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Seite | 1 Praxisorientierter Leitfaden zur Anwendung der „gängigsten“ Methoden der „Qualitativen“ Sozialforschung Inhalt: 1. Grundlegung 2. Einführung und der Forschungsprozess nach der Grounded Theory Methodologie 3. „Visuelle“ Verfahren 3.1. Beobachtung 3.2. Filmanalyse 4. „Kommunikative“ Verfahren 4.1. Das Leitfadeninterview in der Jugend-Shell Studie 4. 2. Das verstehende Interview 4.3. Das narrative Interview 4.4. Das Experteninterview 4.5. Die Gruppendiskussion 5. Analyse 5.1. Die Inhaltsanalyse 5.2. Das Kodieren 6. Der Abschlussbericht 6.1. Typenbildung 7. Hilfreiche Literatur zur qualitativen Sozialforschung hervorgegangen aus dem Grundkurs im Wintersemester 2008/09 „Angewandte Methoden“; Seminarleitung: Laura C. Behrmann in Zusammenarbeit mit den Bachelorstudierenden „Sozialwissenschaften“

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Praxisorientierter Leitfaden zur Anwendung der „gängigsten“

Methoden der „Qualitativen“ Sozialforschung

Inhalt:

1. Grundlegung 2. Einführung und der Forschungsprozess nach der Grounded Theory Methodologie 3. „Visuelle“ Verfahren

3.1. Beobachtung 3.2. Filmanalyse

4. „Kommunikative“ Verfahren 4.1. Das Leitfadeninterview in der Jugend-Shell Studie 4. 2. Das verstehende Interview 4.3. Das narrative Interview 4.4. Das Experteninterview 4.5. Die Gruppendiskussion

5. Analyse 5.1. Die Inhaltsanalyse 5.2. Das Kodieren

6. Der Abschlussbericht 6.1. Typenbildung

7. Hilfreiche Literatur zur qualitativen Sozialforschung

hervorgegangen aus dem Grundkurs im Wintersemester 2008/09 „Angewandte Methoden“; Seminarleitung: Laura C. Behrmann in Zusammenarbeit mit den

Bachelorstudierenden „Sozialwissenschaften“

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1. Grundlegung Die Idee dieses Abschlussreaders ist verschiedenen Umständen geschuldet: Im Rahmen dieses Kurses (Angewandte Methoden) sollten die BA-Studierenden befähigt werden (sich befähigen) eigenständige Erhebungen und Auswertungen durchzuführen. Inwiefern ein solches Vorhaben insbesondere in der Vermittlung qualitativer Methoden überhaupt umsetzbar ist, ist zu Recht strittig. (Vgl. Knoblauch 2007) So betont Knoblauch in seinem Aufsatz zur Frage der Lehre der qualitativen Methoden:

„Wer Methoden als eine Kunst ansieht, kann sich mit einer ‚oberflächlichen’ Standardisierung nicht abfinden; wer sie als Technik ansieht, die vermittelt werden muss, wird den künstlerischen Anteil als unnötigen Firlefanz erachten.“ (Knoblauch 2007, Abs. 15)

So sollte es Ziel dieses Seminars Technik und Kunst zu vermitteln, und um eine pragmatischen Mittelweg zu finden wurde auf folgende Lösung zurückgegriffen (vgl. Knoblauch 2007, Abs, 19):

1. Methoden wurden gelernt und anhand von typischen Studien erlernt1. 2. „Die Kenntnis elementarer Positionen interpretativer Methodologien“ als

Voraussetzung für die Forschung ist durch die Auseinandersetzung mit den Methoden im Rahmen der Einführungsvorlesung und den begleitetenden Grundkursen gesichert2.

3. Grundkenntnisse des quantitativen und qualitativen Forschungsprozesses waren vorhanden.

4. Es wird und soll hier versucht werden, die Eigenständigkeit der qualitativen Methoden über die Opposition zur quantitativen Forschungslogik hinaus zu betonen.

In der Praxis sollten die Studierenden die „Technik“ der Methode herausarbeiten und auf einem Paper zusammenfassen. Zugleich allerdings wurden sie angewiesen, den Forschungsprozess zu visualisieren. So ist das Resultat dieser Reader, der zu jedem Themengebiet der Seminarveranstaltung ein Poster, ein Paper, das Handout und Empfehlungen zu weiterführenden Literatur beinhaltet. Damit verknüpft sich die Hoffnung der Seminarleitung, dass der Schritt, zu eigenem, schon gehörten und nun schriftlich fixierten, zu greifen, häufig einfacher ist, als das entsprechende Lehrbücher aus dem Regal zu suchen. Erinnerungen aufzufrischen, wenn es darum gilt, selber aktiv Methoden anzuwenden, sei es im darauf folgenden Lehrforschungsprojekt oder im Rahmen der Bachelor- oder/und Masterarbeit soll Ziel dieses abschließenden Readers sein. März, 2009; Laura Behrmann

1 Hier tat sich eine Schwierigkeit auf: Methodisches Vorgehen wird in den wenigsten Studien so

nachvollziehbar aufbereitet, wie es für die Güte und damit für die Lehre notwendig gewesen wäre. Dies provozierte beständige Kritik von Seite der Studierenden, die darauf hoffe lässt, dass hier eine neue „Generation“ von qualitativen Sozialforschern einen offeneren Weg einschlägt.

2 Zur Grundlegung und Einführung in die qualitativen Methoden sei auf einen zusammenfassenden Aufsatz verwiesen: Hollstein, Betina; Ullrich, Carsten G. (2003): Einheit trotz Vielfalt? Zum konstitutiven Kern qualitativer Sozialforschung. In: Soziologie, Heft 4, S. 29-43.

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Methodenpaper Grounded Theory

Verfasser: N. Zahner, J. Schneider, T. Pausch

„Zur Zeit werden Studenten darin ausgebildet, die Theorien der Großen Männer [Weber, Durkheim, Mead, Marx, Simmel, etc.] zu beherrschen und sie häppchenweise zu testen […]. Im Ergebnis haben sich viele potentielle kreative Studenten darauf beschränken, sich mit kleinen Problemen zu befassen, die ihnen von den großen Theorien hinterlassen worden sind. Ein paar Männer (wie Parsons oder Merton) haben diese charismatische Sichtweise auf die großen Männer durchschaut, allerdings nur, um selber ‚große Theorien‘ auf der Grundlage von Daten zu generieren, oder aber, sie übergingen das Thema. Und in dem sie junge Soziologen dazu erzogen, ihrer Lehrer Arbeit zu überprüfen, spielten sie sich in der Masse der ,proletarischen Tester‘ gegenüber als ‚theoretische Kapitalisten‘ auf.“

Glaser, Barney/Strauss, Anselm (1998) Grounded Theory. Strategien qualitativer Forschung. Bern [Original: The Discovery of Grounded Theory, 1967]

Gliederung

1. Einleitung 2. Fragestellung 3. erste Datenerhebung 4. Memo 5. Kodieren 6. Erhebung weiter Daten 7. zirkulärer Prozess 8. theoretische Sättigung 9. Schlussbemerkung

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Einleitung In der quantitativen Sozialforschung besteht schon seit längerem mehr oder weniger Einigkeit über die Methodik und Vorgehensweise (vergleiche erste Hälfte des Kurses „Angewandte Methoden“). Die Grounded Theory ist ein Versuch, Forschungsmethoden für die qualitative Sozialforschung festzulegen. Sie ist keine eigene Methode, sondern die Lehre einer Methode (Methodologie). Die Grounded Theory sollte als eine Art „Kochrezept“ (Forschungsstil) verstanden werden, bei dem die Wahl der „Zutaten“ dem Forscher überlassen ist. Die Wahl der Methoden hängt vom Forschungsinteresse ab. Entwickelt wurde diese Methodologie (also die Lehre von den Methoden) von Anselm L. Strauss und Barney G. Glaser in ihrem Hauptwerk „The Discovery of Grounded Theory“ 1967. Das Hauptanliegen ist es, möglichst realitätsnah zu forschen (Minderung der Theorie-Praxis-Schere). Aus den Daten selbst soll eine Theorie mittlerer Reichweite generiert werden, deshalb Grounded Theory. Eine deutsche Übersetzung, etwa als gegenstandsbezogene Theorie, trifft nicht den Kern der Methode; somit wird auch in deutschen Forscherkreisen der englische Terminus verwendet. Der theoretische Hintergrund ist der symbolische Interaktionismus der Chicago School. Grundprämissen:

- Menschen handeln ‚Dingen‘ gegenüber auf der Grundlage der Bedeutung, die diese ‚Dinge‘ für sie haben

- Bedeutung solcher ‚Dinge‘ entsteht in der Interaktion

- die Bedeutung kann in einem interpretativen Prozess in der Interaktion gehandhabt und abgeändert werden.

Fragestellung Am Anfang steht das Interesse an einem sozialen Phänomen. Die ersten Schritte haben Erkundungscharakter. Einen Forscher interessiert zum Beispiel das Phänomen der Regionalwährungen, ohne im Voraus zu wissen, auf was seine Forschung tatsächlich hinaus laufen wird. Bei der Grounded Theory ist die Vorgehensweise weder induktiv, noch deduktiv, sondern abduktiv. Diese Forschungslogik bezeichnet generell eine Haltung der Offenheit gegenüber den Daten und die Bereitschaft, Vorurteile und –annahmen in Frage zu stellen. Nur so kann man sich von neuen (empirischen) Phänomenen überraschen lassen. Anhand der Daten wird das eigene Interesse immer spezifischer, das heißt die Forschungsfrage kristallisiert sich erst im Lauf des Forschungsprozesses heraus. Hypothesen werden nicht im Voraus erstellt und überprüft, sondern es bilden sich im Verlauf der Forschung gegenstandsbezogene Theorien.

Erste Datenerhebung Die einzelnen Schritte der Grounded Theory sind in der folgenden Grafik dargestellt. Diese schematische Darstellung soll als Grundgerüst des Methodenpapers dienen.

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Die erste Datenerhebung wird durch den ersten Pfeil symbolisiert. Zuvor muss man sich aber bewusst werden, welche Strategie der Datenerhebung man zugrunde legt. Dies bezeichnet man als Sampling. Dieses lässt sich in drei idealtypisches Formen untergliedern und es hängt vom Forschungsfeld, Feldzugang und Forscher selbst ab. Es gibt das gezielte Sampling (Wissen darüber, wo die Informationen zu finden sind), das systematische Sampling (konkrete Strategie der Datenbeschaffung) und das zufällige Sampling („ins Blaue hinein“). Anders als in der quantitativen Sozialforschung wird in der Grounded Theory keine echte Zufallsstichprobe erhoben. Dieses Vorgehen stellt hohe Anforderungen gerade an unerfahrene Forscher, deswegen muss eine gewisse Sensibilität den Daten gegenüber entwickelt werden.

„Theoretische Sensibilität bezieht sich auf die Fähigkeit, Einsichten zu haben, den Daten Bedeutung zu verleihen, die Fähigkeit zu verstehen und das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen. All dies wird eher durch konzeptuelle als durch konkrete Begriffe erreicht. Erst die theoretische Sensibilität erlaubt es, eine gegenstandsverankerte, konzeptuell dichte und gut integrierte Theorie zu entwickeln“ (Strauss & Corbin 1996, S.25)

Dieses Fingerspitzengefühl, die Fähigkeit, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen (siehe oben) ist im Forschungsprozess essentiell, denn es besteht die Gefahr, in den Datenfluten unterzugehen. Streitigkeiten wie die Erhebung der ersten Daten erfolgen sollte, führten zu einem Zerwürfnis zwischen Glaser und Strauss. Glaser vertritt die Meinung, dass das Vorwissen „auszuschalten“ sei. Seine Idee ist, mit einer geistigen „Tabula Rasa“ an die Forschung heranzugehen; einziges erlaubtes Vorwissen seien die „Grand Theories“ (z.B. Max Weber, Emile Durkheim, Pierre Bourdieu etc.). Dagegen vertreten Strauss und Corbin die Ansicht, dass sowohl Literatursichtung, als auch die eigenen Vorkenntnisse in reflektierter Art und Weise zulässig seien. Durch dieses

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Zugeständnis läuft der Forscher geringe Gefahr, in ein Rechtfertigungsdilemma über Sinn und Zweck des Interviews gegenüber den Befragten zu kommen. Je nach Forschungsfeld entscheidet man sich für eine Samplingstrategie und beginnt die ersten Daten zu erheben, sei es mittels Bildanalysen, Interviews oder Tagebuchanalysen.

Memo Zu jedem Arbeitsschritt sollte ein Memo angelegt werden (stop and memo, siehe zweiter Pfeil). Es sollte unter anderem festgehalten werden, woher das Vorwissen kommt, wie man zu Interviewpartner kommt, wer der Ansprechpartner ist (Gatekeeper-Problematik), eigene Gedanken und Gefühle, das heißt Reflektion der eigenen Werthaltung. Es sind verschiedene Memoarten zu unterscheiden: Theoriememo (Festhalten von Punkten für die spätere, eigene Theoriegenerierung), Methodenmemo (Beispiel: eventuelle Abänderung des Interviewleitfadens), Kodiermemos (Ergänzungen zu gewählten Codes). Digitale Datenverabeitungsprogramme wie MAX.QDA beinhalten eine Memoverwaltungsfunktion.´

Kodieren Das Kodieren der Daten ist ein sehr wichtiger/grundlegender Schritt im Forschungsprozess. Zu beachten ist, dass nicht nur zu Papier gebrachte Interviews, sondern auch Fotos und Filme etc., kodiert werden können (siehe erster Pfeil). Glaser und Strauss/Corbin haben auch in diesem Punkt unterschiedliche Herangehensweisen. Glaser ist ein Vertreter des „zirkulären“ Kodierens, während Strauss/Corbin eine dreistufige Vorgehensweise vorschlagen. Sie gliedern die Schritte in offenes, axiales und selektives Kodieren. Ergänzend sei noch angemerkt, dass das Kodieren ein äußerst zeitaufwendiger Prozess ist. (Vertiefende Information und Einblicke sowie nähere Erläuterungen finden sich auf dem Methodenpaper „Kodieren“.)

Erhebung weiterer Daten Durch das Kodieren spitzt sich das Forschungsinteresse immer weiter zu. Deswegen ist der nächste Schritt im Forschungsprozess die Heranziehung weiterer Fälle, die als Kontrastfälle dienen. Es besteht die Möglichkeit eines Minimal- oder Maximalvergleichs. Maximale Kontrastfälle führen gegebenenfalls zu neuen Erkenntnissen; Minimalvergleiche sollten hingegen die ersten Annahmen verfestigen. Es handelt sich hierbei um eine idealtypische Annahme, da in der Realität auf den ersten Blick weder bei Menschen noch bei Gegenständen erkennen kann, inwieweit sie minimale oder maximale Kontraste bieten (hängt auch von Forschungsinteresse ab). Ein gewisses ethisches Problem stellt auch die Diskriminierung von Menschen aufgrund äußerer Merkmale dar.

Der zirkuläre Prozess Nach der weiteren Datenerhebung wiederholen sich die Prozesse des Kodierens und Memoschreibens. Daraus wird ersichtlich, dass idealtypisch Datenerhebung und Datenauswertung nicht getrennt voneinander stattfinden (zirkulär). Da dieser Prozess theoretisch unendlich fortgeführt werden könnte und sich dadurch sogenannte

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„Datenfriedhöfe“ bilden können, muss ein künstlich herbeigeführter, logischer Schnitt an einem gewissen Punkt durch den Forscher durchgeführt werden.

Die theoretische Sättigung Dieser Punkt wäre idealtypisch erreicht, wenn die Theorie generiert ist. Realistisch hingegen ist ein Forschungsabbruch notwendig. Hinweis für einen geeigneten Zeitpunkt wäre, wenn sich die Beispiele wiederholen und keine neuen Erkenntnisse mehr liefern und sich die Kategorien, die im Kodierprozess entwickelt wurden (siehe Methodenpaper „Kodieren“) verfestigt haben und sich keine Weiterentwicklung einstellt. Damit gelten die Kategorien als gesättigt. Aufgrund der meist knapp bemessenen Forschungszeit sollte Rücksprache mit dem Forschungsleiter gehalten werden, um den richtigen Zeitpunkt zu treffen. Nach dem vollständigen Abschluss der Datenerhebung und Datenauswertung sollte der Forscher in der Lage sein, aus den gewonnen Kategorien eine Theorie mittlerer Reichweite abzuleiten.

Schlussbemerkung Als Gegenposition zu, wie einleitend geschildert, quantitativ festgeschriebenen Forschungsmethoden muss das Programm der Grounded Theory als bislang einmalig bezeichnet werden. In der qualitativen Sozialforschung existiert heute kein vergleichbares Standardwerk. Diese Methodologie bietet Forschern und Studenten die Möglichkeit auch qualitativ nach eindeutigen „Regeln“ zu forschen und sch darauf zu berufen. Für die Leser dieses Methodenpapiers sollt es offensichtlich sein, dass sich dieses „Kochrezept“ für Abschlussarbeiten qualitativer Art geradezu aufdrängt.

Literatur Truschkat, Inga, Kaiser, Manuela & Vera Reinartz (2005): Forschen nach Rezept?

Anregungen zum praktischen Umgang mit der Grounded Theory in Qualifikationsarbeiten. In: Forum qualitative Sozialforschung/Forum Qualitative Social Research [Online-Journal], 6(2), Art. 22. [Abruf: 24.11.2008]

Glaser, Barney/Strauss, Anselm (1998) Grounded Theory. Strategien qualitativer Forschung. Bern [Original: The Discovery of Grounded Theory, 1967]

Strauss, Anselm/Corbin, Juliet: Grounded Theory: Grundlagen Qualitativer Sozialforschung, Weinheim 1996 [Original: Basics of Qualitative Research: Grounded Theory Procedures and Technique (1990)].

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Entscheidungen fällen

Arbeitsblätter aus dem Seminar “Anwendungsorientierte qualitative Sozialforschung” Laura Behrmann

Wenn ich… wähle ich… …werte ich aus Texte generiert haben möchte (Sinnrekonstruktion, Deutungsmuster etc.)

... narrativ oder teilnarrativ

... hermeneutisch, rekonstruktiv

"aufdeckend" die Sicht zu einem Problem erkunden möchte

... problemzentriert

... inhaltsanalytisch bis hermeneutisch

eine Kultur erkunden möchte ... ethnografische Methoden (Feldbeobachtung, ethnograf. Interviews)

... Protokollanalyse, inhaltsanalytisch, rekonstruktiv

möchte, dass bestimmte Aspekte aufgegriffen werden

... Leitfaden-Interview

... inhaltsanalytisch bis hermeneutisch

Interesse an Sachinformationen oder Fakten habe

... Experteninterviews oder kein Qual. Interview

... inhaltsanalytisch bis standardisiert

wissen will, was früher „wirklich" war :

Keine sozialwissenschaftliche Forschung!

Kruse (2008); Seminar-Reader: „Einführung in die Qualitative Interviewforschung“. Freiburg, S. 36.

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Sicht des

Subjektes („subjektiver Sinn“) Subjekte und deren Lebensumstände

Deskription sozialen Handelns und sozialer Milieus/ Beschreibung von Prozessen („Sozialer Sinn“) Handlungszusammenhänge von Subjekten

Rekonstruktion/ Analyse deutungs- und handlungsgenerierender Strukturen („objektiver Sinn“) Strukturlogik/implizite Regeln

(Erkenntnis-) Ziel

Rekonstruktion subjektiver Sichtweisen/ (Leidens-) Erfahrungen und subjektive Deutung von Erfahrungen/ Dokumentation/ Archivierung subjektiver Äußerungen

Rekonstruktion von Lebenswelten bzw. der konstituierenden Regeln sozialen Handelns / von Interaktionsstrukturen

Rekonstruktion der „objektiven“ Handlungsbedeutung und Analyse der „Tiefenstruktur“ menschlicher Äußerungen

Basis-paradigmen/ Theoretischer Rahmen

Symbolischer Interaktionismus Phänomenologie Hermeneutik

Symbolischer Interaktionismus Ethnomethodologie Wissenssoziologie Konstruktivismus

Psychoanalyse Strukturgenetischer Ansatz Objektive Hermeneutik

Erhebung Interviews, Tagebücher, paraliterarische Dokumente Film/ Fotographie/Video

Interviews Gruppendiskussion Ethnographie Dokumentenanalyse Film/ Fotographie/ Video

Interviews Gruppendiskussion Interaktionen Dokumentenanalyse Film/ Fotographie/ Video

Auswertung (qualitative) Inhaltsanalyse Dialogische Hermeneutik Forschungsprogramm subjektive Theorien

Theoretisches Kodieren/ Grounded Theory Fallkontrastierung Dokumentarische Methode Konversationsanalyse

Objektive HermeneutikTiefenhermeneutik Narrationsanalyse Diskursanalyse Methaphernanalyse

Anwendungsfelder

Biographieforschung Oral history etc.

Lebensweltanalysen, Cultural Studies

Familienforschung Generationenforschung

aus: Mruck und Mey 2005: Qualitative Forschung. Eine Einführung in einen prosperierenden Wissenschaftszweig, S.8. [ttp://hsr-trans.zhsf.uni-koeln.de/hsrretro/docs/artikel/hsr/hsr2005_640.pdf]

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Eine Anleitung zur teilnehmenden nicht-standardisierten offenen Beobachtung nach Girtler

Martina Mattes, Eva Pörnbacher, Elisa Mraz

Inhaltsverzeichnis

1. Feldzugang

2. Verhalten und Vorgehensweise im Feld 3. Protokollieren und Protokoll 4. Umgang mit den beobachteten Menschen nach beendigung der

Feldforschung 5. Die Auswertung der Daten 6. Anhang

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Eine Anleitung zur teilnehmenden nicht­standardisierten offenen Beobachtung nach Girtler 

„Ich habe mich nach Kräften bemüht, des Menschen Tun weder zu belächeln noch zu beweinen, sondern es zu begreifen.“ (Baruch de Spinonza)

Die teilnehmende nicht-standardisierte offene Beobachtung nach Girtler ist eine Forschungsmethode, mit der man einen breiten Eindruck von einem sozialen Feld bekommen kann. Jedoch gibt es starke Kritik an dieser Forschungsmethode bezüglich ihrer Wissenschaftlichkeit. Darum kannst du3 es in Erwägung ziehen, diese Methode in Kombination mit anderen wissenschaftlichen Methoden anzuwenden.

1. Feldzugang Feldzugang auf Grund eines Auftrages oder einer Bitte von der zu beobachteten Gruppe selbst: Hier ist der Zugang unproblematisch, da die zu Beobachteten selbst an der Untersuchung interessiert sind. Problem: Achte hier besonders darauf, dass die zu erforschenden Personen dir nicht verzerrte Informationen geben, da sie sich selbst gut darstellen wollen Feldzugang auf Grund einer Erlaubnis: Eine Erlaubnis um eine Institution zu erforschen ist nicht immer einfach zu bekommen, da die Institutionen meist kein Interesse daran haben sich von Soziologen in die Karten schauen zu lassen. Hier hast du zwei Möglichkeiten: • Knüpfe einen informellen Kontakt mit einer Person, die in der Einrichtung einigen

Einfluss hat. • Oder knüpfe einen formellen Kontakt, in dem du einen Brief an die Einrichtung sendest.

Feldzugang ohne vorbereiteten Zugang:

Es gibt keine Empfehlung oder Formular, was dir einen unproblematischen Feldzugang erleichtert. Gate-keeper: Du kannst eine Kontaktperson ausfindig machen, die dich in das Feld einführt. Diese kannst du über persönliche Beziehungen finden oder du findest sie direkt in dem zu erforschenden Feld. Problem: Sei vorsichtig wenn du dich durch einen „Chef“ in die Randgruppe einführen lässt. Das mag am Anfang deiner Forschung bequem sein, da du auf diese Weise schneller auf Akzeptanz in der Gruppe stößt. Später kann es aber auch zu Verzerrung führen, da sich die Gruppenmitglieder durch deinen Kontakt zum „Chef“ gehemmt fühlen. Annäherung an den Gate-Keeper und das Feld: 3 In Anlehnung an Girtlers 10 Gebote duzen wir den Leser in dieser Anleitung.

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Eine Forschung kann nur dann zum Erfolg führen, wenn die zu erforschenden Personen bereit sind, den Forscher zu akzeptieren und ihn somit in ihre Gemeinschaft aufnehmen wollen. Als teilnehmender Beobachter wirst du meist nicht wegen deiner Forschungsabsicht akzeptiert, sondern deiner Person wegen. Oberstes Gebot: Vertrauen schaffen! Tipps: • übe Zurückhaltung • passe dich an deine Umgebung an soweit es nötig ist, aber verstelle dich nicht künstlich (

Sprache, Kleidung, Verhalten) • sei höflich • Von Vorteil ist es für dich, wenn du besondere Fähigkeiten hast, die in dem Feld

geschätzt werden (z.B. du möchtest Kneipenklientel beobachten und kannst gut Billard spielen).

2. Verhalten und Vorgehensweise im Feld Behalte deine Forschungsfragen stets im Bewusstsein. Z.B: Wie sehen die Wertvorstellungen aus, die dem Handeln zu Grunde liegen? Soziale Hierarchien? Was du erlernen musst: • Du darfst die Situation nicht gezielt verändern. • Du musst ein Gespür dafür entwickeln, wann du dich vertraulich verhältst und wann du

dich besser zurückhältst. • Was darfst du sagen, um Menschen nicht zu verärgern? Wie reagierst du auf

Beleidigungen oder Neckereien? • Missioniere nicht, aber habe den Mut ehrlich deine Meinung zu sagen, wenn man dich

danach fragt. • Du vollziehst einen Seiltanz zwischen zuviel Neugierde und zuviel Zurückhaltung.

Neugierde kann von den zu beobachteten Personen als Aufdringlichkeit oder Bespitzelung interpretiert werden und Zurückhaltung als Spionage.

• Als Soziologe unterliegst du einer selbst auferlegten Schweigepflicht. Nach Girtler kann man darum in Ausnahmefällen auch Protokolle verändern, wenn es sonst den Beobachteten schaden würde.

• Sei dir bewusst: Permanente Bildung von Vertrauen ist notwendig. • Ehrlichkeit ist für dich als Forscher ethisch und strategisch wichtig. Verstricke dich nicht

in Widersprüche. Das kann für dich besonders bei kriminellen Randgruppen gefährlich werden.

• Fixiere dich nicht auf einzelne Teile der Gruppe, da dir sonst andere Perspektiven verschlossen bleiben.

Gefahren bei der Forschung: 

• „going native“: Unter „going native“ wird die Tatsache verstanden, dass der teilnehmende Beobachter die Urteilsmaßstäbe und Verhaltensmuster der Akteure im Feld übernimmt und damit beginnt, sich mit ihnen zu identifizieren. Girtler sieht das als Chance den anderen überhaupt erst richtig verstehen zu können.

