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PhD Jadwiga Brzezińska
Kołobrzeg Poland
Ein Apothekenmanual aus dem 18. Jahrhundert als Nachweis der vielfältigen Labortätigkeit
des Apothekers und seiner hoch geachteten
Stellung in der Gesellschaft.
Im Bereich der Bücher, die dem Apotheker in früheren Jahrhunderten behilflich waren, befin-
den sich die alten Manuale. Sie dienten ihm als auserwählte Wissenschaftsschätze, in die er
gute und erprobte Rezepturen für seine Labortätigkeit eintrug. Die bis jetzt erhaltenen selte-
nen Manuale vom 17. – 19. Jahrhunderts enthalten interessante Informationen.
Ein solch informatives Manual wurde in der Hofapotheke von Słupsk/Stolp in Pommern ge-
funden, es befand sich zusammen mit dem Privileg von 1653 im Archiv der Apotheke.
Die ersten Eintragungen stammen aus dem Jahr 1724.
Zunächst hatte ich anhand historischer Werke ermittelt, wer der Autor dieses Manuals gewe-
sen sein müsste. Besitzer der Stolper Hol Apotheke war im Jahr 1724 Erazm(us) Leincker aus
Kopenhagen. Aber nicht er hat es angelegt. Dieser Apotheker, der in vielen Prozessen mit
Gewürzhändlern verwickelt war, war zu jener Zeit bereits 74 Jahre alt und krank, er starb
1739. Aus dem Duktus der Handschrift ergibt sich, dass es sein 1696 geborener Sohn Johann
Jakob war. Er hatte seinem Vater in der Apotheke geholfen und sie dann selbst übernommen
und geführt. Von ihm stammen 243 Seiten und die letzten 20 Seiten von seinem Nachfolger
Wilhelm Ludwig Emke. Johann Jakob Leincker war 1745 gestorben, und die Erben hatten
dann die Apotheke verkauft.
Das Manual ist in lederbezogenen Holzdeckeln gefasst, hat Foliaformat (16O), der Text ist in
gotischer Schrift und teilweise mit lateinischen Worten versehen.
Auf der ersten Seite befindet sich eine Aufstellung von Maßen und Gewichten, betitelt „Stol-
per Magazin“, danach einige Sprichwörter bezüglich des Beginns der Landarbeiten. Diesen
folgt ein Teil mit allgemeinen Informationen wie der Wert von Münzen in Goldpreis, über
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Wein- und Biermaße, Handels- und Apothekergewichte, astronomische Berechnungen, Groß-
gewichte, Maße für Stoffe, Heringe, Samen und eine Provianttabelle. Auch 145 bis ins 18.
Jahrhundert gebräuchliche alchemistische Zeichen mit ihrer Bedeutung in lateinischer Spra-
che sind aufgeführt.
Es folgen viele Rezepturen für technische Erzeugnisse wie Farben, Seife, Tinte, Blei, Kitt und
kosmetische Mittel, 50 Rezepte für Schnäpse und Liköre, für einige Süßigkeiten, Wurst usw.
sowie eine Anleitung zur Konstruktion einer Sonnenuhr.
Arzneirezepturen für den menschlichen Gebrauch finden sich nur wenige, sie beziehen sich
vor allem auf arme Leute bei Ausbrechen einer Seuche mit der Anmerkung, dass sie bei den
Seuchen von 1598, 1609 und 1611 erprobt worden seien.
Im Gegensatz hierzu sind Rezepturen für Tiere, vor allem für Pferde, sehr reichlich aufge-
führt. Das Pferd war immer sehr wertvoll, und bei seiner Heilung wurde nicht der Arzt, son-
dern der Apotheker als Rossarzt in Anspruch genommen.
In dem Manual befindet sich auch die Instruktion für die pommerschen Bierbrauer aus dem
Jahr 1739, ein Hinweis darauf, dass der Apotheker selbst Bier als Nebengeschäft gebraut hat.
In einer Aufstellung, wie die Arzneien einzunehmen sind, heißt es oft, man solle mit Bier
nachtrinken.
Von heraldischem Interesse ist, dass das Manual mit einigen Wappenzeichen verziert ist.
Dieses handschriftliche Handbuch aus dem 18. Jahrhundert zeigt, wie groß die Autorität des
damaligen Apothekers im Volk war. Er fungierte als ein außerordentlicher Wissenschaftler
und Gelehrter, als gut bewanderter Chemiker und Techniker, als Berater in allen Wissen-
schaftsproblemen sowie als vorzüglicher Ross- und Veterinärarzt.
Voller Hochachtung kann man aus dem Manual die universelle Bildung des Apothekers der
damaligen Zeit und seine bedeutende Position zum Volk erkennen. Beispielhaft für den Beruf
des Apothekers ist es von jeher, aufgrund seines Wissens und seiner Beratungsmöglichkeit zu
Gesundheitsproblemen, aber auch in Lebensfragen, aufgesucht zu werden. Der Apotheker
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dient den Leuten in einer zugänglichen Offizin und kann manchen Kranken nicht nur mit
Arzneien, sondern auch mit aufmunternden Worten und Ratschlägen helfen.
Das historische Vermächtnis unserer Apotheker-Vorfahren und unsere Fachgeschichte führen
uns voller Selbstbewusstsein unsere gesellschaftliche Stellung und unsere verantwortungsvol-
le Rolle im Volk vor Augen.
Zum Schłuss will ich bemerken, dass die Erhaltung dieses Manuals einem außerordentlichen
Glücksumstand zu verdanken. Denn, als die russische Armee im letzten Krieg die Stadt Stolp
erobert hatte, ließ der kommandierende Offizier die gesamte Mittelstadt in Brand setzen. Da-
mit wollte er erreichen, dass die Soldaten anstatt zu plündern weiter vordringen. In dem riesi-
gen Feuer verbrannten zahlreiche Häuser, Läden und drei Apotheken.
Genau so ein Schicksal drohte der Hofapotheke. In dieser Gefahr wollte der im oberen Stock
wohnende alte Inhaber, der betagte Apotheker Hirsch, sie retten. Als Apothekenlehrling war
er einst in Thorn und hatte dort etwas polnisch gelernt, was bekanntlich der russischen Spra-
che ähnlich ist. Er drang bis zum russischen Kommandooffizier durch, warf sich auf die Knie
und bat ihn flehentlich um die Rettung der Hofapotheke. Er machte ihm klar, wie wichtig die
Arzneien gerade im Krieg zur Vorbeugung von Seuchen sind. Der Offizier erhörte ihn und
befahl, eine Kette von Soldaten mit Eimern vom Fluss bis zur Apotheke zu bilden. So wurde
diese alte Hofapotheke am Markt als das einzige Haus der Mittelstadt mit zwei Hälften der
Nachbarhäuser gerettet, alles andere wurde Opfer der Flammen.
In dieser Apotheke wurde später das alte Manual gefunden.