachs der Teilzeitbeschäftigung zurückzuführen: die Teilzeitquo-te bei erwerbstätigen Frauen erhöhte sich von 34,3 Prozent (2001) auf 44,0 Prozent (2011).

Als Gründe für Teilzeitbeschäftigung geben 38,0 Prozent der Frauen Betreuungspflichten für Kinder oder pflegebedürftige Erwachsene an - während bei den Männern überwiegend (24,4 Pro-zent) die Aus- oder Fortbildung das zentrale Motiv für Teilzeitarbeit ist.32 Dass fast zwei Drittel der teilzeitbeschäftigten Frauen Kinder unter 15 Jahren haben, bestätigt die Dringlichkeit der politi-schen Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben (z.B. Installierung flächendeckender Kinderbetreuungseinrichtungen, auch für die unter 3-Jährigen).

32) Quelle: Statistik Austria

Page 45: Österreich 2030

45

So unablässig in einer dynamischen Wirtschaft die Flexibilisierung der Arbeitswelt ist, so evident sind jedoch auch die mit der hohen Teilzeitbeschäftigungsquote der Frauen verbundenen Einkom-mensnachteile. Insbesondere im Fall von Alleinerzieherinnen ist die Armutsgefährdung hoch, dies gilt noch mehr für das Alter (die Armutsgefährdung ist bei alleinlebenden Pensionistinnen doppelt so hoch als jene alleinlebender Pensionisten).

In einer alternden Gesellschaft sind jedoch nicht nur Kinder zu betreuen, sondern auch immer öfter alte pflegebedürftige Eltern - 80 Prozent der familiären Pflegefälle werden heute noch innerfamiliär, und das in der Regel von Frauen, betreut. Die steigende Lebenserwartung – bei Frauen beträgt diese aktuell 83,4 Jahre und bei Männern 78,1 Jahre33 - erhöht den gesellschafts-politischen Druck, neue Lösungen für familiale, generative Probleme voranzutreiben (z.B. inter-generative Wohnmodelle, Co-Housing zwischen Alt und Jung u.a.). Aber auch Unternehmen sind gefordert, die Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben zu ermöglichen und damit die Mehr-fachbelastungen ihrer Mitarbeiterinnen zu reduzieren.

Als zukunftsorientierte Familienpolitik sind die strategischen Maßnahmen in skandinavischen Ländern eine Benchmark – sie fokussieren nicht primär höhere Geburtenraten, sondern Ge-schlechtergleichheit im Erwerbsleben sowie eine Familienarbeit der Männer. Zudem nimmt sich der Staat selbst in die Pflicht: in Schweden beispielsweise gibt es einen Rechtsanspruch auf kostenpflichtigen Betreuungsplatz ab dem erstem Lebensjahr oder das Recht auf Teilzeitbeschäf-tigung bis zum Schulalter des Kindes.

Eine Gender-Fairness wird auch daran gemessen, wie sehr beide Geschlechter – Mann und Frau – Wahlfreiheit in ihren Entscheidungen haben (Frauen sind bei der Wahlfreiheit tendenziell benach-teiligt). Bei bestimmten Problemen im familialen Alltag (z.B. bei der Kinderbetreuung) wird man aber auch zu der Erkenntnis kommen, dass diese nicht immer genderspezifisch sind, sondern auch situationsbedingt sein können und daher immer alle Beteiligten mit einschließen müssen.

33) Quelle: Statistik Austria

0

10

20

30

40

50

Frauen Männer

44,0

8,9

Quelle: Statistik Austria

Teilzeitquote Frauen - Männer in 2011

Page 46: Österreich 2030

46

FRAUEN UND KARRIERE

Postmoderne Menschen führen eine Portfolio-Existenz, in der sie in bestimmten Lebensphasen unterschiedliche Schwerpunkte setzen. So steht beispielsweise heute – gerade für Frauen – im-mer öfter der Karriere-Aufbau und die Positionierung im Berufsleben zeitlich vor dem Eintritt ins Familienleben (daher auch das späte Erstgeburtsalter).

Frauen sind heute höher qualifiziert als früher, dennoch ist ihr Anteil in Führungsgremien in Wirt-schaft, Politik und Öffentlicher Hand noch gering, nicht einmal jede zwanzigste GeschäftsführerIn und jede zehnte AufsichtsrätIn sind in Österreich weiblich.34 Nur 15 Prozent der nicht geschäfts-führenden Direktoren bzw. Aufsichtsratsmitglieder von börsennotierten Unternehmen in Europa sind Frauen; bei den geschäftsführenden Direktoren bzw. Vorstandsmitgliedern sind es nur 8,9 Prozent. Um die Chancen für qualifizierte Frauen zu erhöhen und den Gender Gap im Top-Ma-nagement zu reduzieren, sollen bis 2020 – laut Vorgabe der EU-Kommission - 40 Prozent der Aufsichtsratsmitglieder börsennotierter Unternehmen in Europa von Frauen besetzt sein, Firmen mit staatlicher Beteiligung sollen schon ab 2018 diese Quote erfüllen.