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So wird das Vorverständnis abgebaut und ein echtes Fremdverstehen wird möglich. Sei aber vorsichtig, dass du dennoch die nötige Distanz warst, die du dringend für eine wissenschaftliche Forschung benötigst.

• Verhalte dich grundsätzlich neutral bei Streitigkeiten. • In gefährlichen Situationen gilt nach Girtler: Gelassenheit bringt Prestige. • Ansonsten gibt es kein Rezept für gefährliche Situationen. Jede Strategie kann auch

fehlschlagen, da in manchen Randgruppen die Aggressoren häufig alkoholisiert sind oder unter Drogeneinfluss stehen. Sei dir bewusst, es kann immer zu gefährlichen Situationen kommen.

Erste Schritte in die konkrete Forschungsphase: 

• Jetzt beginnt für dich eine neue Phase im Forschungsprozess: schreibe Protokolle (siehe unten), führe spezifische Gespräche und provoziere Diskussionen zwischen Akteuren. In Diskussionen stößt du oft auf andere Perspektiven als in Einzelinterviews.

• Deinen Personenkreis solltest du ständig erweitern. • Beginne damit Hypothesen aufzustellen, überprüfe sie und modifiziere sie sogleich nach

dem Prinzip der Hermeneutik. • Wichtig: Du befindest dich in einer egalitären Beziehung zu den Beobachteten und darfst

dich somit nicht über sie stellen.

3. Protokollieren und Protokoll 

• Wichtigste Frage: Was ist relevant für dein Forschungsinteresse und deine Forschungsfragen?

• Fragestellung könnten sein: „Wie handelt das Mitglied der zu beobachtenden Gruppe? Auf Grund welchen Alltagswissens wird gehandelt? Wie sehen die Interaktionen zwischen den Mitgliedern aus? u.ä.“

• Halte am Anfang alle möglichen Handlungsabläufe fest, auch wenn sie erst einmal unwichtig oder zu gewöhnlich erscheinen. Nur so kannst du die dem Handeln zu Grunde liegenden „Regeln“ bzw. „Handlungstypen“ herausfinden. Besonders bei Gruppen, die dem eigenen sozialen Milieu nicht all zu fern sind, fallen schnell wichtige Handlungsmuster unter den Tisch.

• Was alles in einer sozialen Situation zu protokollieren ist: o aktive und passive Personen (da das Verhalten von Akteuren auch immer an

passiv anwesende Personen angepasst wird) o die Durchführung der Situation (welche Strategien werden angewandt, um eine

bestimmte Intention zu verfolgen?) o die Lokalitäten (auch diese können Einfluss auf eine soziale Situation haben, z.B.:

Verhörzimmer bei Polizei) o die determinierenden Normen (welchen Zwängen unterliegen die Handelnden?

Wie versuchen sie sich eventuell zu entziehen?) o die Regelmäßigkeit der Situation (ist die Situation typisch? Achtung:

Regelmäßige Wiederholung ist ein Hinweis auf „das Typische“, aber keine zwingende Voraussetzung dafür)

o die Reaktionen der Teilnehmer auf Unerwartetes oder Normwidersprechendes (Reaktionen/Sanktionen, aufschlussreich für Hierarchie und Wertesystem)

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o der Unterschied zwischen Behauptetem und Getanem (handeln die Personen so, wie sie es zuvor in Interviews sagten? Hier hast du einen Vorteil gegenüber Interview-Methoden)

• Tagebuch:

Neben dem Protokoll solltest du auch Tagebuch führen. Hier hältst du Telefonnummern, Adressen von Kontaktleuten, Gedanken zu deinem Vorgehen, Hinweise auf eventuelle Forschungsergebnisse oder emotionale Betroffenheit wie Ärger mit Personen fest. Im Nachhinein kann ein Blick in das Tagebuch für dich sehr nützlich sein.

Das Niederschreiben des Protokolls:  

• Vorsicht mit Aufnahmegeräten: Häufig irritieren sie die zu Beobachtenden. • Es ist zu empfehlen, möglichst wenig oder heimlich während der Feldforschung zu

protokollieren, da es immer irritieren kann. Sinnvoll ist es auch unmittelbar danach Notizen auf Band zu sprechen.

• Bei der nächsten ungestörten Gelegenheit solltest du das Protokoll anfertigen, damit möglichst wenig verloren geht.

4. Umgang mit den beobachteten Menschen nach Beendigung der Feldforschung 

• Der Rückzug aus der Feldforschung muss ohne Beleidigung oder Degradierung der Forschungssubjekte erfolgen.

• Du solltest die Menschen nach Beendigung der Forschung nicht einfach fallen lassen und den Kontakt nicht einfach abbrechen. Sie sind mehr als bloße Datenlieferanten und sollen sich nicht als bloße Informanten missbraucht fühlen.

• Das Erarbeitete mit den beobachteten Menschen selbst zu diskutieren ist höchst ratsam, da es für dich eine Kontrolle deiner Ergebnisse darstellt.

5. Die Auswertung der Daten Daten und Hypothesen, die zuvor in Protokoll und Tagebuch festgehalten und erarbeitet wurden, werden nun verknüpft, um das Sozialsystem als Ganzes begreifen zu können. Das impliziert eine induktive Vorgehensweise. Das Typische wird anhand entsprechender theoretischer Konzepte herausgearbeitet. Um die typischen Regeln verständlich machen zu können, aus denen man das soziale Handeln „verstehen, erklären“ und „beweisebar“ machen will, wird an entsprechender Stelle aus dem Protokoll zitiert. In der deutschsprachigen Literatur ist es bis heute sehr umstritten, wie Beobachtungsprotokolle ausgewertet werden sollen. Während die eine Seite dazu tendiert, Beobachtungsprotokolle ähnlich wie auch Interviewtranskriptionen mit der Sequenzanalyse auszuwerten, plädiert die andere Seite für ein vergleichendes Vorgehen. Es wird argumentiert, dass Feldprotokolle bereits interpretierte Dokumente aus Erfahrungen des Feldforschers seien und sie nur durch einen Vergleich mit anderen Feldprotokollen oder durch einen Vergleich aus Ergebnissen unterschiedlicher Zugänge (Interviews, Gruppendiskussion,...) ausgewertet werden können. Girtler selbst gibt ebenso keine präziseren Hinweise zur Auswertung von den erhobenen Daten. Es ist deshalb ratsam, die Beobachtungsprotokolle beispielsweise mit der Inhaltsanalyse, dem Kodierverfahren oder der

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Grounded Theory auszuwerten. Die genauere Anleitung hierzu findest du in den entsprechenden Texten dieses Readers.

Literatur: Girtler, Roland (2001): Methoden der Feldforschung, Böhlau Verlag Wien Köln Weimar Girtler, Roland (1995): Randkulturen – Theorie der Unanständigkeit, Böhlau Verlag Ges.

mbH und Co. KG, Wien ⋅ Köln Weimar Girtler, Roland (2004a): 10 Gebote der Feldforschung. Wien: Lit. Lüders, C. (2002): 5.5 Beobachten im Feld und Ethnographie. In: Flick/Kardoff/Steinke

(Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Reinbek bei Hamburg, S.384-401.

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Die 10 Gebote der Feldforschung 1. Du sollst einigermaßen nach jenen Sitten und Regeln leben, die für die Menschen, bei

denen du forschst, wichtig sind. Dies bedeutet Achtung ihrer Rituale und heiligen Zeiten, sowohl in der Kleidung als auch beim Essen und Trinken. – Si vivis Romae Romano vivito more!

2. Du sollst zur Großzügigkeit und Unvoreingenommenheit fähig sein, um Werte zu erkennen und nach Grundsätzen zu urteilen, die nicht die eigenen sind. Hinderlich ist es, wenn du überall böse und hinterlistige Menschen vermutest.

3. Du sollst niemals abfällig über deine Gastgeber und jene Leute reden und berichten, mit denen du Bier, Wein, Tee oder sonst etwas getrunken hast.

4. Du sollst dir ein solides Wissen über die Geschichte und die sozialen Verhältnisse der dich interessierenden Kultur aneignen. Suche daher zunächst deren Friedhöfe, Märkte, Wirtshäuser, Kirchen oder ähnliche Orte auf.

5. Du sollst dir ein Bild von der Geographie der Plätze und Häuser machen, auf und in denen sich das Leben abspielt, das du erforschen willst. Gehe zu Fuß die betreffende Gegend ab und steige auf einen Kirchturm oder einen Hügel.

6. Du sollst, um dich von den üblichen Reisenden zu unterscheiden, das Erlebte mit dir forttragen und darüber möglichst ohne Vorurteile berichten. Daher ist es wichtig, ein Forschungstagebuch (neben den anderen Aufzeichnungen) zu führen, in das du dir jeden Tag deine Gedanken, Probleme und Freuden der Forschung, aber auch den Ärger bei dieser einträgst. Dies regt zu ehrlichem Nachdenken über dich selbst und deine Forschung an, aber auch zur Selbstkritik.

7. Du sollst die Muße zum "ero-epischen (freien) Gespräch" aufbringen. Das heißt, die Menschen dürfen nicht als bloße Datenlieferanten gesehen werden. Mit ihnen ist so zu sprechen, dass sie sich geachtet fühlen. Man muss sich selbst als Mensch einbringen und darf sich nicht aufzwingen. Erst so lassen sich gute Gesprächs- und Beobachtungsprotokolle erstellen.

8. Du sollst dich bemühen, deine Gesprächspartner einigermaßen einzuschätzen. Sonst kann es sein, dass du hineingelegt oder bewusst belogen wirst.

9. Du sollst dich nicht als Missionar oder Sozialarbeiter aufspielen. Es steht dir nicht zu, "erzieherisch" auf die vermeintlichen "Wilden" einzuwirken. Du bist kein Richter, sondern lediglich Zeuge!

10. Du musst eine gute Konstitution haben, um dich am Acker, in stickigen Kneipen, in der Kirche, in noblen Gasthäusern, im Wald, im Stall, auf staubigen Straßen und auch sonst wo wohl zu fühlen. Dazu gehört die Fähigkeit, jederzeit zu essen, zu trinken und zu schlafen.

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Filmanalyse: Romeo und Julia

Paper von Daniel Rodriguez, Katharina Hahn, Simone Lehrl

Filmanalyse In unserem heutigen Zeitalter wird das Leben nahezu aller Menschen von audiovisuellen Medien zu mehr oder weniger großem Teil mitbestimmt. Da Filme, egal ob im Kino oder Fernsehen, durch die Vielzahl technischer Möglichkeiten und Methoden in ihrem Ablauf und Inhalt im Vergleich zu herkömmlichen Datenquellen der sozialwissenschaftlichen Forschung um vieles komplexer sind, erscheint es logisch, diese auch auf andere Art und Weise auszuwerten und zu interpretieren. Aus diesem Grund fanden vor allem in den 70er Jahren zahlreiche Diskurse über Methoden einer erfolgreichen Filmanalyse statt. Der Trend ging danach zwar wieder etwas zurück, die Annahme jedoch, dass dem Film und Fernsehen zusätzlich zur Unterhaltungsfunktion auf jeden Fall eine zentrale gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung zukommt, hat sich bis heute gehalten, wenn nicht sogar noch weiter verstärkt. Im sozialwissenschaftlichen Kontext wird dabei vor allem der Frage nachgegangen, inwieweit das Medium die Realitätswahrnehmung der Menschen beeinflusst und diese somit konstituiert. Um nun aber eine Anleitung für die Praxis zu geben, möchten wir im folgenden Teil konkreter werden und den idealtypischen Ablauf der Forschung mit der Methode genauer erläutern. Der erste Schritt gilt natürlich der Sichtung des Materials, also dem Ansehen des Films. Um später in der Interpretation nicht vollkommen daneben zu liegen, sich in unwichtigen Einzelheiten zu verlieren oder sonstige Fehler zu machen, ist im nächsten Schritt besonders wichtig, sofort spontane Eindrücke, Auffälligkeiten etc. schriftlich festzuhalten. Vielleicht fallen einem hierbei auch interessante Ansatzpunkte für mögliche Fragestellungen auf. Als nächstes erstellt man eine Transkription des gesamten Films. Vom Prinzip bedeutet dies das gleiche wie bei einem normalen Interview, wobei natürlich die jeweiligen Regieanweisungen, bzw. die dann umgesetzten Licht-, Ton- und Bildeffekte mit aufgenommen werden müssen. Bildliche Beispiele hierfür:

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Das Transkript bildet die Basis für alle weiteren Untersuchungen. Von ihm ausgehend erfasst der Forscher die Handlung, zuerst in gröberen, dann in immer weiteren Zügen, wobei natürlich insbesondere die Fragestellung langsam angegangen wird. Ist diese dann festgesetzt bzw. sind die Hypothesen generiert, kann mit der Wahl sinnvoller Methoden und der Bestimmung des weiteren Vorgehens begonnen werden. Das Wort „sinnvoll“ deutet auf die notwendige Abstimmung der Instrumente auf den Untersuchungsgegenstand und die spezifische Fragestellung hin. Gerade bei der Filmanalyse wird die Verschränkung quantitativer und qualitativer Methoden unbedingt notwendig. Um dies zu verstehen, muss man sich noch einmal die Komplexität des Mediums Film vor Augen

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führen. Da Botschaften zeitgleich über Bild und Ton vermittelt werden und jeder Mensch über einen eigenen Erfahrungsschatz, unterschiedliche Werte, Vorstellungen, kognitive Voraussetzungen etc. verfügt, führt die Betrachtung des Gegenstands bei jedem Einzelnen zu einem eigenen Metafilm. Um hier allgemeingültige Interpretationsangebote zu machen, muss der Forscher zum einen subjektive Deutungsmuster berücksichtigen und im Weiteren aber versuchen zu abstrahieren und seine Ergebnisse intersubjektiv nachvollziehbar zu erlangen und auch darzustellen. Auch um das ganze Vorgehen empirisch nennen zu können, werden die Hypothesen bei der Filmanalyse durch quantitative Methoden überprüft. Im Folgenden sollen nun einige Instrumente aufgezeigt werden, die jedoch als Handwerkzeug gedacht sind und deren kreativer Einsatz von der Fragestellung abhängig gemacht werden soll. Als erste Instrumente sollen zwei Unterarten der Transkription vorgestellt werden. Um das Ziel, den Film der Übersicht und Nachvollziehbarkeit halber in eine lineare Form zu bringen, zu erreichen, müssen alle visuellen, auditiven, inhaltlichen und zeitlichen Abläufe der Kameraaktivität festgehalten werden. Dabei kann man zwischen zwei Arten unterscheiden. Zum einen gibt es das Einstellungsprotokoll, bei dem jede einzelne Einstellung mitsamt Inhalt, Dauer, Kameraperspektive, Einstellungsverbindung etc. aufgeführt wird. Um seitenweise Papier zu vermeiden kann es womöglich sinnvoller sein, lediglich Sequenzprotokolle anzufertigen, wobei der Film in Subsequenzen geteilt wird, die sich aus inhaltlichen oder formalen Gründen ergeben und mit Hilfe derer die Gesamtstruktur und die Zusammenhänge des Films gut sichtbar herausgearbeitet werden können. Doch auch nach der Anfertigung dieses Protokolls ergeben sich weitere Schwierigkeiten aus dem interdependenten Charakter des Mediums, das sich nicht so einfach linear darstellen lässt. Um dieses Problem zu lindern bedient man sich verschiedener Möglichkeiten der filmischen Visualisierung, die sinnhaften und vor allem auch den Rezipienten affektiv betreffenden Wirkungen des Films zu erfassen. Abhängig vom Interesse kann man wieder zwischen verschieden Optionen wählen. Es gibt Sequenz- und Einstellungsgrafiken, die Schnittfrequenz kann visualisiert oder die Zeitachse skizziert werden.

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Wie bereits mehrfach erwähnt muss immer auf den Bezug zwischen quantitativ-grafischen und qualitativ-interpretatorischen Argumentationssträngen hergestellt werden, da Erhebungen ohne Referenzbezüge genauso aussageschwach sind wie willkürliche, subjektive Interpretationen. Die systematische Analyse als Untersuchung des Films und seiner Kontextfaktoren umfasst verschiedene Aspekte und Dimensionen. Man geht von vier sich überschneidenden Untersuchungsbereichen aus. Die Filmrealität dient zur Ermittlung aller am Film selbst feststellbaren Daten,

Informationen, Aussagen, also Inhalt, formale und technische Daten, Einsatz filmischer Mittel, inhaltlicher und formaler Aufbau des Films, handelnde Personen, Handlungsorte, Handlungshöhepunkte, Informationslenkung und Spannungsdramaturgie.

Die Bedingungsrealität ermittelt die Kontextfaktoren, die die Produktion, die inhaltliche und formale Gestaltung des Films beeinflusst haben. Zudem dient sie zur Aufarbeitung der historisch-gesellschaftlichen Situation zur Entstehungszeit des Films und stellt Bezüge zu anderen inhaltlich oder intentional ähnlichen Filmen her.

Die Bezugsrealität thematisiert die inhaltlich historische Problematik, die im Film behandelt wird.

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Zuletzt die Wirkungsrealität; diese zeigt die Publikumsstruktur, Publikumspräferenzen einschließlich Einsatzorte, Laufzeiten des Films, Intentionen des Regisseurs, ggf. Rezeptionsgeschichte des Films auf.

Um qualitativ für die Gesamtaussage bedeutsam zu werden, müssen die verschiedenen Untersuchungsaspekte und Informationsquellen in ihren Einzelergebnissen inhaltlich-argumentativ zusammengeführt werden. Abschließend wäre speziell zur soziologischen Filminterpretation noch zu sagen, dass hier die Schlüsselkategorie die Gesellschaft darstellt. Die soziologische Sichtweise setzt den Film in einen allgemeinen oder umfassenden gesellschaftlichen Kontext. Sie konzentriert sich auf die Gesellschaftsbedingtheit des Films, was bedeutet sie hinterfragt die Bedeutung und Funktion des Films. Die soziologische Filminterpretation untersucht und bewertet den Film im Hinblick auf seine Wiedergabe von zeitgenössischer Wirklichkeit. Ein besonderes Augenmerk wird hier auf die Randgruppen, Schichten, Institutionen, Personen, Problemfragen, Interessensgegensätze gerichtet.

Literatur: Jens Thiele (1999): „Kiss kiss bang bang“. WILLIAM SHAKESPEARES ROMEO UND

JULIA (Luhrmann, USA 1996). In: Peter Drexler/Helmut Korte (Hrsg.): Einführung in die Filmanalyse.Berlin: Erich Schmidt Verlag, S.195 - 237 [Zusammenfassung].

Peter Drexler (2004): Misery (King 1987/Reiner 1990). In: Helmut Korte: Einführung in die Systematische Filmanalyse. Ein Arbeitsbuch. Berlin: Erich Schmidt Verlag, S.119-158

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Das Leitfadeninterview

Kleine Hausarbeit von Anna De Vittorio

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Leitfaden als Erhebungsinstrument

3. Die Spezifizierung der Forschungsfrage

4. Die Fallauswahl

5. Die Organisation des Feldzugangs und die Kontaktaufnahme

6. Die Leitfadenkonstruktion

7. Die Leitfadenerprobung und -anpassung

8. Die Interviewdurchführung

9. Die Datenanalyse

10. Probleme und Fazit

11. Literaturverzeichnis

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1. Einleitung Unter Leitfadeninterviews werden eine Reihe verschiedener Interviewarten gezählt, die – je nach Untersuchungseinheit und Forschungsfrage – unterschiedlich konzipiert sind. Flick (2006) nennt als Beispiele das fokussierte Interview, das halbstandardisierte Interview, das problemzentrierte Interview, das Experten-Interview und das ethnographische Interview. Die Idee dahinter ist die, dass angenommen wird, ein relativ offen aufgebautes teilstandardisiertes Interview, bringt die Sichtweisen der interviewten Personen eher zum Vorschein als es bei (voll-)standardisierten Interviews der Fall ist. Beim Leitfadeninterview stützt sich der Interviewer auf einen flexiblen Fragenkatalog (mit möglichst offen formulierten Fragen), um Daten zu erheben und später auswerten zu können. Dabei kann und sollte der Leitfaden, wenn nötig, überarbeitet werden, um neu gewonnene Erkenntnisse mit einfließen zu lassen. Im Laufe des Interviews kann der Interviewer, je nach Situation, über den Zeitpunkt des Einsatzes der jeweiligen Fragen und deren Reihenfolge ad hoc entscheiden. So können etwa Fragen, die während des Interviews bereits beantwortet wurden, ausgelassen werden, da die Antwort schon vorliegt. Je nach Gesprächsentwicklung kann der Interviewer detaillierter nachhaken und – im Falle des Abschweifens seitens des Interviewten – wieder zum Leitfaden zurückführen. Schließlich sollen bestimmte – im Leitfaden vorgegebene Fragestellungen – im Interview behandelt werden. Da Interviews nicht immer gleich ablaufen und die Interviewsituation sehr unterschiedlich aussehen kann, hat der Interviewer stets neue Entscheidungen zu treffen, wie das Interview (weiter) vonstatten gehen soll. Deshalb sollte er den Überblick nicht verlieren, um die Wiederholung von Fragen zu vermeiden und ein gewisses Maß an Sensibilität, für den Verlauf des Interviews und in Bezug auf sein Gegenüber, nicht missen lassen. Das leitfadengestützte Interview ist eine häufig praktizierte Form qualitativer Interviews. Im Hinblick auf dessen Einsatz ergeben sich folgende wichtigen Fragen: Welche vorbereitende Überlegungen sind für die Untersuchung erforderlich? Was ist bei der Durchführung einer mündlichen Befragung, mittels Interview bzw. in Form von Leitfadeninterviews, zu beachten? Mit welchen Fehlerquellen ist zu rechnen? Welche Auswertungsmethoden sind zulässig bzw. am geeignetsten?

2. Der Leitfaden als Erhebungsinstrument »Der Umgang mit dem Leitfaden, der die Aufmerksamkeit auf relevante Themen lenkt, soll situationsangemessen-flexibel sein« (Lexikon zur Soziologie 1995, S.399 f.). Das Leitfadeninterview zählt zu den weniger strukturierten Interviewtechniken und somit zu den qualitativen Methoden der Befragung (Diekmann 2008, S.438). Hier beschränkt man sich (in der Regel) auf wenige Leitfragen, statt einen vollstandardisierten Fragenkatalog durchzugehen. Der Anwendungsbereich von Leitfadeninterviews kann sich z.B. auf explorativ ausgerichtete Studien (zur Theoriebildung und -entdeckung) beziehen, aber auch auf komplexe und/oder lebensweltbezogene Fragestellungen (etwa persönliche Erfahrungen, eigene Meinungen etc.). Außerdem können Leitfadeninterviews auch zur Vorbereitung

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und/oder Begleitung quantitativer Untersuchungen eingesetzt werden (vrgl. Shell Jugendstudie, Picot und Willert 2006). Vor der Spezifizierung der Forschungsfrage ist das Themenfeld der Untersuchung abzustecken. Das heißt: Wie sieht der Untersuchungsgegenstand aus und wie lautet die zentrale Fragestellung der geplanten Studie? Überdies: Auf welche Weise und in welcher Phase des Forschungsprozesses sollen die Leitfadeninterviews zum Einsatz kommen bzw. wie sind letztere im Forschungsdesign integriert?

3. Die Spezifizierung der Forschungsfrage »Die Forschung setzt an konkreten gesellschaftlichen Problemen an, deren objektive Seite vorher analysiert wird« (Mayring 2002, S.69). So erfordert die Problemformulierung bzw. Forschungsfrage-Spezifizierung ein umfangreiches Vorwissen zum Untersuchungsgegenstand, welches erworben werden sollte, um die geplante Untersuchung durchführen zu können. Hierfür kann eine Materialsammlung angelegt werden, (Fach-)Literatur gesichtet und bereits vorhandene Forschungsergebnisse/Studien betrachtet werden. Das mit Forschungshilfen erarbeitete Wissen kann in entsprechende Interviewinhalte transformiert werden. Zur Gestaltung einer Interviewsituation ist es also notwendig, die allgemeinen Forschungsfragen in konkrete Interviewfragen umzuwandeln. Bei der Ausarbeitung des Forschungsthemas sollte auch schon über die möglichen Fehlerquellen, die sich beim (Leitfaden-)Interview ergeben können, berücksichtigt werden. Hierbei kann es sich um Befragtenmerkmale handeln, die sich z.B. in Form sozial erwünschter Antworten oder ‘Meinungslosigkeit’ zeigen. Außerdem können Fragemerkmale auftreten, die etwa – je nach Formulierung oder Positionierung der gestellten Fragen – zu Antwortverzerrungen führen können. Letztlich kann es auch, durch Merkmale des Fragenden und der Fragesituation, zu Verzerrungen kommen, beispielsweise wenn während des Interviews ein Dritter anwesend ist oder bedingt durch anderweitige situationale Effekte (vrgl. Diekmann 2008, S.447).

4. Die Fallauswahl Nachdem festgelegt wurde, welches Forschungsthema untersucht werden und welche Forschungsmethode eingesetzt werden soll, stellt sich die Frage nach der Untersuchungseinheit, der Stichprobe bzw. deren Umfang (sample size). Wie viele Einheiten, d.h. Personen, sollen in der Stichprobe erfasst bzw. interviewt werden und welche Zielgruppe soll es sein? Es empfiehlt sich eine möglichst heterogene Stichprobe, die aber vor allem typische bzw. charakteristische Fälle umfassen sollte, die der Untersuchung dienlich sind und demnach bewusst ausgewählt werden (es macht beispielsweise wenig Sinn, die Lebenssituation von Arbeitslosen zu untersuchen und dabei nicht die Betroffenen selber, sondern Nicht-Arbeitslose zu befragen). So geht es darum, potentielle Interviewpartner auszuwählen. Dies kann etwa als theoretische Auswahl geschehen, nach dem von B. Glaser und A. Strauss vorgeschlagenen Verfahren des theoretical sampling, bei dem es nicht um die Abbildung einer Grundgesamtheit, sondern um das Entdecken theoretisch relevanter

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Dimensionen oder eine Typologieentwicklung geht. Dieses Auswahlverfahren wird auch während des laufenden Forschungsprozesses so lange durchgeführt, bis eine theoretische Sättigung eintritt (sukzessiver Aufbau der Stichprobe). Es werden also so lange neue Fälle – in Bezug auf die theoretisch interessierende Frage – erhoben und miteinander verglichen, bis sich keine Zusätze mehr zur bereits formulierten Theorie ergeben oder sich die beabsichtigte Typologie, durch Hinzunahme neuer Fälle, nicht mehr verändert oder erweitert. Dieses in der qualitativen Sozialforschung verwendete Verfahren kommt in der Forschungspraxis meist nur in abgekürzter Form zum Einsatz, da es ziemlich arbeits- und zeitaufwendig ist (vrgl. Lexikon zur Soziologie, S.74 f.). Bei der Fallauswahl nach dem theoretical sampling, wird also auf einen vorab definierten Auswahlplan verzichtet. Die Auswahl der ersten Fälle, die in die Untersuchung einbezogen werden, erfolgt sozusagen aufgrund von Vorkenntnissen und Erfahrungen. Die weiteren Auswahlentscheidungen ereignen sich im Laufe der Datenerhebung. Da anfangs auf keine empirisch begründete Theorie zurückgegriffen werden kann, werden – anhand der Analyse der ersten Fälle – die weiteren Auswahlkriterien fest gemacht und die Auswahl optimiert.

