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1 · 2015 Der Immobilienbewerter 3 Prof. Hans-Jürgen Lorenz, Dr. Roland Fischer, Matthias Biederbeck Das Leibgeding in der Bewertung Das Leibgeding gehört in die Klasse der beschränkt persönlichen Dienstbarkeiten, die den Begünstigen berech- tigen, das Grundstück in ganz bestimmten einzelnen Bestimmungen zu nutzen. Die Dienstbarkeit ist an den Begünstigten gebunden, nicht übertragbar und nicht vererblich. Insbesondere im ländlichen Bereich spielt das Leibgeding, auch Altenteil genannt, noch eine bedeutende Rolle. Wichtigster Bestandteil eines Leibgedinges ist die sogenannte Reallast, welche im Grundbuch eingetragen wird. Ein Leibgeding gehört zum sog. Altenteilsrecht. 1,2 Darunter sind dingliche Nutzungen und Leistun- gen zu verstehen. Diese sind aus und auf einem Grundstück zu ge- währen. Derartige Leistungen die- nen der allgemeinen leiblichen und persönlichen Versorgung des Berechtigten. Damit besteht eine lebenslängliche Verknüpfung des Berechtigten mit dem belasteten Grundstück. Vor allem bei land- wirtschaftlichen Übergabeverträ- gen ist ein Leibgeding üblich. Es sichert eine lebenslange Versor- gung des Übergebenden durch den Übernehmer als Gegenleistung. Dazu bedarf es eines Vertrages oder einer letztwilligen Verfügung. Eine Ausgestaltung kann erfolgen als: - gung) Rentenschuld (monatlicher Geld- betrag) 1 Simon/Fischer in: Kleiber, Verkehrswerter- mittlung von Grundstücken, S. 2895. 2 Gaßner, Lexikon der Immobilienwertermitt- lung – Leibgedinge, S. 418 – 419. beschränkte persönliche Dienst- barkeit (Wohnrecht) Im Vertrag zum Leibgeding sind alle Gegenleistungen aufzuführen. Rechtsgrundlage sind die im BGB enthaltenen Regelungen. So für Reallasten (§§ 1105 – 1112 BGB) Leibrente (§§ 759 – 761 BGB) beschränkte persönliche Dienst- barkeiten (§§ 1090 – 1093 BGB) Nießbrauch (§§ 1030 – 1089 BGB) - nommene Ausgestaltungsmöglich- keit im Zuge einer vorweggenomm- menen Erbfolge. Landesrechtliche Vorschriften zum Altenteilsrecht sind mit Inkrafttreten des BGB un- berührt geblieben (§ 96 EG BGB). 3 Ein Leibgeding ist ein sog. höchst- persönliches Recht, das nicht über- tragbar ist. Das typische Altenteils- recht besteht aus einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit in Form 3 Simon/Fischer in: Kleiber, a.a.O., S. 2895. eines Wohnrechts (gem. § 1093 BGB) und einer Reallast (§ 1105 und kranken Tagen oder monatli- che Rentenzahlung). Leibgedinge sind im Grundbuch dinglich gesichert. Gemäß § 49 Grundbuchordnung können auch mehrere Einzelrechte mit einem zusammenfassenden Vermerk in das Grundbuch eingetragen wer- den. Diese dingliche Sicherung der Nutzung und der Leistungen dient der leiblichen und persönlichen Versorgung des Berechtigten und ist evtl. auch seine lebenslange Ver- knüpfung mit dem Grundstück. 4 Aufgabenstellung und Sachverhalt Im Rahmen einer Vermögensausei- nandersetzung der Eheleute O. er- hielt der Sachverständige den Auf- trag den Wert des Leibgedings zu zwei Stichtagen festzustellen: a) zum Stichtag 26.07.1988 und b) zum Stichtag 15.04.2004 Mit Übergabevertrag vom 26.07.1988 hat Frau X. ihre land- wirtschaftliche Hofstelle an ihren Sohn übergeben. Gemäß Grund- buchauskunft gehören zu dieser Hofstelle: 5.830 m² Straße 881 m² 4.321 m² 14.149 m² Wohnhaus, Wirtschaftsge- bäude, Hofraum, Grünland 14.650 m² 4 Simon/Fischer in: Kleiber, a.a.O., S. 2895. WERTERMITTLUNG

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Page 1: Prof. Hans-Jürgen Lorenz, Dr. Roland Fischer, Matthias ... · PDF file1 Simon/Fischer in: Kleiber, Verkehrswerter-mittlung von Grundstücken, S. 2895. 2 Gaßner, Lexikon der Immobilienwertermitt

1 · 2015 Der Immobilienbewerter 3

Prof. Hans-Jürgen Lorenz, Dr. Roland Fischer, Matthias Biederbeck

Das Leibgeding in der Bewertung Das Leibgeding gehört in die Klasse der beschränkt persönlichen Dienstbarkeiten, die den Begünstigen berech-tigen, das Grundstück in ganz bestimmten einzelnen Bestimmungen zu nutzen. Die Dienstbarkeit ist an den Begünstigten gebunden, nicht übertragbar und nicht vererblich. Insbesondere im ländlichen Bereich spielt das Leibgeding, auch Altenteil genannt, noch eine bedeutende Rolle. Wichtigster Bestandteil eines Leibgedinges ist die sogenannte Reallast, welche im Grundbuch eingetragen wird.

