perspektive oder illusion? · 5 2. dialogos gesamtleitung . tung, dass verantwortungsübernahme...
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Perspektive oder Illusion?
Inhalt
1. Vorwort Jahresbericht 2011 ........................................................................................... 4
2. Dialogos Gesamtleitung ................................................................................................. 5
3. Personelles ................................................................................................................... 7
• Renate Kiener – noch immer fasziniert ....................................................................... 7
• Ein Praktikum im Dialogos – Nathanja Klauser erzählt ................................................... 8
• Psychiatrie-Spitex – Jaqueline Venezia stellt sich vor .................................................... 9
4. Erfahrungsberichte von KlientInnen................................................................................. 12
Die KlientInnen wurden von Maya Da Pozzo interviewt und die Namen wurden geändert.
• Jennifer – Meine Realität ......................................................................................... 12
• Mojo Jojo – 3D Perspektive – Meine bessere Realität .................................................... 13
• Reto – Nachforschungen – Mein «Drehbuch» ................................................................ 15
• Maria – Durch die Augen einer Kunsthandwerkerin ........................................................ 17
• Peter – 20 Jahre betäubt – Ausstieg als Perspektive oder Illusion? .................................. 18
5. Ausblick – persönliche Gedanken und Meilensteine .......................................................... 20
• Neues Erscheinungsbild sozialpsychiatrische Angebote................................................... 20
• Unsere Organisation im Sozial- und Gesundheitsbereich ................................................ 21
7. Finanzen ....................................................................................................................... 23
• Revisionsbericht ..................................................................................................... 23
• Jahresrechnung 2011 .......................................................................................... 24–25
• Statistik ................................................................................................................ 26
• Spitexzahlen 2011 ................................................................................................... 26
• Zufriedenheitsumfrage ........................................................................................ 27–28
8. Organisation ................................................................................................................. 29
• Mitarbeitende im Dialogos ........................................................................................ 29
• Organisationsmatrix ................................................................................................ 30
• Kontaktadressen ..................................................................................................... 32
• Spendenkonto ........................................................................................................ 32
Liebe Leserinnen und Leser
Sehr geehrte Damen und Herren
Was für ein eindrücklicher Wandel: Vor rund sechzig Jahren als Institution der Bachmann'schen
Stiftung ins Leben gerufen und fünfzig Jahre als Kleinaltersheim betrieben, zunächst und noch
lange als «Erholungsheim für alleinstehende Frauen evangelisch-reformierter Konfession», sich mit
der Zeit für alle Geschlechter und Konfessionen öffnend und schliesslich auch Pflege für leichtere
Fälle anbietend, dann aufgrund baulicher Gegebenheiten und denkmalpflegerischer Vorbehalte den
neuen Weg der sozialpsychi atrischen Betreuung einschlagend – das ist nun schon seit bald zehn
Jahren DIALOGOS, die sozialpsychi atrische Wohngemeinschaft in Stettfurt, nach wie vor unter dem
Dach der Bachmann'schen Stiftung. Sie ist seit ihrem Bestehen stetig gewachsen und hat im Dienste
von psychisch behinderten Mitmenschen immer wieder neue Bereiche erschlossen, sachlich, räum-
lich, örtlich. Längst genügen die Räumlichkeiten des ursprünglichen Erholungsheims den Anforde-
rungen eines flexiblen Angebots nicht mehr, so dass schon seit Jahren Aussenwohnungen in
Frauenfeld und Stettfurt selber zugemietet worden sind, um auch im Übergang von der stationären
Betreuung in der Wohngemeinschaft zur Selbständigkeit günstige Bedingungen zu schaffen. Ein
seit bald fünf Jahren aufblühender Zweig ist die sozialpsychiatrische Spitex, zunächst zwecks Nach-
sorge der eigenen Klientel entstanden, heute allgemein in der Region im Einsatz. Ich empfehle
Ihnen daher nebst den Erfahrungsberichten von Klientinnen und Klienten auch die Berichte von
Mitarbeitenden aus unterschiedlichen Perspektiven und namentlich Ausblick und persönliche Gedan-
ken der Heimleitung zur Lektüre. Sie widerspiegeln in eindrücklicher Weise, wie vielseitig die immer
noch im Wachsen begriffenen Aufgaben geworden sind und wie den sich daraus ergebenden Her-
ausforderungen immer wieder mit grossem Engagement begegnet wird.
Dr. René Schwarz,
Präsident der Betriebskommission und Mitglied des Stiftungsrats
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1. Vorwort Jahresbericht 2011
Liebe Leserinnen und Leser
In einem realen Sinne ist alles Leben verbunden. Alle Menschen gehören unvermeidlich
einem Netzwerk an, dessen Elemente allesamt in einer Wechselbeziehung stehen und in
einem einzigen Gewand des Schicksals verknüpft sind. Was auch immer einen bestimmten
Menschen direkt betrifft, betrifft indirekt auch alle seine Mitmenschen.
REV. MARTIN LUTHER KING, JR.
Illusion – Wir können nicht allen Ansprüchen gerecht werden.
Und doch ist die Experimentierfreude, die Orientierung am Wünschenswerten und nicht am Mach -
baren, ein Kennzeichen unserer Betriebskultur geworden.
Während anfänglich Strukturen notwendig sind, ein Angebot differenziert zu positionieren, ist spä-
ter die Entwicklung hin zu einem ganzheitlichen Organismus und eine gezielte Vernetzung mit der
Umwelt notwendig. Dabei haben wir uns die Impulse und die Freude aus der Pionierphase gemein-
sam erhalten können. Genau diese Freude an der Tätigkeit ist Bestandteil unserer Strategie.
Unser Angebot soll nicht illusionär, sondern realitäts- und alltags-
bezogen und auf den individuellen Bedarf abgestimmt sein. Mit
jedem neuen Menschen werden die Rahmenbedingungen auf ihre
Wirksamkeit geprüft.
PerspektiveJeder Mensch hat eine eigene Perspektive. In diesem Jahresbericht
erzählen Betroffene aus dem Dialogos von ihren Sichtweisen, ihren
Hoffnungen und ihren Träumen. Sie lesen von Menschen, die den
Mut haben, sich trotz schwierigster Umstände neue Betrachtungs-
weisen zu erschliessen. Menschen, die auf dem Weg sind, ihre Gren-
zen zu akzeptieren und einen Umgang damit zu finden. Nicht alle
können die Welt von oben sehen, doch alle können zu einer Verän-
derung in dieser Welt beitragen.
