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Kultursensible Pflege 07.03.2018 Prof. Dr. Manfred Borutta, KatHo NRW, Abt. Aachen 1 KatHO NRW Aachen Köln Münster Paderborn Migration und Alter im Kontext einer kultursensiblen Pflege Aachen, 07. März 2018 Prof. Dr. Manfred Borutta Prof. Dr. Manfred Borutta, KatHo NRW. Abt. Aachen KatHO NRW Aachen Köln Münster Paderborn Agenda (2) Worüber reden wir? Kultur: Was ist das? kultursensible Pflege – interkulturelle Pflege – transkulturelle Pflege (1) Was finden wir vor und was kommt auf uns zu? Demografische Entwicklung im Kontext von Migration, Singularisierung und Morbidität (3) Was bleibt zu tun? Interventionsansätze aus einer polykontextualen Perspektive Prof. Dr. Manfred Borutta, KatHo NRW. Abt. Aachen KatHO NRW Aachen Köln Münster Paderborn Agenda (2) Worüber reden wir? Kultur: Was ist das? kultursensible Pflege – interkulturelle Pflege – transkulturelle Pflege (1) Was finden wir vor und was kommt auf uns zu? Demografische Entwicklung im Kontext von Migration, Singularisierung und Morbidität (3) Was bleibt zu tun? Interventionsansätze aus einer polykontextualen Perspektive Prof. Dr. Manfred Borutta, KatHo NRW. Abt. Aachen KatHO NRW Aachen Köln Münster Paderborn (1) Was finden wir vor und was kommt auf uns zu? Parameter der demografischen Entwicklung in Deutschland (Becker, 2014) Fertilität (incl. generatives Verhalten und generativer Struktur) Singularisierung – „Singularitäten“ (Reckwitz) Morbidität und Mortalität Migration Prof. Dr. Manfred Borutta, KatHo NRW. Abt. Aachen

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  • Kultursensible Pflege 07.03.2018

    Prof. Dr. Manfred Borutta, KatHo NRW, Abt. Aachen 1

    KatHO NRW Aachen Köln Münster Paderborn

    Migration und Alter

    im Kontext einer kultursensiblen Pflege

    Aachen, 07. März 2018

    Prof. Dr. Manfred Borutta

    Prof. Dr. Manfred Borutta, KatHo NRW. Abt. Aachen

    KatHO NRW Aachen Köln Münster Paderborn

    Agenda

    (2) Worüber reden wir?

    • Kultur: Was ist das?

    • kultursensible Pflege – interkulturelle Pflege – transkulturelle

    Pflege

    (1) Was finden wir vor und was kommt auf uns zu?

    • Demografische Entwicklung im Kontext von Migration,

    Singularisierung und Morbidität

    (3) Was bleibt zu tun?

    • Interventionsansätze aus einer polykontextualen Perspektive

    Prof. Dr. Manfred Borutta, KatHo NRW. Abt. Aachen

    KatHO NRW Aachen Köln Münster Paderborn

    Agenda

    (2) Worüber reden wir?

    • Kultur: Was ist das?

    • kultursensible Pflege – interkulturelle Pflege – transkulturelle

    Pflege

    (1) Was finden wir vor und was kommt auf uns zu?

    • Demografische Entwicklung im Kontext von Migration,

    Singularisierung und Morbidität

    (3) Was bleibt zu tun?

    • Interventionsansätze aus einer polykontextualen Perspektive

    Prof. Dr. Manfred Borutta, KatHo NRW. Abt. Aachen

    KatHO NRW Aachen Köln Münster Paderborn

    (1) Was finden wir vor und was kommt auf uns zu?

    Parameter der demografischen Entwicklung in Deutschland (Becker, 2014)

    • Fertilität (incl. generatives Verhalten und generativer Struktur)

    • Singularisierung – „Singularitäten“ (Reckwitz)

    • Morbidität und Mortalität

    • Migration

    Prof. Dr. Manfred Borutta, KatHo NRW. Abt. Aachen

  • Kultursensible Pflege 07.03.2018

    Prof. Dr. Manfred Borutta, KatHo NRW, Abt. Aachen 2

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    Die Familie ist

    nicht mehr das

    dominierende

    Lebensmodell!