Ein Leibgeding gehört zum sog. Altenteilsrecht.1,2 Darunter sind dingliche Nutzungen und Leistun-gen zu verstehen. Diese sind aus und auf einem Grundstück zu ge-währen. Derartige Leistungen die-nen der allgemeinen leiblichen und persönlichen Versorgung des Berechtigten. Damit besteht eine lebenslängliche Verknüpfung des Berechtigten mit dem belasteten Grundstück. Vor allem bei land-wirtschaftlichen Übergabeverträ-gen ist ein Leibgeding üblich. Es sichert eine lebenslange Versor-gung des Übergebenden durch den Übernehmer als Gegenleistung.

Dazu bedarf es eines Vertrages oder einer letztwilligen Verfügung. Eine Ausgestaltung kann erfolgen als:

-gung)

Rentenschuld (monatlicher Geld-betrag)

1 Simon/Fischer in: Kleiber, Verkehrswerter-mittlung von Grundstücken, S. 2895.

2 Gaßner, Lexikon der Immobilienwertermitt-lung – Leibgedinge, S. 418 – 419.

beschränkte persönliche Dienst-barkeit (Wohnrecht)

Im Vertrag zum Leibgeding sind alle Gegenleistungen aufzuführen.

Rechtsgrundlage sind die im BGB enthaltenen Regelungen. So für

Reallasten (§§ 1105 – 1112 BGB)

Leibrente (§§ 759 – 761 BGB) beschränkte persönliche Dienst-barkeiten (§§ 1090 – 1093 BGB)

Nießbrauch (§§ 1030 – 1089 BGB)

-nommene Ausgestaltungsmöglich-keit im Zuge einer vorweggenomm-menen Erbfolge. Landesrechtliche Vorschriften zum Altenteilsrecht sind mit Inkrafttreten des BGB un-berührt geblieben (§ 96 EG BGB).3

Ein Leibgeding ist ein sog. höchst-persönliches Recht, das nicht über-tragbar ist. Das typische Altenteils-recht besteht aus einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit in Form 3 Simon/Fischer in: Kleiber, a.a.O., S. 2895.

eines Wohnrechts (gem. § 1093 BGB) und einer Reallast (§ 1105

und kranken Tagen oder monatli-che Rentenzahlung).

Leibgedinge sind im Grundbuch dinglich gesichert. Gemäß § 49 Grundbuchordnung können auch mehrere Einzelrechte mit einem zusammenfassenden Vermerk in das Grundbuch eingetragen wer-den. Diese dingliche Sicherung der Nutzung und der Leistungen dient der leiblichen und persönlichen Versorgung des Berechtigten und ist evtl. auch seine lebenslange Ver-knüpfung mit dem Grundstück.4

Aufgabenstellung und Sachverhalt

Im Rahmen einer Vermögensausei-nandersetzung der Eheleute O. er-hielt der Sachverständige den Auf-trag den Wert des Leibgedings zu zwei Stichtagen festzustellen:

a) zum Stichtag 26.07.1988 und

b) zum Stichtag 15.04.2004

Mit Übergabevertrag vom 26.07.1988 hat Frau X. ihre land-wirtschaftliche Hofstelle an ihren Sohn übergeben. Gemäß Grund-buchauskunft gehören zu dieser Hofstelle:

5.830 m²Straße 881 m²

4.321 m²14.149 m²

Wohnhaus, Wirtschaftsge-bäude, Hofraum, Grünland 14.650 m²

4 Simon/Fischer in: Kleiber, a.a.O., S. 2895.

WERTERMI T TLUNG

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Der Immobilienbewerter 1 · 20154

Im oben genannten Übergabever-trag wurden zugunsten der Überge-berin verschiedene Gegenleistun-gen (Leibgeding) unter Ziff. XII vereinbart sowie in Abt. II des Grundbuches eingetragen. Letzte-res wie folgt:

Leibgeding für Krimhild X., geb. K., geb. 08.12.1915, löschbar bei Todesnachweis; vereinbarte Ge-genleistungen gem. Übergabever-trag vom 26.07.1988

Die nachfolgende Aufstellung ent-hält alle Gegenleistungen zuguns-ten der Übergeberin:

1. Ein Wohnungsrecht an dem Aus-tragswohnhaus Nr. 18 und ein Recht zur Nutzung der angebauten Doppelgarage. Ebenso eine freie Bewegung im Anwesen sowie in den Wirtschaftsgebäuden und im Garten.