Eine gemeinsame Perspektive in der Co-Gesamtleitung ist die Hal-
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2. Dialogos Gesamtleitung
tung, dass Verantwortungsübernahme einen dauerhaften, charakterlichen Reifungsprozess im Dienst
der Aufgabe voraussetzt. Eine alltägliche und gelebte Fehlerkultur lässt gemeinsames Lernen zu
und fördert die gegenseitige Fürsorge im Arbeitsteam. Ein anerken-
nendes Miteinander ist für uns gerade in der Co-Gesamtleitung un-
verzichtbar, damit wir unsere Aufgaben erfolgreich bewältigen können.
Nur ein gelebtes Leitbild zeugt von Glaubwürdigkeit.
Unter dem Patronat der Bachmann'schen Stiftung als Trägerschaft und
dank des grossartigen Mitwirkens aller Teammitglieder, dürfen wir auf
ein gelungenes und erfülltes Jahr zurückblicken.
Auf dem Vertrauen, welches uns die Klientinnen und Klienten entge-
gengebracht haben, möchten wir weiter aufbauen und uns dafür be-
danken.
All denjenigen, welche uns in der professionellen Zusammenarbeit unterstützt haben, möchten wir
einen besonderen Dank aussprechen.
Nun wünschen wir Ihnen viel Freude beim Lesen und hoffen, dass Sie durch die Beiträge berührt
und um manche Perspektive bereichert werden.
Maya Da Pozzo und Daniel Neukomm
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3. Personelles
Berichte aus den Betreuungsbereichen
Renate Kiener bringt viele Jahre Berufserfahrung als Pflegefachfrau HF mit und war bis im Mai
2011 als Teamspringerin tätig. Nun hat sie ihr Pensum er-
höht, arbeitete im 2011 im Heim und wechselt 2012 in
das Stadtwohnungsteam. Auf die Frage, was sie über das
Jahresthema denkt, meint sie:
«Ich bin überzeugt, dass die Klientinnen und die Klienten
im Dialogos eine Perspektive haben und vom individuellen
Angebot profitieren können. Es gibt keine festgelegten
Behandlungsphasen, auch ein Quereinstieg in eine Stadt-
wohnung kann gewagt werden und wenn ein Experiment
scheitert, wird gemeinsam nach Lösungen gesucht.
Durch die unterschiedlichen Themen der Betroffenen wird
die Arbeit interessant. Sie ist herausfordernd, weil im Dia-
logos Menschen mit unter schiedlichsten Bedürfnissen zu-
sammenleben. Konflikte werden im Dialog begleitet, eine
Haltung, die uns allen wichtig ist. Auf dem Boden einer tragenden Beziehung und der Bereitschaft
des Teams, Unterstützung anzubieten, können Entscheidungen nachvollziehbar kommuni ziert wer-
den. Durch Transparenz wird die Akzeptanz für unterschiedliche Vorgehensweisen gestärkt.
Es wäre eine Illusion, zu denken, dass wir allen helfen können. Fehlende Vereinbarungen oder grobe
Regelverletzungen führen zum Ausschluss. Wir müssen dies akzeptieren und einen Umgang damit
finden.
Was mich im Dialogos seit langem fasziniert, sind die visionären Gedanken der Gesamtleitung. Sie
versteht es, in Bewegung zu bleiben und die Ausgewogenheit zwischen Offenheit, Sensibilität und
dennoch klarer Ausrichtung zu erhalten. Bisher habe ich Leitungen erlebt, die entweder wissen,
was sie wollen und darin «stur» werden, oder aber Offenheit zeigen und dabei die Strukturen aus
den Augen verlieren. Hier erlebe ich grosse Stabilität in der Bewegung.»
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Ein Praktikum im Dialogos – Nathanja Klauser erzählt
«Nachdem ich kurz vor dem Bachelorabschluss meines Psycho-
logiestudiums stand, kam mir die Möglichkeit eines viermo-
natigen Praktikums sehr gelegen. Durch diesen Einblick wollte
ich feststellen, ob das gewählte Berufsfeld meinen Wunsch-
vorstellungen entspricht, oder ob ich mir diesbezüglich ledig-
lich Illusionen mache. Das Zusammenspiel des
interdisziplinären Teams im Dialogos hat mich fasziniert.
Durch das Praktikum habe ich eine neue Perspektive erhalten.
Ich dachte, dass es mir schwer fallen würde, meine Meinung
einzubringen, mich abzugrenzen und mir die Schicksale wo-
möglich zu nahe gehen würden. Dem war nicht so. Ich wurde
schnell als Teammitglied integriert und mit Verantwortung und Kompetenzen betraut. Es gelang
mir, einen klaren Kopf zu bewahren und mich nicht von eigenen Gefühlen treiben zu lassen, sondern
den Situationen mit Ruhe und ungetrübtem Blick zu begegnen.
Ich konnte beobachten, wie sich Menschen während diesen Monaten entwickelt haben und wie
neue Klientinnen und Klienten zu einem geregelten Tagesablauf finden konnten. Durch praktische
Hilfestellungen, z. B. Computerschulung und Einzelbegleitungen, sah ich, wie Erfolgserlebnisse im
Alltag stattgefunden haben und die KlientInnen aufblühten. Die Menschen im Dialogos sind häufig
von der Gesellschaft abgeschnitten. Für manche sind Alltäglichkeiten wie Aufstehen, Arbeiten und
sich in einer Gruppe bewegen, bereits hohe Ansprüche. Die Investitionen haben sich gelohnt und
alle haben Begabungen und können erleben, wie das Selbstbewusstsein gestärkt werden kann.
Während meines Praktikums konnte ich die Aussenperspektive von Behörden und Zuweisenden
durch eine Zufriedenheitsumfrage erheben und auswerten. Als Fazit kann eine hohe Zufriedenheit
ausgewiesen werden mit Hinweisen auf Ent wicklungs möglichkeiten, die ernst genommen werden.