    Singularisierung

    und Alterung der

    Gesellschaft sind

    mittlerweile so weit

    vorangeschritten,

    dass die Mehrheit

    der Menschen in

    Deutschland nicht

    mehr als Familie in

    einem Haushalt

    zusammenwohnt.“

    Parameter der Demografie – Singularisierung

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    40 % der Bevölkerung ab 65 Jahre lebt allein in einem Haushalt; in Großstädten liegt der Anteil noch höher.

    Singularisierung

    ▪ Davon sind 85 % Frauen.

    • Ein Grund ist die weiterhin höhere Sterbeziffer

    bei Männern.

    ▪ Zunehmend bestimmen aber auch älter

    werdende Singles (Ledige, geschiedene

    bzw. getrennt Lebende) diesen Trend

    ▪ Alleinleben bedeutet im Alter überdurch-

    schnittlich häufig, auf die praktische Unter-

    stützung durch Dritte angewiesen zu sein (Bertelsmann-Stiftung/ Statistisches Bundesamt 2011)

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    Singularitäten

    Der Begriff bezieht sich nicht nur auf Menschen, „…wie mit

    dem gängigen Wort Individualisierung, sondern auch auf

    Orte, auf Ereignisse, auf Kollektive … wie beispielsweise

    Städte. (…) Bestimmte Städte boomen, andere entleeren

    sich…“(A. Reckwitz, Die Zeit, 05.10.2017)

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  • Kultursensible Pflege 07.03.2018

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    Singularitäten

    • Es kommt zu Entwertungen und Kränkungserfahrungen,

    Einzelner und ganzer Gruppen, die nicht nur materiell

    begründet sind

    • „Was man tut, ist nicht mehr viel wert. Das sieht man stark

    am Thema Gesundheit…“(A. Reckwitz, Die Zeit, 05.10.2017)

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    Rückgang der familialen Pflegepotentiale

    • Familie als der größte Pflegedienst der Nation verändert

    sich demografisch:

    • Auflösung von (groß-)familiären

    Zusammenhängen

    • (beruflich bedingte) höhere Mobilität

    • Doppelverdiener

    • „Sandwich-Generation“

    Nachlassende Pflegepotenziale

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    Nachbarschaftliche Pflegepotentiale

    ▪ Ein gemeinsam geteilter physischer Raum führt nicht automatisch

    zu eine gemeinsamen sozialen Raum

    (Volkmann 2012, Bourdieu 1993: 159)

    ▪ Geschichtliche Veränderung: Gestern: Erntehilfe; Heute: ???)

    ▪ Bedeutung von Nachbarschaft verändert sich aber auch im Laufe

    des individuellen Lebens

    „Nachbarschaften (als räumliche und soziale

    Gemeinschaften), in denen wechselseitig

    Verantwortung übernommen wird, sind unter den

    Bedingungen ungleicher Ressourcenzugänge und

    Verwirklichungschancen nicht an jedem Ort

    selbstverständlich.“ (7. Altenbericht, S. 104)

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    Morbidität und Alter

    • 2/3 aller Sterbefälle in Deutschland entfallen auf

    zwei Todesursachen: Kreislauferkrankungen und

    Krebserkrankungen.

    Morbidität und Alter

    • 2/3 aller Sterbefälle in Deutschland entfallen auf

    zwei Todesursachen: Kreislauferkrankungen und

    Krebserkrankungen.

    Parameter der Demografie – Morbidität

    • Unter denen in der Regel nicht zum Tode führenden Krankheiten

    nehmen zahlenmäßig zu („epidemiologische Transition“):

    • Diabetes mellitus,

    • degenerative Muskel- und Skeletterkrankungen,

    • Krankheiten der Verdauungsorgane

    sowie mit der stärksten Zunahme:

    • psychisch manifestierte Leiden einschließlich der

    Abhängigkeitskrankheiten

    • Unter denen in der Regel nicht zum Tode führenden Krankheiten

    nehmen zahlenmäßig zu („epidemiologische Transition“):

    • Diabetes mellitus,

    • degenerative Muskel- und Skeletterkrankungen,

    • Krankheiten der Verdauungsorgane

    sowie mit der stärksten Zunahme:

    • psychisch manifestierte Leiden einschließlich der

    Abhängigkeitskrankheiten

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    • Nur ein Bruchteil der sozialversicherungspflichtigen

    Beschäftigten in Deutschland erreicht halbwegs gesund

    das Rentenalter.

