pinnwand im foyer der mensa meer der möglichkeiten · mum 01 | 2010 profile 14 studierende...

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MUM 01 | 2010 PROFILE 14 Studierende durchsuchen Anzeigen heute vor allem virtuell im Internet. Eine erfolgreiche Ausnahme ist das weitläufige Stell- wandsystem im Foyer der Mensa an der Leopoldstraße: Dort rauscht es nur so vor papiernen Annoncenzetteln. Seit dem Bau der Mensa vor rund 30 Jahren wird hier von Studienteilnehmern über WG-Mitbewohner, Komparsen und Sprachaustausch bis hin zum Dirndl alles nur Denkbare gesucht und geboten. Die MUM spürte den Geschichten hinter einigen Anzeigen nach. Wenn Elena Heckel nach Anregungen sucht, macht sie sich auf zum Mensagebäude hinter dem „Schweinchenbau“ der LMU. Dort kämp- fen Zettelannoncen in einem Meer aus Wörtern und Bildern um Auf- merksamkeit – an der blauen Wand des riesigen Stellwandsystems im Erdgeschoss. Die junge Frau ist hier schon vielfach fündig gewor- den: „Ich habe kurzfristige Jobs gefunden, Tandempartner für Spra- chen, Kontakt zu einer Elterngruppe, verschiedene Kurse und Möbel, Übersetzungen, medizinische Tests und vieles mehr.“ Mit einem Tan- dempartner aus Italien ist sie heute noch befreundet. Einmal half sie einem Apotheker beim Umzug – für 15 Euro die Stunde. „Das war für mich als Studentin viel Geld!“ In ihren Unizeiten verkaufte sie zudem einige Bücher, fand für einen Freund eine Wohnung und für sich selbst einen Nachmieter. „Die Wände“, so Dr. Anke van Kempen, Sprecherin des Studenten- werks München, „sind meines Wissens seit der Eröffnung der Men- sa vor über 30 Jahren da und gehörten mit zum Konzept. Grundsätz- lich sind sie frei und offen zugänglich, bis auf diejenigen, die von der Deutschen Hochschulwerbung (DHW) an kommerzielle Anbieter ver- pachtet werden. Diese sind mit einem Schild gekennzeichnet.“ Die DHW achte auch darauf, dass keine kommerziellen Anbieter an den Wänden plakatierten, die für die Studierenden und ihre Zettel reser- viert sind. „In den Semesterferien gehen unsere Hausmeister dann einmal drüber und entfernen alles“, so van Kempen. Es gehe aber „ziemlich schnell“, bis die Wand anschließend wieder voll und die blaue Farbe des Holzes fast nicht mehr zu sehen sei. GEBOTEN: BASKISCH-DEUTSCHE GESPRäCHE Zweisprachig kommt etwa die Annonce von „Mikel“ daher: Auf Deutsch und Baskisch beschreibt er den Wunsch nach einem Tan- demprojekt, also einem Sprachaustausch. Per E-Mail erklärt er: „Ich komme aus dem Baskenland und spreche Baskisch als Mutterspra- che – eine komische und isolierte Sprache am Atlantik, zwischen Spanien und Frankreich.“ Vor zwei Jahren kam Mikel für ein Eras- mussemester an die Technische Universität München. Seit einem Jahr arbeitet er hier als Ingenieur. „Obwohl ich nach dieser Zeit schon genügend gut Deutsch kann (weil viele von meinen Freunden deutsch sind)“, schreibt er, „habe ich Lust, ab und zu meine Mutter- sprache zu verwenden.“ Da er wusste, dass es an der LMU möglich ist, Baskisch zu lernen, annoncierte er an der Uni-nahen Pinnwand. „Ich dachte, es wäre eine gute Idee, ein deutsch-baskisches Tandem zu bilden – oder zumindest origineller als das übliche Deutsch-Spa- nisch-Tandem.“ Leider ohne Erfolg. „Es hat bisher nicht geklappt; vielleicht müsste ich bunte Plakate benutzen.“ GESUCHT: STUDIENTEILNEHMER AUS NICHT-BAYERN Schlicht und seriös auch die bildlose Anzeige des Instituts für Pho- netik und Sprachverarbeitung der LMU, das um Teilnehmer für Sprachaufnahmen wirbt. „Die Aufnahmen dienen der Entwicklung von Sprachtechnologie“, heißt es darin, „z. B. sprachverstehende Computer oder Geräte, Sprechhilfen für Behinderte, und so weiter.“ Der Hinweis „25 Euro für 55 Minuten!“ scheint Früchte zu tragen, wie ein Anruf bei Projektleiter Dr. Christoph Draxler zeigt: Bereits nach kurzer Zeit haben sich 40 Teilnehmer gefunden, 200 werden gesucht. Dabei kommt es nicht nur auf die Anzahl, sondern vor allem auf die Mischung an: zwischen Männern und Frauen, Jungen und Alten, Bayrisch und anderen Sprachfärbungen. Deshalb steht in der Anzeige: „Sie sind deutscher Muttersprachler, zwischen 16 und 60 Jahre alt und haben die Grundschule in Deutschland, aber nicht in Bayern besucht.“ Denn: Bayern finden sich auch unter den Kollegen am Institut – was oft fehlt, sind Teilnehmer aus dem Rest der Republik. GEBOTEN: DIRNDL Die Anzeige „Modisches Dirndl zu verkaufen“ verspricht ein kurzes, hellblaues Kleid mit weißer Schürze, das 29 Euro kosten soll. Getra- gen wurde es der Anzeige nach nur einmal, mit dem diskreten Hin- weis „(wegen Gewichtsabnahme)“. Unter der angegebenen Telefon- nummer meldet sich eine junge Frau. Sie hat in den letzten Wochen PINNWAND IM FOYER DER MENSA MEER DER MöGLICHKEITEN