Aktuell bin ich unterwegs zum Masterabschluss in Entwicklungs- und klinischer Psychologie. An-
schliessend ziehe ich eine Therapieausbildung in Betracht. Im Dialogos wurde mir Vertrauen und
Wertschätzung entgegengebracht und ich bin sehr dankbar für den umfassenden Einblick in diese
Arbeit, den ich erhalten habe und von dem ich viel profitieren konnte.»
Psychiatrie-Spitex Dialogos – Jacqueline Venezia stellt sich vor
Jacqueline Venezia hat Ende 2011 in der sozialpsychiatrischen
Dialogos-Spitex begonnen. Sie hatte schon vor drei Jahren mit dem -
Gedanken gespielt, als freischaffende Pflegefachfrau in der
Psychiatrie-Spitex tätig zu sein. Der administrative Aufwand, das
finanzielle Risiko einer Aufbausituation und die Auseinandersetzung
mit den gültigen Richtlinien waren Hürden, welche sie sich damals
nicht zugetraut hatte.
«Im Dialogos habe ich die notwendigen Infrastrukturen und inhalt-
lichen Austausch, damit ich meine Arbeit reflektieren kann. Auf die-
sem Weg kann ich andere Sichtweisen und Kritik in meine Aufgabe
einfliessen lassen. Um meine Arbeitsweise professionell zu gestal-
ten, ist dies für mich eine wichtige Voraussetzung.
Während meiner stationären Tätigkeit in der Psychiatrie, wurde mir klar, dass während Klinikauf-
enthalten ein Prozess in Gang gesetzt wird, welcher nach Austritt nur beschränkt weiterverfolgt
werden kann. Menschen mit psychischen Problemen sind häufig alleine, haben eine Rente oder
leben am Rande des Existenzminimums. In der sozialpsychiatrischen Dialogos-Spitex kann ich die-
sen Prozess nun weiter begleiten und das ganze Umfeld der Betroffenen miteinbeziehen.
Die ersten Monate in der Dialogos-Spitex zeigen einen klaren Bedarf an sozialpsychiatrischer Pflege
und Betreuung zuhause auf. Wer denkt, dass diese Dienstleistung ein Luxus ist, hat nicht verstan-
den, dass psychische Krankheiten für die Betroffenen und das Umfeld unfreiwillig sind. Die Folgen
einer psychischen Erkrankung erzeugen grossen Leidensdruck und führen oft zu Armut und Einsam-
keit. Durch die Anstellung im Dialogos bin ich erstmals mit dieser Art Öffentlichkeitsarbeit kon-
frontiert. Ich bin überrascht wie viele Menschen das aufsuchende sozialpsychiatrische
Spitex-Angebot nicht gezielt zuordnen können. Meinungen wie: «Toll, ein bisschen plaudern und
rumsitzen» wechseln sich ab mit: «Das ist bestimmt nicht notwendig». Auch unter Hausärzten und
Fachleuten kann diese Haltung vorhanden sein. Dies kann eine zusätzliche Hürde für die Betroffenen
darstellen. Die Behandlung erfolgt immer freiwillig und kann jederzeit beendet werden. Die Selbst-
bestimmung ist zentral und die KlientInnen werden in ihrer Problematik individuell abgeholt. Es
ist wichtig, dass sie den Bedarf steuern. Nach gründlicher Erfassung der Lebensbereiche unterstütze
ich entlang von vereinbarten Zielsetzungen.
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Ich begegnete bisher einigen älteren Menschen, die an Depressionen leiden und damit zu kämpfen
haben. Manchmal sind sie froh, wenn sie sich in ihrem Umfeld durch Gespräche mit den Angehörigen
wieder besser verstanden fühlen.
Auch süchtige Menschen gehören zur Zielgruppe. Sie sind häufig einsam, brauchen Strukturen und
geregelte Arbeitssituationen. Sie suchen Grenzen und sind um ehrliche Rückmeldungen mit klarem
Realitätsbezug dankbar. Die Klärung gegenseitiger Erwartungen ist zentral. Dies kann zur Akzeptanz
führen, dass es jemand vielleicht nicht schafft, den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden und
von Suchtmitteln im besten Fall sogar loszukommen.
Menschen mit Persönlichkeitsstörungen suchen vertrauensvolle Beziehungen und besondere Ver-
lässlichkeit. Auch können konkrete Methoden eingeübt werden, um Gefühlsschwankungen und Kri-
sen zu bewältigen. Die Auseinandersetzung mit Strategien zur Stärkung von Fähigkeiten ist
Behandlungsbestandteil und dient dazu, selbstzerstörerische Handlungen zu durchbrechen.
Während die einen froh sind um Strukturen und praktische Handreichungen, so sind andere dankbar,
wenn eine aussenstehende Person vermittelt, mit Fachleuten zusammenarbeitet oder man sich ge-
meinsam den Bergen ungeöffneter Post zuwendet.
Auch soziale Ängste sind weit verbreitet. Manchmal müssen Einkäufe oder Fahrten mit öffentlichen
Verkehrsmitteln neu eingeübt werden. Diese Tätigkeiten beinhalten eine klare Perspektive für mich.
Es ist schön, wenn ich geschätzt werde und sehen kann, wie die Menschen auf die Hausbesuche
warten.»
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Jennifer – Meine Realität
Jennifer lebt seit drei Jahren im Dialogos. Einen Teil ihrer Geschichte erzählte sie im Jahresbericht
2009. Als Ziel formulierte sie, dass sie ein gesundes Leben in einer eigenen Wohnung anstrebe und
dass sie sich eine zufriedenstellende Arbeitssituation wün-
sche. Sie erzählt uns, wo sie steht, nachdem sie ihre Ener-
gie auf Ihre Ziele verwendet hat und dennoch vieles anders
kam, als sie sich vorstellte.
«Vor drei Jahren habe ich geglaubt, dass ich mehrere Stu-
fen auf einmal nehmen kann. Ich glaubte, dass es mir ge-
lingen würde, auf meine frühere Medizin, den Alkohol zu
verzichten. Ich malte mir mein Bild von einem perfekten
Leben und habe mir Vieles einfacher vorgestellt. Dies war
eine Illusion. Ich habe Probleme bagatellisiert und entmu-
tigende Rückschläge erlebt. Nun muss ich mir Zeit einräu-
men, damit ich die Kraft finde, an mich selbst zu glauben.