    Parameter der Demografie – Morbidität

    • Die Mehrzahl wird, überwiegend wegen der vg.

    chronischen Erkrankungen vorzeitig berentet bzw.

    verstirbt vor Erreichen des Rentenalters (vgl.

    Altersstruktur der Gestorbenen).

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    Deutsches Zentrum für Altersfragen, 2015

    + 71%

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    Statistisches Bundesamt: 13. koordinierte

    Bevölkerungsvorausberechnung, 2015, S. 19

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    Das Szenario der

    sinkenden Pflegequote

    unterstellt die

    Wahrscheinlichkeit, dass

    sich schwere

    Erkrankungen bzw. der

    Eintritt der

    Pflegebedürftigkeit mit

    der steigenden

    Lebenserwartung

    in eine höhere

    Altersklasse verschiebt.

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    Parameter der Demografie - Migration

    Migration (lat. migrare = wandern, wegziehen)

    ▪ Migration beschreibt die Prozesse der Zu-/Einwanderung

    (Immigration) und der Ab-/Auswanderung (Emigration), wobei es

    sich um einen Wohnortwechsel von relativer Dauer handelt.

    ▪ Zu- und Abwanderung gehören neben Geburten (➔Fertilität) und Todesfällen (➔ Mortalität) sowie der ➔ Singularisierungzu den elementaren Bevölkerungsprozessen.

    ▪ Unterschieden wird zwischen

    ▪ regionaler Migration (innerhalb e. Staates = Binnenmigration)

    ▪ internationaler Migration (zwischen Staaten).

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    Statistisches Bundesamt 2015

    „Die Höhe der Zuwanderung beeinflusst das Ausmaß der Schrumpfung bereits

    spürbar. Jedoch kann auch ein jährlicher Wanderungssaldo von + 300 000

    Personen die Schrumpfung der Bevölkerung im Erwerbsalter nicht aufhalten.“

    (Statisches Bundesamt 2015, S. 6)

    Die schrumpfende Gesellschaft

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    In Deutschland hat jede fünfte Person einen Migrationshintergrund – in

    Westdeutschland fast jede vierte, in Ostdeutschland jede zwanzigste Person

    (23,9 bzw. 5,3 Prozent).

    (Statistisches Bundesamt 2015/16)

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    Woher kommen die Migrant*innen?

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    Parameter der Demografie - Migration

    Migration und Alter

    Derzeit leben 17,5 Mio.

    Menschen über 65 Jahren

    in Deutschland.

    Davon 1,3 Mio. ( 7,4%)

    Menschen mit

    Migrationshintergrund

    Migration und Alter

    Derzeit leben 17,5 Mio.

    Menschen über 65 Jahren

    in Deutschland.

    Davon 1,3 Mio. ( 7,4%)

    Menschen mit

    Migrationshintergrund

    Prozentanteil an der jeweiligen

    Grundgesamtheit (N):

    gelb: Prozentanteil der jeweiligenAltersgruppe der Personen mit

    Migrationshintergrund;

    orange: Prozentanteil der jeweiligen Altersgruppe in Bezug

    auf alle Personen ohne

    Migrationshintergrund

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    „Mit der quantitativ-empirischen Analyse der Pflegebedürftigkeit

    von Migranten in Deutschland beschäftigten sich bisher nur

    wenige Studien…“

    (BMAF, 2012, S. 34)

    Unter Verwendung der Bestandsdaten der Pflegestatistik des

    Statistischen Bundesamtes ergibt sich eine Gesamtzahl von etwa

    192.000 pflegebedürftiger Personen mit Migrationshintergrund.

    Der Anteil an allen Pflegebedürftigen beträgt 8,2 Prozent.