5. Die Organisation des Feldzugangs und die Kontaktaufnahme Der Zugang ins Untersuchungsfeld bzw. zur Ziel-/Personengruppe, die untersucht werden soll, kann sich unter Umständen als relativ schwierige Aufgabe darstellen. Es geht jedenfalls um die Herstellung eines persönlichen Kontaktes zu potentiellen Interviewpartnern, die zu jener Gruppe gehören, bezüglich derer die Studie durchgeführt werden soll (z.B. Obdachlose, Arbeitslose, deviant agierende Jugendliche). Die entsprechenden Personen könnten hierbei direkt angesprochen werden. Aber wie lässt sich eine bestimmte Zielgruppe finden und wie lassen sich die passenden Personen hieraus rekrutieren? Hierzu könnte der/die Forschende auf sein/ihr soziales Netzwerk zurückgreifen und die eigenen sozialen Kontakte nutzen. Weitere Varianten könnten auch sein: Der Feldzugang durch einen »Pförtner« bzw. »Schleusenöffner« (der sogenannte gate keeper), der den Weg ins Untersuchungsfeld/in die Untersuchungsgruppe öffnet bzw. erleichtert. Anwenden ließe sich auch das Schneeballsystem, als Verfahren der Kontaktaufnahme zu weiteren Personen, über die zuvor Befragten bzw. bereits kontaktierten. Des Weiteren könnten Freiwillige (etwa über Annoncen, Anzeigen, Aushänge und/oder Flyer) aufgefordert werden, sich selbst zu melden. Denkbar wäre auch die Anbindung an eine quantitative Befragung (wie etwa in der Shell Jugendstudie geschehen; vgl. Picot und Willert 2006). Letzten Endes wird die Auswahl jedoch von der Zugänglichkeit bestimmt (vgl. Helfferich 2005, S.155). Wichtige Kriterien bezüglich der Kontaktaufnahme für den Feldzugang bzw. den späteren Interview-Erfolg beziehen sich im Grunde darauf, die möglichen Interviewpartner von der Teilnahme zu überzeugen, ihnen genügend Informationen zu geben, deren Verständnis oder gar Interesse zu wecken und ein gewisses Maß an Vertrautheit zueinander herzustellen. Es wäre angebracht, sich als Interviewer persönlich vorzustellen (d.h. wer und für welche Institution tätig), das Forschungsanliegen bzw. Untersuchungsthema näher darzulegen, den potentiellen

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Interviewpartner um die Teilnahme zu bitten und diesem Anonymität zuzusichern, aber gleichzeitig auch dessen Angaben (Person, Funktion usw.) zu prüfen. Dennoch kann es durchaus vorkommen bzw. kommt es vor, dass Personen die Teilnahme an einer Studie verweigern. Den Ursachen einer solchen Ablehnung sollte durchaus nachgegangen werden, um zu schauen, was dahinter steckt und die eigene Vorgehensweise eventuell zu überdenken. Unter Umständen kann die Person, mit noch schlagkräftigeren Argumenten und in stets freundlicher Form, doch noch zur Kooperation animiert werden. Lautet der Einwand des Gegenübers, dass er/sie nun keine Zeit hat, so könnte ja ein anderer Termin vorgeschlagen werden. Weist die Person darauf hin, dass sie kein Interesse an einer Teilnahme hat, so ließe sich mit – die Teilnahme bedeutet einen Gewinn – gegenargumentieren. Es könnte auch darauf hingewiesen werden, wie wichtig die jeweilige Person für den Erfolg der Forschungsarbeit ist.

6. Die Leitfadenkonstruktion Vor der Konstruktion des Leitfadens müssen die Voraussetzungen erfüllt sein, dass zunächst die Forschungsfrage präzisiert, die Stichprobe eingegrenzt, eine Personenauswahl bestimmt, der Feldzugang hergestellt und der persönliche Kontakt erfolgreich aufgenommen wurde. Danach kann der Leitfaden entwickelt werden. Je nach Forschungsinteresse ist dieser mehr oder weniger grob vorstrukturiert. Der Leitfaden soll als eine Art Gedächtnisstütze für den Interviewer dienen und enthält eine schriftlich festgehaltene Fragenpalette. Generell gilt: »Fragen sollten kurz, einfach und auf den Bezugsrahmen des Befragten bezogen sein. Doppelte Negationen, unklare Wörter, verzerrte Formulierungen sind zu vermeiden, um eine neutrale und gültige Antwort zu erhalten. Art der Frage und Frageformulierungen richten sich nach dem Bezugsrahmen des Befragten. Ihre Ableitung hingegen erfolgt nach dem Bezugsrahmen der Untersuchung, des Forschers« (Friedrichs 1990, S.205 f.). Der Leitfaden sollte das Gespräch idealtypisch in einzelne thematische Blöcke und Hauptfragen strukturieren und zur Orientierung dienen. Sein Aufbau- und Strukturprinzip ermöglichst eine flexible Handhabung in Abhängigkeit vom Gesprächsverlauf. Er umfasst wenig Fragen von unterschiedlichem Rang und enthält keine vorformulierten Antwort-Vorgaben. Überdies gewährt der Leitfaden die Möglichkeit der Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Interviews. Der Leitfaden enthält im Grunde einige Leit-Fragen unterschiedlichen Typs. So zählen zu den Fragearten zunächst sogenannte Einstiegsfragen (auch Warming-Up-/Eisbrecherfragen genannt), die die Gesprächssituation vorbereiten sollen. Die befragte Person kann sich quasi »warm reden« und das Eis zwischen Interviewer/-in und Befragten/Befragter kann gebrochen werden. Daneben gibt es auch bestimmte Schlüssel- bzw. Hauptfragen, die sehr wichtig für die Untersuchungsthematik sind und deshalb immer gestellt werden, während sich eventuell ergebende Detailfragen nur in einigen Fällen gestellt werden (wenn z.B. eine Aussage nicht deutlich genug ist und nachgehakt wird oder näheres zu einer Antwort erfragt wird). Weiterhin ist es unter Umständen sogar notwendig Fragen zur Person zu stellen, weil diese Angaben des/der Befragten noch fehlen bzw. benötigt werden. Geordnet werden können

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die Fragen nach einzelnen Themenblöcken bzw. thematischen Schwerpunkten, wobei die Rangordnung der Fragetypen unterschiedlich ausfällt und einige Fragen zum festen Bestandteil des Leitfadens zählen und andere nicht (weil variabel). Somit gliedert sich der Leitfaden in einen Einstiegsteil mit Begrüßung und Eisbrecherfrage, einen Hauptteil mit Haupt- und Unterfragen, sowie einen Abschlussteil mit abschließender Frage, Fazit und Dank. Dabei sollte der Leitfaden stets »so offen und flexibel (...) wie möglich, so strukturiert wie aufgrund des Forschungsinteresses notwendig« sein (Helfferich 2005, S.161). Helfferich (2005) schlägt zur Leitfadenerstellung ein schrittweises Vorgehen – das sogenannte SPSS-Prinzip – vor. Zunächst geht es um das Sammeln von vielen Fragen, in einem ganz offenen Brainstorming zum Forschungsthema. Im nächsten Schritt folgt das Prüfen der gesammelten Fragen auf deren Geeignetheit und das Streichen all jener Fragen, die nicht geeignet sind. In einem dritten Schritt geht es um das inhaltliche Sortieren der verbleibenden Fragen und deren Einteilung in offene Erzählaufforderungen, Aufrechterhaltungsfragen und konkreten Nachfragen. Als Letztes kommt das Subsumieren der Fragentypen, d.h. nach deren Prüfung und Sortierung werden diese in den Leitfaden subsumiert bzw. ein-/untergeordnet.

7. Die Leitfadenerprobung und -anpassung Es sollte geprüft werden, ob mittels des Leitfadens dem Gesprächsverlauf ein Rahmen gegeben werden kann. Da die Konzeption eines Leitfadens relativ gute Kenntnisse des Forschungsgegenstandes voraussetzt, sollte sich der Forschende entsprechendes Vorwissen aneignen, um die Themenblöcke präziser abgrenzen zu können. Obendrein sollte auch überprüft werden, ob der Leitfaden nicht zu abstrakt oder zu lang und ob er übersichtlich aufgebaut ist. Geachtet werden sollte unbedingt auch darauf, ob die Fragen offen und nicht suggestiv gestaltet sind und zum Erzählen stimulieren. Offene Fragen enthalten keine Antwort-Vorgaben und sollen zum selbständigen, ausführlichen Erzählen bestimmter Sachverhalte animieren. »So liefert der Pretest hauptsächlich Aufschlüsse über die Brauchbarkeit des Leitfadens, die Qualitäten der Interviewer und allgemeine Merkmale der Befragtengruppe, sofern sie durch ähnliche Strukturen (z.B. Alter, Schicht) gekennzeichnet sind« (Friedrichs 1990, S.235). Gegebenenfalls sind die Inhalte des Leitfadens zu modifizieren, d.h. Fragen müssen unter Umständen verändert oder (weil unbrauchbar) ganz weggelassen und vielleicht sogar neu angeordnet werden. Im entworfenen Leitfaden sollten die Frageformulierungen überprüft und es sollte auf inhaltliche Wiederholungen geachtet werden. Überdies sollte die Art der Fragestellung dem jeweils kulturellen Kontext angepasst werden. Jedenfalls lassen sich Probleme der Verständigung in Pretests herausfinden. Umgehen lassen sich mancherlei Verständigungsprobleme auch durch die Auswahl von mit der jeweiligen Subkultur vertrauten Interviewern (vrgl. Diekmann 2008, S.442). Die mit dem Interview verbundene Datenqualität hängt also maßgeblich von der Qualtät des eingesetzten Leitfadens ab. Inzwischen gibt es zahlreiche Erkenntnisse über die Wirkung der Fragenqualität auf das Antwortverhalten von Befragten. Auf diese Erkenntnisse kann bereits vor dem Einsatz empirischer Pretestverfahren zurückgegriffen werden. Jedenfalls stellt beides

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die Grundlage dar, um die Mängel an Fragen zu erkennen und damit die Grundlage für eine Optimierung zu schaffen. Die Verfahren zur Optimierung der Fragenqualität spielen eine große Rolle bei der Minimierung des Umfragefehlers.

8. Die Interviewdurchführung Was die Interviewdurchführung anbelangt, so sollte der zu interviewenden Person im Vorhinein mitgeteilt werden, um was es im Interview gehen soll (Thema und Zweck der Forschungsarbeit), was mit den gewonnenen Informationen bzw. Daten passiert und wer hinter dem jeweiligen Forschungsprojekt steht (also den möglichen Auftraggeber oder die Forschungseinrichtung vorstellen). Darüber hinaus sollte die Person auch darüber unterrichtet sein, wie das Interview vonstatten gehen soll (wer der/die Interviewer/-in ist, wer noch anwesend bzw. mit anwesend sein darf, wo bzw. an welchem Ort das Gespräch stattfinden soll, wann bzw. zu welchem Datum/Zeitpunkt es stattfinden soll, wie lange es dauern wird und ob bzw. welche Aufzeichnungsmedien eingesetzt werden). Wichtig ist hierbei, dass ein gutes Interviewklima geschaffen werden sollte. Der Interviewer sollte möglichst entspannt sein bzw. so wirken und auf seinen Interviewpartner eingehen (d.h. nicht nur die reine »Information« aufnehmen, sondern auch die »Botschaft« verstehen). Überdies sollte dem Gegenüber Raum geschaffen werden, damit sich die Person zeigen kann. Der Interviewer sollte nicht versuchen, seine eigene Position darzustellen, vor allem nicht in Übereinstimmung mit dem Gegenüber. Die interviewende Person sollte ein »unabhängiges« Interesse haben, ganz gleich, was ihr Gegenüber äußert. Der zu befragenden Person sollte die Möglichkeit gegeben werden, mehrere Aspekte von sich selbst zu zeigen. Dabei sollte der Interviewer die befragte Person nicht vor etwas schonen, was ihr peinlich sein könnte, sondern dieser – durch die eigene Haltung zeigen – , dass er die Wahrheit aushält. Die Fragen des Interviewers sollten kurz und leicht verständlich sein und dem Gesprächspartner zu weiteren Schilderungen von Details animieren. Es wäre außerdem ratsam, nicht nach theoretischen Kategorien, sondern nach konkreten Dingen aus der Lebenswelt des Interviewten zu fragen. Der Interviewer sollte mit seiner eigenen Sprache sprechen und keine Milieusprache imitieren, wobei er jedoch durchaus die vom Interviewpartner benutzten konkreten Namen und Begriffe verwenden sollte. Im Interview soll nicht versucht werden, theoretische Begriffe zu entdecken, sondern die Lebenswelt des Interviewten. Es sollte auch eine gewisse Naivität gezeigt werden und der Interviewer sollte sich Begriffe, Vorgänge als auch Situationen vom Befragten erläutern lassen. Überdies sollte sich der Fragende nicht blamiert vorkommen, wenn er nach Selbstverständlichkeiten fragt. Es sollte im Grunde der Versuch gestartet werden, die Lebenswelt des Interviewpartners wirklich gut zu verstehen und genau zu wissen, was in dieser geschieht (nach Hermanns 2000, S.367 f.). Zu den möglichen bzw. bereits beobachteten Problemen bei der Durchführung qualitativer (Leitfaden-)Interviews gehören z.B. die »Tendenz zu einem dominierenden Kommunikationsstil«, d.h. der Einsatz von Suggestivfragen (etwa: »Sie sind doch auch der

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Meinung, dass...«), die dem Befragten eine bestimmte Antwort nahelegen und in der Regel einen verzerrenden Einfluss auf dessen Antwort haben. In diese Kategorie fallen auch unzulässige bewertende und kommentierende Aussagen seitens der interviewenden Person. Des Weiteren fallen ebenso »Probleme mit den passiv-rezeptiven Anteilen des Interviewens« auf. Dies bezieht sich auf bestimmte Schwierigkeiten und eine mangelnde Geduld beim Zuhören sowie beim Erfassen von Anhaltspunkten zwecks der Stellung von Nachfragen. Obendrein lässt sich »eine aus Angst und Unsicherheit resultierende Unfreiheit im Umgang mit dem Frageleitfaden« feststellen, die sich mitunter durch penetrante und belehrende Aussagen äußert. Solche ‘Kunstfehler’ ergeben sich unter anderem aus ‘Ausbildungsdefiziten’, die wohl durch eine verbesserte Ausbildungspraxis behoben werden könnten (Hopf 2000, S.359).

9. Die Datenanalyse Die mittels persönlich-mündlicher Befragung bzw. qualitativen Leitfadeninterviews – im direkten Kontakt zu den Befragten (face-to-face) – erhobenen bzw. gewonnenen Daten, müssen in weiteren Schritten aufbereitet und ausgewertet werden. Hierzu werden die auf Tonband aufgenommenen Interviews (= Datenaufzeichnung) wörtlich transkribiert, um die auf diese Weise gespeicherten Datensätze analysieren zu können. So werden die verbalen Informationen, bei der Datenaufbereitung, in numerische oder alphabetische Symbole übertragen (= Kodierung), die maschinell bzw. computergestützt bearbeitet werden können. »Die Auswertung ist dabei nicht auf ein Verfahren festgelegt, jedoch erscheinen kodierende Verfahren (...) besonders geeignet» (Flick 2006, S.125). Zur Verwertung des empirisch gesammelten Materials bietet sich bei Leitfadeninterviews eine inhaltsanalytische Datenauswertung bzw. Aussagenanalyse an. »Inhaltsanalysen eignen sich besonders gut zur Erforschung sozialer und kultureller Werte und des Wandels von Werten im langfristigen Zeitverlauf« (Diekmann 2008, S.584). Auf diese Weise wird die Erhebungsmethode ‘Leitfadeninterview’ mit der Analysemethode ‘Inhaltsanalyse’ kombiniert, wobei nicht zahlenmäßig (mengenmäßig-quantitativ), sondern textbezogen (inhaltlich-qualitativ) ausgewertet wird.

10. Probleme und Fazit Als Nachteil könnte aufgefasst werden, dass durch den Leitfaden eine ständige Frage-Ant-wort-Situation geschaffen wird, die wenig förderlich zum Aufbau einer Vertrauenssituation ist. Problematisch wird es dann, wenn der Leitfaden nicht dem Gesprächsverlauf angepasst wird. Weitere Probleme können auch sein, dass der Interviewer plötzlich den Überblick über das vom Interviewten bereits Gesagte oder gar die zentrale Fragestellung aus dem Auge ver-liert. Und obgleich sich der Interviewer an einem vorher vereinbarten Zeitplan orientieren sollte, darf er den Interviewpartner nicht einfach so ‘abbremsen’, wenn dieser zu intensiv oder zu lange erzählt (Zeitmanagement-Problem). Ein zusätzliches Manko stellt sich z.B. dar, wenn der Leitfaden dazu benutzt wird, die einzelnen Fragen bzw. Themen nur der Reihe nach

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‘abzuhaken’ (Kleben bleiben am Leitfaden). Es besteht die Gefahr der »Leitfadenbürokratie« (Hopf 1978) und damit ein Verlust an Offenheit und Kontextinformationen. Der Leitfaden ist schließlich kein Fragebogen. Es geht vielmehr darum, offen für die Perspektiven bzw. den Horizont des Interviewpartners und für neue Aspekte zu sein. Es stellt sich hiermit die Frage nach dem Sinn eines Interview-Leitfadens: Wozu überhaupt einsetzen? Doch ein Leitfaden hat vielerlei Vorteile. Er vereinfacht z.B. die Gesprächsführung und dient als roter Faden für den Gesprächsverlauf bzw. die logische Reihenfolge der einzelnen Themenblöcke. Er gewährleistet überdies, dass alle forschungsrelevanten Themen tatsächlich angesprochen werden. Die interviewende Person kann einzelne Gesprächsthemen herausgreifen und vertiefend behandeln. Außerdem kann der vorgegebene Themenkatalog, vom Interviewer, noch während des Gesprächs ergänzt werden. Positiv lässt sich zu einem schriftlich-fixiertern Leitfaden sagen, dass dieser einfach Sicherheit in der Interviewsituation gibt. Durch die Erstellung eines Leitfadens setzt sich der Interviewer mit der Formulierung von forschungsrelevanten Fragen auseinander, über die es gut nachzudenken gilt. Davon ab-gesehen hilft ein Leitfaden beim Vergleichen verschiedener Interviews und vereinfacht deren Auswertung. Durch die Fragestellungen gewinnen die Daten an Struktur. Es sind konkrete Aussagen über einen Gegenstand möglich. Bei der Gestaltung des Interviews muss man nicht an einer bestimmten Reihenfolge festhalten, da Fragen der Interviewsituation beliebig ange-passt werden können. Der Leitfaden gilt überdies als eine Schutzfunktion für den Interviewer, indem er ihm Orientierung bietet, um nicht vom Thema abzukommen.

11. Literaturverzeichnis Diekmann, Andreas (2008): Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden,

Anwendungen. 19. Auflage. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag (Rowohlts Enzyklopädie 55678), S.434-547, 576-622.

Flick, Uwe (2006): 8 Leitfaden-Interviews. In: Ders.: Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. 4. Auflage. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, S.117-145.

Friedrichs, Jürgen (1990): Methoden empirischer Sozialforschung. 14. Auflage. Opladen: Westdeutscher Verlag (WV studium Band 28), S.189-236.

Fuchs-Heinritz, Werner, Lautmann, Rüdiger, Rammstedt, Otthein, Wienold, Hanns, Hrsg. (1995): Lexikon zur Soziologie. 3., völlig neu bearbeitete und erweiterete Auflage. Opladen: Westdeutscher Verlag, S.73-75, 272 f., 299, 315 ff., 399 f., 649, 701

Helfferich, Cornelia (2005): Die Qualität qualitativer Daten. Manual für die Durchführung qualitativer Interviews. 2. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Kapitel 5: Interviewplanung und Intervieworganisation, S.147-173.

Hermanns, Harry (2000): 5.3 Interviewen als Tätigkeit. In: Flick/Kardorff/Steinke (Hrsg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, S.360-368.

Hopf, Christel (2000): 5.2 Qualitative Interviews – ein Überblick. In: Flick/Kardorff/Steinke (Hrsg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Reinbek bei Hamburg, Rowohlt Taschenbuch Verlag, S.349-359.

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Mayring, Philipp (2002): Einführung in die qualitative Sozialforschung. Eine Anleitung zu qualitativem Denken. 5. Auflage. Weinheim: Beltz Verlag, S.67-72.

Picot, Sibylle, Willert, Michaela (2006): Jugend in einer alternden Gesellschaft – Die Qualitative Studie: Analyse und Portraits. In: Shell Deutschland Holding (Hrsg.): Jugend 2006. Eine pragmatische Generation unter Druck. Die 15. Shell Jugendstudie. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag (17213), Kapitel 7, S.241-442.

Internet-Quellen: Behrmann, Laura C. (2009): Einen Leitfaden erstellen (Datei: Leitfaden.doc) &

Abschließende Sitzung: Qualitative Methoden (Datei: letzte Sitzung.pdf). In: Digicampus Universität Augsburg, Plattform: StudIP, Kursverwaltung, Grundkurs: Angewandte Methoden C (GK BA-Sozialwissenschaften, Wintersemester 2008/2009), Rubrik: Dateien (http://digicampus.uni-augsburg.de/kursverwaltung/meine_seminare.php).

Ilmes – Internet Lexikon der Methoden der empirischen Sozialforschung (http://www.lrz-muenchen.de/~wlm/ein_voll.htm).

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Der Leitfaden: Zur Gefahr der „Leitfadenbürokratie“

Arbeitsblätter von Laura C. Behrmann Beispiel 1: 1

I: Darf ich sie fragen ob Sie in der Gewerkschaft sind? 2 P: Gewesen 3 I: In der GEW vermutlich? 4 P. Ja 26 Jahre. 5 I: Und jetzt in der letzten Zeit ausgeschieden? 6 P: Ja, im Zuge des Theaters, wie sehr viele andere auch. 7 I: Meine Frage wäre jetzt folgender maßen: Wenn Sie die verschiedenen - es 8

ist ja für uns interessant zu gucken, welches die Kriterien sind, nach denen 9 Schulräte ausgewählt werden. Was meinen Sie, war ihrer Meinung nach bei 10 ihrer eigenen Ernennung der ausschlaggebende Gesichtspunkt? 11

P: Oh, da verlagen Sie zu viel von mir,12 (Hopf 1993: 103)

Beispiel 2:

P: (erzählt über einen etwas längeren Abschnitt) 1 I. Wir kommen nachher noch mal darauf hin, im Zusammenhang unserer 2

historischen Fragen, die ich noch habe […]Wie ist es mit, wann sind Sie 3 jetzt Schulrat geworden? 4

(Hopf 1993: 104) Beispiel 3:

P: (erzählt über einen etwas längeren Abschnitt) 1 I: Ich werde zur Organisationsveränderung der Schulaufsicht selber später 2

noch etwas fragen, ich – ich wollte jetzt noch ein anderes Thema 3 anschneiden. Ja, was mich interessiert, das sind die Richtlinie also die 4 Arbeitsanweisungen, die ja […]?? 5

(Hopf 1993: 105) Beispiele aus: Hopf, Christel; Weingarten, Elmar (Hg.) (1993): Qualitative Sozialforschung. 3. Auf. Stuttgart: Klett-Cotta

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Mögliche Konstruktion eines Leitfadens: Datum: Alter: Geschlecht: Berufliche Tätigkeit:

Leitfrage/Stimuli/Erzählaufforderung: Erinnerst du dich an deinen ersten Berufswunsch - und könntest du mir bitte

erzählen, welchen beruflichen Weg du von da an zurückgelegt hast.

Inhaltliche Aspekte Aufrechterhaltungsfragen Nachfragen subjektive Definition normative Definition Arbeitsplatzatmosphäre:

Kollegen Abgrenzung:

Familie/Kinder/Eltern

Freizeit Individuelle Zukunft Gesellschaftliche Probleme positive/negative Aussagen

Fällt ihnen sonst noch was dazu ein? Du hast doch sicherlich noch Erinnerungen an Erlebnisse, die du in den ersten Arbeitstagen hattest? Erzähl mal. Weißt du noch, als du dein erstes selbstverdientes Geld in der Hand hattest? Was hast du damit gemacht? Erzähl mal, wie sieht so ein Tag auf Arbeit aus, von dem du sagst, es war ein guter Tag

Erzähl mal, was machst du so, wenn du freie Zeit hast? Heute in 10 Jahren: Was denkst du wie sieht dann dein Leben aus? Wenn jemand anderes für einen Tag deinen Job übernehmen würde, was würdest du ihm mit auf den Weg geben?

Bsp. aus Laura Behrmann (2007): Der Wandel der Erwerbsarbeit. Saarbrücken.

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Das narrative Interview

Denitsa Koleva, Vasilka Markova Inhaltsverzeichnis:

1. Gliederung

2. Der Ablauf des narrativen Interviews

2.1. Erklärungsphase 2.2. Einleitungsphase( Erzählaufforderung) 2.3. Haupterzählung (Erzählphase)

2.3.1 Aufgaben des Forschers 2.3.2 Zwänge des Erzählens 2.3.3 Ende des Haupterzählung

2.4. Nachfragephase

2.5. Bilanzierungsphase

3. Auswertung der narrative Interviews

4. Literaturverzeichnis

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1. Vorgehen Das narrative Interview ist eine der qualitativen Methoden der Empirischen Sozialforschung. Dieser stellt eine besondere Form des offenen Interviews dar und wurde 1977 von dem deutschen Soziologen Fritz Schütze im Zusammenhang mit einer Studie über kommunale Machstrukturen entwickelt. Dieser Methode hängt eng mit der Biographieforschung zusammen und wird häufig im Zusammenhang mit lebensgeschichtlich bezogenen Fragestellungen eingesetzt. Das wichtigste bei dieser Methode ist das Erzählen4, d.h. der Interviewperson wird gebeten und unterstützt sein eigenes Erlebnis als Geschichte zu erzählen. Dabei geht es in der Regel um lebensgeschichtliche, alltäglichen oder kollektiv- historischen Ereignisabläufen, in den der erzählenden Person selbst verwickelt war oder ist- z.B. Weltkriege oder Naturkatastrophen. Diese Ereignisabläufe sollen in eine so genannte Stegreiferzählung wiedergegeben werden. Bei dieser Stegreiferzählung hat die potentielle Interviewperson keine Möglichkeit vor dem Interviewgespräch sich systematisch vorzubereiten. D.h. er kann seine Gedanken vor dem Interview, schriftlich nicht formulieren, um sich für die Präsentation einzuüben. Die Stegreiferzählungen entstehen aus der Situation heraus als etwas Neues.5 Das Ziel des narrativen Interviews ist durch Dynamik des Erzählvorganges retrospektiven Vorstellungen des Erzählers im Gang zu setzen und ihm noch ein Mal in die damalige Handlungs- und Erlebnissituation zu versetzen. Der Erzähler wird Schritt für Schritt seine Erlebnisse wiederrufen und sie möglichst nah überbringen. Damit werden die zurückliegenden Erlebnisse wie ein Film lebendig dargestellt und ausgemalt. Auf dieser Weise werden komplexe kollektiv-historische und biografische Erfahrungszusammenhänge über die Erinnerung der Erzähler wiederruft werden.6 Bei dem narrativen Interview werden alle Erzählungen mit Hilfe von Tonband aufgezeichnet. Anschließend wird dann die Tonbandaufzeichnung verschriftet, d.h. sie wird transkribiert.

