politikorange worldskills

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BERUFEN JULI 2013 UNABHÄNGIGES MAGAZIN ZU DEN WORLDSKILLS IN LEIPZIG VOM 02. BIS 07. JULI 2013 HERAUSGEGEBEN VON DER JUGENDPRESSE DEUTSCHLAND

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Im Juli 2013 findet in Leipzig die Weltmeisterschaft der Berufe statt. Über 1000 Wettkämpfer aus 53 Ländern und Regionen kämpfen um Gold. politikorange widmet allen Teilnehmern und Besuchern diese Publikation.

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Page 1: politikorange WorldSkills

Berufen

Juli 2013 Unabhängiges Magazin zU den Worldskills in leipzig voM 02. bis 07. JUli 2013 heraUsgegeben von der JUgendpresse deUtschland

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Foto, Titelfoto: Simon Ruf

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»Tradition« Aus dem gleichen Holz: Schreiner in der vierten Generation Seite 15

Liebe Leserinnen und Leser,

vier Tage suchte Leipzig Weltmeister, Gladiatoren unterschiedlicher Nationen

– je einen für 46 Disziplinen. Über 1 000 Wettkämpfer, 53 Länder und Regionen, 200 000 Besucher und 1 000 Journalisten. 12 davon waren wir, das Redaktions-team der politikorange, die euch 20 Sei-ten prall gefüllt mit Berufen, Helden und den Grenzen präsentieren.Von krankheitsbedingten Ausfällen krea-tiven Potentials gebeutelt, arbeitete das Team drei Tage unter Hochdruck. Lei-den mussten dabei vor allem die Drop-box, die wegen Chaos geschlossen wur-de und die Süßigkeitenkörbe, die den Kampf gegen uns jeden Tag auf‘s Neue verloren haben.Aber nicht nur wir haben keine Kosten und Mühen gescheut, sondern auch die Veranstalter: Vor neun Monaten begann die Logistik mit den Vorbereitungen. Fri-seure bekamen von ihren Chefs ein Jahr frei um für die WM zu trainieren. Der Autohersteller BMW stoppte sogar das Band, damit Teilnehmer an nagelneuen Karosserien arbeiten konnten.Wir bieten Euch Erfahrungsberichte, die unter die Haut gehen, Hintergrundsto-rys und haben weltmeisterliche Fami-lien ins Heft gepackt, gewürzt mit einer Prise Selbstverwirklichung und Gesell-schaftskritik.

Eure Chefredaktion,Lisa Brüßler und Michael Rosenthal

ediTorial

inhalT

»Spiegel« Wer schön sein will, muss zahlen? Seite 13

Ein Pfeifen durchzieht die Wettkampf-halle auf der Leipziger Messe. Isabelle Belanger dreht sich verwirrt um. Kann das Zeitgefühl nach vielen Stunden har-ter Arbeit schon so zerstört sein? Auf den WorldSkills in Leipzig treten über 1 000 junge Fachkräfte in 46 Berufen an. Die Kanadierin ist bei der 42. Auflage der Be-rufe-WM als Grafikdesignerin dabei. Für die heutige Aufgabe gestaltet sie einen politischen Aufruf. Ein fragender Blick zu ihrer Betreuerin. Diese macht mit einer schnellen Handbewegung zur Uhr klar: noch 7 Minuten, 38 Sekunden. Es bleibt genug Zeit für den letzten Feinschliff.

Zur gleichen Zeit setzt Mathias Niel-sen einen Stein in sein Bundeswappen. Der dänische Maurer ist der erste Teil-nehmer, der vor sich einen vollständigen Adler sehen kann, trotz dass noch eini-ge Steine fehlen. Jeden Tag erhalten die Handwerker eine neue Aufgabe. Am Vor-tag stand das Leipziger Völkerschlacht-denkmal auf dem Programm. Bevor los-gemauert wird, schneiden die Teilnehmer ihre Steine akkurat zu. Noch sind einige dabei. Auch die Zuschauer hätten in-zwischen Ohrenschützer dringend nötig, dazu legt sich Staub auf die Zunge.

Bei den Grafikern sind währenddes-sen die letzten Prüfungsminuten ange-brochen. Schneller und schneller werden die Bewegungen. Punkt für Punkt geht Isabelle Belanger die Anforderungsliste durch. Alles erfüllt. Sie schneidet den Ausdruck ihrer Arbeit zu und fügt die Teile geschickt zusammen. Nur leise hört man ein Klatschen, doch der Ruf des Endes verbreitet sich schnell. Die Teil-nehmer klatschen mit und entfernen sich langsam von ihren Tischen. Es ist eine kollektive Unruhezu spüren, ob wirklich alles erledigt ist. Isabelle Belanger fährt

sich durch die Haare und wischt sich mit dem Handrücken Schweiß von der Stirn. Ein ganzer Tag Anspannung hat nun ein Ende gefunden. Sie lässt sich in einen an der Wand stehenden Stuhl fallen. Jetzt entscheidet nur noch die Jury.

Den Maurern wird noch eine Vier-telstunde angezeigt. Statt Mörtel sieht Mathias Nielsen neben sich nur den Ei-merboden. Ein letztes Mal gießen die Be-treuer nach. Er gibt die graue Masse auf die Mauer und setzt einen weiteren Stein. Den Mörtel streicht er aus der Fuge, bis nur noch wenig hervorsteht. Nur einen halben Meter daneben prüfen die Juroren bereits das Ergebnis des Vortags. Ein Ju-ror legt eine große Wasserwaage auf die Mauer und verzieht die Augenbrauen. Mathias Nielsen zittert, während er kurz in ihre Richtung sieht. Dann ertönt auch hier ein Klatschen, die Maurer stoppen

ihre Tätigkeit. Mathias Nielsen räumt ruhig sein Werkzeug zusammen und ver-lässt die Arena.

Isabella Belanger sitzt noch auf ih-rem Stuhl. Die Entspannung ist ihr deut-lich anzumerken und im Gespräch mit ihrer Trainerin hat sie sogar wieder ein Lächeln auf den Lippen. Doch am näch-sten Tag beginnt der Stress wieder von vorn – denn das ist der Wettkampf.

Michael Rosenthal19, Leipzig

... ist Weltmeister in spon-tanen Assoziationen.

»exoten« Unbekannte Berufe ausgegraben: Was macht ein Karosseriespengler? Seite 07

»Werkzeug« Alles muss raus: Was nach der WM passiert. Seite 06

Foto: Simon Ruf

Um die Wette Stein aUf Stein, Pixel an Pixel biS zUSammenhängende bilder entStehen. dabei ge-räUSchkUliSSe, kamerablitzen, zUSchaUermaSSen drama-tiSche momente, hektik, zittern – alleS iSt dabei Wenn die beSten der beSten Um den WeltmeiStertitel kämPfen. eine reportage von Michael rosenthal.

iSaBelle W Belanger iST hochkonzenTrierT im WeTTlauf gegen die zeiT.

Foto: Simon RufmaTThiaS nielSen WerkelT an Seinem exponaT.

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JohanneS fleiSchmann, 22 Jahre, hipolSTein, deuTSchland

E rst kommt die Gesellenprüfung, dann der Landeswettbewerb und

dann der Bundeswettbewerb, schließlich kommt man zur Weltmeisterschaft“. Jo-hannes Fleischermann spricht aus Erfah-rung. Denn so kam auch er damals zu den WorldSkills 2011 nach London und brachte als Fliesenleger die Silbermedail-le nach Deutschland. „Es war wahnsinnig aufregend und großer Druck lastete auf einem“, erinnert sich der 22-Jährige. Er arbeitet auch hauptberuflich als Fliesen-leger. Ihn reizte vor allem die zeitliche Herausforderung. In fünf Tagen musste Fleischermann damals Fliesen mit Mo-tiven wie dem Big Ben legen.

Ein Praktikum festigte seinen Be-rufswunsch. Viel Kreativität und die Möglichkeit genau zu arbeiten machen den Beruf zu etwas Besonderem. Man sieht, was man erschafft. Auf die Frage, was er bisher als größte Herausforde-rung in seinem Beruf ansieht, antwortet er nur: „Die Weltmeisterschaft!“ Auch diesmal ist er wieder dabei. Aber nicht als Kandidat, sondern als Helfer. Ihn fin-det man in der „Mitmach-Ecke“, in der die Besucher sich selbst als Fliesenleger ausprobieren dürfen.

Skilled PeoPle Sie haben die ver-SchiedenSten berUfe, kommen aUS den UnterSchiedlichSten nationen Und Stehen vor den vielSeitigSten aUfgaben. WaS Sie alle eint, iSt der ehrgeiz im berUf. darUm Sind Sie hier. JUssra zaMani Und Wiebke vollMar haben Sie getroffen.

JuSTin Schipper,21 yearS andJack van den Broek,20 yearSmonarch, canada

J ustin and his partner Jack are re-presenting Canada in the skill

Landscape Gardening. Both won a competition in Canada which qualified them to take part in WorldSkills 2013. Justin has been working in Landscape Gardening for almost three years and Jack started at the age of 15. They find it satisfying to work outside, especially when others appreciate their work. „We do happiness“, Jack laughs. Their expe-riences at WorldSkills are shaped by a lot of work and exertion, as is evident from the earth and sweat on their ove-ralls. Nevertheless, Jack and Justin are impressed by the picturesque German landscape and historical monuments.

„Canada doesn‘t have that much history like old buildings,“ Justin noticed. But on the other side, the humidity is rat-her exhausting. „It‘s too warm. Very hu-mid,“ complains Jack. Justin says that he tried construction for a while but is convinced that landscaping is better.

„But most importantly, the food is great, especially the long Hot Dog known as Bratwurst…“

feryan romadhon,20 Jahre,indoneSien

S ommer, Sonne, Strand und Meer – das ist es, was normalerweise das

Leben von Feryan Romadhon bestimmt. Er ist von Indonesien 11.022,871 Kilome-ter nach Deutschland geflogen, um an den WorldSkills in Leipzig teilzunehmen. Seit Dienstag misst er sich mit anderen Teil-nehmern in der Kategorie Elektronik. Da-bei geht es vor allem darum, trotz Druck ruhige Nerven zu bewahren. Die vier Hauptdisziplinen sind Hardware Design, Programmieren von Geräten, Fehlerfin-dung und Montage. Feryan ist 20 Jahre alt und zum ersten Mal in Europa. Er bewun-dert die Disziplin und Sauberkeit, für die Deutschland in der Welt bekannt ist. „Das steht im Kontrast zu meiner heimatlichen Kultur.“ Doch er sieht das alles positiv. Ebenso wie er die Ruhe und das dunkle Brot zu schätzen weiß. Für die Elektronik, erzählt er, braucht man skills in der Ma-thematik, Computer-Wissen, Analytisches Denken und die Fähigkeit im Team und unter Anleitung zu arbeiten. Feryan erzählt, dass er noch sieben Tage nach dem Wett-bewerb hier bleibt, dann fliegt er wieder zurück. Er freut sich schon auf das deutlich wärmere Wetter in Indonesien, auch wenn dort gerade Regenzeit ist.

pia ropo,21 Jahre,Tampere, finnland

W enn man sieht mit welcher Leiden-schaft und welchem Ehrgeiz die

Teilnehmer ihre Disziplinen ausüben, denkt man eigentlich, diese Berufsrichtung war schon immer ihr Traum. Dass das jedoch nicht so sein muss beweist Pia Ropo: Die 21-Jährige Finnin entschied sich spontan für die Richtung Grafikdesign – kurz nach ihrem Schulabschluss. Ausschlaggebend waren für sie die Zukunftsperspektiven in diesem Beruf. Nun nimmt sie als eine der Besten der Welt an den WorldSkills teil. Vor zwei Jahren beendete sie ihre schulische Ausbildung und arbeitet nun in einer Wer-beagentur als Grafikerin. Sie erzählt, dass sie zum großen Teil in ihrem Beruf an ihren Fähigkeiten feilen konnte, um sich auf die Weltmeisterschaft vorzubereiten.