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Studierende durchsuchen Anzeigen heute vor allem virtuell im internet. eine erfolgreiche Ausnahme ist das weitläufige Stell-wandsystem im foyer der Mensa an der leopoldstraße: Dort rauscht es nur so vor papiernen Annoncenzetteln. Seit dem Bau der Mensa vor rund 30 Jahren wird hier von Studienteilnehmern über WG-Mitbewohner, Komparsen und Sprachaustausch bis hin zum Dirndl alles nur Denkbare gesucht und geboten. Die MUM spürte den Geschichten hinter einigen Anzeigen nach.

Wenn Elena Heckel nach Anregungen sucht, macht sie sich auf zum Mensagebäude hinter dem „Schweinchenbau“ der LMU. Dort kämp-fen Zettelannoncen in einem Meer aus Wörtern und Bildern um Auf-merksamkeit – an der blauen Wand des riesigen Stellwandsystems im Erdgeschoss. Die junge Frau ist hier schon vielfach fündig gewor-den: „Ich habe kurzfristige Jobs gefunden, Tandempartner für Spra-chen, Kontakt zu einer Elterngruppe, verschiedene Kurse und Möbel, Übersetzungen, medizinische Tests und vieles mehr.“ Mit einem Tan-dempartner aus Italien ist sie heute noch befreundet. Einmal half sie einem Apotheker beim Umzug – für 15 Euro die Stunde. „Das war für mich als Studentin viel Geld!“ In ihren Unizeiten verkaufte sie zudem einige Bücher, fand für einen Freund eine Wohnung und für sich selbst einen Nachmieter.„Die Wände“, so Dr. Anke van Kempen, Sprecherin des Studenten-werks München, „sind meines Wissens seit der Eröffnung der Men-sa vor über 30 Jahren da und gehörten mit zum Konzept. Grundsätz-lich sind sie frei und offen zugänglich, bis auf diejenigen, die von der Deutschen Hochschulwerbung (DHW) an kommerzielle Anbieter ver-pachtet werden. Diese sind mit einem Schild gekennzeichnet.“ Die DHW achte auch darauf, dass keine kommerziellen Anbieter an den Wänden plakatierten, die für die Studierenden und ihre Zettel reser-viert sind. „In den Semesterferien gehen unsere Hausmeister dann einmal drüber und entfernen alles“, so van Kempen. Es gehe aber „ziemlich schnell“, bis die Wand anschließend wieder voll und die blaue Farbe des Holzes fast nicht mehr zu sehen sei.