2. Der Ablauf des narrativen Interviews Der Ablauf des narrativen Interviews wird durch verschiedene Phasen umgesetzt. Bevor die Forscher zu dem eigentlichen Verlauf der Methode kommen, müssen sie zuerst geeignete Personen für den Interviewdurchführung finden. Das ist in der Regel öfter sehr schwierig und zeitaufwendig. Nachdem die geeignete Interviewpersonen gefunden sind und sich bereit gestellt haben beginnt das Forscherteam mit dem narrative Interviews.

4 Nach Kahlmeyer und Schütze (1977) kann man zwischen den qualitativ unterschiedlichen Darstellungsformen „Erzählen“, „Argumentieren“ und „Beschreiben“ unterschieden. Jene Darstellungen, die auf zurückliegende singuläre Ereignisabfolgen referieren und in einer Beziehung zeitlich oder kausaler Abfolge zu einander stehen, sind Erzählungen, 5Glinka (1998) 6 Ebd. Glinka (1998) ,S.9

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2.1. Erklärungsphase Die Erste Phase des narrativen Interviews ist die Erklärungsphase, hier wird die Interviewter zuerst über die Sinn und Zweck der Forschung und der Interview informiert. Zudem sollen auch Vereinbarungen zum Datenschutz getroffen werden, wie Anonymität und eventuelle Veröffentlichungen. Danach wird der Befragte über den Charakter eines solchen offenen Interviews aufgeklärt. Viele Menschen haben schon einmal zum Beispiel mit standardisierten Interviews Erfahrungen gemacht oder kennen aus dem Medien unterschiedliche Arten davon, aber ein narrative Interview hat damit nur wenig zu tun. In diese Phase wird auch über den Dauer des Interviews informiert und über den Verhalten der Forscher. Die Erklärungsphase wird sehr oft noch bei dem Vorgespräch eines Interviews geklärt.

2.2. Einleitungsphase( Erzählaufforderung) Nachdem alles geklärt ist gibt der Forscher dem Interviewter das Thema vor und setzt damit ein Erzählstimulus7. Beispiel aus der Studie:

„Ich/wir möchte/n Sie bitten, mir/uns Ihre Familiengeschichte und Ihre eigene Lebensgeschichte zu erzählen.“ „Erzählen Sie alles was Ihnen einfällt. Sie haben dazu so viel Zeit, wie Sie möchten.“ „Wir/ich werde/n Ihnen keiner weitere Fragen stellen. Wir/ich mache/n mir/uns nur einige Notizen zu Bereiche, zu denen wir/ich dann später – vielleicht auch in einem zweiten Gespräch- noch einmal genauer nachfragen möchten“.8

Der Stimulus fokussiert das eigentliche sozialwissenschaftlich interessierende Ereignis Diese Ereignis ist mehr oder weniger der größere Teilabschnitt eines Menschenlebens. Ebenso kann der Forscher, wen nötig ist, den Befragte auch seine Erzählungen noch vor seine Geburt einzusetzen.9 Die Erzählstimulus sind je nach Forschungskontext unterschiedlich, es ist von Bedeutung, ob der einzelnen Biografien, der Geschichte eines ganzen Milieus oder eine Organisation von Interesse ist. Bei dieser Phase kommt es öfter zum Fehler. Sehr oft besteht bei der Befragten Zweifel, ob er das Thema oder die Erzählaufforderung richtig verstanden hat oder die Formulierung des Eingangsstimulus undeutlich wird. In solche Situationen soll alles noch ein Mal erklärt werden.10

2.3. Haupterzählung (Erzählphase) Wenn der Befragte mit dem Erzählung schon begonnen hat wird nicht mehr von dem Forscher unterbrochen. Es folgt eine lange Erzählphase, die oft über Stunden dauert. Häufig beginnt die befragte Person mit dem erlebte Geschichte, alles bei seiner Erzählung wird von ihm selber gestaltet.11

7 Ebd. Glinka;S.10 8 Rosenthal (1999) 9 Ebd. Glinka;S.10 10 Vgl. Rosenthal (2005) 11 Vgl. Ebd. Glinka

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2.3.1 Aufgaben des Forschers Während der Haupterzählung unterstützt der Forscher den Befragten durch sein aufmerksames Zuhören und zeigt bei der Erzählung, dass ihm alles interessiert. Das Bedeutet, dass der Forscher wehrend der Haupterzählung nicht untätig bleibt. Er bringt seine Arbeit des Zuhörens durch entsprechenden Aufmerksamkeitsmarkierer zum Ausdruck. Diese Markierer werden im einem face-to-face Kontakt zum Ausdruck gebracht. Markierer sind demnach die Benutzung von Mimik oder kurze emotionale Rückmeldungen, wie Lachen, Atmen, Nicken oder mitgehende Formulierungen, wie zum Beispiel: „ Das war ja wirklich hart“.12 Wichtig ist, dass der Forscher aus sein Gesichtsausdrücke keine Bewertungen erkennen lässt, die der Tendenzausrichtung der Erzählung beeinflussen können. Eine weitere Aufgabe der Forscher ist die Erzähllücken zu identifizieren und sie in knappe Notizen(meisten nur Stichwörter) zu den angesprochene Erlebnisse und Themen aufzuschreiben. Diese Notizen helfen bei späteren Nachfragen.13

2.3.2 Zwänge des Erzählens Geling der Forscher ein Mal der Befragte zum erzählen zu motivieren, dann befindet sich der Befragte in der Zugzwänge des Erzählens. Schütze geht davon aus, dass ein Erzählender bestimmten Zwängen unterliegt: der Gestaltschließungszwang, der Kondensierungszwang und der Detailierungszwang. Die Gestalt einer Geschichte ist zu schließen, also zu einem Ende zu bringen (Gestaltschließungszwang), dabei ist eine Geschichte so zu erzählen, dass die notwendigen Details mitzuteilen sind, die dem Zuhörer das Verständnis eröffnen (Detailierungszwang). Zudem muss eine Geschichte schlüssig und sinnhaft konstruiert werden (Kondensierungszwang).

2.3.3 Ende des Haupterzählung Der Befragte beendet seine Haupterzählung im meisten Fällen mit eine Koda( Erzählkoda), dass ist eine Schlusssatz, in dem er das Ende seine Geschichte feststellt- „ Ja das war es eigentlich“. Manchmal kann es auch vor kommen, dass so ein Schlusssatz mehrmals benutzt wird und das befragte Person doch noch weiter erzählt, deshalb sollte der Forscher vorsichtig sein und kein Fehler machen mit dem Nachfrageteil früh zu beginnen.14

2.4. Nachfragephase Nach Abschluss der Haupterzählung darf der Forscher thematisch aktiv werden und Nachfragen stellen.15 Als erstes werden die aus der Haupterzählung notierten Stichpunkte in Reihenfolge nach und nach eingegangen. Erst nachdem die notierten Stichpunkte abgearbeitet wurden, beginnt der Forschermit dem externen Nachfragen über das interessierende Themenbereich, die bis

12 Ebd. Glinka;S.12 13 Vgl. Ebd. Glinka 14 Vgl. Rosenthal (2005) 15 Ebd. Glinka;S.15

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Dächer nicht erwähnt oder nicht auswendig detailiert wurde. Danach werden Fragen mit narrativer Generierungskraft gestellt: „ Vielleicht können Sie über Ihre Schulzeit noch mehr erzählen“. 16 Also Fragen die geeignet sind kleinere Geschichten oder Erzählungen in Gang zu setzen. Meinungs- oder Begründungsfragen wie „ Wieso?“, „ Warum?“ und „Weshalb?“ sollen vermeidet werden, weil sie mehr zu Argumentation führen.17 Manchmal besteht die Möglichkeit, dass die Interviewten Erinnerungsschwierigkeiten bei manchen Teilen ihre Geschichten haben. Im solchen Fälle wird mit der Technik des „Szenen Erinnerns“ gearbeitet. Mit dieser Technik hilft der Forscher sein Interviewpartner in vergangene Szenen zurückzukehren und sie auszumahlen. Es werden Fragen wie- „ Was sehen Sie?, „Was hören sie?, „ Mit wem stehen Sie zusammen?“ usw. gestellt. Mit Hilfe dieser Technik gelingt der Befragte seine Erinnerungslücken zu bewältigen. 18

2.5. Bilanzierungsphase Zum Schluss dieser Nachfrageteil wird alles bilanziert, d.h. die Befragte zieht eine Schlussfolgerung über die erzählte Geschichte und wird kurz drauf angegangen wie den gesamten Interviewablauf von den Interviewten empfunden wird. „Wenn sie alles noch Mal zusammenfasen, wie sehen sie ihre Leben bis heute?19“

3. Auswertung der narrative Interviews Bei der Auswertung des narrativen Interviews werden die Tonbandaufzeichnungen transkribiert. Dieser Prozess kann sehr zeitauswendig werden. Ein Transkriptionsprozess verläuft folgendermaßen, es werden die Teile des Textes ausgesucht, die der Forscher für seine konkrete Fragestellung brauscht. Er soll auf der Textgestaltung achten (zum Beispiel Dialekt und Pausen). Danach werden die eigenen Namen der Befragten anonymisiert und durch Großbuchstaben ersetzt: „I“ für Interviewer und „B“ für den Befragten. Weitere Eigennamen werden durch doppelte Klammern ersetzt: „C“ (( Name des Freundes)).Alle Pausen werden mir Sekunden eingegeben: vier Sekunden= (4).Alle Kommentare oder Betonungen werden in doppelte Klammern gesetzt: (( schnell gesprochen, lachend, leise,…). Sprachliches Feedback des Befragten wird im fortlaufenden Text in einfache Klammern gesetzt -(hm).Alle Zeilen werden nummeriert.

4. Literaturverzeichnis Glinka Hans-Jürgen,(1998):Das narrative Interview: Eine Einführung für Sozialpädagogen .

Hrsg.: Juventa Rosenthal, Gabriele (1999): Der Holocaust im Leben von drei Generationen. 3., korrigierte

Aufl. Gießen: Psychosozial-Verl.

16 Rosenthal (1999) 17 Rosenthal (1999) 18 Rosenthal (1999)

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Rosenthal, Gabriele (2005): Interpretative Sozialforschung. Eine Einführung. Weinheim [u.a.] ///, Weinheim: Juventa; Juventa-Verl. (Grundlagentexte Soziologie).

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Einführung in die Methode des verstehenden Interviews nach Jean-Claude Kaufmann

Katharina Störrle und Kristina Greißl

Die Methode des verstehenden Interviews nach Jean-Claude Kaufmann am Beispiel

seiner Untersuchung „Der Morgen danach. Wie eine Liebesgeschichte beginnt.“

1. Einleitung

2. Grundpfeiler der Methode

3. Vorüberlegungen und Vorbereitungen

3.1 Themeneinstieg

3.2 Explorative Phase

3.3 Forschungsinstrumente

4. Prämissen der Interviewführung

5. Die Konstruktion von Wirklichkeit

6. Theoriebildung

7. Die Arbeit beenden

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1. Einleitung Der französische Soziologe Jean-Claude Kaufmann ist tätig an der Pariser Sorbonne und beschäftigt sich seit Jahren mit Themen rund um die Paarbeziehung und das Alltagsleben. Kaufmann ist überzeugter Anhänger der „Grounded Theory“, welche versucht, Theorien Schritt für Schritt, ausgehend von konkreten empirischen Daten und Details zu formulieren mit dem anspruchsvollen Ziel, das Material von sich aus sprechen zu lassen. Im Laufe der Zeit verfeinerte Kaufmann diese Art der Datenerhebung, bei der die Theorie quasi aus den Daten auftaucht und damit in den Tatsachen selbst wurzelt20, und entwickelte die Methode des verstehenden Interviews, die er 1996 in einem gleichnamigen Sachbuch beschrieben hat. Im Folgenden wird das Vorgehen der Methode geschildert, ihre Kernpunkte zusammengefasst und alles so weit als möglich am Beispiel von Kaufmanns, im Jahre 2002 erschienener, Studie „Der Morgen danach. Wie eine Liebesgeschichte beginnt.“ veranschaulicht.

2. Grundpfeiler der Methode Das Adjektiv „verstehend“ weist bereits auf die Intention des verstehenden Interviews hin. Es geht um das Verstehen im Weberschen Sinne, welches „soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will.“21. Hauptziel der Forschung ist die Theorieproduktion „als (das) Herausarbeiten einer möglichst feinen Wechselwirkung zwischen Daten und Hypothesen“22, um so soziale Prozesse möglichst facettenreich zu erfassen. Der agierende Wissenschaftler sollte sich im Idealfall als „intellektueller Handwerker“ oder „Geistesarbeiter“23 sehen, der seine Theorie und Methode möglichst unvoreingenommen rein auf Basis des jeweiligen Untersuchungsfeldes konstruiert bzw. handhabt. Dass das verstehende Interview dennoch keine willkürlich einsetzbare Methode ist, sondern sich an klaren Regeln orientiert, zeigen die anschließenden Ausführungen.

3. Vorüberlegungen und Vorbereitungen Als aller Erstes muss der Forscher geduldig und gewissenhaft eine Reihe von Vorarbeiten leisten und sich dabei immer im Klaren sein, dass jede einzelne Stufe hin zur Theorie von großer Wichtigkeit ist, scheint sie noch so banal zu sein.

3.1. Themeneinstieg Das ideale Thema sollte klar und motivierend sein, wobei prinzipiell jedes noch so nebensächlich erscheinende Thema geeignet sein kann, solange der Forscher Lust hat, sich damit zu beschäftigen und er spürt, dass es dort irgendetwas gibt, das man entdecken kann: 20 Kaufmann, Jean-Claude (2004): Der Morgen danach. Wie eine Liebesgeschichte beginnt. Konstanz: UVK-Verl.-Ges. (Edition discours,36), vgl. S. 182f 21 Weber, Max (1922): Wirtschaft und Gesellschaft 22 Kaufmann,Jean-Claude (1999a): Das verstehende Interview. [Theorie und Praxis].Konstanz: UVK Univ.-Verlag Konstanz (Edition discours), S.12 23 ebd.: S. 13 und S.19

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„Für mich ist das Banale wesentlich, es gibt keinen Gemeinplatz, der es nicht verdiente, sich über ihn Gedanken zu machen. Das Besondere an der Banalität besteht darin, dass alle sie kennen und gleichzeitig ignorieren, nur das darüber wissen wollen, was sie schon wissen, also ziemlich wenig.“ 24 Für Kaufmann war die Funktionsweise von Liebe ein solches Phänomen, das seiner Meinung nach einer genaueren Beleuchtung bedurfte. Dabei war es zunächst nötig, das Thema einzugrenzen. Den „Morgen danach“ sah Kaufmann als besonders geeignet an, da hier die verschiedenen konstitutiven Elemente der Liebe ins Spiel kommen. Trotz der Reichhaltigkeit hatte dieser Gegenstand den Vorteil, dass er sich zeitlich und örtlich leicht abgrenzen ließ. Außerdem bietet der „Morgen danach“ einen präzisen Kontext, der es der Untersuchung erlaubte in die Tiefe zu dringen und gleichzeitig die Gefahr der Abschweifung und Verzettelung umging. Hinzu kommt nun das Finden der richtigen Ausgangsfragen. Hilfreich kann hier die Empirie sein, was jedoch stets viel Erfahrung erfordert. Deshalb ist es besser, eine Idee im Kopf zu haben, welche man dann als Leitlinie verwenden kann. Dabei benötigt das verstehende Interview nicht allzu viele Ausgangsfragen, vielmehr entwickeln sie sich im Forschungsprozess selbst.

3.2. Explorative Phase In der sich nun anschließenden explorativen Phase geht es erst einmal darum, sich Hintergrundwissen anzulesen. Dabei kann man beispielsweise nach neuem Wissen suchen, das so noch nicht behandelt wurde oder aus Analogien zu anderen Kontexten weitere Forschungsanreize finden. Anzumerken sei hier, dass es Kaufmann wichtig ist, nicht zu viel Zeit für die Lektüre zu verwenden, da sich eine klare Problemdefinition erst im Forschungsprozess ergibt und es nur darum gehen sollte, auf dem aktuellen Wissensstand bezüglich dieses Themas zu sein. Für die Untersuchung „Der Morgen danach“ suchte Kaufmann beispielsweise in Literatur und Film nach entsprechenden Schlüsselszenen. Er fand heraus, dass der „Morgen danach“ nur einen Nischenplatz in der Literatur einnimmt. Zudem verharrte die Kamera lange auf dem Moment des Erwachens, der kurzen Verwirrung und dem improvisierten Frühstück. Ausschlaggebend für diese Art der Darstellung ist die Tatsache, dass der „Morgen danach“ vor allem eine visuelle Sinneserfahrung ist. Im Anschluss an das Einlesen und Einarbeiten in das Thema, kommt es zur Ausarbeitung der Untersuchungsinstrumente und des Interviewleitfadens sowie einer vorläufigen Gliederung, die im Laufe der Untersuchung immer wieder modifiziert wird.

24 Korsmeier, Antje (2007): Der Alltagsversteher. Gefunden im world wide web: www.taz.de/1/leben/alltag/artikel1/der-alltagsversteher/?src=SE&cHash=dc6be..., aufgerufen am 05.01.2009

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3.3. Forschungsinstrumente Den ersten Schritt in dieser Phase bildet die Stichprobenziehung, die Kaufmann als weniger wichtiges technisches Instrument ansieht. Dabei ist nicht so sehr die Repräsentativität entscheidend als vielmehr die korrekte Konstruktion des Forschungsgegenstandes, die Geschichte des Individuums und eine gute Auswahl der Informanten. Unterschiede bezüglich des Alters, oder auch der Herkunftsfamilien sollten eine Garantie für die Vielfältigkeit der gesammelten Erfahrungen sein. Das Instrument des Interviewleitfadens ist als flexible Orientierungshilfe gedacht, wobei man sich im Vorfeld nur wenige, präzise Fragen überlegen sollte. Als besonders wichtig sieht Kaufmann die erste Frage an, da diese für das weitere Gespräch tonangebend sein kann. Diese kann durchaus zentral sein, da hier die anfängliche Offenheit ausgenutzt werden kann, ehe sich der Befragte auf bestimmte Antworten festlegt. Im Idealfall entsteht eine Gesprächsdynamik, welche den Leitfaden unnötig macht. Kaufmann wählte bei seinen Befragungen zum „Morgen danach“ einen sehr frei gestalteten Einstieg. Die Personen hatten die Möglichkeit, spontan von dem zu berichten, was ihnen als erstes in den Sinn kam. Es folgten dann sehr präzise Fragen, um der Erinnerung dabei zu helfen, Gestalt anzunehmen.

4. Prämissen der Interviewführung  Die Interviewführung selbst ist eine Kunst, die zum einen auf handwerklichem Können, zum anderen auf Spontaneität und Einfühlungsvermögen basiert. Erreicht werden soll ein intensiver Austausch zwischen Interviewer und Befragtem, so dass die wesentlichen Aussagen ans Tageslicht kommen. Im Idealfall ähnelt der Gesprächston einer Unterhaltung zwischen zwei Gleichberechtigten, ohne dass jedoch der Forscher seine neutrale Position verliert. Dabei muss dem Interviewer ein schwieriger Balanceakt gelingen, denn in der Wahrnehmung des Gegenübers muss er Unbekannter und Vertrauensperson zugleich sein. Durch die Garantie der sozialen Folgenlosigkeit der Angaben und die vertraute Nähe zu jemandem, dem man alles sagen zu können glaubt, wächst die Chance tief in die Welt der befragten Person, „mit ihrem Wertesystem, ihren Ordnungsschemata, ihren auffälligen Besonderheiten, ihren Stärken und Schwächen“25 vorzudringen. Sowieso darf sich der Fragende nie mit dem bloßen sammeln und zusammentragen von Daten zufrieden geben, sondern muss stets versuchen zum „kognitiven Inneren“26 seines Gesprächspartners durchzustoßen und dessen Motivationen und Einstellungen nachzuvollziehen - tief schürfen lautet die Prämisse des Forschers. Genau aus diesem Grund ist das Finden der richtigen Frage im passenden Moment von herausragender Bedeutung beim Gelingen eines guten Interviews. Die ideale Frage aber findet der Interviewer nicht im aufgestellten Leitfaden, sondern er muss sie aus dem eben Gehörten ableiten, eine Herausforderung, die nicht immer gelingt. Dann ist

25 Kaufmann,Jean-Claude (1999a): Das verstehende Interview. [Theorie und Praxis].Konstanz: UVK Univ.-Verlag Konstanz (Edition discours), S.75 26 ebd.:. S.76

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es ratsam sich der Technik des Nachhakens zu bedienen oder sogar eine Pause einzulegen, um Zeit zum Nachdenken zu bekommen. Kleinere Unterbrechungen während des Interviews befürwortet Kaufmann ohnehin, da sie eine Möglichkeit darstellen, um zu prüfen, ob im bisherigen Gespräch auch nichts Wichtiges vergessen wurde. Im Übrigen lehnt er – im Gegensatz zu herkömmlichen Vorstellungen – die völlige Neutralität des Fragenden ab. Zwar muss sich dieser jeglicher Moralvorstellungen und Vorurteilen entledigen, aber es ist nicht wünschenswert, dass sich der Interviewer lediglich auf das Fragen stellen beschränkt. Er soll ruhig auch einmal grinsen, lachen oder Komplimente machen, denn „nur in dem Maße, in der er sich selbst einbringt, wird sich auch der andere einbringen und sein tiefstes Wissen nach außen tragen“27.

5. Die Konstruktion von Wirklichkeit Wichtig zu wissen ist, dass der Soziologe im Gespräch mit dem Einzelnen nicht nur einen Einblick in dessen individuelles Universum erhält, sondern dass sich ihm darüber hinaus ein Blick auf das Gesellschaftliche auftut. Erklärbar ist dies mit der Konstruktion von Wirklichkeit. Nach Norbert Elias ist das Individuum eine Art Konzentrat der gesellschaftlichen Welt28, weil es über die Sozialisation wesentliche Gesellschaftselemente verinnerlicht, die dann später in einzelnen Aussagen immer wieder durchscheinen. Ihnen gilt es nachzuspüren und sie in Abschweifungen, Versprechern oder plötzlichem Abstreiten aufzudecken.

6. Theoriebildung Nachdem die Schritte der Vorbereitung und Interviewführung vom Forscher sorgfältig ausgeführt wurden, kommt die Phase der Theoriebildung. Diese besteht zunächst daraus, das gesammelte Material zu transkribieren und auszuwerten, wobei Karteikarten als besonders hilfreich gelten, da man hier direkte Beobachtungen und spontane Ideen augenblicklich festhalten kann. Der Forscher muss sich hierbei größte Mühe geben zwischen den Zeilen zu lesen, praktisch auf jedes einzelne Wort zu achten, da gerade vermeintliche Banalitäten und Wiederholungen äußerst aufschlussreich sein können. Zudem müssen die Hypothesen ständig überarbeitet werden, wobei der Forscher sich der permanenten Entdeckung verpflichten sollte. Es muss ebenfalls darauf geachtet werden, dass der Forscher zwar in die Personen hinein fühlt, dabei aber seine eigenen Emotionen in den Hintergrund stellt. Im nächsten Schritt kommt es dann zur eigentlichen Theoriebildung. In einem ständigen Hin und Her zwischen Fakten und Hypothesen und einer ständigen Konfrontation von lokalem Wissen (direkte Beobachtungen) und globalem Wissen (allgemeine Interpretationsmodelle) kommt es hierbei zu einer schrittweisen Ausarbeitung der Theorie. Diese entsteht aus dem aktiven Willen des Forschers sowie aus seiner Passivität und toleranten Offenheit. Demnach

27 ebd.: S.77f 28vgl. ebd.: S.87f

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besteht eine ideale Verknüpfung dann, wenn von einem beobachteten Tatbestand ausgegangen wird und dieser mit einer zentralen Hypothese in Verbindung gebracht werden kann. Was nun folgt, ist die Interpretation. Sie basiert zunächst auf der Subjektivität des Forschers, aber gleichzeitig hängt die Objektivität von dieser Subjektivität ab. Dies bedeutet, dass sich das persönliche Empfinden des Forschers aus einem konkreten Analyseraster ableitet, auf dessen Grundlage dann die objektive Konstruktion des soziologischen Gegenstandes erfolgt. Kaufmann betont immer wieder, wie wichtig es ist die Dinge zu überdenken und zu überprüfen, denn „bedauerlich ist nicht, irgendwann eine missbräuchliche Interpretation geliefert zu haben, sondern sich mit ihr zufrieden gegeben und ohne weitere Prüfung an ihr festgehalten zu haben.“29

7. Die Arbeit beenden Das Ende der Arbeit kündigt sich dadurch an, dass dem Forscher nichts Neues mehr auffällt, woraufhin das gesättigte Material überprüft werden muss und versucht wird, die Ereignisse auf die Allgemeinheit anzuwenden. Es sei jedoch angemerkt, dass es zu jedem Zeitpunkt dazu kommen kann, dass sich neue Aspekte eröffnen oder bisher Eindeutiges wieder verworfen wird. Nach und nach muss sich der Forscher nun von seinem Gegenstand lösen, so dass es zur Objektivierung kommen kann und der Gegenstand ganz für sich alleine steht und spricht. Die Niederschrift ist dann ein letzter Schritt beim Objektivierungsprozess. Dabei müssen die innere Struktur und der innere Aufbau die Qualität des Verknüpfungen und Argumentationslinien garantieren. Am Ende müssen die Konzepte geschlossen werden, wodurch der Forscher die von ihm aufgestellten Hypothesen als „seine Wahrheit“ festsetzt, die in dieser Form dann der Leserschaft präsentiert werden.