Ein besonderes Augenmerk liegt auf den Bereichen Editorial Design und neue Medien, Verpackungsdesign, Unterneh-mens- und Informationsdesign und auf dem Werbe- und Anzeigendesign. Für die Zukunft wünscht sich Pia, dass sie in einem größeren Werbeunternehmen ar-beiten kann. Und dabei bieten die World-Skills natürlich viele Chancen potentielle Arbeitgeber auf sich aufmerksam zu ma-chen.

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M odetechnologen beschäftigen sich mit vielen Bereichen der Kleidungsherstellung. Sie spüren

Trends auf und zeigen Kreativität und Einfallsreichtum. Zu den Modetechnologen gehören beispielsweise Schnei-der, Designer und Manager. Die Modetechnologie befasst sich mit Prozessen vor und während der Produktion. Ein wichtiger Bestandteil ist die Textiltechnologie, bei der die Maßanfertigung von Bekleidungsstücken im Mittelpunkt steht. Aktuelle Mode- und Farbtrends sind ebenso zu be-achten, wie das richtige Zuschneiden der Stoffe und das Nähen. Die technische Effi zienz steht dabei genauso im Vordergrund, wie die Handhabung der unterschiedlichen Materialien und die Umsetzung an Nähmaschinen in Werkstätten oder Fabriken.

Ein Modetechnologe ist also von der Planung bis zur Produktion von Kleidungsstücken involviert und trägt eine große Veranwortung.

nachgeforScht WaS macht eigentlich ein kUnStStoffformen-entWickler, ein karoSSerieSPengler Und WaS iSt mode technologie? Wir konnten UnS nichtS darUnter vorStellen Und So haben sU odabasi, Franziska röpke Und lisa brÜssler aUf der meSSe nachgefragt.

A m Flughafen, nur wenige Kilometer westlich der WorldSkills, werden

Waren in alle Welt verfrachtet – so viele wie fast nirgendwo sonst. Auf der ganzen Welt fi ndet man Produkte, die in Leipzig umgeladen wurden. In der Region produ-zieren die Sachsen nicht nur Autos und Halbleiter – daher auch die Bezeichnung

„Silicon Saxony“. Die Teilnehmer können bei vielen Wettbewerben Hand an regio-nale Produkte anlegen. Schon seit Jahr-hunderten ist Leipzig eine wichtige Han-dels- und Messestadt. Handwerker aus allen Himmelsrichtungen produzierten Waren, die hier angeboten wurden.

die WorldSkillS alS chance

Spricht man mit den Besuchern, sticht Sächsisch als Sprache hervor. Die meisten, die an den Werkstätten die Teilnehmer be-wundern, kommen aus Leipzig und Umge-bung. Schulklassen nutzen die Veranstal-tung, um sich über ihre eigene Zukunft zu informieren. Eine solche Vielfalt an Berufen an einem Ort werden sie nicht erneut er-leben.

Abgesehen von Leipzigern sieht man nur wenige Besucher. Weit reichte der Ruf der spannungsgeladenen Veranstaltung lei-

der nicht. Natürlich bringen die Teilnehmer ihre Unterstützer mit. Aus aller Welt beglei-ten sie ihre Freunde und feuern sie bei den körperlich und geistig anstrengenden Auf-gaben an.

Die Wettkämpfer und ihre Beglei-ter verströmen internationales Flair in der Stadt. Sie erleben den Wettkampf zu Gast bei Freunden. Für Leipzig und Sachsen bietet die internationale Großveranstaltung die Chance, sich als weltoffen zu präsentie-ren. Die internationalen Besucher können die Stadt mit spannenden Eindrücken im Gepäck verlassen – und mit Familie und Freunden nach Leipzig zurückkehren.

Ein Wiedersehen gibt es dann nächstes Mal 2015 in São Paulo, wieder Olympia-stadt.

Michael Rosenthal19, Leipzig

... ist Weltmeister der kürzesten Anreise: 15 min vom Bett zur Messe.

WerkStadt laibzSch für 2012 träUmten die leiPziger von olymPiSchen SPielen in ihrer Stadt. doch der zUSchlag für olymPia ging aUSgerechnet an london – dem letzten aUStragUngSort der WorldSkillS. aUf 30 londoner kommt nUr ein leiPziger. damit Wirkt der dieSjährige aUStragUngSort Provinziell, iSt aber dennoch eine gelUngene Wahl. ein koMMentar von Michael rosenthal

meinung

K unststoffformen-Entwicklung für wen, für was und warum? In diesem Berufsfeld arbeiten Werkzeug-

mechaniker. Das sind Menschen die Stanzwerkzeuge, Biegevorrichtungen, oder Gieß- und Spritzgussformen für die industrielle Serienproduktion herstellen. Sorgfalt, technisches Geschick und gute mathematische Kennt-nisse sind die Grundvoraussetzung für die Arbeit. Da-bei wird gebohrt, gefräst und gehämmert. Vorher stellt man Zeichnungen her und spritzgießt mit diesen die Kunststoffprodukte. Dazu muss man mit einem spezi-ellen System umgehen, das die Formen anfertigt und anschließend poliert. Der Werkzeugmechaniker montiert dann diese Teile in eine Maschine, die die Spritzgießteile herstellt. Darüber hinaus warten und reparieren sie be-schädigte Werkzeugteile. Ein konkreter Anwendungsbe-reich ist die Herstellung von medizin- und chirurgietech-nischen Geräten.

D er Karosseriespengler ist derjenige, der nach dem Auffahrunfall die Autos wieder gerade biegt. Genauer

gesagt, die Karosserie des Wagens. Zu seinem Aufgabenbe-reich gehört auch die Reparatur nach einem Hagelschaden. Er bessert die Beulen im Dach aus und wechselt wenn nö-tig die Windschutzscheibe. Dabei arbeitet er eng mit dem Autolackierer zusammen. Eine Lehre zum Karosseriespeng-ler dauert in der Regel vier Jahre. Sie gilt als eine der an-spruchsvollsten Handwerkslehren. Also durchaus ein aner-kannter Beruf, hinter diesem seltsamen Begriff.

Das Wort „Spengler“ ist ein Synonym für Klempner. In Österreich und der Schweiz ist diese Bezeichnung of-fi ziell anerkannt, in Deutschland ist sie nur im süddeut-schen Dialekt zu fi nden. Das Vorurteil vom Klempner, der die Abwasserrohre montiert, entspricht nur in Teilen dem Berufsfeld. Klempner ist, wer mit Metall umgeht, Metall herstellt oder aus dem Material Dinge produziert.

Bild: JiSiGn // fotolia.de

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W ie kann es heute eine Veranstal-tung wie die WorldSkills geben?

Die Geschichte der Organisation World-Skills geht bis zu den Anfängen des Kalten Krieges zurück: Nach Ende des Zweiten Weltkriegs fehlten qualifizierte Facharbeiter auf dem europäischen Ar-beitsmarkt. Auch die Länder, die nicht kriegsführend waren, befanden sich in schlimmen Zuständen. Spanien musste nicht nur mit weniger Handelsmöglich-keiten klarkommen, sondern auch nach dem gewaltsamen Bürgerkrieg gesun-den. Genau aus diesem Grund hatte ein gewisser Herr José Antonio Elola Olaso, Generaldirektor der spanischen Jugendor-ganisation “OJE”, 1946 eine Idee:

Eine Veranstaltung sollte es geben, die die spanische Jugend überzeugen kann. Nur mit einer fachlicher Ausbil-dung habe man eine gute Zukunft, so die These. Zu Beginn haben nur Spani-er teilgenommen; 1953 kamen Deutsche, Briten, Franzosen und andere Europäer dazu. 1970 auch Japan und dann die Welt.

Heute, 2013 in Leipzig, stehen mehr als 1 000 Teilnehmer aus 67 Mitgliedsländern/-regionen im Wettbe-werb – das sind die Olympischen Spiele der Berufe. Und obwohl wir nicht mehr im Kalten Krieg sind, brauchen wir heu-te mehr als je zuvor qualifizierte Fach-kräfte, die eine technisch fortgeschritte-ne Wirtschaft bedienen können.Das ist genau die Vision hinter der Ver-

anstaltung; die praktische Umsetzung, die sie ermöglicht, ist die andere Seite der Medaille. Doch wie funktioniert das? Wie werden mehr als 1 000 Teilnehmer ausgewählt und dennoch zusammenge-bracht, um ihre Länder und Disziplinen geschlossen zu vertreten? Wie konzipiert man Wettkämpfe, die Schweißer und Fri-seure in ihren Disziplinein in klarem und direktem Wettbewerb zueinander stehen lassen?

von unTen nach oBen

„Es beginnt alles auf Provinzebene”, er-klärt Laura Decker, Projektmanagerin im Regionalbüro in Nova Scotia von Skills Canada. Sie erklärt, wie die WorldSkills Organisationen aufgebaut sind: „In Nova Scotia, zum Beispiel, haben wir einen Re-gionalwettbewerb, wo wir uns ein regio-nales Team aufbauen, indem wir Konkur-renten aus dem Gebiet zusammenbringen. So macht es auch jede Regionalgruppe im Land; Skills Canada erwartet, dass jede Provinz teilnehmen wird.” Es gebe dann ein nationales Skills Canada Büro, das die regionalen Teams in einen Nationalwett-bewerb setzt, erzählt sie. Auf dem wird das nationale Team ausgewählt. Somit wird Beteiligung schon auf Regionalebe-ne geschaffen. „Man steht in Kontakt mit den Berufsschulen, damit sie ihren Schü-lern mitteilen, was für Gelegenheiten wir für sie anbieten. Auch mit Betrieben ko-

operieren wir. Einzige Voraussetzung ist, dass die Teilnehmer noch jung sind oder sich in einer Ausbildung befinden”, er-klärt Frau Decker weiter.

Die Gewinner aus dem National-wettbewerb werden von Experten aus ih-rem Land darin geschult, ihre Fähigkeiten für die internationale Ebene zu schärfen. Weiterhin sollen diese Experten auch Vorschläge zu den Aufgabenstellungen abgeben, die in den Wettbewerben gelei-stet werden sollen. Genauer erklärt das Stefan Praschl, Vice President Technical Affairs im Vorstand von WorldSkills In-ternational: „In manchen Berufen ist es auch möglich, dass externe Agenturen die Aufgaben stellen. Manchmal werden die Aufgaben auch schon zwei Jahre vorher gewählt. In jedem Fall ist die Aufgabe aber für alle gleich.”

länderüBergreifender vergleich

Es ist jedoch weniger wichtig, wie schwierig die Aufgabenstellungen sind. Es ist nicht die Absicht der WorldSkills, junge Fachkräfte selbst auszubilden, sondern Fachkräfte, die aus nationalen beruflichen Ausbildungssystemen stam-men, zusammenzubringen. Auf den Veranstaltungen können sie Fertigkeiten, über die sie schon verfügen, stolz vor-zeigen. Das Ganze steht im Zeichen des länderübergreifenden Vergleichs. Damit

verwirklichen die Wettbewerbe das Ziel, mehr zu schaffen, als die Ausbildungs-systeme leisten können. Man will die jungen Konkurrenten Erfahrungen sam-meln lassen, ihnen Gelegenheiten geben, zu Netzwerken, und sich auszutauschen und um Ideen für ihre eigene Zukunft zu sammeln.