    Pflegebedürftige Menschen mit Migrationshintergrund:

    8 Prozent der Pflegebedürftigen in Privathaushalten,

    7 Prozent der von ambulanten Diensten betreuten Menschen

    9 Prozent der vollstationär versorgten Menschen

    weisen einen Migrationshintergrund auf.

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    Migration und Pflegebedürftigkeit

    „Durchs Netz gefallen“

    „Die Pflegereform war das gesundheitspolitische Großprojekt

    der (letzten großen) Koalition. Eine Bevölkerungsgruppe findet

    sich darin allerdings kaum wieder: Menschen mit

    Migrationshintergrund.

    Pflegereform (PSG I bis III) und Migration

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    Dabei sind etwa 200.000 von ihnen pflegebedürftig – Tendenz

    steigend.

    Das Problem: Viele haben keinen Zugang zu den Leistungen

    der Pflegeversicherung. Durchs Netz gefallen.“

    (DF., 01.04.2017)

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    Abwanderung von Pflegefachkräften aus Deutschland

    Berechnungen des Statistischen BA aus 2011 zeigen, dass bis

    2020 ca. 152.000 Pflegekräfte ausgewandert sein werden.

    „Gerade die Unterbesetzung ist einer der größten Push-Faktoren,

    der Arbeitskräfte aus dem Land verjagt“,

    [Britta Zander; Mitglied der RN4Cast-Studie

    (Registered Nurse Forecasting:

    Human Resources Planning in Nursing)]

    Eine Migration besonderer Art:

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    Agenda

    (2) Worüber reden wir?

    • Kultur: Was ist das?

    • kultursensible Pflege – interkulturelle Pflege – transkulturelle

    Pflege

    (1) Was finden wir vor und was kommt auf uns zu?

    • Demografische Entwicklung im Kontext von Migration,

    Singularisierung und Morbidität

    (3) Was bleibt zu tun?

    • Interventionsansätze aus einer polykontextualen Perspektive

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    (1) Zur Etymologie des Kulturbegriffs:

    ▪ (lat.: colere): wohnen, bebauen, bestellen, pflegen

    ▪ cultura: umfassende Lebensgestaltung und –pflege „im

    Umgang mit der inneren und äußeren Natur“

    cultura agri:

    Landwirtschaft

    cultura animi:

    Pflege der Seele

    „Soziales Privileg der „vollwertigen“ Bürger Roms

    (implizites Medium des sozialen Ein- und Ausschlusses)(Gabriele Klein, 2008, S. 238)

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    (2) Zur Genealogie des Kulturbegriffs:

    Kultur als Bezeichnung einer Dimension

    ▪ unterschiedlicher menschlicher Entwicklungsmöglichkeiten

    ▪ unterschiedlicher Lebensformen,

    ▪ einer Vielfalt des Lebens, Prof. Dr. Manfred Borutta, KatHo NRW. Abt. Aachen

    ▪ Ab dem 18. Jh.: Loslösung vom Genetivattribut

    (Zugehörigkeit) und damit Loslösung von

    ▪ einem bestimmten Besitz, einer best. Schichtzugehörigkeit

    ▪ J.G. Herder (18.Jh.): „Kugelmodell“ der Kulturen:

    ▪ Internes Homogenitätsgebot („Mittelpunkt der Glückseligkeit“)

    ▪ Externes Abgrenzungsgebot

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    Und der ‚Witz‘ an der Kultur?

    Witz (engl. wit: Gewitztheit, Esprit), abgeleitet vom

    ▪ althd. wizzi = „Wissen“, „scharfe Beobachtung“

    ▪ Bis in die Zeit um 1800 meint der „Witz“ ein

    menschliches Vermögen, lat. auch ingenium genannt:

    ▪ die Fähigkeit, verblüffende und aufschlussreiche

    Vergleiche herzustellen

    ▪ die Fähigkeit, entfernte Ähnlichkeiten zu entdecken

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    (3) Kultur aus einer systemtheoretischen Perspektive

    Kultur als eine Beobachtungsform 2. Ordnung

    ▪ Form der Beobachtung von Beobachtern, die danach fragt, wie

    Beobachter Beobachter beobachten

    ▪ Kultur als eine „in die Gesellschaft eingezogene Ebene für

    Beobachtungen und Beschreibungen“

    (N. Luhmann, GuS, Bd. 4, 39)

    Aber:

    Um was für eine Form der Beobachtung zweiter Ordnung

    handelt es sich im Falle der Kultur?

