predigt von pfr. kuno hauck über lukas 7, 11-17, gehalten...

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Predigt von Pfr. Kuno Hauck über Lukas 7, 11-17, gehalten am 28.04.2013 Lukas 7, 11-17: 11 Und es begab sich danach, dass er in eine Stadt mit Namen Nain ging; und seine Jünger gingen mit ihm und eine große Menge. 12 Als er aber nahe an das Stadttor kam, siehe, da trug man einen Toten heraus, der der einzige Sohn seiner Mutter war, und sie war eine Witwe; und eine große Menge aus der Stadt ging mit ihr. 13 Und als sie der Herr sah, jam- merte sie ihn und er sprach zu ihr: Weine nicht! 14 Und trat hinzu und berührte den Sarg, und die Träger blieben stehen. Und er sprach: Jüngling, ich sage dir, steh auf! 15 Und der Tote richtete sich auf und fing an zu reden, und Jesus gab ihn seiner Mutter. 16 Und Furcht ergriff sie alle, und sie prie- sen Gott und sprachen: Es ist ein großer Prophet unter uns auf- gestanden, und: Gott hat sein Volk besucht. So weit … Liebe Gemeinde, mit GAU, G-A-U wird der größte anzunehmender Unfall be- zeichnet, der sich ereignen kann. Die Bezeichnung GAU wurde in der Frühzeit der Nutzung der Kernenergie in den USA entwickelt. „Was kann schlimmsten falls passieren?“, fragte man sich damals und inzwischen hat man diesen Begriff GAU noch um eine Vari- ante erweitert, die auch in unseren Sprachgebrauch eingeflossen ist: Den „Super-Gau“, wenn das Schlimmste vom Schlimmsten eintrifft. Unser heutiger Bibeltext, liebe Gemeinde, erzählt von einem Super-Gau im Leben einer Frau in der damaligen Gesell- schaft. Wir finden diese Geschichte an keiner anderen Stelle im Neuen Testament und es ist also eine Erzählung, die dem Evan- gelisten Lukas besonders wichtig war. Mit dieser Jesus-Legende möchte Lukas ein ganz zentrales Thema im Leben und in der Ver- kündigung Jesu hervorheben. Lukas schildert uns, wie Jesus, ge- rade als er die Stadt Nain betreten wollte, einem Trauerzug be- gegnet, der auf dem Weg zum Friedhof ist. Dass es sich bei die- sem Trauerzug nicht um eine normale Beerdigung handelte, son- dern um einen sogenannten Super-Gau erfahren wir mit weni- gen Worten: „Es war der einzige Sohn seiner Mutter“, „und sie war eine Witwe“. In dieser kurzen Beschreibung ihres Schicksals begegnet uns ein persönliches und soziales Drama und Trauma. Da verliert eine Frau, wahrscheinlich sehr jung, ihren Ehemann und das Glück eines ganzen Lebens gerät damit ins Wanken. Le- bensträume und Lebenspläne zerplatzen. Der Partner fehlt als Gegenüber am Tag und die Nächte sind einsam und von Furcht bestimmt. Aber da gibt es einen Lichtblick, einen Sonnstrahl in ihrem Leben, die Frucht der gemeinsamen Liebe, einen Sohn, Gott sei Dank. Die Sorge um ihn hält sie am Leben, sein Lachen und seine Nähe beschenkt sie reichlich und hilft in der Zeit der Einsamkeit und der Trauer. Und zugleich gibt ihr dieses Kind Si- cherheit und Zuversicht, wenn sie an die Zukunft denkt. Sie weiß, wenn ich einmal alt bin, Hilfe brauche und selbst nicht mehr für mich sorgen kann, wird er für mich da sein und die zu- künftige Schwiegertochter wird meine Pflege übernehmen. Aber dann bricht die Katastrophe, das Allerschlimmste was passieren kann, über ihr Leben wie eine Flutwelle herein und nimmt ihr al- les, was sie hat, die Gegenwart und die Zukunft. Wenn solche Schicksalsschläge zur damaligen Zeit über Menschen hereinein- brachen, dann wurden diese, oftmals sogar noch als Strafe Got- tes interpretiert, was das erfahrene Leid ins Unendliche steigerte und die Person darüber hinaus noch stigmatisierte. Und als Jesus diesem Trauerzug begegnet, diesem „Zug des Todes“ das Schick- sal der Frau sah, da durchfuhr ihn ein körperlicher Schmerz und es stach in seinen Eingeweiden. So heißt es wörtlich im griechi- schen Urtext, was Luther übersetzt mit dem Satz: „Und als sie der Herr sah, jammerte sie