Dabei helfen die großen World-Skills, die jedes zweite Jahr stattfinden. Die WorldSkills Leipzig verzeichnen rund 200 000 Besucher; genau so viele wie 2011 in London. Die WorldSkills sind eine einzigartige Gelegenheit für die Teil-nehmer Erfahrungen zu sammeln, sowie für Besucher, mehr über Berufe, Spon-soren, eventuelle Arbeitgeber sowie sozi-ale Unterstützungsstrukturen zu erfahren. Denn was kann man mehr erreichen, als dass sich alle für die Zukunft der Jugend

– besonders der handwerklich fähigen Ju-gend – interessieren und einsetzen?

höchSteS niveaU aUf der Weltbühne die WorldSkillS Setzen Sich dafür ein, teilnehmern Und beSUchern mehr über berUfliche aUSbildUng beizUbringen. dabei blicken Sie aUf eine lange tradition zUrück. allerdingS iSt die organiSation komPliziert aUfgebaUt. JUan-JacqUes aUpiais darüber, Wie die WorldSkillS fUnktionieren.

Foto: Simon RufWeTTBeWerBSTeilnehmer kommen auS der ganzen WelT nach leipzig.

Juan-Jacques Aupiais20, Johannesburg

... nutzte seine Fähigkei-ten im Gebrauch eines Online Deutsch-Englisch Wörterbuches, um den Anschein zu erwecken, alles zu verstehen.

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fruchTfleiSch Straßenumfrage: Was kriegt leipzig von der Wm mit?

alexander krankiSko, 35 Jahre criminal conSulTanT, leipzig

AlS ZeiTUnGSleSeR iST MAn inFoRMieRT Und Wenn MAn UnTeRWeGS iST, TRiFFT

MAn SicH in deR innenSTAdT lAcHT, TRinKT Und BeKoMMT VielleicHT AUcH KüSSe.

„küSSe“

D er Ingenieur Stephan Bös sorgt als Workshop-Supervisor dafür,

dass alles glatt läuft. Am Wettbewerb der Drucktechnologie achtet er jeden Morgen darauf, dass die Druckmaschi-nen ordnungsgemäß funktionieren. Alle Kandidaten sollen die gleiche Chance bekommen, ihre Aufgaben zu lösen. Die Teilnehmer müssen betreut und bei Be-darf Papier und Farben nachgefüllt wer-den. Dafür steht ein ganzes Team von Helfern am Stand zur Verfügung. Stephan Bös freut sich, bei den WorldSkills dabei zu sein: „Es ist wirklich eine tolle Chance, mit Talenten aus der ganzen Welt zusam-menzuarbeiten.“

Die Maschinen hat der Hersteller dem Wettbewerb zur Verfügung gestellt. Sie sind fertig zusammengebaut direkt vom Werk in die Veranstaltungshalle ge-liefert worden. Zwei Wochen vor dem Wettbewerb sind sie noch einmal aus-giebig getestet worden. Alexander Amiri von den WorldSkills sorgt dafür, dass die Sponsoren ausreichend Geräte in allen Disziplinen zur Verfügung stellen. Somit

sind die WorldSkills auch für Unterneh-men eine große Chance. Fachbesucher werden auf ihre Produkte aufmerksam und die Teilnehmer lernen die Qualität zu schätzen. Zudem stellen sie sich auch als potenzielle Arbeitgeber vor. Jeder arbeitet gerne mit einem Weltmeister zusammen und die Wettbewerbssponsoren erhalten einen direkten Draht zu ihnen.

aufBaukoordinaTion

Manche Hersteller nehmen viel Aufwand in Kauf, damit ihre Produkte auf der WorldSkills verwendet werden können. Für die Wettbewerbe stoppte ein Autoher-steller gar das Band, um damit Teilneh-mer an nagelneuen Rohkarosserien arbei-ten können.

Damit die WorldSkills reibungslos ablaufen können, muss zuerst sämtliches Material nach Leipzig geliefert werden. Darum kümmert sich Therese Gussmann, Managerin Logistik der WorldSkills.

„Alle Hersteller zu koordinieren ist keine leichte Aufgabe. Zum Glück haben wir

starke Partner gewonnen, die uns helfen, die Aufgabe zu managen.“ Damit alles verzögerungsfrei in die Hallen kommt, stellte die Messe für den Aufbau Kräne in die Hallen.

Nicht nur CNC-Fräsen, Autos, vollausgestattete Küchen und ein Hub-schrauber müssen rechtzeitig auf die Leipziger Messe gebracht werden. Auch über zwei Millionen Einzelteile wurden seit Mai geliefert, darunter 20.000 Flie-sen und ebenso viele Klinker, 10.000 Schnittblumen sowie 1000 Knöpfe. Sogar eine Tonne Schokolade verwenden die Teilnehmer innerhalb von vier Tagen. In einigen Disziplinen bringen die Teilneh-mer ihr eigenes Werkzeug mit. Damit al-les rechtzeitig zu den Wettkampfstätten kommt, muss jede Lieferung genau koor-diniert und geplant werden.

am ende iST eS nichT vorBei

Am Ende der WorldSkills ist die Arbeit für Therese Gussmann längst nicht vor-bei. Während vor der Veranstaltung noch

mehrere Wochen zur Verfügung standen, ist die Zeit danach sehr knapp: „Inner-halb von vier Tagen muss die komplette Fläche wieder freigeräumt werden. Das ist ein richtiger Kraftakt, den wir als Team stemmen müssen.“

Da die meisten Geräte direkt aus der Fabrik stammen, können sie natürlich im Anschluss weiterverwendet werden. Pas-send zum Gedanken der WorldSkills kön-nen Berufsschulen die Geräte vergünstigt erwerben. Eine der Druckmaschinen ist sogar schon fest verplant, berichtet Ste-phan Bös. Die Schule baut derzeit noch einen passenden Raum und erhält dann die Maschine. Sie wurde bereits auf Herz und Nieren getestet – vielleicht auch vom Weltmeister. Einige Geräte gehen wieder zurück an den Hersteller, doch die mei-sten werden über eine Online-Plattform allen Interessierten angeboten. Ausbil-dungsstätten werden gesondert bevor-zugt – ganz im Sinne des WorldSkills-Gedanken.

alle Wege führen nach leiPzig die erSten aUtoteile WUrden faSt drei Wo-chen vor beginn deS WettbeWerbS nach leiPzig geliefert. die PlanUngen dafür laUfen Seit neUn monaten aUf hochtoUren. damit die gebUrt der WorldSkillS klaPPen konnte, Waren viele helfer notWendig. Michael rosenthal War dabei.

daniella & SvanTe STrandBerg, 60 & 56 yearS pedagogue & muSic TherapiST, STockholm

We ARe in leipZiG JUST FoR THe WoRld­SKillS BecAUSe oUR Son iS one oF THe

coMpeTiToRS. iT HAS Been VeRy nice, VeRy nice people!

„SupporTing“

ellen Baumann, 27 Jahre rechTSanWalTSfachangeSTellTe, leipzig

eiGenTlicH nicHTS. oBWoHl dA AM SonnTAG iRGendein GRoSSeS

MeeT & GReeT AUF deM MARKT WAR.

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BriTTa, du STudierST WirT-SchafTSinformaTik in einem dualen STudiengang. Wie kam eS dazu?

Ich habe vor dem dualen Studium eine Ausbildung zur Informatikkauffrau ge-macht und wollte danach noch weiter. Deswegen habe ich mich bei Unterneh-men erkundigt wie es mit dualen Studi-engängen aussieht. Daraufhin habe ich mich in einem Hamburger Unternehmen für den Bachelor of Science in Wirt-schaftsinformatik beworben und dort bin ich jetzt seit Oktober 2012 Studentin.

Wie War deine auSBildungS-zeiT für dich?

Ich habe vorher ein Freies Soziales Jahr in der Lebenshilfe gemacht und mich in dieser Zeit für die Ausbildung zur Informatikkauffrau beworben. Die Ausbildung zu machen war eine gute Entscheidung, weil ich sehr viel gelernt habe und mich selbst weiterentwickeln konnte in dieser Zeit. Ich wollte danach einfach noch weiter, da war die Aus-bildung ein gutes Grundgerüst, das ich jetzt mit dem Studium erweitere. Gera-de in der IT gibt es viele Chancen sich weiterzubilden, da sehr viel Neues auf den Markt kommt. Nach der Ausbil-dung hab ich ein Jahr im debitorischen Rechnungswesen gearbeitet bevor das

duale Studium losging. Auch das war eine spannende Erfahrung.

Welche erfahrung haST du JeTzT in den erSTen mona-Ten deineS dualeS STudium gemachT?

Die Verbindung von Theorie und Praxis hat mich sehr schnell begeistert! Ich hatte erwartet, dass es nicht so praxisbezogen wird wie in meiner Ausbildung. Aber ich lerne das, was die anderen Studenten auch lernen – nur etwas länger und mit

praktischen Anteilen. Im Gegensatz zu den Wirtschaftsinformatik-Studenten an allgemei-nen Unis kann ich das, was ich im Theorie-block gelernt habe dann direkt in der Pra-xisphase ausprobieren und die Theorien, die ich nicht verstanden habe an einem Beispiel üben.

und Wie kommT man alS Junge frau zur WirT-SchafTSinfor-maTik?

Mich haben Computer schon immer interes-siert und ich war ein-fach technikaffi n. Dazu

kommt, dass ich es total spannend fi nde im Unternehmen der Vermittler zwischen dem wirtschaftslastigen Teil und dem IT-Teil zu sein. Klar, die Informatik ist ein sehr männerdominierter Bereich, aber solang die Kollegen nett sind, ist mir das egal.

Woher kommT eS denn daS in deinem STudiengang und auch in anderen dualen STudiengängen die mehr-zahl der STudenTen männ-lich iST?

Ich glaube die Dominanz der Männer hat nichts mit der Art des Studiums zu tun, sondern viel mehr damit, dass es duale

Studiengänge außer in den Wirtschafts-wissenschaften momentan nur im tech-nischen, ingenieurswissenschaftlichen Bereich gibt. Und das hat wieder etwas mit der Sozialisation und Emanzipation zu tun. Wir sehen ja, dass es langsam immer mehr KFZ-Mechanikerinnen, In-formatikerinnen und Ingenieurinnen gibt.

du haST SelBST nach der auSBildung noch ein STu-dium draufgeSeTzT. daS machen immer mehr auSzu-Bildende, Weil Sie Sich dem arBeiTSmarkT anpaSSen Wollen...