Ich möchte lernen, meiner Angst zu begegnen und mit
schwierigen Erfahrungen und Momenten tiefster Hoff-
nungslosigkeit einen Umgang zu finden. Wenn Zweifel an mir nagen, bin ich meinen Gefühlen
manchmal ausgeliefert.
Eine Perspektive bedeutet für mich, ein Bild von meiner Zukunft zu haben. Dazu gehört für mich
Kontakt zu haben und beruflich integriert zu sein. Als Mensch habe ich mich verändert. Ich habe
hier Vertrauen aufgebaut und arbeite in der Küche um täglich mitzuhelfen, wenn 30–35 Mahlzeiten
zubereitet werden. Wenn ich weiss, was mich erwartet, dann trägt dies zu meinem Wohlbefinden
bei. In der Freizeit nutze ich die wöchentlichen internen Angebote, um meine Kreativität auszule-
ben. Damit ich das Erlernte aus meinem ersten Beruf nicht vergesse, schneide ich Haare zu einem
Sondertarif. Solange ich die Gewissheit haben darf, dass ich meine Sorgen und Probleme teilen
und mitteilen kann, werde ich nicht aufgeben. So kann ich nach all meinen Rückschlägen dran-
bleiben und mich immer wieder neu entscheiden, meine Selbstliebe zu pflegen. Auch wenn ich Zu-
friedenheit immer wieder ausserhalb von mir suche, so weiss ich doch, dass ich sie letztlich nur in
mir selbst finden kann.»
4. Erfahrungsberichte von KlientInnen
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Mojo Jojo – Meine bessere Realität
Vor mir sitzt ein junger Mann, der sich für den Jahresbericht Mojo Jojo
nennt. Shiro wäre auch gut, aber «Motscho Jotscho» gefällt ihm besser.
Er ist 25 Jahre alt und mit einem Unterbruch von einem Jahr seit Juli
2007 im Dialogos. Wir führen selten längere Gespräche, da er sich häufig
zurückzieht – vieles mit sich selbst ausmacht. Er geht eigenen Tätigkeiten
nach und macht meistens wenig Worte. Mojo Jojo hat ein sensibles Wesen
und feine Wahrnehmungsantennen. Auf die Frage, welche Projekte er ge-
rade umsetze, meint er: «Ich mache dreidimensionale Bildbearbeitungen.
Du kannst mir ein Bild des Hauses mailen, dann kann ich es zeigen.» Bis dahin hatte ich ihm nichts
über das Thema des Jahresberichtes mitgeteilt und freute mich über sein Angebot. Was er über
seine Perspektive denkt, lesen Sie im folgenden Abschnitt:
«Als Kind hat alles gepasst. Dann kam die Scheidung meiner Eltern in der 3. Klasse. Wir konnten
uns das Haus nicht mehr leisten und mussten zu dritt in eine kleinere Wohnung ziehen. Ich hörte
auf zu lernen. Ich glaube nicht, dass anderen
etwas aufgefallen ist. Ich weiss nicht, welche
Bedeutung dieser Bruch in meinem heutigen
Leben hat und wie eine Heilung aussehen
könnte. Als ich hierher kam, hatte ich keine
grossen Erwartungen mehr, ich wollte nur
noch angenommen werden, wie ich bin und
ein bisschen happy sein. Ich habe bis jetzt
nicht viel aus mir gemacht, nichts gelernt,
höchstens über den PC und über mich selbst. Dennoch möchte ich vorwärts kommen und aus meinen
Fehlern lernen.» «Im Second Life bin ich glücklich». Das Second Life bedeutet auf Deutsch «zweites
Leben» und ist eine Online-3D-Infrastruktur. Die Benutzer gestalten virtuelle Welten, in denen Men-
schen durch Avatare interagieren, spielen, Handel betreiben und anderweitig kommunizieren können.
Avatare sind kreierte Wunschfiguren mit einer Identität. Das seit 2003 verfügbare System hat rund
28 Millionen registrierte Benutzerkonten, rund um die Uhr sind meist 35 000 bis 60 000 Nutzer gleich-
zeitig in das System eingeloggt.
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«Dort habe ich alles, was ich sonst nicht habe. Ein Haus mit roten Fensterläden, im Winter wun-
derbar schneebedeckt, tausend tolle Möbel und eine 7-jährige Tochter Wendy. In Wirklichkeit ist
sie eine 20-jährige Frau aus dem Kosovo, die Mathematik studiert. Ich habe viele gute Freunde,
flirte oft und empfinde nie Langeweile. Dort findet mein Leben statt. Es ist eine Illusion, welche
meine bessere Realität darstellt und mein Gefühlsleben positiv beeinflusst. Nun ja, es gibt auch
dort Nachteile, denn nicht alle Mitspieler nehmen Rücksicht auf Gefühle und Verletzungen sind
auch in einem Onlinesystem möglich. Ich treffe viele unglückliche Ehefrauen, die etwas suchen,
das sie sonst nicht haben.»
Daraufhin frage ich ihn, wie es ist, wenn er aus seiner besseren Realität auf sein Leben schaut?
«Dann sehe ich eine Person, die am PC sitzt und ein langweiliges Leben führt. Für lange Zeit habe
ich getan, als wäre mir alles egal, um mich zu schützen und nicht verletzt zu werden. Doch es war
nicht so. Hätte ich je-
manden getroffen, der
Hilfe braucht, so wäre
ich niemals vorbeige-
gangen. Durch meine
Erfahrungen kam ich
zu der Überzeugung,
dass das Leben einfa-
cher ist, wenn nichts
eine Bedeutung hat.
Doch nun weiss ich,
dass es nicht so ist. Es gibt eine Mitbewohnerin im Dialogos, die mir nicht egal ist. Es ist mir nicht
mehr gleichgültig, wie ich mit Menschen umgehe, was ich sage und denke. Mein Bruder, mein Vater
und meine Mutter sind mir wichtig. Auch wenn ich Probleme nicht gerne zugebe, muss ich einen
Umgang damit finden. Wenn jemand von meinen Erfahrungen profitieren kann, dann bin ich gerne
offen und rede darüber.»