ihn“. Das tiefe Mitleid, das Jesus in diesem Moment mit dieser Witwe hat, lässt sich kaum in Worte fassen und so ist auch das, was er tut, unfassbar. Wir werden Zeugen von dem bis dahin größtem Wunder, das Jesus im Evan- gelium des Lukas wirkt, in dem er den jungen Mann zum Leben erweckt und ihn seiner Mutter zurückgibt. Aus einem Zug des Todes wird ein Zug des Lebens, die Zeugen sind fassungslos und tief beeindruckt und können immer wieder nur laut rufen: „Gott hat sein Volk besucht“ – Gott ist mitten un- ter uns. Der Größte Anzunehmende Unfall verwandelt sich in die Größte Anzunehmende Freude! Liebe Gemeinde, wo Gott sein Volk besucht, da hat der Tod keine Macht mehr über das Leben, da werden Tränen getrocknet, da bekommen Hoffnungslose neue Visionen, da erleben Menschen, dass sie nicht alleine nicht. Der heutige Bibeltext und das ist für mich die zentrale Aussage, erzählt uns nicht vom Himmel. Er will uns nicht auf etwas vorbereiten, was nach dem Ende unseres Le- bens kommt. Auferstehung nach dem Tod, das ist mir viel zu we- nig als zentrale Aussage der Botschaft Jesu. Schließlich sagt Jesus zu der Witwe auch nicht: „dein Sohn wird auferstehen und im Himmel werdet ihr wieder zusammen sein.“ Der Schlüsselbegriff zum Verständnis der Erzählung des Lukas liegt in diesem griechischen Wort: „splanchnizomai“, das Lukas noch an zwei weiteren zentralen Texten seines Evangeliums ver- wendet, beim „Barmherzigen Samariter“ und beim „Verlorenen Sohn“. Dieses Wort, das oft mit Erbarmen oder Migleid übersetzt wird, möchte ich mit dem Satz aus dem „Kleinen Prinz“ von Saint-Exupéry übertragen: „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“. Im Glauben ist es immer wieder notwendig, den Kopf auszuschalten und dafür das Herz sprechen zu lassen. Das ist sicher unvernünftig, aber liebe Gemeinde, unsere Welt geht nicht an zu viel Herz, sondern eher an zu viel Vernunft zu Grunde. Die Vernunft sagt: das rechnet sich nicht, das ändert doch sowieso nichts, das hat sich doch bis- her bewährt, das bringt doch nur Schwierigkeiten oder Unruhe. Das größte Wunder in unserem Bibelwort heute ist doch, dass sich Jesus tief berühren lässt im Herzen und sich ganz unver- nünftig dem Todeszug entgegenstellt. Ich kann dieses Wort nur als Einladung verstehen, es Jesus nachzumachen, nämlich mit offenen Augen durch die Welt zu gehen und mit dem Herzen zu sehen. Die kleinen und großen Nöte der Menschen um uns her- um und in der Welt nicht einfach auszublenden, sondern uns davon anrühren zu lassen. Und wo das geschieht, da verändert sich etwas und der Himmel wird Erden greifbar. Da steht zwar kein Toter aus dem Sarg auf, aber Menschen finden Trost, be- kommen wieder Mut zum Leben und dürfen dem neuen Tag ohne Angst entgegensehen. Da gibt es zwar noch keinen offenen Grenzen für Flüchtlinge, aber Menschen auf der Flucht finden Sicherheit und Geborgenheit in kirchlichen Räumen.Die Theolo- gin Dorothee Sölle beschreibt diese Zeit, in der die Menschen wie Jesus mit dem Herzen sehen in einem Gedicht mit dem Titel: „Zeitansage“. Sie schreibt: Es kommt eine zeit da wird man den sommer gottes kommen sehen die Waffenhändler machen bankrott die Autos füllen die schrotthalden und wir pflanzen jede einen baum Es kommt eine zeit da haben alle genug zu tun und bauen die gärten chemiefrei wieder auf in den arbeitsämtern wirst du ältere leute summen und pfeifen hören Es kommt eine zeit da werden wir viel zu lachen haben und gott wenig zum Weinen die engel spielen klarinette und die frösche quaken die halbe nacht Und weil wir nicht wissen wann sie beginnt helfen wir jetzt schon allen engeln und fröschen beim lobe gottes. Liebe Gemeinde, je mehr wir mit dem Herzen sehen, uns anrüh- ren lassen, umso mehr werden wir diese Zeit erleben, in der wir „viel zu lachen haben, und Gott wenig zum Weinen.“ Amen. Pfarrer Kuno Hauck 1