Ja, das stimmt. Am Anfang lockt es, sein eigenes Geld zu verdienen und selbst-ständig zu sein. Allerdings bleibt die be-triebliche Weiterbildung oft aus und auch die Karriereleiter ist schnell erklommen. Dazu kommt, dass man mit einem Uni-abschluss natürlich auch anders verdient, als „nur“ mit einer Ausbildung.

haBen auSBildungSBerufe nichT aBer auch dadurch Sehr STark an WerTSchäT-zung verloren? und Brau-chen Wir üBerhaupT So viel STudierTe, Wenn eS um praxiS gehT? die univerSi-TäT haT Ja ein WiSSenSchafT-licheS inTereSSe. üBer andere WeiTerBildungS-maSSnahmen könnTe man Sicher auch viel erreichen, Wenn man Sich den fach-kräfTemagel in deuTSch-land anSchauT...

Ja, Ausbildung hat auch mit Wertschät-zung zu tun. Nehmen wir die Friseurin: Jeder muss alle ein bis zwei Monate zum Friseur, ist aber trotzdem nicht bereit, so viel zu zahlen, dass die Friseurin einen anständigen Lohn erhält. Hier ist es nun mal so, dass sich eine Mentalität breitge-macht hat, die möglichst wenig Geld für Dienstleistungen ausgeben will. Trotzdem ist „Friseurin“ immer noch einer der be-liebtesten Ausbildungsberufe der Auszu-bildenden, deswegen hoffe ich, dass uns dieses Handwerk und der Ausbildungsbe-ruf noch lange erhalten bleibt!

SchnittStelle im Unternehmen dUale StUdiengänge gelten alS Win-Win SitUation: Unternehmen möchten So qUalifizierten nachWUchS Sichern, Während die StUdenten den hohen PraxiSbezUg Und die finanzielle Sicherheit Schätzen. genaU daS Schätzt aUch britta dreier, die ein dUaleS StUdiUm der WirtSchaftSinformatik abSolviert, davor aber aUch Schon eine aUSbildUng gemacht hat. Sie SPricht mit lisa brÜssler über ihre erfahrUngen Und WarUm nicht einfach jeder ein dUaleS StUdiUm macht.

Lisa Brüßler21, Göttingen

... seit sie bei politikorange ist, ist sie Weltmeisterin in den Ka-tegorien Stressresistenz und Kaffeekonsum.

informaTionen

duales Studium

Als duales Studium bezeichnet man in deutschland ein (Fach­)hoch­schulstudium mit fest integrierten praxisblöcken in einem Unternehmen. das Modell kommt ursprünglich aus Baden­Württemberg, ist aber mitt­lerweile in allen Bundesländern stu­dierbar. der Grundbestandteil eines dualen Studiums ist der Wechsel von Theorie und praxis im regelmäßigen Rhythmus. Somit kann das in der The­orie Gelernte unmittelbar in der praxis ausprobiert werden. Bisher gibt es nur duale Studiengänge im Bereich Technik, Wirtschaft, Gesundheit und Soziales. es gibt verschiedene Typen von dualen Studiengängen, die je nach Hochschule und Studiengang variieren. Am ende des dualen Studi­ums stehen dann sowohl der staatlich anerkannte Ausbildungs­, als auch der Studienabschluss als Bachelor. Seit der einführung von dualen Studien­gängen steigt die Beliebtheit bei Be­trieben und Absolventen exponentiell.

Foto: privatBriTTa dreier

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A usbildung – ein Begriff, der in den Köpfen der Gesellschaft an einen ört-

lichen Betrieb gebunden ist. Ist diese tradi-tionelle Vorstellung noch modern? Ist eine Förderung des Auslandaufenthaltes lediglich Erasmus-Studenten vorbehalten?

Bei den diesjährigen WorldSkills in Leipzig darf auch das Leonardo da Vinci-Programm nicht fehlen. Seit 1995 ermög-lichte das Programm Auslandsaufenthalte für über 860.000 Auszubildende. Alleine zwischen 2007 und 2011 hat die EU Förder-gelder in der stolzen Höhe von 1,27 Milliar-den Euro bereitgestellt. Um das Programm weiter an die Bedürfnisse der Teilnehmer anzupassen, versammelten sich Mitarbeiter der Aubildungsbetriebe und Vertreter der Europäischen Kommission in Leipzig, um sich mit vielen Absolventen des Programms auszutauschen. Die Heimkehrer hatten in

ihrem Gastland Impressionen in Form von Filmbeiträgen festgehalten, die besten drei wurden auf der Messe gekürt.

unvergeSSliche erfahrungen

Der Film von Natalie Wilbrecht, auszubil-dende Industriekauffrau, wurde mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Natalie setzte ihre Erinnerungen mit einem Stop Motion Lego Film in Szene. Sie nutzte die Förderung des Programms und arbeitete einen Monat in der Budapester Niederlassung ihres Ar-beitgebers. In Nostalgie schwelgend erzählt sie von den tollen Erinnerungen, welche ihr keiner mehr nehmen kann. Vor allem ist sie selbstständiger geworden und kann offener auf Leute zugehen. Die Begegnung mit dem Fremden hat ihren Horizont erweitert.

Natalie lobt das Programm und freut sich nun über ein neues Smartphone, den Preis für ihren Filmbeitrag.

Herr Rieke, Vertreter des Programms, sieht die Lebensphase im Ausland vor allem als „Reifung der Persönlichkeit“. Er ruft die jungen Auszubildenden dazu auf, mutig das Programm zu nutzen. Wie Frank Sinatra schon sang: „If you can do it here, you can do it anywhere.“

Die Auszubildenden haben reichlich von ihren Erfahrungen im Ausland berichtet. Neben der Steigerung des Selbstbewusst-seins und der Verantwortungsbereitschaft, hat sich vor allem die Fremdsprache gefes-tigt. Durch die Arbeit in ausländischen Be-trieben konnten die Azubis unterschiedliche Sichtweisen und Perspektiven mitnehmen. Ein Azubi erzählte eine Anekdote über sei-ne Erfahrungen in England: Im Restaurant

fiel ihm das englische Wort für Lamm nicht ein und behalf sich so mit der Nachahmung eines Schafes: Mäh!

Die Teilnehmer präsentierten abschlie-ßend Danksagungen an das Programm und baten um weitere Förderung. Aliceson Crap von der Europäische Kommission in Brüssel griff den Gedanken der verstärkten Förde-rung auf und verkündete stolz die Aufsto-ckung des Budgets um 40% im nächsten Jahr. Außerdem wird das Programm von Leonardo da Vinci künftig in „Erasmus+“ umbenannt. Eine Neuerung wird dabei die verstärkte Zusammenarbeit mit Nicht-EU Staaten sein. Die zukünftigen Stipendiaten können sich auf internationale Ausland-saufenthalte freuen – und die europäischen Grenzen durchbrechen.

azUbiS aUf den SPUren eUroPaS eine grUPPe franzöSiScher zimmermann-aUSzUbildender mitten in thüringen? daS leonardo da vinci-Programm der eUroPäiSchen Union fördert aUSzUbildende beim erWerb von eUroPäiScher komPetenz. von robin el kady

I m Bademantel stehen wir vor der Kabi-ne an dem Beauty-Therapy-Stand und

warten darauf, abgeholt zu werden. Zu fünft sitzen wir in einer Reihe. Beautyexperten kontrollieren, ob unsere Gesichter frei von Make-Up sind. Von einer jungen, hübschen Kosmetikerin werde ich zu einem Kosmetik-tisch geführt.

Sie heißt Ella, ist zwanzig Jahre alt und hat hellbraunes Haar mit einem rötlichen Stich. Sie ist Irin, lebt in Dublin und arbei-tet in einem großen Salon. Zuvor hat sie in Dublin studiert – ein drittes Jahr wird sie voraussichtlich jetzt zum Thema „Spa The-rapies“ dranhängen.

Während Ella meine Nägel feilt, la-ckiert und in ein UV-Lichthärtungsgerät legt, schaue ich mich ein wenig um: sechs Wettbewerbsteilnehmerinnen sind um mich herum mit kosmetischen Behandlungen be-schäftigt. Jurorinnen aus Thailand und Fran-kreich machen sich mit kritischen Mienen Notizen.

Insgesamt verbringe ich tatsäch-lich drei Stunden mit Ella, und lasse mich schminken und beraten. Zuschauer sind er-laubt und erwünscht: Sie bewundern Ellas Kunstwerk auf meinem Gesicht und meinen Nägeln, machen Fotos und unterhalten sich über ihr Talent.

Talent hat sie wirklich – schon beim ersten Anblick erahnt man ihre Professiona-lität: Sie hat ihre Haare toupiert und zurück

gesteckt, ihre Augenlider sind in hellen Lila-tönen schattiert und ihre Lippen hat sie mit einem rosafarbenen Lippenstift betont.

dem Trend enTgegen

Doch wäre Ella jemals nach Leipzig gereist, wenn sie nicht die Möglichkeit gehabt hätte, an einem Wettbewerb ihrer Berufskategorie teilzunehmen?

Wohl kaum. Denn die meisten Kosmeti-kerinnen sind im Verhältnis zu ihren erbrach-ten Leistungen unterbezahlt und können sich eine solche Reise nicht leisten.

Genau dieses Problem spricht Pascal Frantz, Manager bei L‘Oréal an: „Immer we-niger junge Menschen bewerben sich heute noch um einen Ausbildungsplatz als Friseur und auch die Qualität der Bewerbungen nimmt stetig ab.“

Trotzdem ist der Beruf des Friseurs be-sonders bei Mädchen immer noch der belieb-teste Ausbildungsberuf. 27.000 begannen im letzten Jahr eine Ausbildung. Um zu fördern, dass mehr Menschen sich für das Berufsbild interessieren, startete der Kosmetikhersteller vor einem Jahr die Kampagne „My Beauty Ca-reer“. Begleitet werden die jungen Friseure von Botschaftern, die jahrelange Berufserfahrung mitbringen.Eine davon ist Sylvia Reimann-Richter, Chefin eines Friseursalons in Leipzig, die vom Erfolgs-konzept des Traditionsunternehmens erzählt:

„Mein Erfolgsgeheimnis: Bindung zum Kun-den. Jeden Tag mindestens genauso gut sein wie am Vortag und immer wieder aufstehen, wenn man hingefallen ist.“ Die Friseurmeiste-rin führt gemeinsam mit ihrer Schwester die vierte Generation eines Familienunternehmens. Sie selbst berichtet davon, dass der elterliche Druck viele Jugendlichen in ihrer Entschei-dung, Friseur zu werden, negativ beeinflusst. So absolvierte die Friseurin einst Praktika im medizinischen Bereich, weil ihre Eltern sich wünschten, dass sie etwas „Vernünftiges“ aus-übe. Doch dem widersetzte sie sich, indem sie beschloss, den Familiensalon zu übernehmen.

„Die Kunden haben ein großes Bedürf-nis nach Schönheit und Optimierung“, sagt sie, „dafür müssen wir qualitativ gute Arbeit abliefern, Menschenkenntnis mitbringen und flexibel sein.“

friSeure geSuchT

Als eine der 400 Botschafter der Beauty-Kam-pagne hat Reimann-Richter eine ganz klare Meinung zum Berufsbild: „Der Beruf des Fri-seurs wird gesellschaftlich zu wenig geschätzt. Die meisten Menschen besuchen regelmäßig den Friseur, sind aber nicht bereit, einen Lohn zu zahlen, von dem der Friseur gut leben kann.“

Ziel sei es, mit der Kampagne den Beruf des Friseurs schmackhaft zu machen und die dahinter steckende Vielfalt zu zeigen.