Auf dem Weg zur Chancen-Gleichheit auf dem Karriereweg liegen jedoch viele Barrieren in Ge-sellschaft und Wirtschaft. Dazu gehören die immer noch eingeschränkte Berufswahl von Mädchen (Frauen ergreifen viel zu selten gut dotierte technische und naturwissenschaftliche Berufe), die Sozialisation der Mädchen (eingeschränkte soziale Geschlechterrollen sind für das spätere Le-ben entscheidend) sowie mangelnde Rahmenbedingungen für eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf (mangelnde Kinderbetreuung, flexible Arbeitsorganisation, geringe Partizipation der Väter etc.). Die Balance zwischen Beruf und Privatleben ist insbesondere für Frauen von hohem Wert, aber auch bei jungen männlichen Potentials ist hier allmählich ein Wertewandel zu beobachten.

In einer alternden Gesellschaft ist es von zentraler strategischer Bedeutung, die Erwerbsquote der Frauen wie auch die Geburtenrate zu erhöhen - gut ausgebildete Frauen in Führungsposi-tionen bleiben häufig kinderlos. Familienfreundliche Maßnahmen sind in den Unternehmen ein Instrument des Talente-Marketings, um qualifizierte MitarbeiterInnen zu halten und zu gewinnen.

34) Quelle: Arbeiterkammer 2011

Einzelhandel

Bürokauffrau

Friseurin

3.600

2.800

1.700

Quelle: Frauenbericht (2010)

Weibliche Lehrabschlüsse in Österreich Top 3

Page 47: Österreich 2030

47

Chancen-Gerechtigkeit bezieht sich aber auch auf den Verdienst. Österreich hat hier im EU-Ver-gleich einen besonders starken Handlungsbedarf: Frauen verdienen hierzulande immer noch deutlich weniger als Männer - der „Gender Pay Gap“ (der geschlechtsspezifische Verdienstunter-schied) beträgt 23,7 Prozent (2011).35

Um den Frauenanteil in Führungspositionen zu erhöhen, bedarf es jedoch struktureller Verände-rungen, die nur in Kooperation von Politik, Wirtschaft und Öffentlicher Hand zum gewünschten Erfolg führen können. Zukunftsorientierte Maßnahmen fokussieren eine gesetzlich verankerte Ganztagesbetreuung von Kindern bis 15 Jahre, Eltern-Kind-Büros, Kinderbetreuungs-Netzwer-ke für (die strukturell benachteiligten) KMU’s. Familienfreundlichkeit wird in erster Linie durch flexible, an den individuellen Bedarf angepasste Arbeitszeiten (inkl. Telearbeit) ermöglicht. Auch Teilzeit von Führungskräften (Job-Sharing auf Zeit) wird sich in Zukunft verstärkt durchsetzen, noch aber ist dies ein Denk-Tabu im Management.

Talente-Marketing der Zukunft wird verstärkt Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie fokussieren. Familienfreundlichkeit wird zu einem Standort- und Erfolgsfaktor für Unternehmen. Kommunen und Wirtschaft werden strategische Allianzen im Talente-Marketing eingehen. Familienpolitik ist Standort-Politik.

35) Quelle: Eurostat

Page 48: Österreich 2030

48

Learnings für iv.future:

u Es gibt keinen Geschlechtervertrag. Frauen wie Männer müssen innerhalb ihres familiären und beruflichen Wirkungskreises die Wahl haben, ihre zur Verfügung stehenden Ressourcen frei und ohne diskriminiert zu werden einzusetzen. Da viele Familien- und Geschlechterrollenmo-delle parallel existieren, gibt es keine allgemeingültige Zukunftsvision - diese muss individuell in Abstimmung mit dem persönlichen Umfeld gefunden werden.

u Aufgabe der Gesellschaft ist es, institutionelle Rahmenbedingungen zu schaffen oder zu verbessern um die persönliche Wahlfreiheit zu unterstützen und mit Abhängigkeiten umzuge-hen. Frauen wie Männer müssen das Leben in zwei Welten meistern können. Dazu zählen ein verstärktes Angebot an Kinder- und Altenbetreuungsplätzen und das kooperative Zusammen-arbeiten sämtlicher Unterstützungseinrichtungen.