GeBoten: BASKiSch-DeUtSche GeSprächeZweisprachig kommt etwa die Annonce von „Mikel“ daher: Auf Deutsch und Baskisch beschreibt er den Wunsch nach einem Tan-

demprojekt, also einem Sprachaustausch. Per E-Mail erklärt er: „Ich komme aus dem Baskenland und spreche Baskisch als Mutterspra-che – eine komische und isolierte Sprache am Atlantik, zwischen Spanien und Frankreich.“ Vor zwei Jahren kam Mikel für ein Eras-mussemester an die Technische Universität München. Seit einem Jahr arbeitet er hier als Ingenieur. „Obwohl ich nach dieser Zeit schon genügend gut Deutsch kann (weil viele von meinen Freunden deutsch sind)“, schreibt er, „habe ich Lust, ab und zu meine Mutter-sprache zu verwenden.“ Da er wusste, dass es an der LMU möglich ist, Baskisch zu lernen, annoncierte er an der Uni-nahen Pinnwand. „Ich dachte, es wäre eine gute Idee, ein deutsch-baskisches Tandem zu bilden – oder zumindest origineller als das übliche Deutsch-Spa-nisch-Tandem.“ Leider ohne Erfolg. „Es hat bisher nicht geklappt; vielleicht müsste ich bunte Plakate benutzen.“

GeSUcht: StUDienteilnehMer AUS nicht-BAyernSchlicht und seriös auch die bildlose Anzeige des Instituts für Pho-netik und Sprachverarbeitung der LMU, das um Teilnehmer für Sprachaufnahmen wirbt. „Die Aufnahmen dienen der Entwicklung von Sprachtechnologie“, heißt es darin, „z. B. sprachverstehende Computer oder Geräte, Sprechhilfen für Behinderte, und so weiter.“ Der Hinweis „25 Euro für 55 Minuten!“ scheint Früchte zu tragen, wie ein Anruf bei Projektleiter Dr. Christoph Draxler zeigt: Bereits nach kurzer Zeit haben sich 40 Teilnehmer gefunden, 200 werden gesucht. Dabei kommt es nicht nur auf die Anzahl, sondern vor allem auf die Mischung an: zwischen Männern und Frauen, Jungen und Alten, Bayrisch und anderen Sprachfärbungen. Deshalb steht in der Anzeige: „Sie sind deutscher Muttersprachler, zwischen 16 und 60 Jahre alt und haben die Grundschule in Deutschland, aber nicht in Bayern besucht.“ Denn: Bayern finden sich auch unter den Kollegen am Institut – was oft fehlt, sind Teilnehmer aus dem Rest der Republik.

GeBoten: DirnDl Die Anzeige „Modisches Dirndl zu verkaufen“ verspricht ein kurzes, hellblaues Kleid mit weißer Schürze, das 29 Euro kosten soll. Getra-gen wurde es der Anzeige nach nur einmal, mit dem diskreten Hin-weis „(wegen Gewichtsabnahme)“. Unter der angegebenen Telefon-nummer meldet sich eine junge Frau. Sie hat in den letzten Wochen