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Predigt von Pfr. Kuno Hauck über Lukas 7, 11-17, gehalten am 28.04.2013

Lukas 7, 11-17:11 Und es begab sich danach, dass erin eine Stadt mit Namen Nain ging;und seine Jünger gingen mit ihmund eine große Menge. 12 Als er abernahe an das Stadttor kam, siehe, datrug man einen Toten heraus, derder einzige Sohn seiner Mutter war,und sie war eine Witwe; und einegroße Menge aus der Stadt ging mitihr. 13 Und als sie der Herr sah, jam-merte sie ihn und er sprach zu ihr:Weine nicht! 14 Und trat hinzu undberührte den Sarg, und die Trägerblieben stehen. Und er sprach: Jüngling, ich sage dir, steh auf! 15

Und der Tote richtete sich auf und fing an zu reden, und Jesusgab ihn seiner Mutter. 16 Und Furcht ergriff sie alle, und sie prie-sen Gott und sprachen: Es ist ein großer Prophet unter uns auf-gestanden, und: Gott hat sein Volk besucht. So weit …Liebe Gemeinde,

mit GAU, G-A-U wird der größte anzunehmender Unfall be-zeichnet, der sich ereignen kann. Die Bezeichnung GAU wurde inder Frühzeit der Nutzung der Kernenergie in den USA entwickelt.

„Was kann schlimmsten falls passieren?“, fragte man sich damalsund inzwischen hat man diesen Begriff GAU noch um eine Vari-ante erweitert, die auch in unseren Sprachgebrauch eingeflossenist: Den „Super-Gau“, wenn das Schlimmste vom Schlimmsteneintrifft. Unser heutiger Bibeltext, liebe Gemeinde, erzählt voneinem Super-Gau im Leben einer Frau in der damaligen Gesell-schaft. Wir finden diese Geschichte an keiner anderen Stelle imNeuen Testament und es ist also eine Erzählung, die dem Evan-gelisten Lukas besonders wichtig war. Mit dieser Jesus-Legendemöchte Lukas ein ganz zentrales Thema im Leben und in der Ver-kündigung Jesu hervorheben. Lukas schildert uns, wie Jesus, ge-rade als er die Stadt Nain betreten wollte, einem Trauerzug be-gegnet, der auf dem Weg zum Friedhof ist. Dass es sich bei die-sem Trauerzug nicht um eine normale Beerdigung handelte, son-dern um einen sogenannten Super-Gau erfahren wir mit weni-gen Worten: „Es war der einzige Sohn seiner Mutter“, „und siewar eine Witwe“. In dieser kurzen Beschreibung ihres Schicksalsbegegnet uns ein persönliches und soziales Drama und Trauma.Da verliert eine Frau, wahrscheinlich sehr jung, ihren Ehemannund das Glück eines ganzen Lebens gerät damit ins Wanken. Le-bensträume und Lebenspläne zerplatzen. Der Partner fehlt alsGegenüber am Tag und die Nächte sind einsam und von Furchtbestimmt. Aber da gibt es einen Lichtblick, einen Sonnstrahl inihrem Leben, die Frucht der gemeinsamen Liebe, einen Sohn,Gott sei Dank. Die Sorge um ihn hält sie am Leben, sein Lachenund seine Nähe beschenkt sie reichlich und hilft in der Zeit derEinsamkeit und der Trauer. Und zugleich gibt ihr dieses Kind Si-cherheit und Zuversicht, wenn sie an die Zukunft denkt. Sieweiß, wenn ich einmal alt bin, Hilfe brauche und selbst nichtmehr für mich sorgen kann, wird er für mich da sein und die zu-künftige Schwiegertochter wird meine Pflege übernehmen. Aberdann bricht die Katastrophe, das Allerschlimmste was passierenkann, über ihr Leben wie eine Flutwelle herein und nimmt ihr al-les, was sie hat, die Gegenwart und die Zukunft. Wenn solcheSchicksalsschläge zur damaligen Zeit über Menschen hereinein-brachen, dann wurden diese, oftmals sogar noch als Strafe Got-tes interpretiert, was das erfahrene Leid ins Unendliche steigerteund die Person darüber hinaus noch stigmatisierte. Und als Jesusdiesem Trauerzug begegnet, diesem „Zug des Todes“ das Schick-sal der Frau sah, da durchfuhr ihn ein körperlicher Schmerz undes stach in seinen Eingeweiden. So heißt es wörtlich im griechi-schen Urtext, was Luther übersetzt mit dem Satz: „Und als sieder Herr sah, jammerte sie ihn“. Das tiefe Mitleid, das Jesus indiesem Moment mit dieser Witwe hat, lässt sich kaum in Wortefassen und so ist auch das, was er tut, unfassbar. Wir werdenZeugen von dem bis dahin größtem Wunder, das Jesus im Evan-gelium des Lukas wirkt, in dem er den jungen Mann zum Lebenerweckt und ihn seiner Mutter zurückgibt.