Literatur: 

Kaufmann, Jean-Claude (1999): Das verstehende Interview. [Theorie und Praxis].Konstanz: UVK Univ.-Verlag Konstanz (Edition discours)

Kaufmann, Jean-Claude (2004): Der Morgen danach. Wie eine Liebesgeschichte beginnt. Konstanz: UVK-Verl.-Ges. (Edition discours,36)

Korsmeier, Antje (2007): Der Alltagsversteher. Gefunden im world wide web: www.taz.de/1/leben/alltag/artikel1/der-alltagsversteher/?src=SE&cHash=dc6be..., aufgerufen am 05.01.2009

29 vgl. ebd.: S.136

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Das Experteninterview

Florian Bopp, Florian Steinbach

1. Das Experteninterview als eigenständige Methode Obwohl sich Experteninterviews hoher Beliebtheit erfreuen (vor allem aufgrund etlicher forschungspraktischer Gründe) werden sie in vielen Lehrbüchern der qualitativen Sozialforschung werden gar nicht oder nur kurz erwähnt, wodurch deutlich wird, dass das Experteninterview als eine abgrenzbare und eigenständige Methode innerhalb des qualitativen Paradigmas keineswegs allgemein anerkannt ist. Bogner/Menz nennen hierfür drei Gründe: zum einen die „Tatsache, dass Experteninterviews den üblichen „qualitativen“ Anforderungen nach Offenheit und Nicht-Beeinflussung des Interviewpartners häufig nicht entsprechen“ (Bogner/Menz 2005a, S.20). Des Weiteren ist festzuhalten, dass es das Experteninterview aufgrund der Vielfalt dessen, was gewöhnlich unter dem Begriff Experteninterview subsumiert wird, nicht gibt: „Das Spektrum reicht von quantitativ orientierten Verfahren über Konzeptualisierungen des Experten als eine Art von Informationslieferant bis hin zu dem theoretisch anspruchsvollen, dezidiert qualitativ orientierten Ansatz von Meuser und Nagel“ (Bogner/Menz 2005a, S.20). Als dritten Grund führen die Autoren schließlich die „vergleichsweise wenig ausgeprägte theoretischmethodologische Fundierung dieser Erhebungsform“ an, die besonders dadurch deutlich wird, dass es kaum Versuche gibt, das Experteninterview zu begründen (Bogner/Menz 2005a, S.20). Um zu klären, wann überhaupt von Experteninterviews gesprochen werden kann, sind folgende Fragen zu betrachten: Was ist ein Experte bzw. was zeichnet ihn aus? Was ist Expertenwissen? Wie lässt sich das Experteninterview als eigenständige Interviewform begründen, welche sich von anderen Formen des qualitativen Interviews abgrenzt? Zunächst werden aber drei Formen des Experteninterviews vorgestellt.

1.1 Formen des Experteninterviews In der Methodendebatte um das Experteninterview lassen sich drei Formen unterscheiden: das explorative, das systematisierende und das theoriegenerierende Experteninterview (vgl. Bogner/Menz 2005b, S.37ff). Werden Experteninterviews zur Exploration durchgeführt, so dienen sie dazu, sich in einem neuen Forschungsfeld einen ersten Überblick zu verschaffen. Dies gilt sowohl für quantitativ als auch für qualitativ orientierte Forschungsvorhaben, wobei explorative Interviews helfen sollen, das Untersuchungsgebiet zu strukturieren und Hypothesen zu generieren. Da der Schwerpunkt eines explorativen Experteninterviews im Bereich der thematischen Sondierung liegt, sollte das Gespräch vorab in einem Leitfaden strukturiert werden, um zu gewährleisten, dass die interessierenden Themen auch angesprochen werden. Im Unterschied zu den beiden anderen Formen wird beim explorativen Interview nicht auf Vergleichbarkeit, Vollständigkeit und Standardisierbarkeit der Daten abgestellt.

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Das Ziel des systematisierenden Experteninterviews ist die systematische und lückenlose Informationsgewinnung, wobei von besonderem Interesse „das aus der Praxis gewonnene, reflexiv verfügbare und spontan kommunizierbare Handlungs- und Erfahrungswissen“ der Experten ist (Bogner/Menz 2005b, S.37). Üblicherweise erfolgt die Erhebung mithilfe eines ausdifferenzierten Leitfadens und die thematische Vergleichbarkeit der Daten steht im Vordergrund. Festzuhalten ist an dieser Stelle auch, dass es sich bei systematisierenden Experteninterviews nicht notwendigerweise um offene, qualitative Interviews handeln muss. Als theoriegenerierend schließlich bezeichnen Bogner/Menz diejenige Form des Experteninterviews, das von Meuser/Nagel begründet und entwickelt worden ist (Bogner/Menz 2005b, S.38). Der Experte dient nun nicht mehr nur dazu, sachdienliche Informationen zu gewinnen, sondern „das theoriegenerierende Interview zielt im Wesentlichen auf die kommunikative Erschließung und analytische Rekonstruktion der „subjektiven Dimension“ des Expertenwissens“ (Bogner/Menz 2005b, S.38). Die in einem theoriegenerierenden Experteninterview erhobenen subjektiven Handlungsorientierungen und Entscheidungsmaximen bilden den Ausgangspunkt der Theoriebildung, wobei „eine theoretisch gehaltvolle Konzeptualisierung von (impliziten) Wissensbeständen, Weltbildern und Routinen angestrebt wird“ (Bogner/Menz 2005b, S.38).

1.2 Der Begriff des Experten Bogner/Menz identifizieren drei Zugänge zur Bestimmung des Experten, welche sie als voluntaristischen, als konstruktivistischen und als wissenssoziologischen Expertenbegriff bezeichnen (vgl. Bogner/Menz 2005b, S.40ff). Der voluntaristische Expertenbegriff zielt darauf ab, dass jeder Mensch mit besonderen Informationen und Fähigkeiten, die er zur Bewältigung seines Alltags benötigt, ausgestattet ist, so dass prinzipiell eigentlich alle Menschen Experten wären, nämlich Experten ihres eigenen Lebens. An dieser Perspektive wurde allerdings kritisiert, dass ein solches Alltagswissen auch durch narrative oder problemzentrierte Interviews abgefragt werden kann. Der konstruktivistische Expertenbegriff hebt hingegen auf die Mechanismen der Zuschreibung der Expertenrolle ab, wobei ein methodisch-relationaler und ein sozial-repräsentationaler Ansatz unterschieden werden. Dem methodisch-relationalen Ansatz zufolge ist jeder Experte das Konstrukt eines Forschungsinteresses, d.h. „der Expertenstatus wird in gewisser Weise vom Forscher verliehen“ (Meuser/Nagel 2005, S.73). Als Experte wird Meuser/Nagel zufolge angesprochen „wer in irgendeiner Weise Verantwortung trägt für den Entwurf, die Implementierung oder die Kontrolle einer Problemlösung oder wer über einen privilegierten Zugang zu Informationen über Personengruppen oder Entscheidungsprozesse verfügt“ (Meuser/Nagel 2005, S.73). Für die Forschungspraxis ergibt sich aus diesem Ansatz, dass Experten auch auf niederen Hierarchieebenen zu finden sind und nicht immer die leitenden Personen einer Organisation auch die gesuchten Experten sein müssen. In eine ähnliche Richtung wie Meuser/Nagel zielt auch Michaela Pfadenhauer, indem sie in einer Zuspitzung der Definition von Meuser/Nagel diejenigen Personen als Experten bezeichnet, „die über privilegierte Informationszugänge verfügen und – darüber

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hinaus – für den Entwurf, die Implementierung und/oder die Kontrolle von Problemlösungen verantwortlich (zu machen) sind“ (Pfadenhauer 2005, S.117). Dem sozial-repräsentationalen Ansatz zufolge ist diejenige Person ein Experte, die gesellschaftlich zum Experten gemacht wird, also in der sozialen Realität als Experte angesehen wird. Allerdings ist anzumerken, dass die Unterscheidung in einen methodisch-relationalen und einen sozial-repräsentationalen Ansatz vor allem von analytischem Wert ist, denn wer Experte ist, „definiert sich in der Forschungspraxis immer über das spezifische Forschungsinteresse und die soziale Repräsentativität des Experten zugleich“ (Bogner/Menz 2005b, S.41). Als besonders einflussreich in der Debatte um das Experteninterview gilt die wissenssoziologische Definition des Experten. Zum einen wurde die Debatte schon früh von Vertretern der Wissenssoziologie initiiert und geprägt und zum anderen ist dies der „paradigmatischen Orientierung derjenigen geschuldet, die das theoriegenerierende Experteninterview als eine besondere Form des qualitativen Interviews begründet haben“ (Bogner/Menz 2005b, S.41). Aber auch hier liegt kein einheitlicher Expertenbegriff vor, wobei allerdings Einigkeit darüber besteht, dass sich ein Experte durch die spezifische Struktur seines Wissens auszeichnet.

1.3 Das Expertenwissen Bezüglich des Expertenwissens unterscheiden Bogner/Menz drei Dimensionen (technisches Wissen, Prozesswissen und Deutungswissen), während Meuser/Nagel eine Abgrenzung treffen zwischen Betriebs- und Kontextwissen. Das technische Wissen, das sich z.B. durch fachspezifische Anwendungsroutinen auszeichnet, ist der Wissensbereich, wo ein spezifischer Wissensvorsprung des Experten vorliegt und besitzt den Charakter von Fachwissen in einem engeren Sinne. Das Prozesswissen hingegen ist das praktische Erfahrungswissen aus dem Handlungsfeld des Experten, dass dieser z.B. durch Informationen über Handlungsabläufe erwirbt, an denen er direkt beteiligt ist oder über die er genauere Kenntnisse besitzt (Bogner/Menz 2005b, S.43). Deutungswissen, welches im theoriegenerierenden Experteninterview erhoben werden soll, beinhaltet die subjektiven Relevanzen, Sichtweisen, Interpretationen und Regeln des Experten. Expertenwissen als Deutungswissen wird dabei durch die Datenerhebung und Auswertungsprinzipien gewissermaßen hergestellt, so dass in einem solchen Sinn „das Expertenwissen immer eine Abstraktions- und Systematisierungsleistung des Forschers, eine „analytische Konstruktion“ ist“ (Bogner/Menz 2005b, S.44). Die Unterscheidung in Betriebs- und Kontextwissen, die Meuser/Nagel treffen, ist forschungslogisch motiviert, da Meuser/Nagel je nachdem, ob das Forschungsinteresse dem Betriebs- oder dem Kontextwissen gilt, einen unterschiedlichen Aufwand bezüglich der Auswertung betreiben (Meuser/Nagel 2005, S.74). Falls die Experten die Zielgruppe der Untersuchung bilden und die Interviews darauf angelegt sind, dass die befragten Experten Auskünfte über ihr eigenes Handlungsfeld geben, bezeichnen Meuser/Nagel dieses Erfahrungswissen der Experten als Betriebswissen. Falls die Experten aber eine zur

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Zielgruppe komplementäre Handlungseinheit repräsentieren und die Gespräche somit die Aufgabe haben, dem Forscher Informationen über die Handlungsbedingungen der Zielgruppe zu liefern, so bezeichnen Meuser/Nagel dieses Erfahrungswissen der Experten als Kontextwissen. Geht es um die Erhebung von Kontextwissen, so bilden Experteninterviews nur eine Datenquelle neben anderen, z.B. neben Interviews mit der Zielgruppe (Meuser/Nagel 2005, S.75)

1.4 Wie lässt sich das Experteninterview als eigenständige Methode begründen? Wie bereits erwähnt ist das Experteninterview auch heute innerhalb des qualitativen Paradigmas als eine abgrenzbare und eigenständige Erhebungsmethode keineswegs allgemein anerkannt und daher werden nun kurz drei Argumentationen skizziert, warum es sich beim Experteninterview durchaus um eine eigenständige Methode handelt. Meuser/Nagel grenzen Experteninterviews dadurch von anderen qualitativen Interviewformen ab, dass in Experteninterviews nicht die Gesamtperson den Gegenstand der Analyse bildet, sondern ein spezifischer organisatorischer oder institutioneller Zusammenhang, „der mit dem Lebenszusammenhang der darin agierenden Personen gerade nicht identisch ist und in dem sie nur einen „Faktor“ darstellen“ (Meuser/Nagel 2005, S.73). Für Pfadenhauer bietet sich, anknüpfend an ihre Definition des Experten (s. o.), das Experteninterview vor allem dann als Instrument zur Datenerhebung an, „wenn die exklusiven Wissensbestände von Experten im Kontext ihrer (letzt-)verantwortlichen Zuständigkeit für den Entwurf, die Implementierung und die Kontrolle von Problemlösungen Gegenstand des Forschungsinteresses sind“ (Pfadenhauer 2005, S.117). Pfadenhauer plädiert dabei dafür „nur jene Gesprächsform als Experteninterview zu bezeichnen, die sich auf die Kurzformel ´auf gleicher Augenhöhe reden´ bringen lässt“ (Pfadenhauer 2005, S.117). Dies bedeutet, dass die Besonderheiten der Interaktionsverhältnisse im Experteninterview, welche es vom Interviewer verlangen selbst zu einem Quasi-Experten zu werden, um ein erfolgreiches Interview zu führen, das zentrale konstitutive Merkmal von Experteninterviews darstellen. Für Bogner/Menz ist der Experte aufgrund der Tatsache forschungsrelevant, dass er über die Möglichkeit verfüge, seine besonderen Deutungen in der Praxis durchzusetzen, wodurch die Handlungsbedingungen anderer Akteure mitstrukturiert werden und das Expertenwissen insofern die Dimension sozialer Relevanz aufweist. Mit einer ausführlichen Definition30

machen Bogner/Menz deutlich, „dass das theoriegenerierende Experteninterview auf die Rekonstruktion und Analyse einer spezifischen Wissenskonfiguration zielt“ und für die Autoren daher auch methodisch nicht auf ein qualitatives Interview mit einer besonderen sozialen Gruppe zu reduzieren ist (Bogner/Menz 2005b, S.46)

30 Siehe Anhang

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2. Interviewsetting31 Wie bereits angeführt, lässt sich das Experteninterview vor allem aufgrund der besonderen Art der Gesprächsführung von anderen Interviewformen abgrenzen. Dabei soll die auch für viele Experten ungewohnte Kommunikationssituation eines Interviews so normalisiert werden, dass der Gesprächspartner in eine ihm möglichst vertraute Gesprächssituation versetzt wird, so dass ein „quasi-normales“ Gespräch mit dem Experten geführt wird (Pfadenhauer 2007, S.453). Allgemein kann man festhalten, dass sich die Kommunikation unter Experten der gleichen Fachrichtung durch Merkmale wie thematische Fokussierung oder den Gebrauch von Fachbegriffen auszeichnet, so dass das Anliegen für Experteninterviews für Pfadenhauer darin besteht – sofern das Erkenntnisinteresse den unter Experten als relevant geltenden Sachverhalten gilt – ein Interviewsetting zu erzeugen, dass der unter Experten üblichen Gesprächssituation möglichst nahe kommt (Pfadenhauer 2007, S.454). Um dies zu gewährleisten, muss der Interviewer ebenfalls den Status eines Experten erlangen, indem er vor dem Interview ein hohes Maß an thematischer Kompetenz erwirbt und sich möglichst viel von dem Sonderwissen aneignet, das der Experte in einem langjährigen Prozess erworben hat. Bogner und Menz analysieren die besondere Interaktionsstruktur im Experteninterview unter dem Aspekt der dem Interviewer zugeschriebenen Kompetenzen, wobei sie sechs Typen von Zuschreibungen identifizieren32: der Interviewer kann als Co-Experte, als Experte einer anderen Wissenskultur, als Laie, als Autorität, als Kritiker oder als Komplize wahrgenommen werden. Im Gegensatz zu Pfadenhauer kommen Bogner/Menz zu dem Schluss, dass es „nicht immer die Selbstdarstellung als „Co-Experte“ sein wird, die gewöhnlich als die einzig ertragreiche gilt“, sondern vielmehr können Kompetenzzuschreibungen gezielt provoziert und damit für das eigene Untersuchungsinteresse strategisch genutzt werden (Bogner/Menz 2005b, S.61). Bogner und Menz empfehlen sogar, dem Experten gewisse Anhaltspunkte zu bieten (z.B. durch das Offenlegen der eigenen Position), damit der befragte Experte sich eine Meinung über den Interviewer bilden kann. Das bei qualitativen Interviews vertretene Ideal des neutralen Interviewers wird damit natürlich in Frage gestellt, wobei gerade in Experteninterviews den befragten Personen in der Regel bewusst ist, dass sich der Interviewer mit dem Thema der Untersuchung intensiv auseinandergesetzt hat und sich auch eine eigene Meinung zum Thema gebildet hat, so dass Neutralität im Experteninterview für Bogner/Menz letztlich unglaubwürdig bleibt (Bogner/Menz 2005b, S.64).

31 Auf die im Referat angesprochenen möglicherweise auftretenden Interaktionseffekte wird an dieser Stelle nicht eingegangen, sondern auf das Handout zum Referat bzw. Vogel 1994, S. 79 – 82 verwiesen. 32 Ausführlich siehe Handout bzw. Folien zum Referat und Bogner/Menz 2005b, S. 50 – 60

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3. Das Experteninterview als leitfadengestütztes Interview33 Trotz allen Streits um das Experteninterview besteht in der Literatur doch ein Konsens darin, dass unter einem Experteninterview ein Leitfadeninterview zu verstehen sei, wobei insbesondere für rekonstruierende Untersuchungen Leitfadeninterviews als das am besten geeignete Instrument gelten, da über den Leitfaden sichergestellt werden soll, dass alle für die Rekonstruktion des Expertenwissens bzw. die Rekonstruktion eines sozialen Prozesses benötigten Informationen erhoben werden (Gläser/Laudel 2006, S.112). Die leitfadenorientierte Gesprächsführung wird dabei sowohl dem thematisch begrenzten Interesse des Forschers am Experten als auch dem Expertenstatus des Befragten gerecht, denn während der zur Konstruktion des Leitfadens notwendigen Vorarbeit erwirbt der Interviewer eine thematische Kompetenz, die es idealerweise ausschließt, dass er sich während des Gesprächs als ein inkompetenter Gesprächspartner darstellt. Außerdem schließt eine Orientierung am Leitfaden auch aus, dass sich das Interview in Themen verliert, die nichts mit der Sache zu tun haben. Insofern gewährleistet gerade der Leitfaden die Offenheit des Gesprächs, da sich der Forscher durch die Arbeit am Leitfaden mit den anzusprechenden Themen vertraut macht, was wiederum die Voraussetzung für eine lockere und unbürokratische Interviewführung darstellt (Meuser/Nagel 2005, S.78). Allerdings sollte der Leitfaden keineswegs als zwingendes Ablaufmodell des Gesprächs, sondern flexibel gehandhabt werden.

4. Auswertung34 Da beim Experteninterview nicht der Einzelfall, sondern das gemeinsam geteilte Wissen der Experten (also die fachübergreifenden Relevanzstrukturen der Experten) das Ziel der Analyse sei, haben Meuser/Nagel anhand ihrer Forschungsarbeiten eine Auswertungsstrategie entwickelt, deren Besonderheiten kurz dargestellt werden. Das Ziel bei der Auswertung von Experteninterviews ist es – im Gegensatz zur Einzelfallanalyse – „im Vergleich mit anderen ExpertInnentexten das Überindividuell-Gemeinsame herauszuarbeiten, Aussagen Repräsentatives, über gemeinsam geteilte Wissensbestände, Relevanzstrukturen, Wirklichkeitskonstruktionen, Interpretationen und Deutungsmuster zu treffen“ (Meuser/Nagel 2005, S.80). Mithilfe eines thematischen Vergleichs der Interviewtexte sollen Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Aussagen der Experten festgestellt werden, welche dann durch typische Äußerungen dokumentiert werden. Die Auswertung von Experteninterviews orientiert sich also an thematischen Einheiten, d.h. an inhaltlich zusammengehörigen, über die unterschiedlichen Texte verstreuten Passagen. Die Aussagen der Experten erhalten dabei ihre Bedeutung aus dem Kontext ihrer institutionell-organisatorischen Handlungsbedingungen und nicht von daher an welcher Stelle des

33 Eine ausführliche Darstellung zum Einsatz des Leitfadens in Experteninterviews und der damit verbundenen Anforderungen (Konstruktion, Formulierung von Fragen, etc.) geben Gläser und Laudel (Gläser/Laudel 2006, S. 107ff) 34 Eine ausführliche Darstellung der von Meuser und Nagel entwickelten sechs Auswertungsschritte (Transkription, Paraphrase, Überschriften, Thematischer Vergleich, Soziologische Konzeptualisierung, theoretische Generalisierung) siehe Meuser/Nagel 2005, S. 83 – 91

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Interviews sie fallen, d.h. die Sequenzialität der Äußerungen im Interview spielt keine Rolle. Die Vergleichbarkeit der Texte wird durch den gemeinsam geteilten institutionell-organisatorischen Kontext der befragten Experten sowie durch die leitfadenorientierte Gesprächsführung gesichert (Meuser/Nagel 2005, S.81).

Anhang

Definition des Begriffes des Experten von Bogner/Menz: „Der Experte verfügt über technisches, Prozess- und Deutungswissen, das sich auf sein spezifisches professionelles oder berufliches Handlungsfeld bezieht. Insofern besteht das Expertenwissen nicht allein aus systematisiertem, reflexiv zugänglichen Fach- oder Sonderwissen, sondern es weist zu großen Teilen den Charakter von Praxis- oder Handlungswissen auf, in das verschiedene und durchaus disparate Handlungsmaximen und individuelle Entscheidungsregeln, kollektive Orientierungen und soziale Deutungsmuster einfließen. Das Wissen des Experten, seine Handlungsorientierungen, Relevanzen usw. weisen zudem – und das ist entscheidend – die Chance auf, in der Praxis in einem bestimmten organisationalen Funktionskontext hegemonial zu werden, d.h. der Experte besitzt die Möglichkeit zur (zumindest partiellen) Durchsetzung seiner Orientierungen. Indem das Wissen des Experten praxiswirksam wird, strukturiert es die Handlungsbedingungen anderer Akteure in seinem Aktionsfeld in relevanter Weise mit.“ (Bogner/Menz 2005b, S.46)

Literatur: Bogner, Alexander/Menz, Wolfgang (2005a): Expertenwissen und die Forschungspraxis: die

modernisierungstheoretische und die methodische Debatte um die Experten. Zur Einführung in ein unübersichtliches Problemfeld, in: Bogner, Alexander/Littig, Beate/Menz, Wolfgang (Hrsg.): Das Experteninterview, Theorie, Methode, Anwendung, 2. Auflage, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

Bogner, Alexander/Menz, Wolfgang (2005b): Das theoriegenerierende Experteninterview. Erkenntnisinteresse, Wissensformen, Interaktion, in: Bogner, Alexander/Littig, Beate/ Menz, Wolfgang (Hrsg.): Das Experteninterview, Theorie, Methode, Anwendung, 2. Auflage, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

Gläser, Jochen/Laudel, Grit (2006): Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse. Als Instrumente rekonstruierender Untersuchungen, 2. durchgesehene Auflage, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

Meuser, Michael/Nagel, Ulrike (2005a): ExpertInneninterviews – vielfach erprobt, wenig bedacht. Ein Beitrag zur qualitativen Methodendiskussion, in: Bogner, Alexander/Littig, Beate/ Menz, Wolfgang (Hrsg.): Das Experteninterview, Theorie, Methode, Anwendung, 2. Auflage, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

Pfadenhauer, Michaela (2005): Auf gleicher Augenhöhe reden. Das Experteninterview – ein Gespräch zwischen Experte und Quasi-Experte, in: Bogner, Alexander/Littig, Beate/ Menz, Wolfgang (Hrsg.): Das Experteninterview, Theorie, Methode, Anwendung, 2. Auflage, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

Pfadenhauer, Michaela (2007): Das Experteninterview. Ein Gespräch auf gleicher Augenhöhe, in: Buber, Renate/Holzmüller, Hartmut (Hrsg.): Qualitative Marktforschung. Konzepte, Methoden, Analysen, Gabler, Wiesbaden

Trinczek, Rainer (2005): Wie befrage ich Manager? Methodische und methodologisch Aspekte des Experteninterviews als qualitativer Methode empirischer Sozialforschung, in: Bogner, Alexander/Littig, Beate/ Menz, Wolfgang (Hrsg.): Das Experteninterview, Theorie, Methode, Anwendung, 2. Auflage, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

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Vogel, Berthold (1994): „Wenn der Eisberg zu schmelzen beginnt…“. Einige Reflexionen über den Stellenwert und die Probleme des Experteninterviews in der Praxis der empirischen Sozialforschung, in: Brinkmann, Christian/Deeke, Axel/Völkel, Brigitte ((Hrsg.): Experteninterviews in der Arbeitsmarktforschung. Diskussionsbeiträge zu methodischen Fragen und praktischen Erfahrungen (Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (Bd. 191), Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg.

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Die Arbeit mit dem Gruppendiskussionsverfahren

Anika Hopf, Hanna Maria Steber, Christine Steigberger, Johannes Huyer

Inhaltsverzeichnis1. Planung einer Gruppendiskussion

1.1. Allgemeine Planung der Gruppendiskussion 1.2. Rekrutierung 1.3. Voraussetzungen an den Moderator sowie weiteres Personal

2. Durchführung 2.1. Allgemeines zum Verlauf 2.2. Die sechs Phasen der Durchführung 3. Die Auswertung der Gruppendiskussion 3.1. Die Transkription 3.2. Ebene der formulierenden Interpretation 3.3. Ebene der reflektierenden Interpretation 3.4. Ebene der Rekonstruktion der Diskursorganisation 4. Resümee 5. Literaturverzeichnis 6. Anhang

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1  Planung einer Gruppendiskussion Die Gruppendiskussion ist eine Erhebungsmethode der empirischen Sozialforschung, bei der zum Einen die thematischen Aussagen einer Gruppe erfasst werden können, zum Anderen aber auch die Kommunikation innerhalb der Gruppe analysiert werden kann. Ziel dieses Verfahrens ist es, Individual-, Gruppen- oder darüber hinaus auch öffentliche Meinungen zu erfahren. Des Weiteren stehen Meinungsbildungsprozesse sowie Gruppendynamiken im Fokus.35 Damit einhergehend sind auch soziales Handeln, soziale Milieus, deutungs- und handlungsgenerierende Strukturen ein wichtiger zu beachtender Aspekt der Gruppendiskussion.36 Die nun beschriebene Anwendung des Gruppendiskussionsverfahrens stellt einen idealtypischen Verlauf dar, der so in der Realität nur selten verwirklicht werden kann.