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Reto – Nachforschungen – Mein Drehbuch
«Mein Name ist Reto. Ich bin heute 34 Jahre alt und trage seit frühester Jugend die grundsätz-
lichsten Fragen in meinem Herzen. Wer waren meine Eltern, habe ich Geschwister und weshalb
kenne ich niemanden aus meiner Verwandtschaft? Wer weiss von meiner Existenz und in welchem
Alter wurde ich fremdplatziert? Ich wusste nur, dass meine Eltern Drogen konsumiert haben. Meine
Mutter sei bei der Geburt gestorben und mein Vater einige Jahre später. Ich hätte bereits ab Geburt
einen Entzug gemacht und zur Entwöhnung über drei Jahre Methadon erhalten. Das war alles.
Diesen Umständen entsprechend erlebte ich eine dramatische Kindheit im Heim. Vieles hätte nie
passieren dürfen. Mit der körperlichen Entwicklung hatte ich bis zum Teenageralter nachzuholen.
Der Heimaufenthalt wurde zum Alptraum. Ich war kränklich und nässte lange ein. Die Erziehungs-
methoden von kalter Dusche, verbaler und körperli-
cher Gewalt, massiven Entwertungen und vielem mehr
haben tiefe Kerben in meine Kinderseele geschnitten.
Ein Nagelbrett auf dem Rücken sollte zur Haltungs-
korrektur beitragen. Meine leichte körperliche Behin-
derung wurde mit Kommentaren, ich solle meinen
Fuss nicht so nachziehen, bemängelt. Mein Lachen
wurde kritisiert und als ich in den Stimmbruch kam,
wurde mir gesagt, ich simuliere und meine Stimme klinge peinlich. Doch ich war tatsächlich im
Stimmbruch. Nicht genug davon, blieben mir auch weitere Missbräuche nicht erspart. Die Fragen
nach meiner Herkunft blieben konsequent ohne Antworten.
Die Schule war eine grosse Herausforderung für mich, da ich gehänselt und ausgelacht wurde. Fahr-
radfahren konnte ich erst mit 13 Jahren. Nach der Schule gelang es mir, eine zweijährige Anlehre
zum Fahrzeugwart abzuschliessen. Mit 21 Jahren folgte ein erster Klinikaufenthalt, ich war gerade
dabei, meinen Führerschein zu machen. Damals bekam ich die Diagnose Schizophrenie mit para-
noiden Wahnvorstellungen. Ich hatte mir angewöhnt, dass niemand hinter mir lief, damit ich mich
nicht beobachtet fühle. Die Angst vor Kritik sass tief. Schutz und Sicherheit sind Fremdwörter,
wenn ich an meine Jugend denke. Mit diesen Lücken und Brüchen trat ich im Dialogos ein. Ich
hatte mehrere Monate mit mir gerungen und wollte in eine familiäre Institution wechseln. Auch
wenn 15 Leute in Stettfurt leben, so ist doch das Team persönlich engagiert und mein Anliegen,
meinen Herkunftsfragen nachzugehen, wurde von der Leitung ernst genommen. Ich habe die Zu-
sage, dass mir kein Schritt auf dieser Suche alleine zugemutet wird. Auch wenn ich darauf auf-
merksam gemacht werde, dass dies ein weiter, steiniger Weg sein kann, bin ich fest entschlossen,
mehr über meine Vergangenheit zu erfahren. Denn, was auch geschah, ich möchte verstehen können
und mich mit meiner Lebensgeschichte versöhnen. Meine gesetzliche Vertretung unterstützt mein
Anliegen und hat mir als Auftakt eine Urkunde meines Urgrossvaters, mit Namen väterlicherseits
zugestellt. Ich lerne nun, welche Bedeutung Verwandtschaftsbezeichnungen wie Tante oder Cousin
haben. Mein umfangreiches Kinderdossier wurde in einem Stadtarchiv gefunden und die Aktenein-
sicht bringt viele neue Erkenntnisse. Darunter befanden sich zwei Fotos aus meiner Kindheit, die
ich behalten durfte. Es sind die einzigen Bilder aus meiner Vergangenheit.
Meine Mutter war deutsche Staatsangehörige und aus den Akten geht hervor, dass sie acht Jahre
vor meiner Geburt einen Sohn zur Adoption frei gab. Sie starb nicht bei meiner Geburt, sondern an
meinem 4.Geburtstag. Ich erfuhr, dass sie einst am gleichen Ort wie ich gearbeitet hatte. Meine
Eltern haben zwei Jahre vor meiner Geburt geheiratet und haben sich auf mich gefreut. Die deutsche
Botschaft klärt nun ab, ob meine Grosseltern noch leben und ob meine Mutter Geschwister hat.
Über Adoptionsfachstellen werde ich meinen Halbbruder suchen.
Mein Vater wurde vor seinem Drogenkonsum als rechtschaffene und fleissige Person gerühmt. Er
war Kaminfeger. Er liess sich von einem Hausarzt über Jahre behandeln und versuchte von den
Drogen wegzukommen. Er machte eine lange Therapie in Littenheid, die er ohne meine Mutter an-
trat. Wenige Tage nach Klinikaustritt starb er an einer Überdosis Heroin. Über die Verwandtschaft
meines Vaters habe ich schon vieles erfahren. Zwei Grosstanten können Fragen beantworten. Beide
sind älter als 80 Jahre. Die eine Grosstante war die Patentante meines Vaters und hatte ihn im
Entzug und in den damaligen Wohnungen mehrmals besucht. Bevor ich sie besuche, möchte ich
ihre Stimme am Telefon hören, damit ich mich innerlich vorbereiten kann. Ich hoffe, dass ich eines
Tages ein Bild von meinen Eltern sehen kann.
Auch wenn vieles offen bleiben wird, so bin ich
doch dankbar, dass ich Zeit und Kraft für diese
Nachforschungen aufwenden darf. Antworten
sind meine Perspektive. Ich gebe mir Zeit für
mein «Drehbuch» und habe die betreute Wohn-
form akzeptiert. Noch ist es für mich eine Illu-
sion, wieder alleine in einer Wohnung klar zu
kommen. Ich brauche ein soziales Umfeld und
Freundschaften und ein bisschen Geborgenheit,
damit die Wunden meiner Seele heilen können.»
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Durch die Augen einer Kunsthandwerkerin
Maria ist Töpferin. Sie modelliert Engel, lässt Klangschalen entstehen und veredelt Kerzenständer
mit Gold. Ihre Keramik hat eine schlichte, elegante Ausstrahlung.
Eines Tages zeigte sie mir Fotografien und ich durfte einige Naturbilder für den Jahresbericht aus-
wählen.