2. Tägliche Verköstigung zusam-men mit dem Übernehmer oder dem Alter und Gesundheitszustand entsprechend anderer Kost. Auf Verlangen sind die Speisen in die Austragswohnung zu bringen.

3. Beheizung der Austragswoh-nung sowie freier Wasser- und Strombezug.

4. Verrichtung aller üblichen Haus-arbeiten und Besorgungen, insbe-sondere Reinigung und Instandhal-tung der Austragswohnung, der Kleidung und Wäsche, soweit der Übergeberin die eigene Erledigung

nicht mehr zugemutet werden kann, auf jeden Fall, wenn sie dazu selbst nicht in der Lage ist.

und Gebrechlichkeit, Bezahlung der Kosten für Arzt, Krankenhaus und Heilmittel im Rahmen der Leistungsfähigkeit der Überneh-mer, soweit diese Kosten nicht durch Krankenversicherung oder sonstige Versorgungsansprüche ge-deckt sind.

6. Mitbenutzung eines am Anwe-sen vorhandenen Personenkraftwa-gens in angemessenem Umfang für gelegentliche private Fahrten, wenn und soweit die Übergeberin keinen eigenen PKW mehr hält. Auf Verlangen ist die Übergeberin zu fahren.

7. Wahlweise anstelle der Ziff. 4. und 5. genannten persönlich zu er-bringenden Leistungen für die Übergeberin (ohne Instandhal-tung), Zahlung einer monatlichen Rente von 300 DM/Monat (= 153,39 €/Monat), mit Wertsiche-rungsklausel.

8. Ortsübliche und standesgemäße Beerdigung, Errichtung des Grab-

-waige Auszahlungen von Sterbe-geldversicherungen stehen den Übernehmern zu.

Veräußerungsbeschränkung mit Erlösbeteiligung

Im vorliegenden Fall soll auch die im Übergabevertrag vereinbarte Veräußerungsbeschränkung mit Er-lösbeteiligung für den Übergeber berücksichtigt werden. Diese hat folgenden sinngemäßen Inhalt:

a) Der Reinerlös ergibt sich aus der Differenz von Veräußerungserlös abzüglich Steuerbetrag.

b) Die Erlösbeteiligung beträgt 30 % vom Reinerlös.

c) Eine Erlösbeteiligung entfällt bei Reinvestition in landwirtschaftli-che Flurstücke und bei Veräuße-rung zur Abwendung einer Enteig-nung.

Aus sachverständiger Sicht hat die Veräußerungsbeschränkung keine Auswirkung auf den Verkehrs-/Marktwert des zu bewertenden Ob-jekts im gewöhnlichen Geschäfts-verkehr. Ein potenzieller Erwerber ist von der Veräußerungsbeschrän-kung und der Erlösbeteiligung nicht betroffen. Bei der Belastung geht es lediglich darum, dass der

Übernehmer hinsichtlich des Zeit-punktes und des Anlasses der Ver-äußerung nicht frei über den Erlös verfügen und ggf. nicht den vollen Verkaufserlös für sich behalten

Urteil des OLG München5 vom 16.04.2008 wird dazu ausgeführt:

„Bei der Verkehrswertfestsetzung war hingegen das Veräußerungs-verbot nicht wertmindernd zu be-rücksichtigen. Im Falle einer Ver-äußerung an Dritte wird aber nicht der Verkehrswert des Anwesens als solches geschmälert, sondern es

-tung des Beklagten ausgelöst. Für einen Käufer des Anwesens wären

-kungen entstanden. Das Eigentum wäre ohne irgendwelche entspre-chenden Belastungen uneinge-schränkt auf ihn übergegangen. Allein die Geschwister hätten ent-sprechend dieser Veräußerungs-klausel gegen den Beklagten und nicht gegen den Käufer Zahlungs-ansprüche erheben können. Damit ist auch keinerlei Wertminderung

sich für den Beklagten bei einem Verkauf des Anwesens ergeben hät-

die Feststellung, welchen Verkehrs-wert das Anwesen hat.“

Der Sachverständige hatte nicht zu prüfen, ob sich die Veräußerungs-beschränkung und die Erlösbeteili-gung anderweitig im Rahmen der Vermögensauseinandersetzung auswirken können. Auf den Ver-kehrs-/Marktwert haben sie keinen

des Leibgedings.

5 OLG München, Urteil vom 16.04.2008 – 3 U 3171/07.In diesem Fall ging es um ein Veräußerungsverbot und eine Erlösbeteili-gung von 50 %.

WERTERMI T TLUNG

Den kompletten Artikel finden

Sie in der Ausgabe 1/2015 des

Immobilienbewerters.