1.1. Allgemeine Planung der Gruppendiskussion Zu Beginn der Planung stellt sich die Frage, ob die Gruppendiskussion überhaupt das geeignete Verfahren zur Beantwortung der Forschungsfrage ist und ob diese Methode vielleicht mit anderen Verfahren kombiniert werden sollte. Dazu muss man sich über die Vorteile (wie beispielsweise die Vielfalt an Informationen, das Hervorrufen latenter Meinungen oder die alltagsnahe Gesprächssituation) und Nachteile (wie die Probleme durch das Abschweifen vom Thema oder der Umgang mit Vielrednern und Schweigern) im Klaren sein.37 Ein weiterer Schritt ist die Abklärung personeller und finanzieller Ressourcen: Wie viele Menschen sollen an der Diskussion mitarbeiten? Wie hoch ist das finanzielle Budget, das für Räumlichkeiten, technische Ausstattung und Aufwandsentschädigung ausreichen muss?38 Als nächsten Punkt sollte man sich auf ein Design für die Gruppendiskussion festlegen. Dabei ist es wichtig zu klären, welche Diskussionsteilnehmer für die Gruppendiskussion geeignet sind, das heißt es muss geklärt werden, welche Voraussetzungen und welches Wissen sie haben sollten, um zum Gelingen der Diskussion beitragen zu können. Nach der genauen Formulierung des Diskussionsthemas, der Themenbereiche und eventuell eines Leitfadens, der als Orientierung für den Moderator dient, wird in den letzten Schritten der allgemeinen Planung der theoretische Aufbau der Gruppendiskussion fertig gestellt. So ist zu klären, wie viele Personen teilnehmen sollen, um eine gute und aussagekräftige Diskussion sicherzustellen. Diese Größe schwankt in der Praxis meist zwischen drei und zwanzig Teilnehmern, sowohl kleine als auch große Gruppen haben ihre Vor- und Nachteile. Hierbei spielt auch die jedem Teilnehmer zugebilligte Redezeit eine wichtige Rolle. Darüber hinaus soll hier nun auch die Entscheidung reifen, wie viele Gruppendiskussionen durchgeführt werden, um das oben festgelegte Ziel zu erreichen. Schließlich werden noch die

35Vgl. Lamnek (2005): S. 69-77 36Vgl. Mruck/Mey (2005): S.8 37 Vgl. Lamnek (2005): S. 84/85 38Vgl. Loos (2008/2007): S.128

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letzten Rahmenbedingungen definiert, darunter Ort, Zeit und Raum. Immer mit dem Hintergedanken, eine möglichst angenehme Diskussionsatmosphäre zu schaffen.39

Beispiel zur Veranschaulichung des Forschungsprozesses: Das vorrangige Ziel dieser exemplarischen Gruppendiskussion ist die Erfassung der Gruppenmeinung und des Meinungsbildungsprozesses zum Thema Praktika und Berufseinstieg. Die genaue Forschungsfrage lautet: „Erleichtern Praktika den Berufseinstieg? Gibt es Unterschiede in der Wahrnehmung von Personen aus verschiedenen Studiengängen?“ An dieser Erhebung sollen sechs ehemalige Hochschulabsolventen teilnehmen, die bereits in die Berufswelt eingestiegen sind. Die Diskussion findet am Samstag, den 28.02.2009, um 14:00 Uhr im Hotel Linde im Konferenzraum 1 statt. Im Leitfaden werden nur die wichtigsten Themenblöcke und Themenbereiche, die in der Diskussion vorkommen sollen, festgehalten. Dabei gibt es keine vorgegebene Reihenfolge, damit die Diskussion möglichst natürlich und selbstständig verlaufen kann. Ein Beispielthemenblock: Praktikum (positiv/negativ, Anzahl, verschiedene Bereiche, ...).

1.2 Rekrutierung Nach der Phase der allgemeinen Planung beginnt nun die Rekrutierung. Hierbei geht es darum, sich auf eine bestimmte Gruppenzusammensetzung festzulegen. Eine wichtige Rolle spielt die Differenzierung von heterogenen und homogenen Gruppen: Unterscheiden oder gleichen sich Gruppenmitglieder im Bezug auf ein oder mehrere relevante soziale Merkmale? Unter Gruppendiskussionsforschern gibt es Anhänger beider Varianten. Die einen schwören auf die Vielfalt und Lebhaftigkeit der Diskussionen heterogener Gruppen. Die anderen sehen in einem ähnlichen Weltbild sowie stereotypen existentiellen Hintergründen und Erfahrungen eine wichtige Voraussetzung für eine gute Diskussion. Wichtig ist in beiden Fällen, dass die Teilnehmer einen gewissen Bezug zum Diskussionsthema haben, also in irgendeiner Art und Weise „betroffen“ sind.40 Neben heterogenen und homogenen Gruppen gibt es auch noch die Unterscheidung zwischen Realgruppen, die in der sozialen Wirklichkeit bereits als Gruppe existieren, und den Ad- hoc Gruppen, die aufgrund gemeinsamer Merkmale für die Untersuchung zusammengestellt werden. Nach der Festlegung der Auswahlkriterien werden konkrete Personen ermittelt und per Einladung benachrichtigt.41

Da die Unterschiedlichkeit der Wahrnehmung der Personen aus verschiedenen Studiengängen im Forschungsinteresse liegt, wurde entschieden, ehemalige Studenten der Geistes- und Wirtschaftswissenschaften an der Diskussion teilnehmen zu lassen. Dabei stellt sich die Frage, ob sie getrennt in jeweils homogenen Gruppen oder zusammen in einer heterogenen Gruppe diskutieren sollen. Da das Forschungsinteresse in den eventuell unterschiedlichen Gruppenmeinungen und den Meinungsbildungsprozessen liegt, wurde eine heterogen zusammengesetzte Teilnehmerrunde ausgewählt.

39Vgl. Loos (2008/2007): S. 93, 109-111, 113, 128 40Ebd: S. 104- 107, 128 41Ebd: S. 107- 109, 128

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Außerdem wird es sich um eine Ad-hoc-Gruppe handeln, da Teilnehmer aus unterschiedlichen Unternehmen und Universitäten eingeladen sind, die sich zum ersten Mal in der Diskussionsrunde treffen werden.

1.3 Voraussetzungen an den Moderator sowie anderes Personal Ein nächster entscheidender Schritt ist die Auswahl des Moderators oder der Moderatoren. Hierfür sollte zunächst klar festgelegt werden, wie stark sich der Moderator in die Diskussion einmischen darf und ob er sie strukturieren soll. Die Rolle des Moderators ist mit einer Vielzahl von Herausforderungen verbunden. Er muss Gruppenprobleme vorhersehen und verstehen können. Darüber hinaus sollten kommunikative Fähigkeiten vorhanden sein, dass heißt er sollte klar und präzise formulieren und paraphrasieren können. Er sollte ergänzend offen für alle möglichen Äußerungen, Einstellungen und Verhaltensweisen sein, sowie Humor und Freundlichkeit besitzen. Des Weiteren ist geduldiges Zuhören, gerade bei eventuell unsinnigen Kommentaren, zwingend von Nöten. Ebenso sollte der Moderator einen kompetenten, aber nicht arroganten Eindruck vermitteln, um Chaos in der Diskussion zu verhindern, diese aber gleichzeitig nicht zu sehr zu regulieren. Seine wichtigste Aufgabe besteht darin eine sanktionsfreie und offene Atmosphäre zu schaffen, in der sich jeder ungezwungen äußern kann und will. Dabei ist auch eine Sachkenntnis von Nöten, die im Idealfall zwischen der eines Laien und der eines Experten liegen sollte.42 Auch gilt es nun, einen passenden Assistenten43 zu finden, der - eventuell zusammen mit technischem Personal - den Moderator unterstützt. Im letzten Schritt der Planung einer Gruppendiskussion werden Analysepläne aufgestellt sowie Auswertungsgegenstände und Analysemethoden festgelegt.

Der Moderator soll sich nur bei dringendem Bedarf in die Diskussion einmischen. Er hat sich umfassend über das Thema informiert, ist aber kein Experte. Weiteres Personal ist ein Assistent, der den Moderator unterstützt, jedoch haben wir, aufgrund der finanziellen Möglichkeiten, kein technisches Personal.

2. Durchführung 

2.1. Allgemeines zum Verlauf Die Dauer einer Diskussion bewegt sich zwischen einer und zwei Stunden. Wichtig bei der Durchführung ist die Herstellung einer gewissen Selbstläufigkeit, dass heißt aufgrund einer „natürlichen“ Gesprächsrunde bestimmen die Diskussionsteilnehmer den Diskurs selbst. Fragen vom Moderator sollten immer nur an die Gruppe gerichtet werden, nicht an einzelne Teilnehmer. Auch sollen Fragestellungen nicht zu präzise formuliert werden, um mit der Unschärfe den Teilnehmern die Möglichkeit zu bieten, sich den Teil der Frage, an den sie anknüpfen möchten, selbst auszuwählen.44

Die ehemaligen Geistes- und Wirtschaftswissenschaftler sollen jeweils abwechselnd sitzen, der Moderator und der Assistent an den jeweiligen Enden

42 Vgl. Loos (2008/2007): S. 141- 145 43 Ebd: S. 157 - 159 44 Ebd: S. 130 - 134

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des offenen Sitzkreises. Alle Teilnehmer sowie der Moderator und der Assistent müssen von den Kameras erfasst werden (siehe Grafik auf dem Deckblatt).

2.2 Die sechs Phasen der Durchführung Für den Verlauf der Diskussion werden sechs Phasen unterschieden.45 Zu Beginn einer Diskussion herrscht meist eine Phase der Fremdheit vor. Die Teilnehmer kennen sich untereinander nicht, auch der Moderator sowie die Örtlichkeiten samt technischem Equipment sind ihnen fremd. Man spricht deshalb von einer doppelten Fremdheit. Zur Überwindung dieser Unsicherheiten eröffnet der Moderator die Vorstellungsrunde.46 Dabei sollte er seine Rolle klar aufzeigen. Als Diskussionsleiter nimmt er selbst nicht an der Diskussion teil. Des Weiteren sollte er nun auf die Freiwilligkeit der Teilnahme und die Anonymisierung der Daten hinweisen. Das Einverständnis der Teilnehmer ist Voraussetzung für die Aufzeichnung der Diskussion die für die Auswertung elementar ist. Bevor es mit der eigentlichen Diskussion losgeht, sollten noch Kommunikationsregeln festgelegt werden. Die Gruppendiskussion selbst wird durch einen Grundreiz in Schwung gebracht.47 Dieser kann beispielsweise aus einem provokanten oder umstrittenen Statement, einem Zeitungsausschnitt oder Ähnlichem bestehen.

Die Kommunikationsregeln für die Diskussion: Die Teilnehmer siezen sich und bei Redewunsch ist keine Meldung von Nöten, aber es soll darauf geachtet werden, dass jeder ausreden kann. Als Grundreiz wird auf der Leinwand ein kurzer Film abgespielt, der zwei verschiedene Szenen zeigt: Einerseits einen Praktikanten, der ausgenutzt, schlecht behandelt und schlecht bezahlt wird. Zum anderen ein intensives und lehrreiches Praktikum bei einer Firma, bei der der Praktikant direkt nach dem Ende seiner Praktikumszeit eine Führungsstellung ausfüllen darf. Im Anschluss an den Film bittet der Moderator die Gruppe um Stellungnahme zum Thema.

Daran schließt sich nun die Orientierungsphase an. Die Gesprächsteilnehmer lernen sich mit

Hilfe sozialstruktureller Merkmale, Verhalten und Kleidung kennen und beginnen, sich

anhand erster Äußerungen einzuschätzen. Des Weiteren werden hier erste Positionen

deutlich. Die Diskussionsteilnehmer suchen und finden Gemeinsamkeiten. Innerhalb der

Diskussion sollte jeder zu Wort kommen können und seine Meinung äußern, Dominanz einer

einzelnen Person ist jedoch zu vermeiden. Die Gruppendiskussion sollte im Idealfall geordnet

verlaufen, ohne dabei an Dynamik zu verlieren. Es sollte konstruktiv diskutiert werden, um

am Ende ein eindeutig gewichtetes Meinungsbild oder gar einen Konsens zu erhalten.

Da es in der Gruppendiskussion zu unsachlichen Äußerungen gekommen ist, musste der Moderator eingreifen und die Teilnehmer an das Thema und die Regeln erinnern, sowie zum Thema zurückführen

Als drittes folgt die Phase der Anpassung, das heißt es entwickelt sich ein Bedürfnis nach

45 Vgl. Loos (2008/2007): S. 134 - 140 46 Ebd: S. 144 - 149 47 Ebd: S. 149 - 151

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Homogenität und Zusammengehörigkeit der Statements und Argumente. Es wird also

versucht, sich auf frühere Äußerungen zu beziehen und sich inhaltlich anzupassen. Eng damit

verknüpft ist die Phase der Vertrautheit. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte sich jeder an der

Diskussion beteiligt haben. Nach und nach entsteht eine einheitliche Gruppenmeinung, keiner

versucht mehr abzuweichen, um Sanktionen der Gruppe zu vermeiden. Diese fünfte Phase

wird auch als Konformität bezeichnet, die in der Realität jedoch nicht immer eintritt. Die Gruppe kommt zu dem Schluss, dass Praktika bei positivem Verlauf hilfreich sein können, aber nicht zwangsläufig den Berufseinstieg erleichtern.

Zum Schluss klingt die Diskussion ab und ihre Intensität lässt nach. Die Teilnehmer beginnen

sich zu langweilen und die Konzentration sowie das Zuhören fallen schwer. Dies wird auch

als das Abklingen der Diskussion bezeichnet. Spätestens hier sollte die Diskussion definitiv

abgebrochen werden.

3. Die Auswertung der Gruppendiskussion 

3.1. Die Transkription Nach der durchgeführten Gruppendiskussion steht noch ein großer Teil der Arbeit bevor, nämlich die Auswertung. Hierbei liegt in der Ausgangssituation meist Videomaterial vor. Um nun vom „Ereignis Gruppendiskussion“ zum auswertbaren Text zu gelangen, ist eine Reihe von Reduktionsschritten nötig. Der erste Schritt, die Transkription, wird auch als Nadelöhr des Forschungsprozesses bezeichnet. Dieser Verschriftlichungsprozess ist der entscheidende Eingriff, auf den sich später alle weiteren Arbeitsschritte beziehen. Hierfür wird meist nur noch das Tondokument verwendet. Nichts desto trotz herrscht immer noch ein Überfluss an Informationen. Eine Schwierigkeit beim Transkribieren einer Gruppendiskussion besteht in der Unterscheidung der Teilnehmerstimmen, die sich gerade bei wichtigen Passagen der Diskussion überlagern. Bei der Verschriftlichung selbst können nun verschiedene Variationen verwendet werden. Je nach Bedarf kann das Detaillierungsniveau angepasst werden.48

Mm: Also mir hat des Praktikum überhaupt nix genutzt, äh, wie soll ich sagen @außer Kaffee gekocht@, hab ich net viel gemacht.

?w: |ja, aber das war jaaa wohl net das Einzige.

Zur Vereinheitlichung gibt es hierfür so genannte Transkriptionsrichtlinien (siehe Anhang), um gleichzeitiges Sprechen und Anderes allgemein gültig anzeigen zu können. Während der Transkription findet auch die Anonymisierung der Personen und Ortsnamen oder Ähnlichem statt. Im Anschluss daran stehen drei Interpretationsebenen an.

48 Vgl. Loos (2008/2007): S. 55 - 56

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3.2 Ebene der formulierenden Interpretation Angesprochene Themen werden in Überschriften zusammengefasst und Stellen mit hoher interaktiver Dichte markiert. Diese thematische Feingliederung ist bereits eine Art Interpretation, da hier beispielsweise die milieugebundene Sprache des Erforschten in die milieugebundene Sprache des Forschers übersetzt wird. Auf dieser Ebene der thematischen Interpretation wird zuerst nur auf den immanenten Sinngehalt geachtet, also auf die Dinge, die direkt erfassbar sind, ohne Kenntnis über die Lebensumstände der Individuen zu haben.

3.3 Ebene der reflektierenden Interpretation Die zweite Ebene ist die der reflektierenden Interpretation. Hierbei geht es nun darum, wie etwas gesagt wurde. Es kommen externe Vergleichshorizonte ins Spiel und Aussagen über den dahinter stehenden Erfahrungsraum werden gemacht. Entscheidend ist nicht, wie einzelne Gruppen ein bestimmtes Thema inhaltlich bewerten, sondern wie sie es behandeln.49

3.4 Ebene der Rekonstruktion der Diskursorganisation Als dritte Ebene wird die Rekonstruktion der Diskursorganisation bezeichnet. Hier wird nun untersucht, inwieweit die Sprecher aufeinander Bezug nehmen. Es gibt verschiedene Rollen, die innerhalb einer Gruppendiskussionsrunde eingenommen werden können, zum Beispiel den Vortänzer oder den Resümierer. Dabei ist zu beachten, dass eine Gruppenmeinung auch keine Summe von Einzelmeinungen ist, sondern das Produkt kollektiver Interaktionen. Die einzelnen Sprecher haben also an ihrer Darstellung zwar in verschiedenem Umfang Anteil, jedoch sind alle aneinander orientiert. Darüber hinaus wird hier zwischen der Ebene der Kommunikation und der Ebene der Metakommunikation, also der Kommunikation über die gerade stattfindende Kommunikation, unterschieden.50 Letztere zeigt sich zum Beispiel durch Gestik oder Mimik.

Die Diskussionsteilnehmer spalten sich im Laufe der Diskussion deutlich erkennbar nach ihrem ehemaligen Studienfach, es erfolgte also eine Trennung von Geistes- und Wirtschaftswissenschaftler. Die beiden entstandenen Parteien stellen sich in der Diskussion als jeweils „verschworener Haufen“ dar.

4. Resümee Nach der Beendigung eines Sozialwissenschaftlichen Verfahrens ist zu überlegen, inwiefern die zu Beginn gesteckten Ziele erreicht werden konnten. Ebenso ist zu untersuchen, ob die Vorteile des jeweiligen Verfahrens die vorhandenen Nachteile überwiegen konnten oder ob ein anderes Verfahren ein besseres Ergebnis geliefert hätte.

49 Vgl. Loos (2008/2007): S. 63 50Ebd: S. 64 - 66

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Literaturverzeichnis

Lamnek, Siegfried (2005): Gruppendiskussion. Theorie und Praxis. 2., überarb. u. erw. Aufl. Weinheim, Basel/Stuttgart/Stuttgart: Beltz

Loos, Peter (2008/2007): Das Gruppendiskussionsverfahren. Theoretische Grundlagen und empirische Anwendung. 2. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften (Qualitative Sozialforschung, 5).

Mruck, Katja/Mey, Günter (2005): Qualitative Forschung. Eine Einführung in einen prosperierenden Wissenschaftszweig, S.8 [http://hsr-trans.zhsf.uni-koeln.de/hsrretro/docs/artikel/hsr/hsr2005_640.pdf zuletzt aufgerufen am 13.02.2009]

Anhang

Quelle: Loos (2008/2007): S. 57

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Entstehung der Methode der Gruppendiskussion (GD) in Deutschland

Arbeitsblätter von Sasa Bosancic

1. F. Pollock (1950): nicht-öffentliche Meinung - Frankfurter Schule / Kritische Theorie

- Ausgangspunkt: Kritik an standardisierten Meinungsumfragen

- Natürliche Gesprächssituation der GD lässt latente Meinungen aufkommen

2. Mangold (1960): informelle Gruppenmeinung - Frankfurter Schule, Sekundäranalyse zu Pollocks GD

- Kritik: individuelle Meinungen können in GD nicht erfasst werden, sondern nur

Gruppenmeinung

3. Nießen (70er): situationsabhängige Gruppenmeinung - in Anlehnung an den Symbolischen Interaktionismus widerspricht er

Pollock und Mangold insofern er annimmt, dass die Gruppenmeinung in jeder

Handlungssituation neu ausgehandelt wird

50er bis 70er: Emergenz-Paradigma • Ansicht, dass individuelle und kollektive Meinungen in Gruppendiskussionen

entstehen oder zum Vorschein kommen

ab den 80ern: Repräsentanz-Paradigma

• In GD kommen Einstellungen, Meinungen und Äußerungen zum Vorschein,

• die Teil eines kollektiven Wissensvorrats sind

Kollektive Orientierungsmuster (Bohnsack)

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Übersicht zur Gruppendiskussion

Gruppenprozesse Informationsermittlung Kollektive Deutungsmuster

Entstehungs- kontext

Sozialpsychologie, Mikrosoziologie Ab ~ 1930

Propaganda- und Medienforschung Ab ~ 1940

Interpretatives Paradigma und Wissenssoziologie Ab ~1980

Vertreter Lewin, Bales Merton, Kendall (focus groups)

Bohnsack, Loos, Schäffer

Ziele und Merkmale

dynamische Gruppenprozesse (Inhalt spielt keine Rolle) Bspw. Meinungsführer, Interaktionsprozessanalyse

- explorative Vorstudien für quali. und quanti. Verfahren, - Plausibilisierung von Ergebnissen - Produktevaluation

- milieuspezifisches Wissen - konjunktiver Erfahrungsraum = strukturidentische Erfahrungen

Repräsentanz-Paradigma

Gruppen homogen/heterogen (quasi-) experimentelle

Variation

Gruppen eher heterogen (Meinungsvielfalt)

Gruppen eher homogen kollektive Orientierungsmuster

Anwendungs- bereiche

Assesment-Center bei Bewerbungen

Marktforschung sozialwissenschaftliche Forschung

Quelle: Eigene Darstellung nach Sasa Bosancic

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Die Inhaltsanalyse

Festlegung des Materials

Analyse der Entstehungssituation

Formale Charakteristika des Materials

Richtung der Analyse

Theoretische Differenzierung der Fragestellung

Bestimmung der Analysetechnik(en) und Festlegung des konkreten Ablaufmodells

Definition der Analyseeinheiten

Analyseschritte mittels des Kategoriensystems

Zusammenfassung Explikation Strukturierung

Rücküberprüfung des Kategoriensystems an Theorie und Material

Interpretation der Ergebnisse in Richtung der Hauptfragestellung

Anwendung der inhaltsanalytischen Gütekriterien

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Die qualitative Inhaltsanalyse

Lydia Scharf, Dominik Wexenberger, Heike Frauenrath

Die qualitative Inhaltsanalyse  Im folgenden Text wollen wir die Technik und Vorgehensweise der qualitativen Inhaltsanalyse (IA) näher erläutern. Wir werden dies nicht theoretisch, sondern praktisch exemplarisch an einem von uns gewählten Beispiel vornehmen. Natürlich wird unsere IA nicht hundertprozentig genau und detailgetreu sein, da wir vor allem darauf bedacht sind ein praktisches Beispiel zu schaffen, anhand man sich „langhangeln“ kann, wenn man eine eigene IA machen muss. Wir werden bei unserem Beispiel die Strukturierung unseres Thesenblattes von 16.01.2009 beibehalten, in dessen wir die theoretische Seite ausleuchten.

Über den Über den Zaun gestiegen Von Oliver Hoischen Auf Lampedusa sind die Flücht- linge jetzt über den Zaun gestie- gen. Und was machen die Insu- laner? Die nehmen nicht Reißaus, wie man hätte vermuten können, sondern solidarisieren sich mit dem Zug der Elenden, klatschen lauf Beifall. Und Ministerpräsident Berlusconi? Der verfällt in Zynismus, anstatt sich ein Beispiel an seinen Landsleuten zu neh- men: Alles sei unter Kontrolle, die See sei ja stürmisch, da könnten die Flüchtlinge nicht weg. Vorsichtshal- ber haben die Behörden schon den In- sel- Flughafen geschlossen – nicht aus- zudenken, wenn die Afrikaner auch noch einen Flieger kaperten. So schnell könnten die Gänse vor dem Kapitol gar nicht schnattern. Aber im Ernst: Die unhaltbaren Zustände auf dem Lampedusa zeigen, dass die römische Politik mit der Lage überfordert ist. Innenminister Maroni von der Lega Nord will die Flüchtlinge zwar stante pede zurückschicken – doch gibt es nur mit Ägypten ein entsprechendes Abkommen. Langfristig bleibt nur eins: Brüssel, bitte übernehmen Sie!51 • Analyse der Entstehungssituation Der Verfasser des Zeitungsartikels ist Oliver Hoischen und Mitarbeiter der FAS. Er ist vor allem dafür zuständig die Geschehnisse in Osteuropa zu beobachten. 52 Die FAS möchte vor allem eine gebildete Leserschaft ansprechen. Die FAS beschreibt ihre Leser selbst mit folgendem Slogan: „Gebildet, erfolgreich, einkommensstark.“53 51 Hoischen Oliver, in FAS vom 25.01.2009, Nr. 4 52http://www.faz.net/s/RubD87FF48828064DAA974C2FF3CC5F6867/Doc~E2D108863ACEC4F31A56D5CF8088EFBD7~ATpl~Ecommon~Scontent.html letzter Aufruf am 28.01.2009

1. Bestimmung des Ausgangsmaterials:

• Festlegung des Materials

Wir wollen deutsche Medienberichterstattung (erschienen am 24. und 25. 01.2009) in Hinblick auf den aktuellen Protest und Aufstand der Flüchtlinge und Bevölkerung auf Lampedusa (Italien) untersuchen. Hierfür wählen wir folgende Medien: Wochenzeitung: Zeit, FAS, Bild am Sonntag Tageszeitung: Süddeutsche, FAZ, Bild Onlinemedien: heute.de, spiegel.de, stern.de Unser Auswahlkriterium für die zu untersuchenden Zeitungen sind: Auflagenstärke und Reichweite der Medien in Deutschland (wir haben die drei führenden Tageszeitungen, Wochenzeitungen und Onlinemedien ausgewählt). Es werden alle Materialien aus diesem Zeitraum auswerten, d.h wir führten Vollerhebung durch Für unser Beispiel haben wir einen Artikel aus der FAS vom 25.01.2009 gewählt (siehe links).

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• Formale Charakteristika des Materials Der Zeitungsartikel ist am 25.01.09 in der FAS auf der Seite Meinungen erschienen. Auf dieser Seite sind folgende Themen behandelt worden: Obama, Erbe Kaiser Willhelm der Zweite, Rehabilitation der Piusbrüderschaft und eine neue Gesetzgebung in Bezug auf Absprachen vor Gericht.