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Peter – 20 Jahre betäubt – Ausstieg als Illusion?
Peter lebt seit knapp zwei Jahren im Dialogos, er zog im vergangenen Herbst in eine Stadtwohnung.
Dies erlebt er einerseits wohltuend, da er nicht ständig Leute um sich habe und anderseits müsse
er mit sich selbst und der grossen Freiheit auskommen. Da er seine Gefühle viele Jahre mit Drogen
zugedeckt hatte, erinnerte er sich zuerst kaum
an die Jugendzeit.
«Nach der Scheidung meiner Eltern gab es eine
kurze Zeit in meinem Leben mit guten Erinne-
rungen. Dies verdanke ich meinem damaligen
Stiefvater, der mir zeigte, dass ich wichtig bin
und mir sogar Geschenke machte. Dieser Ab-
schnitt war kurz, die meiste Zeit wurde ich hin-
und hergeschoben. Während der Ausbildung zum
Betriebsassistenten bei der SBB fing ich an, mich
zu betäuben und kam in falsche Kreise. Ich konnte die Lehre trotz zunehmendem Doppelleben be-
enden und in der Arbeitswelt viele Jahre bestehen. Eineinhalb Jahre nach meinem ersten Aus-
stiegsversuch wurde ich rückfällig. Auch wenn ich sechsmal einen Drogenentzug gemacht habe, so
fehlte mir jedes Mal die Perspektive für eine Anschlusstherapie. Ich war orientierungslos. Als ich
2006, mit 33 Jahren, durch einen tragischen Umstand mein Bein verlor, war dies ein guter Grund,
mich gänzlich aufzugeben. Ich konnte mit diesem Verlust unmöglich einen Umgang finden. Nach-
dem ich 2009 in der Obdachlosenunterkunft lebte und alles, auch meine Arbeitsstelle verloren
hatte, hatte ich die Gasse endgültig satt. Ich hatte genug von Polizei, von Haft und Not. Das Ziel
war klar – noch einen Anlauf. Ich dachte, dass ich das schaffe. Doch ich gebe zu, dass es eine
grosse Illusion war, dass ich meine Ziele schnell erreichen würde. Es ist schwer zu akzeptieren,
dass es nicht so läuft, wie ich anfangs dachte. Mein Freiheitsdrang ist gross, dennoch bin ich auf
Unterstützung durch Gespräche, Psychotherapie und Vereinbarungen mit Kontrollen angewiesen.
Die Zusammenarbeit mit Behörden gehört zum Betreuungsangebot und beansprucht in meinem Fall
viel Zeit. Doch am meisten hat sich gelohnt, dass ich wieder denken lerne und mit klaren Augen
sehe. Die tägliche Arbeit gibt mir Kraft. Ich weiss wieder, was ich mit mir anfangen soll und gehe
regelmässig schwimmen. Seit einiger Zeit besuche ich Gottesdienste, die mir helfen, mich selbst
nicht aufzugeben. So erhalte ich eine neue Sichtweise und kann mich wieder freuen.»
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Neues Erscheinungsbild sozialpsychiatrische Angebote
Positionierung – Wirksame Vernetzung im Kanton Thurgau Spezialisierung, Differenzierung, Professionalisierung und die Frage nach der Koordination der An-
gebote im Gesundheits- und Sozialwesen stellen alle Akteure vor grosse Herausforderungen. Im
Jahr 2011 konnten wir weitere Meilensteine für die Vervollständigung unserer Angebotspalette er-
reichen. Schon seit 2007 bieten wir die Nachsorge der Klientinnen und Klienten im Heim über die
sozialpsychiatrische Dialogos-Spitex als Perspektive an. Ab 01.01.2012 bieten wir diese Leistung
auch für Menschen aus der Region an.
Unser gesamtes Leistungsangebot ist als Baukastensystem zu verstehen und in den Vorstellungs-
gesprächen wird der genaue Betreuungsbedarf erhoben. Diese Gespräche sind Schlüsselsituationen,
um das geeignete und notwendige Angebot festzulegen. Wir tun dies zusammen mit den betroffenen
Menschen, die auf Leistungen angewiesen sind. Auch Angehörige sind zentral und tragen aus ihrer
Sicht dazu bei, dass ein passendes «Leistungs-Portfolio aus dem Gesundheits-Sozialwesen» zusam-
mengestellt werden kann.
Wesentliche bisher erreichte Ziele für die Dialogos-Spitex sind die Mitgliedschaft im kantonalen
Spitexverband, die Anschaffung der Spitex-Standartsoftware RaiHC für die Bedarfsabklärung und
die Anstellung einer geeigneten Spitex-Mitarbeiterin. Dabei war es uns ein besonderes Anliegen,
die öffentlichen, etablierten Angebote der bestehenden Spitexorganisationen im Kanton Thurgau
zu ergänzen und im Dialog eine wirksame Zusammenarbeit zu erreichen. Einige Leistungsvereinba-
rungen konnten mit der öffentlichen Spitex abgeschlossen werden und wir freuen uns über die er-
sten positiven Erfahrungen.
Dialogos – Verbindung der BereicheAuch nach 9 Jahren in der Co-Gesamtleitung empfinde ich unsere Zusammenarbeit als kreativ, le-
bendig und gegenseitig ergänzend. Die Eigenständigkeit der Bereiche wächst, die Verbindung bleibt.
Diese Haltung kann sich im Team nur wiederspiegeln, wenn sie konsequent vorgelebt wird. Beson-
ders freut uns, dass wir als kleine Institution in der Personalauswahl keinen Nachteil erleben und
für neue Mitarbeitende attraktiv sind. Die tollen, treuen Mitarbeitenden sind ein riesiges Privileg
und machen einen grossen Teil unserer Perspektive aus. Wir teilen in den Bereichen die Haltung,
dass ein Wagnis im Sinne der individuellen Betreuung, den Reglementierungen immer wieder vor-
gezogen wird. Dabei segeln wir manchmal hart an der Grenze und Stärken können bekanntlich zu
Schwächen werden. Und doch lieben wir den Wind und setzen das Segel gemeinsam.