u Sozialisation ist prägend. Oft entscheidet sich der spätere berufliche Weg von Kindern bereits in der Sozialisationsphase, da die Geschlechter dort unterschiedlich geprägt werden. Unter-stützungs- und Motivationsprogramme vor allem für Mädchen in Schulen und anderen z.B. religiösen Institutionen müssen weiter ausgebaut werden, um vorprogrammierte soziale Ge-schlechterrollen so früh als möglich zu durchbrechen.

u Familiale, generative Probleme erfordern kreative Lösungsansätze, neue Ideen wie man das Leben mit kleinen Kindern einfacher gestalten kann (z.B. Kindergarten über Nacht, mehr be-triebliche Kinderbetreuung, Netzwerke für KMU’s). Andere Lebensformen (z.B. intergenerative Wohnmodelle, Co-Housing zwischen Alt und Jung, Wohngemeinschaften u.a.) sollten gefördert werden, Bürger mehr Möglichkeit zur Partizipation in öffentliche Verfahren und Entscheidun-gen haben.

u Spezielle (Qualifizierungs-)Programme für Wiedereinsteigerinnen und für Frauen im ländlichen Raum sollten entwickelt werden.

u Unternehmen müssen flexible, an den individuellen Bedarf angepasste Arbeitsmodelle (inkl. Telearbeit) sowie Teilzeitarbeit von Führungskräften (Job-Sharing auf Zeit) ermöglichen.

u Chancen-Gerechtigkeit bezieht sich auch auf den Verdienst, der „Gender Pay Gap“ muss reduziert werden.

u Um den Frauenanteil in Führungspositionen zu erhöhen, bedarf es verstärkter Kooperation von Politik, Wirtschaft und Öffentlicher Hand (Talente-Marketing ist Standort-Marketing).

Page 49: Österreich 2030

• Beck, Ulrich / Grande, Edgar: Das kosmopolitische Europa, Frankfurt/Main 2004• Rifkin, Jeremy: Der Europäische Traum. Die Vision einer leisen Supermacht, Frank-

furt/Main 2004• Beck-Gernsheim, Elisabeth: Was kommt nach der Familie? Einblick in neue Lebens-

formen, München 1998• Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz: Freiwilliges En-

gagement in Österreich. 1. Freiwilligenbericht (2011); http://bmsk2.cms.apa.at/cms/freiwilligenweb/attachments/9/4/3/CH1074/CMS1292589117805/freiwilligenbericht_letztf.3_(2)[1].pdf

• Bundesministerin für Frauen und Öffentlichen Dienst im Bundeskanzleramt Öster-reich: Frauenbericht 2010

• Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend: Nation Branding. Abschluss-bericht 2013; http://www.bmwfj.gv.at/Aussenwirtschaft/nationbrandingaustria/Docu-ments/Austria%20Competitive%20Identity%20Project%20-%20Final%20Report%20GER.pdf

• creativ wirtschaft austria: Fünfter österreichischer Kreativwirtschaftsbericht, Wien 2013

• Integral, T-Factory: Sinus-Milieu-Jugendstudie, Wien 2013• Lehky, Maren: Leadership 2.0: Wie Führungskräfte die neuen Herausforderungen im

Zeitalter von Smartphone, Burn-out & Co. managen, Frankfurt New York 2011• Österreichischer Integrationsfonds: Integrations-Szenarien für Österreich; http://

www.integrationsfonds.at/de/forschungsberichte/integrationsszenarien_der_zukunft

Fotocredits:Seiten 7, 9, 11, 26, 28, 33, 36,37,39,43,44: ZTB ZukunftsbüroSeite 19: James MurtonSeite 1: iStockphoto.com/nadlaSeite 5: iStockphoto.com/VikaSuh Seite 13: iStockphoto.com/olaser Seite 22: iStockphoto.com/yelet Seite 32: iStockphoto.com/richterfoto Seite 40: iStockphoto.com/Squaredpixels

Literatur/Quellen

49

Page 50: Österreich 2030

Medieninhaber und Herausgeber:ZTB ZukunftsbüroLorenz-Bayer-Platz 4/81170 Wien Für den Inhalt verantwortlich:ZTB Zukunftsbüro in Zusammenarbeit mit derIndustriellenvereinigung Projektkoordination:Dr. Melanie Eckl-Kerber Grafik:Mag. Lisi Schörghofer Oktober 2013

Impressum

50