Aus einem Zug des Todes wird ein Zug des Lebens, die Zeugen

sind fassungslos und tief beeindruckt und können immer wiedernur laut rufen: „Gott hat sein Volk besucht“ – Gott ist mitten un-ter uns. Der Größte Anzunehmende Unfall verwandelt sich in dieGrößte Anzunehmende Freude!

Liebe Gemeinde, wo Gott sein Volk besucht, da hat der Tod keineMacht mehr über das Leben, da werden Tränen getrocknet, dabekommen Hoffnungslose neue Visionen, da erleben Menschen,dass sie nicht alleine nicht. Der heutige Bibeltext und das ist fürmich die zentrale Aussage, erzählt uns nicht vom Himmel. Er willuns nicht auf etwas vorbereiten, was nach dem Ende unseres Le-bens kommt. Auferstehung nach dem Tod, das ist mir viel zu we-nig als zentrale Aussage der Botschaft Jesu.

Schließlich sagt Jesus zu der Witwe auch nicht: „dein Sohn wirdauferstehen und im Himmel werdet ihr wieder zusammen sein.“Der Schlüsselbegriff zum Verständnis der Erzählung des Lukasliegt in diesem griechischen Wort: „splanchnizomai“, das Lukasnoch an zwei weiteren zentralen Texten seines Evangeliums ver-wendet, beim „Barmherzigen Samariter“ und beim „VerlorenenSohn“. Dieses Wort, das oft mit Erbarmen oder Migleid übersetztwird, möchte ich mit dem Satz aus dem „Kleinen Prinz“ vonSaint-Exupéry übertragen: „Man sieht nur mit dem Herzen gut,das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“. Im Glauben ist esimmer wieder notwendig, den Kopf auszuschalten und dafür dasHerz sprechen zu lassen. Das ist sicher unvernünftig, aber liebeGemeinde, unsere Welt geht nicht an zu viel Herz, sondern eheran zu viel Vernunft zu Grunde. Die Vernunft sagt: das rechnetsich nicht, das ändert doch sowieso nichts, das hat sich doch bis-her bewährt, das bringt doch nur Schwierigkeiten oder Unruhe.

Das größte Wunder in unserem Bibelwort heute ist doch, dasssich Jesus tief berühren lässt im Herzen und sich ganz unver-nünftig dem Todeszug entgegenstellt. Ich kann dieses Wort nurals Einladung verstehen, es Jesus nachzumachen, nämlich mitoffenen Augen durch die Welt zu gehen und mit dem Herzen zusehen. Die kleinen und großen Nöte der Menschen um uns her-um und in der Welt nicht einfach auszublenden, sondern unsdavon anrühren zu lassen. Und wo das geschieht, da verändertsich etwas und der Himmel wird Erden greifbar. Da steht zwarkein Toter aus dem Sarg auf, aber Menschen finden Trost, be-kommen wieder Mut zum Leben und dürfen dem neuen Tagohne Angst entgegensehen. Da gibt es zwar noch keinen offenenGrenzen für Flüchtlinge, aber Menschen auf der Flucht findenSicherheit und Geborgenheit in kirchlichen Räumen.Die Theolo-gin Dorothee Sölle beschreibt diese Zeit, in der die Menschen wieJesus mit dem Herzen sehen in einem Gedicht mit dem Titel:„Zeitansage“. Sie schreibt:

Es kommt eine zeitda wird man den sommer gottes kommen sehendie Waffenhändler machen bankrottdie Autos füllen die schrotthaldenund wir pflanzen jede einen baum

Es kommt eine zeitda haben alle genug zu tunund bauen die gärten chemiefrei wieder aufin den arbeitsämtern wirst duältere leute summen und pfeifen hören

Es kommt eine zeitda werden wir viel zu lachen habenund gott wenig zum Weinendie engel spielen klarinetteund die frösche quaken die halbe nacht

Und weil wir nicht wissenwann sie beginnthelfen wir jetzt schonallen engeln und fröschenbeim lobe gottes.

Liebe Gemeinde, je mehr wir mit dem Herzen sehen, uns anrüh-ren lassen, umso mehr werden wir diese Zeit erleben, in der wir„viel zu lachen haben, und Gott wenig zum Weinen.“ Amen.

Pfarrer Kuno Hauck

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