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Anzeige hat er ein Foto von sich im Fußballtrikot gestellt und schreibt: „Ich bin sehr umgänglich, habe schon WG-Erfahrung, bin nicht sonderlich anspruchsvoll, was die Wohnung angeht – und sehr selten (Es gibt nur 320.000 Isländer!).“ Auf eine E-Mail hin resümiert Andri: „Die Suche war leider erfolglos. Ich bekam überhaupt keine E-Mails mit Zimmerangeboten, aber ein Sprachenlehrer wollte sich mit mir treffen, um Isländisch von mir zu ler-nen und mir Deutsch beizubringen.“ Ein paar Mal schrieben die beiden hin und her und planten schon ein Treffen – doch irgendwann meldete sich der Interessent nicht mehr. „Ein Zimmer habe ich jetzt aber trotzdem“, schreibt Andri, „weil meine Freundin eine Anzeige für ein WG-Zimmer für mich gefunden hat.“

GeSUcht: KoMpArSenAuch Elena Heckel annonciert zuweilen selbst. Zum Beispiel sucht sie als „Scout“ für eine große Komparsenagentur Studierende, die zum Film wol-len. Dafür erhält sie ein Vermittlungshonorar. Die Streifen mit Telefonnummern unter ihrem Zettel „Jobs im TV“ sind allesamt abgerissen. „Hallo“, hatte sie unter einer knallig-orangefarbenen Über-schrift geschrieben, „wolltest Du schon immer ein-mal für Kino- und Fernsehfilme, TV-Serien oder Werbung tätig sein und dabei auch noch Geld ver-dienen?“ Sie selbst ist auch Komparsin bei dieser Agentur und war schon in etwa 40 Produktionen zu sehen. „Bei Serien wie ,Marienhof’, ,Sturm der Liebe’ oder ,Dahoam ist Dahoam’. Im Fernsehen hat sie auch schon eine Krankenschwester gege-ben und eine Ärztin. „Und ich bin drei Mal umge-bracht worden.“ Die Studenten in der Mensa seien für sie die perfekte Zielgruppe – „weil sie oft zuver-lässig, pünktlich, gut aussehend und zeitlich flexi-bel sind.“ ■ ajb

etwa 50 Anrufe wegen des Dirndls bekommen – trotzdem hängt es noch immer in ihrem Schrank. „Manche haben gefragt, ob ich es auch in anderen Größen, Farben oder Ausführungen habe. Als wäre ich eine professionelle Händlerin...“ Eine Schnei-derin rief an, die anbot, das Kleid zu ändern und der aktuellen Körpergröße anzupassen. Und es kamen „unseriöse Anrufe“ zwielichtiger Herren. „Ich würde nichts mehr an diese Pinnwand hän-gen“, sagt die junge Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte.

GeSUcht: MoDelS, Die Wie StUDentinnen AUSSehen Wer „optisch einer möglichst typischen Studentin“ entspricht, dem werden auf einem anderen Zettel 30 Euro für ein Fotoshooting geboten. „Suche Studentin für Fotoshootings zu Themen wie Stu-dieren, Studentin, Universität, Lernen auch im Sommer, Freizeit, etc. Für seriöse Bildagentur.“ Das Modell sollte rund 20 Jahre alt sein und even-tuell eine Brille tragen. Eine Mail an die angege-bene Adresse zeigt: Wolfgang Demmel ist erstaunt, dass seine Anzeige noch hängt. „Ich hatte sie ir-gendwann in den Sommerferien dort hingehängt und hätte fast erwartet, dass sie längst überplaka-tiert oder abgerissen ist.“ Demmel ist Lehrer an einer Fachoberschule – und fotografiert nebenher für verschiedene Bildagenturen. „Ich wollte es mal mit dem Thema ,Bildung’ versuchen“, erklärt er. „Um eine Studentin darzustellen, müsste sie zum Beispiel Utensilien wie Bücher, Laptop oder eben eine Brille tragen.“ Dabei betont er, „dass das ab-solut seriös ist“. Gefunden hat sich bisher keine Studentinnendarstellerin.

GeBoten: iSlänDiScher MitBeWohnerAndri aus Höfn in Island sucht ein WG-Zimmer. Zur