Und von Vielfalt kann wirklich die Rede sein, denn zum Friseurwerden gehören viele Tätigkeiten: „Friseur zu sein, bedeutet nicht einen, sondern ganz viele Berufe zusammen zu haben. Man ist Creative Director, Farb-experte, Schnittschaffer und Ausführender zugleich“, behauptet Pascal Frantz. Wäh-rend der Colorist also nur für das Färben verantwortlich ist, beschäftigt sich der Stylist eher mit dem Haarschnitt. Beim Wettbewerb schulen Trainer die jungen Friseure vor Ort und lehren Grundlagen. Da ist der große Er-folg doch vorprogrammiert, oder?

Momentan leider nicht. Die Demogra-fie in Leipzig sei jedenfalls deutlich spürbar.

„Es kommen immer weniger Bewerbungen rein“, findet Reimann-Richter. „Früher konnten wir nach einem Auswahlverfahren arbeiten, in dem wir nur Leute genommen haben, die einen guten Realschulabschluss vorweisen können. Das ist heute leider nicht mehr möglich.“

Und das, obwohl Deutschland in Eu-ropa der größte Markt für Friseurdienstlei-stungen ist. 260 000 ausgebildete Friseure, 30 000 Azubis und 82 000 Salons bundesweit

– doch blickt man hinter die Kulissen, erkennt man, wie sich der Trend des Friseurwerdens immer mehr auflöst. Der erste Schritt dem entgegenzuwirken ist getan. Lohntechnisch ist jedoch keine Besserung zu spüren.

Schöne haare – Schlechte aUSSichten sU odabasi hat einen blick hinter die kUliSSen der glamoUröSen SchöPferSzene geWorfen.

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WorldSkillS verBindeT!

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S ofie Kellner sitzt vor ihrer Nähmaschine und schaut konzentriert auf das Stück

Stoff unter ihren Händen. Eine Jacke in der Optik des Military chic soll daraus entstehen. Klapp-Taschen sollen dran sein, Accessoires soll sie haben und die Nähte natürlich sauber eingenäht.

Mit Sophie kämpfen 21 andere Teil-nehmer um den Weltmeistertitel in der Ka-tegorie Fashion Technology. Die deutsche Teilnehmerin steht kurz vor Abschluss ihrer Ausbildung zur Modenäherin. Ihr Ziel ist es, im Handwerk zu arbeiten, wenn sie genug Erfahrungen gesammelt hat. „Im Hand-werk“, das heißt für Sofie, nach Kundenvor-stellungen eigene Modestücke zu entwerfen und umzusetzen. Die 21-Jährige erzählt: „Die Skizze am Anfang und am Ende das fertige Stück in den Händen zu halten, das macht mir am meisten Spaß.“

lohnhöhe verlierT an BedeuTung

Über schlechte Berufsaussichten in ihrer Branche macht sie sich kaum Sorgen. Auch bei besserer Bezahlung würde sie ihren praktischen Beruf nicht gegen eine Büro-aufgabe tauschen. „Ich arbeite viel zu ger-ne mit dem Stoff“, erklärt sie.

Wie auch Sofie empfinden viele Ein-steiger die finanziellen Aspekte bei der Berufswahl als eher nebensächlich. „Wir

können es uns leisten weniger zu verdie-nen“, sagt Sofie. „Ich gehöre auch zu den verzogenen Kindern“. Dabei lacht sie.

In einer Generation, die in finanzieller Sicherheit groß geworden ist, haben mate-rielle Statussymbole, wie der Besitz eines Autos, eine immer geringere Bedeutung. Stattdessen werden Themen wie Carsha-ring und Tauschbörsen diskutiert. Natürlich möchte man von seinem Beruf gut leben können. Aber das Motto lautet immer sel-tener „Hauptsache viel Geld verdienen“. Viel mehr zählen die Tätigkeiten an sich und die Zufriedenheit mit diesen.

individualiTäT durch Beruf

Ein weiterer Trend in der Gesellschaft spie-gelt sich ebenfalls in der veränderten Rolle des Berufs wieder: Die Suche nach Indivi-dualität. Ein Extrembeispiel für diese Ent-wicklung sind die meist belächelten Hipster, die sich in ihrer gemeinsamen Suche nach Individualität dann doch verdächtig ähneln.

Der Traumberuf ist zum Ideal gewor-den. „Mach‘ was dir Spaß macht; worin du dich wohl fühlst“, wird oft geraten. Ein Be-ruf ist nicht länger nur Zweck, um Geld zu verdienen, sondern definiert einen Teil der Persönlichkeit und Selbstverwirklichung.

Kreativberufe können sich vor Be-werbungen kaum noch retten. Berufsein-steiger arbeiten oft Tag und Nacht an der

Verwirklichung ihres Traumberufs. Hangeln sich manchmal jahrelang von Praktikum zu Praktikum – oftmals unbezahlt.

Häufig sind dies Berufe mit niedrigen Löhnen und langen Arbeitszeiten. Was sie attraktiv macht, ist die Möglichkeit eigene Ideen zu verwirklichen. Junge Menschen streben nach Individualität. Der Mensch definiert sich heute durch all die Kleinig-keiten des Alltags, wie auch Tillmann Prü-fer, Stilkolumnist, beschreibt: „Mit der Rolle der Mode ändert sich auch die Rolle von Kreativität in unserer Gesellschaft. Wir ha-ben plötzlich viele bunte Bausteine in der Hand, mit der wir unsere Individualität

zusammen basteln.“ Der Beruf wird zum Baustein des selbstgebauten Lebenshäus-chens. Der Verwirklichung der eigenen Vor-stellungen.

A lle Teilnehmerländer haben die Mög-lichkeit, einen neuen Beruf zum Wett-

bewerb vorzuschlagen”, sagt Stefan Praschl, Vice President Technical Affairs im Vorstand von WorldSkills International. „Nachdem ein Land einen neuen Beruf vorgeschlagen hat, müssen die anderen Länder entscheiden, ob das für sie auch interessant ist. Beim näch-sten Wettbewerb müssen mindestens sechs Teilnehmer antreten.” Neu in diesem Jahr ist der Prototypenbau: Deutschland, Indonesien, Japan, Singapur, Thailand und Taipeh neh-men daran teil. Warum aber nur sie?

Wer kann’S?

Selbstverständlich könnte man antwor-ten, dass nur diese Länder wettbewerbs-fähig sind. Die interessante Frage ist aber,

welche Bedingungen dazu führen, dass ein Land qualifizierte Teilnehmer zum internationalem Ausscheid schicken kann!

Der erste wichtige Faktor ist die Fachkenntnis. Es muss geübte Lehrmei-ster geben, die den jungen Leuten die re-levante Fertigkeiten beibringen können, und auch Bildungseinrichtungen, wo diese Fachkundigen erreichbar sind. Das ist aber nur möglich, wenn noch ande-re Bedingungen erfüllt werden. Ausbil-dungen müssen finanziert werden und es muss überhaupt Jobangebote geben. Außerdem muss Nachfrage nach den Fer-tigkeiten bestehen. Denn wenn ein Beruf für Individuen nicht ausübbar ist, dann werden regionale WorldSkills-Organisa-tionen auch keine Wettbewerber in die-

sem Beruf finden, die sie zur Weltveran-staltung schicken könnten. Damit dient WorldSkills als Karriereweltkarte.

kulTurSpezifiSche möglichkeiTen

„Wenn Kanada einen Wettbewerber in der Kategorie Restaurantservice hat, weißt du, er kommt aus Quebec, On-tario, oder Alberta. In Nova Scotia, zum Beispiel, haben wir keine Ein-richtungen, die Unterricht darin bieten würden. Aber in Quebec – französisch geprägt mit einer großer Restaurantkul-tur – ist es sehr verbreitet”, erklärte Laura Decker, Projektmanagerin von SkillsCanada. Dabei merkt sie noch etwas Interessantes an: Es gibt auch

kulturelle Bedingungen, die mit Be-rufsmöglichkeiten zu tun haben. Die Lebensstile verschiedener Kulturen stehen natürlich in Wechselwirkung mit ökonomischen Bedingungen und beeinflussen, wofür sich junge Leute interessieren.Die Faktoren, die bestimmen woher die Konkurrenten kommen und worin sie wettbewerbsfähig sind, gründen sich also auf einem komplizierten Netz so-zialer, kultureller und ökonomischer Aspekte von denen wir auf der Veran-staltung nur einen sehr kleinen Teil er-fahren haben.

karriereWeltkarte nicht jedeS teilnehmerland nimmt an jedem WettbeWerb teil, denn qUalifizierte Und fähige konkUrrenten zU finden iSt keine leichte aUfgabe. denn eS gibt andere regionale faktoren, die beStimmte berUfSmöglichkeiten ermöglichen Und aUch aUSSchlieSSen. ein bericht von JUan-JacqUes aUpiais.

Foto: Franziska RöpkenahT um nahT: handarBeiT iST nichT nur WaS für frauen

Franziska Röpke17, Waldshut

... ist das einzige Re-daktionsmitglied ohne MacBook und Welt-meister des passiven Widerstands.

baStelanleitUng zUr individUalität WarUm „kreative“ berUfe trotz Schlechter bezahlUng überlaUfen Sind erForscht Franziska röpke.

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fruchTfleiSch as a child, what did you want to be when you grow up?

pia kroSkinen, 21 yearS finland, landScape gardening

i WAnTed To BecoMe A docToR oF Medicine To HeAl people.

„docTor“

E in alter Mann liegt regungslos auf dem Boden. Eine Krankenschwester

deckt ihn behutsam mit einer Rettungs-decke ab. Die Beobachter der Szene auf dem Messegelände in Leipzig sind scho-ckiert. Ist er verletzt? Muss der Mann ins Krankenhaus? Moment, atmet der Mann noch? Warum flüstern die Krankenschwe-ster gut hörbar? Schaut man genauer hin, stellt man fest, dass es sich um ein Sze-nario handelt.

Die brasilianische Krankenschwe-ster hat die Aufgabe, einen Patienten zu versorgen. Dabei wird sie von kritisch blickenden Experten beobachtet, die ihr Handeln bewerten und evaluieren. Sowohl der Patient, als auch die Kran-kenschwester sind mit kleinen Ansteck-mikros ausgestattet, damit Jury und Zuschauer alles verstehen. Eine Simul-tanübersetzerin sorgt für die Kommuni-kation zwischen der Krankenschwester aus Brasilien und dem englischen Patient. Nach Beendigung der Aufgabe: Applaus. Die Zuschauer jubeln.

olympiaSTimmung in leipzig Weite Bühnen, Flaggen verschiedener Nationen wohin das Auge reicht, fotogra-fierende Zuschauer, Imbisse. Mittendrin: ein Stadion. Es gleicht einer gewaltigen Arena: weitläufig, aufsteigende Publi-kumstribünen, monumental. Das Publi-kum blickt auf ihr Zentrum, eine Bühne. Dort werden am Ende der WorldSkills die Sieger gekürt. Durch die Vielzahl an unterschiedlichen Disziplinen und das Zusammentreffen kultureller Einflüsse ist die Leipziger Messe ein Ort zum Staunen. Sie gleicht einem großen Pool etlicher Impressionen, in den man an beliebigen Stellen eintauchen kann, um bestimmte Szenen näher zu beobachten.