2. Fragestellung der Analyse 

• Richtung der Analyse Ziel der Analyse ist es etwas über den kognitiven Hintergrund des Kommunikators herauszufinden, d.h. wir wollen etwas über den Bedeutungshorizont, Erwartungen, Interessen und Einstellungen des Verfassers und vor allem der dahinter stehenden Zeitung heraus finden. Da wir den Artikel in Zusammenhang eines Kommunikationsmodells deuten wollen, ist es uns wichtig herauszufinden welche Wirkung der kognitive Hintergrund des Kommunikators (Zeitung) auf den Empfänger (Leser) hat. • Theoriengeleitete Differenzierung der Fragestellung Unser Beispielmaterial enthält einen Artikel über die Flüchtlinge auf Lampedusa. Es wäre nun notwendig sich über den Flüchtlingskonflikt auf Lampedusa zu informieren. Weiterhin würden wir empfehlen Studien über Meinungsbilder in Zeitungen über vergleichsweise Konflikte und/oder über dieselben Akteure (Bsp. Studien über das Meinungsbild der deutschen Medien von dem italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi) in die Fragestellung einzubeziehen. Diese Vorgehensweise würde aber unseren Rahmen eines exemplarischen Beispiels sprengen, weswegen wir an dieser Stelle darauf verzichten.

Fragestellung:

- Wie wird die Flüchtlingspolitik in genauen Bezug auf den Protest der Flüchtlinge am 24.01.09 von den Deutschen Medien beurteilt? (Hier in Bezug auf Bsp. FAS)

- Auf welche Art und Weise wird diese Meinung vermittelt

3. Festlegung eines konkreten Ablaufmodells Die Analyse wird in einzelne Interpretationsschritte zerlegt. Zunächst werden die Analyseeinheiten festgelegt, dann folgt die Zusammenfassung des Textes in einer Tabelle. In drei Reduktionsschritten (Paraphrase, Generalisierung und Reduktion) wird der Text in ein Kategoriensystem abstrahiert. Innerhalb dieser Tabelle werden die Textstellen expliziert, die durch die Zusammenfassung ihren Sinn verlieren würden und durch diese Methode nicht zu fassen sind, zu erkennen ist der Satz an der rötlich unterlegten Zelle, alles was in der Tabelle mit rot geschrieben ist (Generalisierung, Reduktion) ist an die die Explikation im folgenden Teil anzuschließen und nur mit ihr zu verstehen. Nachdem wir unser Kategoriensystem 53 „Wo Werbung wirkt. Die Leserschaft der FAZ und Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. 2007/2008“ http://www.faz.net/dynamic/download/aboutus/Wo_Werbung_wirkt_2007_2008.pdf letzter Aufruf am 28.01.2009

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erstellt haben, werden wir eine Strukturierung vornehmen (Kategorien definieren und Ankerbeispiele finden) und für sie jeweils ein Ankerbeispiel raus geschrieben. Zum Schluss wird das herausgefilterte Kategoriensystem am Zeitungsartikel überprüft und bei Bestehen auch an weiteren Zeitungsartikeln über die gleiche Thematik angewendet, um zu schauen inwieweit das Kategoriensystem Allgemeingültigkeit besitzt.

• Analyseeinheiten Unsere Kodiereinheit ist ein Satz des Zeitungsartikels. Unsere mögliche Kontexteinheit ist der gesamte Artikel, jedoch wird wohl kaum Ergebnis der IA sein, dass wir nur eine Kategorie für den gesamten Text ermitteln. Da es die Intention unsere IA ist, ein Beispiel zu schaffen, haben wir den mittleren Teil des Zeitungsartikels herausgenommen und zwar folgenden Anschnitt: „Vorsichtshalber…, da können die Flüchtlinge nicht weg“54 Dies bedeutet, dass wir als Auswertungseinheiten, zunächst den ersten Abschnitt und dann den zweiten Abschnitt auswerten werden.

4. Zusammenfassung  Auf der folgenden Seite (Seite 4) wird mittels Zusammenfassung ein Kategoriensystem gebildet. Zellen die bei der Generalisierung frei bleiben werden später bei der Explikation analysiert. Satz Nr

. Paraphrase Generalisierung Reduktion

Auf Lampedusa sind die Flüchtlinge jetzt über den Zaun gestiegen

1 Auf Lampedusa Flüchtlinge jetzt über Zaun gestiegen

Illegale Flüchtlingsbewegung auf Lampedusa

K1: Situationsbeschreibung Flüchtlinge: - illegale Handlungen K2: Situationsbeschreibung Lampeduser - aktive Solidarisierung - Demonstrationen K3: Situationsbeschreibung italienische Regierung - Überforderung - Zynismus - Untätigkeit - keine Flüchtlingshilfe K4: Situationsbeschreibung Allgemein

Und was machen die Insulaner?

2 Und Insulaner? Rhetorische Frage

Die nehmen nicht Reißaus, wie man hätte vermuten können, sondern solidarisieren sich mit dem Zug der Elenden, klatschen laut Beifall.

3 Lampeduser nehmen nicht Reißaus, sonder aktive Solidarisierung durch Demonstration mit Flüchtlingen

Lampeduser solidarisieren durch Demonstrationen aktiv mit Flüchtlingen

Und Ministerpräsident Berlusconi?

4 Und Ministerpräsident Berlusconi?

Rhetorische Frage

Der verfällt in Zynismus, anstatt sich ein Beispiel an seinen Landsleuten zu nehmen:

5 Der zerfällt in Zynismus, anstatt Beispiel an Landsleuten

Zynismus Berlusconi und keine Solidarisierung mit Flüchtlingen

Alles sei unter Kontrolle, die See sei ja stürmisch, da könnten die Flüchtlinge nicht weg

6 Alles sei unter Kontrolle, die See stürmisch, Flüchtlinge könnten nicht weg

Untätigkeit italienische Regierung unter Begründung alles unter Kontrolle zu haben

Aber im Ernst: Die unhaltbaren Zuständen auf Lampedusa zeigen, dass die römische Politik

7 Aber im Ernst: unhaltbare Zustände auf Lampedusa zeigen, römische Politik überfordert

Überforderung italienischer Regierung mit unhaltbaren

54 Hoischen Oliver, in FAS vom 25.01.2009

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mit der Lage überfordert ist.

Umständen - unhaltbare Umstände K5: Handlungsmöglichkeiten italienische. Regierung - Zurückschicken durch Abkommen mit anderen Ländern - Europäische Union

Innenminister Maroni von der Lega Nord will Flüchtlinge zwar stante pede zurückschicken – doch gibt es nur mit Ägypten ein entsprechendes Abkommen.

8 Innenminister Maroni will Flüchtlinge sofort zurückschicken, doch nur mit Ägypten Abkommen

Keine Möglichkeit Flüchtlinge zurück zu schicken, da keine Abkommen mit anderen Ländern außer Ägypten

Langfristig bleibt nur eins: Brüssel, bitte übernehmen Sie!

9 Langfristig nur eins: Brüssel übernehmen Sie!

Handlungsübernahme Europäische Union

5. Explikation Exemplarisch haben wir den Satz 3: „Die nehmen nicht Reißaus, wie man hätte es vermuten können, sondern solidarisieren sich mit dem Zug der Elenden, klatschen laut Beifall.“ gewählt. Dieser Satz wird bei einer Zusammenfassung zur Unkenntlichkeit abstrahiert, sodass wir den Satz so umformen müssen, dass er seinen Sinn beibehält und dieser sich dann weiter generalisieren und reduzieren lässt. Zu einem muss deutlich werden wer mit „Die“ gemeint ist: Aus dem Zusammenhang des Artikels lässt sich auf die Lampeduser schließen. Als nächstes „der Zug der Elenden“, hiermit sind die Flüchtlinge gemeint. Bei „klatschen laut Beifall“ schließen wir unter Einbezug von weiteren Informationsquellen (Heute- Nachrichten) auf eine aktive Solidarisierung und Protestbewegung der Bevölkerung auf Lampeduser. Aus diesen Veränderungen ergibt sich nun folgender Satz:

Lampeduser nehmen nicht Reißaus, wie man hätte vermuten können, sondern solidarisieren sich durch Demonstrationen aktiv mit den Flüchtlingen.

Weitere Schritte (Generalisierung, Reduktion) folgen nun in der Tabelle (siehe oben kursive unterlegte Schrift)

6. Strukturierung  K1: Situationsbeschreibung Flüchtlinge Definition: Unter „Situationsbeschreibung eines Flüchtlings“ fassen wir jegliche Handlung, Widrigkeit und Umstand, die dem Handeln und Verhalten der Flüchtlinge auf Lampeduser zugeschrieben wird. Ankerbeispiel: „[..] über den Zaun gestiegen“ K2: Situationsbeschreibung Bewohner Lampeduser Definition: Unter die „Situationsbeschreibung der Bewohner auf Lampeduser“ fassen wir jegliche Handlung, Widrigkeit und Umstand, die den Bewohnern zugeschrieben wird. Ankerbeispiel: „[…], sondern solidarisieren sich […]“ K3: Situationsbeschreibung italienische Regierung Definition: Unter „Situationsbeschreibung der italienischen Regierung“ gehört jeglicher Umstand und Verhaltensweise, die der Regierung aktiv oder passiv zugeschrieben wird. Ankerbeispiel: „[…] die römische Politik mit der Lage überfordert ist.“

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K4: Situationsbeschreibung Allgemein: Definition: Unter die Kategorie „Situationsbeschreibung Allgemein“ fällt jegliche Handlung, Widrigkeit und Umstand, die nicht im speziellen auf K1, K2 und K3 zutrifft. Sie fasst die Flüchtlingsproblematik im übergreifenden Kontext und betrifft mind. zwei Parteien. Ankerbeispiel: „Die unhaltbaren Umstände auf Lampedusa […]“ K5: Handlungsmöglichkeiten italienische Regierung Definition: Die Kategorie „Handlungsmöglichkeiten der italienischen Regierung“ bezeichnet die aktiven Tätigkeiten, die der Regierung zur Lösung der Flüchtlingsproblematik zugeschrieben werden, so auch zukünftige Handlungsmöglichkeiten und von dritten (auch außen stehenden Parteien) vorgeschlagene. Ankerbeispiel: „Langfristig bleibt nur eins: Brüssel, bitte übernehmen Sie!“

7. Ausblick Der Zeitungsartikel ist mit Ironie, Anspielungen und Metaphern durchzogen, wodurch diese herkömmliche IA nicht ausreicht, um den vollen Inhalt des Artikels zu erfassen. Wir würden für das weitere Vorgehen zusätzliche Verfahren empfehlen. Zum Beispiel eine Stilmittelanalyse (rhetorische Fragen „Und Ministerpräsident Berlusconi?“) und/ oder Metapheranalyse55 („Zu der Elenden“). Zusätzliche Notwendigkeit von anderen Verfahren ist nicht auszuschließen. Hat man nun alle Analyseschritte durchlaufen und sein Kategoriensystem aufgestellt, so muss dieses an dem Artikel nochmalig überprüfen und nachdem dies erfolgreich abgeschlossen wurde, kann das Kategoriensystem an weiteren Artikeln angewendet werden - dabei wird es stets überprüft, erweitert und ausgebaut. Wichtig zu beachten ist, dass das Kategoriensystem zu jeder Zeit am Material überprüft und diesem angepasst werden muss. In einer inhaltsanalytischen Arbeit sind diese Arbeitsschritte nachvollziehbar offen zu legen.

Verwendete Literatur: Hoischen Oliver, in FAS vom 25.01.2009 Nr. 4 Mayring, Phillip (2007): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 9. Aufl.

Weinheim, Basel „Wo Werbung wirkt. Die Leserschaft der FAZ und Frankfurter Allgemeinen

Sonntagszeitung. 2007/2008“ http://www.faz.net/dynamic/download/aboutus/Wo_Werbung_wirkt_2007_2008.pdf

Weiterführende Literatur: Flick, Uwe; von Kardorff, Ernst; Keupp, Heiner; von Rosenstiel, Lutz; Wolff, Stephan

(1991): Handbuch qualitativer Sozialforschung. Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen. Psychologie Verlags Union. München

Flick, Uwe (2002): Handbuch Qualitativer Sozialforschung. Eine Einführung. Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Hamburg

55 zur Metaphernanalyse - die sich ideal mit der Inhaltsanalyse kombinieren lässt: Schmieder, Christian: Die Spermien und das Meer: Metaphernanalyse als qualitative Methode., Jg. 2007. Online verfügbar unter http://www.metaphorik.de/aufsaetze/schmieder-spermienundmeer.pdf. [Abruf: 02.02.2009]

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Lammnek, Siegfried: Qualitative Sozialforschung, BeltzPVU, 2005

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Kodieren nach der GTM (grounded theory methodology)

Autoren: Daniel Hauber, Jochen Karnetzky, Jan Üblacker Kodieren ist eine zentrale Analysemethode der Grounded Theory Methodologie (GTM), nach Anselm L. Strauss und Barney Glaser. Die Methode meint das Zuweisen von Schlüsselwörtern, auch Codes oder Kategorien genannt, zu einzelnen Textstellen. Kodiert werden können fast alle Daten die in Textform vorliegen, beispielsweise narrative Interviews, Beobachtungsprotokolle oder Buchrezessionen. Bevor wir jedoch detailliert auf die Methode des Kodierens eingehen, muss der Begriff der GTM erläutert werden, da sie die Grundlage darstellt. Eine treffende Definition der GTM zu erstellen ist jedoch alles andere als leicht, da die Ansichten der Gründer Anselms L. Strauss und Barney Glaser mit der Zeit auseinander gingen, wobei natürlich jeder für sich in Anspruch nimmt die bessere Weiterentwicklung entworfen zu haben. GTM zu übersetzen stellt sich als schwierig heraus, in der Literatur findet sich aber häufiger die Übersetzungen als „begründete Theorie“, „in empirischen Daten gegründete Theorie“ oder „gegenstandsbezogene Theorie“ Bezeichnend für die GTM als qualitative Methode ist der zeitgleiche Ablauf von Datenerhebung, Datenanalyse und Theoriebildung, die drei Arbeitsschritte sind nicht wie im klassischen Ansatz zeitlich voneinander getrennt, sondern bilden ein Geflecht der gegenseitigen Beeinflussung und Abhängigkeit. Die Entwicklung einer Theorie bedarf der ständigen Auseinandersetzung mit den Daten und muss mehrmals neu überdacht und umgeschrieben werden. Gleiches gilt für die Datengewinnung. Hier kommt es darauf an, im Sinne des Theoretischen Samplings, die Datenerhebung nicht vorab nach einem bestimmten Prinzip festzulegen, sondern an den allgemeinen Stand der Theoriebildung anzugleichen. Ob zum Beispiel die nächste Datenerhebung nach maximaler oder minimaler Kontrastierung abläuft muss der Forscher selbst entschiden und anhand seiner bisherigen Daten begründen. Starre Vorgaben zur Datenerhebung im Sinne einer echten Zufallsstichprobe sind bei der GTM undenkbar. Abgeschlossen ist der Prozess des theoretischen Samplings wenn die theoretische Sättigung eintritt. Theoretische Sättigung bezeichnet den Punkt an dem durch weitere Datenerhebung keine weiteren Erkenntnisse mehr erbracht werde. Die Entscheidung die Datenerhebung abzubrechen ist selbstverständlich äußerst subjektiv und muss gut begründet werden Im Sinne der interpretativen Sozialforschung sehen Strauss und Glaser den Forscher als subjektiven Interpretierenden und nicht ls objektiven (bzw. intersubjektiv nachvollziehbaren) Beobachter. Sie betonen die Wechselwirkung zwischen Forscher und Daten und die subjektiven Einflüsse weshalb von Anhängern nomologisch‐deduktiver Forschungsansätze häufig das wissenschaftliche Kriterium der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit der Forschung in Fage gestellt wird.

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Während Datenerhebung‐ und analyse den Anschein erwecken keinen festen Regeln zu folgen, legen Strauss und Glaser großen Wert auf das Schreiben von Memos. Memos dienen als Erinnerungshilfe und sind jegliche Form von Gedanken, Hypothesen, Theorieansätzen, Diskussionen, weiterführenden Gedanken oder Kommentaren zum Text, die der Forscher notiert. Memos dienen zum Beispiel dazu die Nachvollziehbarkeit der Forschung zu gewährleisten, da der Denkprozess des Forschers rekonstruiert werden kann. Besondere Beachtung verdient das Schreiben von Theorie‐Memos. Jegliche Ideen bezüglich einer Theorie, die sich später eventuell noch als brauchbar herausstellen könnten werden notiert und im Verlauf der Forschung weiterentwickel, angeglichen, umgebaut, verworfen etc. Dieser Prozess ist handfester Bestandteil der Theoriebildung. Es ist wichtig, dass der Forscher schnell die Angst oder Abneigung verliert jeden seiner Gedanken, und seien es noch so kleine Details, zu notieren und später noch einmal zu begutachten. Da der Forscher beim Kodieren meist in Gruppen arbeitet dienen Memos gerade hier auch zur Gewährleistung der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit und zur Koordination innerhalb der Gruppe. Ergebnisse von Gruppensitzungen sollten auch in Memos festgehalten werden. Man kann sagen, dass Memos im Laufe der Forschung immer spezieller werden. Anfangs macht sich der Forscher grobe Gedanken über den Forschungsgegenstand, im späteren Verlauf kommen dann konkrete Gedanken zu Kategorien, später zum axialen oder selektiven Kodieren (dazu mehr im Hauptteil). Wie bereits oben angesprochen hat sich ein Bruch zwischen den Entwicklern der GTM Anselm L. Strauss und Barney Glaser ergeben. Während die Beiden 1967 noch gemeinsam das Werk „The Discovery of Grounded Theory“ veröffentlichten, entwickelten sie bald darauf eigene Varianten der GTM. Strauss argumentierte in erster Linie in der qualitativ‐interpretativen Tradition der Chicago School, während Glaser, Schüler der Columbia School, eher kritisch‐rationalistisch und quantifizierend argumentierte. Sichtbar werden die Unterschiede besonders im Umgang mit Kodes. Hier steht der Entwurf des Kodierparadigmas von Strauss gegen den Entwurf der Kodierfamilien von Glaser. Wichtig bei der Entscheidung für einen Entwurf ist die Frage nach dem Umgang mit Vorwissen. Glaser kritisiert, dass Strauss' Kodierparadigma dazu führt, dass der Forscher sich auf seine „Lieblingskategorie“ beschränkt und eventuell wichtige Nebenkategorien übersieht. Strauss' Entwurf stellt eine Handlungsanweisung dar und dreht sich um das „Phänomen“, dass in der Mitte steht, dann wird dieses Phänomen anhand von W‐Fragen zu Ursachen, Strategien, Konsequenzen, Bedingungen und Kontext untersucht. Dem steht Glasers Entwurf der Kodierfamilien gegenüber. Er nennt zahlreiche theoretische Konzepte derer sich der Forscher beim Kodieren bedienen soll: C‐Familien: Ursachen, Konsequenzen, Korrelationen, Bedingungen Prozess‐Familien: Ausmaß, Grad, Intensivität, Niveau, Grenzwert, kritischer Wert

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Typen‐Familien: Typen, Klassen, Genres, Klassifikationen Strategie‐Familien: Strategie, Taktik, Techniken, Mechanismen, Management Interaktions‐Familien: Beziehungen, Wechselwirkungen, Symmetrie, Rituale Identitäts‐Familien: Identität, Selbstkonzept, Identitätswandel, Fremdbilder Kultur‐Familien: Nomen, Werte, sozial geteilte Einstellungen Konsens‐Familien: Kontrakt, Übereinstimmung, Situationsdefinition, Konformität, Homogenität Mainlinie‐Familien: soziale Kontrolle, Übereinstimmung, Sozialisation, Organisation, Institution. Zu Recht haben diese vorgegebenen Kategorien den Anschein eines bereits konstruierten Gerüstes, was nach Glaser jedoch einen großen Vorteil seines Ansatzes darstellt.

Der Prozess des Kodierens Nachfolgend werden wir das eigentliche Vorgehen beim Kodieren näher beschreiben. Da wir der Meinung sind das es genug komplizierte Literatur zum Thema bereits gibt, haben wir uns dazu entschieden das ganze anhand von Beispielen zu erklären. Dabei gehen wir zwar in einer gewissen Reihenfolge vor, d. h. zuerst das offene Kodieren, dann das axiale Kodiere und zuletzt das selektive Kodieren, jedoch muss auch hier gesagt werden, dass man diese Vorgänge nicht klar voneinander trennen kann und auch nicht sollte! Im Anhang ist der gesamte Text zu finden, aus dem wir die nachfolgenden Beispiele entnommen haben.

Offenes Kodieren Beim offenen Kodieren wird der Text nach und nach „aufgebrochen“, sozusagen Wort für Wort und Zeile für Zeile analysiert. Das Ziel ist es hier Kategorien im Text zu finden, dabei sollte man nicht zögerlich vorgehen, da man Kategorien die sich im Nachhinein als weniger nützlich im Sinne der Forschung erweisen ganz einfach wieder entfernt bzw vernachlässigt werden können. Folgendes Beispiel soll das Vorgehen des Forschers exemplarisch beschreiben.

„Ich habe das Buch aus Spaß geschenkt bekommen, denn nie im Leben hätte ich Geld dafür ausgegeben.“

„Ich“ beschreibt den Selbstbezug, es handelt sich zweifelsfrei um eine Rezension und die Meinung des Autors ist dafür von Bedeutung. „aus Spaß“ ist ein erster wichtiger Anhaltspunkt. Es verweist darauf, dass man dem Autor so ein Buch scheinbar nicht „im Ernsten“ schenken kann. Es muss sich um einen Scherz seitens des Schenkenden handeln. Vielleicht versucht sich der Autor dadurch etwas von dem Buch zu distanzieren? Immerhin hat er es auch nur „geschenkt bekommen“, wie er betont. Ist die Art des Erwerbs dieses Buches für eine Rezension wirklich von Bedeutung? Und wenn ihm jemand so etwas aus Spaß schenkt, dann muss dieser jemand doch eigentlich auch vermuten, dass der Autor Spaß daran hätte, in welcher Weise auch immer. So lässt sich hier vermutlich die Kategorie „Spaß/Unterhaltung“ errichten. Weiterhin betont er, dass er „nie im Leben“ etwas dafür bezahlen würde, womit auch wieder Distanz zum Titel aufgebaut

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wird, sogar in besonders extremer Art und Weise. Wie man sieht wiederholen sich hier bereits die Verhaltensstrategien des Autors, womit man auch schon eine Kategorie eröffnen kann, nämlich die der „Distanzierung“, unter dieser könnte man diese beiden Phänomene „aus Spaß“ und „nie im Leben“ zusammenfassen. Wie man nun sieht kann ein Phänomen auch unter mehre Kategorien fallen, solche Phänomene bieten oft einen besonders guten Ansatz für das axiale Kodieren. Im weiteren Verlauf des Textes versucht der Forscher nun diese Kategorie mit Phänomenen aus dem Text zu sättigen und wenn nötig, auch in Subkategorien aufzugliedern. Beispielsweise, wenn sich der Autor der Rezension nicht nur von dem Buch an sich distanziert, sondern auch von dem Autor dieses Buches oder Ähnlichem. Nach diesem Vorgehensschema wird nun jeder Satz des Textes analysiert und der Forscher versucht Kategorien aus den gefunden Phänomenen zu generieren. Diese lassen sich durch die Anwendung des Kodierparadigmas bzw. der Kodierfamilien noch zunehmend strukturieren. Wie man bereits bei dem Beispiel gemerkt hat ist es kaum möglich die Kategorien bei näherer Betrachtung genau von einander zu distanzieren, dies ist auch gar nicht gewollt, denn genau dieser Zusammenhang bringt den Forscher zum axialen Kodieren.

Axiales Kodieren Beim axialen Kodieren wird vermehrt mit den im offenen Kodieren erzeugten Kategorien gearbeitet. Es wird nun versucht diese zueinander in Verbindung zu setzen und somit ein engmaschiges Netz zu erzeugen. Die Analyse dreht sich sozusagen um die Achse der jeweiligen Kategorie. Das Ziel des axialen Kodierens ist die Erzeugung einer Schlüsselkategorie. Um es etwas verbildlicht auszudrücken könnte man, das die Schlüsselkategorie diejenige Kategorie ist, die in dem engmaschigen Netz an Kategorien die meisten Verbindungsstellen aufweist. Auch diese Phase wollen wir wieder mit einem Beispiel aus dem Text untermauern.

„Zumindest, wenn man sich immer vor Augen führt, dass Bushido nicht der Ghetto‐Typ ist, für den er sich ausgibt. Damit sind die Geschichten schon super lustig.“

In diesem Teil des Textes entdeckt man sofort wieder die Kategorie „Spaß/Unterhaltung“ durch die Phrase „schon super lustig“. Im Laufe der fortschreitenden Analyse wurde im Text noch die Kategorie „Wahrheitsgehalt“ generiert. Phänomene wie „für den er sich ausgibt“ oder die Verwendung des Wortes „Geschichten“ im Kontext einer Biografie lassen darauf schließen. Dies sind die beiden Kategorien mit denen man jetzt anfängt axial zu kodieren. Man versucht sie also in Verbindung zueinander zu setzen. Die Textstelle bietet hierfür einen besonders guten Ansatzpunkt. „Damit“ verweist auf eine Bedingung, man könnte hier auch ein „dadurch“ oder ein „deswegen“ einsetzen und hätte dieselbe Bedeutung. In Einbezug des ganzen Satzes stellt sich somit eine Kausalbeziehung zwischen dem „Wahrheitsgehalt“ dessen für was Bushido sich ausgibt und dem „Unterhaltungswert“, den der Rezensionsautor dem Buch abgewinnen kann,

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her. Im weiteren Verlauf könnte man am Text untersuchen inwiefern es sich hierbei um einen positiven oder negativen Zusammenhang hadelt, also ob man sagen kann „je weniger Wahrheit, desto mehr Unterhaltung“ oder „je mehr Wahrheit, desto mehr Unterhaltung“. Ein weiteres Beispiel für axiales Kodieren liefert der folgende Satz aus dem Fazit des Autors:

„Mit einer gewissen Distanz lesen und bloß nicht alles glauben.“ Hier benutzt der Autor selbst das Wort „Distanz“, wieder ein Verweis auf die gleichnamige Kategorie. Gleichzeitig verweist der Autor im Imperativ mit „bloß nicht alles glauben“ auf den mangelnden Wahrheitsgehalt, ebenfalls eine bereits benannte Kategorie. Hier kann man jetzt axial Kodieren in dem man die Hypothese aufstellt, dass es dem Autor leichter fällt, sich von den Ereignissen im Buch, oder dem Buch als Gesamten zu distanzieren, wenn der Wahrheitsgehalt eher mangelhaft ist. Das würde also bedeuten: „Je weniger Wahrheit, desto mehr Distanz“. So werden alle beim offenen Kodieren gefunden Kategorien durchgearbeitet bis man eine gewisse Sättigung erreicht hat. Die Kategorie die sich anschließend als zentral herausstellt ist die Schlüsselkategorie, wie genau man erkennt welche Kategorie das ist kann unterschiedlich sein. Unter Anderem ist sie auszumachen über die Anzahl der Phänomene im Text, die dieser Kategorie zugeordnet werden können oder über die Art und Stärke der Zusammenhänge mit anderen Kategorien. Natürlich kann es ebenso sein, dass mehre Kategorien zusammengefasst die Schlüsselkategorie ergeben. Als Schlüsselkategorie im Beispieltext, der auch im Anhang zu finden ist, stellte sich die Kategorie „Spaß/Unterhaltungswert“ heraus. Sie tritt relativ oft im Text auf und lässt sich auch durchgehend mit anderen Kategorien in Verbindung bringen, was auch schon stark dem Vorgehen beim selektiven Kodieren entspricht.