    Was wird damit beschrieben?Prof. Dr. Manfred Borutta, KatHo NRW. Abt. Aachen

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    Kultur als eine (sich) interessierende und vergleichende –

    „dreistellige Beobachterperspektive“:

    ▪ Das eine wird mit dem anderen verglichen und unterschieden

    (i.S. von differenzieren und diskriminieren)

    ▪ Das setzt einen Vergleichsstandpunkt (des Beobachters)

    voraus, der die Selbigkeit des Verschiedenen, also Ähnlichkeit trotz Differenz garantiert

    Jeder Beobachterstandpunkt ist kontingent:

    Er kann so, wie er gewählt wurde, immer auch ein anderer

    sein:

    Wer vergleicht hier was mit welchem Interesse?

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    Zwei Dimensionen des Kulturbegriffs (n. W. Welsch, 2010)

    Inhaltliche Bedeutung:

    ▪ Sammelbegriff für diejenigen

    Praktiken der Herstellung eines

    ‚menschentypischen Lebens‘

    ▪ Alltagsroutinen

    ▪ Umgangsformen

    ▪ Sozialregulationen (Siezen, Duzen)

    ▪ Überzeugungen

    ▪ Weltbilder

    Extensionale Bedeutung:

    ▪ Verbreitung /Ausdehnung

    bestimmter Gesellschaften,

    Gruppen

    ▪ geographische Extension

    ▪ nationale Extension

    ▪ ethnische Extension

    „Ich rate dazu, die erste, die inhaltliche, und die zweite, die extensionale

    Bedeutung von ‚Kultur‘ nicht wie selbstverständlich zu amalgamieren,

    sondern unterschieden zu halten.“ (W. Welsch, 2010)

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    sensibel (lat. sensibilis: sinnlich wahrnehmbar):

    ▪ empfindsam

    ▪ besonders viel Sorgfalt,

    ▪ Umsicht wahren

    Sensitiv:

    ▪ von besonderer

    Feinfühligkeit

    (Wahrig Fremdwörterlexikon)

    Sensibel agierende Menschen,

    verfügen über feiner

    ausgeprägte fünf Sinne als

    andere. Sie sehen, schmecken,

    fühlen und riechen

    differenzierter. Sie können

    darüber ein mehr an

    Informationen wahrnehmen.

    kultursensibel oder kultursensitiv pflegen?

    Sensitive Menschen verfügen

    über einen sechsten oder auch

    siebten Sinn.

    Sie sind sehr empathisch,

    hellhörig bzw. hellsichtig und

    hellfühlig. Sie können darüber

    viel feiner Informationen

    wahrnehmen.Prof. Dr. Manfred Borutta, KatHo NRW. Abt. Aachen

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    Multikulturalität

    ▪ Konzept des friedlichen Nebeneinanders

    von verschiedenen Kulturen

    ▪ „Container“-Konzept (D. Domenig, 2015)

    ▪ beruht auf der Multikulturalismusdebatte,

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    Interkulturalität

    ▪ Begegnung zwischen zwei ‚Kulturen‘

    ▪ beleuchtet mögliche Reibungsflächen

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    Prof. Dr. Manfred Borutta, KatHo NRW, Abt. Aachen 10

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    Multi- und Interkulturalität als essentialistische Konzepte

    Klassischer Kulturbegriff:▪ Kulturen als in sich geschlossene Wesenseinheiten

    (Entitäten), die voneinander abgrenzbare

    Eigenschaften haben

    ▪ Homogenität einer jeden Kultur (statisches Konzept)▪ Alle Menschen, die aus einer Kultur stammen, haben

    gleiche oder zumindest ähnliche Wertvorstellungen

    ▪ Kulturelle Kohärenz (Widerspruchsfreiheit)

    ▪ Stereotypische Konstrukte:

    ▪ Auf Personengruppen bezogene verfestigte,

    schematische, Formeln

    ▪ haben entscheidungserleichternde Funktion in

    Prozessen der Um- und Mitweltbewältigung

    ▪ „Abwehreinrichtung gegen die notwendigen

    Aufwendungen einer umfassenden

    Detailerfahrung“ (Dröge, 1967)Prof. Dr. Manfred Borutta, KatHo NRW. Abt. Aachen

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    Transkulturalität (n. M. Leininger)

    Entspricht ebenfalls dem klassischen Kulturbegriff:

    Fremde und Fremdheit wird hier vor allem in Abgrenzung zum

    Selbst konstruiert (Inkommensurabilität)

    ▪ Keine Reflexion (Hinterfragen) der Wirkungsmächtigkeit

    eigener lebensweltlicher Erfahrungen und Perspektiven

    ▪ Keine Reflexion der eigenen soziokulturell verfärbten Brille

    (eigene blinde Flecken)

    „Das Gemeinsame und Verbindende wird weit weniger

    wahrgenommen.“ D. Domenig, 2015)

    ▪ Ausgrenzung migrationsspezifischer Faktoren

    ▪ Ausgrenzung politischer, sozialer, ökonomischer,

    bildungsbedingter und auch religiöser Faktoren

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    „Wir glauben nur, was wir sehen.

    Leider sehen wir nur, was wir glauben.“(Peter Atteslander, Soziologe)

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    Transkulturalität (n. Wolfgang Welsch u. Dagmar Domenig)

    Nicht das Zwischen oder Nebeneinander entitärer Kulturen,

    sondern, das

    ▪ über die jeweilige Kultur Hinausgehende,

    Grenzüberschreitende und somit

    ▪ Verbindende u. Gemeinsame wird ins Zentrum gestellt

    ▪ „Das Weben neuer transkultureller Netzwerke.“

    (W. Welsch, 1999)

    ▪ „temporäre Diagnose“ (W. Welsch, 1999)

    ▪ Einerseits: fortdauernde Existenz von ‚Einzelkulturen‘

    (i.S. des alten Kulturverständnisses)

    ▪ Andererseits: Übergang zu einer neuen, transkulturellen

    Form des Miteinanders

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  • Kultursensible Pflege 07.03.2018

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    Transkulturelle Kompetenz als „polykontextuale Perspektive“

    ▪ ist die Fähigkeit, individuelle Lebenswelten in der je besonderen

    Situation und in unterschiedlichen Kontexten zu erfassen, zu

    verstehen und entsprechende, daran angepasste Handlungsweisen

    abzuleiten

    Transkulturell kompetente Fachpersonen

    ▪ reflektieren eigene lebensweltliche Prägungen und Vorurteile,

    ▪ haben die Fähigkeit die Perspektive anderer zu erfassen und zu deuten,

    ▪ vermeiden Stereotypisierungen von bestimmten Zielgruppen.

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    Interventionsansätze - Operationalisierung

    ProfessionInteraktionPflegerische

    Intervention

    Narrative

    Empathie

    Selbstreflexions-fähigkeit

    Hintergrundwissen(ext. Evidenz)

    und

    Erfahrung(int. Evidenz)

    Int.

    Int. = Interaktion

    Kommunikative

    Aushandlungsprozesse

    Beziehungsgestaltung

    unter Berücksichtigung

    der individuellen

    Lebenswelten

    Sensibilisierung

    Selbst-BewusstseinProf. Dr. Manfred Borutta, KatHo NRW. Abt. Aachen

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    Worauf es ankommt:

    „Letztendlich ist es auch weit wichtiger, den

    Geschichten der PatientInnen zuzuhören,

    gemeinsam mit ihnen zu erforschen, in

    welcher Art und Weise Aspekte ihrer

    ethnischen Identität ihrer Lebenswelten und

    ihre Antwort auf Krankheit beeinflussen sowie

    mit ihnen eine partnerschaftliche Beziehung

    aufzubauen, als Listen über angeblich kulturelle

    Normen auswendig zu lernen.“

    (Dagmar Domenig, 2015,172)

    Prof. Dr. Manfred Borutta, KatHo NRW. Abt. Aachen

    Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!