Wie WäSchT man Sich die hände?

Am anderen Ende der Halle tritt ein Junge heftig in die Pedalen eines Fahrrads, um einen technisch mit den Speichen verbun-denen elektrischen Quirl in Betrieb zu set-

zen. Zwei Stände weiter: Eine Frau lässt sich mit einem großen arabischen Falken auf dem Arm fotografieren, während zwei Einheimische aus Abu Dhabi mit traditi-onellen Trachten neben ihr stehen. Der Besucher muss auf einzelne Ereignisse zoomen – die gewaltige Größe der Messe verhindert die Aufnahme aller Eindrücke. Jeder kann sich auf die Suche nach dem machen, was ihn interessiert, verschie-dene Spektakel beobachten.

Die breite Masse an Wettkämpfern ist meist in einheitliche quadratische Bo-xen eingeteilt, die an Pferdeboxen erin-nern, in welchen sie an ihren Aufgaben arbeiten. Stetig hektische Blicke auf die Uhr. Ein festes Zeitlimit sorgt für Druck und Stress. Sie sind nebeneinander po-sitioniert, die Individualität wird ledig-lich durch die unterschiedlichen Flag-gen untermalt. Entspannte Zuschauer schlendern gemächlich an ihnen vorbei, fotografieren den hart Arbeitenden und beißen genüsslich in ihre saftigen Hot Dogs.

Die Sieger werden am Ende schon durch die ästhetische Wirkung der großen Are-na geehrt. Sie stechen hervor und entzie-hen sich so der Masse durch die Zentrie-rung auf die Bühne. Von der Pferdebox in den Mittelpunkt.

Die Sieger werden am Ende schon durch die ästhetische Wirkung der groß-en Arena geehrt. Sie stechen hervor und entziehen sich so der Masse durch die Zentrierung auf die Bühne. Von der Pfer-debox in den Mittelpunkt.

indiana joneS Wäre überfordert jeder kann Sich aUf die SUche begeben. die entdeckUngSreiSe nimmt kein ende. in einen dSchUngel voller imPreSSionen von den WorldSkillS in leiPzig begab Sich robin el kady.

Robin El Kady20, Berlin

… ist Weltmeister in der Wingman-Kate-gorie.

rahul gomeS pereira, 21 yearS india, cooking

i don‘T ReMeMBeR VeRy cleARly, BUT cHeF FoR SURe WASn‘T one oF THeM. i

THinK iT WAS SocceR plAyeR.

„Soccer player“

renaTa SanToS, 17 yearS Brazil, JeWellery

WHen i WAS A cHild, i WAnTed To Be­coMe An AiRcRAFT piloT. THen i BecA­

Me A MecHAnic, BUT FoR THe coMpeTi­Tion i leARned ABoUT JeWelleRy.

„piloT“

Foto

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ruf

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Foto: Simon Ruf

zur perSon

Richard Schauer ist 47 Jahre und arbeitet als Bauschreiner. Zum ersten Mal nahm er 1988 bei den WorldSkills in Australien teil und erzielte den 6. platz. Sein Sohn gewann 2011 in london die Goldmedaille. Seit 18 Jahren ist er als experte für das deutsche Team bei den WorldSkills dabei und bewertet die Werkstücke der Teilnehmer.

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herr Schauer, Wie lange arBeiTen Sie Schon in ihrem Beruf?

Ich arbeite eigentlich schon immer als Bauschreiner – quasi seitdem ich denken kann, hätte ich fast gesagt. Ich bin selbstständig und habe eine eigene Firma in Rohr-dorf bei Rosenheim und arbeite als Experte alle zwei Jahre auf den WorldSkills. Das ist eher ein Hobby für mich geworden.

hier Sind verSchiedene SchreinerBe-rufe verTreTen. können Sie unS kurz den unTerSchied erklären?

Da gibt es den Bauschreiner und den Möbelbauer. Der Bauschreiner arbeitet mit Massivholz und stellt Fenster, Türen, Treppen und ähnliches her. Der Möbelschreiner hingegen macht den klassischen Möbelbau und furniert die Möbel.

JedeS Jahr Werden die aufgaBen an die Teilnehmer verTeilT. Wie Wird daS organiSierT und Wer BeSTimmT WaS die Teilnehmer zu Tun haBen?

Im Vorfeld ist es so, dass jeder Experte einen Vorschlag machen kann. Sechs Wochen vor dem Wettbewerb wird ein Vorschlag ausgewählt und wir wissen was ungefähr dran kommen wird und vor allem was gebraucht wird. So können die Materialien vorbereitet werden, sodass wir hier das fertige Material haben. Die Experten verän-dern das Material so, dass die Teilnehmer nicht wissen, was es für ein Werk werden soll. Das wäre sonst auch viel zu einfach und jeder könnte sich darauf vorbereiten. Der Wettbewerbscharakter würde dabei verloren gehen.

haBen Sie ihren Sohn BeSonderS TrainierT und geförderT oder viel-leichT auch SelBST für den WeTTBe-WerB 2011 vorBereiTeT?

Mein Sohn hat bei meinem Kollegen die Vorbereitung vorgenommen. Ich denke es ist besser, wenn Vater und Sohn nicht in einem Team arbeiten. Man kann den nöti-gen Respekt und den Druck in so einer kurzen Zeit nicht aufbauen für solch eine Weltmeisterschaft – und gerade der ist ziemlich wichtig. Man hört oft, dass im Sport die Kinder von einem Elternteil trainiert werden, aber das hätte bei uns nicht funktioniert. Das war die beste Ent-scheidung und das schlägt sich dann auch im Ergebnis nieder.

ihr Sohn War Teilnehmer Bei den WorldSkillS 2011 in london und Sie Waren naTürlich miT daBei. Wie haBen Sie die zeiT erleBT?

Er hat damals als einziger Deutscher unter 26 Teilneh-mern die Goldmedaille gewonnen. Natürlich war ich da sehr stolz. Man sieht plötzlich die Sterne leuchten. Er hat einfach alles abgeräumt, was da war. Auch das Er-lebnis von der Siegerehrung war einmalig. Wenn die jun-gen Leute zur Siegerehrung gehen, wissen sie überhaupt nicht welchen Platz sie belegen werden. Wir saßen in der Halle und haben darauf gewartet bis alle Teilneh-mer aufgerufen wurden und er war übrig – dann war es Gold! Es verschlägt einem immer noch die Sprache. Mehr braucht man dazu nicht sagen.

Welche aufgaBen muSSTen Sie denn damalS, vor 25 Jahren, in auSTralien meiSTern?

Ich war in diesem Bereich als Bauschreiner tätig, des-wegen bin ich heute als Experte hier. Wir haben damals Fenster mit verschiedenen Sprossen hergestellt und Rundbögen – das sind unsere klassischen Aufgaben.

Warum iST der SchreinerBeruf für Sie So BeSonderS und Wie heBT er Sich von anderen Berufen aB?

Ich denke, wenn man einen Holzberuf ergreift, ist es die Liebe zum Material, zum Holz. Zu sehen was man mit den eigenen Händen machen kann ist ein unglaubliches Gefühl. Schon allein dieser Duft von frischen Holz und die Arbeit damit macht einfach unglaublich viel Spaß.

Sie und ihr Sohn üBen dieSen Beruf auS. kann man Sagen, daSS eS Sich Schon um eine familienTradiTion handelT? iST ihr vaTer auch Schon Schreiner geWeSen?

Ich bin mittlerweile die dritte Generation, die diese Tra-dition weiterführt. Auch mein Vater war Schreiner und mein Großvater hat schon 1927 begonnen den Beruf auszuüben und eine Firma zu gründen. Mein Vater hat die Firma schließlich lange geführt und 1995 habe ich sie übernommen und ich hoffe natürlich das mein Sohn unsere Firma übernehmen wird.

haT ihr Sohn in manchen momenTen geäuSSerT, daSS er mal eTWaS an-dereS Werden möchTe und Sie Waren damiT nichT einverSTanden oder un-zufrieden?

Er ist komplett frei in dem was er tut und tun möchte. Ihm etwas vorzuschreiben und einen Weg vorzugeben würde keinen Sinn ergeben. Ich habe ihn auch nie in die Rolle eines Schreiners gedrängt. Mein Sohn ist erst 23 und hat noch einige Jahre, um zum Beispiel mal ins Aus-

land zu gehen. Im Moment ist er auf der Meisterschule und sucht noch einen festen Stand im Leben. Dann kann er entscheiden wie es für ihn weitergeht.

da Sie Ja WeTTBeWerBSerfahren Sind und daS geSchehen BeoBachTen konnTen: gaB eS gröSSere verände-rungen miT den Jahren? und haT Sich ihr Beruf nach dem WeTTBeWerB für Sie veränderT?

Der Wettbewerb ist über die letzen Jahre konstant ge-wachsen. Zu meiner Zeit waren es etwa 500 Teilnehmer und in diesem Jahr sind es zum ersten Mal über 1000 Teilnehmer. Es kommen jedes Mal neue Länder dazu, es wird immer vielfältiger und größer. Man muss auch sa-gen, dass die Ansprüche beim Wettbewerb wesentlich gestiegen sind. Besonders das Niveau und die Komplexi-tät der Aufgaben. Wichtig ist es den zeitlichen Rahmen einzuhalten, um die Aufgaben meistern zu können. Ar-beiten die ich vor 25 Jahren in 22 Stunden fertigstellen musste, müssen wir heute in vielleicht 16 Stunden fertig haben.

Wie SchWer haT man eS denn alS ex-perTe? laSTeT auch druck auf ihnen oder Sind nur die kandidaTen davon BeTroffen?

Man darf sich die Nervosität nicht anmerken lassen – besonders den Teilnehmern gegenüber nicht. Schlaflose Nächte gehören dazu und wenn wir beobachten wie die Jungs Fehler bei der Arbeit begehen, stehen wir daneben und dürfen nichts sagen oder eingreifen. Das ist sehr be-lastend. Von außen schaut es so aus, als hätten wir Ex-perten kaum was zu tun, aber wir kontrollieren, leiden mit den Teilnehmern und müssen bei den Bewertungen alles geben.

»eS iST BeSSer, Wenn vaTer und Sohn nichT in einem Team Sind.«

Jussra Zamani20, Bayreuth

... hat die meisten Kilometer auf der Messe zurückgelegt und somit den WM-Titel als rasende Reporterin abgeräumt.

vom teilnehmer zUm exPerten

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3 ... 2 ... 1 uuunnd STOP! Nach drei Stunden und 45 Minuten legen alle

Teilnehmer der Kategorie ihre letzten Uten-silien weg. Damenfrisur mit Styling und zu-sätzlicher Farbgebung: Das war die längste der acht Disziplinen, die die Kandidaten bewältigen müssen. Jetzt müssen sie inner-halb von fünf Minuten ihren Arbeitsplatz säubern – auch das gehört zum Wettbe-werb.