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5. Ausblick – persönliche Gedanken und Meilensteine
Persönlich - Aus der Perspektive der KlientInnen handelnImmer wieder hat sich gezeigt, dass es eine Ausnahme oder Illusion ist, eine Idee planmässig um-
zusetzen. Während eines Prozesses bleibe ich offen, um notwendige Weichenstellungen zu erkennen
bei gleichzeitigem Bewahren der Ausrichtung. Ein absolutes Highlight im 2011 war für mich die
offene Türe, die wir erlebten, als wir eine weitere Wohnung im unmittelbar gegenüberliegenden
Haus in Stettfurt mieten durften. Diese Wohnung wird gemeinsam mit zwei Klientinnen genutzt
und ein Raum ist als Büro für die Dialogos-Spitex eingerichtet. Als persönlichen Wunsch kann ich
schreiben, dass ich immer wieder in der Praxis den direkten Bezug zu den Klientinnen und Klienten
erleben möchte. Dadurch kann ich meine Handlungen aus der Perspektive der KlientInnen umsetzen.
Ich bin gerne «mittendrin, statt bloss dabei».
Daniel Neukomm, Co-Gesamtleiter
Unsere Organisation im Sozial- und Gesundheitsbereich
Wer sozial ist, bleibt gesund?
Spass beiseite, die Regulierungsdichte über Gesetze, Verordnungen und Richtlinien ist in jedem
Bereich für sich gesehen mehr als genug. Noch haben wir keine Software, die sowohl der Heim- als
auch der Spitex-Arbeit gerecht wird und haben doppelte Kosten in der Anschaffung und teilweise
auch in der Schulung. Während im Heimwesen oft Sozialpädagogen arbeiten, hat Dialogos vorwie-
gend Psychiatriepflegefachleute. Dieser Umstand hat schon früh dazu geführt, dass die Vernetzung
mit psychi atrischen Kliniken fruchtete.
Haben sich die Berufe im Sozialbereich vielerorts emanzipiert, so ist im Gesundheitsbereich die
hierarchische Ebene zwischen Ärzten und Pflegefachleuten, welche Klinik- und Spitalstrukturen
prägen, an der Tagesordnung.
Sind die Grenzen im Heim erreicht, ist offen, ob die gleiche Person im Spitex betreut werden kann.
Eine spannende Aussicht, wenn es um unfreiwillige Austritte geht. Eine Beziehung aufzubauen ist
das eine, eine Beziehung aufzulösen das andere. Manchmal spricht einiges dafür, dass eine voll-
ständige Ablösung von der Institution besprochen wird, während in anderen Fällen eine Nachbe-
21
treuung gewünscht ist, die für alle Beteiligten Sinn ergibt. So kann in allen Bereichen einerseits
unabhängig und andererseits fallbezogen vernetzt gearbeitet werden.
Beleuchte ich die betriebswirtschaftliche Sichtweise über den Zeitrahmen eines Monats, so ist die
Heimrechnung ums circa Zehnfache höher als die durchschnittliche Spitex-Betreuung. Während im
Sozialbereich (Heim) die Einnahmequellen AHV/ IV und sonstige öffentliche Gelder sind, wird im
Gesundheitsbereich (Spitex) über die Krankenkassen abgerechnet. Dieses Thema sollte kein Tabu
sein. Natürlich gibt es Menschen, die für lange Zeit auf eine umfassende Betreuung im Heim an-
gewiesen sind. Für andere bietet die Ablösung vom Heim eine reale Perspektive. Mit dem Risiko,
dass die Auslastung im Heim mit langfristiger Sichtweise verändert, oder gar reduziert wird, bauen
wir unsere eigene Konkurrenz im Haus weiter aus. Somit sind wir schon intern gefordert, zu be-
gründen, welche Behandlung noch notwendig ist und wo auch weniger Kosten verursacht werden
könnten. Wir werden noch oft gezwungen sein, die Perspektiven immer wieder zu wechseln und
daraus für das Umfeld und den Betrieb zu lernen.
Maya Da Pozzo
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23
6. Finanzen
24
Bilanz 31.12.2011 31.12.2010
Aktiven Fr. Fr.
Flüssige Mittel 134 954.09 85 092.02
Forderungen aus Leistungen 184 906.50 190 074.55
Übrige Forderungen 162.00 0.00
Transitorische Aktiven 102 753.77 135 612.20
Umlaufvermögen 422 776.36 410 778.77
Mobilien und Einrichtungen 95 643.00 116 320.00
Bauten 52 974.50 0.00
EDV 5 634.00 0.00
Kaution 23 460.00 16 045.00
Anlagevermögen 177 711.50 132 365.00
600 487.86 543 143.77
Passiven Fr. Fr.
Kreditoren 52 056.70 44 027.85
Transitorische Passiven 0.00 2 791.20
Fremdkapital 52 056.70 46 819.05
Kontokorrent Stiftung 548 431.16 496 324.72
Eigenkapital 548 431.16 496 324.72
600 487.86 543 143.77
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Erfolgsrechnung 2011 2010
Ertrag Fr. Fr.Kostgelder / Taxen 1 357 501.20 1 063 130.05
Sonstiger Ertrag 18 576.00 27 598.55
Zinsen 128.05 134.98
Beiträge IVSE/ IFEG 191 781.35 192 045.10
Spenden 1 350.00 2 430.00
1 569 336.60 1 285 338.68
Aufwand Fr. Fr.Personal - 1 045 788.80 - 829 067.90
Honorare - 45 063.95 - 46 150.40
Medizinischer Bedarf, Lebensmittel, Sachaufwand
Beschäftigung, Haushaltsaufwand - 133 848.35 - 88 177.20
Unterhalt, Reparaturen - 76 832.35 - 86 812.75
Energie, Wasser - 31 254.45 - 13 024.25
Miete - 109 691.60 - 126 337.50
Verwaltung - 60 583.02 - 51 966.45
Übriger Sachaufwand - 30 068.14 -43 369.53
Abschreibungen - 36 205.00 - 29 079.00
Gewinn / Verlust zu Lasten Stiftung 0.79 -28 646.30
Anhang zur Jahresrechnung 2011Kontokorrent Stiftung Fr.