Selektives Kodieren Beim selektiven Kodieren wird die gefundene Schlüsselkategorie systematisch mit allen anderen Kategorien in Verbindung gesetzt. Man stellt stärkere Bezüge her und entfernt sich so langsam weiter vom Text. Außerdem wird, im Bezug auf die gesamte Methode der grouded theory, auch das theoretical sampling und die Datenerhebung an die Schlüsselkategorie angepasst. Beim selektiven Kodieren kann man auch kaum noch mit textnahen Beispielen arbeiten, da es einzig und allein darum geht die eigens generierten Kategorien mit der Schlüsselkategorie sinnvoll in Verbindung zu setzn. Hierzu sollte man auch die Memos heranziehen die man bisher angefertigt hat, da sie oft Ideen enthalten die zur Theoriegenese beitragen können. Immer im Hinterkopf sollte man auch die Forschungsfrage bzw. das Forschungsinteresse haben, da dieses bei der Entscheidung, welche Kategorie als zentral zu bewerten ist, weiter helfen kann. Bei unserem Beispieltext ging es um die Frage „Welche Einstellung hat der Autor der Rezension zu dem gelesenen Buch?“ Wir kamen zudem Entschluss, dass das zentrale Motiv des Autors der Unterhaltungswert war, den das Buch ihm bot.

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Tipps Wir möchten hier noch die Möglichkeit nutzen Tipps zum Kodieren zu geben. Sie sind entweder

beim Lesen der Literatur zu finden, stützen sich aber größtenteils auch auf unsere eigene Erfahrung.

1. Das Arbeiten im Team ist fast unumgänglich, da die intersubjektive Nachvollziehbarkeit sonst

unter Umständen zu kurz kommt. Im Team ist es nicht nur unterhaltsamer, man kann auch voneinander lernen.

2. Habt keine Angst davor, eine neue Kategorie aufzumachen! Erweist sich die Kategorie als

unbrauchbar oder redundant kann sie immer noch gelöscht, verändert oder in eine bestehende Kategorie integriert werden.

3. Bei beiden Ansätzen kann es vorkommen, dass man sich zu weit von den Vorgaben entfernt. Man

sollte sich also immer wieder die Kodierfamilien beziehungsweise das Kodierparadigma ins Bewusstsein rufen.

4. Der Übergang vom offenen ins axiale Kodieren verläuft meist fließend. Man darf auf keinen Fall

auf eine zeitliche Trennung bestehen, fällt einem bereits zu Beginn eine axiale Verwebung auf, sollte man sich die Zeit nehmen und ein Memo verfassen.

5. Keine Angst vor natürlichen Kodes! Sie erleichtern die Nachvollziehbarkeit, später können

immer noch „elegantere“ Bezeichnungen gefunden werden. Unnötiges Verkomplizieren bringt nichts!

6. Es sollte möglichst eine übersichtliche Struktur beim Kodieren eingehalten werden. Überlegt

euch wo ihr neue Kodes notiert, benutzt vielleicht für jeden Kode eine neue Farbe oder ähnliches. Kodieren kann schnell ausarten und es ist von großem Vorteil wenn man die Gedankengänge auch Tage später noch nachvollziehen kann!

7. Prinzipiell kann man über alles ein Memo schreiben. Schreckt nicht davor zurück auch Gedanken

zu notieren, die über den Text hinausgehen oder auf den ersten Blick unwichtig erscheinen. Wenn man sich über etwas Gedanken macht, dann nicht ohne Grund.

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Anhang  

Rezension über „Bushido Biografie“  Ich habe das Buch aus Spaß geschenkt bekommen, denn nie im Leben hätte ich Geld dafür ausgegeben. Da ich aber eine gewisse Affinität zu Trash habe, habe ich mir die Biografie natürlich durchgelesen. Denn Bushido hat ‐ wie alle diese Gangster‐Rapper ‐ einen großen Unterhaltungswert. Ob nun durch die Musik oder wie in diesem Fall durch das Buch.

Schon zu Beginn des Buches wird eigentlich deutlich, was für eine Einstellung Bushido zu seinem Beruf und seiner Figur hat. Er sagt, dass es völlig egal ist, was er auf der Bühne treibt, seine Fans finden alles geil. Dessen ist er sich vollkommen bewusst und deswegen kann er in dem gesamten Buch auch eigentlich schreiben was er möchte. Die die ihn mögen, finden es immer gut. Welche seiner Geschichten tatsächlich stimmen, ob seine Sichtweisen der Dinge immer die einzige Wahrheit ist und was er alles unter den Tisch fallen lässt, kann ich nicht beurteilen. Ist im Prinzip auch egal. Zumindest wenn man sich immer vor Augen führt, dass Bushido nicht der Ghetto‐Typ ist, für den er sich ausgibt. Damit sind die Geschichten schon super lustig. Natürlich lässt sich darüber diskutieren, ob es nicht frauenfeindlich und homophob ist, was er so von sich gibt. Wahrscheinlich ist es das. Aber er ruft ja niemanden dazu auf, sich genauso zu verhalten wie er. Im Gegenteil: Er appelliert an seine Rezipienten, dass er diesbezüglich definitiv kein Ideal darstellt. Fazit: Nicht zu ernst nehmen, wie alles was Bushido macht. Mit einer gewissen Distanz lesen und bloß nicht alles glauben. Erst recht nicht, wenn er einmal mehr versucht, aus Berlin ein Ghetto zu machen und die Stadt mit irgendwelchen US‐Ghettos vergleicht. Dann ist es sehr leichte, stumpfe Unterhaltung für Leute, denen so etwas Spaß macht. Wie mir.

Schematische Abbildung des Kodierparadigmas nach Strauss  

Quelle: http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/images/qualitative‐122_1.jpg

Literatur Strauss, Anselm L. (1991): Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Datenanalyse und

Theoriebildung in der empirischen soziologischen Forschung. München: Fink Strübing, Jörg (2004): Grounded Theory. Zur sozialtheoretischen und epistemologischen

Fundierung des Verfahrens der empirsch begründeten Theoriebildung. Wiesbaden: VS. Verlag für Sozialwissenschaften

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Berg, Charles/Milmeister, Marianne (2008): Im Dialog mit den Daten das eigene Erzählen der Geschichte finden. Über die Kodierverfahren der Grounded‐Theory‐Methodologie. http://www.qualitative‐research.net/index.php/fqs/article/view/417/905 [14.01.2009].

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Der Abschluss über die Typenbildung

Alexander Rauschnick

Inhaltsverzeichnis:  1. Typus – Definition und Arten 2. Zum Prozess der Typenbildung 3. Schritt 1: Die Erarbeitung relevanter Vergleichsdimensionen 4. Schritt 2: Die Gruppierung der Fälle und die Analyse empirischer

Regelmäßigkeiten 5. Schritt 3: Die Analyse der inhaltlichen Sinnzusammenhänge und die Typenbildung 6. Schritt 4: Die Charakterisierung der gebildeten Typen Literaturverzeichnis und Internetquellen

1. Typus - Definition und Arten In der qualitativen Sozialforschung werden Typen meist gebildet, um komplexe Sinnzusammenhänge erfassen und erklären zu können. Hierbei zeichnet sich jeder Typus durch die ihm zu eigene Kombination von Merkmalen aus (vgl. Kluge 2000: S. 1). "Typus" ist hierbei definiert als die "Klassifikation eines Objektbereiches nach bestimmten Merkmalen", es handelt sich um eine "gedankliche Konstruktion, (ein) wichtiges Hilfsmittel in der empirischen Sozialforschung" (Reinhold 1997: S. 683). An Typen unterschieden werden Extremtypen (reale Extrema einer Stichprobe), Idealtypen (in der Urdefinition von Weber von Ablenkungen befreite Konstrukte, die soziologische Kausuistik erlauben, indem man den Abstand der Realtypen von den Extremtypen betrachtet (vgl. Weber/Ulfig 2005: S. 4f & 14f)), Prototypen (reale Fälle, die das Charakteristische eines Typus am besten repräsentieren) sowie Realtypen (in der Realität vorfindbare Typen).

2. Zum Prozess der Typenbildung Der Prozess der Typenbildung zerfällt generell in vier Teilschritte: 1. Die Erarbeitung relevanter Vergleichsdimensionen, 2. die Gruppierung der Fälle und die Analyse empirischer Regelmäßigkeiten, 3. die Analyse inhaltlicher Sinnzusammenhänge und die Typenbildung, sowie 4. die Charakterisierung der gebildeten Typen. Obwohl die einzelnen Schritte logisch aufeinander aufbauen, handelt es sich hierbei nicht um ein lineares Auswertungsschema. Es ist vielmehr durchaus möglich, dass sich beispielsweise bei der Analyse der inhaltlichen Sinnzusammenhänge (Schritt 3) weitere relevante Vergleichsdimensionen (Schritt 1) ergeben, wodurch sich auch die Gruppierung der Fälle (Schritt 2) verändert, und eine erneute inhaltliche Analyse (Schritt 3) vonnöten wird; es also nötig ist, die ersten drei Schritte mehrmals zu durchlaufen.

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3. Schritt 1: Die Erarbeitung relevanter Vergleichsdimensionen Um Typen über die Kombination von Merkmalen definieren zu können, müssen zunächst die relevanten Merkmale und damit Vergleichsdimensionen identifiziert werden; dies schließt ebenfalls die Bestimmung der Subkategorien bzw. Merkmalsausprägungen mit ein. Gerade in der qualitativen Forschung ist es üblich, diese Identifizierung im Laufe des Auswertungsprozesses am Material vorzunehmen. Dennoch ist es durchaus möglich, die (vorläufigen) Vergleichsdimensionen aufgrund der Forschungsfrage beziehungsweise des vorhandenen theoretischen Vorwissens festzulegen. Gleichwohl ist es ebenso möglich, die Vergleichsdimension anhand der Interviewthemen im Interviewleitfaden zu erarbeiten. Gleichsam ist es denkbar, das Datenmaterial mithilfe eines Kordierschemas zu kodieren und daraufhin dieses Kodierschema zu dimensionalisieren. Hierbei kann es sich sowohl um abstrakte Konzepte wie "Aspirationen im Leben" oder "Bilanzierungen im Leben" als auch um Alltagskonzepte wie "Lebenssituation beim Kennenlernen des Partners" handeln (vgl. Kluge/Kelle 1999: S. 84). Ein Beispiel für eine anhand eines Kodierschemas erarbeitete Kategorie wäre "Heiratsgründe"; eine Subkategorie wäre "Lebensoptimierer". Als weitere Option schlägt wiederum Kuckartz vor, das Material zu kodieren und Variablen zu definieren, anhand denen die Untersuchungspersonen verglichen und typische Merkmalskonstellationen gefunden werden können. Kuckartz nutzt hierbei computergestützte Gruppierungsverfahren wie die Clusteranalyse. Die Quantifizierung der verbalen Daten, also die Bildung von Variablen, die für dieses Verfahren nötig ist, reduziert jedoch das Datenmaterial, was nicht ausschließlich positiv zu bewerten ist, da dies auch einen Informationsverlust bedeutet. Auch besteht die Gefahr, dass Merkmale nur aufgrund fehlender Werte ausgeschlossen werden, obwohl sie eigentlich von großer Bedeutung für die Typenbildung wären bzw. sind (vgl. Kluge/Kelle 1999: S. 86).

4. Schritt 2: Die Gruppierung der Fälle und die Analyse empirischer Regelmäßigkeiten Sind die Vergleichsdimensionen und deren Ausprägungen festgelegt, können die empirisch erfassten Fälle gruppiert werden und die Gruppen bezüglich empirischer Regelmäßigkeiten untersucht werden (vgl. Kluge 2000: S. 4). Da sich ein Typus durch die spezifische Kombination von Merkmalen auszeichnet, lassen sich mithilfe von einer Mehrfeldtafel alle theoretisch möglichen Kombinationen, und damit der Merkmalsraum darstellen. Für diese Rekonstruktion des Merkmalsraums ist allerdings eine präzise Definition der Kategorien bzw. Merkmale und ihren Ausprägungen erforderlich. Die einem Typus zugeordneten Fälle müssen sich hierbei nicht exakt gleichen, vielmehr wird eine Gruppenbildung und Reduzierung auf die relevanten Typen sogar empfohlen (vgl. Kluge 2000: S. 2). Angestrebt werden soll jedoch Ähnlichkeit, also maximale Homogenität innerhalb eines Typus und maximale Heterogenität zwischen den Typen. Anhand der grafischen Darstellung durch eine Mehrfeldtafel bzw. Kreuztabelle lässt sich oft bereits erkennen, welche Merkmalskombinationen praktisch unmöglich sind und daher nicht erfasst werden müssen.

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Als Beispiel lässt sich die Untersuchung des Delinquenzverhaltens Jugendlicher anführen: Hierbei wurde sowohl die Stärke der Belastung mit Delinquenz sowie die zeitliche Entwicklung erfasst. Bei den als nicht delinquent eingestuften Jugendlichen macht die Unterscheidung zwischen durchgehender und episodenhafter Delinquenz logischerweise keinen Sinn, daher wurden die beiden Gruppen in diesem Fall zusammengefasst. Auf diese Weise lässt sich der Merkmalsraum also reduzieren. Ein weiterer Vorteil der Rekonstruktion des Merkmalsraums ist, dass sich mithilfe von Kreuztabellen die empirisch vorgefundenen Fälle einordnen lassen. Dies erlaubt nicht nur einen Vergleich zwischen den theoretisch möglichen und empirisch vorfindbaren Kombinationen sowie weitere vergleichende Analysen, sondern man erhält zudem einen Überblick über das Fallmaterial. Da sich die quantitative Merkmalsverteilung ebenso ablesen lässt, erhält man dadurch zudem Hinweise auf potentielle Zusammenhänge zwischen den Merkmalen. Im Falle sehr großer Datenmengen ist hierbei erneut der Einsatz rechengestützter Verfahren denkbar, da sich die manuelle Suche nach empirischen Regelmäßigkeiten in diesem Fall als sehr unübersichtlich erweisen kann (siehe hierzu Punkt 3 nach Kuckartz).

5. Schritt 3: Die Analyse inhaltlicher Sinnzusammenhänge und die Typenbildung Zurückgehend auf Max Weber ist der Anspruch, nicht nur empirische Regelmäßigkeiten und Korrelationen zu erfassen, sondern ebenso nach Sinnzusammenhängen zu suchen. Nur so ist es möglich, zu "soziologischen Regeln" (Weber 1972/1921: S. 5f, zitiert nach Kluge 2000: S. 3) zu gelangen. Hier sieht Weber die Konstruktion von (künstlichen) Idealtypen vor, die rein zweckrational orientiert sind; allerdings gibt es auch davon abweichende Meinungen. In jedem Fall müssen gewisse Vorannahmen (eben etwa bezüglich der Zweckrationalität des Handelns der Akteure) getroffen werden, um sinnvolle und verständliche Handlungstypen bilden zu können (vgl. Kluge/Kelle 1999: S. 92). Für die Analyse inhaltlicher Sinnzusammenhänge ist es zudem erforderlich, verschiedene Fälle zu vergleichen und zu kontrastieren - sowohl innerhalb einzelner Gruppen als auch zwischen den Gruppen. Dies kann dazu führen, dass Fälle anschließend anderen Gruppen, denen sie ähnlicher sind, zugeordnet werden. Ebenso ist es möglich, dass abweichende Fälle aus ihren Gruppen gelöst und anschließend separat analysiert werden. Ähnliche Gruppen wiederum können zusammengefasst, und einzelne Gruppen im Falle starker interner Unterschiede weiter differenziert werden. All dies führt dazu, dass der Merkmalsraum reduziert wird und die Anzahl der Gruppen auf wenige(r) Typen verringert wird. Gleichwohl ist es jedoch ebenso nötig, nach weiteren Merkmalen zu suchen, bezüglich denen sich die Gruppen unterscheiden. Dies ergibt sowohl weitere Unterschiede zwischen den Gruppen als auch weitere Ähnlichkeiten innerhalb der Gruppen; der Merkmalsraum wird demzufolge wiederum ergänzt. Die sich daraus ergebenden Gruppierungen müssen schließlich erneut hinsichtlich empirischer Regelmäßigkeiten und inhaltlicher Sinnzusammenhänge untersucht werden.

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6. Schritt 4: Die Charakterisierung der gebildeten Typen Schließlich werden anhand der rekonstruierten Sinnzusammenhänge sowie identifizierten Vergleichsdimensionen die gebildeten Typen charakterisiert sowie Kurzbezeichnungen für die Typen gesucht. Ob für die Darstellung des Gemeinsamen zwischen allen Fällen eines Typus reale Prototypen oder künstliche Idealtypen herangezogen werden sollen, lässt sich nicht pauschal sagen. Im Falle sehr heterogener Typen ist es jedoch recht problematisch, auf Prototypen zurückzugreifen, da ein einzelner Fall den gesamten Typus kaum mehr ausreichend zu charakterisieren vermag. Idealtypen wiederum können einerseits nach dem Vorschlag Kuckartz aus mehreren prototypischen Fällen in Form eines idealtypischen Konstruktes "komponiert" werden (vgl. Kluge/Kelle 1999: S. 95); Gerhardt schlägt andererseits vor, zunächst einen möglichst optimalen Fall zu suchen und anschließend einzelne Charakteristika dessen zuzuspitzen, damit dieser seinem idealen Charakter möglichst optimal entspricht. Diese Idealtypen sind aufgrund ihres künstlichen Charakters keine Darstellung der Wirklichkeit sondern dienen vielmehr zur "Verdeutlichung der Wirklichkeitsstruktur" (Gerhard 1991: S. 437, zitiert nach: Kluge/Kelle 1999: S. 96). Die starke Zuspitzung bei der Konstruktion von Idealtypen nach Gerhardt hat allerdings zur Folge, dass innerhalb eines Typus eher die Unterschiede und weniger die Gemeinsamkeiten betont werden, zudem repräsentiert ein Idealtypus das Typische einer Gruppe in seiner Künstlichkeit nur bedingt. Eine Patentlösung gibt es also nicht.

Literaturverzeichnis: Kluge, Susann/Kelle, Udo (1999): Vom Einzelfall zum Typus: Fallvergleich und

Fallkontrastierung in der qualitativen Sozialforschung. Opladen: Leske + Budrich. Reinhold, Gerd (1997): Soziologie-Lexikon. 3. überarbeitete Auflage. München u.a..:

Oldenburg. Weber, Max/Ulfig, Alexander (2005): Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der

verstehenden Soziologie; zwei Teile in einem Band. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Zweitausendeins.

Internetquellen: Kluge, Susann (2000): Empirisch begründete Typenbildung in der qualitativen

Sozialforschung. Abgerufen unter: http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/download/1124/2498 (Letzter Zugriff: 28.2.2009).

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Verwendete Literatur:

Umfangreiche Literaturliste 

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You’re Doing It. Chicago: University of Chicago Press. Behnke, Joachim; Baur, Nina; Behnke, Nathalie (2006): Empirische Methoden der

Politikwissenschaft. Paderborn: Schöningh (UTB Grundkurs Politikwissenschaft, 2695). Bohnsack, Ralf (Hg.) (2008): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative

Methoden. 7., durchges. und aktualisierte Aufl. Opladen: Budrich (UTB Erziehungswissenschaft, Sozialwissenschaft, 8242).

Bohnsack, Ralf; Marotzki, Winfried & Meuser, Michael (Hrsg.), 2003: Hauptbegriffe qualitativer Sozialforschung. Opladen: Barbara Budrich / UTB.

Denzin, Norman K. Lincoln, Yvonne S. (Hrsg.), 2005: Handbook of Qualitative Research. 3. Aufl., Thousand Oaks: Sage [zuerst 1994].

Flick, Uwe (2006): Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. 4. Aufl., vollst. überarb. und erw. Neuausg. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verl. (Rororo Rowohlts Enzyklopädie, 55654).

Flick, Uwe; Kardorff, Ernst v & Steinke, I. (Hrsg.), 2000: Qualitative Forschung - Ein Handbuch. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Flick, Uwe; Kardorff, Ernst von; Keupp, Heiner, et al. (Hg.) (1995): Handbuch qualitative Sozialforschung. Grundlagen Konzepte Methoden und Anwendungen. 2. Aufl. Weinheim: Beltz Psychologie-Verl.-Union.

Forum Qualitative Sozialforschung http://www.qualitative�research.net Gubrium, Jaber F. Holstein, James A., 1997: The New Language of Qualitative Method. New

York: Oxford University Press. Hollstein, Betina; Ullrich, Carsten G. (2003): Einheit trotz Vielfalt? Zum konstitutiven Kern

qualitativer Sozialforschung. In: Soziologie, Heft 4, S.29-43. Hopf, Christel & Weingarten, Elmar (Hrsg.), 1993: Qualitative Sozialforschung. Stuttgart:

Klett-Cotta [zuerst 1979]. Ilmes – Internet Lexikon der Methoden der empirischen Sozialforschung (http://www.lrz-

muenchen.de/~wlm/ein_voll.htm). Kardoff, Ernst von; Steinke, Ines (Hg.) (2000): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Orig.-

Ausg… Unter Mitarbeit von Uwe Flick. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt (Rororo, 55628 : Rowohlts Enzyklopädie).

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potsdam.de/u/slavistik/vc/filmanalyse/arb_stud/manthey_bischof/docs/a/animation.htm, am 27.02.2009

7. Das Leitfadeninterview Diekmann, Andreas (2008): Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden,

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Helfferich, Cornelia (2005): Die Qualität qualitativer Daten. Manual für die Durchführung qualitativer Interviews. 2. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Kapitel 5: Interviewplanung und Intervieworganisation, S.147-173.

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8. Das verstehende Interview Jean-Claude Kaufmann, Frauenkörper – Männerblicke (2006), UVK Verlagsgesellschaft

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9. Das narrative Interview Glinka Hans-Jürgen,(1998):Das narrative Interview: Eine Einführung für Sozialpädagogen .

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10. Experteninterview: Bogner, A. / Littig, B./ Menz W. (Hrsg.): Das Experteninterview. Theorie, Methode,

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modernisierungstheoretische und die methodische Debatte um die Experten. Zur Einführung in ein unübersichtliches Problemfeld, in: Bogner, Alexander/Littig, Beate/Menz, Wolfgang (Hrsg.): Das Experteninterview, Theorie, Methode, Anwendung, 2. Auflage, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

Bogner, Alexander/Menz, Wolfgang (2005b): Das theoriegenerierende Experteninterview. Erkenntnisinteresse, Wissensformen, Interaktion, in: Bogner, Alexander/Littig, Beate/ Menz, Wolfgang (Hrsg.): Das Experteninterview, Theorie, Methode, Anwendung, 2. Auflage, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

Gläser, J. / Laudel, G.: Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse als Instrumente rekonstruierender Untersuchungen, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004

Gläser, Jochen/Laudel, Grit (2006): Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse. Als Instrumente rekonstruierender Untersuchungen, 2. durchgesehene Auflage, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

Mayer, H. O.: Interview und schriftliche Befragung – Entwicklung, Durchführung und Auswertung, 4. überarbeitete und erweiterte Auflage, Oldenbourg Verlag, München 2008

Meuser, Michael/Nagel, Ulrike (2005a): ExpertInneninterviews – vielfach erprobt, wenig bedacht. Ein Beitrag zur qualitativen Methodendiskussion, in: Bogner, Alexander/Littig, Beate/ Menz, Wolfgang (Hrsg.): Das Experteninterview, Theorie, Methode, Anwendung, 2. Auflage, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

Pfadenhauer, Michaela (2005): Auf gleicher Augenhöhe reden. Das Experteninterview – ein Gespräch zwischen Experte und Quasi-Experte, in: Bogner, Alexander/Littig, Beate/ Menz, Wolfgang (Hrsg.): Das Experteninterview, Theorie, Methode, Anwendung, 2. Auflage, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

Pfadenhauer, Michaela (2007): Das Experteninterview. Ein Gespräch auf gleicher Augenhöhe, in: Buber, Renate/Holzmüller, Hartmut (Hrsg.): Qualitative Marktforschung. Konzepte, Methoden, Analysen, Gabler, Wiesbaden

Trinczek, Rainer (2005): Wie befrage ich Manager? Methodische und methodologisch Aspekte des Experteninterviews als qualitativer Methode empirischer Sozialforschung, in: Bogner, Alexander/Littig, Beate/ Menz, Wolfgang (Hrsg.): Das Experteninterview, Theorie, Methode, Anwendung, 2. Auflage, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

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11. Gruppendiskussion Lamnek, Siegfried (2005): Gruppendiskussion. Theorie und Praxis. 2., überarb. u. erw. Aufl.

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12. Inhaltsanalyse: Hoischen Oliver, in FAS vom 25.01.2009 Nr. 4 „Wo Werbung wirkt. Die Leserschaft der

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Flick, Uwe; von Kardorff, Ernst; Keupp, Heiner; von Rosenstiel, Lutz; Wolff, Stephan (1991): Handbuch qualitativer Sozialforschung. Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen. Psychologie Verlags Union. München

Lamnek, Siegfried (2005): Qualitative Sozialforschung, Beltz, Weinheim/Basel Lamnek, Siegfried: Qualitative Sozialforschung, BeltzPVU, 2005 Mayring, Philipp (2002): Einführung in die Qualitative Sozialforschung, 5. Aufl., Beltz,

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Weinheim, Basel Rustemeyer, Ruth (1992): Praktisch-methodische Schritte der Inhaltsanalyse. Eine

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13. Kodieren Strauss, Anselm L. (1991): Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Datenanalyse und

Theoriebildung in der empirischen soziologischen Forschung. München: Fink Strübing, Jörg (2004): Grounded Theory. Zur sozialtheoretischen und epistemologischen

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14. Typenbildung Kluge, Susann/Kelle, Udo (1999): Vom Einzelfall zum Typus: Fallvergleich und

Fallkontrastierung in der qualitativen Sozialforschung. Opladen: Leske + Budrich. Reinhold, Gerd (1997): Soziologie-Lexikon. 3. überarbeitete Auflage. München u.a..:

Oldenburg. Weber, Max/Ulfig, Alexander (2005): Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der

verstehenden Soziologie; zwei Teile in einem Band. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Zweitausendeins.

Kluge, Susann (2000): Empirisch begründete Typenbildung in der qualitativen Sozialforschung. Abgerufen unter: http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/download/1124/2498 (Letzter Zugriff: 28.2.2009).