Maria Launer ist 20 Jahre und tritt für Deutschland in der Kategorie Friseure an. Sie ist zusammen mit Bernd Hoffman aus Thüringen angereist. Er trainiert sie, ist Experte auf dem Wettbewerb und nebenbei auch ihr Arbeitgeber. In der Vorbereitungs-zeit, die im Februar diesen Jahres begann, trainierte er sie in den Bereichen Männer-schnitt und Trendcut. Joachim Wolf, Trainer der Nationalmannschaft übernahm dann die Module Tagesfrisur und Hair-by-Night.

fünf monaTe vorBereiTung Sind minimum

„Fünf Monate Vorbereitung hören sich viel an, sind jedoch sehr wenig im Vergleich zu anderen Teams“, erklärt Maria. „Noch dazu habe ich während meiner Vorberei-tungsphase im Salon gearbeitet und größ-tenteils in meiner Freizeit trainiert. Andere Kandidaten wurden ein Jahr vom Arbeiten freigestellt und konnten sich voll auf die Weltmeisterschaften konzentrieren.“ Die Teilnehmer kennen die Aufgaben schon seit Anfang der Trainingsphase. So entwi-ckeln sie nach und nach eine Idee für die Frisur. Sie legen sich auf einen Trend und Styling fest, schleifen an Feinheiten. Nach-dem die Arbeitszeit abgelaufen ist, tritt ein Teil der Experten an die Frisierköpfe und begutachtet die Arbeiten. Diesmal ist auch Bernd Hoffmann unter ihnen. Sie haben schon während des Wettkampfes die Kan-didaten beobachtet. Ihre Aufgabe ist es, objektiv zu bewerten, also auf die Arbeits-weise, Sicherheit und das Zeitmanagement der Teilnehmer zu achten. Außerdem le-gen sie Wert auf Sauberkeit und Hygiene. So sollen etwa nach jedem Arbeitsgang die abgeschnittenen Haare weggekehrt werden. Ebenso dürfen im Gesicht keine Farbverschmutzung und kein Schnitthaar vorhanden sein.

SuBJekTive oBJekTiviTäT

Auf diese objektive Seite gibt es vier mögliche Punkte. Es wird in 0,25‘er Schritten auf- oder abgewertet. Schon

bei einem vollen fehlenden Punkt wird es schwierig bis nach ganz vorne zu kommen. „Weitere 10 Punkte kommen durch die subjektive Bewertung“, er-zählt Juror Bernd Hoffmann. Dafür ist der zweite Teil der Experten zuständig. Während der Arbeitszeit sitzen sie in einem angrenzenden Raum und dürfen vom Geschehen nichts mitbekommen. Darauf wird so sehr geachtet, dass sie nicht einmal die Toilette ohne Beglei-tung aufsuchen dürfen.

Bei dieser subjektiven Bewertung kommt es dann viel auf den persön-lichen Geschmack an. „Die Arbeiten sind allerdings nur nummeriert, sodass keiner weiß, welche Frisur von wel-chem Teilnehmer stammt.“ In diesem Teil wird streng bewertet: Wenn Farbe benutzt wurde, wird geschaut, ob die-se auch bis zum Ansatz aufgetragen ist. Dabei kann man aber eine Aussparung von 1-2 Zentimetern zur Kopfhaut wie-der als persönlichen Stil beziehungswei-se als Technik des Kandidaten verste-hen. „Viele der Experten sind schon seit vielen Jahren dabei. Dieses Jahr sind es mit mir nur 3 Experten, die zum ersten Mal dabei sind“, sagt Bernd Hoffmann.

„Bei den „Alteingesessenen“ merkt man dann die Erfahrung. Aber auch, dass sie ihren eigenen Stil haben und der ist zu erkennen. Es geht jedoch nicht, dass man etwas schlechter bewertet, nur, weil es nicht der eigene Geschmack ist. Man honoriert jede Leistung so, wie sie es wert ist.“

30 prozenT Sollen SponTan geänderT Werden

Alle Juroren sind schon seit einer Wo-che in Leipzig. Sie wurden extra für die-ses Event noch einmal trainiert, damit möglichst alle auf dem gleichen Stand sind. Zudem wurden neue Ideen ge-sammelt um die Bedingungen zu ver-ändern. Diese sind nämlich schon seit Jahren gleich, und verlangen nach einer Erneuerung. So soll es in zwei Jahren in Brasilien wohl so sein, dass wie in anderen Disziplinen vor Ort spontan 30 Prozent der Aufgabe geändert werden. Somit sind die Teilnehmer, die sich ein Jahr frei nehmen konnten nicht so stark im Vorteil.

Gleich geht es schon mit dem zwei-ten Wettbewerb weiter: modische Dau-erwelle für Männer nach Fotovorlage. Diesmal sind es zwei Stunden, die die

Teilnehmer Zeit haben die Frisierköpfe zu einem Kunstwerk zu verwandeln. Nicht nur in der Kategorie Friseure liegt ein großes Augenmerk auf der Kreativi-tät. Doch in allen Bereichen geben die Experten ihr Bestes, ihr eigenes Empfin-den nicht zu sehr einfließen zu lassen.

kreativität in der Wertetabelle hairdreSSing Steht aUf den Schildern der teilnehmer der diSziPlin. aUffällig viel Wert Wird hier aUf die kreativität gelegt. doch, WaS iSt kreativ? jeder menSch hat eine andere aUffaSSUng von „kreativ“ Und „Schön“. viel hängt von nationalität Und kUltUr ab Und gerade aUf einer WeltmeiSterSchaft treffen viele kUltUren aUfeinander. Wie Wird alSo eine gerechte beWertUng geWährleiStet? Fragt Wiebke vollMar.

Foto: Simon RufBernd hoffmann Beim BeguTachTen einer arBeiT.

Wiebke Vollmar19, Schleusingen

... ist Vizeweltmeisterin im Roller fahren, Simon, unser Fotograf, hat gewonnen.

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Pro Theorie und Praxis sind von je an getrennt

– schon zu Zeiten der griechischen An-tike war der „Akademie“, welche vor allem durch Aristoteles geprägt ist, lediglich wissenschaftlichen, theore-tischen Arbeiten vorbehalten. „Theo-ria“ bedeutet im Griechischen „Schau“. Man „schaute“ sich Natur und Praxis an und leitete daraus Theorien ab. Die Praxis ist also in der Theorie impli-ziert, weshalb zusätzliche praktische Aufgaben während des Studiums nicht nötig sind. Außerdem ermöglicht die Trennung eine intensivere Fokussie-rung auf einen Bereich bis man diesen vollkommen beherrscht. Man kann sich also ganz auf ein Gebiet einlassen, sich lange mit diesem beschäftigen und das alles vor allem: Ohne Stress!

Dazu kommt, dass eine univer-sitäre Laufbahn nach der Schule den Geist reift und ausprägt. Nötig ist da-bei jedoch ein intensiver Lernprozess, der nicht durch praktische Unterbre-chungen gestoppt werden darf. Die meisten Studenten arbeiten sowieso ne-ben der Uni und sammeln „praktische“ Erfahrungen, weshalb eine zusätzliche Förderung der Praxis seitens der Uni-versität fatal wäre und lediglich zur Ablenkung führen würde. So kann man es als geeignetes Modell ansehen, wenn zuerst die Theorie in Form von wis-senschaftlichem Arbeiten gelehrt wird. Die Praxis eignet sich der Student im Arbeitsleben dann selber an. Und ein Nebeneinanderlegen der beiden Modu-le würde den Geist überfordern, wenn man das gleiche Maß an wissenschaft-lichem Arbeiten erlernen will.

In der Berufspraxis von Auszu-bildenden liegt der Fokus verstärkt auf der praktischen Arbeit, die Theorie

steht im Hintergrund. Somit wäre eine Zusammenlegung auch bei der Ausbil-dung nicht gewinnbringend. Der Beruf der Arbeiter ist in eine klare, praktische Richtung gelenkt, in der die Theorie nicht im Vordergrund steht. Dies spie-gelt sich auch in der Ausbildung wieder. Wieso also alte und bewährte Tradition verwerfen und in unbekannte Gewässer steuern?

Schön getrennt in deUtSchland iSt daS aUSbildUngSSyStem Schon Seit jahren Stark in die Sektoren PraxiS Und theorie geteilt. bei der frage, ob dieS dem heUtigen fortSchritt noch angemeSSen iSt oder ob eS zeit iSt etWaS daran zU ändern, Scheiden Sich die geiSter. JUan-JacqUes aUpiais, robin el kady Und Wiebke vollMar StoSSen aUf genaU dieSeS Problem Und erläUtern ihre anSichten.

Robin El Kady20, BerlinWiebke Vollmar19, Schleusingen

... sind Weltmeister in theoretischer Abstrak-tion.

deBaTTe

contra Die Tren-nung, die

wir heute in unserem Ausbildungssystem zwischen Hand und Verstand, Praxis und Theorie machen, ist nicht selbstverständ-lich. Unsere Ausbildungspraxis an Unis und Berufschulen war nicht immer so, wie sie heute ist. Und sie ist auf keinen Fall eine Linie von Fortschritt.

Der englische Chemiker C.P. Snow identifizierte schon 1959 in einer be-rühmten Vorlesung eine Trennung zwi-schen zwei Arten von Wissenschaft, von der man nie vorher sprechen konnte: Die Trennung zwischen Geisteswissenschaf-ten und Naturwissenschaften. Erstere werden als idealistisch, emotional und subjektiv bezeichnet – letztere hinge-gen als praktisch, rational und objektiv. Die Kluft zwischen „idealistischen” und

„praktischen” Wissenschaften ist ziemlich schmal, denn man kann die Wissenschaft insgesamt „idealistisch” nennen. Leider trifft Snows Argument der „Two Cultures” auf das deutsche Ausbildungssystem wie die Faust aufs Auge.

Eigentlich ist die Formel ganz ein-fach: Um kreativ zu sein, muss man in-terdisziplinär denken können. Unsere Probleme sind multidimensional und wir brauchen somit auch multidimensionale Lösungen. Werfen wir einen Blick in die Geschichte: Für Galileo Galilei, einer der größten Genies aus Italien, war sowohl sein technisches Können, als auch sei-ne kognitiven Fähigkeiten entscheidend. Ohne das wären mit dem neu erfundenen Teleskop astronomische Beobachtungen und somit auch sein Einsatz für das ko-pernikanische Weltsystem nicht möglich gewesen. Sein durch diese Verbindung entstandener „Dialog über die beiden wichtigsten Weltsystemen” war aber nicht nur eine „bloß wissenschaftliche”

Arbeit: Es ergab sich daraus ein skanda-löser Streit über geistige und religiöse Fra-gen. Denn Galilei interessierte sich auch für diese Aspekte des „Weltsystems”. Er wollte nicht, wie unsere heutige Fachleu-te es oft wollen, die ethische und huma-nistische Dimensionen seiner Forschung einfach ausblenden. Er dachte über die Folgen seiner Arbeit nach und reflektierte diese. Er war also kein einfacher Wissen-schaftler, stark von humanistischen The-orien beeinflusst und auch kein einfacher Fachmann – aber er kombinierte alles.

Wie können wir auf immer mehr Fortschritt hoffen, so wie er früher schon stattfand, wenn unsere Fachleute kei-ne sozialen Werte erfahren und unsere Künstler nicht verstehen, wie ihre Ideen dingliche Gestalten aufnehmen können? In unserem Ausbildungssystem müssen daher Theorie und Praxis in enger Ver-bindung stehen. Ansonsten wird der Fort-schritt blockiert.