Saldo 1.1.2011 496 324.72
Einlage bar 95 000.00
Barentnahmen Dialogos-Spitex - 42 894.35
Gewinn 2011 0.79
Saldo 31.12.2011 548 431.16
Dialogos-Spitex
Die sozialpsychiatrische Dialogos-Spitex hat im Jahr 2010 fast ausschliesslich zur Gewährleistung
der Nachbetreuung in der eigenen Wohnung Leistungen erbracht. Die Nachfrage nach externen Lei-
stungen blieb nach wie vor Bestehen. Insbesondere die Bedarfsklärung für psychiatrische Spitex-
leistungen für öffentliche Spitexorganisationen wurde angefragt. Auf Grund der Neuorganisation
im Heimbereich waren die verfügbaren Ressourcen für externe Psychiatrie- Spitexleistungen sehr
begrenzt. Dieser Engpass wird voraussichtlich bis zur Mitte des kommenden Jahres andauern. An-
schliessend ist die Aushandlung der pendenten Leistungsvereinbarungen mit den öffentlichen Spit-
exorganisationen geplant.
Erfreulich war die Anfrage des Spitexverbandes Thurgau, welcher uns für ihr Fortbildungsangebot
verpflichtet hat. Die Fortbildung war auf die Haushilfemitarbeiterinnen ausgerichtet und sollte
Grundsätze im Umgang mit psychisch beeinträchtigten KlientInnen vermitteln.
Für uns eine Chance und ein Beitrag zur Entstigmatisierung der Psychiatriebetroffenen. Wir waren
sehr erfreut, dass die beiden Durchführungsdaten in kurzer Zeit ausgebucht waren. Der Spitexver-
band hätte im laufenden Jahr gerne weitere Durchführungsdaten organisiert, was wir zu unserem
Bedauern aus Kapazitätsgründen, nicht erfüllen konnten. Schliesslich wurden wir zusätzlich von
zwei öffentlichen Spitexorganisationen im Thurgau und im Kanton St. Gallen für ein internes Fort-
bildungsangebot angefragt.
Insgesamt durften wir 60 TeilnehmerInnen in den ausgebuchten Fortbildungen begrüssen. Die The-
menvielfalt war breit gestreut und auch diplomierte Pflegefachpersonen mischten sich unter die
HaushelferInnen. Beeindruckt hat mich die ausserordentlich tragfähige Beziehungskompetenz im
jeweiligen Arbeitsalltag der teilnehmenden Spitexmitarbeitenden. Das hohe Dienstleistungsver-
ständnis in den jeweiligen Einsätzen vor Ort bei den KlientInnen in der eigenen Wohnung ist stark
ausgeprägt und konstant erkennbar.
Schwierig erscheint mir, dass die Einsätze in komplexen Situationen oft alleine geleistet werden,
weil dies in der Spitex so üblich ist. Es fehlen Zeiten für Teambesprechungen welche entlastend
auf die einzelnen Arbeitseinsätze wirken können.
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Statistik
Jahr 2008 2009 2010 2011
Eintritte 8 14 13 15
Austritte 6 11 13 10
Vorstellungsgespräche 23 35 40 36
Belegungstage budgetiert 5458 6324 7267 8794
Belegungstage effektiv 5465 6405 7149 7904
Davon externe Tage, Ferien, Spital, Klinik 364 543 752 754
Auslastung 100.1 % 101.3 % 98.4 % 89.9 %
Belegungstage Männer 56.0 % 49.8 % 63.7 % 55.9 %
Belegungstage Frauen 44.0 % 50.2 % 36.3 % 44.1 %
Belegungstage Wohnsitz Thurgau 50.0 % 32.8 % 26.4 % 38.8 %
Belegungstage andere Kantone 50.0 % 67.2 % 73.6 % 61.2 %
Besetzte Plätze effektiv 15.0 17.3 19.6 21.6
Spitexzahlen
Aufwand Fr. 32 707.25
Ertrag Fr. 6 974.80
Betriebsergebnis zu Lasten Stiftung Fr. 25 732.45
Anzahl KlientInnen 5
Anzahl verrechnete Stunden nach KLV 50.25
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7. Organisation
Maya Da Pozzo Daniel Neukomm Gesamtleitung Gesamtleitung
Ingrid von Känel Sonja Humbel Buchhaltung Sekretariat
Wohnheim Stadtwohnungen Beschäftigung
Andrea Zlatkovic Bea Berger Eveline Zihlmann Küche
Mario Tonina Michaela Fäh Roberto Venezia Hauswart
Christoph Grossglauser Monika Graf Trudy Haag Hauswirtschaft
Renate Kiener Vera Rechsteiner Jacqueline Venezia Spitex
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Wohnheim
TrägerschaftBachmann'sche Stiftung
Richterhaus Küche Sozialpsych.Spitex extern
StadtwohnungenAWG
BetriebskommissionCo-GesamtleitungEntwicklungKonzeptevaluation
10 Plätze1-Krisenplatz
Stettfurt
Dorfstrasse 1+3 EinzelwohnungenEWG
Externe Beschäftigung
HauswirtschaftReinigung, Park
Sozialpsych.Spitex
Nachbetreuung2 Wohnungen mit 4- und 2-Plätzen
4 PlätzeFrauenfeld
(weitere n. Bedarf)
Nach BedarfKooperationen in
FrauenfeldPflegefachpers. HF
8 PlätzeRichterhaus
Stettfurt
Sozialpsych.Pflegekonsilium
Fortbildung
Koordinations- und Behandlungsevaluationsstelle
Qualitätssicherung
Pflegefachpers. HFöffentliche SpitexBehörden, usw.
3 Wohnungenà 3 PlätzeFrauenfeld
(weitere n. Bedarf)
2 PlätzeRichterhaus
Stettfurt
Pflegefachpers. HFöffentliche
Organisationen(Realisierungsphase)
Betreuung & Pflege
BerufsbildungWeiterbildungFachärztliche Konsilien
Verwaltung & Logistik
FinanzenPersonalTechnik, UnterhaltVerpflegungHauswirtschaft
Stadtwohnungen Beschäftigung Sozialpsych.Spitex
Organisationsmatrix
31
32
Adresse
DialogosSozialpsychiatrische WohngemeinschaftHauptstrasse 269507 Stettfurt TGTelefon 052 376 12 90Telefax 052 376 23 21Email [email protected] www.dialogos.ch
Spenden-Konto
CH06 8141 6000 0041 1886 8Raiffeisenbank Wängi-MatzingenBachmann'sche StiftungHauptstrasse 269507 Stettfurt