Juan-Jacques Aupiais20, Johannesburg

... ist Weltmeister des Trotzes.

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V on Feindseligkeit und Konkurrenz-denken war nichts zu sehen und

spüren. Stattdessen konnte ich in netter Gesellschaft ein leckeres Mittagessen ge-nießen und die Stimmung eines Restau-rantservice-Wettbewerbs live miterleben. Zu Beginn wurde ich zusammen mit drei anderen Besuchern von unserer Service-kraft Meiling Suo an einen Tisch geführt. Meine Gesellschaft, die mit mir das Es-sen genießen sollte, stammte aus Kanada, Finnland und Brasilien.

Die sympathische Meiling ist eine junge Dame aus Singapur, die sich wäh-rend des Wettbewerbs unter anderem mit unserem Tisch beschäftigte. Sie hieß uns herzlich willkommen und stellte uns mündlich die Speisekarte vor. Unsere Auswahl war klein, aber vielfältig: Wir durften zwischen Pasta, Salat, Käseteller und Sandwich wählen. Auf dem Tisch la-gen auch deutsch- und englischsprachige Speisekarten. Nach gründlicher Abspra-che – denn jedes Gericht durfte pro Tisch nur einmal gewählt werden – entschied ich mich für die Käseplatte. Und nach einigen Minuten durften wir auch schon anfangen zu bestellen.

Meiling gab sich wirklich viel Mühe, besonders hilfsbereit und auf-merksam zu sein. Sie versüßte uns die Wartezeiten, indem sie sich mit uns über Singapur und Leipzig unterhielt. So habe ich zum Beispiel erfahren, dass sich bei-

spielsweise der Tourismus in Singapur sehr schnell entwickelt hat. Das kann so-weit gehen, dass es dort Strände, Hotels und Restaurants gibt, die speziell auf die Bedürfnisse europäischer Touristen ab-gestimmt sind.

Zusammen mit meiner Käsepalette bekam ich einen vollmundigen Weißwein. Die Menüs waren sparsam gehalten, aber sehr schmackhaft. Auf meinem Teller be-fanden sich vier Sorten Käse, darunter Schimmel- und Goudakäse. Die anderen Käsesorten waren auf Basis eines Brotauf-strichs. Auch ein prall gefüllter Brotkorb stand vor uns. Die anderen Gäste am Tisch durften sich über einen Wintersalat mit Garnelen, ein Gemüse-Sandwich und Penne mit Tomaten freuen.

In der Kategorie Restaurant-Service auf den WorldSkills geht es darum, Si-tuationen aus einem Nobelrestaurant nachzustellen und als Servicekraft einen möglichst guten Eindruck beim Gast zu hinterlassen. Die Experten bewerten das Geschehen anhand folgender Kriterien: Servicevorbereitung, Essensservice, (al-koholischer und nicht-alkoholischer) Getränkeservice, Kaffee- und Teeservice, persönliches Auftreten und soziale Kom-petenz. Dabei müssen die Servicekräfte eine hohe Multitasking-Kompetenz mit-bringen, ein gutes Gedächtnis haben und dazu noch stressige Situationen souve-rän meistern.

Während wir die Mahl-zeit zu uns nahmen, schenkte uns Meiling regelmäßig Wasser nach und fragte uns nach unserem Wohlergehen. Eigentlich ließ sie uns keine Sekunde aus den Augen – einerseits eine sehr sichere Atmosphäre, aber andererseits auch ziemlich einengend.

Was das Dessert zu bieten hatte? Nun, wir durften uns zwischen Limetten-Haselnuss-Eis und Käsekuchen mit Erd-beeren entscheiden. Da-raufhin gab es Kaffee – zumindest für alle, die einen bestellten. Ich bestellte keinen, erhielt aber trotzdem einen Kaffee, der ei-gentlich für meine Sitznachbarin bestimmt war. Ob die Juroren diese Verwechslung bemerkt haben, kann ich nicht sagen. Ich kann mir vorstellen, dass das an der Ner-vosität unserer Servicekraft gelegen hat. Uns störte es allerdings nicht; ich schob die warme Kaffeetasse einfach zu meiner rechten Sitznachbarin, die aus Brasilien stammte – und alle waren glücklich. Wir bedankten uns herzlich beim Hinausgehen aus dem imaginären Nobelrestaurant. Scha-de, dass es nicht existiert, ich hätte dieses Restaurant gerne noch öfter besucht.

ein internationaler mittag Wer möchte nicht für einen tag in einem hochklaSSigen reStaUrant bedient Werden? sU odabasi teStete die ServiceqUalität der Potentiellen WeltmeiSter

Foto: Simon Ruf

A reverberating sound comes out of the boxes and all competitors are stop-

ping their work. Lunchtime. Alyn takes a step back and raises his hands like a pri-soner to show that he has indeed stopped working. His countenance changes slowly. The con-centrated glance disappears and he looks around like he would see all the people around him for the first time.The mechatronic engineers are one of just a few competitors, who work in teams of two.

you compeTe in TeamS of TWo. WhaT do you like BeST aBouT your JoB?

Putri: I really like the competitions eve-ry year. Since I am in this job, I compete with other young fellows. It is a lot of fun and you can always learn something new.

in a Team iT iS imporTanT To TruST The parTner To achie-ve The BeST reSulTS. for hoW long have you knoWn each oTher?

Aly: We are training together since four years. When we won our national Indonesi-an competition two years ago, we were invited to WorldSkills. Since the end of

november, we trained every day, so we know each other very well. We are good friends.

did you ever have Some TrouBle WiTh each oTher?

Putri: Yes, sometimes when we have dif-ferent opinions.And I hate that he plays online games all the time. There we have different hobbies. Would you prefer To Work alone if you could?

Putri: No. We always exchange our views in training and I wouldn‘t like to do this

kind of competition alone. I think it is much easier when you work as a team.

can you deScriBe hoW you Work TogeTher?

Aly: Well, the programming role at the PC is more Putri‘s and I care for the mechanics. So we complement each other relatively well, I guess.

Thank you very much, and good luck.

tWo PeaS in a Pod „tWo minUteS left“ annoUnceS a voice from SomeWhere. alyn ilyaS StandS beSide hiS Project. hiS handS are Sticking cableS together. he moveS qUickly bUt hiS eyeS are calm and concentrated. hiS colleagUe PUtri chairany kneelS in front of a box and SearcheS feveriShly for the right comPonent. PUtri and alyn are comPeting for indoneSia. Franziska röpke talked to them.

Su Odabasi18, Köln

... ist Weltmeisterin im Testen und Ausprobie-ren: darunter Restau-rantservice, Beauty Therapy und Hairstyling.

Service: meiling Suo Beim Servieren

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A ls Veranstaltungszeitung, Magazin, Onlinedienst und Radioprogramm

erreicht das Mediennetzwerk politikoran-ge seine jungen Hörer und Leser. Krieg, Fortschritt, Kongresse, Partei- und Ju-gendmedientage – politikorange berichtet jung und frech zu Schwerpunkten und Veranstaltungen. Junge Autoren zeigen die große und die kleine Politik aus einer frischen, fruchtigen, anderen Perspektive.

poliTikorange – daS mulTimedium

politikorange wurde 2002 als Veranstal-tungszeitung ins Leben gerufen. Seit da-mals gehören Kongresse, Festivals und Jugendmedienevents zum Programm. 2004 erschienen die ersten Themenma-gazine: staeffi * und ortschritt*. Während der Jugendmedientage 2005 in Hamburg wurden erstmals Infos rund um die Ver-anstaltung live im Radio ausgestrahlt und eine 60-minütige Sendung produziert.

Wie komm’ ich da ran?

Gedruckte Ausgaben werden direkt auf Veranstaltungen, über die Landesver-bände der Jugendpresse Deutschland e.V. und als Beilagen in Tageszeitungen verteilt. In unserem Online-Archiv ste-hen bereits über 50 politikorange-Ausga-ben und unsere Radiosendungen sowie Videobeiträge zum Download bereit. Dort können Ausgaben auch nachbe-stellt werden.

Warum eigenTlich poliTikorange?

In einer Gesellschaft, in der oft über das fehlende Engagement von Jugend-lichen diskutiert wird, begeistern wir für eigenständiges Denken und Han-deln. politikorange informiert über das Engagement anderer und motiviert zur Eigeninitiative. Und politikorange selbst ist Beteiligung – denn politikorange ist frisch, jung und selbstgemacht.

Wer machT poliTikorange?

Junge Journalisten – sie recherchieren, berichten und kommentieren. Wer neu-gierig und engagiert in Richtung Journa-lismus gehen will, dem stehen hier alle Türen offen. Genauso willkommen sind begeisterte Fotografen und kreative Köpfe fürs Layout. Den Rahmen für Organisa-tion und Vertrieb stellt die Jugendpresse Deutschland. Ständig wechselnde Redak-tionsteams sorgen dafür, dass politikoran-ge immer frisch und fruchtig bleibt. Viele erfahrene Jungjournalisten der Jugend-presse stehen mit Rat und Tat zur Seite.

Wer heiß auf‘s schreiben, fotogra-fi eren, mitschneiden ist, fi ndet Infos zum Mitmachen und zu aktuellen Ver-anstaltungen im Internet oder schreibt einfach eine E-Mail. Die frischesten Mit-machmöglichkeiten landen dann direkt in Deinem Postfach.

[email protected]

FRISCH, FRUCHTIG, SELBSTGEPRESST – [email protected]

diese ausgabe von politikorange entstand im rahmen der „ WorldSkills“, vom 03. bis 06. Juli 2013 in leipzig.

herausgeber:politikorange ℅ Jugendpresse deutschland e.V.Alt­Moabit 89, 10559 Berlinwww.politikorange.de

chefredaktion (v.i.S.d.p.):lisa Brüßler (lisa­[email protected])Michael Rosenthal ([email protected])

redaktion: Juan­Jacques Aupiais, Robin el Kady, Su odabasi, Franziska Röpke, Wiebke Vollmar, Jussra Zamani

Bildredaktion: Simon Ruf ([email protected])

layout: Maximilian Gens ([email protected])

projektleitungTina leskien ([email protected])

Betreuung: Max Rodermund ([email protected]) druck: BVZ Berliner Zeitungsdruck GmbHAm Wasserwerk 1110365 BerlinAufl age: 20 000 exemplare

ein besonderer dank gilt Werner Kipp, dem pressesprecher der WorldSkills leipzig 2013.

impreSSum

Foto: S

imon R

uf

Page 20: politikorange WorldSkills

Wusstest du, dass...

... die Veranstaltungsfl äche fast so groß ist, wie 25 Fußballfelder?

... für die Messe insgesamt über zwei Millionen einzel­teile verwendet wurden?

... über 10 000 Schnittblumen zu tollen Gestecken ver­arbeitet wurden?

... der Wettbewerb mit den meisten Utensilien poly­mechanik/Automatisierung war?

... während den WorldSkills 1,2 Tonnen Schokolade verarbeitet wurden?

... für die WorldSkills eine eigene eissorte kreiert wurde?

... 20 kleine Roboter die WorldSkills belebten?

... es insgesamt 800 fl eißige Frösche ... ähh ... Helfer gab?

danke! vemo-noS 2015 no braSil!

daS Waren die

WorldSkillS 2013